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RUDOLF WEINMANN
Die erkenntnistheoretische
Stellung des Psychologen

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"Die Psychologie des Erkennens ist nicht Erkenntnistheorie, denn sie setzt letztere voraus, bzw. steht wie alle reine Psychologie von vornherein auf einer bestimmten erkenntnistheoretischen Basis."

Viel Selbstverständliches wird zu sagen sein bei einer Erörterung des erkenntnistheoretischen Standpunktes, den wir notwendig einnehmen, sobald wir Psychologie treiben. Aber gerade das Selbstverständliche wird leicht übersehen. In unserem speziellen Fall begegnet man im Bereich der neuesten philosophischen Literatur noch dazu Ansichten, die ihm direkt zuwiderlaufen. (1)

Darum das Folgende, das - so allzu plausibel es manchem erscheinen mag - die Berechtigung ausdrücklicher Konstatierung darin finden möchte, daß es implizit Anerkanntes zu begründen und festzulegen sucht und zugleich verschiedenen, unser gesundes Denken mehr und mehr bedrohenden erkenntnistheoretischen Positionen entgegentritt.

Ein paar allgemeine Betrachtungen seien vorausgeschickt.

Mit stolzer Überlegenheit blickt der moderne Philosoph auf die "Ausschweifungen der Spekulation" eines HEGEL, SCHELLING zurück. Denn er ist "kritisch" durch und durch. Mindestens also Kantianer. Mindestens - denn mehr und mehr häufen sich die Stimmen, die auch im Kantianismus zu viel an Metaphysik, zu wenig an Kritik sehen und zwar gerade iun seiner gesündesten Seite, der Anerkennung einer in ihrer Existenz von uns, d. h. von unserem Denken unabhängigen, unserer Bewußtseinswelt zugrunde liegenden Objekten- oder Außenwelt. Die andere Seite der kantischen Lehre, die in ihrem subjektivistisch aufgelösten Begriff des "Dinges an sich" liegt, hat ja schon öfter und schon früher mit vollstem Recht Widerspruch erfahren. Das "Ding an sich", raum- zeit- und kausalitätslos gefaßt, ist ein Unbegriff. Nicht vorstellbar, nicht denkbar. Die Außenwelt zu einer derartigen  X  verflüchtigen, heißt, sie in nichts aufzulösen. Kausalität auf die "Welt der Erscheinungen" beschränken, fordert zugleich, von einer Wirkung des Dinges an sich auf unsere Psyche abzusehen. So bleibt ein  X,  das jedenfalls für uns ein Nichts ist. - Also überflüssig? Werfen wir es über Bord? Das tat der Idealismus. Der neuere Kantianismus wollte, von richtigen realistischen Instinkten geleitet, das Ding an sich retten. Er versuchte es mit einem großen Aufgebot an Scharfsinn und Dialektik. Überzeugen konnte er nicht. Denn eine unmögliche Sache ist und bleibt diese X-Philosophie.

Da kam der Positivismus in seinen verschiedenen Formen zuletzt als "Bewußtseinsmonismus", "immanente Philosophie" und Standpunkt der "reinen Erfahrung". (2)

Seine Vertreter (siehe Anmerkung 1) rühmen sich, die "natürliche Weltansicht" zu verfechten und nennen sich gerne "naive Realisten". Im Grunde sind sie - verkappte Idealisten. Von diesen unterscheiden sie sich lediglich durch einen noch gesteigerten Phänomenalismus.

Diese modernste Erkenntnistheorie verwirft das "Ding an sich". Sie nimmt aber ebenso dem vorstellenden, denkenden, kurz bewußten Ich seine wirkliche Existenz. (3) "Subjekt" und "Objekt" stehen ihrer Ansicht nach in unlösbarer Beziehung zueinander, keinem von beiden kommt selbständige Realität zu. Jegliche "Transzendenz" wird verworfen, alles in eine sozusagen in der Luft, im Nichts schwebende "Bewußtseinswelt" aufgelöst. Es bleibt nichts als ein Traum, der - im phänomenalistischen Gegensatz zum Idealismus - auch nur von einem geträumten Ich geträumt wird ...

Dem Ungedanken des "Dinges an sich" wäre man nun allerdings entgangen. Aber zugleich mit diesem  X  hat man auf alle Realität verzichtet. - Glaubt man damit jenseits von Idealismus und (kritischem) Realismus angelangt zu sein, erhaben über dieses traditionelle Entweder - Oder, so ist hieran sicherlich richtig, daß von Realismus bei dieser Position keine Rede sein kann. Freilich auch nicht von "naivem" Realismus und "natürlicher Weltansicht"! Dagegen ist es für jeden Unbefangenen unverkennbar, daß die  neutrale  Haltung gegenüber Idealismus und Realismus nur eine versuchte und scheinbare ist und alle hierhergehörigen Erkenntnistheoretiker, indem sie den Realismus verschmähen, alsbald im  Idealismus  wieder festsitzen. Denn heißt es nicht, das Objekt zugunsten des Subjekts fallen lassen, das  Subjektive  zum wahrhaft Realen erheben, wenn ich alles Sein zu "Bewußtsein" mache? - REHMKE, SCHUPPE, LECLAIR, LAAS -; wenn ich die "Empfindung" als Element alles Wirklichen erkläre? - MACH, SCHUBERT-SOLDERN.- Denn "Bewußtsein","Empfindung" bedeutet doch wohl nicht nur im allgemeinen Sprachgebraucch, nicht nur in der konkreten Wissenschaft - was allein schon genügte! -, sondern auch für den abstrakten Erkenntnistheoretiker zunächst wenigstens etwas Psychisches, Ideelles, dem Ich Angehöriges, kurz etwas Subjektives.

Mußte man wirklich, da die kantischen "Dinge an sich" nichts taugten, auch auf die "Dinge" verzichten?

