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ROBERT PESCHKE
Das Problem der
wirklichkeitserfüllten Geltung

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"Seit Kant einen neuen Blickpunkt für das Erkenntnisproblem gefunden hatte - die logische Analyse - ist über den Bemühungen, die Dignität unserer Wirklichkeitserkenntnisse außer Diskussion zu stellen, das selbstverständliche transsubjektive Sein der Erkenntnisgegenstände verloren gegangen."

"Wäre der Erkenntnisgegenstand nichts weiter als ein geordneter und logisch begründeter Vorstellungszusammenhang, so ist es überflüssig, die objektive Gültigung unserer apriorischen Erkenntnisse vom Wirklichen zu deduzieren, sondern es bliebe höchstens die intersubjektive Übereinstimmung der Vorstellungswelten metaphysisch zu begründen. Aber das ist es eben, was allen erkenntnistheoretischen Idealisten, Kritizisten und Logizisten einzusehen versagt ist, daß das wissenschaftliche Objekt nicht der ganze Gegenstand ist."


D. Nicolai Hartmanns Metaphysik
der Erkenntnis


I. Die Grundposition

1. Kritik des
erkenntnistheoretischen Idealismus

Nichts ist dem natürlichen Bewußtsein schwieriger einzusehen, als das Verfahren des erkenntnistheoretischen Idealismus, die apriorische Erkenntnis realer Gegenstände dadurch zu erklären, daß er mit seiner These von der Idealität des Erkenntnisgegenstandes alle bewußtseinsunabhängige Realität aufhebt. Aller Tiefsinn der idealistischen Spekulationen kann nicht vergessen machen, daß damit einem "deutungsfreien" Phänomen widersprochen wird, das unerbittlich zeugt gegen das Theorem, die Erkenntnis erschüfe sich erst ihren Gegenstand kraft eines "Bewußtseins überhaupt" oder eines "absoluten Ich". Seit KANT einen neuen Blickpunkt für das Erkenntnisproblem gefunden hatte - die logische Analyse - ist über den Bemühungen, die Dignität unserer Wirklichkeitserkenntnisse außer Diskussion zu stellen, das selbstverständliche transsubjektive Sein der Erkenntnisgegenstände verloren gegangen. Die wissenschaftliche Gültigkeit gewisser Erkenntnisse wurde zwar durche eine immer strenger ausgebildete Systematik der Geltungsprinzipien gesichert, aber das Erkenntnisobjekt verflüchtigte sich dabei zur Erscheinung, das reale Objekt außerhalb des Bewußtseins enthüllte sich als Fiktion. Die Wirklichkeit, das Dasein verkümmerte im Sinne der berühmten Formel BERKELEYs zu einem bloßen Bewußtsein, Erkanntsein, gleichviel ob man ein empirisches oder ein Bewußtsein überhaupt ansetzte. Das Ding-ansich spielt eine klägliche Rolle im Idealismus. Nichtsdestoweniger ist gerade die bewußtseinsunabhängige Realität oder das Wirklichsein der Erkenntnisgegenstände außerhalb der aktuellen Erkenntnisbeziehung die notwendige Voraussetzung, unter der unsere Frage nach der wirklichkeitserfüllten Geltung überhaupt erst zum Problem wird. Denn wäre der Erkenntnisgegenstand nichts weiter als ein geordneter und logisch begründeter Vorstellungszusammenhang, so ist es überflüssig, die "objektive Gültigung" unserer apriorischen Erkenntnisse vom Wirklichen zu deduzieren, sondern es bliebe höchstens die "intersubjektive Übereinstimmung der Vorstellungswelten" metaphysisch zu begründen. Aber das ist es eben, was allen erkenntnistheoretischen Idealisten, Kritizisten und Logizisten einzusehen versagt ist, daß das wissenschaftliche Objekt nicht der ganze Gegenstand ist.


2. Die metaphysischen Fundamente
der Erkenntnis

Freilich kann und soll die Erkenntnistheorie niemals herausbringen, was es mit der transzendenten Realität des Gegenstandes für eine Bewandtnis hat, wie das Ding-ansich sich metaphysisch deuten läßt, sondern ihre Aufgabe ist es lediglich, aus der Analyse der Erkenntnis, wie sie in den Einzelwissenschaften beispielsweise als Phänomen vorliegt, die Prinzipien des gültigen Wissens zu ermitteln, wonach wir "wahre" von "unwahren" Erkenntnissen zu sondern vermöchten. Denn die Erkenntnistheorie reflektiert unmittelbar nur auf das Wissen vom Sein und nicht auf das Sein selbst. Trotzdem sah sich die vorkantische Erkenntnistheorie immer wieder auf das Seinsproblem hinausgeführt: ehe man dazu kam, das Wesen apriorischer Tatsachenwahrheiten zu begründen, war die Untersuchung schon festgefahren bei der Frage, wie der "äußere" Gegenstand in das Bewußtsein hineinzubringen ist, ob vielleicht durch die Nervenröhren? Diese Schwierigkeit, die solange besteht, bis man sich idealistisch das unabweisliche Bewußtsein ausgeredet hat, der Gegenstand bleibe auch als erfaßter dem Bewußtsein jenseitig - beweist nicht, daß es sich um eine "falsch gestellte Frage handelt", sondern nur, daß die Erkenntnstheorie eine Theorie vom Seienden (die Ontologie) voraussetzt. Es muß der Wirklichkeitsbegriff festgelegt sein, ehe an die Bestimmung des Erkenntnisbegriffes herangegangen werden kann. Die Fassung des Erkenntnisbegriffs transzendental oder dialektisch entwickeln. Ist mir die Wirklichkeit eine vergängliche Nachahmung ewiger Urbilder, dann muß ich konsequenterweise die Wirklichkeitserkenntnis definieren als das Wiedererkennen jener Urbilder durch die Verunstaltungen im Bezirk des Werdens hindurch und ich habe es mir verwehrt, das Wesen der Erkenntnis naiv-realistisch im originalgetreuen, von jeder apperzeptiven Zutat möglichst freien, Abbilden des Objekts im Bewußtsein zu erblicken. Lege ich den Nachdruck darauf, daß die Wirklichkeit eingespannt ist in die ohne Aufenthalt verfließende Zeit, charakterisiere ich die Wirklichkeit als ein Panorama immer besonderer Erscheinungen von unwiederholbarer Einzigartigkeit, das in jedem Augenblick ein anderes Gesicht zeigt, an jeder Stelle Niewiederkehrendes darbietet, das, kaum gezeitigt, auch schon verflossen ist und zurückgegeben an den Rhythmus des Werdens - dann bleibt mir beinahe als einzige Möglichkeit, einen Erkenntnisbegriff zu fassen, wenn ich ihn signalisiere als das aktuelle Anhalten dieses Flutens, als das Verewigen des Zeitlichen, als ein Setzen unzeitlicher Zusammenhänge in das flüssige Durcheinander hinein, aus einer - wie schwer auch immer begründbaren - Machtvollkommenheit des Geistes, des ideierenden, Ewigkeit suchenden Geistes.

