ra-2F. Schillervon AlleschJ. Cohnvon KernF. H. JacobiM. Dessoir    
 
ADOLF LASSON
Über den Begriff des Schönen

"Versuchen, die Quelle der Schönheit vorwiegend oder ausschließlich in die subjektive Auffassung zu verlegen, stehen ernsthafte Bedenken gegenüber, ähnliche Bedenken, wie sie auch gegen die Ansicht von der bloß subjektiven Natur der sinnlichen Empfindungsqualitäten zu erheben sind. Es ist mit der Schönheit und allem Ästhetischen nicht viel anders als mit Farben und Tönen. Existieren diese objektiv, wie man sagt, unabhängig von den empfindenden Wesen und ihrem Empfindungsapparat? Freilich, wäre es gestattet, sich eine Welt zu denken ohne jedes, was an wahrnehmendes Bewußtsein erinnert, eine Welt, in welcher keinerlei Analogie zu Sinnesorganen und Empfindung vorhanden wäre: so würde man zugeben müssen, daß es in dieser Welt auch weder Farben noch Töne gäbe."

Die Tatsache des Schönen, gleichviel ob man darunter die Eigenschaft eines Objekts oder die Affektion eines Subjekts versteht, begegnet uns in doppelter Weise: teils als Schönes, welches die Welt von uns ungesucht uns entgegenbringt, teils als Schönes, welches der Mensch, eine zweite Welt in die gegebene Welt hinein - und über die hinaus - bauend, mit freier Absichtlichkeit schafft. Es ist offenbar, daß diese zweite Art des Schönen, das Erzeugnis menschlicher Kunst, auf jener in der äußeren Welt vorgefundenen Schönheit als ihrer Grundlage beruth und ihr nachgebildet ist; bleibt doch auch die freieste und fruchtbarste Tätigkeit der künstlerischen Phantasie an das Material gebunden, das Wahrnehmung und Erfahrung liefern. Wer mithin das Schöne begreifen will, wird nicht zweckmäßig verfahren, wenn er seinen Ausgang nehmen wollte von der Betrachtung der Kunst und des durch sie erzeugten Schönen. Denn das hieße sich an eine abgeleitete und vielfach verwickelte Reihe von Erscheinungen wenden, um denjenigen Aufschluß zu erhalten, den man an der nächsten und rechten Quelle einzuholen verschmäht. Was man als Naturschönes bezeichnet, von unerschöpflicher Gestaltenfülle wie es ist, bietet sich zugleich der Betrachtung einfacher und unmittelbarer dar. Vom Naturschönen aus wird der Zugang zum begrifflichen Wesen des Schönen überhaupt am ehesten offen sein.

Ein naheliegendes Mißverständnis freilich muß beseitigt werden. Das Schöne der Natur darf nicht bloß in dem gesucht werden, was den äußeren Sinnen wahrnehmbar ist. Weder die Natur selbst besteht nur in einem solchen Sinnlichen, noch das Schöne der Natur in dem, was Auge und Ohr empfinden. Wenn wir von Natur in diesem Zusammenhang sprechen, so bezeichnen wir damit alles, was nach äußeren Gesetzen, unabhängig von der Absicht, Willkür und Wahl des Menschen ist oder geschieht. Innerhalb dieses weiten Umfanges ist Vieles, was niemals Gegenstand einer sinnlichen Wahrnehmung werden kann und nur einer inneren geistigen Anschauung zugänglich ist. Das ist der Fall mit jeder Reihe von Empfindungen, Vorstellungen, Betrachtungen und Entschließungen empfindender Wesen, überhaupt mit jeder irgendwie zu einer deutlichen Wahrnehmung gelangenden Sukzession von Momenten eines Geschehens, das auch rein innerlich bleiben, Anderen aber z. B. durch das Mittel der Sprache anschaulich gemacht werden kann. All das aber ist der schönen Form empfänglich. Wo es irgendwo eine Vielheit des Neben- und Nacheinander gibt, da ist auch ein Ort der Schönheit gegeben. Es wäre eine arge Verkennung der Sache, das Schöne nur im sinnlich Anschaulichen suchen zu wollen und etwa bei einem seelischen Vorgang die lebhafte Vergegenwärtigung der leiblichen Gestalt und bewegten Gebärde desjenigen, in dessen Seele der Vorgang stattfindet, für den eigentlichen Sitz der Schönheit anzusehen. Das Innerliche erleidet eine Veräußerlichung auch schon, sofern es sich in eine Reihe von aufeinanderfolgenden Momenten innerlichen Geschehens auseinanderlegt, und jede solche Vielheit ist der Formung zur Schönheit empfänglich. Gerade so ein Innerliches ist das eigentümliche Gebiet für die gestaltende Tätigkeit der Poesie. Das Material aber für die Poesie liegt in der vorhandenen Welt bereit; das in der Natur enthaltene Poetische fordert ebensowohl seine Anerkennung, wie das Plastische und Malerische der Natur, das ja kein gesunder Sinn verkennen kann.

Wo uns nun auch das Schöne begegnen mag, in Natur oder Kunst, in der äußeren oder inneren Welt, da ist es die Eigentümlichkeit desselben, daß die Schönheit zum Wesen des Gegenstandes nichts beizutragen scheint, daß sie, wo sie wahrgenommen wird, dem Gegenstand auch fehlen könnte, ohne daß etwas für die Existenz des Gegenstandes Nötiges vermißt würde. Dem unbefangenen Sinn kommt das Schöne in dieser Welt der Notwendigkeiten als etwas immer wieder neu Überraschendes entgegen, gleichsam als wäre es einer besonderen Gunst des Zufalls zu danken. Der sinnliche Mensch bezieht die Dinge auf sein Wohl und Weh, der reflektierende Mensch ordnet sie nach ursächlichen und zwecklichen Zusammenhängen: in all dem wird von der Schönheit zunächst noch nichts gefunden. Daß eben diese Dinge, die unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Zweck so durchaus verständlich scheinen, nun obendrein auch noch das Phänomen der Schönheit darbieten, ist eine völlig für sich bestehende, von der Erfahrung des physischen Zusammenhangs, der inneren Zweckmäßigkeit oder äußeren Brauchbarkeit des Objektes gänzlich unabhängige Wahrnehmung. Zugleich aber erweist sich diese Tatsache des Schönen als von der größten Bedeutung sowohl für das subjektive Weltbild, das sich der Mensch entwirft, als für den ganzen Zusammenhang des Lebens, wie er es tätig gestaltet. Eben jener so zufällig hintretenden, so zufällig fehlende Zusatz zu den wesentlichen Qualitäten des Objekts ist eine Quelle der reinsten Lust, des idealsten Wohlgefallens. Die Rücksicht auf eben diesen Zusatz drängt sich dem Menschen unabweisbar auf bei allem, was er schafft und bildet; in allem, was menschliche Kultur genannt werden darf, nimmt die Ausbildung des Sinnes, das Schöne zu genießen, die Fähigkeit, das Schöne zu gestalten, einen vorwiegenden Rang in Anspruch, und weite Gebiete menschlicher Tätigkeit sind ausschließlich dem Dienst und der tätigen Hervorbringung des Schönen gewidmet. Es ist ganz natürlich, daß ein so bedeutungsvolles Phänomen die Begierde der Menschen reizt, sein Wesen begreifend zu durchdringen. Aber das Problem hat ungemeine Schwierigkeiten. Nichts ist falscher, als der wohl zuweilen gehörte Satz: das Schöne und Häßliche besitzt wie das Löbliche und Schändliche eine ursprüngliche Evidenz, vermöge deren es klar ist ohne gelernt und bewiesen zu werden. Nicht allein über jedes einzelne Schöne geht die nicht sorgsam genug erzogene Empfindung, das nicht ernsthaft genug durchgebildete Urteil regelmäßig und notwendig in die Irre, wo es nicht verständnislos und gleichgültig an ihm vorübergeht: auch der Begriff des Schönen ist von einer ihm ganz eigenen und hervorragenden Schwierigkeit. Das Schöne, jenen unwesentlichen und doch so bedeutungsvollen Zusatz, aus der Fülle der Qualitäten der erscheinenden Dinge klar und sicher abzulösen, ist eine Operation, die nicht auf den ersten Anhieb gelingt, und jeder erneute Versuch muß für teilweises Mißlingen um erneute Nachsicht ansuchen. Unsere Schönheitsempfindung, unser Geschmacksurteil über das Schöne scheint den nächsten Leitfaden darzubieten, um uns auf dem Gebiet des Schönen zurechtzufinden; aber gerade hier zeigen sich auch wieder alle Gefahren, die mit der Ableitung eines Begriffs aus Gefühlseindrücken immer verbunden sind.


