ra-2H. LüdemannJ. WolfL. Brentanovon Wieser    
 
ERNST DÜRR
Zur Frage der Wertbestimmung

"Ein Vertreter der Lehre von der relativen Glücksförderung behauptet vielleicht, daß das Begehren selbst eine Verbesserung des vorhergehenden Zustandes mit sich bringt. Dem gegenüber weisen wir darauf hin, daß oft genug schon das Begehren schmerzvoll ist, und der Begehrende den Frieden des Nichtbegehrens als den weitaus angenehmeren Zustand empfindet. Schopenhauer bliebe ein psychologisches Rätsel, wenn solche Erfahrungen nicht möglich wären."

Die Werttheorie findet beträchtliche Schwierigkeiten bereits in der Beantwortung der Frage, wie denn eigentlich ihr Gegenstand zu definieren sei. Diese Schwierigkeiten sind mehr psychologischer als logischer Natur: sie beruhen größtenteils auf besonderen Tatsachen der Gefühls- und Willenspsychologie. Im folgenden soll daher der Versuch gemacht werden, auf dem Wege einer der Hauptsache nach psychologischen Untersuchung einen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach der Wertdefinition zu liefern.

Man scheint zu einer Umgrenzung des Gebietes der Werttatsachen am leichtesten gelangen zu können, wenn man von der Gegenüberstellung der praktischen und der theoretischen Wissenschaften ausgeht (1). Wenn "der Inhalt (unserer Erfahrung) selbst und seine Beziehungen ohne Rücksicht auf die in uns und anderen Subjekten sich einstellenden Gefühle den Charakter unseres Betrachtens bestimmen", dann haben wie es nach der Ansicht eines neueren Werttheoretikers mit der theoretischen Betrachtungsweise zu tun. Wenn dagegen "ein Phänomen als gefühlsbetontes Betrachtungsobjekt ist", dann liegt der Fall einer praktischen Überlegung vor. Ist diese Unterscheidung wirklich so klar und einfach, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint? Denken wir an die Gefühlspsychologie! Sie hat es doch gewiß mit gefühlsbetonten Objekten zu tun, sie betrachtet ihren Gegenstand ausdrücklich mit Rücksicht auf seine Gefühlsbetonung. Aber wer wollte sie deshalb als eine praktische Wissenschaft bezeichnen? Nun könnte man vielleicht einwenden, die Gefühlspsychologie interessiere sich nicht für die Gegenstände, betrachte nicht sie auf ihre Gefühlsbetontheit hin, sondern wende Ihre Aufmerksamkeit direkt den Gefühlen zu. Aber es ist doch kaum einzusehen, welcher wesentliche Unterschied bestehen soll zwischen der gefühlspsychologischen Konstatierung, daß irgendeine Vorstellung mit Lust oder Unlust verknüpft sei, und der ethischen oder ästhetischen Würdigung der Vorstellung oder ihres Gegenstandes.

Man begegnet nicht selten der Behauptung, die theoretische Betrachtungsweise lehre und die Dinge erkennen, während die praktische Philosophie nicht das Wesen der Dinge, sondern nur unsere Stellungnahme zu den Dingen behandelt. Diese Auffassung ist verständlich bei einem Indeterministen, der sich als souveräner Beherrscher seiner Lust- und Unluststimmungen fühlt. Aber wer eingesehen hat, daß die Gefühle ebensogut Wirkungen bestimmter Ursachen sind wie alle anderen Geschehnisse, der wird in der Konstatierung der Gefühlswirkung einer Sache ebensogut eine Erkenntnis des Wesens dieser Sache sehen wie in der Feststellung anderweitiger Wirkungen.

Aber macht die Psychologie nicht mit Recht einen Unterschied zwischen objektiven und subjektiven psychischen Vorgängen, von denen die ersteren etwas zur Erkenntnis der Dinge beitragen, während wir in den letzteren nur unser eigenes Wesen erkennen? Gehören nicht die Gefühle zu den subjektiven Prozessen, und muß nicht schon deshalb der Satz Gültigkeit besitzen, daß die Gefühlswirkung nichts zur Erkenntnis des Wesens einer Sache beiträgt? Gewiß, die Gefühlswirkung, das Erleben eines Gefühls, ist kein Erkenntnisakt. Aber die Erkenntnis der Gefühlswirkung, die Reflexion auf das Gefühl, bleibt deswegen doch eine Funktion des Erkennens, über deren Verhältnis zum Wesen der Dinge aus der Tatsache der Subjektivität der Gefühle nichts gefolgert werden kann.

Kurz, die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Betrachtungsweise ist keine sachlich begründete. Es bedeutet infolgedessen auch keine Erkenntnis vom Wesen des Wertes, wenn die Summe der Werte mit der Summe der Gegenstände der praktischen Philosophie gleichgesetzt wird. Aber man kann deswegen doch die Gegenstände der praktischen Philosophie willkürlich von den Gegenständen der theoretischen Forschung abgrenzen und kann KREIBIGs vorläufige Definition des Wertes akzeptieren: "Wert ist im allgemeinen eine gefühlsmäßige Bedeutung".

