p-4 K. TwardowskiH. HofmannJ. RehmkeW. EnochO. KülpeG. K. Uphues    
 
GOSWIN KARL UPHUES
Die psychologische Grundfrage
[Im Anschluß an die neuere psychologische Literatur] (1)

"Nachdem wir uns über die Vorfrage, was (nach der Meinung des gewöhnlichen Bewußtseins) unter einem Ich und den Dingen zu verstehen ist, verständigt haben, können wir nunmehr die Beantwortung der psychologischen Grundfrage versuchen, wie das Bewußtsein des Neugeborenen, das lediglich aus gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden weder rückwärts auf ein Subjekt noch vorwärts auf ein Objekt bezogenen Empfindungen und etwa noch Gefühlen besteht, für das es also weder Subjekt noch Objekt, weder ein Inneres noch ein Äußeres gibt, zum Bewußtsein des Ich und der Dinge gelangt."

Kein Zweig der philosophischen Literatur erregt heutzutag innerhalb der philosophischen Welt und weit über ihren Kreis hinaus ein so mächtiges Interesse als die Psychologie. Man geht von der Ansicht aus, daß in der Psychologie nach der jetzt herrschenden Methode am ehesten wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse gewonnen werden können. Mit vollem Recht. Ob man aber auch die Schwierigkeit dieser Aufgabe hoch genug anschlägt, ist eine andere Frage, die bei dem Wirrwarr der Meinungen auf dem psychologischen Forschungsgebiet sicherlich verneinend beantwortet werden muß. Es mag deshalb gestattet sein, einen Punkt innerhalb dieses Durcheinanders, der für alles andere entscheidend und maßgebend ist, zu fixieren und mit Bezug auf die in den letzten vier Jahren in Deutschland erschienen psychologischen Werke zur Erörterung zu bringen. Ich bezeichne ihn als die psychologische Grundfrage.

Versetzen wir uns in die Zeit, wo wir eben das Licht der Welt erblickt hatten, einige Wochen nach unserer Geburt und fragen uns, worin damals unser Bewußtsein bestand. Wir hatten Empfindungen, die, wie wir jetzt sagen, vom Druck der uns berührenden Hände, Kleider herrührten, ferner Gesichtsempfindungen, wie wir jetzt sagen, von diesen Dingen; Geruchsempfindungen, Geschmacksempfindungen und ebenso Gesichtsempfindungen, wie wir jetzt sagen, von der Flasche, der Mutterbrust, der Milch, die wir tranken, lauter Empfindungen, von denen wir jetzt sagen, daß sie unsere Empfindungen waren oder daß wir sie hatten. Von Händen, Kleidern, die uns berührten, von Flasche, Mutterbrust, die uns nährten, wußten wir damals nichts, ebensowenig von einem Ich, das die Empfindungen hatte als seine Empfindungen. Kurz gesagt: unser ganzes Bewußtsein bestand aus diesen Empfindungen, die weder vorwärts auf Dinge, noch rückwärts auf ein Ich bezogen wurden. Für dieses Bewußtsein gab es weder Subjekt noch Objekt, auch der Körper, den wir jetzt als eigenen Körper bezeichnen und oft als Ort und Träger der Empfindungen betrachten, war für dieses Bewußtsein nicht vorhanden, das bloße Dasein und Zusammensein der Empfindungen bilden den einzigen Bestandteil dieses Bewußtseins, zu denen etwa noch Gefühle der Lust oder Unlust hinzutraten, wie wir jetzt sagen, der Annehmlichkeit oder Unanehmlichkeit dieser Empfindungen, die also jetzt von uns, aber keineswegs schon im ursprünglichen Bewußtsein des Neugeborenen auf die Empfindungen bezogen werden. Man geht nicht zu weit, wenn man in Bezug auf diese Charakteristik des Bewußtseins des Neugeborenen eine Übereinstimmung unter den physiologischen Forschern der Gegenwart voraussetzt und auf ihre Zustimmung rechnet. Die nächste Frage ist: wie kommt das Kind von diesem Komplex zugleich miteinander auftretender und aufeinander folgender Empfindungen und Gefühle zum Bewußtsein des Subjekts und der Objekte, des Ich und der Dinge? Wir können sie, ohne Widerspruch fürchten zu müssen, als psychologische Grundfrage bezeichnen. Sie schließt die Vorfrage ein, was unter einem Ich und den Dingen zu verstehen ist. Schon bei der Beantwortung dieser Vorfrage, noch mehr aber bei der Beantwortung der Grundfrage, tritt der Wirrwarr und Widerstreit der Meinungen unter den gegenwärtigen Forschern in grellster Weise hervor. Viele gehen bei der Bestimmung dessen, was unter einem Ich und den Dingen zu verstehen ist, von bestimmten philosophischen Systemen aus oder suchen diese Bestimmung mit vermeintlich gesicherten naturwissenschaftlichen Anschauungen in Einklang zu bringen, während es sich offenbar doch nur um eine genaue Angabe dessen handeln kann, was sich das gewöhnliche Bewußtsein, d. h. das Bewußtsein der gewöhnlichen Leute unter einem Ich und den Dingen denkt. Denn zu diesem Bewußtsein gestaltet sich doch das Bewußtsein des Neugeborenen, dieses Bewußtsein bleibt die Grundlage und Voraussetzung seiner ganzen geistigen Entwicklung, welchen Einfluß auch immer philosophische Systeme und naturwissenschaftliche Anschauungen auf diese Entwicklung ausüben. Fragen wir uns nun, was das gewöhnliche Bewußtsein in diesem Sinne unter Dingen versteht, so ist die Antwort eine überaus einfache: das, was nicht Bewußtsein, insbesondere nicht Empfindung und Gefühl ist; Hände, Kleider, Flasche, Mutterbrust, Milch sind ihm, was auch immer sie sein mögen, jedenfalls nicht Bewußtsein, nicht Empfindung und Gefühl. Schwieriger ist die Beantwortung der Frage, was das gewöhnliche Bewußtsein unter einem Ich versteht. Sehen wir davon ab, daß wir oft das Wort Ich in Verbindung mit körperlichen Vorgängen gebrauchen, z. B. ich gehe, esse, trinke, wo wir natürlich unter einem Ich nur das leibliche Ich oder den eigenen Körper verstehen können, so verbinden wir mit dem Wort "Ich" zunächst die Wortvorstellung Ich, sei es die (akustische) Gehörsvorstellung des gesprochenen oder die (optische) Gesichtsvorstellung des geschriebenen Ich. Die Frage ist nur, ob sich mit dieser Wortvorstellung, die