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ROBERT PESCHKE
Das Problem der
wirklichkeitserfüllten Geltung

[3/3]

"Der Idealismus weist darauf hin, daß unsere gesamte Wirklichkeitserkenntnis vermittelt ist. Nur auf Bewußtseinsinhalte findet sich unser erkennendes Bewußtsein bezogen, niemals auf die Sachen selbst. Unter keinen Umständen können wir je diese Vermittlung durch das Bewußtsein umgehen und einen unmittelbaren Verkehr pflegen mit den Objekten selbst. Keine Erkenntnis schöpft aus den Quellen und keine kann sich auf die wirklichen Originale berufen. Immer nur in die Übersetzungen ins Psychologische und Bewußtseinsmäßige wird uns ein Einblick verstattet."

"Wir können uns den Einflüsterungen eines Subjekts-ansich, das uns hypnotisiert, keinen Augenblick entziehen. Wenn wir überhaupt erkennen wollen und nicht in dem pathologischen Zustand der Ideenflucht verharren wollen, so müssen wir uns damit begnügen, unsere Vorstellungen zu erkennen, d. h. sie als Erscheinungsgegenstände zu bestimmen. Niemals aber erkennen wir transzendente Gegenstände."


F. Die Philosophie des Ungegebenen

I. Die Gegenstandsfrage

1. Die Gegenstandsfrage als
selbständiges Problem

Dem Verfasser der Philosophie des Ungegebenen steht es fest, daß das Gegenstandsproblem und das Geltungsproblem in der Erkenntnistheorie zwei Fragen ausmachen, daß nicht - wie der erkenntnistheoretische Idealismus will - aus der Geltungsanalyse unserer Erkenntnisse über die Seinsweise der Erkenntnisgegenstände allein entschieden werden kann. Aus der Ungültigkeit der Erkenntnis läßt sich die Unwirklichkeit des darin Erkannten (oder besser Nichterkannten) nicht folgern. So geistvoll der Versuch ist, die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der Erkenntnis zum Kriterium für die Objektivität des Erkannten zu machen, so kann doch der kritische Realismus diese Wendung nicht billigen, weil diese sogenannten Objektivität den Sinn der bloßen Erscheinungswirklichkeit angenommen hat, welcher außerhalb des erkennenden Bewußtseins keine Realität zukommt.

Wir fühlen und nicht weniger betrogen, wenn man uns für die zerstörte bewußtseinsunabhängige Objektivität der Sachen die Objektivität eines "namenlosen, allgemeinen, unpersönlichen" Bewußtseins (wie RICKERT es genannt hat) zur Entschädigung anbietet. Wir haben darauf zurückzukommen.

Das Hauptanliegen des Idealismus ist es, Gewißheit in unsere Wirklichkeitserkenntnisse hineinzubringen. Derartige Bemühungen scheinen aussichtslos, wenn man in der Geltungsfrage den Gegenständen eine selbständige Bedeutung einräumen würde. Denn damit hätte man sich einer Instanz ausgeliefert, über die wir niemals eine vollständige Übersicht erlangen werden und über die wir keine genügende Kontrolle haben. Wollen wir also in Sachen der unzweifelhaften Gewißheit und Notwendigkeit und ausnahmslosen Gültigkeit unserer Erkenntnis etwas festsetzen, so bleibt kein anderer Ausweg, als die Wirklichkeit zu entmündigen. Dies zu bewerkstelligen, weist der Idealismus darauf hin, daß unsere gesamte Wirklichkeitserkenntnis vermittelt ist. Nur auf Bewußtseinsinhalte findet sich unser erkennendes Bewußtsein bezogen, niemals auf die Sachen selbst. Gegenstand der Erkenntnis ist für den Idealismus deshalb gar keine selbständige Dinglichkeit, sondern nur die Vorstellungen davon. Unter keinen Umständen können wir je diese Vermittlung durch das Bewußtsein umgehen und einen unmittelbaren Verkehr pflegen mit den Objekten selbst. Keine Erkenntnis schöpft aus den Quellen und keine kann sich auf die wirklichen Originale berufen. Immer nur in die Übersetzungen ins Psychologische und Bewußtseinsmäßige wird uns ein Einblick verstattet. Und so sollte von den Sachen selbst, von der Wirklichkeit ansich besser gar keine Rede mehr sein, weil wir es eben ausschließlich mit der Wirklichkeit zu tun haben, wie sie vorgestellt, gedacht, gewußt ist. Es verrät daher lediglich unseren gänzlichen Mangel an kritischer Besinnung, wenn wir von einer Wirklichkeit reden, wie sie unvorgestellter, ungedachter, ungewußter Weise ist. Nur mit der Erscheinungswirklichkeit kann es die Erkenntnis zu tun haben, nur an Vorstellungen, an Bewußtseinsinhalte reicht sie heran.

In dieser idealistischen Darstellung wird die Wirklichkeitserkenntnis einer kontinuierlichen Halluzination vergleichlich, die in gesetzmäßiger Weise bei allen Menschen übereinstimmend vor sich geht und von keinem Menschen aufgehoben und als Sinnestäuschung durchschaut werden kann. Aber wie der Halluzinant z. B. in dem Stimmengewirr, das ihm aus dem Geklapper einer Schreibmaschine entgegentönt, ein wirkliches Objekt, wirkliche Stimmen und nicht halluzinierte Bewußtseinsgebilde zu erfassen vermeint, so auch meinen wir alle und sicherlich mit noch größerem Recht, wann immer wir Wirkliches erkennen, damit eben Wirkliches und keinen Bewußtseinsinhalt zu erfassen.

Außerdem wäre das Erkennen eine höchst überflüssige Tätigkeit, wenn es bloß auf ein Wissen dessen abzielt, was wir bereits wissen. Wovon brauche ich noch ein Bewußtsein von dem, was in meinem Bewußtsein ist? Warum will man es noch nicht eine Erkenntnis nennen, wenn hier dieses Tintenfaß ins Bewußtsein getreten ist, Bewußtseinsinhalt geworden ist? Warum ist dieses Wissen um den Inhalt "Tintenfaß", dieses Vorstelligwerden, Ins-Bewußtsein-treten noch keine Erkenntnis? Warum muß erst noch ein zweites Bewußtsein hinzutreten, damit von Erkenntnis gesprochen werden kann? Ist denn der Bewußtseinsinhalt mir etwa nicht bewußt?

Diese Schwierigkeit rührt letzten Endes daher, daß die Erkenntnis als das Erfassen eines Bewußtseinsinhaltes (einer Vorstellung) definiert wurde und nicht als das Ergreifen eines wirklichen Objekts. Denn diese idealistische These widerspricht dem klaren Sachverhalt der Erkenntnis, der eine Zweiheit von Subjekt und Objekt voraussetzt. Hat der Idealismus das wirkliche Objekt verleugnet, so muß er sich nach einem Ersatz dafür umsehen. Den findet er - mit HERMANN SCHWARZ' sehr aufhellenden Begriff - in dem "Pseudo-Objekt" Vorstellung oder Bewußtseinsinhalt. In diesem Begriff fallen Subjekt und Objekt, Bewußtsein und Gegenstand zusammen: einerseits soll der Ausdruck Bewußtseinsinhalt uns sagen, daß die Erkenntnis nicht auch wirkliche Objekte geht, sondern auf das, was das Bewußtsein davon besitzt. Andererseits soll der Bewußtseinsinhalt für sich selbst noch kein Wissen darstellen, sondern er soll das Objekt des Wissens abgeben für einen zweiten Bewußtseinsakt. Demzufolge darf "Bewußtseinsinhalt" nicht weiter zerlegt werden in ein Wissen und einen Inhalt des Wissens. Der Bewußtseinsinhalt ist nicht zusammengesetzt aus den Komponenten "Bewußtsein" und "Gegenstand des Wissens". Sonst würde der Idealismus seiner ersten These widersprechen, wonach das Bewußtsein sich eben nicht auf außerbewußte Gegenstände erstreckt.