Mit dieser unbestimmten Umschreibung begnügt sich indessen der genannte Werttheoretiker nicht. Er sucht den Begriff "gefühlsmäßige Bedeutung" präziser zu fassen und ersetzt ihn durch den Begriff "Gefühlswirkung". So gelangt er schließlich zu der Definition."Unter Wert im allgemeinen verstehen wir die Bedeutung, welche ein Empfindungs- oder Denkinhalt vermöge des mit ihm unmittelbar oder assoziativ verbundenen aktuellen oder dispositionellen Gefühls für ein Subjekt hat". (2)

Aber mit der Einführung des Begriffs der Gefühlswirkung ist die KREIBIGsche Untersuchung bereit auf einen Abweg geraten, vor dem sie durch die früheren werttheoretischen Veröffentlichungen MEINONGs eigentlich hätte bewahrt bleiben sollen. MEINONG hat ja mit Recht darauf hingewiesen, daß auch Gegenstände Wert besitzen, die nicht als Ursache einer Lustwirkung aufgefaßt werden können (3). Der Hinweis darauf, daß das Nichtsein eines Dings Wert besitzen kann, daß also etwas Nichtseiendes Ursache eines Lustgefühls sein müßte, wenn nur einer Lustursache Wert zugesprochen werden dürfte, dieses Hauptargument in der Beweisführung MEINONGs wird manchen ohne weiteres von der Unrichtigkeit einer Gleichsetzung von Wertbedeutung und Lustwirkung überzeugen. Noch viel deutlicher aber tritt die Verkehrtheit dieser Gleichsetzung hervor, wenn man die Konsequenzen in Betracht zieht, die sich daraus ergeben, sofern man den MEINONG'schen Einwand abzuwehren sucht. Man kann nämlich sagen: Auch wenn ein Nichtseiendes Wert besitzt, muß eine Ursache für Lustgefühle vorhanden sein. Diese Ursache besteht in dem Gedanken an das Nichtseiende, der natürlich ebensogut etwas Wirkliches ist wie jeder andere psychische Vorgang. Daraus folgt nun aber, daß nicht sowohl das Nichtsein eines Dings als vielmehr der Gedanke an dieses Nichtsein den Träger des Wertes für denjenigen bedeuten muß, der Wertbedeutung und Lustwirkung identifiziert. Überhaupt kann man ganz allgemein sagen, daß bei der Gleichsetzung von Wertbedeutung und Lustwirkung schließlich nur psychische Vorgänge unmittelbare Wertobjekte darstellen können.

Diese Konsequenz zieht KREIBIG, wenn er betont, daß "Eigenwert nur die Empfindungs- und Denkinhalte mit unmittelbarer Gefühlsbedeutung haben, sofern die Analyse ergibt, daß diese Gefühlsbedeutung nicht erst durch gedachte oder wenigstens ursprünglich gedacht gewesene assoziative Zwischenglieder vermittelt sei (4).

Nun soll gewiß nicht bestritten werden, daß psychische Vorgänge unter Umständen einen bedeutenden Wert besitzen können. Man denke nur an den Examenskandidaten, dem das rechte Wort zur rechten Zeit einfällt, oder an den Künstler, in dessen Kopf sich eine Idee gestaltet. Aber daß psychische Vorgänge die einzigen eigentlichen Wertobjekte seien, ist angesichts ihrer Vergänglichkeit von vornherein wahrscheinlich. In der Tat ist vielfach bei Dingen, die bedeutenden Wert für uns besitzen, durch deren Sein oder Nichtsein unser Leben stark beeinflußt wird, der Gedanke nur eine unbedeutende Begleiterscheinung. Es wird z. B. niemand leugnen, daß die Gesundheit ein höchst wertvolles Gut sei. Der Wert der Gesundheit fällt aber gewiß nicht zusammen mit der Gefühlsbetonung des - gelegentlich in uns auftauchenden - Gedankens an unsere Gesundheit.

Wo liegt nun die Lösung der Schwierigkeit, in die sich KREIBIG verstrickt hat? Wir müssen doch einerseits zugeben, daß überall, wo von einem Wert die Rede ist, ein Gefühl in Betracht kommt. Andererseits haben wir gesehen, wohin es führt, wenn Wertbedeutung und Lustwirkung gleichgesetzt werden. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist in der Erkenntnis gegeben, die MEINONG bereits mit Rücksicht auf das Wertproblem formuliert hat, daß nämlich Ursache und Gegenstand eines Lust- oder Unlustgefühls nicht zusammenfallen (5). Sehr häufig ist der Gegenstand eines Lustgefühls der eigentliche Wert, während die unmittelbare Lustursache ein ganz unbedeutendes Phänomen sein kann.

Mit dieser Feststellung hat MEINONG die Lösung des Wertproblems weit über den Punkt hinaus gefördert, auf dem nach ihm KREIBIG stehen geblieben ist. Aber hat MEINONG die Frage der Wertdefinitioni wirklich endgültig gelöst? Sehen wir zu, wie weit wir ihm folgen können!

Zunächst müssen wir konstatieren, daß MEINONG den Wertbegriff wesentlich enger faßt als KREIBIG. Während nach dem letzteren jedes Lustgefühl zur Konstitution eines Wertes Veranlassung geben kann, sind es nach MEINONG nur ganz bestimmte Gefühle, die in dieser Hinsicht in Betracht kommen. Er unterscheidet nämlich zwischen Vorstellungsgefühlen und Urteilsgefühlen. Unter Vorstellungsgefühlen versteht er diejenigen Gefühle, für welche nur eine Vorstellung psychologische Voraussetzung ist, unter Urteilsgefühlen diejenigen, bei denen außer der Vorstellung ein Urteil Mitvoraussetzung ist (6). Die Wertgefühle sollen nun nach MEINONG unter allen Umständen Urteilsgefühle sein, d. h. sie sollen jedesmal auf ein bejahendes oder verneinendes Existenzurteil als auf ihre psychische Ursache zurückweisen (7).