sich regelmäßig dann einstellt, wenn wir, von einem leiblichen Ich absehend, an unser eigenes oder ein fremdes Ich als solches denken, auch eine Sachvorstellung verbindet und worin diese besteht; wie sich dann an die Wortvorstellungen der gesprochenen Zahlen oder geschriebenen Ziffern, von denen wir beim Denken der Zahlen (die ganze kleinen, 1 bis 4 oder 5, deren Einheiten wir uns getrennt in Punkten oder Strichen gleichzeitig vergegenwärtigen können, ausgenommen) immer ausgehen, stets entsprechende Sach- oder Wortbedeutungsvorstellungen anschließen. Als solche mit der Wortvorstellung Ich verbundene Sach- oder Bedeutungsvorstellung finden wir, so oft und sorgfältig wir forschen, nichts anderes vor, als die Bewußtseinsvorgänge, vor allem die Empfindungen und Gefühle der Vergangenheit und Gegenwart, von deren Zusammengehörigkeit miteinander und mit diesem Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit wir ein Bewußtsein haben, und die wir eben darum als unser Bewußtsein oder Ich bezeichnen. Wir finden nichts anderes, so oft und sorgfältig wir auch forschen. Wollen wir aber dennoch unter einem Ich oder Subjektsmoment etwas anderes von diesen Bewußtseinsvorgängen Verschiedenes verstehen, so haben wir nur etwas Unbestimmtes, Inhaltsleeres in den Händen, das von REHMKE, der diesen Versuch macht, mit Recht als unvorstellbar, ja für sich genommen, getrennt von den Bewußtseinsvorgängen als undenkbar bezeichnet wird, das außerdem nach ihm ein und dasselbe in allen Bewußtseinen und über Raum und Zeit erhaben ist. Können wir uns nicht zu diesen extremen Anschauungen REHMKEs bekennen, so bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als daß wir unter einem Ich die Gruppe zusammengehörender Bewußtseinsvorgänge verstehen, die durch das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit miteinander und mit diesem Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit charakterisiert sind. Das ist der Grundgedanke der Bewußtseinstheorie, die in meinem Buch entwickelt ist. In gewissem Sinn stimmt auch ZIEHEN hiermit überein. Nur daß ihm die Ich genannten Bewußtseinsvorgänge mehr etwas durch Assoziation Zusammengeratenes als Zusammengehörendes sind und er von einem Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit miteinander kaum, mit diesem Bewußtsein aber sicher nichts wissen will, zumindest in der Konsequenz seiner Grundanschauung dieses Bewußtsein ablehnen muß, wie wir sofort sehen werden. KÜLPE glaubt von einem geistigen Individuum, das in den Bewußtseinsvorgängen bestände, nicht reden zu können, weil "diese Meinung keine wissenschaftliche Psychologie ergäbe". Es sollen zwischen den Bewußtseinsvorgängen keine notwendigen Abhängigkeiten bestehen. Wir fragen: auch nicht zwischen Prämissen und Schlußsätzen, zwischen Urteilen oder Willensvorgängen und den sie bedingenden Vorstellungen? Die Bewußtseinsvorgänge als solche sollen nicht eindeutig bestimmt werden können, nur mit Bezug auf die körperlichen Vorgänge soll das möglich sein. Die Psychologie ist darum die Wissenschaft von den Abhängigkeitsbeziehungen der Bewußtseinsvorgänge vom körperlichen Individuum. Wir fragen, wie ein Konstatieren dieser Abhängigkeitsbeziehungen möglich sein soll, wenn nicht zuerst die Bewußtseinsvorgänge an sich fest und sicher erkannt sind. Abgesehen davon ist die genannte Wissenschaft nicht Psychologie überhaupt, die doch das Buch KÜLPEs nach dem Titel geben will, sondern physiologische Psychologie. In der Tat hat KÜLPE nur eine physiologische Psychologie gegeben, und diesen Zweck als den beabsichtigten vorausgesetzt, ist sein Buch wertvoll. Die allgemeinen Erörterungen verraten wie die vorstehende eine nachlässige Denkhaltung, die unangenehm berührt und das Verständnis erschwert. ZIEHENs Buch ist eine mit strenger Konsequenz durchgeführte Assoziationspsychologie, die als solche den psychologischen Tatsachen nicht gerecht werden kann, aber durch ihre Klarheit und Folgerichtigkeit, unterstützt von einer vorzüglichen sprachlichen Darstellung, den Leser fesselt und gewinnt. REHMKE greift häufig über die Bewußtseinsvorgänge hinaus zu Annahmen, die in keiner Analogie zum Gegebenen stehen und darum nach meiner Terminologie als Postulate bezeichnet werden müssen; aber diese Postulate sind meiner Meinung nach, abgesehen vom erörterten Fall des Subjektmoments, durch das Denken wirklich gefordert und setzen darum die Bewußtseinsvorgänge ins rechte Licht. Sein Buch ist charakterisiert durch eine vielfach glückliche Vereinfachung der Probleme; die sehr tiefgehenden und scharfsinnigen Untersuchungen werden in schlichter, gemeinverständlicher Sprache vorgetragen. Mein Buch behandelt die dem Zweck des Erkennens dienenden Bewußtseinsvorgänge als solche oder an und für sich genommen, abgesehen von den ihnen entsprechenden körperlichen Vorgängen und ohne in der Weise REHMKEs über die Bewußtseinsvorgänge hinausgehende Annahmen im Sinne der Postulate zu machen. Ich möchte es deshalb als einen Beitrag zur introspektiven Psychologie bezeichnen, während REHMKEs Buch eben wegen dieser Annahme als metaphysische Psychologie charakterisiert werden müßte. TWARDOWSKI gibt eine sehr eindringliche Untersuchung über das Gegenstandsbewußtsein, durch dessen Annahme meiner Ansich nach einzig und allein die psychologische Grundfrage beantwortet werden kann. Auch seine Schrift bietet natürlich einen Beitrag zur introspektiven Psychologie. Das Buch erinnert in Gedankenführung und Sprache oft an die "Analysis of the phenomena of human mind" von JAMES MILL und kann wie dieses als beste Einführung in die Psychologie überhaupt, als beste Einführung in die schwierige Frage nach der Beschaffenheit des Gegenstandsbewußtseins bezeichnet werden.