Wunderlich ist es, daß diese wirklichkeitszerstörenden "Ausschweifungen der Erkenntnistheorie", die den oben genannten "Ausschweifungen der Spekulation" um nichts nachstehen, gerade zu einer Zeit sich breit machen, da die Naturwissenschaft, die Erforschung und technische Unterwerfung der Außenwelt ungeahnte, riesige Erfolge erzielt. Zu einer Zeit, da an physikalischen Entdeckungen Außergewöhnliches geleistet wird, da unsere Lebensanschauung, unser Kunstleben aufs intensivste der Wirklichkeit zugekehrt ist. Zu erklären ist das einmal als vorübergehende Reaktionserscheinung gegen die Sturmgewalt, mit der der naturwissenschaftliche Geist alles eroberte und in seinen einseitig materialistischen Bannkreis zog. Dann aus der ganzen philosophiegeschichtlichen Entwicklung des Erkenntnisproblems heraus. Davon gleich ein Weiteres.

Wir fragen: soll es für die ganze reiche großartige Wirklichkeit in der Tat keine andere philosophische Formel geben, als  X  oder 0? das  X  war nicht zu retten. Gut. Deshalb aber es einfach streichen? Nie und nimmer. Unmöglich.

Unser gesundes Denken, unser Handeln, alle unsere Wissenschaften erheischen und setzen voraus die Realität, die wirkliche Existenz der Außenwelt ebenso wie der empfindenden, denkenden, wollenden, fühlenden Iche. Und wenn die Außenwelt den krampfhaftesten Versuchen, sie als undefinierbares "Ding an sich" zu fassen, widersteht, so habe man doch den Mut, sie als positive Größe zu nehmen, als  die  positive Größe, die bei aller möglichen Abstraktion unweigerlich übrig bleibt: als räumlich-zeitlich-kausale Welt. Nehmen wir sie als solche, so tun wir nichts anderes, als  alle  (konkrete) Wissenschaft, der Natur und des Geistes, immer schon getan hat. Wir befinden uns also damit in ganz guter Gesellschaft und scheuen uns nicht, dieser Anschauung auch die erkenntnistheoretische Sanktion zu erteilen. Wofür wir freilich auf die souveräne Verachtung der modernen Herren Erkenntnistheoretiker gefaßt sind.

Ohne Frage ist diese im wahren Sinne des Wortes realistische, vom kantischen Subjektivismus gereinigte erkenntnistheoretische Position (4) die denkbar einfachste und zwangloseste und wenn ihre Möglichkeit vom modernen Phänomenalisten kaum geahnt wird, so beweist das nur, daß man in der Philosophie leider noch immer dem Gesunden, Einfachen, weil am Ende zu Banalen, ängstlich aus dem Wege geht. Wenn sie aber die einfachste und naheliegendste Position ist (was man schwerlich leugnen könnte), so hat jede andere Position die Beweislast und da der positivistische Phänomenalismus seine Ansichten vor allem der unhaltbaren "Ding-an-sich"-Philosophie entgegengestellt hat (5), so müßte er sich mit der von ihm nicht vorhergesehenen (6) "Ding"-Philosophie abfinden. Vornehme Verachtung wäre noch kein Gegenbeweis.

Seitdem der philosophierende Menschengeist einmal zu der gewiß unbezweifelbaren Einsicht gelangt ist, daß alles, was wir empfinden und vorstellen,  zunächst  ein Bewußtes, Subjektives, eine Äußerung und Betätigung unserer Psyche ist, (7) seitdem ist er auch von Schritt zu Schritt mehr dem Gedanken verfallen, dies  zunächst  Subjektive und Bewußte  nur  als solches fassen zu müssen. Die Sophisten, AUGUSTIN, DESCARTES, BERKELEY, KANT, FICHTE, der moderne Phänomenalismus endlich: eine aufsteigende Linie von der Erkenntnis jener Wahrheit zur Konsequenz, die da lautet: Es gibt objektiv nur ein unerkennbares, bestimmungsloses und bestimmungsunmögliches  X  - Kantianismus. Oder: es existiert überhaupt nur die uns unmittelbar gegebene Bewußtseinswelt - Idealismus, Phänomenalismus.

Mit der dritten großen Möglichkeit aber - wieder und endgültig - Ernst zu machen, ist es vielleicht nunmehr an der Zeit: gewiß ist uns zunächst nur unsere Bewußtseinswelt gegeben; aber sie kann nie und nimmer anders begriffen werden denn als (mehr oder minder adäquate) Spiegelung (8) einer objektiven, von uns unabhängig existierenden (und insofern als transzendent zu bezeichnenden) Außenwelt. Diese also existiert einmal objektiv, realiter; dann aber subjektiv, ideell so oft, als sie sich in bewußtseinsbegabten Wesen spiegelt und in ihnen ein  Weltbild  schafft.

Unsere spezielle Aufgabe nun soll es sein, die erkenntnistheoretische Formel aufzuzeigen, unter der jedwede psychologische Fragestellung steht; (9) unser Ziel, nachzuweisen, daß diese Formel keine andere ist und sein kann, als die des eben angedeuteten wahrhaften Realismus. Gelingt dies, so leuchtet ein, daß zugleich damit ein umfassender, schwerwiegender Beweis dafür geschaffen ist, daß der erkenntnistheoretische Realismus der einzig mögliche und allenthalben geforderte Standpunkt überhaupt ist. Denn wenn alle Wissenschaft ihr gar nicht entbehren kann, - und das vorwissenschaftliche und einfache gesunde Denken erst recht nicht -, wenn keinerlei logische oder immanente Schwierigkeit ihm rein philosophisch anhaftet, (10) dann wahrlich haben wir keinen Grund mehr, von paradoxen erkenntnistheoretischen Gedankenspielen - oft, wie gesagt, wahren Ausschweifungen der menschlichen Vernunft - fürder uns beunruhigen zu lassen. Wir mögen sie durchdenken, wie sie denn einmal von der Philosophie als Stufen möglicher Spekulation durchlaufen worden sind. Aber dann endlich, nach all den Umwegen und fruchtlosen Anstrengungen, zur Natur zurück, zu einer ebenso einfachen wie gesunden wie widerspruchslosen Betrachtungsweise von Denken und Sein.