Schon hier drängt sich uns ein Einwand auf gegen die MEINONGschen Darlegungen. Wenn man nämlich den ästhetischen Eindruck als dasjenige definiert, was in der bloßen Vorstellung, in der interesselosen, von Sein und Nichtsein des Gegenstandes gänzlich abstrahierenden Betrachtung gefällt oder mißfällt, dann muß man eine wichtige Klasse von Werten, die ästhetischen Werte, als außerhalb der MEINONGschen Definition stehend betrachten (8). Auch die Gegenstände, die uns sinnlichen Genuß bereiten, würden nach MEINONG nicht während des Genusses, sondern in der vorhergehenden oder nachfolgende Reflexion auf ihr Dasein zu Werten. Nun kann man aber vielleicht eine Garantie für den wirklichen Wert einer Sache darin zu erkennen glauben, daß die betreffende Sache nicht nur ein ursprüngliches Lustgefühl, sondern auch noch ein sekundäres Wertgefühl in uns aufkommen läßt. Man kann also einer besonderen Sparsamkeit in der Anwendung des Prädikats "wertvoll" sich befleißigen und in diesem Sinne die MEINONGsche Auffassung zu rechtfertigen versuchen.

Das wäre eine vollständig einwandfreie Verengng des Wertbegriffs,wenn tatsächlich stets ein Wertgefühl damit zum Kriterium für den Wert einer Sache erhoben würde. Die Disposition zu Wertgefühlen wäre dann gewissermaßen ein feines Reagens, durch welches jeder Wert verraten würde. Aber so einfach liegen die Verhältnisse nach der Auffassung MEINONGs keineswegs. MEINONG ist sich wohl bewußt, daß nicht jedem Wert ein aktuelles Wertgefühl entspricht. Unser Leben wäre ja viel reicher an Lustgefühlen, wenn der Gedanke an das Dasein der Dinge, die für uns wertvoll sind, uns beständig mit Lustgefühlen versorgen würde. Wir können die Dinge nicht als Werte bezeichnen, nur sofern sie und solange sie durch wirklich vorhandene Wertgefühle ihren Wertcharakter zu erkennen geben. Wir betrachten häufig etwas als wertvoll, dem gegenüber wir überhapt noch kein aktuelles Wertgefühl erlebt haben. Das gibt auch MEINONG zu, wenn er sagt: "Nicht an die aktuelle Werthaltung ist der Wert gebunden, sondern an die möglich Werthaltung, und auch für diese sind noch günstige Umstände, ausreichende Orientiertheit, sowie ein normaler Geistes- und Gemütszustand in Anschlag zu bringen. Der Wert besteht demnach nicht im Wertgehaltenwerden, sondern im Wertgehaltenwerdenkönnen"? (9) Offenbar nichts anderes als die wirklichen - nicht nur Wert-, sondern überaupt - Lustgefühle, die sich an einen Gegenstand knüpfen. Wenn ich ein lustvolles Vorstellungsgefühl oder ein sinnliches Lustgefühl erlebe, dann brauche ich, um ein "Wertgehaltenwerdenkönnen" von dem damit in Beziehung stehenden Gegenstand auszusagen, nicht erst auf den Eintritt des Werturteilsgefühls zu warten. Kurz, die Definition MEINONGs ist, wenn dadurch das wirkliche Wertgefühl als Bedingung für die Annahme eines Wertes hingestellt werden soll, zu eng, wenn die bloße Möglichkeit eines Wertgefühls an die Stelle des wirklichen Wertgefühls tritt, zu unbestimmt. Übrigens sei auch darauf noch hingewiesen, daß es normal veranlagte Menschen gibt, die im Genuß mancher Gegenstände lebhafte Lustgefühle erleben, die betreffenden Gegenstände auch eben deshalb wertschätzen, die aber beim bloßen Existenzialurteil über diese Gegenstände ein merkliches Lustgefühl nicht konstatieren können. Und endlich scheinen für MEINONG noch besondere Schwierigkeiten zu erwachsen aus der für ihn notwendig werdenden Umdeutung der Besitzgefühle in Existenzgefühle. Es gibt ja eine Menge von Gegenständen, die nicht durch ihre bloße Existenz, sondern erst dadurch, daß wir sie besitzen, Wert für uns gewinnen. Das Bewußtsein des Besitzes ist aber sicherlich etwas anderes als ein Existenzialurteil, und es wäre auch kaum gerechtfertigt, die Wertgefühle gegenüber dem Besitz einer Sache dadurch als Existenzialurteils hinzustellen, daß man die Existenz des Besitzes als eigentliche Gefühlsgrundlage betrachtet. Es liegt strenggenommen im Begriff  Existenzialgefühl  eine Zweideutigkeit, indem die Existenz selbst oder das Urteil über die Existenz dabei als Voraussetzung gedacht sein kann. Sofern nun beim Besitzgefühl der Besitz etwas Wirkliches sein muß, kann man zur Not von einem Existenzialgefühl im ersteren Sinne sprechen. Aber ein Urteil wird gewiß nicht über die Existenz des Besitzes, sondern über den Besitz der Sache gefällt, sofern überhaupt ein Urteil Voraussetzung des Besitzwertgefühls ist.