Nachdem wir uns über die Vorfrage, was (nach der Meinung des gewöhnlichen Bewußtseins) unter einem Ich und den Dingen zu verstehen ist, verständigt haben, können wir nunmehr die Beantwortung der psychologischen Grundfrage versuchen, wie das Bewußtsein des Neugeborenen, das lediglich aus gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden weder rückwärts auf ein Subjekt noch vorwärts auf ein Objekt bezogenen Empfindungen und etwa noch Gefühlen besteht, für das es also weder Subjekt noch Objekt, weder ein Inneres noch ein Äußeres gibt, zum Bewußtsein des Ich und der Dinge gelangt. Nach ZIEHEN, der auch das Urteil und den Schluß in letzter Instanz auf bloße Vorstellungsassoziationen zurückführt (dagegen HÖFLER, "Psychische Arbeit", 1894, Seite 96), soll das seinen Grund lediglich in einer Vorstellungsassoziation haben. Ich leugne nicht, daß das ganze tierische Bewußtsein, auch die dem Urteil und Schluß ähnlichen, analogen Vorgänge desselben, insbesondere das Unterscheiden und Wiedererkennen durch Assoziationen erklärt werden können. Der Hund unterscheidet ein Stück Fleisch von einem Stück Holz, d. h. mit der Empfindung (Geruchs- und Gesichtsempfindung) von jenem ist ein Gefühl der Lust verbunden, dieses löst die Bewegung des Zuschnappens aus, bei der Empfindung von diesem fehlt das Gefühl und darum auch die ausgelöste Bewegung. Der Hund erkennt seinen Herrn wieder, d. h. die Gesichtsempfindungen erwecken ein Lustgefühl, dieses löst das freudige Bellen aus, Lustgefühl und Bellen sind bei den Gesichtsempfindungen von Fremden nicht vorhanden. Es versteht sich, daß die Empfindungen hier ebensowenig nach vorwärts auf Objekte, wie nach rückwärts auf ein Subjekt bezogen zu sein brauchen, um diese Erscheinungen zu erklären, es genügt, daß mit ihnen Gefühle und Bewegungen des Körpers und der Stimmwerkzeuge verbunden sind. Ist diese Erklärung ausreichend, dann beruhen die Vorgänge des Unterscheidens und Wiedererkennens beim Tier und ebenso die Analoga des Urteils und Schlusses bei ihm lediglich auf Assoziation. Ich halte sie für ausreichend, behaupte aber, daß eben darum in all diesen Vorgängen und im tierischen Bewußtsein überhaupt das Bewußtsein des Subjekts und Objekts durchaus fehlt, zumindest haben wir gar kein Recht, sein Vorhandensein anzunehmen, solange wir diese Vorgänge aufgrund bloßer Assoziationen erklären können. Es springt jedoch in die Augen, daß das Unterscheiden und Wiedererkennen, das Urteilen und Schließen beim Menschen etwas ganz anderes ist, als diese mit den gleichen Namen benannten Vorgänge des tierischen Bewußtseins. In jenen Vorgängen beim Menschen spielt immer das Bewußtsein von Objekten, häufig das Bewußtsein des Subjekts eine Rolle. Ich behaupte nun, daß dieses Bewußtsein nur durch ein Gegenstandsbewußtsein in seinen beiden Formen als Reflexion und Erinnerung oder Wissen um die gegenwärtigen und vergangenen Bewußtseinsvorgänge und als Wahrnehmung oder Wissen um etwas, das kein Bewußtseinsvorgang ist, zustande kommen kann. ZIEHEN hingegen will, daß das alles, Reflexion und Erinnerung, ebenso Wahrnehmung, in diesem Sinne nicht besondere auf etwas von ihnen Verschiedenes oder auf Gegenstände bezogene Vorgänge sind, sondern lediglich in Vorstellungsassoziationen bestehen, deren eines Glied freilich sprachlich, aber entschieden irreleitend als besonderer Vorgang bezeichnet wird (Vgl. "Zeitschrift für Philosophie und Pädagogik, Heft 4, 1894, Ziehens Rezension über UPHUES, Psychologie des Erkennens)
    "Ist die Empfindung bereits verschwunden, so ist die Reflexion identisch mit der Erinnerung, sie besteht in der Fortdauer des sogenannten Erinnerungsbildes der Empfindung."