Nur als Zeichen, Bilder für ein unabhängig von uns Existierendes können wir das verstehen, was wir in der eigentümlichen Form des Psychischen (speziell der Empfindun und Vorstellung) erleben. Der psychologische Zwang, der uns treibt, das Bewußte, Erlebte, Erfahrene als ein Objektives aufzufassen, (11) ist kein bloßer Scherz, den sich unsere Psyche leistet, sondern der instinktive Hinweis auf  die  Anschauung, zu der uns auch die rein philosophisch-logische Betrachtung des Erlebten folgerichtig hinführt. Nicht aus Gesetzen unseres Bewußtseins, sondern nur aus den Gesetzen einer unabhängig von uns existierenden Wirklichkeit ist das Geschehen um uns herum begreiflich und verständlich. Und leicht unterscheiden wir hiervon diejenigen Gesetze, denen unser seelisches Leben folgt, wenn es von äußeren Impulsen hinweg seine eigenen Wege geht. Je ein Beispiel dafür: Ein neuer Fixstern wird entdeckt; - ich erinnere mich, angeregt durch den Geruch einer Orange, an eine einstige Reise nach Italien, an bestimmte landschaftliche Situationen, als Erlebnisse mit Menschen, denen ich damals begegnet bin usw. - Letzteres erklärt sich aus psychologischem Gesetz, aus dem Spiel der Assoziationen. Aber ersteres? Wieso entdecke ich einen unbekannten Stern? Wie komme ich zu dieser Vervollkommnung meiner Erkenntnis? Ist dieses freilich zunächst Psychische, aus Empfindungen, Vorstellungen, Urteilen zusammengesetzte Gebilde, genannt neuentdeckter Fixstern, in seinem Dasein auch psychologisch zu erklären? Nimmermehr. So gewiß es zunächst ein Psychisches, Bewußtes ist, so ist es doch nur als Zeichen, Abbild für ein objektiv Wirkliches zu verstehen. Ein "Ding" steckt dahinter, dessen Dasein, Herkunft, Bedeutung nur aus seinem Zusammenhang mit anderen "Dingen" begriffen werden kann. Physikalische, nicht psychologische Gesetze kommen hier in Betracht.

Der psychologische Positivist würde nun einfach sagen, daß physikalische Gesetze nur gewisse, besonders geartete Gesetze des Bewußtseins seien, die man von den im engeren Sinne psychologischen Gesetzen unterscheiden müsse. Damit stehen wir mit einem Schlag vor dem Kardinalpunkt des Verhältnisses des Nichtrealismus zur Psychologie.

Der Nichtrealismus (Positivismus, Idealismus, Phänomenalismus, Bewußtseinsmonismus, immanente Philosophie), der kurz gesagt in der Behauptung gipfelt, daß alles Sein Bewußtsein ist, er operiert mit einem Doppelsinn des Begriffs "Bewußtsein". Dies muß notwendigerweise am eklatantesten da hervortreten und sich in seiner ganzen verwirrenden Unmöglichkeit offenbaren, wo der Versuch gemacht wird, von solchem  psychologistischen  Standpunkt aus -  Psychologie  zu treiben.

Solange man in den Sphären der erkenntnistheoretischen Abstraktion schwebt, losgelöst vom Staub konkreter Wissenschaft, da ist - so ziemlich alles möglich. In dem Sinne wenigstens, daß es gelingt, für Augenblicke den Schein der Widerspruchslosigkeit und Vernünftigkeit zu wahren. Ebenso vermag man gegenüber dem gesunden Menschenverstand, dem vorwissenschaftlichen Denken, also den allerkonkretesten Fällen denkender Betätigung, gewisse erkenntnistheoretische Absurditäten zu retten: man hat ja hier das bequeme Mittel, auf den gesunden Menschenverstand gönnerhaft als etwas Naives, das der Erkenntnistheorie gewissermaßen selbstverständlich entgegenstehen  muß,  herabzublicken. Schwieriger wird es schon angesichts der Naturwissenschaft. Aber dank einer gewissen Überlegenheit wird man auch mit ihr fertig. Die Naturwissenschaft, so erklärt man, ist in der eigentümlichen Lage, gewisse naiv-metaphysische Voraussetzungen machen zu müssen, aus Zweckmäßigkeitsgründen. Das sei als provisorischer Standpunkt hinzunehmen, der sich für den Erkenntnistheoretiker aber ohne weiteres und höchst einfach in den alleinseligmachenden: "Sein = Bewußtsein" verwandeln lasse; die ganze Seinswelt des Naturwissenschaftlers sei eben im Grunde die Bewußtseinswelt. Basta. Recht fatal nun wird die Situation angesichts der Psychologie. Da gerät nun die Ichphilosophie arg in die Enge. Leicht begreiflicherweise. Gegenstand der Psychologie sind, allgemein gesprochen, die Zusammenhänge des Bewußtseinslebens. Da nun die phänomenalistische Ansicht außer Bewußtsein bzw. Bewußtseinsinhalten nichts Wirkliches gelten läßt, alles Sein in Bewußtsein auflöst, so sieht sie sich gezwungen, zwischen Bewußtsein und - Bewußtsein zu unterscheiden.

Hierher gehört vor allem der Versuch SCHUPPEs, (12) zu diesem Behuf zwei "Bewußtseins"-Begriffe herauszuklügeln; wovon einer dem entsprechen soll, was gewöhnliche Menschen unter Bewußtsein verstehen und als Gegenstand der Psychologie betrachten. - So sehr nun derartige Versuche, das Unmögliche möglich zu machen, scheitern und scheitern müssen, so sind sie doch anerkennenswerter, als die Beruhigung bei der bequemen Ausflucht, auch die Psychologie als Einzelwissenschaft mag sich's bei ihrem "naiven" erkenntnistheoretischen Standpunkt genügen lassen.