Die MEINONGsche Wertbestimmung ist bereits von EHRENFELS einer Besprechung unterzogen worden. Abgesehen von einer Modifikation des MEINONG'schen Wertmaßstabes will von EHRENFELS eine Änderung der Definition MEINONGs "mit Bezug darauf, daß die Existenzgefühle betreffs eines bestimmten Objekts keineswegs durch die Urteilstatsache allein als genügend bestimmt erscheinen". Wo ein Urteil aufgrund bleicher, abstrakter, womöglich indirekter Vorstellungen gefällt wird, da soll das Lustgefühl eventuell kaum die Merklichkeitsschwelle überschreiten, wogegen es dem bei der Wahrnehmung selbst auftretenden an Intensität nahekommen mag, wenn das Urteil aufgrund lebendiger Anschauungen vollzogen wird. Diese Auffassung wendet sich gegen den Kern der Lehre MEINONGs, und es ist nur konsequent, wenn von EHRENFELS, der nichts als eine "Determination" der MEINONGschen Bestimmung geben will, schließlich zu der Frage gedrängt wird, ob nicht die "obligatorische Bezugnahme auf das Urteil bei der Determinierung des Existenzialgefühls eine überflüssige oder zumindest entbehrliche Bestimmt" sei. Die Rolle des Urteils beim Zustandekommen des Existenzgefühls scheine nämlich eine bloß vermittelnde zu sein, indem es uns einen besonders hohen Grad der Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit der betreffenden Vorstellungen gestattet, bzw. aufzwingt. Man sieht ohne weiteres, daß von EHRENFELS hiermit den eigentlichen Unterschied zwischen Vorstellungs- und Urteilsgefühlen und damit die Grundlage von MEINONGs Theorie negiert. Er faßt den Begriff des Existenzgefühls im denkbar weitesten Sinne, so daß kaum zu sagen ist, welches Gefühl nicht Existenzgefühl sein soll. Der Gedanke daran z. B., daß ich künftig ein Konzert hören werde, also der Gedanke an künftig wirkliche Wahrnehmungen, soll Grundlage eines Existenzgefühls werden können. Da muß natürlich auch jede gegenwärtig wirkliche Vorstellung und Wahrnehmung ebensogut wie jeder in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sich abspielende Vorgang, wie Dinge, Zustände, Verhältnisse und Möglichkeiten überhaupt, Gegenstand eines Existenzgefühls werden können. Weil aber ein Existenzialurteil nicht wesentlich sein soll, um das Gefühl gegenüber irgendeinem Objekt zu einem Existenzgefühl zu machen, so ist gar nicht einzusehen, wodurch das Gefühl gegenüber irgendeinem der eben genannten Objekte zu einem Existenzgefühl erst  werden  soll: Jedes Gefühl  ist  von vornherein Existenzgefühl, d. h. der Begriff des Existenzgefühls ist bedeutungslos geworden.

Indem von EHRENFELS die MEINONGsche Wertbestimmung mit der erwähnten "Determination" akzeptiert, kommt er zu der Lehre, daß unter einem Wertgefühl dasjenige Gefühl zu verstehen sei, welches sich bei der möglichst anschaulichen, lebhaften und vollständigen Vorstellung vom Sein oder Nichtsein eines Objektes (bzw. vom tatsächlichen Verlauf bei seinem Nichtsein) einstellt. Wie die Vorstellung des Seins oder Nichtseins eines Objekts von der Vorstellung des Objekts selbst sich unterscheiden soll, das erfahren wir nicht. Wir haben vielmehr ein gewisses Recht, anzunehmen, daß ein solcher Unterschied überhaupt nicht besteht. In der Tat ist häufig die Vorstellung des Objektes ebenso wie die Vorstellung vom "Sein des Objekts" geeignet, ein Lustgefühl auszulösen, das als Grundlage für ein Werturteil zu dienen vermag. In anderen Fällen aber muß sich, wie MEINONG mit Recht behauptet, nicht die Vorstellung, sondern das Urteil von Sein und Nichtsein zur Vorstellung des Objekts gesellen, damit ein Lustgefühl und ein Werturteil zustande kommen. In wieder anderen Fällen genügt auch das Existenzialurteil nicht, sondern es muß sich damit noch das Bewußtsein des Besitzes verbinden, wenn eine Sache für einen Menschen Wert gewinnen soll. An einem einfachen Beispiel können wir uns alle drei Fälle veranschaulichen: Denken wir uns einen Künstler, dem die Vision eines schönen Frauenbildes als solche wertvoll ist, und zwar nicht deshalb, weil diese Vision sein geistiges Eigentum ist, sondern einfach deshalb, weil sie Gegenstand ist des ästhetischen Genusses: dann haben wir im Wertgefühl des Künstlers ein bloßes Vorstellungsgefühl. Denken wir uns nun einen Menschen, der bei der gleichen Vision nur ein Gefühl der Trauer hat dafür, daß es den Gegenstand seiner Anschauung auf Erden nicht gibt. Dieser Mensch würde sich freuen bei dem Gedanken, daß irgendwo die Natur eine solche Schönheit wirklich hervorgebracht habe, und würde dabei ein Wertgefühl, durch ein Existenzialgefühl vermittelt, erleben. Ein solches Urteilswertgefühl wäre übrigens auch gegeben, wenn jemand daran Freude hätte, daß die schöne Vision als solche in einem Menschenhirn zustande gekommen sei, wenn also die Vorstellung selbst nicht als ästhetisches Objekt, sondern als Bestandteil der Wirklichkeit geschätzt würde. Um endlich auch ein Beispiel für ein Besitzwertgefühl zu gewinnen, können wir uns denken, jemand gebe sich auch mit dem Gedanken an die irgendwo existierende Schöne nicht zufrieden, sondern strebe nach Besitz. Auch ein solches Besitzwertgefühl aber können wir gegenüber der bloß Vision entstanden denken, wenn sich mit der Freude des Künstlers am Phantasiegebilde der Stolz auf seine Urheberschaft verbindet.