Wenn man die These von der Idealität (von der psychologischen Existenzart) des Erkenntnisgegenstandes aufrechterhalten will, ohne sich dabei einer Entstellung des erkenntnistheoretischen Sachverhalts schuldig zu machen - muß man auf irgendeine Weise die Zweiheit von Subjekt und Objekt wiederherzustellen versuchen. Zu diesem Ende ist immer wieder eine Spaltung des Bewußtseinsbegriffs vorgenommen worden. Die Bewußtseinsinhalte, die dem erkennenden Bewußtsein als Gegenstand dienen, haben zwar auch Bewußtseinscharakter. Aber dieses empirische Bewußtsein hat nur ein psychologisches Interesse. Hier herrscht das chaotische Gewühl von Vorstellungen. Damit macht uns der Idealismus allesamt zu Objekten für die Psychopathologie: wir leiden allesamt an Ideenflucht und können den Ablauf unserer Vorstellungsreihen nicht mehr meistern. Das erkennende Bewußtsein nun, welches das Durcheinander der Inhalte des empirischen Bewußtseins zu seinem Gegenstand hat, ist jenes transzendentale, allgemeine, namenlose, unpersönliche Bewußtsein, an dem das empirische Einzelbewußtsein nur teil hat, das von diesem ausgegliedert ist oder wie man es auszudrücken Lust hat. Indem so über das Einzelbewußtsein ein allgemeines Bewußtsein und über das psychologische Subjekt ein Subjekt überhaupt eingesetzt wurde, ist die notwendige Zweiheit von Subjekt und Objekt wiederhergestellt. Wir selbst sind nach den Seiten unseres psychologischen Bewußtseins das Erkenntnisobjekt für das Bewußtsein-ansich in uns, das man sich als den identischen Kern aller unserer Bewußtseinsinhalte nur überhaupt vorstellen kann. Wir vermögen alles, was "in" unserem Bewußtsein ist (z. B. unseren augenblicklichen Zorn) so von uns innerlich abzurücken, daß es zu einem Objekt "für" unser (transzendentales) Bewußtsein wird. (So: THEODOR LIPPS, Bewußtsein und Gegenstände)

Die neue Situation, die durch die Einführung des Bewußtseins überhaupt entstanden ist, läßt sich an dem Gleichnis eines hypnotischen Experiments erfassen. Zu allererst ist festzustellen, daß für einen Hypnotisierten, der eine Kartoffel als einen Apfel ißt, die Kartoffel nicht vorhanden ist, da er kein Bewußtsein von ihr hat. Der Hypnotiseur ist für den Hypnotisierten das Subjekt überhaupt, aus dessen Denknötigungen er sich nicht befreien kann. Solange die Hypnose andauert, solange der Hypnotisierte gezwungen ist, die "Rhapsodie" seiner Wahrnehmungen als den Gegenstand "Apfel" zu erkennen, zur Erscheinung des Apfels zu bestimmen und es ihm unmöglich ist, die "eisernen Klammern des Logos", d. h. das ihm suggerierte Bewußtsein zu zerbrechen und das Ansich seines Apfels als Kartoffel zu erkennen. In dieser Lage, meint der Idealismus, sind wir alle. Auch wir können uns den Einflüsterungen eines Subjekts-ansich, das uns hypnotisiert, keinen Augenblick entziehen. Wenn wir überhaupt erkennen wollen und nicht in dem pathologischen Zustand der Ideenflucht verharren wollen, so müssen wir uns damit begnügen, unsere Vorstellungen zu erkennen, d. h. sie nach Anleitung des transzendentalen Bewußtseins überhaupt zu Erscheinungsgegenständen zu bestimmen. Niemals erkennen wir transzendente Gegenstände.

Die Hauptsache dabei ist, daß uns der Idealismus wie jenen Hypnotisierten völlig abschneidet von den wirklichen Dingen. Der Apfel ansich (= die Kartoffel) dient lediglich dazu, konfuse (!) Vorstellungsfilme in uns anzuregen. Dabei ist es im Grunde gleichgültig, ob uns dieser Dienst von einer Kartoffel, einer Mohrrübe oder von einem Idealisten geleistet wird. Und früh genug schon wurde das Ding-ansich als eine einheitliche sittliche Potenz bezeichnet. Die Bewußtseinsinhalte haben gar keine innere inhaltliche Beziehung zu den Dingen-ansich. Diese sind nicht der Inhalt, der in den Vorstellungen erscheint. Wir erkennen allein die Bewußtseinsinhalte. Die Erkenntnishandlung leistet weiter nichts als in unser verworren Gewußtes Ordnung zu bringen. Der Idealist setzt voraus, daß es in unserem Bewußtsein vor den synthetischen Erkenntnishandlungen so aussieht, wie wenn wir uns mehrmals schnell um uns selbst gedreht hätten. Erkenntnis ist nur ein Spiel des transzendenten Bewußtseins überhaupt mit dem, was wir ohnehin empirisch wußten. Es ist kein Zufall, daß bei KANT die Erfahrung doppelsinnig ist, daß er bald den geordneten Vorstellungszusammenhang darunter versteht (Erfahrung in einem echten Sinn) und bald das chaotische Vorstellungsgewühl des empirischen Bewußtseins damit bezeichnet. Letzteres würden wir als Wahrnehmung bezeichnen. Aber der Idealist leugnet ja, daß darin etwas Transzendentes wahrgenommen wird.

Es ist weiterhin kein Zufall, daß der erste und vielleicht scharfsinnigste Kantinterpret - SALOMON MAIMON - jenes ungültige Bewußtsein, das dem seelischen Zustand bei einem Schwindelanfall gleicht, konsequenterweise wieder im Sinne LEIBNIZ' ein "verworrenes Denken" nennt, weil eben darin nichts Transzendentes gewußt wird, weil die sinnlichen wie die physikalischen Qualitäten, weil selbst Raum und Zeit subjektiv sind. Während KANT den Namen der Sinnlichkeit und der Empfindung dafür noch hat, obwohl nichts da ist, was empfunden werden könnte; denn das transzendente Ding-ansich ist ihm ja auf einen raumzeitlosen Punkt zusammengeschrumpft (SALOMON MAIMON, "Versuch über die Transzendenz-Philosophie", Seite 16, 18, 63. "Neue Logik", Seite 115: An diesen Stellen sucht MAIMON Raum und Zeit als Denkfunktionen zu erweisen. Im "Versuch" erkennt MAIMON die Empfindungsqualitäten als Bewußtseinsdifferentiale und weist Seite 65 und 183 nach, wie die Sinnlichkeit unter der Fiktion eines unendlichen Verstandes zu einem unvollkommenen Verstand wird.)

Ist man dem Idealismus einmal so weit gefolgt, dann freilich kann man sich seinen systematischen Konsequenzen kaum noch entziehen. Nachdem der Begriff einer transzendenten Wirklichkeit ansich verworfen wurde, gewinnt der Idealismus einen neuen Wirklichkeitsbegriff aus der Begründung der Erfahrung. Indem er gültige Erkenntnis begründet (das Erfahren), begründet er zugleich eine neue Wirklichkeit (das Erfahrene). Gültigkeit (Allgemeingültigkeit der Erkenntnis) und Wirklichkeit ("Objektivität des Erkannten") sind Wechselbegriffe. (ARTUR BUCHENAU, Grundprobleme der Kritik der reinen Vernunft) Durch die Erkenntnistätigkeit des transzendentalen Bewußtseins entsteht aus der "unbestimmten", subjektiven Erscheinungswirklichkeit des Einzelbewußtseins jene objektive gesetzmäßige bestimmte Erscheinungswirklichkeit der Erfahrung.