Aus diesem Versuch spricht immerhin das Geständnis: wenn der phänomenalistische Standpunkt möglich sein soll, so muß er wenigstens so weit herab ins Konkrete zu rechtfertigen sein, daß er mit dem Sinn aller Psychologie in Einklang zu bringen ist. In der Tat. Eine Erkenntnistheorie, die nur im Reich abstraktester Abstraktion Halt und Stütze findet, ist eine wertlose Spielerei. Eine Erkenntnistheorie zumal, die wie der Phänomenalismus ganz und gar auf dem Begriff des "Bewußtseins" basiert, muß sich zumindes mit  der  Wissenschaft ins Reine bringen können, die es speziell mit dem Bewußtseinsleben zu tun hat.

SCHUPPE also unterscheidet zwischen individuellem Bewußtsein und "Bewußtsein überhaupt". Letzteres ist das allen individuellen Bewußtseinen gemeinsame gattungsmäßige Moment; es ist als solches ein und dasselbe in jedem Einzelbewußtsein und verhält sich zu allen diesen wie das Generische zum Spezifischen. (13) In jedem Einzelbewußtsein findet sich demgemäß solches, das zum "Bewußtsein überhaupt" gehört und anderes, das, wenn nicht sein Dasein, so doch seine besondere Art und Färbung aus der Individualität hat und zu ihr gehört. (14) Psychologie nun ist "nicht die Wissenschaft vom  ganzen  individuellen Bewußtsein mit seinem Inhalt, sondern von demjenigen, was darin eben zur Individualität gehört und diese ausmacht." (15) Was dagegen zum "Bewußtsein überhaupt" gehört, bildet die bei allen Individuen gemeinsame objektive Welt und Wirklichkeit und dementsprechen den Gegenstand der übrigen Wissenschaften.

Es ist hier nicht der Ort, die Unmöglichkeiten und Gezwungenheiten dieser Zurechtlegung (16) und ihrer Konsequenzen einzeln ans Licht zu ziehen. (17) Nur auf ein paar Punkte sei hingewiesen.

Die angeführte Scheidung wird von SCHUPPE zunächst ausdrücklich als eine rein  logische  hingestellt. "Bewußtsein überhaupt" soll nichts weiter sein, als der "Gattungsbegriff", zu welchem jedes individuelle Bewußtsein als unter denselben fallendes "Einzelding" gehört. (18) Aber im Handumdrehen gewinnt diese  Abstraktion  "Bewußtsein überhaupt" eine eminent ontologische, metaphysische Bedeutung, (19) wenn an sie die Existenz der für alle Individuen gültigen und von ihnen unabhängigen  Welt  "geknüpft" wird. Die Rolle, die damit dem "gattungsmäßigen Moment" des individuellen Ich zugeschrieben wird, seine Beziehung zu allen konkreten Bewußtseinen, die Behauptung einer an einen bloßen  Begriff  (der also seiner Natur nach gar nicht wirklich existiert) geknüpften und sich doch nur in den Einzelbewußtseinen offenbarenden Welt ist etwas geradezu Mysteriöses. Dadurch wird die metaphysischste Metaphysik in den Schatten gestellt. Das "reine Ich", eingestandenermaßen eine leere Abstraktion, gewonnen aus dem allein wirklichen individuellen Ich, (20) wird zum Produzenten der Gesamtwirklichkeit, zum Gefäß, in dem diese eingeschlossen ist. SCHUPPE drückt sich freilich nicht so aus; er spricht vom "Geknüpftsein" der objektiven Wirklichkeit an das Gattungsmäßige im Bewußtsein. Aber das ist nur der vorsichtige und euphemistische Ausdruck hierfür und beweist - nicht, daß SCHUPPE kein Idealist ist, sondern lediglich -, daß er keiner sein will. Die Behauptung, die objektive Wirklichkeit sei an das "reine Ich" geknüpft, kann nichts anderes bedeuten - sofern man überhaupt mit Worten eine verständliche, greifbare Bedeutung verbinden will und nicht etwa sich's am Wort schon genug sein läßt! - als einen verschleierten Idealismus. Oder man setzt die Existenz, die selbständige Realität der objektiven Wirklichkeit dabei schon voraus, bringt sie nur in Beziehung zu dem sie erfassenden Bewußtsein - und ist eben damit uneingestandener Realist.

Ferner:  Warum  ist dieses an das "Bewußtsein überhaupt" "geknüpft", anderes nur dem individuellen Ich zugehörig? Wie ist das Dasein der und der an das Bewußtsein überhaupt geknüpften Objekte in einem bestimmten konkreten Bewußtsein, ihr Kommen und Gehen daselbst, ihre Verknüpfung untereinander und mit anderen verständlich zu machen?

Die von SCHUPPE beliebte Scheidung gibt auf all das keine Antwort. Sie ist, selbst wennan sich richtig und Tatsächliches konstatierende, jedenfalls erkenntnistheoretisch ganz und gar unfruchtbar. Sie gibt umgekehrt nur selbst Fragen auf, eben die genannten und deren Lösung ist einzig und allein auf der Basis der realistischen Denkweise zu gewinnen. Oder vielmehr: der Realismus ist der von gesundem und konkret-wissenschaftlichem Denken im vorhinein und instinktiv eingeschlagene Ausweg aus allen Fragen und Schwierigkeiten, die der Reflexion aus der erkenntniskritischen Betrachtung und logischen Zergliederung unserer Erlebenisse (21) sich aufdrängen können.