In den drei genannten Fällen, beim Vorstellungs-, Existenz- und Besitzwertgefühl, ändert sich nicht nur der Gegenstand des Gefühls, sondern auch die Ursache desselben, sofern die letztere einmal in einer Vorstellung, einmal in einem Existenzialurteil und einmal in einem Besitzurteil besteht. Eine einheitliche Zusammenfassung dieser Wertgefühlsursachen oder - vorsichtiger nach MEINONG - Wertgefühlsvoraussetzungen würde zusammenfallen mit dem Inbegriff aller Gefühlsvoraussetzungen überhaupt. Es ist also nicht möglich, die Wertgefühle nach der besonderen Art ihrer Voraussetzungen als eine besondere Klasse zu charakterisieren und von da aus zu einer Bestimmung des Wertbegriffs zu gelangen. An dieser Unmöglichkeit scheitert der Definitionsversuch MEINONGs und derjenige von von EHRENFELS, den wir bisher erwähnt haben.

CHRISTIAN von EHRENFELS gibt aber noch eine zweite Wertbestimmung, mit der wir uns nunmehr auseinanderzusetzen haben. Diese Bestimmung lautet ganz kurz: Der Wert eines Dings ist seine Begehrbarkeit. Den Haupteinwand erhebt von EHRENFELS selbst: Wert haben doch nicht nur die Dinge, die noch nicht sind oder noch nicht in unserem Besitz sind, und die wir deshalb begehren, sondern auch Dinge, die wir nicht begehren, weil wie sie schon haben, sind uns wertvoll. Die Rücksicht auf diesen Einwand zwingt unseren Autor, seine Bestimmung dahin zu modifzieren, daß sie lautet: Wert ist eine Beziehung zwischen einem Objekt und einem Subjekt, welche ausdrückt, daß das Subjekt das Objekt entweder tatsächlich begehrt oder doch begehren würde, falls es von dessen Existenz nicht überzeugt wäre. (10)

Sehen wir dieser Definition gegenüber einmal davon ab, daß sie unbestimmt ist, so muß jedenfalls, bevor wir sie auch nur einigermaßen annehmbar finden können, die große Streitfrage entschieden werden, ob wir nur Wertvolles begehren, oder ob alles, was wir begehren, wertvoll ist. Ein Machtspruch, welcher die Gesamtheit der Ziele unserer Begehrungen mit der Gesamtheit der Werte willkürlich identifizieren würde, wäre ja sehr einfach, aber er möchte den Anforderungen, die man an eine so wichtige Begriffsbestimmung zu stellen berechtigt ist, doch nicht ganz genügen. Der Wert, dessen Begriff vom Werttheoretiker festgestellt werden soll, steht nun einmal in einer so festen, wenn auch vorläufig nicht deutlich erkannten Beziehung zu den Gefühlen der Lust und Unlust, daß es ganz unzweckmäßig wäre, eine Definition aufzustellen, welche kein Licht auf diese Beziehung zu werfen imstande ist. Nun glaubt von EHRENFELS in der Tat, daß seine Wertbestimmung dem allgemeinen Sprachgebrauch gerecht wird, daß sie geeignet ist, das Verhältnis der Werte zu den Gefühlen der Lust und Unlust auszudrücken. Er ist nämlich der Ansicht, daß "alle Akte des Begehrens in ihren Zielen sowohl wie in ihrer Stärke von der relativen Glücksförderung bedingt werden, welche sie gemäß den Gefühlsdispositionen des betreffenden Individuums bei ihrem Eintritt ins Bewußtsein und während ihrer Dauer in demselben mit sich bringen" (11). Ist dieser Satz richtig, dann ist die Stärke des Begehrens, das sich auf eine Sache richtet, in der Tat das beste Maß für den Wert der betreffenden Sache. Sehen wir also zu, ob in der Tat jedes Begehrungsziel eine relative Glücksförderung bedeutet! Was heißt das zunächst, "relative Glücksförderung"? Es kann damit die Gefühlsdifferenz gemeint sein, welche den erstrebten Zustand von demjenigen Zustand scheidet, der ohne das Streben eingetreten wäre. Es kann aber auch die Differenz gemeint sein, welche der erstrebte Zustand vor dem Streben aufweist. Im letzteren Fall ist die Annahme sicherlich nicht richtig, daß jedes Begehren mit einer relativen Glücksförderung verbunden sei; denn es gibt zahlreiche Fälle, wo wir uns während des Strebens oder vor dem Streben glücklicher fühlen als nach der Erreichung des Ziels, das uns enttäuscht. Die lockende Frucht mit dem bitteren Geschmack bleibt wohl keinem ganz unbekannt. Wir kennen viel zu oft die Qualitäten dessen, was wir gewohnheitsmäßig oder instinktiv erstreben, nicht genügend, als daß wir behaupten dürften, mit der Erreichung jedes Willenszieles werde unser Zustand verbessert.

Nun behauptet aber vielleicht ein Vertreter der Lehre von der relativen Glücksförderung, daß das Begehren selbst eine Verbesserung des vorhergehenden Zustandes mit sich bringt. Dem gegenüber werden wir darauf hinweisen, daß oft genug das Begehren schmerzvoll ist, und daß der Begehrende den Frieden des Nichtbegehrens als den weitaus angenehmeren Zustand empfindet. SCHOPENHAUER bliebe ein psychologisches Rätsel, wenn solche Erfahrungen nicht möglich wären. Außerdem würde übrigens die Auffassung, daß die relative, Stärke und Ziel der Begehrung bestimmende Glücksförderung in der Begehrung selbst liegt, eine so merkwürdige Theorie bedeuten, daß eine ernsthafte Widerlegung kaum am Platz ist. Die EHRENFELSsche Wertbestimmung aber würde unter der Voraussetzung, daß er die in Rede stehende Auffassung vertritt, nichts anderes besagen, als daß eigentlich Werte nur die Begehrungen sind, und daß die begehrten Gegenständen ihren Wert darin haben, daß im Streben nach ihnen eine relative Glücksförderung erlebt wird. Eine solche Ansicht würde offenbar mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in vollkommenen Widerspruch geraten.