Einer solchen Auffassung gegenüber, für die "Objektivität und Allgemeinbegriffe Wechselbegriffe" sind, erweist der kritische Realismus, daß das Gegenstandsproblem eine selbständige Frage ist, die für sich behandelt werden muß, indem der die idealistischen Voraussetzungen erschüttert. Gegenstandsfrage und Geltungsfrage hängen zweifellos zusammen ohne jedoch zusammenzufallen.


2. Die gegenständliche
Bedeutung der Empfindung

Wir mußten die Voraussetzungen des Idealismus, in denen seine Schwächen liegen, so ausführlich behandeln, um ermessen zu können, was mit HERMANN SCHWARZ' Theorie vom Ausdruck geleistet wurde. Nach dieser Theorie sind die Empfindungen der Ausdruck transzendenter Gegenständlichkeit. Aber - und diese unscheinbare Kleinigkeit ist von ausschlaggebender Wichtigkeit - der Ausdruck kommt niemals selbst zu Bewußtsein; er hat nur den Charakter der Bewußtheit. Dieser Punkt bleibt auch bei NICOLAI HARTMANNs fesselnden Darlegungen noch im Dunkeln, obwohll er sonst zu Ergebnissen kommt, wie sie der Verfasser der Philosophie des Ungegebenen in den Jahren von 1894-97 fand. Allein GOTTLOB ERNST SCHULZE scheint in seiner "Kritik der theoretischen Philosophie" (Hamburg 1801) diesen Punkt im Sinn gehabt zu haben. In der Einleitung zu Bd. 1 wie in der Einleitung zu Bd. II führt Aenesidemus-SCHULZE gegen den Idealismus seine Unterscheidung von Anschauung und Vorstellung ins Feld: die Wirklichkeitserkenntnis ("die Erkenntnis äußerer Objekte") sei nicht durch Vorstellungen vermittelt, sondern es handelt sich um eine unmittelbare anschauende Erkenntnis, bei welcher wir uns unseres Ich und des angeschauten Objekts im selben Augenblick bewußt sind. So auch schon vorher FRIEDRICH HEINRICH JACOBI und erst recht die griechische Wahrnehmungstheorie der Verähnlichung, wonach sich die Seele des Wahrnehmenden mit dem wahrgenommenen Objekt verähnlicht. Dies könnte der Fall sein, wenn die Wirklichkeitserkenntnis durch Vorstellungen vermittelt wäre; denn da würden wir außer dem Selbstbewußtsein höchstens noch das Bewußtsein einer Vorstellung (einer Modifikation am Subjekt) haben können. Wenn SCHULZE damit sagen wollte, daß bei der anschauenden Wirklichkeitserkenntnis nicht eine (Wahrnehmungs-)Vorstellung sich zwischen uns und das Objekt einschieben darf, so würde er damit die Meinung von SCHWARZ getroffen haben. Der Ausdruck ist nicht etwas, das wir für sich erfassen können, sonst wird er uns zur Vorstellung und zum Bewußtseinsinhalt, und wir bekämen es mit all den Schwierigkeiten zu tun, die dem Idealismus zu schaffen machten.

Nachdem wir so über das Ziel unseres Weges uns vergewissert haben, können wir nunmehr schrittweise vorgehen. Zunächst gilt es einzusehen, daß der Erkenntnisvorgang zweistufig ist. Nicht alles, was uns bewegt, ist dadurch, daß es uns bewegt, auch zugleich erkannt. Längst nicht alles, was wir fühlend besitzen, besitzen wir auch geistig.
    "Das Gefühl ist ... von der darauf gerichteten Reflexion verschieden. Es ist aber, während die Reflexion sich darauf richtet, noch immer im Bewußtsein, wir haben es nach wie vor. Wir erleben so, während die Reflexion sich auf das Gefühl richtet, einen zweigliedrigen Vorgang: wir erleben das Gefühl und erleben gleichzeitig ein Gegenstandsbewußtsein, das sich auf jenes Gefühl bezieht!" (Schwarz, Die Umwälzung der Wahrnehmungshypothesen, Seite 154)
Wie verhält es sich bei der äußeren Wahrnehmung? Wenn jemand, einen Vortrag anhörend, mit seinen Gedanken abgeschweift ist, so hört er nach wie vor; aber er bringt es nicht dazu, das Gehörte aufzufassen.
    "Der Erregungsstrom, der den Hörnerv durchzuckt, erzeugt im Zuhörer zwar eine Zustandsveränderungf, aber sie bleibt eine bloße Empfindung. Diese wird nicht zum Hebel seines Wissens, durch das man sich Töne und Schälle vergegenwärtigt, sondern behält die Art eines dunklen Gefühls, in dem weder etwas, noch mittels dessen Etwas gewußt wird. Kein Bemerken vermählt sich einer solchen Empfindung, um sie zu vergegenständlichen, aus ihr eine lebendige Wahrnehmung zu machen, in der etwas zu Bewußtsein kommt, ein Schall, ein Wort, ein Sinn. Die bloße Empfindung ist totes Beeindrucktsein ..." (Schwarz, Leib und Seele, Seite 56).
Grundsätzlich sind unsere Erlebnisse in zwei große Klassen einzuteilen, von denen nur die eine das Merkmal des Bewußtseins trägt. Es besteht ein Unterschied zwischen Bewußtheit und Bewußtsein, zwischen Empfinden und Bemerken.
    "Man kann Empfindungen erleben, bald ohne daß sich ein Bewußtsein mit ihnen verbindet, bald so, daß solches hinzutritt. Wenn wir z. B. aufmerksam einem Luftballon nachsehen, der zum ätherblauen Himmel aufsteigt, so erblicken wir zunächst alle Einzelheiten des ersteren noch deutlich. Nach und nach bemerkt man immer weniger Einzelheiten, dann nur ein Unbestimmtes sich Bewegendes, bis schließlich das letzte Pünktchen des Luftballos verschwunden ist und wir, wie wir sagen, nichts mehr sehen. Hier ist mit dem Verschwinden des Luftballons das Bemerken vorüber. Wir bemerken nichts mehr und doch haben wir das ganze Gesichtsfeld voll von der Blauempfindung des Himmels. Sie ist jetzt da, ohne daß ein Bemerken darauf gerichtet ist. Sie kann aber ihrerseits sofort zum Gegenstand des Bemerkens, nun eines neuen Bemerkens werden, wie sie vorher zwar erlebt wurde, aber der Gegenstand des früheren Bemerkens nicht war." (Schwarz, Grundfragen, Seite 94)