SCHUPPE und ähnliche Denker ignorieren diesen längst gegebenen, klar vorgezeichneten, unserem Denken sich aufzwingenden Ausweg. Aber haben sie eine andere Erklärung für jene Fragen? Oder gar eine bessere und einfachere - was man erwarten und verlangen könnte, da sie die vorhandene vornehm verschmähen? - Bewahre. Sie haben keine und - sie wollen gar keine. Sie machen das, worauf der Mensch, solange er denkt, schon eine Antwort hatte, (sofern es überhaupt zur Frage kam und mithin eine Antwort nötig war,) zum Rätsel aller Rätsel, für das es keine Lösung geben soll. Daß in einem individuellen Bewußtsein dieses und jenes vorgeht, das eine verschwindet während das andere auftaucht, usw. usw., das sollen wir als letzte Tatsache hinnehmen, nach deren Warum zu fragen keinen Sinn hat. Die ebenso abstruse wie unvermeidbare Konsequenz des Idealismus (mit dem alle Ich- oder Bewußtseinsphilosophie im Grunde identisch ist), daß das Ich das Nichtich produziere, wird totgeschwiegen; denn zu einer solchen "Erklärung" möchte man sich doch nicht offen bekennen. Und dem Realismus und seinem Erklärungswert steht nun einmal das Vorurteil der modernen Erkenntnistheorie entgegen.

Die Welt ist voll von Rätseln; - Philosophen vom Schlage SCHUPPEs vermehren sich um das größte, indem sie Welt und Wirklichkeit zur mysteriösen Bewußtseins-Fata-Morgana machen.

Aber um diese und alle sonstigen allgemeineren Bedenken bei Seite zu lassen - was nicht leicht fällt! - : kann die  Wissenschaft der Psychologie  mit dem von SCHUPPE zurechtgezimmerten Begriffsapparat in Einklang gebracht werden? Kann sie auf seiner Basis auch nur einen Schritt vorwärts tun, eine reale Frage behandeln oder auch nur stellen? Kann in SCHUPPEs Sprache ein konkretes psychologisches Problem überhaupt ausgedrückt werden?

Ein Blick, ein flüchtiges Erinnern an Psychologie und psychologische Fragen gibt schon genügenden Bescheid.  Welches  die erkenntnistheoretische Basis ist, auf der der Psychologe operiert und operieren muß, welche erkenntnistheoretische Sprache er dabei spricht, davon soll alsbald des Näheren die Rede sein und es wird kein Zweifel darüber bleiben können, daß dieselb himmelweit verschieden ist von der SCHUPPEs.

Unhaltbar ist schon die  Gebietsteilung  in den SCHUPPEschen Definition der Psychologie, ihrerseits selbst wieder verursacht durch die erkenntnistheoretische Stellung des Verfassers. Da nach dieser außer, hinter, neben dem Bewußtsein nichts existiert, so mußte, wie wir sahen, dessen Inhalt in zwei Teile zertrennt werden, wovon einer den Gegenstand für die Psychologie, der andere den für die übrigen (objektiven) Wissenschaften abgeben soll.

Fürs erste ist nun die Grenzabsteckung zwischen beiden Gebieten eine sehr vage; (22) im großen und Ganzen liegt die Sache dabei so, daß SCHUPPE nicht aus seiner Definition heraus die Gebiete begrifflich trennt, sondern von seiner allgemein-wissenschaftlichen Erfahrung aus eben weiß, was zur Psychologie gehört, was nicht und darauf hin so gut es gehen will die Dinge zurechtlegen und in seinen beiden Fächern, Bewußtsein überhaupt und individuelles Bewußtsein, unterzubringen sucht. Dabei gibt es manche Verlegenheit.

Dies ist begreiflich. Denn - zweitens - auch und gerade das Gattungsmäßige im Bewußtsein gehört zur Psychologie, während umgekehrt das Individuelle  als solches  für die Wissenschaft der Psychologie nicht in Betracht kommt. Das Individuelle im geistigen Leben ist gewiß ein Gegenstand von größtem Interesse. Es spielt in Kunst und Leben eine ungeheure Rolle und ihm gebührt als Individualpsychologie (Menschenkunde, Seelenkunst) auch eine Stelle im Reich der Geisteswissenschaft. Aber eine besondere Stelle. Die Psychologie im engeren Sinne zielt  wie jede Wissenschaft  auf das Allgemeine, Gattungsmäßige ab. Damit allein hat sie es zu tun und das Konkrete, Individuelle berücksichtigt sie nur und muß es berücksichtigen, insofern sich in ihm das Allgemeine kundgiebt. Ganz wie es die Physik z. B. auch macht. Das Individuelle und nur das Individuelle liefert das Erfahrungsmaterial. Aufgabe der Wissenschaft aber ist es, über die individuellen Verschiedenheiten hinweg zum Generischen zu gelangen. Darum neben der Beobachtung das Experiment und die Wiederholung von Beobachtung und Experiment, bis individuelle Zufälligkeiten als ausgeschlossen gelten können.

Das weiß natürlich SCHUPPE so gut als wir und durch Klauseln und Modifikationen sucht er diesem Sachverhalt gerecht zu werden und den Verlegenheiten, Schwierigkeit, Widersprüchen zu entgehen, in die ihn seine Definition notwendigerweise verstrickt. Dabei geschieht es denn, daß die Begriffe Bewußtsein überhaupt und individuelles Bewußtsein mehr und mehr an Bestimmtheit verlieren und ihre ursprüngliche Bedeutung gemach in nichts zerbröckelt. (23)

SCHUPPEs Definition der Psychologie, ihre Abgrenzung gegen andere Wissenschaften ist falsch. Nicht  gegenständlich,  sondern der Betrachtungsweise, dem inneren Zusammenhang nach unterscheidet sich das Gebiet der Psychologie von dem der anderen Wissenschaften. Auch hiervon gleich ein Positives.