Wohin es führt, wenn die Erkenntnistheorie von sich aus ihre eigenen metyphysischen Voraussetzungen begründet, lehren die idealistischen Theorien: der Begriff eines geistfremden, bewußtseinstranszendenten Seins wird bis zur Bedeutungslosigkeit entleert (im Ding-ansich) oder gar ausgemerzt. Deshalb sucht HARTMANN in der Ontologie zunächst einen allgemeinen Begriff der Gegenständlichkeit, die wissenschaftliche Bedeutung des Wirklichseins zu erarbeiten, ehe er einen "gnoseologischen" Vorstoß in das Wesen der Erkenntnis unternimmt. Tatsächlich ist auch in allen philosophischen Systemen die erkenntnistheoretische Problematik fundiert in ontologischen Erwägungen über die Natur des Wirklichen. Durch den metaphysischen "Standpunkt" nämlich ist hier im Voraus und uneingestandenermaßen entschieden, daß das ontologische Wesen des Erkenntnisgegenstandes sowohl als auch des erkennenden Subjekts z. B. materialistisch zu verstehen ist, wonach sich nunmehr im Sinn dieses Beispiels die Erkenntnis mit verblüffender Einfachheit als Sektretion des Gehirns erklärt, um im Geiste CARL VOGTs zu sprechen. Die Ontologie unseres Autors hingegen macht den Versuch, ohne eine standpunktliche Bindung, die metaphysischen Fundamente der Erkenntnis zu behandeln, d. h. sich nur einzulassen auf die Metaphysik, die vom Problem gefordert wird.


II. Die Lehre vom Erkenntnisgegenstand
[Ontologie]


1. Vom realen Ansichsein

Das unbedenkliche "Minimum an Hypothese", zu dem sich die Ontologie entschließt, besteht in der Anerkennung des Ansichseins der Objekte, womit gesagt sein soll, daß die Welt der realen Objekte unabhängig von den Gedanken besteht, in denen sie erkannt wird, daß der Erkenntnisgegenstand nicht - HARTMANN gebraucht hier gern ALEXANDER PFÄNDERs prägnante Wendung - "von Gnaden des Aktes" besteht. Es ließe sich umgekehrt der Sachverhalt vielmehr so formulieren: der Erkenntnisakt besteht von Gnaden des Gegenstandes, d. h. unsere Erkenntnisakte wären bedeutungslos, sie griffen ins Leere, wenn ihnen nicht ansichbestehende Gegenstände zur Verfügung wären, die sie erfassen könnten. "Erkenntnis ist überhaupt nur das Erfassen eines Ansichseienden, nicht aber die Intention von Gebilden, die durch die Intention erst erschaffen werden", wie etwa Phantasiegebilde, künstlerische Konzeptionen, Ideale. "Daß die Anerkennung eines Ansichseienden als solchen keine Überschreitung der Erkenntniskompetenz ist, dafür erbringt die diesseits des Transzendenzproblems stehende Logik den unumstößlichen Beweis." Denn den idealen Gebilden der logischen Sphäre billigt man ein ideales Ansichsein schon längst zu, indem man die übersubjektive Geltung beispielsweise einer mathematischen Wahrheit erläutert mit dem Hinweis auf ihre Gleichgültigkeit gegen jegliches Erkanntwerden.
    "Besteht aber die Möglichkeit, so ein ideales Ansichsein anzuerkennen, ohne die Erkenntniskompetenz zu überschreiten, warum sollte da ein ontologisch reales Ansichsein nicht ebenso prinzipiell anerkennbar sein?"
Auch das reale Sein ist vollkommen gleichgültig gegen das Erkanntwerden. Der Gegenstand wird dadurch, daß ich ihn erkenne, nicht verändert; er wird nicht ärmer noch reicher; er bleibt was er ist, ob ich um seine Existenz weiß oder nicht. Er hört außerhalb der Erkenntnisrelation lediglich auf, Objekt zu sein, das ist alles; denn "das Objekt ist nur für ein Subjekt Objekt." Ebenso hat aber auch das Subjekt ein Ansichsein außerhalb der Erkenntnisbeziehung. Es ist mehr als erkennendes Subjekt. Es steckt ein ganze Mensch dahinter, der fühlt, erlebt und handelt. Auch das Subjekt geht also nicht in der Erkenntnisrelation auf; es läßt sich aus dieser Beziehung unbeschädigt herausnehmen.
    "Subjekt und Objekt gewinnen durch diese ihre Selbständigkeit einen gemeinsamen Grundzug, der sie verbindet - das Sein. Sie stehen einander als seiende gegenüber, die nicht im Sein der Erkenntnisrelation aufgehen, sondern noch in weiteren Seinsrelationen wurzen, welche bestehen bleiben, auch wenn man die Erkenntnisrelation als aufgehoben denkt. Subjekt und Objekt stehen einander also als Glieder eines Seinszusammenhangs gegenüber, sie gehören zu einer realen Welt in der alles Koexistierende in mannigfachen aktuellen Beziehungen steht, sich mannigfach bedingt und bestimmt."
Die These der Ontologie, in welcher das Minimum an Metaphysik niedergelegt ist, lautet deshalb:
    "Es gibt ein reales Sein außerhalb des Bewußtseins, außerhalb der logischen Sphäre und der Grenzen der ratio; die Objekterkenntnis hat Beziehung zu diesem Seienden und gibt ein Stück von ihm wieder, wie sehr auch immer die Möglichkeit dieser Wiedergabe unbegreifbar sein sollte. Aber das Erkenntnisbild deckt sich nicht mit dem Seienden, es ist weder vollständig (adäquat) noch dem Seienden ähnlich."