Wie oft ist diese handgreiflich falsche Darstellung des Erinnerungsvorgangs seit HERBART von seinen Anhängern und anderen schon wiederholt worden! Die Empfindungen, gewöhnlich Vorstellungen genannt, sollen auch nach ihrem Verschwinden fortdauern, sie sinken unter die Bewußtseinsschwelle, werden unbewußt und bleiben trotzdem Empfindungen oder Vorstellungen, bleiben dieselben; sie steigen dann wieder über die Bewußtseinsschwelle empor, werden wieder bewußt als dieselben Empfindungen oder besser Vorstellungen. Ich sehe ab von dem augenscheinlichen Widerspruch der Annahme eines Unbewußtwerdens von Empfindungen und Vorstellungen, die ihrem ganzen Wesen nach Bewußtseinsvorgänge sind und aufhören zu existieren, wenn sie unbewußt werden, von der unbewiesenen ja bei der Variabilität unserer Vorstellungen der Erfahrung widersprechenden Annahme, daß die in uns wieder auftauchenden den früheren ähnlichen Vorstellungen mit diesen früheren identisch sind, muß aber fragen, was nützt diese Identität der gegenwärtigen Vorstellung mit der früheren, die ZIEHEN hier als Fortdauer bezeichnet, für das Zustandekommen des Erinnerungsvorgangs? Erinnern kann ich mich der früheren Vorstellung doch nur, insofern ich sie mir in der jetzigen vergegenwärtige, zum Bewußtsein bringe, d. h. insofern sie Gegenstand der jetzigen ist, also nur durch das Gegenstandsbewußtsein.
    "Ist die Empfindung noch gegenwärtig, so besteht die Reflexion in der Anknüpfung bestimmter Vorstellungen an die Empfindung; wenn ich z. B. ein Blatt Papier sehe, so knüpft sich gelegentlich die Vorstellung meines Ich daran, d. h. einer sehr komplexen, allmählich entstanden Vorstellung" (vorher: "Die Tatsache, daß die sukzessiven Vorstellungen eines Individuums untereinander in einer durchgängigen assoziativen Verknüpfung stehen, genügt zur Abgrenzung eines individuellen Selbstbewußtseins") "zugleich mit gewissen Vorstellungen eines außer mir gelegenen Gegenstandes, des Papiers."
Es ist wahr, daß wir oft in den Anblick eines Gegenstandes so vertieft sind, daß die sinnliche Vorstellung des leiblichen Ich und noch mehr die Wort- und Sachvorstellung des geistigen Ich sozusagen nur gelegentlich auftaucht. Aber das setzt eben doch voraus, daß wir sie längst gewonnen haben. Wird nun auch das Ich konstituiert durch die Tatsache, daß die sukzessiven Vorstellungen eines Individuums in einer durchgängigen assoziativen Verknüpfung untereinander stehen, so ist doch damit noch keineswegs die Entstehung der Vorstellung des Ich erklärt, um die allein es sich handelt, abgesehen davon, daß die bloß assoziative Verknüpfung der Vorstellungen oder die Eigentümlichkeit derselben, daß, wenn eine von ihnen in einer neuen ähnlichen Vorstellung wieder auflebt, auch die mit ihr gleichzeitigen oder ihr folgenden in neuen Vorstellungen wiederauftreten, noch keineswegs zur Konstituierung des Ich ausreicht.
    "Dadurch, daß wir gelegentlich in einem der zusammengehörenden Bewußtseinsvorgänge die Zusammengehörigkeit der übrigen mit ihm erkennen, schaffen wir das individuelle Bewußtsein nicht erst" (d. h. wir schaffen dadurch nicht das Ich, wie schon gesagt wurde), "sondern registrieren damit nur seine Existenz" (d. h. gewinnen die Vorstellung vom Ich).
Hier gibt ZIEHEN alles zu, was wir nur wünschen können, sogar das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der Bewußtseinsvorgänge nicht bloß untereinander, sondern auch mit diesem Bewußtsein, wie es immer in der Erinnerung, häufig in der Reflexion vorhanden ist. Zweifelhaft bleibt noch, ob er das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit als etwas von den übrigen Bewußtseinsvorgängen, die seinen Gegenstand bilden, Verschiedenes betrachtet, insbesondere, ob er zwischen jenem Bewußtsein und den Bewußtseinsvorgängen das eigenartige, mit keinem andern vergleichbare Verhältnis annimmt, das wir als Bewußtsein von einem Gegenstand bezeichnen. Das letztere ist sicherlich nicht der Fall, da er das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und das durch dasselbe vermittelte Erkennen als ein bloßes Registrieren charakterisiert, worunter ein einen lediglich sprachlichen Vorgang versteht. Wie das nach ZIEHEN zu denken ist, mag uns das Beispiel der Vergleichung zeigen: sie kommt dadurch zustande, daß die mühsam erworbene Vorstellung Größer in einem Rindenbezirk deponiert ist und von zwei intensiv oder extensiv verschiedenen Empfindungen jedesmal durch die größere geweckt wird, so daß wir sagen: diese Empfindung ist größer (Leitfaden, Seite 37). In dieser Weise kann dann auch nach KÜLPE "die psychologische Deutung des Weberschen Gesetzes vertreten" und dieses als Assoziationsgesetzt