I.

Am nächsten liegt es ja gewiß, daß man den Zugang zur begrifflichen Durchdringung der Tatsache des Schönen von der Seite des anschauenden Subjekts her zu gewinnen versucht. Denn auf eine sehr augenscheinliche Erfahrung stützt sich die Meinung, daß die Schönheit überhaupt nicht sowohl die Eigenschaft eines Objekts ist, als sich vielmehr in der Auffassung des Subjekts bildet, daß die Eindrücke, die es vom Objekt her empfängt, sich unter dieser Form aneignet. Scheint doch das Objekt seinem Begriff und Wesen nach völlig abgeschlossen, auch wenn von allem, was zur Schönheit gehört, durchaus abgesehen wird. Indessen eine Schwierigkeit erhebt sich hier. Nennen wir jedes Urteil, welches einem Gegenstand Schönheit oder eine der Schönheit verwandte Eigenschaft zuspricht oder abspricht, ein ästhetisches Urteil und nennen wir unter dem gleichen Gesichtspunkt eine vom Objekt erregte Empfindung oder Anschauung ästhetisch, so wird sich sagen lassen, daß irgendeine Art von ästhetischem Eindruck jedes Objekt machen muß, und daß es etwas, das ästhetisch durchaus indifferent wäre, überhaupt nicht gibt. Nun verhält sich aber das empfängliche Subjekt verschiedenen Objekten gegenüber nicht bloß zufällig, sondern regelmäßig verschieden, und zwar indem es von verschiedenen Objekten ästhetische Eindrücke sehr verschiedener Art empfängt. Das Gemüt fühlt sich nicht bloß durch Schönheit gefesselt, sondern auch durch Häßlichkeit abgestoßen, durch Erhabenes gehoben, durch Anmutiges beseligt, durch Tragisches erschüttert, durch Komisches erheitert. Das Subjekt mit seiner Empfänglichkeit bleibt hier immer dasselbe; der Grund zu so einer großen Verschiedenheit der Affektion muß also im Objekt liegen, und die wechselnden Eindrücke müssen von verschiedenartiger Beschaffenheit des Objekts, die je nach ihrer Art eine bestimmte Form des ästhetischen Eindrucks mit sich führt, als so ganz verschieden betrachten von der ästhetischen Qualität, als die sie sich im Gemüt des Empfindenden spiegelt.

1. Diejenigen, welche dieser Ansicht sind und den wesentlichen Ursprung des Schönen im Gemüt des Betrachters suchen, nehmen die Wendung: entweder der Eindruck der Schönheit entsteht, wenn eine wesentliche Eigenschaft des Objekts, etwa seine Vollkommenheit und Zweckmäßigkeit, vom Betrachtenden dunkel und unvollkommen aufgefaßt wird; oder die Gelegenheitsursache für die Entstehung der ästhetischen Anschauung und was mit ihr an Empfindungen und Anschauungen zusammenhängt, wird vermöge psychologischer Gesetze durch eine unwesentliche Eigenschaft, durch das bloß Äußerliche, durch etwas, was nur der Oberfläche angehört, geboten. Beidemale wird das Schöne oder überhaupt das Ästhetische, dem Objekt selbst abgesprochen; daß sich am Objekt gewisse Eigenschaften oder Kombinationen von Eigenschaften finden, die dem menschlichen Gemüt den Anstoß geben, zur Erscheinung des Dings gerade diesen, dem Ding selbst fremden Zusatz zu machen, entspringt nach der ersten Ansicht aus einem niederen Standpunkt in der Erkenntnis des Objekts; nach der zweiten Ansicht ist es ein reiner Zufall, indem die psychologischen Gesetze und die Natur der Dinge gar nichts miteinander zu schaffen haben.

Es scheint doch, daß solchen Versuchen, die Quelle der Schönheit vorwiegend oder ausschließlich in die subjektive Auffassung zu verlegen, ernsthafte Bedenken gegenüberstehen, ähnliche Bedenken, wie sie auch gegen die Ansicht von der bloß subjektiven Natur der sinnlichen Empfindungsqualitäten zu erheben sind. Es ist mit der Schönheit und allem Ästhetischen nicht viel anders als mit Farben und Tönen. Existieren diese objektiv, wie man sagt, unabhängig von den empfindenden Wesen und ihrem Empfindungsapparat? Freilich, wäre es gestattet, sich eine Welt zu denken ohne jedes, was an wahrnehmendes Bewußtsein erinnert, eine Welt, in welcher keinerlei Analogie zu Sinnesorganen und Empfindung vorhanden wäre: so würde man zugeben müssen, daß es in dieser Welt auch weder Farben noch Töne gäbe. In diesem Punkt aber gehen die Ansichten auseinander. Die Einen betrachten als das wahrhaft Seiende und Ursprüngliche das Empfindungs- und Bewußtlose, Sinn aber und Empfindung und Bewußtsein nur als zufälliges Nebenprodukt einer rein äußerlichen und mechanischen Bewegung: für diese Ansicht sind dann konsequenterweise auch Farben und Töne etwas bloß Subjektives, was sich zwart in der Empfindung der mit Sinnesorganen ausgestatteten Wesen notwendig bildet, aber wie diese Wesen selbst dem wahrhaft Seienden gegenüber ganz zufällig bleibt.

Uns scheint diese Ansicht schwer zu verteidigen, weil sie die Tatsachen kaum zu erklären vermag. Denn aus dem Seelenlosen läßt sich das Beseelte nicht ableiten, dessen Vorhandensein doch zugegeben werden muß. Näher steht uns darum die entgegengesetzte Ansicht, nach welcher das wahrhaft Seiende und zugleich das, was sein soll und in aller Bewegung angestrebt wird, dasjenige ist, was Leben und Empfindung hat. Dann liegt eben dieses aber auch allem Anderen schon zugrunde, und alles, was aus dem Kontakt zwischen dem empfindenden Subjekt und dem äußeren Objekt entsteht, und so auch Farben und Töne und alle Empfindungsqualitäten, muß als etwas im Objekt schon Angelegtes betrachtet werden. Denn das Objekt ist nach dieser Ansicht ja selbst nur Mittel und Durchganspunkt für das Empfindende und selber dazu eingerichtet, durch seine Bewegungen im Empfindenden die Empfindung hervorzurufen.

Aber ferner: die Scheidung zwischen dem empfindenden Subjekt einerseits und dem, was schlechthin nur empfindungslos und nur Objekt ist andererseits, ist überhaupt in dieser Strenge, als unausfüllbare Kluft gedacht, nicht leicht aufrechzuerhalten. Sie ist erfahrungsmäßig nicht nachweisbar; denn die Erfahrung zeigt uns zwischen den Extremen fließende Übergänge. Sie ist vor dem Gedanken nicht haltbar; denn jene Scheidung absolut genommen führte zu einem Dualismus, der den Zusammenhang von Leiblichem und Geistigem und damit den wichtigsten Teil alles Erscheinenden völlig unerklärlich machte. Es scheint daher, daß wir zu der Annahme gezwungen sind, daß in unendlicher Abstufung Empfindung und Beseeltheit überall vorhanden ist, daß auch der Natur, die uns leblos erscheint, eine Analogie des Fürsichseins zukommt, und daß die Qualitäten der Dinge nicht erst im Tier, sondern analogerweise schon auf den niederen Stufen des Daseins bis zur niedersten empfunden werden.