Vorher muß noch der besonderen Stellung des  Standpunktes der "reinen Erfahrung"  (Empiriokritizismus) in dieser Angelegenheit gedacht werden. (24) Sein monistisch-phänomenalistischer Grundcharakter verbindet ihn zwar aufs innigste mit der übrigen modernen Erkenntnistheorie. Doch fehlt bei ihm der Subjektivismus, das psychologisierende Verfahren der SCHUPPE, SCHUBERT-SOLDERN, REHMKE usw. und so kommt es, daß er sich gerade in der  Auffassung der Psychologie  auffallend und wesentlich vom übrigen Positivismus scheidet. (25)

AVENARIUS Standpunkt ist phänomenalistisch. Denn er verwirft jegliche Transzendenz, d. h. jedes selbständige Sein im Sinne des Realismus. "Subjekt" und "Objekt" haben zwar andere Namen bekommen, sie heißen "Zentralglied" und "Gegenglied" ("Umgebung"), aber sie spielen die gleiche Rolle, wie bei allen Phänomenalisten: keine Umgebung ohne Zentralglied, kein Zentralglied ohne Umgebung. (26) AVENARIUS ist ferner Monist. Er läßt keinerlei "Verdoppelung" oder "Wiederholugn", keine Trennung des Erfahrungsinhaltes in "Sachding" und "Gedankending", Physisches und Psychisches, Reelles und Ideelles zu. (27)

Während aber die übrigen Monisten, hierin mit ihm einig, alsbald unzweideutigst das Psychische, Ideelle,  Subjektive  als das allein Wirkliche proklamieren, aus der Welt eine Bewußtseinswelt machen, das ' "Sachding" als dualistisch  streichen,  schillert AVENARIUS Standpunkt, - im Bestreben jenseits von "Physisch" und "Psychisch" eine  neutral-monistische Haltung einzunehmen -, zwischen solchem Subjektivismus und einer Art  objektivistischem  Monismus hin und her. (28) So daß bei ihm umgekehrt auch wieder das "Gedankending" als überflüssige Wiederholun des "Sachdinges" erscheint.

Am deutlichsten nun zeigt sich solcher (dem Materialismus verwandter) Objektivismus in der Stellungnahme AVENARIUS zur Psychologie. Und die natürliche Folge ist seine  materialistische  Definition derselben.

Das monistische Vorurteil wendet sich gegen die herrschende Ansicht, Gegenstand der Psychologie sei das "Psychische", das "Bewußtsein", das "Innere"; denn das alles setze einen Gegensatz zum "Körperlichen" voraus, sei also  dualistische.  (29) Der "natürliche Weltbegriff" aber schließe jeglichen Dualismus aus.

Der natürliche Weltbegriff nun enthält nach AVENARIUS zwei Bestandteile: ein tatsächlich Vorgefundenes - den empiriokritischen Befund - und eine Hypothese. Der "empiriokritische Befund" scheidet sich in "zwei Hauptteile, deren einer alles umfaßt, was zu "mir", d. h. zu dem als "Ich"-Bezeichneten gehört; der zweite alles, was zu dem gehört, was man philosophisch gern als das "Nicht-Ich" bezeichnet, was man aber einfacher und positiv als die "Umgebung" bezeichnen kann." (30) Die dazukommende "Hypothese" besagt, daß den mitmenschlichen Bewegungen in Analogie zu meinen eigenen eine "mehr-als-mechanische" ("amechanische") Bedeutung zuzuerkennen ist. (31)

Und worin besteht diese mehr-als-mechanische Bedeutung meiner und meiner Mitmenschen Bewegungen? Darin, so hören wir, daß sie ein "Gefühltes" sind, daß sie in engster Beziehung zu "Lust-Unlust", zu "Bedürfnissen", zu "Gedanken", zu "gesehenen" Umgebungsbestandteilen stehen. (32)

Es liegt nun gewiß recht nahe, zu vermuten und zu behaupten, mit diesen vornehm in Gänsefüßchen gehüllten Worten sei nichts anderes bezeichnet, als eben das "Psychische", die Phänomene des "Bewußtseins", die man allgemein - freilich ohne Gänsefüßchen - als Gegenstände der Psychologie anführt. Dies liegt so nahe, daß AVENARIUS sich zu einem umfangreichen Nachweis des Gegenteils gezwungen sieht. (33) Und er weist nach, daß die den menschlichen Bewegungen zugeschriebene mehr-als-mechanische Bedeutung nicht identisch sei mit dem Sinn einer von der herrschenden Psychologie bezeichneten Philosophie vorgenommenen "Introjektion", d. h. der Hineinverlegung z. B. des "Baumes vor mir" als eines "Komplexes von Gesichtsempfindungen"  in  den Menschen (bzw. in das Gehirn desselben). Diese "Introjektion" besage etwas "prinzipiell Anderes" als die Hypothese des natürlichen Weltbegriffs. (34)

Wenn AVENARIUS die "Introjektion" bekämpft, so hat er gewiß Recht; - die herrschende Psychologie aber wird davon nicht getroffen. Denn diese behauptet lediglich, daß die Empfindungen, Gedanken, Gefühle  an  das Gehirn und seine Funktionen  gebunden, geknüpft  sind. Und das behauptet doch AVENARIUS auch. Und die herrschende Philosophie und Erkenntnistheorie auch. Es ist eben schlechthin Tatsache.

Auf den mißlichen Ausdruck, das Psychische sitze "im Gehirn", wird sich kaum ein Erkenntnistheoretiker kaprizieren. Daß gar alle wahrgenommenen Umgebungsbestandteile  nichts seien  als "Vorstellungen in uns", daß z. B. der "Baum vor mir" ei(35) - was ebenfalls in der "Introjektion" enthalten sein soll -, wird die dualistisch-realistische Erkenntnistheorie, gegen die sich AVENARIUS vor allem wendet, am wenigsten behaupten. Denn gerade sie ist es, die dem Subjektiven ein Objektives entsprechen läßt.

Worin liegt also in Wirklichkeit das trennende Moment für AVENARIUS und die herrschende Psychologie?