2. Der ontologische Aufbau des
Erkenntnisgegenstandes

Als wir bemüht waren, das Sein der Erkenntnis ontologisch zu verstehen, erklärte es sich uns durch die Einbettung in zahllose Seinsrelationen, die ohnehin zwischen Subjekt und Objekt obwalten, durch die "Seinsimmanenz des Denkens". Das Erkennen ist nicht der einzige Zugang, den wir zur Wirklichkeit haben. Wir stehen noch auf mancherlei andere Weise mit der Welt (als dem Inbegriff realer Objekte) in Verbindung: wir sind kosmisch, physikalisch, biologisch usw. auf die Wirklichkeit bezogen. Von sich aus baut der Mensch zur Welt eine neue Brücke - im Erkennen. Für den Menschen dient die Wirklichkeit nicht nur als Gegenstand seiner Begierden und Triebe, seiner Furcht, seiner Sehnsucht oder seiner Verehrung, sondern er läßt sie sich auch als - Denkgegenstand dienen. In dieser unerhörten Ausnahmestellung, die der Mensch einnehmen kann, steht für ihn die Wirklichkeit mit einem Schlag verändert da: sie ist ihm objiziert.
    "Die Einzigartigkeit des Subjekts inmitten der übrigen Seinsgebilde bringt die letzteren ihm gegenüber in eine entsprechend einzigartige Lage: ihm gegenüber wird das übrige Sein zum Objekt."
Es läßt sich jedoch noch ein weiteres ontologisch über die Erkenntnis ausmachen: blicken wir vom Standort der Ontologie auf das Erkenntnisphänomen, so stellt es sich klar heraus, daß unser rationales Erkennen sich die Wirklichkeit nur zu einem kleinen Teil objizieren kann, daß die ratio von der Wirklichkeit nur Fragmente zu fassen bekommt. Um das Subjekt herum legt sich dadurch eine "Objektionsgrenze", die den "Hof der Objekte" einschließt, welcher bis zu einer anderen Grenze hin vergrößert werden kann - durch den Fortschritt unserer Erkenntnis. Beobachte ich mit bloßem Auge ein chemisches Präparat, so habe ich es damit objiziert, in den Hof meiner Objekte einbezogen; beobachte ich dasselbe Präparat nunmehr mit Benutzung technischer Hilfsmittel (Mikroskop, Polarisator, Spektralanalyse) so verwehre ich folglich meine Kenntnis davon und verschiebe die Objektionsgrenze nach außen und stecke mir ein neues Stück des zuvor Unobjizierten, "Transsubjektiven" als nunmehr objiziert und zum Bereich meines Wissens gehörig als mein neu erworbenes geistiges Eigentum ab. Würde ich aber meine Erkenntnis auf das Wesen der Materie richten, so stieße ich alsbald auf die unüberwindbare "Grenze der Rationalität" [edubois], hinter der der Bereich des Transintelligiblen oder Irrationalen sich befindet und die nach innen hin den Bezirk der "möglichen Erfahrung" abschneidet. Das Erkannte (Objizierte), das noch Unerkannte aber Erkennbare (Transobjektive) und das Unerkennbare (Transintelligible oder Irrationale) sind die Schichten des, wohlgemerkt, in seiner Gänze transzendenten Gegenstandes. Um die Analogie mit KANT herzustellen, die HARTMANN allenthalben durchführt, muß man sich vorstellen, daß der Hof der Objekte die "Erscheinungswelt" einschließt, während das Transintelligible oder Irrationale dem "Ding ansich" gleichzuachten ist. Aber - "Ding ansich" und Erscheinung sind homogen geworden, sie tragen den gleichen Seinstypus, den sie auch mit dem empirischen Subjekt teilen". Bei KANT hingegen bleibt es unverständlich, "wie das Objekt in seiner Verlängerung ansich sein kann, während es in seinem gegebenen Teil Erscheinung ist."

Es genügt noch nicht, daß wir dem Irrationalen auf Seiten der zu erkennenden Wirklichkeit (dem Objiziendum) einen Platz angewiesen haben, wir müssen ihm auch innerhalb des Subjektiven eine Stätte einräumen. Seit der Mensch nicht mehr achtlos an sich vorüberging und auch "vor sich selbst Bewunderung hatte" (AUGUSTIN), erkannte er sich auf einer Irrfahrt begriffen durch eine Labyrinth von Eindrücken und Traumbildern, die sich im Wachtraum unentwirrbar verwischen, er sah sich gegen seinen Willen und sein "besseres" Wissen umhergetrieben von tatenlosem Trübsinn und jäher Laune.
    "Im Bewußtsein selbst eröffnen sich ganze Gebiet des Irrationalen ... Das aller Willkür und allem Verstehen spottende Kommen und Gehen der Vorstellungen, der Gedanken doer gar erst der Stimmungen und Gefühle läßt einen komplexen durchgehenden Zusammenhang ahnen, von dem der eindringenden Analyse immer nur einzelne Fäden faßbar werden." und