Dies gilt nun sicher in derselben Weise auch von der Schönheit. Es scheint mit den Tatsachen schwer vereinbar, die Schönheitsempfindung nur dem Menschen allein zuzuschreiben. Daß manche Tiere höherer wie niederer Organisationsstufe für einzelne Qualitäten der Objekte, die beim Menschen die Empfindung der Schönheit erregen, eine ähnliche Teilnahme empfinden, läßt sich beobachten, und die Bedeutung dieser Tatsache für die Entwicklung der Arten ist gerade in neuester Zeit sehr scharf betont worden. Daß die Natur im Bau und in der Ausstattung der Pflanzen und der Tiere, soweit irgendwie das Bedürfnis der Existenz und die Bedingungen der Konkurrenz mit anderen Klassen von Wesen es zulassen, in Farbigkeit und Gestalt, in einer Regelmäßigkeit der Gliederung gewisse Momente anstrebt, die wir für Bestandteile der Schönheit halten müssen, ist unzweifelhaft. Es wäre doch sonderbar zu denken, die Welt des Organischen lege allen diesen Schmuck nur für unser Auge an. Dazu kommt nun alles, was sich an Farben- und Gestaltenfülle im Unorganischen aufdrängt. Dürfte von keiner Schönheit in den Dingen selbst die Rede sein, so müßte auch dies auf den bloßen Zufall geschrieben werden. Ein rein zufälliges Zusammentreffen wäre es, wenn die Natur in ihren Schöpfungen gerade solche Ausstattungen liebt, welche mit dem, was für die menschliche Empfindung die Bedingung ästhetischer Anschauungen abgibt, übereinstimmten. Das aber ist eine harte Annahme. Wird doch selbst der Ausspruch des Dichters, daß die Kunst des Menschen ausschließliches Eigentum ist, der Mensch allein Werke mit dem Charakter der Schönheit gestaltet und Nützliches schön ausstattet, in voller Strenge kaum verteidigt werden können. Gewisse Bestandteile dessen, was wir an Werken der Menschenhand als architektonische Schönheit bezeichnen, finden wir überall, wo die Tiere in räumlichen Dimensionen produzierend sich betätigen. Das Nest des Vogels, die Bauten der Biene, der Ameise, das Netz der Spinne gehen über die Anforderungen der Nutzbarkeit, über das Problem der möglichsten Ersparnis an Raum und Mitteln zum Maximum des gesuchten Effekts hinaus zu einer Art von Regelmäßigkeit und Harmonie, die eine elementare Bedingung alles Schönen ist. Im Gesang vieler Vögel wird eine Richtung auf Schönheit des Klanges nicht zu verkennen sein, und es ist doch nicht bloß ein menschliches Ohr, das dieser Schönheit gewahr wird. Schwerlich wird jemand behaupten wollen, daß all dieser Reichtum in Gestaltung, Ton und farbigem Schmuck in der Natur selbst unempfunden und ungegossen bleibt und erst auf den Menschen wartet, um Lust zu bereiten. Viel wahrscheinlicher ist es und den Tatsachen gemäßer, in der Natur selbst die allverbreitete Tendenz auf Schönheit anzuerkennen, und Schönheit als Attribut den Dingen selbst zuzuschreiben, das ihnen als solchen zukommt und nicht erst in der Auffassung des Menschen beigelegt wird. Die Tendenz auf Schönheit aber tritt nicht bloß vereinzelt hier und da auf, sondern sie durchdringt die ganze Reihe aller natürlichen Schöpfungen; man muß sich dieselbe mithin als unter die ersten und elementarsten Bildungsgesetze gehörend denken. Ein volles Verständnis der Natur ist unmöglich, wo nicht zugleich die Schönheit der Naturdinge für mehr als einen bloßen, etwa aus der notwendigen Verkettung der Dinge ausnahmsweise sich ergebenden Zufall angesehen wird. Nicht wir also tragen die Schönheit in die Natur hinein, sondern wir empfangen sie aus ihren Händen als eines der herrlichsten und beglückendsten Güter, die sie uns spendet.

2. Eben deshalb genügt es auch nicht, den Eindruck zu schildern, den das Schöne auf das empfindende Subjekt macht, wenn es zu begreifen gilt, was das Schöne ist. Allerdings drängt sich bei der Betrachtung des Schönen dies als erste Tatsache auf, daß das Schöne gefällt und in bestimmter, von derer Lust unterschiedener Weise gefällt. Diese Tatsache führt auf das Bestreben, das Schöne zu bestimmen, indem man die Art des Gefallens am Schönen bestimmt. Indessen wird damit noch nicht der Aufgabe genügt. Denn offenbar ist doch das Gefallen kein willkürliches und an jedes Objekt in gleicher Weise zu knüpfendes, sondern in der Beschaffenheit des Objekts muß der eine Grund dieses Gefallens liegen, wenn der andere in der Beschaffenheit des Subjekts liegt. Es entsteht also die Aufgabe, diejenigen Eigenschaften des Objekts zu finden, welche geeignet sind, im Subjekt gerade diejenige Affektion zu bewirken, die wir als die verschiedenen Arten der ästhetischen Lust oder Unlust bezeichnen. Dann aber ist die Schönheit doch eigentlich in den Qualitäten des Objekts zu finden, und die Wirkung auf die Empfindung ist nicht ihre wesentliche, nur eine abgeleitete Bestimmung.

Zudem ist es fraglich, ob es überhaupt eine überall gültige Bestimmung des Schönen ist, daß es gefällt. Es ist damit nicht wesentlich anders als etwa bei dem Versuch, das sittlich Gute auf das zurückzuführen, was gewissen Anforderungen des Gefühls entspricht oder was in gewisser Weise Glück bereitet. Auch hier ist es schwer, bei einer solchen Betrachtungsweise festen Boden unter die Füße zu bekommen. Läßt man sich einmal auf die Erwägung ein, wie das Objekt sich im Gefühl widerspiegelt, so gerät man auf das Gebiet des bloß Zufälligen, welches eine allgemeine Bestimmung überhaupt nicht, höchstens einen gewissen mittleren Durchschnitt zuläßt. Da fragt es sich immer zuerst nach der Beschaffenheit des empirischen Subjekts; denn daß allen dasselbe gefällt oder mißfällt, ist durch die unendliche Verschiedenheit der Stimmung und Bereitschaft geradezu ausgeschlossen. Sieht man nur auf die überwiegende Masse der Menschen, so wäre man eher versucht zu sagen: schön ist, was nicht gefällt oder nur Wenigen gefällt. Denn bei weitem die meisten Menschen sind in ihrer geistigen Entwicklung nicht dahin gediehen, daß ihnen das Schöne notwendig oder daß ihnen nur das Schöne gefällt; man müßte also unter dem Gesichtspunkt der Affektion des Subjekts das Schöne so bestimmen: schön ist, was gefallen sollte, auch wenn es tatsächlich nicht gefällt. Dann aber wäre die Aufgabe einfach erneuert, die objektiven Qualitäten aufzusuchen, die ein Objekt zu dem Anspruch auf ein allgemeines Gefallen berechtigen. Es würde also nicht aus der Stimmung des Subjekts auf die Natur des Objekts zu schließen sein, sondern umgekehrt hätte man aus der Natur des Objekts eine Norm zu entnehmen für das Empfinden des Subjekts. Die empirisch vorgefundene Beurteilung eines Objekkts durch irgendeine Gruppe von Menschen trägt doch offenbar die Gewähr ihrer Berechtigung nicht in sich selbst. Wir werden es verschmähen, unser Urteil über ein Werk GOETHEs oder BEETHOVENs uns von unserer Dienstmagd oder von einem unreifen Kind vorschreiben zu lassen, und ob eine gegebene Landschaft schön, erhaben, anmutig ist, darüber werden wir nicht leicht die Dorfjugend ins Verhör nehmen. Verschiedenen Geschlechtern der Menschen zu verschiedenen Zeiten hat sehr Verschiedenes für schön gegolten, und heute durch ein Mehr von Stimmen über die ästhetische Qualität eines Objekts entscheiden zu lassen, scheint uns ein sehr fragwürdiges Unternehmen. Auch hier ist es handgreiflich falsch, daß der empirische Mensch das Maß der Dinge ist. Die Berechtigung eines gefällten Urteils zu prüfen, bedürfen wir ein objektives Maß, das nur aus der allgemein gültigen Vernunft und aus der Natur der Sache geschöpft werden kann. Wer den Begrif des Schönen sucht, der hat die Natur des Objekts vom Zufall des subjektiven Eindrucks abzusondern. Dem Subjekt ist immer nur anzuraten, daß der, der noch nicht so weit gekommen ist, daß ihm das Schöne gefällt, sich so lange bildet und erzieht, bis er so weit kommt; das Schöne selbst aber besteht ansich, auch abgesehen davon, ob es dem empirischen Subjekt gefällt oder nicht.