    "Die erste (Klasse unserer seelischen Erlebnisse) ist die der zuständlichen Erlebnisse. Sie sind Vorgänge an mir, bloße Bewußtheit: das Empfinden, Fühlen und (hindrängendes bzw. wegdrängendes) Treiben. Die zweite Klasse sind die Akte von mir, nämlich die Akte des Gegenstandsbewußtseins und die Akte des Wertbewußtsein." (Schwarz, Glück und Sittlichkeit, Seite 25)
Die als eine Selbstverständlichkeit eingeführte These, mit welcher der Idealismus seinen Beweisgang anfing, behauptete die "Gefangenheit des Bewußtseins in sich selber". Aus mancherlei Gründen ergäbe sich, daß bei der Erkenntnis realer Gegenstände das Bewußtsein nur eine Modifikation seiner selbst erkennt. Unsere Erkenntnis ergreift nur Bewußtseinsinhalte und nicht die Objekte selbst. Nach dem Vorigen liegt schon in dieser so selbstverständlich scheinenden Voraussetzung ein Fehler. Schon die Beschreibung des Sachverhalts ist verfehlt. Unser Bewußtsein kann doch seine eigenen Grenzen überspringen: es kann unbewußt gehabte Erlebnisse erfassen (Gefühle, Triebe).
    (Wahrscheinlich ist hier wie so oft das Denken von einem jener eingewurzelten, aber ungerechtfertigten "Völkergedanken" geleitet worden, nämlich von des Empedokles homöopathischen Grundsatz: "similia similibus", der, auf unseren Fall angewendet, lauten würde: "Nur Bewußtes kann vom Bewußtsein erfaßt werden." Auch das entgegengesetzte Prinzip schleicht sich häufig in die strengsten Deduktionen ein. So auch bei Kant, wenn er unbegründeterweise schließt: "... da die Ursache der Empfindung nicht wiederum eine Empfindung sein kann")
Wir hatten vorhin dem Idealismus vorgehalten, warum die Erkenntnis ein doppeltes Bewußtsein nötig macht? Es erschien uns unsinnig, das alles, was wir jemals erkennen (und das heißt: wissen) können, bewußt (und also auch gewußt) sein muß. Und in der Tat sucht man sich mit Unterscheidungen wie "im Bewußtsein" und "für das Bewußtsein" zu behelfen, falls man nicht gar mit LEIBNIZ Grade des Wissens, Klarheitsstufen des Bewußtseins aufstellt, wodurch man der Problemlage einigermaßen gerecht wird und sich doch alle Handhaben für eine idealistische oder spiritualistische Metaphysik gesichert hat. Wieviel ungezwungener ist es hingegen mit dem kritischen Realismus eines HERMANN SCHWARZ von vornherein zwei Erlebnisklassen zu unterscheiden, von denen nur die eine Bewußtseinsakte von mir darstellen. Nicht erst um entfernte äußere Objekte zu erkennen, sondern schon um das Müdesein (einen seelischen Zustand an mir) zu bemerken, muß das Bewußtsein - was dem Idealismus so unmöglich dünkt - sich selbst transzendieren. Gibt es nun andere Erlebnisse, andere Zustände an mir, in denen sich wirkliche Gegenstände darstellen, ausdrücken, so wäre es sehr wahrscheinlich, daß das Bewußtsein durch diese Darstellungen hindurch jene wirklichen Gegenstände erkennen würde. Das sind die Empfindungen. In den Erlebnissen der Empfindung haben wir einen Ausdruck des Gegenstandes, beispielsweise eines Apfels, der selbst nicht gehabt wird, es sei denn, daß wir ihn verspeisen. Die Empfindung ist also nicht von der transzendenten Außenwelt abgeschnitten (weil wir nicht die gesamte Wirklichkeit mit Raum und Zeit idealistisch ins Bewußtsein verlegt haben). Dadurch wird es verständlich, daß wir vermittels der Empfindungen wirkliche Gegenstände erkennen. Aber erst, wenn sich an den mit der Empfindung gehabten Ausdruck eines transzendenten Gegenstandes ein Akt des Gegenstandsbewußtseins knüpft, wissen wir um den entsprechenden Gegenstand.

Mit dieser Ausdruckstheorie ist die Annahme von der Subjektivität der Sinnesdaten abgelehnt. Wenn wir sagen, daß wir Empfindungen haben können, ohne daß sich damit ein Gegenstandsbewußtsein zu verbinden braucht, wenn wir also "Blau" empfinden können, ohne es zu wissen - dann erzeugt unser Bewußtsein nicht das Blau! Die Annahme der Subjektivität der Sinnesdaten scheint auch der tiefste Grund zu sein, der den Idealismus zwang, die Bewußtheit der Empfindungen als Bewußtsein zu verstehen, und die These von der Gefangenheit des Bewußtseins in sich aufzustellen. Hier liegt das wahre Prolegomenon zu einer jeden künftigen Metaphysik, die ja auch immer eine Metaphysik des transzendentalen Bewußtseins oder des absoluten Ich oder des objektiven Geistes wurde.
    "Wohin wenigstens die Annahme eines subjektiven durch das Bewußtsein vermittelten Zusammenhangs der mechanischen Korrelate mit den mit ihnen zusammen auftretenden Sinnesvorkommnissen führt, diese Annahme, die uns zumutet, als das Substrat der Farben, Töne usw. nichts Körperliches, sondern das Bewußtsein anzunehmen, das zeigt - vestigia terrent [Die Spuren / der von dir getöteten Tiere / schrecken mich ab. - wp] - die historische Entwicklung der idealistischen Erkenntnistheorie. Ganz folgerichtig ließ dieselbe die Versenkung in den Abgrund des Bewußtseins nicht bei Farben, Tönen usw. Halt machen, sondern gab den ganzen Raum und mit diesem alle mechanischen Vorgänge der Naturwissenschaft hinzu; das außerhalb des Bewußtseins Stehende ist dann nicht mehr der den Naturforschern bekannte körpererfüllte Raum, sondern ein rätselhaftes Ding-ansich. Ja nicht einmal dieses darf außerhalb des Bewußtseins stehen bleiben; der erkenntnistheoretische Idealismus muß in noch weiterer Konsequenz mit dem Eingeständnis des erkenntnistheoretischen Solipsismus enden." (Schwarz, Zwiespältigkeit, Seite 49/50)
Einem gefährlichen Mißverständnis bleibt noch vorzubeugen übrig. Das, was hier als "Ausdruck" bezeichnet wurde, ist nicht selbst, als eine Art Vorstellung oder Bewußtseinsinhalt, der Gegenstand der Erkenntnis. Sondern der Ausdruck ist "eine Beschaffenheit des Erkenntnisvorgangs, die naturalis similitudo [natürliche Ähnlichkeit - wp] und entspricht der Beschaffenheit des Gegenstandes". (SCHWARZ über UPHUES, Seite 352, Anm.) UPHUES hatte nämlich den Ausdruck als Inhalt des Habens verstanden, der durch eine "natürliche Abstraktion" von uns stets daraus isoliert wird. Dadurch hatte er sich seinen besten Gedanken, die Anerkennung einer transzendenten Wirklichkeit, wieder verdorben. Ist nämlich der Ausdruck keine Beschaffenheit des Erkenntnisvorgangs, sondern dessen Gegenstand, kann ich ihn für sich erfassen, wie er sich in meinem Haben findet, dann verhüllt er uns wieder den Gegenstand statt ihn zu offenbaren. Der Ausdruck, der für sich gemeint werden kann, sieht den subjektiven Sinnesqualitäten zum Verwechseln ähnlich und es würde demnach die Untersuchung nur den Sinn haben, das Ausdruck zu nennen, was allgemein als Vorstellung zu bezeichnen üblich ist.
    "Schon oben wurde gelegentlich betont, daß die Ausdrücke der Gegenstände uns in keiner Weise zu Gesicht kommen, weder in der Wahrnehmung, noch in der Vorstellung, noch im Urteil; sie ermöglichen das Meinen, Anschauen, Erfassen der betreffenden Gegenstände, werden aber nicht selbst gemeint, angeschaut, erfaßt. Das, was in der Psychologie des Erkennens (von Uphues) Sonnenbild, Dingbild genannt wird, sind bereits Gegenstände. Es sind die gemeinte transzendente Sonne, das gemeinste transzendente Ding. Farben, Töne, alle Sinnesqualitäten sind transzendente Gegenstände, keine immanenten Bewußtseinsinhalte. Diese transzendenten Gegenstände existieren entweder und dann reicht das Wahrnehmen, Vorstellen und Beurteilen derselbe über sich hinaus in das Seiende hinein, wie es unvoreingenommer-, unvorgestellter-, unbeurteilterweise ist, oder sie existieren überhaupt nicht, sind Nichtse. Transzendente Gegenstände aber sind es in jedem Fall, etwas dem sie meinenden Bewußtseinsvorgang Jeneseitiges und in ihm nicht Enthaltenes." (Schwarz über Uphues, Seite 366) Ebenso:

    "... unsere Gesichtswahrnehmung (besitzt), sofern sie tatsächlich den Namen eines Gegenstandsbewußtseins verdient und keine bloß erkenntnislose Empfindung ist, ihren eigentlichen und einzigen Gegenstand ohne weiteres unmittelbar in den Farben, deren Verschiedenheit von, deren Nichtzugehörigkeit zum, deren Nichtableitbarkeit aus dem wahrnehmenden Bewußtsein, mit einem Wort, deren Transzendenz schlechthin anerkannt werden muß." (Schwarz über Thiele, Seite 489)
Demgegenüber wird der Nachweis, daß die Welt, in der wir leben, keine transzendente Realität haben kann, ungefähr wie folgt abgestellt werden: Die Außenwelt ist entweder Vorstellung oder sie besteht ansich. Im ersteren Fall wäre sie erkennbar, im zweiten unerkennbar. Nun erkennen wir im täglichen Leben die Wirklichkeit fortgesetzt. Folglich muß sie Bewußtseinsinhalt sein, denn anderes ist dem Bewußtsein nicht zugänglich. Hierzu bemerkt SCHWARZ, daß es gar nicht um die Alternative "im Bewußtsein" oder "außerhalb des Bewußtseins" handelt, sondern um diese: "real existieren" oder - "nichts"!
    "Wenn das Transzendente nicht in Wirklichkeit existiert, so existiert es überhaupt nicht. Was in Gedanken existiert ist nicht transzendent, sonern immanent. Ähnlich gilt vom Nichts, daß es weder in Gedanken noch in Wirklichkeit existiert." (Schwarz, Was will der kritische Realismus, Seite 6)

    "Die Existenz der Gegenstände und ihre Veränderungen sind unabhängig von ihrem Gemeintwerden. Und es beweist von Seiten des Denkens, daß das Meinen ein rein innerlicher Prozeß ist, der seinen Gegenstand nicht nur erreicht, wenn er dem Bewußtsein so nahe wie möglich und wenn er Tausende von Meilen davon entfernt ist, sondern ihn auch dann noch erreicht, wenn der Gegenstand längst vergangen ist, vorausgesetzt nur, daß die zugehörige, das Erkennen gerade jenes Gegenstandes vermittelnde Beschaffenheit im Bewußtsein auftritt. Das Denken eines Gegenstandes ist unabhängig von der Existenz oder Nichtexistenz dieses Gegenstandes." (Schwarz über G. Thiele, Seite 507)
Um das Erreichte überblicken zu können, seien hier unsere Ergebnisse thesenartig zusammengestellt.
    - Es gibt eine transzendente Wirklichkeit.

    - Sie ist dem Bewußtsein zugänglich und erkennbar.

    - Denn sie wird in den Empfindungserlebnissen dargestellt, abgebildet, ausgedrückt.

    - Das heißt die Empfindungsqualitäten sind objektiv.

    - Sobald sich mit diesen zuständlichen Erlebnissen ein Akt des Bemerkens verbindet, entsteht das Gegenstandsbewußtsein.
Durch das Wissen werden die transzendenten Gegenstände übrigens nicht verändert; denn das Wissen ist kein "modifizierendes", sondern nur ein "determinierendes" Prädikat.

Das Herzstück der kritisch-realistischen Auffassung ist der neue Empfindungsbegriff. Die Empfindung ist weder Bewußtseinsinhalt noch ein Erzeugnis des Bewußtseins (aus Nervenschwingungen!), sondern sie ist ein seelischer Zustand mit dem Charakter der Bewußtheit. Ihr Wesen liegt darin, der Ausdruck transzendenter Gegeständlichkeit zu sein. Sie hat gegenständliche Bedeutsamkeit, ohne daß diese Bedeutung aus ihr herausgenommen werden könnte! Denn damit würde die realistische Auffassung wieder in ihr idealistisches Gegenteil umschlagen: die Gegenstandsausdrücke werden durch ihre Ablösung von der Empfindung unfehlbar zu den berüchtigten Abbildern im Subjekt, die es verhindern, daß sich unsere Erkenntnis jemals auf die wirklichen Gegenstände erstrecken kann. Die Empfindungsqualitäten wären wieder subjektiviert. So wie die Helligkeit eine Beschaffenheit der Farbe ist, die nicht aus ihr herausgenommen werden kann, so ist der gegenständliche Ausdruck, die Wirklichkeitsbedeutung eine Beschaffenheit der Empfindung, die nicht von ihr abgetrennt werden kann, ohne sie selbst damit zu vernichten.


II. Die Geltungsfrage

1. Geltung und Intellektion

Es sollte eine ausgemachte Sache sein, daß die Geltungsfrage (die Frage nach dem Gewißheitsgrad unserer Erkenntnisse) und die Gegenstandsfrage (die Frage nach der Seinsweise des Erkenntnisgegenstandes) getrennt zu behandeln sind. Dennoch beantwortete der Idealismus die Gegenstandsfrage durch die Lösung der Geltungsfrage. Populärer ist die entgegengesetzte Ansicht, die zum Maßstab für die Gültigkeit der Erkenntnis die Wirklichkeit des Erkannten macht: der Streit, ob die universalia in rebus [das Allgemeine ist im Realen enthalten - wp] oder ante res [das Allgemeine besteht unabhängig vom Realen - wp] sind, ist vollkommen müßig, so wird gesagt, denn es gibt gar keine universalia. Und selbst in Fällen, wo man zustimmen möchte (- z. B. das astrologische Lehrgebäude ist barer Unsinn, denn es gibt derartige Zusammenhänge zwischen Menschen und Sternen nicht, wie sie von der Astrologie behauptet werden -) sollte man die Ungültigkeit des astrologischen Systems lieber aus Geltungsgründen darlegen. Vielleicht so, daß man zeigt, daß die Analogie, mit der die Astrologie ausschließlich arbeitet, kein Wahrheitsgesetz ist.

Sehr wohl aber wird man, ohne die beiden Fragen zu vermengen, nachträglich die Wirklichkeit daraufhin durchmustern können, ob sich irgendwo eine Geltung in ihr findet. Denn der wirklichkeitserfüllten Geltung war ja auch unser Hauptinteresse gewidmetffff. Keinesfalls werden wir jedoch unseren Wirklichkeitsbegriff durch solche Erwägungen umstoßen. Warum sollte nicht die Wirklichkeit genau so wirklich bleiben wie zuvor, auch wenn sie sich als gänzlich geltungslos herausstellen sollte? Soviel ist jedoch sicher, daß sich die Wirklichkeit auf Geltung hin ansehen lassen muß; denn darin ligt doch auch erst das Problem der Geltung, daß sie für anderes, eben Wirkliches gilt, das für sich genommen ungültig ist.

Auf Wahrheit hin angesehen stellt sich die Wirklichkeit dar als ein geltungsloses Ineinander von Dingen, Eigenschaften und Vorgängen, das nicht nach logischen Regeln geordnet ist. Die "Existenz ist eine Seinsart, die nur Millionen voneinander getrennter Einzelwesen zuläßt" (Das Ungegebene, Seite 61). Denn, um wirklich zu sein, muß sich jedes Wirkliche in Raum und Zeit lokalisieren lassen. Was nicht, wie etwa ein Begriff oder eine Zahl, mit einem bestimmten Schnittpunkt von Längen- und Breitenkreisen auf dem Globus der Raumzeitlichkeit seinen Standort angeben kann, gehört auch nicht der Wirklichkeit an. Jedes Wirkliche hat seine nur ihm eigene Stelle in Raum und Zeit; es ist sowohl räumlich wie zeitlich einmalig. Dann aber ist die Gesamtwirklichkeit eine Zusammenfassung von "besonderten Einzelheiten" (a. a. O., Seite 57), die alle einen besondern raumzeitlichen Platz innehaben, den sie durchaus und unveräußerlich für sich besitzen und den sie einander nicht abtreten können. Jedes ist von jedem unverwischbar abgegrenzt. Die raumzeitliche Wirklichkeit ist eine einheitslose Mengenwirklichkeit (Gott, Seite 103). Darin ist das Verhältnis des Existierenden zur Geltung ausgesprochen: räumliche oder zeitliche Nachbarschaft begründet keine Einheit, keine wahre oder gültige Einheit, sondern nur ein zufälliges Beisammensein, nur additive Einheit. So war BACHs Alterswerk "Die Kunst der Fuge" jahrhundertelang ein zufälliges Zusammen von Textseiten, bis WOLFGANG GRAESER die - nach der Meinung der Fachleute - überzeugende gültige Einheit der durcheinandergeratenen Teile herstellte, die nun wie "aus einem Guß" wirkte. Desgleichen ließen die Prolegomena vor VAIHINGERs Richtigstellung die gültige kompositorische Einheit vermissen. Die Wahrnehmung versorgt uns mit zwar anschaulichen aber nicht deshalb auch gültigen Einheiten des Mannigfaltigen. Und so ist jedes wahrgenommene Ding als wahrgenommenes eine "ungültige Einheit des Mannigfaltigen" (Gott, Seite 106).