    "je tiefer die Erkenntnis in das Subjekt eindringt, umso mehr muß sie sich überzeugen, daß gerade hier in dem, was ihr der Sphäre nach am nächsten liegt, die tiefsten und unüberwindlichsten Irrationalitäten liegen, und daß folglich das Subjekt als seiendes Ganzes nicht entfernt in dem aufgeht, was von ihm dem Bewußtsein als objektiver Inhalt erfaßbar wird."
Indem wir im transzendenten Gegenstand eine unrückführbar irrationale Schicht aufzeigten, haben wir die "unglaubhafte" Behauptung entkräftet, "alles Wirkliche sei vernünftig" und es wird überdies sogar wahrscheinlich, daß der "ontologische Schwerpunkt" des Gegenstandes im irrationalen Restbestand liegt, daß sich ein unbeträchtliches Stück nur der Wirklichkeit dem menschlichen Begreifen erschließt.
    "Damit verschiebt sich das Problembild des Gegenstandes selbst ... Das Erkennbare an ihm steht als ein endlicher Ausschnitt aus ihm da, eine uns zufällig zugekehrte Außenseite. Seine Innenseite bleibt und abgekehrt. Der unerkannte Rest verliert den Charakter der zu vernachlässigenden Größe. Es ist ein unendlicher Rest demgegenüber umgekehrt das Erkannte zum verschwindenden Bruchteil wird."
Abschließend kann die ontologische Betrachtung als ihr Ergebnis buchen das Gegenstandsproblem klar gestellt zu haben. "Die Sphäre des Erscheinenden gehört unmittelbar der des Ansichseienden an", sie ist ein Ausschnitt daraus. Das "Noumenon ist im positiven Verstand gewürdigt". Das Noumenon ist positiv der unendliche Gegenstand, insofern er in seiner transobjektiven Schicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung ist und erst recht in seiner irrationalen Schicht, die ewig unerfahrbar bleibt. In allen Seinen Schichten, auch im Bereich des Objizierten, der Erscheinungswelt, der wirklichen Erfahrung ist der Gegenstand ein "Ding-ansich" zu nennen, das bewußtseinstranszendent besteht. Das Noumenon ist keine unendliche Aufgabe, sondern ein unendlicher Gegenstand. Einer "Analytik des Seins" blieb es vorbehalten, das zu leisten, was die Analytik des Verstandes nicht vermochte, das Wirklichsein in seinem Aufbau zu deuten. Abgesehen von der These, daß unsere Erkenntnis das transzendente Objekt "adäquat" abbhildet, konnte das naiv-realistische Weltbild gerechtfertigt werden durch die "Umkehrung der kopernikanischen Tat Kants", durch die "Dezentralisierung des Weltbildes". Das Sein als das umfangreiche Gebiet nahm die Erkenntnis in sich auf, die Vernunft zeigte sich "in ein größeres System eingebettet, das sich nicht nach ihr richtet."


3. Phänomenologie der Erkenntnis

Nachdem die Realität der Erkenntnisgegenstände metaphysisch gesichert ist, können wir jetzt - noch immer im Rahmen der Ontologie und von ihrem Boden aus - das Erkenntnisphänomen für sich ins Auge fassen. Es muß nach den obigen seinstheoretischen Erörterungen die Erkenntnis beschrieben werden als ein Eingreifen des Objekts durch das Subjekt und zwar über das Medium einer Repräsentation hinweg, welcher das Repräsentierte transzendent bleibt. Es handelt sich - wie erinnerlich - um das Erfassen eines transzendenten Gegensatndes und nicht eines transzendentalen. Der Erkenntisgegenstand ist kein Machwerk eines Bewußtseins überhaupt, der nur für das Einzelbewußtsein eine empirische Realität hätte. Vielmehr ist alle Wirklichkeitserkenntnis, die unseren Wissenskreis erweitert, ein Vorschieben der Objektionsgrenze in den transobjektiven Bezirk hinein. Das Ding-ansich ist "der Erkenntnisgegenstand selbst, sofern er nämlich als Ganzes gemeint ist, aber nur als Bruchstück erfaßt wird".

Wie jedoch die Repräsentation möglich ist, das bleibt tief irrational. Wenn man aber dem Gegenstand ein bewußtseintranszendentes Sein zuerkennt, wenn man ihn mehr sein läßt als gesetzlich geordnete Vorstellungszusammenhänge, wozu die unvereingenommene Deskription des Erkenntnisphänomens verpflichtet - dann ist der Gedanke der Repräsentation unvermeidlich. Der Erkenntnisvorgang ist eben zweischichtig. Die Erkenntnis erfaßt nicht unmittelbar Dinge, sondern gehabte Eindrücke von ihnen. Wenn wir auch nicht annehmen wollen, daß in den Repräsentationen den erfassenden Akten die Bestimmtheiten des Gegenstandes so "wie sie ansich sind" dargeboten werden, so werden wir annehmen müssen, daß die "Symbolisierung" der Gegenstandsbestimmtheiten in Vorstellungen, Abbildern oder Repräsentationen nach einem "ganz festen, für alle Fälle identischen Gesetz des Umsatzes" erfolgt. Daß dieser "positive identische Modulus des Umsatzes" "nicht aufzuweisen ist", liegt daran, daß dieser Prozeß tief irrational ist.


4. Projektive Begriffsbildung
der Ontologie

Gegen die Möglichkeit einer Ontologie, wie sie hier im Grundriß dargestellt wurde, dürfte von logizistischer Seite folgender Einwand zu erwarten sein: Nichts soll widerspruchsvoller sein als unser Vorhaben, den wirklichen Gegenstand beschreiben zu wollen, wie er außerhalb seines Erkanntsein beschaffen ist. Denn mit meiner Beschreibung hätte ich ihn eben erkannt. Beschreibe ich nun gar die "seiende Sache, sofern sie unabhängig von aller Erkennbarkeit dasteht", beschreibe ich das Ding ansich als irrational und unerkennbar, so wird die Paradoxie noch krasser; denn ich hätte mir damit ein Wissen um Unwißbares zugemutet. Der Einwand enthält die Voraussetzung, daß alles Gehabte auch erfaßt ist. Das ist aber bei weitem nicht der Fall. Wie uns das Irrationale im Subjekt lehrte, habe ich mancherlei, was mir zu erfassen versagt ist, was ich mir nicht bewußt machen kann, was jeder weiß, der sich in psychologischer Selbstbeobachtung geschult hat. Dies einmal zugestanden, wird man sich nicht der Folgerung verschließen können, daß ich den Gegenstand, wie er sich mir außerhalb der Erkenntnisrelation darstellt, beschreiben kann, indem ich ja nur darauf erinnernd zu reflektieren brauche, wie ich ihn in erkenntnisfernen Relationen habe. Ebenso ist an der Erkenntnis des Dings-ansich gar nichts Wunderbares; denn schon die Erkenntnis der Erscheinung ist ja nicht so sehr die Erkenntnis eines Bewußtseinsinhaltes, als die Intention des damit bezeichneten "denkfremden" bewußtseinsfremden Gegenstandes. Die Ontologie arbeitet nun mit der auf einer Intention des Denkfremden beruhenden "projektiven Begriffsbildung", welche wir uns als ein begriffliches "Sich-hinaus-Tasten" des Bewußtseins vorzustellen haben: wenn mir im Reich des Objizierten (Erscheinungswelt) eine Reihe gegeben ist, so kann ich sie mir in den Bezirk des Transobjektiven hinein fortgesetzt denken. Wenn ich mir eine Strecke einteile, dann kann ich mir die Teilungen bis zu einem bestimmten Grad objizieren; darüber hinaus aber kann ich die Intervalle im Transobjektiven hypothetisch immer keiner werdend denken. Die positiven Wissenschaften sind voll von Beispielen hypothetischer Begriffsbildung.
    "Die ratio ist in einer ähnlichen Lage wie der Astronom, der gleichfalls aus minimalen Gegebenheiten die Einbettung der Erde in den Kosmos zu ermitteln sucht und dazu auf das gleiche Projektionsverfahren angewiesen ist. Und sie unterliegt denselben Gefahren wie er. Wie dieser sich versucht sieht, die kosmischen Körper und Bewegungen auf die Erde als ruhenden Zentralkörper zu beziehen, so sieht sich der an die ratio gebunden Philosoph versucht, das Sein auf die ratio zu beziehen, an sie zu binden, durch sie bedingt, ja als ihr immanent zu denken. Und wie den Astronomen die nicht in seinem Weltbild aufgehenden Phänomene des Himmels aus seinem Wahn reißen, so den Philosophen die nicht in seinem verkürzten System aufgehenden Seinsprobleme."