bezeichnet werden (Grundriß, Seite 172). Die Schwierigkeit ist gewiß nicht allzugroß, einen Papagei abzurichten, daß er bei Vorzeigung zuerst eines kleineren dann eines größeren Stück Zuckers oder umgekehrt größer oder kleiner ruft. Der so dressierte Papagei hätte dann nach ZIEHEN und KÜLPE den Vergleichungsvorgang, wie wir ihn für die Konstatierung der ebenmerklichen Intensitätsunterschiede der Empfindungen in Überstimmung mit dem Weberschen Gesetz nötig haben, wirklich vollzogen. Gesetzt den Fall, daß sich im entwickelten Bewußtsein des Menschen der Vorgang der Vergleichung oft in dieser mechanischen Weise abspielt, was ich nicht bestreite, so kommt für die Psychologie doch alles darauf an, wie die Vorstellungen Größer Kleiner Gleich Verschieden ursprünglich gewonnen wurden. Es ist klar, daß das nur durch einen Vergleich geschehen konnte, der in keiner Weise durch die Assoziationstheorien erklärt werden kann. ARISTOTELES (de anima 426b 23), PLOTIN (Enneaden IV 7, bei KIRCHHOFF Enneade II) betonen, jener, daß zum Zustandekommen der Erkenntnis der Verschiedenheit zweier Dinge die Vorstellungen beider (ohne ineinanderzufließen) zugleich in der Seele sein müssen, dieser, daß zu diesem Zweck ein einheitliches Beurteilendes vorhanden sein muß; ARISTOTELES, die Schwierigkeiten dieser notwendigen Annahme ins Auge fassend, setzt damit das Webersche Gesetz und seine Lehre von den Empfindungskreisen ins rechte Licht und gibt der LEhre von der Enge des Bewußtseins (insbesondere derjenigen von THEODOR WAITZ) die durch die Sache geforderte Begrenzung. Insofern das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit sich sozusagen in der Ichvorstellung verdichtet, verbindet es sich oft genug als Wortvorstellung Ich mit den Bewußtseinsvorgängen aufgrund einer bloßen Assoziation oder wird durch diese geweckt. Das soll in keiner Weise geleugnet werden, auch nicht, wenn man diese Assoziation als Regel für das entwickelte menschliche Bewußtsein hinstellt. Aber damit ist doch noch gar nicht erklärt, wie das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit oder das Ichbewußtsein ursprünglich entsteht. Und hierauf kommt es in erster Linie für die Psychologie an. Das Bewußtsein nun der Zusammengehörigkeit der früheren Bewußtseinsvorgänge, die vergangen, verschwunden sind, mit den jetzigen, wie es der Erinnerung eigentümlich ist, kann offenbar nur dadurch zustande kommen, daß wir uns in diesem Bewußtsein, das ein jetziger, jetzt vorhandener Bewußtseinsvorgang ist, die früheren jetzt nicht mehr vorhandenen vergegenwärtigen, daß dieses Bewußtsein mit anderen Worten: ein Gegenstandsbewußtsein in unserem Sinne ist. Sollen selbst die Inhalte dieses Bewußtseins, die natürlich auch jetzt vorhanden sind, uns selbst unbewußt die früheren Bewußtseinsvorgänge vertreten, so müssen sie uns doch den Gedanken dessen, was sie selbst nicht sind, eben der früheren jetzt nicht mehr vorhandenen Bewußtseinsvorgänge vermitteln, d. h. das Bewußtsein, zu dem diese Inhalte gehören, muß uns die früheren Bewußtseinsvorgänge vergegenwärtigen oder ein Gegenstandsbewußtsein sein. Richtig ist, was ZIEHEN bemerkt (Rezension, Seite 322), daß wir von der Vorstellung keine Vorstellung haben können in dem Sinne, daß wir der gegenwärtigen Vorstellung keine zweite gegenüberstellen können. Versuchen wir das, so ist natürlich die erstere verschwunden. Wohl aber können wir die eben verschwundene oder gestrige, allgemein die frühere Vorstellung in einer gegenwärtigen wiederholen, erneuern und sogar auch die neue mit der alten vergleichen, was aber nur dadurch möglich ist, daß wir uns in der neuen die alte, in der jetzigen die frühere vergegenwärtigen. Im Bewußtsein haben wir in diesem Fall immer nur die neue, jetzige, also nur eine Vorstellung, die aber über sich hinaus weist oder im Vorgang der Vergegenwärtigung zum Ausdruck oder Bild der alten oder früheren für uns wird. Seine ganze Bewußtseinstheorie faßt der Assoziationspsychologe ZIEHEN in den Satz zusammen:
    "Wir haben Bewußtseinsvorgänge und unsere Sprache registriert sie; mehr ist uns empirisch nicht gegeben." (Rezension, Seite 324).
Wie steht es mit der Wahrnehmungstheorie?
    "Daß die Mehrzahl der Gebildeten heute bei ihren Empfindungen sehr oft die Spaltung in den empfundenen Gegenstand und in das empfindende Subjekt vollzieht bzw. hinzudenkt, ist eine sehr verbreitete Denkgewohnheit, ein idolum theatri, gehört aber nicht zum psychologischen Tatbestand der Wahrnehmung selbst. Beim naiven Menschen und oft genug auch bei den Gebildeten - wenn die sogenannte Reflexion gegenüber dem Handeln zurücktritt - bleibt die Wahrnehmung ohne diese metaphysische Zutat."