Geht man nun, um das Kriterium des Schönen zu finden, von der Tatsache des Gefallens aus, so hat man das Gefallen am Schönen zunächst von anderen Arten des Gefallens, insbesondere von dem am Angenehmen einerseits, am Guten andererseits zu unterscheiden, und diesen Unterschied findet man am nächsten darin, daß das Gefallen am Schönen sich auf rein formale Verhältnisse bezieht, deren Bedeutung nur darin besteht, daß sie das Spiel unserer geistigen Kräfte in bestimmter Weise anregen, zum Wesen des Objekts aber in keiner inneren Beziehung stehen. Etwas scheinbares hat diese Ansicht immerhin, die das Schöne im rein Formellen sucht. Denn daß das Schöne zur Existenz und zum Begriff des Objekts nichts beiträgt, ist von allen zugegeben, und daß das Schöne in Verhältnissen der Form zu suchen ist, nicht unmittelbar in Gehalt und Wesen des Objekts, darüber sind alle einverstanden. Der Streit beginnt erst dann, wenn nun behauptet wird, daß die bestimmte Form, sofern sie ästhetisch wirkt, außerhalb jedes Zusammenhangs mit dem Gehalt des Objekts steht, an dem sie haftet. Und gerade in jüngster Zeit ist der Streit über diesen Punkt nicht ohne Heftigkeit geführt worden, wir meinen nicht ohne Nutzen für die Korrektur beider streitenden Ansichten, von denen die eine nachgeben muß, daß sie auf den geistigen Gehalt im Schönen allzu einseitig reflektierend die Natur der Form und des Scheins nicht genügend ins Auge gefaßt hatte, die andere bedenken muß, daß sie die Leerheit des Formellen allzu entschieden als den ausschließlichen Grund der ästhetischen Anschauung betont und darüber wesentlichere Momente verabsäumt hatte.

Fassen wir zunächst die Meinung ins Auge, die das Schöne auf bloße, gegen den Inhalt des Objekts völlig gleichgültige Formverhältnisse zurückführt und dann auch folgerichtig solche Formverhältnisse nur im Quantitativen der räumlichen Anordnung und zeitlichen Sukzession [Aufeinanderfolge - wp], sowie in den Kontrastverhältnissen der Qualitäten finden darf: so unterliegt dieselbe mehrfachen schweren Einwänden. Zunächst erhebt sich die Frage, warum gerade Formverhältnisse von bestimmter Art gefallen und andere nicht, und das führt auf die Annahme einer besonderen Anlage im menschlichen Gemüt. Diese besondere Anlage als ein bloß Zufälliges zu setzen, das ebensowohl auch anders beschaffen sein könnte, geht nicht wohl an; denn bei bei dem völlig Grundlosen eines unbegreiflichen Faktums könnte sich die wissenschaftliche Untersuchung niemals beruhigen. Wird dagegen die Beschaffenheit des menschlichen Gemütes, gerade in diesem und nicht in einem anderen einen Gegenstand des Wohlgefallens zu haben, als eine notwendige Einrichtung etwa aus psychologischen und physiologischen Gründen erklärt und abgeleitet, so ist auch die Wirksamkeit der Natur, mit welcher sie solche wohlgefällige Verhältnisse doch nicht bloß ausnahmsweise sondern regelmäßig herstellt, selbst nicht ohne einen inneren Zusammenhang mit dem Wesen des menschlichen Gemütes und aller Dinge. Eben dieses Entgegenkommen der Natur gegen die geistige Anlage des Menschen müßte dann doch auch wieder als eine der Natur innewohnende Tendenz auf Schönheit anerkannt werden, die auch nicht so ganz ohne Zusammenhang teils mit der Produktionsweise der Natur überhaupt, teils mit der besonderen Eigentümlicheit der von ihr produzierten einzelnen Geschöpfe sein könnte.

Dies aber führt auf die zweite und hauptsächliche Schwierigkeit. Läge nämlich der Anlaß des ästhetischen Auffassens schlechthin nur in gewissen Formverhältnissen ohne weiteren Sinn und Bedeutung, so müßten dieselben überall gefallen, wo sie auch auftreten und in Erscheinung treten. Dies aber widerspricht den erfahrungsmäßigen Tatsachen. Denn tatsächlich verlangen wir, soll sie uns überhaupt gefallen, wenigstens von jeder Art von Naturwesen ihre eigene Form und ihr eigentümlich zugehörige Formverhältnisse, und was uns an der einen Art gefällt, mißfällt uns an der anderen. Schließlich aber ist es ein Mißbrauch des Wortes Form, wenn man von Form ohne Inhalt redet. Denn Form und Inhalt sind Wechselbegriffe, die sich gegenseitig fordern. Wird die Form als inhaltslos bezeichnet, so hat das nur einen Sinn, wenn man etwa sagen will, die Form ist nicht als an einem Objekt vorhanden, sondern selbst als Objekt für sich zu betrachten, etwa wie PLATOs Ideen reine Formen sind, und dann müßte wieder an der Form selbst Form und Inhalt unterschieden werden. Das heißt drückt die Form nicht den Inhalt eines Objekts aus, dessen Form sie ist, so wäre sie selbst auf ihren eigenen Inhalt zu prüfen, und es würde sich die Frage erheben, was sie denn eigentlich in sich bedeutet. Damit aber wäre wieder der Standpunkt des reinen Formalismus verlassen, der sich folglich auf keine Weise halten läßt.

Darum erfährt diese Ansicht, welche von einem psychologischen Gesichtspunkt aus die rein formalen Verhältnisse als das Wesen des Schönen betrachtet, eine ganz konsequente und die in ihr liegende schroffe Einseitigkeit mildernde Fortbildung, wenn der Begriff der Schönheit dahin bestimmt wird, daß eine rein formale Beschaffenheit des Objekts für den betrachtenden Menschen den Anlaß bildet, um in das Objekt ganz abgesehen von dessen eigenem Wesen, eine ganz bestimmte Bedeutung hineinzutragen. Was für eine Bedeutung das sein müßte, die nach dieser Ansicht infolge der ästhetischen Anschauung dem Objekt geliehen wird, das liegt ziemlich nahe. Denn das rein Formale ist etwas Sinnliches und doch äußerlich am Objekt Erscheinendes, gewissermaßen seiner Oberfläche Angehörendes; eben dieses nun soll im Gemüt des Menschen zum Anknüpfungspunkt werden, um mit dem Objekt eine bestimmte Vorstellung zu verbinden, die mit dem Begriff des Objekts doch nichts zu tun hat. Welche andere Vorstellung böte sich da wohl leichter an, als die des im Sinnlichen erscheinenden Geistigen und genauer der Persönlichkeit? Danach also legen wir unbewußt den Maßstab der erscheinenden Persönlichkeit an die Dinge; wir leihen der Natur eine Beseelung, und dieses Leihen, dem die Natur vielleicht in abgestuften Grade entgegenkommt, macht das Wesen der ästhetischen Anschauung aus.

Aber dabei ist doch Mehreres recht auffällig. Es wird dieser Ansicht die Tatsache zugrunde gelegt, daß sich in uns eine Vorstellung von einem stehenden Verhältnis zu bilden vermag, nach welchem das Geistige mit einer bestimmten sinnlichen Form regelmäßig verbunden ist; mit eben dieser Vorstellung der sich im Sinnlichen ausdrückenden Persönlichkeit sollen wir an die Erscheinung der Dinge herantreten. Für uns also drückt sich Geistiges im Sinnlichen aus. Soll denn nun dies nur für uns der Fall sein und nicht an sich selber in den Dingen? Und wenn nicht in den Dingen das volle Recht zu einer solchen Vergeistigung läge, wäre das nicht eine ganz sonderbare und befremdliche Eigentümlichkeit des menschlichen Gemütes, so buntes und krauses Zeug in die Natur hineinzuträumen? Liegt es denn aber wirklich so ganz in der Willkür gerade nur des Menschen, das Sinnliche zu seinem Ausdruck zu gestalten, das sonst nicht zum Ausdruck eines Geistigen zu dienen pflegt? Wenn aber doch den Dingen geliehen werden muß, warum soll es gerade nur diese Persönlichkeit und Beseelung sein, was wir in sie hineintragen? All dies ist eine willkürliche Annahme, wie sie sich so leicht ergibt, wo man an das Objekt durch psychologische Betrachtungen heranzukommen sucht. Da erscheint es doch weit weniger künstlich, eben dies festzuhalten, daß in einer ästhetischen Anschauung das Sinnliche, oder richtiger die Form überhaupt, der Ausdruck eines geistigen Inhalts wird, aber nicht bloß so, daß wir mittels einer Vorstellung, die wir in uns vorfinden, dem Objekt leihen, was es nicht hat, sondern daß wir in rechter Würdigung der eigenen Natur des Objekts von ihm diesen Eindruck empfangen. Und ebenso, wenn sich dann einmal das Geistige in der Form ausdrücken soll, so ist es jedenfalls geratener, das Geistige, welches erscheint, in einem allgemeineren Sinn zu fassen, nicht so, daß wir die Natur gerade nur anthropologisch auf eine Ähnlichkeit mit der Seele und der Person des Menschen deuten, sondern daß wir aus der Natur selber entnehmen, was sie etwa an geistigem Gehalt in sich trägt und uns auszudrücken vermag.