III. Das gnoseologisch Problem

Von der Grundlage der ontologischen Analyse des Erkenntnisgegenstandes aus kann nunmehr das eigentliche Erkenntnisproblem aufgerollt werden. In der Terminologie HARTMANNs heißt diese Fragestellung "gnoseologisch", d. h. erkenntnistheoretisch in einem engeren Sinn, weil aus der Erkenntnistheorie die sonst auch darin enthaltene Gegenstandsfrage herausgenommen wurde und einer besonderen Disziplin, der Ontologie überwiesen wurde. Bisher haben wir, den Gedanken HARTMANNs folgend, bei der Behandlung unserer durchgehenden Frage nach den Gründen gültiger Seinserkenntnis, den Nachdruck auf das Sein gelegt und uns bemüht, uns das Wesen des Gegenstandes möglichst genau zu vergegenwärtigen, um dagegen gefeit zu sein, daß er sich in unserem Nachdenken dem System zuliebe wandelt. Nachdem uns also das Wesen des Gegenstandes unumstößlich feststeht, gehen wir daran, zu untersuchen, was die Erkenntnis aus ihm macht, wie sie sich mit ihm abzufinden weiß.


1. Der Erkenntnisprozeß

Gegenüber allen idealistischen Theorien, die vom ursprünglichen Dualismus von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt ausgehen und bei der Verbindung beider zumeist die Wirklichkeit um ihren Sinn bringen - haben wir den Vorteil von der ursprünglichen Seinsverknüpfung beider ausgehen zu können (laut der These vom metapysischen Minimum). Es ist lediglich unsere Aufgabe, herauszubringen, was das Eigentümliche und Neue ander Erkenntnisverknüpfung ist. Wie legen der Untersuchung keine fertigen Erkenntnisse, sondern - echt gnoseologisch - die aktuelle Erkenntnisrelation zugrunde, den Erkenntnisprozeß. An diesem aktuellen (unzeitlichen) Fortschreiten der Erkenntnis über den bekannten Bestand hinaus ist es auch am deutlichsten zu sehen, daß wir es hier mit einer bisher nicht beachteten Seite des Erkenntnisproblems zu tun haben, die weder von der Psychologie noch von der Logik behandelt werden kann: die Erkenntnispsychologie hat es mit dem Erkenntnisprozeß zu tun und die Logik beachtet den Erkenntnisgehalt. Die Logik nimmt den Standpunt der "idealen Wissenschaft" oder der "absoluten Vernunft" ein und die Gnoseologie den den "wirklich erkennenden Subjekts". Aller Erkenntnisprozeß geht hervor aus einem Problembewußtsein, dem Wissen des Nichtwissens, dem wir uns daher zunächst zuwenden. Der Gegenstand meiner Erkenntnis sei ein Homonym [dasselbe Wort aber verschiedene Bedeutungen - wp], das ich in dem bekannten Gesellschaftsspiel erraten soll, beispielsweise: "Hahn". Durch meine Fragen objiziere ich mir, daß der mir unbekannte begriffliche Gegenstand einerseits eine Vorrichtung bezeichnet, die zum Regulieren der Wasserleitung dient, andererseits erfahre ich, daß dieser Name ein Haustier deckt und daß auch drittens ein Teil der Flinte darunter verstanden werden kann. Die gnoseologische Situation, in der ich mich jetzt befinde, ist die des Problembewußtseins. Ich weiß, daß im objizierten Teil meines Gegenstandes ein Moment steck, das mein Nichtwissen in Wissen verwandeln würde. Dabei habe ich aber nur ein negatives Wissen davon: ich weiß, daß der gesuchte Begriff nicht "Gummischeibe" auch nicht "Ente", noch "Kolben" ist, weil diese immer nur auf einen Teil des Objizierten zutreffen würden. Dieses negative Moment ist das Hauptkennzeichen aller projetiven Begriffsbildung. HARTMANN weist darauf hin, daß die meisten philosophischen Grundbegriffe zuerst negativ bestimmt waren: a-peizon, a-tomon, a-kineton, ir-rational etc. Schlägt nun dieses negative Wissen in positives um, so wird dadurch meine bisherige Kenntnis des Gegenstandes nicht falsch. Das Problembewußtsein ist ein Bewußtsein der Inadäquathei meiner Erkenntnis. Das Problembewußtsein beweist - was wir ohnehin aus der Ontologie wußten - daß unsere Erkenntnis immer nur ein partiales Erfassen des Gegenstandes bedeutet. Der Punkt, auf den hierbei alles ankommt, ist das "Bewußtsein des Transobjektiven, das für jeden Erkenntnisfortschritt die Grundlage bedeutet, und das sich als ein "apriorisches, antizipierendes Vorwissen" beschreiben läßt. Das wäre für die idealistische Erkenntnistheorie abermals ein Unbegriff; denn es bedeutete ein Bewußtsein des Ungewußten, das nur verständlich ist bei der Unterscheidung von "Haben" und "Wissen".
    "Gibt es kein Bewußtsein des Transobjektiven, so kann das Subjekt das Erkannte für das Seiende schlechthin halten und sich bei ihm beruhigen. Gibt es aber ein Bewußtsein des Transobjektiven, so ist diese Beschränkung unmöglich. Mit dem Schwergewicht des Gegenstandes fällt dann zugleich das des Erkenntnisinteresses ins Transobjektive. Dadurch wird die Erkenntnisrelation selbst über das Erkannte hinaus an das Transobjektive gebunden und erhält jenen Charakter der Unrast und Unfertigkeit, der eben für alles menschliche Erkennen bezeichnend ist."
Die Inadäquatheit braucht nicht mit Unwahrheit identisch zu sein; denn "wahre Erkenntnis kann sehr wohl unzureichend sein", wie eben alle Erkenntnis nur ein bruchstückweises Erfassen des Gegenstandes ist". Wenn also unser bloß negatives Wissen, weie es sich in den negativen Begriffen ausdrückt, sich emporgerungen hat zu einer positiven Setzung, wenn also das Problembewußtsein, das Bewußtsein der Inadäquatheit aufgehoben ist und Platz gemacht hat einer vollständigeren Adäquation - dann hat unser Erkennen einen Fortschritt zu verzeichnen.