Nicht in der "Introjektion", die im Grunde AVENARIUS sich selbst konstruiert hat, um sie zu bekämpfen; sondern im  Dualismus,  dem AVENARIUS seinen Monismus entgegensetzen zu müssen glaubt. Und die ganzen Ausführungen AVENARIUS' laufen darauf hinaus, das Psychische, in dem er sehr richtig eine ideelle Wiederholung des Realen erkennt, sozusagen wegzueskamotieren [weginterpretieren / wegzaubern - wp]. Darum die Leugnung des "Psychischen" als Gegenstand der Psychologie, darum das unbestimmtere Wort "mehr-als-mechanisch" oder "amechanisch", darum die Anführungszeichen bei Worten wie "Gefühl", "Gedanke", "Gesehenes" etc., darum endlich das Operieren mit den Ausdrücken "Charaktere" und "Elemente" an Stelle von "Gefühle" und "Dinge + Gedanken". (36) Auf solche Weise soll sich das Psychische, Subjektive, Ideelle mehr und mehr in nichts verflüchtigen und übrig bleibt - das "System  Z",  das Zentralnervensystem, von dessen Änderungen alle Erfahrun abhängig ist. Die Psychologie wird - im Prinzip - zur  Gehirnphysiologie;  (37) mindestens zur Psychophysiologie. Dagegen nun wäre vor allem alles das anzuführen, was man den materialistischen Bestrebungen mancher Psychologen -  sogenannter  Psychologen - oft genug schon entgegengehalten hat. Hierüber ist in diesem Zusammenhang kein Wort zu verlieren. - Aber abgesehen davon: ist die lebendige, konkrete Psychologie, so fragen wir bei AVENARIUS wie schon bei SCHUPPE, mit solchem Monismus nur irgendwie in Einklang zu bringen?! - Wir werden sehen, daß AVENARIUS selbst den Weg zu ihr nur durch versteckte Konzessionen an  die  Anschauung gewinnt (38), die wir nunmehr allen monistischen Konstruktionen - als positive Kritik - entgegenstellen wollen. Sie besagt:

Die uns unmittelbar gegebene Bewußtseinswelt ist das Spiegelbild, die ideelle Reproduktion einer (von uns unabhängig) seienden Dingwelt. Beiden kommt Wirklichkeit, Existenz zu; der Welt der Dinge und der Welt des Geistes. (39) Letztere ist nur begreiflich unter Voraussetzung der ersteren, die sie ideell wiedergibt. Träger, Besitzer solcher Weltbilder sind in verschieden vollkommenem Grad alle lebenden Wesen. Dieselben zeichnen sich somit vor anderen Bestandteilen der Dingwelt auch und vor allem dadurch aus, daß ihnen zu ihrer höheren physischen Organisation auch noch das eigentümliche, nicht weiter definierbare Vermögen des "Bewußtseins" gegeben ist; d. h. (um doch eine Definition anzudeuten) das Vermögen, Zustände und Veränderungen des eigenen Körpers sowohl wie der Umgebung, also die philosophisch sogenannte Außenwelt, zu erfassen, zu empfinden, vorzustellen. So stellen die psychophysischen Wesen Körpersysteme dar, die in denkbar zweckmäßigster Weise ihrer Umgebung angepaßt sind. Je höher die psychophysische Organisation, umso vollkommener gestaltet sich die Erfassung der Außenwelt, umso komplizierter, überlegter, berechnender, selbständiger werden die entsprechenden zweckmäßigen Reaktionen. Das  menschliche  Bewußtsein ist entwicklungsgeschichtlich betrachtet die einstweilen höchste und letzte Stufe biologischer Organisation. "Es bildet den Knotenpunkt im Naturlauf, in welchem die Welt sich auf sich selber besinn." (40)
LITERATUR - Rudolf Weinmann, Die erkenntnistheoretische Stellung des Psychologen (Zugleich ein Beitrag zur Begründung der realistischen Denkweise als einzig möglicher) in Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 17
    Anmerkungen

