Emil Laskvon Kirchmannvon RümelinP. EltzbacherR. Stammler | |||
Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie [2/3]
Es lohnt sich aber, dem Weg nachzugehen, auf dem KELSEN zu diesen Erschleichungen gekommen ist. Er sieht selbst ein, daß es der "reinen" "normlogischen" Rechtswissenschaft nicht möglich ist, die Rechtsordnung als "wirksame Ordnung" zu erweisen, da im Begriff des "reinen" Sollens und Geltens nichts von einer "wirklichen" Geltung liegt, daß das dasselbe wäre wie der Versuch, "sich selbst auf die Schulter zu steigen" oder wie sich MÜNCHHAUSEN "am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen". Um die "Tatsache" zu erklären und zu rechtfertigen, daß trotzdem die Rechtswissenschaft und die Rechtspraxis mit dem Begriff des reinen Sollens nicht auskommen, sondern ein "wirkliches" Gelten verlangen, bedarf es vielmehr einer Norm "ganz anderer Art", eines "Postulates", das "mit dem Begriff des Rechts nichts zu tun" hat. Dies findet er in dem auf die "normative Betrachtung" übertragenen "Grundsatz der Erkenntnisökonomie", der darin besteht, "mit möglichst einfacher Formel möglichst viel der tatsächlichen Gegebenheit zu erklären": also im Postulat, einen Ausgangspunkt zu suchen, durch den "möglichst viele Tatbestände als normentsprechend" erfaßt werden können. Dieser Grundsatz stellt "ein wertökonomisches Prinzip, ein Prinzip der erkenntnismäßigen Erzielung eines Wertmaximums dar". Aus diesem Prinzip folgt natürlich die Ablehnung der Vorstellung, daß es eine Fülle von positiven Rechtsordnungen gibt, die Unmöglichkeit eines "Rechtspluralismus", der ansich mit dem Begriff des "reinen", d. h. von allen räumlichen und soziologischen Beziehungen losgelösten Sollens durchaus vereinbar ist. Das denk- und wertökonomische Prinzip hingegen fordert, "daß die Jurisprudenz in demselben Maß Wissenschaft wird, als sie dem Postulat der Einheit ihrer Erkenntnis genügt, als es ihr gelingt, alles Recht als ein einheitliches System zu begreifen". "Das Postulat der Einheit der Erkenntnis gilt unbeschränkt auch für die normative Ebene und findet hier seinen Ausdruck in der Einheit und Ausschließlichkeit des als gültig vorausgesetzten Normensystems." Das drängt dann zu der "juristischen Hypothese" vom "Primat der Völkerrechtsordnung" über die staatsrechtliche Ordnung. Durch sie wird "der Rechtsbegriff zugleich im formellen und materiellen Sinn vollendet: das Recht wird zur Organisation der Menschheit und damit eine der höchsten sittlichen Ideen." Diese Argumentation stützen zwar in keiner Weise die soziologische Subsumption der Weltrechtsordnung in der Organisation der Menschheit, oder gar, wie das "Recht" zu einer "Organisation" wird, oder wie es einen "Rechtsbegriff im materiellen Sinne" geben kann; aber sie deduzieren die "monistische Anschauung" als von der "Einheit des Erkenntnisstandpunktes" gefordert, wie KELSEN sie im Sinne der MACH'schen Denkökonomie, der auch SANDER huldigt, versteht. Daß der "Neukantianer" KELSEN mit dieser MACH'schen Theorie vom Erkennen der Welt nach einem denkökonomischen Grundsatz der geringsten Kraftanstrengung - und auf dieser Theorie ruht sein ganzes Gebäude - von KANT weltenweit abrückt, entbehrt nicht der Pikanterie. Es versteht sich demgegenüber von selbst, daß das "ökonomischste" Denken nicht das "richtigste" zu sein braucht; die Kompliziertheiten und Differenziertheiten der Wirklichkeit, die Spannungen und Antinomien des Lebens, die doch auch real sind, können nach dem Prinzip der denkökonomischen Vereinfachung nie begriffen werden. Daß bei "Rechtspluralismus" Antinomien zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen bestehen, ist klar, ebenso, daß sie durch einen Weltrechtsmonismus theoretisch beseitigt werden könnten. Was sich aber fragt, ist: erstens ob sie beseitigt werden sollen; - zweitens ob sie beseitigt werden können, und zu welchem Preis, für welche Opfer diese Beseitigung zu haben ist; - drittens ob es die Aufgabe der positiven Rechtswissenschaft ist, die rechtlichen Phänomene bereits heute, wo diese Antinomien nun einmal tatsächlich bestehen, soziologisch vorhanden sind (man mag dies bedauern oder nicht), so zu konstruieren, als