2. Die kategoriale Grundrelation

Richtet man die Frage nach der Möglichkeit und dem Wesen gültiger Seinserkenntnis nach der gnoseologischen Problematik ein, so würde sie lauten: wie können wir im antizipierenden Wissen des Nichtwissens mittels projektiver Begriffsbildung Einsichten gewinnen, die auch für den Gegenstand Gültigkeit haben? Dieses apriorische Wissen um Gegenstände hat für HARTMANN "transzendente Apriorität" zum Unterschied von der Apriorität der Vermutung und des Vorurteils. Die Apriorität ist also
    "keine spezifische Sache des Denkens, sie ist ein inneres Erfassen von Sachverhalten, das unmittelbare Gewißheit zeigt und Anspruch auf Allgemeinheit und Notwendigkeit erhebt".

    "Die Urform aller apriorischen Erkenntnis, auch die der transzendent-apriorischen ist vielmehr ein inneres Erfassen, Erschauen oder objektiv ausgedrückt, die Evidenz eines ansichseienden Sachverhalts."
Was ist es, das diesen apriorischen Erkenntnissen eine gegenständliche Gültigkeit verleiht, da sie doch gerade unter Absehen von aller Gegenständlichkeit und Gegebenheit gewonnen wurden? Zunächst sind unsere Grundbegriffe, in denen wir das Wesen einer Seinsweise (z. B. der ästhetischen) zu fassen versuchen, intendierte Positionen, "Wagnisse des Denkens". Sie wären sofort sanktioniert, wenn ihnen im Stein gewisse "Gegenglieder" entsprächen, wenn meine Kategorienerkenntnis sich stützen kann auf eine Entsprechung zwischen Seinskategorien und Erkenntniskategorien (1). Besteht ein solches Verhältnis das des genaueren als ein Verhältnis "partialer Identität" beschrieben wird, besteht diese kategoriale Grundrelation" - dann läßt es sich einsehen, wie das Subjekt, indem es sich der Erkenntniskategorien bemächtigt, sie innerich schaut, zugleich das Wesen des Gegenstandes objektiv gültig erkannt hat; denn die Subjektprinzipien sind ja identisch mit den Prinzipien des Objekts.

Aber die Identität ist nur partial; es gibt Gebiete des Seienden zu deren Erkenntnis die Erkenntniskategorien nicht geeignet sind, wodurch die "Reichweite des Denkens im Sein" beschränkt wird. Die These von der partialen Identität der Seins- und Erkenntniskategorien rechtfertigt mithin, daß es gültige Objekterkenntnis geben kann. Aber woran erkennen wir die Gültigkeit? Was zeigt uns an, ob sich das Denken nicht vielleicht zu weit hinausgewagt hat in irrationale Schichten hinein? Ein Standpunkt, der ein reales Ansichsein anerkennt, kann sich mit einem immanenten Kriterium, wie etwa der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit nicht begnügen. Solange uns ein Kriterium fehlt, ist für uns auch die sicherste objektiv gültige Erkenntnis belanglos, weil wir keine Einsicht in ihre Gültigkeit haben. Das Wahrheitsbewußtsein wird wichtiger als die Wahrheit, das Gültigkeitsbewußtsein ist bedeutsamer als die Gültigkeit. Wenn schon die apriorische Erkenntnis, die der aposteriorischen vorauseilt, eine objektiv gültige Erkenntnis erobert hat, so sind wir dieser Gültigkeit doch erst versichert, wenn wir sie aposteriorisch kontrolliert haben. Nur soweit die aposteriorische Probe auf das apriorische Exempel möglich ist, erstreckt sich der "legitime" Gebrauch der Kategorien. Wenn aber alle ontologischen Bedingungen der Erkenntnis" erfüllt sind, dann gilt das "a priori Erkannte nicht nur für das Objizierte, sondern auch für das Transobjektive am Gegenstand."

Eines sei am Schluß noch bemerkt: die Wahrheit ist für diesen Standpunkt, kein idealer Gegenstand, sondern eine "von mehreren Bedeutungen des Begriffs - Erkenntnis -", nämlich richtige oder gültige Erkenntnis. "Wahrheit ist ausschließlich Sache der Erkenntnis."
    "Wahrheit hat zwar einen ontologischen Sinn, weil sie in Beziehung auf die seiende Sache besteht, aber sie ist als solche keine ontologische, sondern eine rein gnoseologische Angelegenheit. Nicht die Sache selbst, sondern nur die Erkenntnis der Sache kann wahr oder unwahr sein. Die Sache, bzw. der Sachverhalt, kann nur wirklich oder unwirklich sein. Sie besteht unabhängig von Wahrheit und Unwahrheit und gleichgültig gegen sie, wie sie auch gleichgültig dagegen besteht, ob sie erkannt wird oder nicht. Erkenntnis und Wahrheit sind aber ihrerseits nicht gleichgülig gegen die Wirklichkeit. Das Wahrheitsproblem ist deswegen sowenig ontologisch in seinem Kern wie logisch oder psychologisch, sondern ausschließlich gnoseologisch."