Vorher wird das nach meiner Ansicht mit der Wahrnehmung verbundene Bewußtsein um ein Transzendentes, d. h. um etwas, das nicht Bewußtseinsvorgang ist, "bei dem es den Metaphysikern überlassen bleibt, ob ein solches Transzendentes wirklich neben der Wahrnehmung existiert", als "psychologischer Tatbestand" bezeichnet (Rezension, Seite 323). Das ist seine Wahrnehmungstheorie. Sollte ZIEHEN wirklich leugnen wollen, daß alle Menschen, Gebildete und Ungebildete, etwas, das nicht Bewußtseinsvorgang ist, was immer es auch sonst sein mag, wahrzunehmen glauben und ihre ganze Erkenntnis des Transzendenten in diesem Sinne auf Wahrnehmungen zurückführen? Jedenfalls ist nach ihm das Bewußtsein des Transzendenten "eine Zutat" zu manchen Wahrnehmungen, die ihren Grund in "einer Denkgewohnheit" hat und darum nach seinen Prinzip durch eine Assoziation zu erklären ist. Die Frage, wie das Bewußtsein des Transzendenten entsteht, bleibt leider wieder völlig unbeantwortet, gerade so wie vorher die Frage nach der Entstehung des Ichbewußtseins. Es ist nicht zu leugnen, daß die größte Zahl der als Wahrnehmungen bezeichneten Vorgänge des ursprünglichen und entwickelten Bewußtseins sich uns als Assoziationen darstellen. Mit den Gesichtsempfindungen sind Tastvorstellungen assoziiert, mit den Empfindungen der übrigen Sinne Gesichtsvorstellungen, diese Assoziationen nehmen sicher schon in der frühesten Zeit der Entwicklung des Bewußtseins ihren Anfang. Diese von den Empfindungen geweckten und mit ihnen verbundenen Tast- und Gesichtsvorstellungen kann man als ihre ursprünglichen Gegenstände betrachten. Die Tastvorstellungen von der Mutterbrust, von der Flasche sind es, woran die betreffenden mit ihnen assoziierten Geruchs-, Geschmacks- und Gesichtsempfindungen erinnern. Bald erlangt der Gesichtssinn den Vorrang vor dem Tastsinn, Gesichtsvorstellungen spielen die erste Rolle im Bewußtsein, Tast-, Geruchs-, Geschmacks-, Gehörsempfindungen erinnern an sie und haben in ihnen ihre Gegenstände. Schließlich verbinden sich mit diesen Gesichtsvorstellungen die Wortvorstellungen, welche sozusagen den Niederschlag eines durch viele Empfindungen gebildeten Wissens enthalten. Gesichts- und Wortvorstellungen, mit denen die Empfindungen, die Gesichtsempfindungen und die Empfindungen der anderen Sinne, assoziiert sind, an die sie uns erinnern, bilden anscheinend nunmehr die einzigen Gegenstände dieser Empfindungen. Wir sehen ein Haus heißt anscheinend nichts anderes als: wir haben eine Gesichtsempfindung und die mit ihr nach dem Assoziationsgesetz der Ähnlichkeit verbundene Gesichtsvorstellung Haus und die mit dieser nach dem Assoziationsgesetz der Berührung (des früheren häufigen Zusammenauftretens) verbundene Wortvorstellung Haus. So in allen ähnlichen Fällen, wo es sich um eine Wahrnehmung sogenannter äußerer Dinge handelt. Was versteht nun aber das gewöhnliche Bewußtsein aller Leute, gebildeter und ungebildeter, auch der ersteren, sofern sie nicht Idealisten sind, unter einem "Haus", allgemein unter äußeren Dingen? Sicher etwas, das kein Bewußtseinsvorgang, insbesondere keine Vorstellung ist. So ist mit den Wahrnehmungen, insbesondere mit den Gesichts- und Wortvorstellungen und ebenso mit den Tastvorstellungen, die anscheinend ihre einzigen Gegenstände bilden, das Bewußtsein dessen, was kein Bewußtseinsvorgang ist, also des Transzendenten gegeben, wenn man will, in assoziativer Weise verknüpft. Aber wie sollen wir uns diese Assoziation erklären, wo die Quelle, den Ursprung dieses Bewußtseins suchen? Sollen wir zu diesem Zweck auf die Gesichts- und Tastempfindungen zurückgehen - die Wortvorstellungen enthalten ja nur den Niederschlag der Empfindungen, zunächst dieser und dann der übrigen - wie wir der Regel nach zur Erklärung der Assoziationen auf die Empfindungen zurückgreifen? Sollen wir den Ursprung dieses Bewußtseins in einem späteren Denkvorgang suchen, durch den wir Empfindungen und Vorstellungen etwas, das nicht Bewußtsein ist, vielleicht als ihre Ursache gegenüberstellen? Aber das Ursachbewußtsein spielt in der Wahrnehmung gar keine Rolle, und die Frage bleibt, was soll uns zu dieser Gegenüberstellung veranlassen, wenn nicht die Empfindungen und Vorstellungen selbst? Abgesehen davon haben wir von dem, was nicht Bewußtsein ist und ebenso von einer Ursache doch zunächst nur eine Vorstellung, wenn nicht diese Vorstellung über sich selbst hinaus auf das weisen soll, was sie selbst nicht ist, was dann ebensogut schon von den Gesichts- und Tastempfindungen angenommen werden kann. Die Schwierigkeit zumindest ist dort wie hier völlig die gleiche. Es wird deshalb am geratensten sein, jedenfalls ist es einwandfrei, wenn wir annehmen, daß das Bewußtsein vom Transzendenten in den Gesichts- und Tastempfindungen (oder in den Tastempfindungen und dann durch Assoziation dieser mit den Gesichtsempfindungen auch in den Gesichtsempfindungen) zustande kommt, obgleich wir diesen Empfindungen das nicht ansehen können. Vielleicht müssen wir unsere Annahme noch mehr einschränken und als letzte Quelle dieses Bewußtseins diejenigen Druckempfindungen (Tastempfindungen und Druckempfindungen sind qualitativ nicht verschieden) bezeichnen, welche uns ein Bewußtsein der Ausdehnung vermitteln, wodurch viele Hautempfindungen und alle Gelenkempfindungen, die ebenfalls Druckempfindungen sind, ausgeschlossen werden. Was ZIEHEN (Rezension Seite 323-325) über Haupt-, Gelenkt-, dann über Geruchs- und Temperaturempfindungen bei mir gelesen haben will, daß ich denselben Hautempfindungen das Gegenstandsbewußtsein ab- und zuspreche, aus den Gelenkempfindungen mit Hilfe der Gesichtsvorstellungen Lageempfindungen entstehen lasse, die mechanischen Korrelate der Geruchs- und Temperaturempfindungen als analoge Dinge behandle, findet sich in meinem Buch mit keiner Silbe angedeutet. Daran halte ich fest, daß die Gelenkempfindungen, trotzdem sie ein konsequent durchgeführtes System von Zeichen für die Bewegungen und Lagen unserer Glieder bilden, doch keine Vorstellung von der Bewegung vermitteln; diese können wir nur durch Druckempfindungen, die auch das Bewußtsein der Ausdehnung mit sich führen, erhalten oder durch Gesichtsempfindungen. Auch daran, daß das Ausgebreitetsein der Temperaturen, Gerüche, Töne in einem Raum (von den mechanischen Korrelaten ist hier keine Rede) nur die Bedeutung haben kann, daß ich an allen Stellen dieses Raumes die betreffenden Empfindungen habe. Unter der Undurchdringlichkeit (Rezension Seite 324) verstehe ich nichts anderes als die durch den Drucksinn wahrgenommene Ausdehnung, in der die Eigenörtlichkeit der Dinge ihren Grund hat und das Wesen der Dinge besteht.