beständen sie nicht, ob eine solche Konstruktion gegenüber der Rechtswirklichkeit irgendeinen Erkenntniswert hat; - viertens, ob eine solche Konstruktion irgendeinen Einfluß auf die Umgestaltung der Rechtswirklichkeit im Sinne jenes (vermeintlichen oder wirklichen) Ideals hat, ob die Denkökonomie in irgendeinem Parallelismus zur Auswirkung der realen soziologisch-politischen Kräfte der historischen Wirklichkeit steht. KELSEN beantwortet implizit alle diese Fragen mit einem unbedenklichen Ja, ohne Begründung und natürlich auf der Grundlage einer bestimmten metaphysischen Einstellung. Diese Einstellung ist ein schrankenloser, nicht etwa bloß erkenntnistheoretischer, sondern metaphysischer Rationalismus. Das gesamte Leben soll durch abstrakte Rechtssätze rationalisiert werden: das ist natürlich nur möglich durch den Primat der Völkerrechtsordnung, oder wie er selbst sagt: "richtiger Weltrechtsordnung". Die Preis- und Opferfrage kümmert seinen rationalen Rigorismus gar nicht. Die Rationalisierung durch abstrakte Weltrechtssätze kann erfolgen, denn sie muß es: natürlich nur durch eine "Revolutionierung unseres Kulturbewußtseins"; aber der ihr im Weg stehende Souveränitätsbegriff "muß radikal verdrängt werden". Wie das geschehen kann, untersucht er nicht: "starke Kräfte" "wirken" "unzweifelhaft" "nach dieser Richtung"; welche, sagt er nicht; von "starken Kräften", die dagegenwirken, weiß er nichts. Die "Kräfte" scheinen ihm aber doch wieder nicht auszureichen, denn er stellt das Ziel zugleich dem "politischen Streben" als "unendliche Aufgabe". Daß die soziologischen Kräfte und das sittliche Streben zu demselben Ziel führen, setzt eine prästablierte [vorgefertigte - wp] Harmonie zwischen dem ordre naturel und der menschlichen Sittlichkeit oder eine Erhebung der sittlichen Ideen der Menschen zu real wirkenden metaphysischen Potenzen voraus. Daß dieses Ziel dann doch wieder ins "Unendliche" verlegt wird, steht in Widerspruch mit der Hineinprojizierung dieses Ziels in die Endlichkeit und mit der Forderung, die empirische Rechtswelt bereits nach dem Schema dieses Ziels zu konstruieren. Wenn er das trotzdem tut, so beruth das auf der Hypostasierung [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] des empirischen Allgemeinbegriffs, von dem er ausging, zu einer metaphysischen Potenz. Daß er mit der Konstruktion der empirischen Rechtswelt, "als ob" das im Unendlichen liegende Ziel bereits erreicht wäre, diese vergewaltigt, versteht sich von selbst. Daß diese empirische Rechtswelt seinem Rationalismus "ein unbefriedigender Zustand" ist, mag ihn in Weltschmerz zusammenbrechen lassen, berechtigt ihn aber nicht, diesen Zustand bei seiner wissenschaftlichen Erfassung zu ignorieren. Es ist unzweifelhaft richtig, daß die Begriffe der empirischen Rechtswissenschaft politische, psychologische und soziologische Elemente enthalten, die sich nicht aus dem Begriff des reinen Sollens logisch "erzeugen" lassen. Gerade darum aber können sie eben nicht rein "normlogisch", sondern nur auch mit historischen, psychologischen und soziologischen Methoden erfaßt werden. Gewiß sind die Gegensätze zwischen öffentlichem und Privatrecht, zwischen Staats- und Völkerrecht, zwischen Bundesstaat und Staatenbund, sind der Souveränitätsbegriff, der Begriff des subjektiven Rechts keine formal-apriorischen Begriffe, sondern für besondere historisch-politische, soziologische und psychologische Verhältnisse bestimmte und mit ihnen zusammenhängende. Daraus folgt aber nur, daß sie zur juristischen Erfassung dieser empirischen Verhältnisse gar nicht anders aussehen dürfen; denn diese müssen als das, was sie sind, behandelt werden, nicht als das, was sie wären, wenn der KELSEN'sche Rechtsmonismus in der Unendlichkeit verwirklicht wäre. Die positive Rechtswissenschaft fängt haarscharf an dem Punkt an, wo KELSEN aufhört. Es ist daher auch nur durch eine radikal logizistische Metaphysik zu begründen, wenn KELSEN überzeugt ist, daß die Reinigung der Begriffe nach dem weltrechtsmonistischen Ideal zu dessen Verwirklichung irgendetwas beitragen könnte: er glaubt, daß mit der "Überwindung des Dogmas von der Souveränität des Einzelstaates" sich "die