E. Überleitende Kritik

Das Studium der Lösungsversuche von BAUCH und HARTMANN ermöglicht es uns, unser Hauptproblem mit aller Bestimmtheit und Schärfe zu präzisieren. Wir gehen wiederumg aus dem Verhältnis der Philosophie zu den Einzelwissenschaften. Die geisteswissenschaftlichen Sonderdisziplinen (Pädagogik, Soziologie, Ästhetik usw.) bringen es allesamt nur zu widerruflichen Einsichten, zu vorläufigen Erkenntnissen. Das liegt an ihrem einzelwissenschaftlichen Charakter. Sie bleiben in engster Fühlungnahme mit den besonderen Objekten, beschreiben sie und suchen durch Induktion allgemeine Zusammenhänge zu ermitteln. Allein diese Erkenntnisse haben nur den Wert von Vermutungen und es könnte ja selbst die höchste Wahrscheinlichkeit der philosophischen Denkungsart nicht genügen. Wenn nach der "Methode der Übereinstimmung" induktiv erschlossen wurde, daß sich die soziologischen Gebilde einer religiösen Sekte, einer politischen Partei und einer Zusammenrottung auf der Straße gleichmäßig durch eine "Massenseele" erklären, so zeigt es sich, daß die Ergebnisse der Induktion geradezu als Hypothese anzusprechen sind oder aber daß dem induktiven Verfahren eine Hypothese bereits vorausliegt, wie es in der Psychologie der Fall ist, wo die psychologische Gleichartigkeit der einzelnen Subjekte angenommen werden muß.

An diesem Punkt setzt die philosophische Überlegung ein. Das Wesen der soziologischen Gebilde, wie es induktiv in Form einer Hypothese erkannt wurde, ist der Gegenstand der Philosophie. Sie hat hier wie überall zu prüfen, zu rechtfertigen, zu begründen und vielleicht aus einer einheitlichen Stellungnahme alle Sonderdisziplinen zu begründen. Sie führt die Hypothesen über in selbstgewisse Thesen durch Reduktion z. B. auf den philosophischen Kernbegriff des "Urgeistes". So daß sich, wie es in der "Philosophie der Erziehung" bei ERNST KRIECK geschieht, die Massenseele oder der Geist der Gemeinschaft als eine Erscheinungsform des Urgeistes begreifen läßt. Durch die Zurückführung auf den archimedischen Punkt des Urgeistes wäre mit einem Schlag Sicherheit und Notwendigkeit in unsere bloßen Vermutungen gebracht. Was vorher Hypothese war (die Annahme einer Massenseele) wäre nun metaphysisch gerechtfertigt und begründet. Die Tatsachenwahrheiten der Einzelwissenschaften hätten den erwünschten Charakter der Notwendigkeit und Unumstößlichkeit erlangt. Die Erkenntnis des Besonderen wären in den Adelsstand der unbedingten Gültigkeit, der Apriorität erhoben. Die Einzelwissenschaften, die der Philosophie ihre Hypothesen als Wahrscheinlichkeitsurteile übergeben, bekommen sie von der Philosophie als metaphysisch gerechtfertigtes Prinzip der Grundlegung zurück.
    "Hypothese bedeutet ... Grundlegung. Als hypothetisch stellt sich ein Ansatz dar, nicht weil er unbegründet ist, sondern weil er selbst den Anspruch darauf erhebt, Begründung zu sein." [Hönigswald, Philosophie von der Renaissance bis Kant, Berlin/Leipzig 1923, Seite 29]
Noch zugespitzter ließe sich sagen: das Besondere, was die praktische Wissenschaft von der Wirklichkeit abliest, läßt sich nunmehr deduktiv ableiten.

Somit kommt alles auf die Metaphysik an, die man zugrunde legt und die das positiv Gewußte systematisch rechtfertigen soll. Es ist doch nicht so, daß her der philosophischen Renaissance keine Grenzen gesteckt wären, und daß hier jeder seiner weltanschaulichen Stimmung entsprechend verfahren darf, solange es ihm darauf ankommt, seiner Theorie den Charakter zwingender Verbindlichkeit zu gewährleisten. Das erkenntnistheoretische Problem, wie sich Besonderes, Wirkliches als notwendig begreifen läßt, lautet in metaphysischer Fassung: welche höheren Autoritäten als unser subjektives Denen haben wir zur Verfügung, um darin die einzelnen Einsichten zu verankern? Kraft welcher Objektivität können wir vermutete hypothetische Zusammenhänge (wie sie in Tatsachenwahrheiten aufgefaßt werden) verwandeln in notwendige zusammenhänge? Welche metahysische Realität entreißt unsere Wirklichkeitserkenntnisse ihrer Subjektivität? Zwei Denkansätze sind es, die immer wiederkehren: einmal verankert man die menschliche Erkenntnis in einem übersubjektiven Erkennen höheren Rangs, das unser menschliches Erkennen gängelt, oder zweitens, man bezieht die menschlichen Erkenntnisse auf fertige Gedanken ansich, auf ideale Erkenntnisse höheren Ranges. BAUCH suchte die Grundlagen, die unsere Wirklichkeitserkenntnis gültig machen, aus einer Sphäre des "objektiven Denkens" zu gewinnen. HARTMANN freilich nahm eine vermittelnde Stellung ein: einmal ist ihm die Wirklichkeit die Gültigkeitsinstanz für die Wahrheit; denn Wahrheit, welche mit richtiger Erkenntnis zusammenfällt, besteht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Dann aber läßt er der Übereinstimmung von Erkenntnisgebilde und Gegenstand eine Übereinstimmung von Erkenntnisgebilde und Gegenstand eine Übereinstimmung (partiale Identität) von Erkenntniskategorien und Seinskategorien entsprechen. Es wird damit eine Verbindung von naivem Realismus und idealistischen Gedankengängen angebahnt. (Im Sinne HARTMANNs wäre freilich der Terminus "idealistisch" hier zu vermeiden. Er hält die "Gedanken des Apriorismus und der Selbständigkeit der logischen Sphäre" für "philosophisches Gemeingut" das endlich aus der idealistischen Umklammerung befreit werden sollte.