3. Nach all dem ist uns der Schluß nahegelegt, daß diejenige Ansicht vom Schönen der Wahrheit am meisten entspricht, nach welcher die Schönheit zwar in der Form, aber in der ansich inhaltsvollen Form gefunden wird, Schönheit als vollkommene Übereinstimmung von Form und Gehalt, Erscheinung des Geistigen, Scheinen der Idee im Endlichen zu bezeichnen ist. Aber dann ist freilich auch eine bestimmte Auskunft darüber zu verlangen, nicht bloß was die Idee als solche ist, sondern vor allem auch, welcher Art denn nun dieser Zusammenklang zwischen Idee und erscheinender Form ist, und wie sich die Idee in der Form darzustellen, die äußere Form eine Erscheinung der Idee zu werden vermag. Darüber ist von den Anhängern dieser Ansicht kaum eine recht genügende Auskuft gegeben worden, aber die Einsicht, daß dieser Mangel zu ergänzen ist, ist allerdings von vielen ausgesprochen worden. Nach dieser Seite hin liegen die wesentlichsten Fortschritte, welche die Wissenschaft der Ästhetik zu machen hat.

Die Schönheit auf die erscheinende Idee zurückzuführen, verleitet dazu, die Schönheit im Gattungsmäßigen und Allgemeinen zu suchen. Aber wenn es heißt, Schönheit sei da vorhanden, wo das Einzelne mit seiner äußeren Erscheinung innerhalb des Charakters seiner Gattung, seines Allgemeinen verbleibt, wo also die Form des Einzelnen mit derjenigen Form übereinstimmt, welche der Gattung dieses Einzelwesens zukommt: so ist die Frage nach der Art und Weise der Bedeutsamkeit der Form nicht gelöst, sondern nur um einen Schritt weiter hinausgeschoben. Gesagt ist damit doch nur, daß das Allgemeine nach seiner Form, in der es erscheint, das eigentlich Schöne ist, und daß das Einzelne nur insofern schön ist, als es an der Schönheit seines Allgemeinen teilhat. Aber damit entsteht doch nur die neue Frage: worin besteht denn nun bei diesem Allgemeinen der Zusammenhang zwischen seinem Gehalt und der Form, die eine für alles unter diesem Allgemeinen befaßte typische Bedeutung haben soll? Warum muß gerade dieses Allgemeine diese bestimmte Form der Erscheinung haben, um schön zu sein und Schönheit anderen zu leihen, was nach seinem Urbild gestaltet ist? Es muß ein notwendiges Band bestehen zwischen dem geistigen Gehalt des Allgemeinen und der bestimmten Form seiner Erscheinung, und daß ein solches Band existiert, genügt es nicht zu behaupten, man muß es auch nachweisen und ableiten. Ferner aber genügt offenbar auch nicht der Ausdruck, daß das Allgemeine, das Gattungsmäßige das wahrhaft Schöne ist. Denn wo das Einzelne mit seiner erscheinenden Form allzusehr in die allgemeine Norm und den Typus der Gattung aufgeht, da haben wir nicht einmal wahrhaft Schönes; eine solche Übereinstimmung ist reizlos, kahl und leer. Zur Schönheit gehört die inhaltsvolle und konkrete Einzelheit, die sich innerhalb der vom gattungsmäßigen Typus gezogenen Schranken charakteristisch und eigentümlich ausprägt. Es gibt eine Schönheit also nicht bloß des Gattungsmäßigen, sondern auch des Individuellen, und der geistige Gehat, der sich in der erscheinenden Form ausprägt, ist nicht bloß das Allgemeine, sondern Geistiges überhaupt, das auch als geistiger Gehalt des Individuellsten gedacht werden können muß. Erst so ist die Aufgabe richtig bezeichnet, die zu lösen ist, wenn der Begriff des Schönen bestimmt werden soll.


II.

Das Resultat unserer bisherigen Betrachtungen können wir dahin bestimmen, daß das Schöne aufzufassen nicht bloß eine subjektive Affektion ist, sondern als objektive Qualität innerhalb und an der erscheinenden Welt, daß es zu suchen ist in der Form der Dinge und in dieser Form so, daß dieselbe das eigene innere Wesen, die geistige Bedeutung jeglichen einzelnen Dinges ausdrückt. Es ist damit gesetzt, daß alle Form, in der die Dinge erscheinen, für das Wesen derselben bedeutsam ist, und wiederum, daß das Geistige die Macht und den Trieb hat, sich im Äußeren zu offenbaren. Zwischen Form und Inhalt wird danach in allen Dingen keine rein äußerliche, sondern eine für beide Seiten wesentliche Beziehung angenommen; der Schein der Gleichgültigkeit zwischen beiden, der sonst wohl vorhanden ist, wird im Schönen völlig getilgt. Form und Inhalt bedingen sich nicht bloß gegenseitig und werden miteinander gegeben, sondern sie sind auch jedes, was sie sind nur im Anderen und durch das Andere. Wir haben daran ein Verhältnis, welches von allen anderen, die an den Dingen erkannt werden, völlig unterschieden ist. Es ist keine Notwendigkeit, wie die der logischen oder kausalen Verknüpfung, es ist keinerlei Art von Zweckmäßigkeit, was im Schönen Form und Inhalt aneinander bindet; es ist eine dritte und eigentümliche Art von Verbindung, wie sie sonst nirgends, wie sie nur in diesem Verhältnis des Geistigen als des Inhalts und der Form als der Erscheinung dieses Inhalts erfaßt werden kann. Die beiden verbundenen Glieder, Geistiges und äußere Form der Erscheinung, sind füreinander so, daß das erste am zweiten das Mittel seiner Offenbarung, dieses an jenem seinen Gehalt und seine Bedeutung hat. Und dieses Verhältnis ist ein unmittelbares. Sie sind nicht äußerlich aneinander geschmiedet, nicht eines um des anderen willen künstlich und absichtlich ausgesucht: sondern sie sind zugleich auf einen Schlag, und wir erfassen ihr Verhältnis in einer unmittelbaren Anschauung.

1. Die eine Seite des Verhältnisses ist die des Inhalts; wir ziehen es vor, diesen als Geistiges überhaupt zu bezeichnen und vermeiden das leicht mißverständliche Wort Idee. Dieses Geistige, welches sich in der Form ausdrück, ist nicht irgendeine Besonderheit, die irgendwoher erst in die Dinge hineinzutragen wäre, wie etwa das Gute, so daß wir in den Formen der Dinge Analogien zur inneren Natur des Guten zu suchen hätten, oder wie die Persönlichkeit, deren Ausdruck im Sinnlichen in den Dingen Analogien fände: sondern es ist das geistige Prinzip der Einheit und der Gliederung selber, das aller Natur zugrunde liegt. Denn eine solche Einheit geistiger Art als erzeugenden Grund der Natur und aller ihrer Erscheinungen anzunehmen, sind wir aus vielen Gründen gezwungen. Diese schöpferische Einheit nun drückt ihr Wesen aus wie in einem allgemeinen Zusammenhang aller Naturdinge, so auch in der unerschöpflichen Fülle von einzelnen Bildungen, deren jede ein bestimmtes Verhältnis zu einer obersten gestaltenden Einheit selber und zu allen anderen Gebilden derselben alles zeugenden Schöpferkraft hat. In jedem Einzelnen spricht sich der jener ganzen Fülle von Gestaltungen zugrunde liegende einheitliche Gedanke in besonderer und bestimmter Weise aus und offenbart eine der unendlich vielen in seinem Reichtum enthaltenen Seiten. Jedes Einzelne nimmt zugleich in der Stufenreihe der Wesen, die als aus jener Einheit entsprossen sich wieder zur Einheit ergänzen, seine ganz bestimmte Stellung und seinen Rang ein. Jedes dieser Wesen ist selbst ein Ton in einer allumfassenden Harmonie, ein vorübergehender, aber integrierender Moment in einem vollendeten Gedicht. In diskursiven Begriffen diese geistige Bedeutung jedes Einzelnen zu ergreifen und sie in Worten der Menschensprache darzulegen ist unmöglich; denn die schöpferische Einheit ist selbst mehr als bloß Begriff, und jedes ihrer Werke trägt noch einen anderen als einen begrifflichen Charakter. Aber mit unmittelbarer Verständlichkeit drückt sich der innere Sinn aller Wesen in der erscheinenden Äußerlichkeit selber aus, die ihnen zum Gewand mitgegeben ist, und jedes zur allgemeingültigen Vernünftigkeit des Empfindens und Anschauens herangebildete Herz sieht durch das vergängliche Gewand den ewigen Gedanken, der sich in ihm verkörpert, in dem flüchtigen Einzelwesen, das diese Form trägt, den Zeugen der allen Stoff bewältigenden Geistigkeit, die aller Wesen Ursprung und wahres Wesen ist.