Bei der geschilderten Beschaffenheit des Wirklichen wird der Sinn der Wissenschaft darin zu erblicken sein, daß sie das, was das Auge in geltungsloser sinnlicher Einheit zusammensieht nach Geltungsmaßstäben umgruppiert und zu einer begriffenen Einheit zusammendenkt, daß sie aus der strukturlosen Mengenwirklichkeit ein wissenschaftliches Weltbild wirkt. Aus ungültigen Zusammenhängen muß gültige Erfahrung gemacht werden. Die wissenschaftliche Arbeit besteht im Erfahrungen machen. Die historische Kontinuität, die nichts als zeitliche Abhängigkeit, stellt einen solchen ungültigen Zusammenhang im Großen dar (solange man noch keine Vernunft in ihr entdeckt hat). Denn die zeitliche Nähe bedeutet nicht auch sachliche Zusammengehörigkeit. Die Zeit machte KANT zu einem Schüler MARTIN KNUTZENs, aber sachliche Beziehungen rücken ihn in die geistige Atmosphäre PLATONs (nach logizistischer Auffassung). Damit ist der ungültige historische Zusammenhang zerschnitten und nach Maßgabe logisch einsichtiger Bedingtheit eine neue Verbindung hergestellt. "In logischen Neusetzungen" macht so die Wissenschaft aus den "gegebenen Dingen geltende Tatsachen" und aus dem gegebenen post hoc [danach - wp] ein geltendes propter hoc [deswegen - wp].

Die Wissenschaft setzt sich mit der Wirklichkeit in ganz anderer Weise auseinander als es das natürliche Bewußtsein tut. Denken wir uns einen Wanderer, der sich in einer unbekannten Gegend orientieren will! Er wäre um eine wissenschaftliche Geltungseinheit, die das Gegenwärtige mit Vergangenem verknüpft, völlig unbekümmert und rein an der vorliegenden Gegenständlichkeit interessiert. Ihm genügt es, das Hier und Jetzt der Gegenstände zu konstatieren: hier ist es moorig, dort scheint es gangbar zu sein etc. Dieses pure Gegenstandsbewußtsein war das Objekt unserer ersten erkenntnistheoretischen Untersuchungen. Jetzt kommt es uns nicht mehr darauf an, daß sich der gegenstandslosen Bewußtheit der Empfindung ein Akt des Bemerkens zum Gegenstandsbewußtsein vermählt, sondern darauf, daß ein Akt der Intellektion unser Gegenstandsbewußtsein zu einem Gültigkeits- und Wertbewußtsein verwesentlicht.

Mit Intellektion soll die Fähigkeit bezeichnet sein, kraft welcher wir geltende ideale Einheiten (Begriffe, Zahlen) und geltende Beziehungen (Ähnlichkeit, Gleichheit) erfassen.
    "Die Intellektion ... webt um alles Anschauliche Fäden aus der Sphäre des Geltens. Sie ergreift das Ähnliche und Verwandte, das Unterschiedliche und Gegensätzliche, das Neben- und Nacheinander, die Zahl und die Gattung. Beziehungen und ideale Einheiten also sind der Gegenstand von Intellektionen." (Schwarz, Vom unanschaulichen Wissen, Festschrift für Volkelt, 1918, Seite 120)
Diese eigenartige Tätigkeit kann nicht Wahrnehmung, weder innere noch äußere genannt werden, weil sowohl ideale Einheiten wie auch geltende Relationen nicht wahrnehmbar sind.
    "Zuvörderst ist daran zu erinnern, daß man Gegenstände verschiedener Sinne, z. B. tiefe Töne und dunkle Farben (Gehörs- und Gesichtssinn) oder tiefe Töne und gewichtige Massen (Gehörs- und Gewichtssinn) mühelos miteinander vergleichen kann. Das Auge sieht den Ton nieht, das Ohr hört die Farbe nicht. Also kann die Ähnlichkeit zwischen Ton und Farbe weder gehört noch gesehen, sondern nur intelligiert werden." (ebd. Seite 120)

2. Von der blinden Geltung

Nicht selten gehen wir über das konstatierende (und sofern es Einzelheiten konstatiert auch beschreibende) Gegenstandsbewußtsein hinaus, ohne doch damit eine geltende Ähnlichkeitsbeziehung zu erfassen. Immer wenn wir Wortbedeutungen verstehen, meinen wir das geltende Wesen des betreffenden Gegenstandes. Aber in unzulänglicher Weise! Fällt das Wort "parallel", so denkt der Laie sofort an Linien, die sich auch in der weitesten Verlängerung nicht schneiden. Gewiß wird damit auf eine geltende Beziehung zwischen parallelen Linien hingedeutet. Aber es handelt sich um eine Äußerlichkeit. Der Begriff der Parallelität enthält die Kategorie des "gleichen Richtungsunterschiedes". Dieser gleiche Richtungsunterschied macht es erst, daß sich die parallelen Linien nicht schneiden. Es tut sich hiermit ein Unterschied auf zwischen grundlegenden "konstituierenden" und abgeleiteten "Folge"-Ähnlichkeiten. Die Wortbedeutung liegt auf dem Weg zum Begriff, aber sie erreicht ihn nicht. Sie hat gleichsam eine "blinde" Geltung.


3. Die Wahrheitsgeltung

Die wissenschaftlichen Begriffe allein, in denen gattungsbildende konstituierende Ähnlichkeiten zu idealen Einheiten zusammengefaßt werden, dürfen eine echte Geltung für sich in Anspruch nehmen. Um zu wesenhaften Einheit des Begriffs zu kommen, muß ich die zufällige psychologische Reihung meiner Wahrnehmungen "verwesentlichen" durch die Intellektion einer idealen Einheit, in der alle Ähnlichkeitsbeziehungen in einem gelten. Mit Hilfe von "Geltungsschlüsseln" kann ich mir hinter den gegebenen ungültigen Zusammenhängen eine gültige Einheit erschließen (Gott, Seite 92, 103, 106, 108). Die Geltungsschlüssel, das sind letztlich die logischen Gesetze.


III. Die Metaphysik der Geltung

1. Die Philosophie des Ungegebenen im Allgemeinen

Die Geltungsfrage mündet unvermeidlich in die Metaphysik ein. Nur gewaltsam haben wir bisher solche Fragen ausgeschaltet, die nur von der Metaphysik aus erledigt werden können: Als was kommt die gültige Einheit vor (künstliches Abstraktionsprodukt, etwas Wirkliches)? Wie verhält sie sich zur Wirklichkeit und zum Bewußtsein?