Es bleibt also nur die Annahme übrig, daß mit der relativen Glücksförderung die Differenz des durch das Streben erreichten Zustandes gegenüber dem Zustand gemeint ist, der im Fall eines unbefriedigten Strebens oder ohne den Eintritt des Strebens überhaupt vorhanden wäre. Wie kann aber diese Differenz Richtung und Stärke des Begehrens bestimmen? Von der Vorstellung dieser Differenz ist nicht die Rede. Eine solche Vorstellung könnte wohl als Ursache wirklichen Begehrens gedacht werden, aber sie würde keine Garantie ihrer Richtigkeit darbieten. Wenn das Begehren durch die Vorstellung des Wertes einer Sache bestimmt würde, brauchte es deswegen noch lange nicht Kriterium des wirklichen Wertes der betreffenden Sache zu sein. Dagegen würde das Begehren einer Sache allerdings Beweis ihres Wertes sein, wenn die wirkliche Gefühlsdifferenz zwischen dem Zustand bei erreichtem und bei nicht erreichtem Ziel Ursache des Begehrens wäre. Wie dies jedoch möglich sein soll, ist keineswegs einzusehen. Daß es tatsächlich nicht der Fall ist, geht klar aus dem bereits angeführten Beispiel hervor, daß wir die lockende Frucht mit dem uns unbekannten unangenehmen Geschmack begehren können. Man wende hier nicht ein, daß wir vielleicht den Zustand der Enttäuschung in der Erreichung des erstrebten Zieles immer noch angenehmer finden mögen als den Zustand unbefriedigten Strebens. Es kann dies ja gelegentlich der Fall sein; die Regel ist es sicherlich nicht. Aber selbst wenn es so wäre, würde eine Theorie sinnlos sein, die das Begehren ableiten wollte aus der Differenz zwischen zwei Zuständen, von denen der einen mit dem Streben selbst, der andere erst mit der Vollendung des Strebens verwirklicht würde. Ein Streben, das eintritt, weil die Erreichung eines - selbst unangenehmen - Zieles immer noch angenehmer ist als das Streben selbst, - welch ein Unding!

Aus all dem geht hervor, daß Wert und Begehren keine innere Zusammengehörigkeit aufweisen. Es mag ein Ziel ethischer Entwicklung sein, daß dereinst menschliches Begehren als Kriterium für den Wert des Begehrten gelten kann; gegenwärtig sind wir noch nicht so weit. Uns gibt das Gefühl, welches hinter der Wirklichkeit einhergeht, gewissere Auskunft über den Wert der Dinge als das Begehren, welches über noch nicht Wirkliches bereits ein Urteil fällt. Es ist schließlich auch kaum einzusehen, warum man in der Definition des Wertes auf das Begehren rekurrieren soll; denn wenn die erreichten Ziele unseres Strebens sich als das erweisen, was von EHRENFELS in ihnen sieht, als Werte, dann wird dieser Erweis erbracht durch Gefühle, die ihrerseits vollständig ausreichen, Werte als solche zu charakterisieren.

Wenn trotzdem die Wertbestimmung, wie sie von EHRENFELS gibt, etwas Bestechendes hat, wenn sie von vornherein keineswegs als etwas Überflüssiges erscheint, so erklärt sich das vielleicht aus dem Bedürfnis, nicht nur für Werte, die bereits realisiert sind, sondern auch für solche, die erst realisiert werden sollen, ein Kriterium zu finden. Dazu scheint das Begehren besonders geeignet zu sein. Aber schließlich zeigt sich doch, daß dem noch nicht Verwirklichten gegenüber das Begehren nur dann ein brauchbares Werturteil einschließt, wenn die Analogie oder die Erinnerung bereits vorhandener Werte unterstützend eingreift. Ein Organ, das über jede Erfahrung hinaus Werturteile zu vermitteln imstande wäre, besitzen wir nicht. Innerhalb der Erfahrung aber entscheiden über Wert und Unwert am sichersten unsere Gefühle, und nur deshalb, weil ein Gegenstand einmal mit einem Lust- oder Unlustgefül verknüpft war, nehmen wir uns das Recht, diesen Gegenstand auch für die Zukunft als Wert oder Unwert zu betrachten.

Warum begnügen wir uns also nicht mit der einfachen Bestimmung: Wert ist alles, was mit einem Lustgefühl, Unwert alles, was mit einem Unlustgefühl verknüpft ist? Was wir mit dieser Definition meinen, wissen wir recht wohl, und es würde gegen das, was damit gemeint ist, auch nicht allzuviel einzuwenden sein. Aber ein eindeutiger Ausdruck unserer Meinung ist der vorgeschlagene Satz keineswegs. Es kann gar vieles mit einem Lustgefühl verknüpft sein, was kein Wert ist. Man denke nur an die Puls- und Atemveränderungen und an sonstige Begleiterscheinungen. Wir meinen eben mit dem "Verknüpftsein" nicht die Abhängigkeit vom Lustgefühl, sondern die Abhängigkeit des Lustgefühls. Also sagen wir vielleicht richtiger: Wert ist alles, wovon ein Lustgefühl abhängt. Daß dabei nicht nur an ein kausales Abhängen gedacht werden darf, geht aus dem früher Gesagten zur Genüge hervor. Wir haben ja mit MEINONG eine Identifizierung von Wert und Lustkausation abgewiesen. Aber wenn der Satz gelten soll: Wert ist alles, wovon ein Lustgefühl abhängt, dann müssen zwar nicht nur die Lustursachen, aber es müssen alle Lustursachen Werte sein. Das werden wir aber wiederum kaum behaupten wollen. Es gibt eine Reihe gleichgültiger Bedingungen für das Auftreten von Lustgefühlen, die durch die Gefühlserregung nicht für sich, sondern für einen anderen Gegenstand eine Wertbedeutung schaffen. Die Tatsache, daß ein Vorgang wie der Gefühlsprozeß nicht durch eine, sondern durch sehr viele Ursachen bedingt ist, macht es ja von vornherein unwahrscheinlich, daß jede der größtenteils unbewußt bleibenden Ursachen für uns einen Wert repräsentiert. Aber auch nicht alle bewußt werdenden Ursachen der Lustgefühle können als Werte betrachtet werden: man denke nur an die Urteile, die nach MEINONG eine Wertbeziehung zwischen Objekt und Subjekt vermitteln, aber nicht selbst Träger eines Wertes sind.