KÜLPE hat die zuletzt erörterte schwierige Frage, wie das Bewußtsein des Transzendenten entsteht, in seinem "Grundriß der Psychologie" gar nicht erörtert, kaum berührt. Ganz nebenbei spricht er einmal (Seite 23) davon,
    "daß außer den fünf Sinnen noch eine Reihe anderer körperlicher Organe Empfindungen vermitteln, die zur Erkenntnis der Außenwelt nichts beitragen."
An einer anderen Stelle (Seite 91) erwähnt er wiederum bloß beiläufig: "Ob eine Empfindung als Zeichen oder Erkenntnisgrund für äußere Reize dient, das kann auch von ihrer Intensität, Dauer usw. abhängen." In der Abhandlung "Das Ich und die Außenwelt" (WUNDTs "Philosophische Studien", Bd. 7, Seite 3) stellt er einen Anhang in Aussicht, der "den experimentellen Beweis" dafür bringen soll, daß die Erlebnisse, welche der sinnlichen Wahrnehmung angehören, nur unter der Herrschaft gewisser erfahrungsmäßiger Kriterien für subjektiv oder objektiv gehalten werden." (Seite 399) Der Anhang ist meines Wissens nicht erschienen. Der Anhang würde auch, wie sofort einleuchtet, für die Entscheidung unserer Frage ebenso irrelevant sein, wie es tatsächlich die ganze Abhandlung ist. Das ist alles, was man hierher rechnen könnte. In der Abhandlung (Seite 394) wird unterschieden zwischen Erlebnissen, die wir haben, und unserem Wissen um solche Erlebnisse, das als Reflexion bezeichnet wird. Sogar Absichten sollen wir haben können, ohne um sie zu wissen. Das ist nun freilich zu weit gegangen. Absichten und ebenso Erinnerungen können wir nicht haben, ohne um sie zu wissen. Sonst aber ist die Unterscheidung richtig und bedeutsam. Für die Empfindungen vor allem gilt, daß wir sie haben können, ohne darum zu wissen. Im "Grundriß" wird sofort von der inneren Wahrnehmung gesprochen (Seite 3) und dann ohne alle nähere Erklärung die innere Wahrnehmung des Psychologen der äußeren Wahrnehmung des Physikers (Seite 10) gegenübergestellt. Die innere Wahrnehmung wird auf derselben Seite (Seite 10) zuerst von der Aufmerksamkeit unterschieden und dann mit dem aufmerksamen Erleben identifiziert. Auf derselben Seite (Seite 10) wird die Selbstbeobachtung zuerst verworfen und dann empfohlen. Natürlich können wir Empfindungen nicht unterscheiden, wenn wir nicht zuerst verschiedene Empfindungen haben, ja, es leuchtet ein, daß die verschiedenen Empfindungen zugleich in demselben Augenblick im Bewußtsein sein müssen, wenn der Unterscheidungsvorgang stattfinden soll. Nach KÜLPE (Seite 33)
    "bezeichnet der Name Unterschiedsempfindlichkeit keine unterscheidende Tätigkeit, die neben den verschiedenen Inhalten als besonderer Bewußtseinsvorgang besteht, sondern nur die allgemeine Tatsache, daß wir Verschiedenes erleben und als solches konstatieren, also die innere Wahrnehmung verschiedener Inhalte und die Aussage darüber."
Hier wird die innere Wahrnehmung mit dem Erleben identifiziert; vorher (Seite 10 oben) wurde sie vom Erleben unterschieden; denn die von ihr verschiedene Aufmerksamkeit sollte nicht ihr, sondern "den Erlebnissen zuteil werden." Interessant ist, daß man das Verschiedene als verschieden konstatieren kann, ohne zu unterscheiden. Ferner:
    "Wir beurteilen zwei Bewußtseinsvorgänge daraufhin, ob sie gleich oder verschieden sind, wir stellen sie damit (!) gewissermaßen (!) unter die allgemeinsten Denkgesetze der formalen Logik, das Gesetz der Identität und des Widerspruchs." (Seite 33)
Diese Proben mögen genügen. KÜLPE stellt die physiologisch-psychologischen Details mit vorzüglicher Klarheit und Sorgfalt dar, für die Schwierigkeit der Behandlung allgemeiner Fragen scheint ihm das Verständnis zu fehlen. Er tut sie mit einer Leichtigkeit ab, die wahrhaft beispiellos ist. Sein Buch ist ein klassischer Beweis dafür, wie wenig auch die gründlichste Schulung in der physiologischen Psychologie für eine zweckentsprechende Behandlung dieser Fragen nützt.