Die Einheit, die wir in der Wirklichkeit vermißten, ist etwas, das auch gar nicht existieren kann. Sinnhafte Einheit ist etwas, das ungeworden gilt oder west. Weil die Wirklichkeit ein Vorhandensein durch Bestimmtheiten ist, deren Abstufungen so zahlreich sind, daß sie kein Name nennt, - deshalb kann die wesenhafte Einheit, die im Begriff intelligierte Wesenseinheit nicht existieren, denn sie müßte ohne besondere Eigenschaften, ohne Haecceitas [Diesheit - wp] existieren. Reine Wesenhaftigkeit, nackte Einheit, pure Quidditas [Washeit - wp] ist existenzunfähig. Wirklich sind nur die geeinten gegebenen Bestimmtheiten. Die Einheit ist eine Wertgröße. Ebensowenig aber ist es auszudenken, daß die gültigen Wesenszusammenhänge in einer unbeschreiblichen Bedeutungswelt ihr Un-Wesen treiben, damit sie nicht verloren gehen solange sich kein menschliches Bewußtsein auf sie richtet. Und doch ist z. B. die Kausalverknüpfung, mit der ich zwei Ereignisse zu einer begriffenen Einheit umschlinge, nicht etwas, das meinem subjektiven Belieben anheimgegeben wäre. Die einzige Hoffnung, die hier noch anheimgegeben wäre. Die einzige Hoffnung, die hier noch bleibt, ist die, daß sich "die Eigenart logischen Geltens irgendwie in Gott gegründet zeigt" (Gott, Seite 93), der in uns als göttliches Einheitsleben sich erschafft. So daß sich dem Menschen das in Raum und Zeit zerstückelte Universum zu einer "geistlebendigen Universalität" vollendet. (Gott, Seite 103, 105, 107).

Das untersucht die Philosophie des Ungegebenen. Ein Blick auf das Organische bringt es uns zu Bewußtsein, daß die gesamte Wirklichkeit ein ungeheurer Prozeß großen Stils ist. Aber nie kommt eine gültige Einheit aus diesem Prozeß sichtbar hervor. Wahrheiten z. B. sind aller Prozeßhaftigkeit entrückt; sie sind nicht nur heute und morgen, sondern immer und außerhalb aller Zeitlichkeit in Kraft. Denken wir uns den Wirklichkeit genannten Prozeß nach beiden Richtungen verlängert, so stehen wir mitten in der Philosophie des Ungegebenen. Der vorweltliche Zustand, aus dem der Weltprozeß hervorgeht, heißt uns gottheitlich und die nicht mehr weltliche Phase birgt das daseinüberhöhende Werterleben. Damit ist die Kluft zwischen Welt und Wert, Sein und Sinn überbrückt. Beide sind Stufen geworden in einem umfassenden Gottesprozeß. Wenn aber werthaltige Einheit in der Welt nicht zu finden ist und aber - wie es den Anschein hat - nur auf der Grundlage des Existierenden und durch dasselbe zur Geltung kommen kann, so werden wir annehmen müssen, daß die Einheit, welche alles Existierende gültig umspannen soll als dessen Wesen, in jenem vorweltlichen Zustand angelegt ist. Die Gottheit ist sowohl Weltgrund wie auch Wesensgrund.

Die erste Phase des Gottesprozesses ist die entscheidende. Wir nähern uns ihrem Verständnis vom Begriff der Einheit her. Nirgends in der Welt fanden wir die Einheit verwirklicht. Einheit ist nicht. Alle Existenz hängt an Bestimmtheiten. Jede Bestimmtheit ist die Negation jeder anderen. Durch seine Bestimmtheiten grenzt sich jegliches Existierende ab gegen anderes Existierendes. Die allumfassende Einheit darf mithin keine Bestimmtheiten haben; denn sonst würden ihr immer nur Ausschnitte des Wirklichen unterstehen. Hätte sie aber alle Bestimmtheiten, so wäre sie das Wirkliche selber. Die Einheit muß demnach gedacht werden als aller Bestimmtheiten bar. (Das Ungegebene, Seite 22, 57). Da wir aber die Einheit, wie sie vor ihrer Aktualisierung im Wahrheitsleben west, Gottheit nannten, so ist auch die Gottheit nicht durch Bestimmtheiten, in denen sich alles Endliche ausdrückt, zu fassen: die Gottheit ist ungegeben. Nur in Gleichnissen kann sich der begreifende Verstand an sie herantasten. Die Gottheit, als der Welt- und Wesensgrund zugleich, ist in der Sprache JAKOB BÖHMEs ein Ungrund; die Philosophie des Ungegebenen hat dafür noch das Bild einer stillen Wüste, die sich gleichförmig und endlos dehnt, in die "nie ein Unterschied geblickt" hat, wo die Bestimmtheiten, Abwechslung und Mannigfaltigkeit schaffen. Die Gottheit läßt sich als ein unseiendes Nichts bezeichnen, das nach einer wesentlichen Gestaltung zielt; es ist ein "zielendes Nichts" (Gott, Seite 11), das zum Selbstsein kommen möchte. Die unbewußte, schlafende Gottheit strebt, als erwachte Göttlichkeit sich selbst zu besitzen.

Der erste Versuch dazu ist ein Fehlschlag: die Gottheit, die ungegebene wesende Einheit, die nach wesenhafter Fülle strebte, ist in den Niederungen der Weltlichkeit und Endlichkeit stecken geblieben.
    "Zum Sinn lebendiger Ganzheit hatte die wesende Einheit kommen wollen. Stattdessen ist lauter gebrochenes Sein da." (Gott, Seite 11)
Das Dasein gelingt der zielenden Gottheit ohne Unterlaß, aber selten nur kommt sie als verwesentlichende Einheit zur Geltung in diesem Dasein. Die Voraussetzung dafür ist der Mensch. Er ist die Stelle im Existierenden, an der das Ungegebene allein sich Gehör verschaffen kann. Der Mensch allein ist fähig, sich der Umklammerung der Welt zu entwinden und sein Leben nach einem anderen Maß einzurichten, das er dem wesenlosen Dasein nicht entnehmen kann. Er vermag seinem Leben einen Sinn zu geben. In seiner ungegebenen Tiefe lebt die Erinnerung an das eigentliche Ziel der Gottheit und er kann "den Wunderweg der Gottheit", der im Endlichen zugeschüttet war, wieder freilegen und fortsetzen, wenn er sich innerlich aufschließt und den Forderungen der Gottheit willfährig ist. Dann gebiert sich das Absolute in seiner Seele "als weltüberlegenes Geltungs- und Werterlebnis" (Gott, Seite 10).

Den Vorwurf abzuwenden, wir seien mit obiger Darstellung in das Fahrwasser einer indiskutablen unkritischen Metaphysik geraten, überprüfen wir das Bisherige, indem wir zugleich den Anschluß an philosophisches Gemeingut suchen. Wie es unsere Hauptfrage nach der Möglichkeit wirklichkeitsdurchtränkter Geltung erfordert, sucht auch die Metaphysik des Ungegebenen eine Versöhnung zwischen Wirklichkeit und Wesen anzubahnen. Da alle anderen Wege nicht befriedigen, macht die Philosophie des Ungegebenen Welt und Wert abhängig von einem dritten, von Gott. Die zweite Voraussetzung, welche die erste für uns Heutige erleichtert und annehmbar macht, ist die, daß wir uns Gott als einen Prozeß zu denken haben. Gott ist kein Sein außer dem Sein, er ist nicht transmundan [jenseits der Welt - wp], sondern er ist überhaupt kein Sein; er wird, wenn er wird, Wesenheit. Wie aber soll Gott auch das Sein umschließen, wenn er nicht existiert und nur in Wahrheiten, sittlichen Gesinnungen und völkischer Gemeinschaftsgeistigkeit lebt? Wenn er nur ein essentielles Vorhandensein hat! Hier bewährt sich eben der dynamische Gottesbegriff: in jenem vorweltlichen und vorwesentlichen Stadium sind Mengenwirklichkeit und Wesensganzheit noch eins und ungeschieden. Das Gottesnichts ist also doppelsinnig: es bedeutet in Bezug auf die Wirklichkeit, das unentfaltete Noch-nicht-sein und in Bezug auf die Einheit sagt uns der Begriff des Gottesnichts, daß sie niemals sein kann, weil sie immer west. Dabei ist noch eine Schwierigkeit zu beheben. Die Einheit kommt sowohl am Anfang wie am Ende der Gottwerdung des Gottheitlichen vor. Worin besteht die Entwicklung, die sie durchgemacht hat? Ist die gottheitlich ungegeben wesende Einheit hernach gegeben? Sie bleibt ungebbar; aber sie, die als zielendes Nichts ungegliedert und in sich verschlossen war, ist als göttliches Einheitsleben mit Weltfülle geladen, die sie zur Einheit zwingt und sich geordnet unterwirft. Nicht umsonst wird die Einheit vor ihrer Erfüllung im und am Wirklichen ein Nichts genannt; denn damit ist es wiederum gesagt, daß wir wirklichkeitslose Geltung nicht denken können. Im gottheitlichen Nichts steckt eine tiefere Besinnung als in ontologisierten Wahrheiten ansich. Jetzt wird es auch klar, daß die wesende Einheit, die nach Selbstsein zielt, nur wenn sie sich über Existierendes ausgebreitet findet, sich selbst erfassen kann. Nur im anderen findet sie sich selbst. Die im Schoße der Gottheit lichtlos und gestaltlos wesende Einheit braucht die Welt des Existierenden, um an diesem Gegenüber ihr Selbstsein zu finden, "sich wissende" Einheit zu werden.