Hier drängt sich nun unabweisbar die Frage auf: Wann wird eigentlich eine Lustursache zum Wert? Wenn diese Frage nicht beantworten können, dann müssen wir auf jeden Versuch eine Wertdefinition zu finden, ohne weiteres verzichten. Aber vielleicht liegt die Lösung der Frage gar nicht so fern. Wir wissen doch immer ganz genau, worauf sich unser Gefühl bezieht, wenn auch noch so viele Ursachen zu seiner Entstehung zusammengewirkt haben mögen. Also können wir doch sagen: diejenige Lustursache ist ein Wert, auf welche sich das Lustgefühl nach dem Zeugnis der inneren Wahrnehmung bezieht. Die Beziehung kann freilich unter Umständen eine irrtümliche sein, d. h. sie kann bei einem Individuum ausnahmsweise eine andere Richtung haben, als bei anderen Individuen und bei demselben Individuum in der Regel. Dann ist das Werturteil einer Korrektur fähig. Aber die allgemeine Lustbeziehung muß als der letzte Wertmaßstab gelten. Dem Begriff der Lustbeziehung lassen sich auch diejenigen Fälle unterordnen, wo der Wert nicht Ursache, sondern nur Gegenstand des Lustgefühls ist. Um von hier aus zu einer abschließenden Definition des Wertbegriffs zu gelangen, müssen wir nur noch berücksichtigen, daß die Lust selbst als der oberste, unmittelbarste Wert betrachtet werden kann. Wir können dann sagen: Wert ist jede Lust und alles, worauf unsere Lustgefühle sich beziehen in der eigenartigen Weise, die wir meinen, wenn wir von einer Richtung des Gefühls auf Objekte sprechen.

Dem Sichbeziehen der Gefühle, wodurch die Wertbedeutung geschaffen wird, kann eine sehr verschiedene  objektive  Beziehung zugrunde liegen. Mit Rücksicht auf diese objektive Beziehung  kann  ein Wert geschaffen werden:
    1) Durch eine Kausalrelation zu den Lustgefühlen

    2) Dadurch, daß die Überzeugung von Sein oder Nichtsein eines Dings, Zustandes oder Ereignisses Lustgefühle erweckt.

    3) Dadurch, daß die bloße Annahme des Seins oder Nichtseins von Dingen, Zuständen oder Ereignissen mit Lustgefühlen verbunden ist (12).

    4) Dadurch, daß schon die Vorstellung eines Dings, Zustandes oder Ereignisses Lustgefühle auslöst. Dieser Fall geht übrigens leicht in den Fall einfacher Kausalrelation über, wenn die lustauslösende Vorstellung zugleich Gegenstand des Lustgefühls wird, wenn also das Lustgefühl sich auf die Vorstellung und nicht auf das Vorgestellte bezieht.

    5) Dadurch, daß die Überzeugung oder die bloße Annahme des Besitzes einer Sache oder eines Zustandes mit Lustgefühlen verbunden ist.
Versuchen wir, diese fünf Klassen von Werten durch Beispiele noch etwas zu illustrieren, so gehören in die erste Klasse die Werte, die wir unter dem Namen des Angenehmen und des Nützlichen zusammenfassen. Einen Hauptbestandteil der zweiten Klasse machen die Werte aus, die MEINONG subsumiert unter den Begriff "Psychisches am  alter".  Das Wohlergehen der Freunde und Angehörigen gehört hierher. Zur dritten kann man die metaphysischen Werte rechnen, die Existenz eines Weltplans usw. Als Werte der vierten Klasse seien Ideale und Kunstwerke genannt. Zur fünften Klassen gehören schließlich die egoistischen Strebungsziele, die man in ihrem besonderen Wert sicherlich nicht richtig würdigt, wenn man sie einer der anderen Wertklassen einzuordnen versucht.