    1) Ausgangspunkte - im negativen Sinn - für meine Auseinandersetzungen sind die erkenntnistheoretischen Anschauungen, wie sie in erster Linie von SCHUPPE, SCHUBERT-SOLDERN, KAUFMANN, MACH, REHMKE, LECLAIR, LAAS, CORNELIUS, AVENARIUS vertreten werden und namentlich in der "Zeitschrift für immanente Philosophie" und in der "Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie" ihre Heimstätte gefunden haben.
    2) Dieser letztere von AVENARIUS vertretene Standpunkt weicht trotz gleicher Grundlinien einigermaßen von den anderen genannten und zu besprechenden Erkenntnistheorien ab. Darauf wir zurückzukommen sein. Namentlich ist das äußere Gewand, der Ausdruck, bei AVENARIUS objektivistischer gefärbt, als bei den übrigen Positivisten. Wenn ich das einstweilen nicht berücksichtige und den Standpunkt der "reinen Erfahrung" iun die Besprechung der übrigen verwandten Anschauungen mit einschließe, so geschieht das im Interesse der Einfachheit der Darstellung, vor allem aber in Anbetracht der - in der Tat und eingestandenermaßen -  gemeinsamen  Grundanschauung der positivistischen Denker.' - Ich bitte, die folgenden Ausführunen, was AVENARIUS betrifft, in diesem Sinne hinzunehmen und das später über AVENARIUS gesagte als Korrektur des zunächst Folgenden anzusehen. - Indem ich dies ausdrücklich bemerke, hoffe ich Mißverständnissen vorgebeugt zu haben.
           Entgegengetreten ist dieser ganzen Richtung erst kürzlich WUNDT, "Philosophische Studien", Bd. 12 und 13, "Über naiven und kritischen Realismus".
          Im vorhinein möchte ich auch auf eine eigene kleine Abhandlung "Wirklichkeitsstandpunkt", 1896, verweisen.
    3) Siehe z. B. KAUFFMANN, Zeitschrift für immanente Philosophie, Bd. 1, Seite 392f
    4) Vgl. meinen "Wirklichkeitsstandpunkt", 1896, wo ich dieselbe dargelegt habe.
    5) Diese Tatsache ist nicht zu übersehen! Der Kampf gegen den Realismus ist allenthalben ein Kampf gegen die kantische "An-sich"-Transzendenz. Er verliert seine Spitze, sobald man den Realismus von diesem Begriff, der ihm durchaus nicht wesentlich ist, im Gegenteil aus dem Kantianismus heraus zum Idealismus geführt hat, reinigt; wie wir dies versucht haben. - Man betrachte z. B. unter diesem Gesichtspunkt den Phänomenalismus REHMKEs, dessen ganzes Buch "Die Welt als Wahrnehmung und Begriff" sich ausschließlich gegen den  Realismus  im Sinne der kantischen Transzendenz' richtet. (Siehe besonders Seite 1f, Seite 75f) Ebenso verfährt der Empiriokritizismus AVENARIUS'. Die Möglichkeit eines Realismus ohne "Ding-an-sich" wird gar nicht in Betracht gezogen. Vgl. z. B. RUDOLF WILLY, "Der Empiriokritizismus als einzig wissenschaftlicher Standpunkt", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 20, Seite 195f, 215.
    6) Da er sie, wie es scheint, ihrerseits durch den Kantianismus für erledigt hält.
    7) Für die  erkenntnistheoretische  Reflexion! Psychologisch' betrachtet ist das - weder subjektiv noch objektiv gedeutete, sozusagen neutrale - Erlebnis, das "Dasein" von Objekten, das Ursprüngliche. Vgl. LIPPS, Logik, Seite 2f und 16. Siehe auch WUNDT, a. a. O., Philosophische Studien Bd. 12, Seite 394f.
    8) Nebenbei sei bemerkt, daß der Ausdruck "Spiegelung" natürlich nur gleichnisweise gilt. Wir müssen uns notwendigerweise mit einem Bild begnügen, da das Verhältnis des Ideell-Geistigen zu seinem realen Äquivalent ein ganz eigenartiges ist. Das Bild des "Spiegelns" nun ist aus dem Gebiet des Objektiven entnommen und bezeichnet eine gewisse Weise des Verhaltens realer Objekte zueinander. Immerhin dürfte es den Vorgang des "Erkennens" am besten charakterisieren. Daher es auch immer schon in diesem Sinne gebraucht wurde. Vgl. u. a. WUNDT, Physiologische Psychologie, 4. Auflage, 2. Bd., Seite 648
    9) Daß der Standpunkt des Psychologen überhaupt eine erkenntnistheoretische Stellungnahme involviert (was man vielleicht bezweifeln könnte), wird sich im Folgenden implizit erweisen. Nur so viel sei vorausgreifend bemerkt: Daraus, daß ich nicht fortwährend auf die jeweilige erkenntnistheoretische Position gelegentlich einer psychologischen Untersuchung reflektiere, ja dies in dem und dem Fall gar nicht nötig habe, folgt nichts weniger, als daß ich nun auch tatsächlich keine erkenntnistheoretische Stellung einnehme. Wäre dem so, dann gäbe es erkenntnistheoretische Standpunkte eigentlich nur für den eben schaffenden Erkenntnistheoretiker. Es ist aber zweifelsohne umgekehrt, nämlich so, daß zu jedem Moment wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Denkens die erkenntnistheoretische Formel gefunden werden kann. Daß man diese gewöhnlich als "naive" oder "provisorische" bezeichnet im Gegensatz zur höheren des Erkenntnistheoretikers, tut dem keinen Abbruch und wird noch seine Beleuchtung finden.
    10) siehe meinen "Wirklichkeitsstandpunkt"
    11) Über das "Bewußtsein der Objektivität" vgl. LIPPS, Logik, Seite 4f
    12) WILHELM SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 37f
    13) SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 60, 46
    14) SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 48
    15) SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 50
    16) Die ihren Gipfel gelegentlich der Konstruktion der raum-zeitlichen Außenwelt erreichen, W. SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 60f, besonders 66f
    17) Vgl. die Kritik WUNDTs, Zeitschrift für immanente Philosophie, Band 12, Seite 399f, auch R. WILLY, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 1ff
    18) W. SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 39
    19) Nebenbei auch einen an die platonischen Ideen erinnernden Beigeschmack.
    20) W. SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band,Seite 62
    21) Zum Beispiel nach der Art SCHUPPEs.
    22) Siehe z. B. "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 48
    23) So wenn SCHUPPE die  Lehre von den Sinnesempfindungen,  die mit dem Individuellen nichts zu tun hat, wohl oder übel in der Psychologie unterbringen muß, - weil sie eben einmal trotz SCHUPPE und seiner Definition zur Psychologie gehört. Siehe W. SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 70
    24) Vgl. RUDOLF WILLY, "Der Empiriokritizismus als einzig wissenschaftlicher Standpunkt", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 20, Seite 216, Anmerkung 1
    25) Siehe AVENARIUS' "Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18 und 19
    26) AVENARIUS' "Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 146 und 405, auch Seite 159, Anmerkung 1
    27) AVENARIUS' "Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 1f
    28) Auch bei dem eifrigen Interpreten empiriokritischer Weisheit, RUDOLF WILLY, findet sich deutlich dieses Schwanken zwischen einem subjektivistischen und objektivistischen Monismus. ("Der Empiriokritizismus als einzig wissenschaftlicher Standpunkt", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 20, Seite 55f, 191f, 261f) Das  subjektivistische  Moment gewinnt aber durch das nachdrückliche Betonen des Zentralgliedes als erster Bedingung für das Bestehen einer Umgebung, für das Sein unserer Welt immer wieder die Oberhand (siehe Seite 197f). Und hierin berührt sich der Empiriokritizismus aufs Engste mit dem Idealismus.
    29) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 140 - 142
    30) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 145
    31) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 147
    32) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 148f
    33) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 150f
    34) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 150 bis 154
    35) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 153 und 54
    36) ebenda, Seite 407f
    37) Seite 417f - Vgl.die Kritik WUNDTs, a. a. O. Seite 406f
    38) Siehe diese Arbeit weiter unten
    39) Vgl. LIPPS, Logik, Seite 11, wo in gleichem Sinne vom "doppelten Dasein der Welt" als einer logisch-erkenntniskritischen Forderung die Rede ist.
    40) WILHELM WUNDT, Physiologische Psychologie, 4. Auflage, 2. Band, Seite 648