Obschon die Einheit niemals zu verwirklichen ist, so ist sie dennoch im Wirklichen als treibende Kraft wirksam. Und hier kann die Philosophie des Ungegebenen den uralten und immer wieder aufgegriffenen Entelechiegedanken [sich im Stoff verwirklichende Form - wp] fördern. Die Frage, wie denn die Entelechie der Schönheit es anfängt, sich in dieser Blume zu realisieren, wird geklärt durch die Lehre von den metaphysischen Spannungen. Die ungegebene Einheit ist im Bereich des Existierenden nicht ganz verloren gegangen; sie ist als metaphysische Spannung wirksam, die den Keim zur Darstellung des in ihm Angelegten treibt und die als Spannung des Restes alles Kosmische nach Ergänzung und Ausweitung streben läßt. In diesem Zusammenhang ist uns allein die dritte metaphysische Spannung wichtig, welche die akosmische Spannung heißt, weil in ihr der unerhörte Aufschwung zum Göttlichen stattfindet, der alles Existierende weit hinter sich läßt. Sie heißt auch die Spannung des Nicht, weil durch sie die menschliche Seele zur jauchzenden Verneinung alles Zeitlichen getrieben wird und weil in dem, der unter ihrem Zeichen lebt, die Göttlichkeit entsiegelt wird. Die Einheit weist nicht mehr dumpf in sich selber, sondern sie, die im zersplitterten Daseinsbereich verloren schien, ist in einem neuen Schöpfungsakt dem Dunkel entrissen worden.


2. Die Metaphysik der logischen
Geltung im besonderen.

Es bietet jetzt keine Schwierigkeiten mehr, die überindividuelle Gültigkeit unserer Wirklichkeitserkenntnisse zu verstehen. Indem der Gelehrte unbestimmte Erscheinungen auf Wahrheit buchstabiert, indem er aus dem Vielerlei der Einzelheiten einen Sinn herauszulesen sich müht, folgt er nicht der Willkür einer Laune, die nur für ihn Bedeutung hat - sondern er erfüllt eine metaphysische Mission, die seiner Tätigkeit weittragende metaphysische Bedeutung verleiht. Der Gelehrte wird zum Beauftragten der ungegebenen Einheit, die ihn als Mittel benutzt, um sich in ihm zu Göttlichkeit zu erschaffen. Wenn wir vom Eros der Wissenschaft gepackt, unsere Wahrnehmungen verwesentlichen, dann "belebt sich in unserem Denken die wesende Einheit" (Gott, Seite 106). Die "Einheit verlebendigt sich, indem sie eine ganz neue Wirklichkeitsart setzt; sie erwacht logisch und axiologisch" (Das Ungegebene, Seite 62, 63). Nur weil sich der "Lebenshauch der Göttlichkeit" darin regt, gewinnen unsere Erkenntnisse "überindividuelle Geltenskraft" (Ungegebene, Seite 64). Die Spannung des Nicht ist es, die den Forscher dazu treibt, die wahrgenommene Wirklichkeit zu negieren und sie nach den Richtlinien neu zu erbauen, die ihm die ungegebene Einheit gibt. Für den wesentlichen Menschen, den "Einheitsleber" kann die Welt des Existierenden nur "Acker und Frühlingsfeld" sein für "eine in ihr sich schaffende Überwelt", er muß alles Geschaffene gültig "überformen" (Ungegebene Seite 91, 63).

Haben wir somit die Gültigkeit der Erkenntnisse im Ungegebenen begründet, so ist jetzt nachzusehen, ob auch die Wirklichkeit dadurch nicht aus den Wahrheiten verstoßen wurde. Der Wirklichkeitsgehalt der Erkenntnis ist bereits dadurch ermöglicht worden, daß sich herausstellte, wie im Wirklichen selbst die ungegebene Einheit nach Gestaltung hungert. Denn auch im Wirklichen ist die ungegebene Einheit am Werk, ohne daß es ihr freilich je gelingt, durch die kosmischen Spannungen der Entwicklung und der Ergänzung es zu einer höheren Seinsart zu bringen, die ihr allein angemessen ist.

Eines ist noch zu klären. Als was tritt denn die Einheit allererst in unser Bewußtsein, ehe wir mit ihrer Hilfe wissenschaftliche Ganzheit in unser Weltbild bringen? "Das Ungegebene ... spielt in den Geltungs- und Überzeitlichkeitsformen" (Ungegebene Seite 53). Die Wahrheitsgesetze, die "Einheitsgesetze" des Geltens sind es, die in unser Bewußtsein ihren "idealen Glanz" werfen und unsre subjektives Denken mit ihrem Gewißheitslicht erhellen. (Ungegebene Seite 64, Gott Seite 106). Sie treten vor unser Denken als ein Spiegel der selbst ungegebenen Einheit. Aber in diesem Reflex ist noch nicht die volle Göttlichkeit aufgelebt! Erst wenn wir uns mit ganzer Hingabe nun auch in den Dienst des Ungegebenen stellen, sind wir befähigt, die Wahrnehmungswelt sinngemäß umzugestalten. Das bloß kontemplative Wissen um die ungegebene Einheit muß ein tätiges Wissen werden, dann wird aus "dem unbelebten Spiegeln" der Einheitsformen (die Wahrheitsgesetze) ein "gelebtes Gelten" (Ungegebene Seite 67).

Das gelebte Gelten bedeutet nach seiner objektiven Seite hin ein wirklichkeitsgesättigtes Gelten. Die ungegebene Gottheit mußte zwar, "um real zu werden, in eine andere Seinsart als das Existieren flüchten". Aber diese andere Seinsart kann nur aus dem "Existierenden hervorbrechen", die Gottheit muß durch die Phase der Existenz hindurch (Ungegebene Seite 58). In gültigen Wahrheiten über Wirkliches besitzen wir folglich die geläuterte Einheit von existierenden Einzelheiten und Besonderungen und ihrer geltenden Wesensganzheit. Die Entzweiung im Daseinsbereich ist überwunden und die ungeschiedene chaotische Vermischung von welthaften und werthaften Anlagen im Schoß der Gottheit ist geklärt und zwar durchsichtigen und grenzbewußten Wiedervermählung gelangt. Gottheit wurde Göttlichkeit.
LITERATUR - Robert Peschke, Das Problem der wirklichkeitserfüllten Geltung bei B. Bauch, N. Hartmann und H. Schwarz [Inauguraldissertation], Greifswald 1930