Wie man sieht, eignen sich zum Leitfaden für die Klassifikation der Wert die objektiven Beziehungen zwischen Wertgegenstand und Gefühl sehr gut wegen ihrer Mannigfaltigkeit. Aber gerade diese Mannigfaltigkeit erschwert es oder macht es unmöglich, eine Definition des Wertbegriffs mit Rücksicht auf jene objektiven Beziehungen zu gewinnen, die sich einem brauchbaren Oberbegriff nicht unterordnen lassen, und von denen jede nicht einmal geeignet ist, Werte gegen Nichtwerte abzugrenzen, da die objektive Beziehung zwischen einem Objekt und dem Gefühl vorhanden sein kann, ohne daß das Objekt dadurch zum Wert würde. Das Werturteil, das diesen objektiven Beziehungen nachgeht, konstituiert daher nicht die Werte, sondern es konstatiert nur die in der subjektiven Gefühlsbeziehung geschaffenen Werte. Dem Werturteil braucht nicht ein eigenes Wertgefühl zugrunde zu liegen, sondern es genügt, das Wissen um Beziehungen von Objekten zu Gefühlen, um Werturteile zu ermöglichen. Würde der Begriff des Werturteils nur in diesem Sinne gefaßt, dann würde manche Unklarheit vermieden. Aber der einfachen Bedeutung des Begriffs "Werturteil", wonach nur der Ausdruck einer Gefühlsbeziehung damit gemeint ist, schiebt sich nur zu leicht eine andere und sogar eine dritte Bedeutung unter. So spricht MEINONG gelegentlich vom Werturteil als von der Voraussetzung des Wertgefühls, während wieder ein anderes "Werturteil" COHN vorzuschweben scheint, wenn dieser behauptet, "von einer Wertung im eigentlichen Sinne pflege man erst dann zu sprechen, wenn die zunächst nur gefühlsmäßig erfaßte Bedeutung des Gewerteten sich zu einem Urteil verdichtet", und wenn er unmittelbar nachher äußert: "Man kann die bloß gefühlsmäßige Erfassung als Vorstufe des eigentlichen Wertes behandeln. Hier ist die Gefühlsbetonung noch unmittelbar an die Empfindung gebunden, während das Werten im engeren Sinn sich an ein Urteil über Existenz, Nützlichkeit usw. des Gewerteten anschließt." Also nicht das Nützlichkeitsurteil selbst ist das Werturteil, sondern das eigentliche Werturteil, die Wertung, soll sich nach COHN erst an das Nützlichkeitsurteil anschließen. COHN scheint also unter Werturteil das zu verstehen, was andere Wertgefühl nennen, und was sicherlich nicht in allen Fällen vorhanden ist, in denen ein Wert angenommen wird (13).

Daß die dispositionellen Werte im Gegensatz zu den aktuellen, und daß die Wirkungswerte im Unterschied zu den Eigenwerten nicht direkt durch ein Gefühlserlebnis geschaffen werden, das wird wohl von niemand bestritten. Berücksichtigen wir diese Tatsache, daß wir einem Gegenstand  Wert  zuschreiben nicht nur, sofern sich ein aktuelles Lustgefühl direkt darauf bezieht, sondern auch, sofern wir wissen, daß sich ein solches Lustgefühl darauf beziehen kann, oder daß der Gegenstand in Kausalbeziehung zu einem anderen Objekt steht, auf das sich ein Lustgefühl direkt bezieht, - berücksichtigen wir dies, dann muß zugegeben werden, daß unsere Bestimmung nur die ursprünglichen Werte trifft, von denen aus durch mannigfache intellektuelle Operationen abgeleitete Werte gewonnen werden.

Eine Übersicht über diese intellektuellen Operationen würde zusammenfallen mit einer Übersicht über all die Verfahrensweisen, durch die wir vom Vorhandensein einer Bezihung zwischen Lustgefühl und Gegenstand auf die Möglichkeit einer Beziehung zwischen einem anderen gleichen, ähnlichen oder mit dem ursprünglichen Gegenstand irgendwie verbundenen Objekt und einem Lustgefühl schließen. Diese Verfahrensweisen sind zu zahlreich, als daß die Angabe aller Wege, auf denen wir zur Annahme aller möglichen ursprünglichen und abgeleiteten Werte kommen, in die Wertbestimmung aufgenommen werden könnte. Wir begnügen uns also mit der nicht vollständig bestimmten Definition: Wert ist alles, worauf sich ein Lustgefühl in der oben angedeuteten Weise bezieht oder sich beziehen kann - denken aber beim Begriff "Sichbeziehenkönnen" an den ganz bestimmten Umkreis intellektueller Operationen, durch die eine Erkenntnis des "Sichbeziehenkönnens" vermittelt wird. Wir würden also vielleicht besser sagen: Wert ist alles, worauf sich ein Lustgefühl bezieht, oder wovon man  weiß,  daß sich ein Lustgefühl darauf beziehen kann. Unter diese Bestimmung fallen, wie noch kurz erwähnt werden mag, nicht nur die dispositionellen, sondern auch die Wirkungswerte. Nicht jede Ursache nämlich eines ursprünglichen Wertes ist ein Wirkungswert, sondern nur die als solche  erkannte  Ursache. Nun ist aber das Erkennen der Kausalbeziehung zwischen einem Gegenstand und einem Eigenwert entweder mit einer aktuellen Gefühlsbeziehung auf jenen Gegenstand verbunden, oder doch wenigstens mit dem Wissen um die Möglichkeit einer solchen, bzw. jenes Erkennen der Kausalbeziehung zu einem Eigenwert konstituiert nur dann einen Wirkungswert, wenn entweder die aktuelle Gefühlsbeziehung oder das Wissen um die Möglichkeit einer solchen hinzutritt. Wo dies nicht der Fall ist, da wird das Mittel zur Realisierung des Eigenwertes als etwas Wertloses oder als ein Unwert betrachtet - trotz der Erkenntnis der Kausalbeziehung. Daraus folgt freilich, daß man die Wirkungswerte überhaupt nicht als eine selbständige Klasse von Werten betrachten sollte. Sie gehören größtenteils zu den dispositionellen Werten, und wo sie als aktuelle Werte auftreten, da dürften sie der ersten der oben unterschiedenen fünf Klassen - vielleicht als eine Unterklasse - einzureihen sein. - Ein ausführlicheres Eingehen auf die Wertsystematik soll einer späteren Veröffentlichung vorbehalten bleiben.
LITERATUR - Ernst Dürr, Zur Frage der Wertbestimmung, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 6, Leipzig, 1906