Unter Absehen von den standpunktlichen Besonderheiten wird man die landäufige Meinung dahingehend zusammenfassen dürfen: Wir können notwendige Einsichten in das Besondere gewinnen, weil im Besonderen, Wirklichen ein verborgenes allgemeines identisches Wesen angenommen werden muß. Das Besondere hat Sinn. Es dient zur Darstellung einer ewigen Bedeutung: Wenn dieser besondere Mensch an diesem zufälligen Ort mit einer entsprechenden Bewegung die Hände faltet, so hat dieses besondere wirkliche Ereignis den allgemeinen ewigen Sinn des Betens. In Monarchie, Republik und Oligarchie ist, so verschieden diese Erscheinungsformen sein mögen, dennoch die ewige Idee des Staates verwirklicht. Schließlich: wir begreifen die verschiedenen Stücke einer Münzsammlung als Münzen und nicht als Metallscheiben nur unter dem Hinblick auf einen ewigen Wert. Ob es sich um eine Idee, einen Sinn oder Wert handelt - immer ist ein Dualismus hergestellt zwischen dem Reich des Wesens und der Wirklichkeit. Einerlei ob dieses Wesensrich nun in Analogie zur empirischen Wirklichkeit gedacht wird als ein Übersein oder ob man es ablehnt, von einem "höheren Sein" zu sprechen - in beiden Fällen hat man das Wesen verselbständigt zu einem reinen Wesen. Das Wesen, die sinnhafte und werthafte Einheit hat aber weder ein Für-sich-Sein nochein Für-sich-Gelten. Weder die Vorstellung eines selbständigen isolierten (d. h. wirklichkeitslosen) seienden Reiches noch die Vorstellung eines selbständigen isolierten (d. h. wirklichkeitslosen) gültigen Systems der Ideen oder Werte läßt sich halten. Man kann die Objektivität nicht herstellen durch ein Absolutum außerhalb und jenseits der bedingten Wirklichkeit. Man tut der Wahrheit einen schlechten Dienst, wenn man sie sich in weiter Ferner gleichsam vor dem Bewußtsein denkt. Sie wird durch die Verbannung aus der Wirklichkeit keinesfalls, wie man hoffte, reiner ungetrübter erhabener, sondern sie wird zu einem Nichts in nebelhafter Ferne und keinem menschlichen Erkennen mehr erreichbar. Deshalb denkt sich die Philosophie des Ungegebenen, der wir uns jetzt zuwenden, die Gottheit so wenig, wie die wahrheitskonstituierende Einheit als ein "Objekt fürs Vorstellen", fürs Erkennen, sondern als eine Qualität; als die Qualität der Wesenhaftigkeit, die dem Erkennen immanent ist.

Immerhin, wir begreifen es wohl, warum die Wahrheit verabsolutiert wurde. Hat die Wahrheit kein Ansichsein, so scheint sie in den Strudel der Wirklichkeit hineingezogen und der Relativierung preisgegeben zu sein. Daß diese Gefahr nicht besteht, daß es noch eine andere Lösung gibt, beweist die deutsche Mystik und die Philosophie des Ungegebenen. Man erspart sich die Schwierigkeit, das (existentielle oder gültige) Bestehen der Einheit vor unserem Denken und dabei außerhalb der Wirklichkeit zu begründen, wenn man sie als "eine geistige Tiefe in uns" betrachtet und nicht als eine "jenseitige Geistigkeit uns gegenüber", gleichviel ob man diese Geistigkeit funktional als ein göttliches Denken oder substantiell als ewige Gedanken faßt. [Hermann Schwarz, Fichte und wir, Seite 3] Diese geistige Tiefe in uns ist die Durchbruchsstelle der ungegebenen Gottheit, die, indem sie in unserem Erkennen zu sprechen anfängt [vgl. SCHWARZ, Gottesgedanke, Seite 362], den Prozeß ihrer "göttlichen Selbstentfaltung" abschließt. Wesentlichkeit, Wahrheitswesentlichkeit ist kein Gegenstand unseres Erkennens, sondern sie wird in uns, "entdeckt" sich in uns als Abschluß des göttlichen Erkenntnisprozesses. Selbstverständlich ist dieses Werden ein Bild. Wesen kann nicht werden. Aber es handelt sich um einen idealen Prozeß, eine "ideale Evolution" [SCHWARZ, Fichte und wir, Seite 12]. Die metaphysische Realität, durch welche Gültigkeit in unsere Erkenntnisse hineinkommt, ist folglich die Realität Gottes, der in ständiger Entwicklung begriffen ist und in unserer ungegebenen Seelentiefe ständig auf der Lauer liegt, um von der Ungegebenheit in die selbstbewußte Wesentlichkeit zu springen, wodurch alles Existierende in neuem Licht dasteht: verwesentlicht.
LITERATUR - Robert Peschke, Das Problem der wirklichkeitserfüllten Geltung bei B. Bauch, N. Hartmann und H. Schwarz [Inauguraldissertation], Greifswald 1930
    Anmerkungen
    1) "Kategorien sind nicht, was das Wort ursprünglich besagt, Aussagen oder Prädikamente möglicher Urteile. Sie sind Bestimmtheiten, Formen oder Gesetze des Gegenstandes, reine Objektbestimmtheiten, die dem Seienden ansich eigentümlich sind." Ob wir diese nun erkennen und sie dem Gegenstand zuschreiben oder nicht "-es (das Seiende) hat seine Prinzipien auch ohne unser Zutun, wie es dann auch unbegrenzt Seinsgesetze geben mag, von denen wir überhaupt nichts wissen. Unser Zuschreiben formt nur die Seinsbegriffe, die Seinserkenntnis, nicht das Seiende selbst." Die Erkenntnis ist "nicht Kategorienbildung, sondern eine Bildung von Kategorienbegriffen". - - - Ebenso ist es mit den Erkenntniskategorien. Und die "kategoriale Grundrelation" ist ein Verhältnis "partialer Identität", das zwischen Seinskategorien und Erkenntniskategorien bestehen muß, damit eine apriorische Erkenntnis realer Gegenstände möglich sein kann.