Wenden wir uns nun der Erscheinung zu, die als Form diesen Inhalt ausdrückt, so ist diese als solche zunächst reine Vielheit, Außereinander in Raum und Zeit. So aber tritt sie uns in der Natur der Dinge nirgends entgegen, sondern immer in bestimmter Weise begrenzt und gebunden, mit einem Prinzip der Einheit in ihr, welche die Gleichgültigkeit und beziehungslose Vielheit der reinen Äußerlichkeit durchbricht und gestaltet. Dadurch aber wird sie zur Form und dadurch zur sprechenden Erscheinung, die das Geistige in sich hegt und trägt und zum Ausdruck bringt. Diese Bestimmtheit der Form aber in jedem gegebenen Fall tritt uns nicht entgegen als irgendwoher abgeleitet, sondern als völlig spontan von innen heraus aus der Natur des Objekts erwachsen; nicht äußere Gesetze einer zwingenden Notwendigkeit haben sie gebildet, nicht die Bedürftigkeit des Objekts, die Erfordernisse seiner Existenz, seine Not im Kampf mit den anderen Wesen spricht sich in der vollkommenen und bestimmten Begrenzung aus: sondern zwecklos und gesetzlos, oder zumindest mit einer gegen alles Gesetzliche und allen Zweck gleichgültigen eigenen Macht und selbständigen Bedeutung gibt sich diese Form des Äußeren als Ausdruck des Geistigen, in dem wir den geistigen Gehalt der Welt und jedes Dings in einer unmittelbaren Anschauung als Gegenstand einer beglückenden Erfahrung haben. Darum ist die Form das Freie, und die reine Gestalt scheint göttlich neben Göttern zu wohnen, bedürfnislos, sich selbst genug, ein Sinnbild alles Seligen und Beseligenden; göttliche Heiterkeit herrscht in den Regionen der Form und der Schönheit, denn die Bedürftigkeit und der Jammer des Irdischen reicht zu ihnen nicht heran. Darin liegt der Zauber des Schönen und seine erlösende, befreiende, reinigende Kraft. Das erscheinende Äußere ist als Träger des Geistigen geadelt und verklärt; der geistige Gehalt der Welt gibt sein Geheimnis und seine Verschlossenheit auf; freundlich und zugänglich läß es sich zu uns herab. Nirgends wie in dieser Einheit von Form und Gehalt haben wir ein Getrenntes, das in mühelosem Spiel vereinigt ist. Da zeugt nichts von der Schwierigkeit der Gestaltung und der Größe der Arbeit, die das Widerspenstige zusammebrachte; die Leistung ist vollbracht und die Einheit steht vollendet vor unserem Blick, ein freundliches Geschenk des weltbildenden Genius an seine in die Schranken der Sinnlichkeit gebannten Kinder. Wir sind ein Spiegel des Weltalls und der es durchdringenden Vernünftigkeit; darum ist in uns als Grundkraft unserer geistigen Tätigkeiten ein Vermögen der Phantasie, in welchem sich diese Einheit von Sinnlichem und Geistigem im freien Spiel nacherzeugt, aller geistige Gehalt sich in eine äußere Form verkleidet, alle äußere Form sich mit einem geistigen Inhalt füllt. Die Tatsache des Schönen aber zwingt uns die Natur so zu betrachten, als hätte eine weltbildende Phantasie alle Formen der Einzelwesen bestimmt, so daß sie zu sprechenden Gebärden eines Geistigen geworden sind, das durch sie bedeutet und ausgedrückt wird.

2. Doch auf welche Weise die äußere Vielheit zur erscheinenden Form des Geistigen zu werden vermag, bleibt noch zu beschreiben. Wir haben im Schönheitsbegriff drei verschiedene Momente gleichsam des Werdens des Schönen auseinanderzuhalten.

a) Das Schöne wird, indem die geistige Einheit die äußerliche Vielheit bewältigt. Dies geschieht zunächst und auf die äußerlichste Weise dadurch, daß die Vielheit als solche ein einem quantiativen Sinn durch eine Übermacht der Einheit begrenzt und geregelt wird. Dieses erste Moment ist diejenige Seite des Schönen, die den großen Alten, die zuerst mit offenem Sinn das Problem des Schönen behandelt haben, zunächst eingeleuchtet hat. Schön also wird die Erscheinung durch eine sichere Begrenzung, durch Bestimmtheit und Deutlichkeit, durch Klarheit und Reinheit in Farbe, Ton und Form, durch die übersichtliche Zahl der Glieder und Teile. Es gehört eben dahin eine gewisse Größe, die ihr Maß am Typus oder der Gattung hat und von einem Zuviel und Zuwenig gleich weit entfernt bleibt. Dies nun ist das Gebiet des anscheinend schlechthin Relativen. Wenn wir von Übersichtlichkeit und Deutlichkeit sprechen, so denken wir zunächst allerdings nur an das Auffassungs- und Wahrnehmungsvermögen des Menschen und mithin wie es scheint an etwas der Natur gegenüber Zufälliges. Denn es kann wohl nicht als Absicht der Natur betrachtet werden, sich gerade auf den Menschen und seine Bedürfnisse und Fähigkeiten einzurichten. Aber es geht doch zugleich durch die ganze Natur ein gemeinsamer Maßstab, der insofern auch ein absolutes Maß genannt werden kann, an welchem, und nicht allein vom Menschen, alle Größe und alle Kraft gemessen wird und sich selber mißt. Es ist dieser Maßstab, nach welchem auch des Menschen eigene Gestalt und Kraft, seine Sinne und ihr Vermögen abgemessen sind. Die Einrichtung des menschlichen Gemüts ist insofern doch kein Zufall oder eine Ausnahme, ein unbegreiflich Seltsames, sondern ein Spezialfall, und zwar so, daß dieses Speziale zugleich Schlußstein und Krönung des ganzen einheitlichen Entwurfs bildet, der durch alle Glieder der Schöpfung hindurchgeht. Darum scheint es auch nicht vermessen, sondern nur der Sache entsprechend, wenn der Mensch das Fassungsvermögen und das Anregungsbedürfnis seines Geistes als Maßstab und Typus anwendet, um danach die Tendenz der Natur, ihr Gelingen wie ihr Mißlingen, zu beurteilen.

Wir verharren noch in jenem ersten äußerlichsten Moment der Schönheit. Es gehört eben dahin alles, was der Ordnung und Regelmäßigkeit zugerechnet wird, das gegenseitige Verhältnis der Teile, die in ihrer Gleichartigkeit und Verschiedenheit nicht willkürlich, sondern nach einer Regel abwechseln; die Einheit des Mannigfaltigen, die sich als Symmetrie, Eurythmie, geordnete Gruppierung, als Analogie und Parallelismus der Entwicklung, als Deutlichkeit der Unterschiede in der Form gespannter Kontraste offenbart, und doch nicht ohne daß Zusammenstimmung, Ausgleich und Vermittlung alle Unterschiedenheit überwiegt, mit Ausschluß des Schroffen und Verletzenden, mit Abstufungen der Größe und der Intensität. So gehen im Schönen die mannigfaltigen Teile in eine Harmonie zusammen, bei der keines das andere stört und jedes an seinem Platz zugleich dem Ganzen dient und neben den anderen sich in seiner Selbständigkeit behauptet.