Von den haltlosen Ausführungen KÜLPEs wenden wir und zu den wohldurchdachten Untersuchungen REHMKEs. Das ist einmal wieder wirklich philosophische Arbeit, d. h. Gedankenarbeit auf psychologischem Gebiet. Seine Grundanschauung ist wie die seines Lehrers BIEDERMANN, des gedankenmächtigsten unter den modernen Theologen der Bewußtseinsmonismus: das Alles seiende Bewußtsein ist die einzige Wirklichkeit. Die einzelnen Seelen, in den Besonderheiten der ihr Bewußtsein bildenden Bewußtseinsvorgänge bestehend, und die äußeren Dinge stehen zu dem Alles seienden Bewußtsein im Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen in der Weise, daß das Allgemeine in allem Besonderen als das Identische vorhanden, nicht etwa bloß als das Gleiche wiederkehrt oder sich wiederholt. Das Alles seiende Bewußtsein ist das Realprinzip, diese Auffassung des Verhältnisses des Allgemeinen zum Besonderen das Formalprinzip der Philosophie REHMKEs. Die äußeren Dinge sind (ebenso wie die Seelen) in ihrer Existenz dadurch bedingt, daß sie Besonderheiten des allgemeinen Bewußtseins bilden, die äußeren Dinge sind insofern unabhängig von den Seelen oder Einzelbewußtseinen. In der Wahrnehmung und Vorstellung, die wir von ihnen haben, werden sie auch zu Besonderheiten der Einzelbewußtseine und hören natürlich nach der Wahrnehmung und Vorstellung wieder auf dies zu sein. Auch hierfür gilt also das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen. Nach meiner Meinung steht die Auffassung des Allgemeinen als des im Besonderen Identischen nicht in Übereinstimmung mit den Tatsachen der Erfahrung: wir lernen das Allgemeine nur als das im Besonderen sich wiederholende Gleiche kennen. Noch weniger kann das Verhältnis der Wahrnehmung oder Vorstellung zu den Dingen nach dem des Allgemeinen zum Besonderen erklärt werden; es ist ein eigenartiges Verhältnis, für das jede Analogie im Bewußtseinsleben fehlt, das wir als Gegenstandsbewußtsein bezeichnen. Natürlich müssen wir auch das Alles seiende Bewußtsein ablehnen. Die Seele ist nach REHMKE sich selbst nur in ihren früheren und zukünftigen Bestimmtheiten Gegenstand, nicht als gegenwärtiges Bewußtsein (Seite 144). Ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der gegenwärtigen Bewußtseinsvorgänge und der vergangenen, wie es mit der Erinnerung immer und notwendig, der gegenwärtigen Bewußtseinsvorgänge untereinander, wie es mit der Reflexion häufig verbunden ist, überhaupt eine Reflexion und weiterhin ein wirkliches, nicht bloß in Wortvorstellungen bestehendes Ichbewußtsein, das nur aufgrund des Bewußtseins der Zusammengehörigkeit entsteht, wäre hiernach gar nicht möglich. Trotzdem sollen nach REHMKE auch die gegenwärtigen Bewußtseinsvorgänge bewußt sein (Seite 153), d. h. "Besitz eines bestimmten Bewußtseins oder wie man gewöhnlich sagt, Bewußtseinsinhalt" sein (Seite 60), sie sollen "gedacht" werden können (Seite 492). Was heißt das anderes, als daß sie Gegenstand der Seele sind? Ich gedenke an anderer Stelle ausführlich über die metaphysischen Untersuchungen REHMKEs zu sprechen und ihnen dort gerecht zu werden, was in einer Abhandlung über die psychologische Grundfrage nicht möglich ist.

Bei TWARDOWSKI können wir natürlich keine Erörterung über diese Grundfrage, weder über die Entstehung der Vorstellung des Ich, noch über die Entstehung der Vorstellungen von Dingen erwarten. Wer aber mit mir die Lösung dieser Frage im Gegenstandsbewußtsein findet, wird nicht umhin können, TWARDOWSKIs Untersuchungen auch in dieser Hinsicht große Bedeutung zuzuschreiben. Natürlich wird auch der Gegenstand, wenn wir ihn denken, zum Inhalt, er muß zum Inhalt werden, wenn wir ihn denken sollen. Insofern führt die Gegenüberstellung von Inhalt und Gegenstand und die Unterscheidung beider nicht weiter. Und doch gibt es Gegenstände unseres Denkens, die ihrem Begriff oder ihrer Natur nach gar nicht Inhalte sein können: das Nichts, das weder innerhalb, noch außerhalb des Bewußtseins existiert, und das Transzendente oder was nicht Bewußtsein ist, das in keiner Weise innerhalb des Bewußtseins - weder als Vorgang noch als Inhalt - existieren kann, sondern wenn überhaupt, dann notwendig außerhalb des Bewußtseins existieren muß. Ich behaupte darum im Gegensatz zu TWARDOWSKI (Seite 21-23 und 35), daß auch das Nichts ein Gegenstand ist und leugne ebenfalls im Gegensatz zu ihm (Seite 35-36), daß sich
    "die Bedeutung des Wortes Gegenstand der Vorstellungen, Urteile, Gefühle sowie Wollungen etwas vom Ding-ansich Verschiedenes"
sein muß. Um das Bewußtsein des Nichts und des Transzendenten zu erklären, müssen wir annehmen, daß in einem Bewußtseinsvorgang oder Bewußtseinsinhalt etwas vergegenwärtigt wird, das weder das eine noch das andere ist, und zwar unmittelbar vergegenwärtigt wird. Der vermittelnde Gedanke, Gegenstand oder Nicht-Bewußtsein, der dem Vorgang oder Inhalt im Bewußtsein gegenübergestellt wird, ist natürlich wiederum Inhalt des Bewußtseins und nützt zu diesem Zweck nichts. Auch bezüglich der Erinnerung und Reflexion gilt ganz das Gleiche: es nützt nichts, wenn wir neben diesen Vorgängen noch eine Gegenstand genannte Vorstellung annehmen, wenn nicht etwa diese Vorstellung über sich selbst hinaus auf das, woran wir uns erinnern oder worüber wir reflektieren, hinweist, also etwas vergegenwärtigt, was nicht selbst nicht ist. Das kann aber auch scon vom Erinnerungs- und Reflexionsvorgang selbst ohne diese Vorstellung angenommen werden. Bezüglich der Reflexion besteht nur der Unterschied, daß zugleich mit ihr das, worüber reflektiert wird, im Bewußtsein gegenwärtig ist, während das, woran wir uns erinnern, der Vergangenheit angehört, das Transzendente nur außerhalb des Bewußtseins, das Nichts weder innerhalb noch außerhalb des Bewußtseins sein kann. Im Bewußtsein heißt bei uns nur: Vorgang und Inhalt des Bewußtseins zu sein; außerhalb des Bewußtseins sein heißt: weder Vorgang noch Inhalt des Bewußtseins zu sein. Diese Ausdrücke haben also keinen räumlichen Sinn.
LITERATUR: Goswin K. Uphues, Die psychologische Grundfrage, Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 4, Berlin und Münster 1895