Diese Harmonie der Teile leitet uns dann endlich hinüber zu der dritten Grundbedingung jenes noch äußerlich gefaßten Moments des Schönheitsbegriffs. Es ist dies diejenige Verbindung aller Teile zum Ganzen, die am besten als organische Einheit bezeichnet wird und deren Kennzeichen ist, daß am Ganzen ohne Beeinträchtigung desselben und der übrigen Teile, kein Teil vermißt oder verändert werden darf. Durch ihre organische Einheit ist die schöne Gestalt das nächste Abbild des Universums selber und der Ausdruck des schöpferischen Geistes, der dasselbe durchwaltet. Durch die ganze Natur zieht sich als alle Bildungskraft ordnend und regelnd dies, was wir ihre mathematische Vernünftigkeit nennen können: die bestimmte Zahl und das bestimmte quantitative Verhältnis, die bestimmte Größe und Gestalt in Linien, Flächen, Winkeln. So wird in der Vielheit der Ausdruck der beherrschenden Einheit, ein Neben- und Nacheinander der Teile, Regelmäßigkeit und Ordnung angestrebt als nächstes Zeugnis der weltordnenden Vernunft. Das hebt von den ersten Elementen an und reicht bis in die am Vielseitigsten und Reichhaltigsten entwickelte organische Gestalt hinein.

b) Indessen mit diesem ersten Moment ist der Begriff der Schönheit nicht erschöpft. Bestimmtheit, Ordnung, Begrenzung erscheint am qualitativ verschiedenartigsten Gehalt. Die Austeilung dieser qualitativen Verschiedenheiten an die verschiedenen Arten der Dinge und innerhalb dieser Arten an die Individuen, das ist erst das eigentliche innere Moment der Schönheit. So erst zeugen die Dinge nicht bloß überhaupt davon, daß sich ein geistiges Prinzip in ihrer Bildung und Anordnung betätigt hat, sondern sie drücken auch den bestimmten Gehalt des Erscheinens überhaupt und jeder einzelnen Erscheinung insbesondere aus. Die Gestalt wird damit charakteristisch und erhält ihre bestimmte Bedeutung im Unterschied von anderen. Sie spricht zu uns und erteilt uns Aufschluß über das Wesen der Welt und dieses einzelnen Dings als eines Gliedes an dieser geistdurchwirkten Welt. Mit anderen Worten: die äußere Erscheinung als qualitativ bestimmte Form wird zum Symbol eines geistigen Gehalts. Der menschliche Geist ergreift unmittelbar und unbewußt in der erscheinenden Form zugleich den geoffenbarten Gehalt; die Dinge haben alle ihre Physiognomie und Gebärde, in denen wir lesen, durch die sie sich uns mitteilen und uns ihre Innerlichkeit zu verstehen geben. Die ganze Natur ist eine große Metapher für den Geist, alles Geschehen in derselben ist eine gewaltige und durch die Unendlichkeit in Zeit und Raum sich erstreckende Allegorie, nur ein Gleichnis, aber doch ein Gleichnis und als solches dem idealen Grund der Welt gleichartig und gleichwertig. Auf einer solchen symbolisierenden Tätigkeit beruth alle Menschensprache, beruth ein großer Teil aller unserer geistigen Tätigkeiten, und nicht etwa durch eine zufällige Einrichtung unseres Geistes, sondern deshalb, weil unsere Vernunft mit der Weltvernunft in wesentlicher Übereinstimmung steht. Das Symbol ist dem Ausdrückenden wie dem Ausgedrückten wesentlich, kein bloßes Zeichen, das die Willkür schafft; nicht durch bloße Assoziation der Vorstellungen verknüpft sich etwa nur für uns an das Äußere diese bestimmte Bedeutung: wir sind darin durch die Natur unseres Geistes wie durch die Natur der Dinge gezwungen. Das Blau stimmt uns nicht etwa in bestimmter Weise, weil es am Himmel als seine Farbe erscheint; sondern der Himmel hat diese Farbe, weil dieselbe diesen bestimmten idealen Gehalt hat und diese Ahnung eines Unendlichen in uns und allen der Empfindung etwa gleich uns fähigen Wesen hervorzurufen geeignet ist. Wie es auch sonst physisch vermittelt sein mag, das Blau ist die wahre Himmelsfarbe, diejenige, die den inneren Sinn der Himmelserscheinung am adäquatesten ausdrückt. Und so in allen Dingen: das Licht und der Tag, das Dunkel und die Nacht, Morgen und Frühling, Abend und Winter, jede gerade oder krumme Linie oder Fläche, die Stille und der Klang, jeder Ton und jede Farbe, jedes Nebeneinander und jede Sukzession von kontrastierenden Eigenschaften, Vorstellungen, Empfindungen, alle Verwicklung, Spannung, Lösung, jedes bestimmte Maß an Energie und Schnelligkeit, von Dauer in der Zeit und Ausdehnung im Raum. Kurz: alles hat seine Bedeutung und dient zu einem ganz bestimmten Ausdruck.

Wir können die Meinung nicht billigen, als wären nur wir es, die der Form einen solchen Sinn unterlegen, die Natur aber hätte nur zufällig den Dingen solche Bestimmtheiten beigelegt, an die wir unsere symbolisierende Tätigkeit anknüpfen können. Unsere geistige Organisation steht der Natur der Dinge nicht so fremdartig gegenüber, um mit derselben als mit einem preisgegebenen Stoff für die eigene willkürliche Tätigkeit schalten zu können. Die Natur ist in ihrer Formengebung völlig konsequent, und unser Geist wandelt in der Ausdeutung dieser Formengebung nur auf den von der Natur vorgezeichneten Spuren. Das geistige Prinzip, welches der Natur vorsteht, verliert sich nicht in der äußerlichen Vielheit, sondern hat an ihr seine eigene Erscheinung, bindet und bestimmt sie zur sprechenden Form und macht die Äußerlichkeit damit zum Symbol für jenes Alles als das beseelende Innere. So viel wie der Menschengeist dem schöpferischen Geist, der in der Natur waltet, verwandt ist, so viel findet er auch sich selber, sein Gleichnis, seines Lebens verteilte Momente in den Naturdingen wieder. Und so nun, indem das Äußere als Offenbarung des Inneren innerlich eins wird mit dem Prinzip, aus dem es entsprungen ist, erhält der rastlos weiterströmende Fluß des Vergänglichen seine Festigkeit. Die bedeutungsvollen und sinnreichen Formen der Dinge, - das sind die dauernden Gedanken, mit denen das, was in schwankender Erscheinung schwebt, befestigt ist; als die Träger der inhaltsvollen Schönheit bewirken diese Formen, daß die bloße Vielheit und Äußerlichkeit der Verflüchtigung in das Nichts widersteht. Indem die Erscheinung dem geistigen Prinzip als Stätte seiner Offenbarung dient, nimmt sie am wahrhaften Sein der Substanz teil. Die Vielheit hat ihr bleibendes und inhaltsvolles Sein darin, daß sie als Schönheit in unmittelbarer Einheit mit dem Geistigen steht, indem sie das Geistige bedeutet.

Wie sich nun im Einzelnen die Symbolik der Naturformen darstellt, würde am leichtesten anhander Kunst anschaulich zu machen sein; denn deren Wesen ist es, die Naturformen als Ausdrucksmittel frei zu verwenden. In der Natur liegen alle Urbilder dessen, was als architektonische, plastische, malerische, was als musikalische und poetische Form im Genius des Künstlers wiedergeboren zu unserem Geist spricht. Doch von der Ausführung im Einzelnen müssen wir absehen.

Sofern die Schönheit im Quantitativen Symbol des Geistigen wird, so sagten wir, ist sie zur charakteristischen Schönheit geworden. Diese ist aber mit der Schönheit in dem Sinn wie wir sie zuerst kennen gelernt haben, nicht durchweg in Übereinstimmung; vielmehr je schärfer sich jedes der beiden Momente für sich auszuprägen trachtet, umso entschiedener geraten sie zueinander in einen unverträglichen Gegensatz. Die Schönheit war uns zuerst eine klar begrenzte, sicher bemessene Gestalt; das Charakteristische wird sich versucht fühlen, diese Begrenztheit und Bemessenheit des Quantitativen auf allen Punkten übermächtig zu durchbrechen. Charakteristisch ist jede Qualität, nicht bloß die Bestimmtheit, sondern auch das relativ Unbestimmte, das Schwankende, Fließende, Nebelhafte, und nicht bloß das Maßvolle, sondern auch das relativ Maßlose, die üppige Fülle, die Überschreitung des Maßes zum Größeren wie zum Geringeren, die Überschwänglichkeit wie die Verkümmerung, und nicht bloß die Harmonie, sondern auch der Streit, das Widersprechende, Vermittlungslose, Unversöhnte. So finden wir dann auch in der Tat mit dem Wort schön sehr verschiedene Vorstellungen verbunden, welche der gewöhnliche Gebrauch nicht genügend auseinanderhält. "Schön" ist die vollendet einheitliche Form, aber auch die unvollkommen begrenzte, die aufgelöste Form ist schön, an ihrer Stelle nämlich, wo sie hingehört. Zu allem Schönen wird das Charakteristische erfordert. So kann demnach die vollendet in sich abgeschlossene Form geradezu unschön werden, wo im Zusammenhang des Ganzen statt ihrer das Charakteristische verlangt werden muß oder wo sie selber als Ganzes betrachtet des charakteristischen Elementes allzusehr entbehrt. Andererseits das verhältnismäßig Formlos kann als das Schöne selbst betrachtet werden, soweit es durch eine charakteristische Bedeutsamkeit geadelt wird.

c) Wir haben den Widerstreit der Momente geschildert, der real im Schönen selbst vorhanden ist und in der Auffassung der Natur wie in der Entwicklung der Kunst sehr energisch hervortritt. Aber beim bloßen Widerstreit bleibt es nicht; das scheinbar Unversöhnliche geht gleichwohl zusammen in einer dritten und inhaltsreicheren Bedeutung des Schönen, in welcher wir hoffen dürfen, den Begriff des Schönen zu erschöpfen. Das Schöne fanden wir zuerst nur in der Einheit des Vielen, in Begrenzug, Bestimmtheit, Ordnung überhaupt. Es stellte sich uns zweitens dar als die symbolisch bedeutsame, charakteristische Form des Einzelnen. Wenn beide Seiten zunächst unversöhnt miteinander streiten, so mögen sie im allseitig durchgebildeten Schönen als wohlverträgliche Momente auftreten, die nicht mehr in ihrer Selbständigkeit für sich gelten sondern nur noch am Ganzen, an dem sie haften, dadurch, daß sie sich unterzuordnen und einzureihen wissen, zur Eigentümlichkeit desselben beitragen. Dieses Ganze ist dann die schöne Gestalt als das Ideal gedacht. Im Ideal gehen die gebundene Knappheit und Begrenzung und die phantastische Fülle und Unbestimmtheit in eine höhere gemeinsame dritte Form ein, deren Gesetzen sie sich unterwerfen. Die in sich vollendete Form wird hier durch und durch beseelt, und die individuell charakteristische Qualität erlangt zugleich universelle Bedeutung. Wo die einzellne Gestalt sich zum Ideal erhoben hat, da erscheint in ihr nicht mehr bloß das Einzelne; das ganze Universum lebt in diesem charakteristisch ausgeprägten Einzelnen und spricht zu uns mit ergreifender Gewalt. Die begrenzende Macht des rein Formellen ist hier völlig aufgegangen in die Innerlichkeit der Gestalt. Wir haben dann am einzelnen Bild das All selbst, das sich uns in einer seiner konkreten Erscheinungen völlig aufschließt und gegenständlich macht.

Alle reine, zum Ideal verklärte Gestalt nimmt an dieser Funktion teil; aber im Idealen selber gibt es eine Reihenfolge der Abstufung. Das Höchste wird erreicht, wo sich der reichste Inhalt mit der der geschlossensten Form vermählt. Nicht die einzelne sinnlich faßbare Gestalt, auch nicht die menschliche, bezeichnet diesen Gipfel der Bildungskraf, kein Typus einer Gattung des Lebendigen und kein Individuum, in welchem derselbe zu einer reinen und zugleich charaktervollen Ausprägung gelangt. Erst in den höchsten poetischen Lebensmomenten, in denen das Ideal Wirklichkeit wird, in den Momenten, wie sie der Dichter als Material für seine Erfindungen benutzt, tritt uns der Inhalt allen Lebens und allen Geschehens in reiner und abgeklärter, von störender Zufälligkeit befreiter Form entgegen. Hier nun, darf man sagen, erscheint das Leben in seiner Wahrheit, auf sein reines Wesen zurückgeführt, als Gegenstand einer reinen Anschauung; hier hat es damit zugleich seinen vollen sittlichen Gehalt erreicht, der uns in einem unmittelbar ergreifenden Ausdruck entgegentritt. Wo überhaupt uns Schönes begegnet, da strebt es diesem Ziel zu, wie wir es am vollständigsten in den vollendeten Werken der dramatischen Poesie erreicht sehen.

Wir wenden uns zum Schluß dieser Erörterungen zu; freilich am Ziel sind wir nicht. In dem so erreichten Begriff des Schönen haben wir immer erst den Beginn einer formenreichen Bewegung, deren Stadien wir nicht mehr alle durchlaufen können. Vom Schönen der Natur aus haben wir in den Begriff der Schönheit einzudringen versucht, und sind zuletzt bei der Schönheit im Sinne der idealen Gestalt angelangt. Offenbar aber ist das Ideal als solches nicht in der Natur, also auch nicht das Schöne in ihr verwirklicht; sondern nur die Tendenz auf das Schöne, der Kampf um das Schöne ist draußen in der Erscheinungswelt allverbreitet, und die ganze Natur ist zwar schön, weil sie überall bedeutend und charakteristisch ist, aber auch häßlich, weil sie überall im Kampf um die Form begriffen, weil der widerstrebende Stoff nicht gebändig und bezwungen wird, und alle Ansätze der Bildung nur von einem stets sich erneuernden Verfehlen und Mißlingen zeugen. Daraus nun entfalten sich die Momente einer reichhaltigen Entwicklung. Das Häßliche selbst kann als charakteristisch für das Wesen der Natur in das Schöne als Moment eingehen; der Kampf der Natur um die Form gestaltet sich zum Schauspiel des Erhabenen, dem sich als kampfloses Hingegebensein das Anmutige zu Seite stellt. Der Kampf um die Form steigert sich, wo der Geist es ist, der der Natur sein höheres Recht abringt. Im Kampf des bewußten Willens gegen die äußeren Mächte entwickelt sich das Tragische, welches das Komische als die machtlose Unterworfenheit unter den Zufall, der neckend als wäre er das eigentlich Sinnreiche erscheint, zum Begleiter hat. Aber alle diese Momente gehen wieder in den bereicherten Begriff des erfüllten Schönen ein, das nun den ganzen Umfang der Wirklichkeit, alle Häßlichkeit, allen Widerspruch und alle Dissonanz des Lebens in seinen Gehalt zu verwandeln und durch die siegreiche Form zu verklären vermag.

Aber die Natur ist nicht die angemessene Stätte für die Verwirklichung dieser erfüllten Schönheit; die Unvollkommenheit aller Gestaltung in der Natur treibt den Genius der Menschheit weiter zu freier Betätigung und zur Erzeugung des Schönen aus dem Geist in der Kunst. Und so weist die Natur auf die Kunst hin als auf eine zweite, aus dem Geist wiedergeborene höhere Natur, alle Kunst aber auf die Natur zurück als auf ihre ewig frisch sprudelnde Quelle, aus der sie unverdrossen zu schöpfen und Ströme des Lebens zu empfangen hat. Auf die rechte Spur, um den Begriff der Schönheit zu finden, leitet uns die Natur; eine volle Verwirklichung findet die Schönheit erst in der Kunst. In der Kunst bietet sich uns das vollendet Schöne von allem bloßen Stoff geläutert und zu reiner Form verklärt zu einem vollen seligen Genießen dar, eine zweite höhere Welt, in der unsere wahre geistige Heimat liegt.
LITERATUR Adolf Lasson, Über den Begriff des Schönen, Philosophische Monatshefte, Bd. XIII, Leipzig 1877