Existenz" der Weltrechtsordnung, der civitas maxima "durchsetzen" wird. Es ist vielmehr klar, daß sich an der soziologisch-historischen Wirklichkeit auch nicht ein Atom ändern wird, wenn eine "reine" "normlogische" Rechtstheorie aus Gründen einer denk- und wertökonomischen Methodenlehre den Souveränitätsbegriff leugnet, oder, wie SANDER fordert, "die Vernichtung des metarechtlichen Rechtsbegriffs" vornimmt. Die Metaphysik dieses rationalistischen Logizismus ist so grotesk, daß sie fast etwas Grandioses bekommt. Dieser metaphysische Logizismus ist das Grundmotiv der KELSEN'schen Rechtsphilosophie. Das erhellt sich aus Folgendem. Wir hatten gesehen, daß die denkökonomischen Argumentationen wohl den Weltrechtsmonismus im Sinne eines abstrakten Rechtssystems für die gesamte Menschheit, nicht aber dessen soziologische Subsumtion durch eine "zur Fortbildung, Anwendung und Durchsetzung des Völkerrechts" zu schaffende Weltorganisation stützen kann. Diese Subsumtion wird durch folgenden metaphysischen Gedankengang vermittelt. Die "metajuristische" Argumentation aus einem "mehr oder weniger (sic!) erkenntnistheoretischen Prinzip" kann bei der Weltrechtsordnung durch ein "juristisches (sic!) Prinzip" ersetzt werden. Bei der "relativ höchsten, d. h. nur unter dem Völkerrecht stehenden Zwangsordnung menschlichen Verhaltens" wird "ein gewisser Grad von Wirksamkeit dieser Ordnung, von Faktizität vorausgesetzt". Also doch! Die grundsätzlich von KELSEN für die "juristische" Betrachtung abgelehnte, weil eine mit dem "unüberbrückbaren Gegensatz von Sein und Sollen" unvereinbare Verbindung des "Normlogischen" mit einem bloß "Faktischen" doch wieder an der obersten Stelle geknüpft werden muß. Mit Recht; denn sonst schwebt alles Sollen in der Luft. Diese "dualistische Konstruktion des Weltbildes" aber war ja gerade der Ausgangspunkt von KELSEN, die er zwar als "unbefriedigend" und als "unleidlichen Zwiespalt" empfunden hatte; in seinem "Denken" aber hatte er "keinen Weg" "sehen" können, der über ihn "hinwegführt". Jetzt KELSEN aber diesen Weg doch gefunden: er hat dem Sein, der Faktizität, dem Soziologischen doch Zugeständnisse machen müssen. Es ist die Rache des sonst überall vergewaltigten Irrationalen, daß es sich am Ende wenigstens nicht mehr ignorieren ließ; wie ein Kobold, der sich so viel narren lassen mußte, steht es am Schluß da und schlägt dem rationalistischen Übermenschen ein Schnippchen. Und wie rettet sich dieser vor dem unheimlichen Gesellen? "Dadurch, - sagt er - daß das Faktische zum Inhalt einer Norm wird, erfährt es einen ganz eigenartigen Bedeutungswandel, es wirs sozusagen denaturiert, schlägt in sein Gegenteil um, wird selbst zum Normativen. Nicht von einer normativen Kraft des Faktischen, sondern von einer Metamorphose des Faktischen zum Normativen müßte man sprechen." Wer kann dieses mystische Stammeln noch verstehen? Es sei denn im Sinne einer restlosen Kapitulation vor dem extremsten Empirismus! Und unser rationalistischer Übermensch sagt weiter: "Freilich gerät hier das Völkerrecht an die äußerste Grenze des Bereichs normativer Erkenntnis, an die äußerste Grenze des Rechts. Es ist vielleicht (sic!) gerade noch (sic!) Recht, wenn es - den fundamentalen Gegensatz von Sein und Sollen gefährdend (sic!) - zwar nicht jede faktische Macht als Rechtsmacht zu etablieren bemüht ist, aber doch nur eine bestimmte faktische Macht als Rechtsmacht gelten lassen will. Und in dieser Schwäche des Völkerrechts gegenüber der faktischen Macht, in dieser Neigung des Völkerrechts vor den Tatsachen zu kapitulieren, zeigt sich seine wahre Schwäche als Recht." Die Ehrlichkeit, mit der der unermüdlichste Streiter gegen die Verquickung von Sein und Sollen, von juristischer und soziologischer Betrachtung, von Recht und Macht, hier, getrieben durch die eiserne Konsequenz des eigenen Denkens, kapituliert, muß jedem, der ein Gefühl für Denkermut hat, im höchsten Maße aufrichtige Bewunderung abnötigen: ich senke zum Gruß meinen Degen vor ihm. - Aber es ist und bleibt eine völlige Kapitulation. Wenn das Recht "letztlich" doch eine Verbindung mit dem Soziologischen, mit den tatsächlichen Machtverhältnissen braucht, muß sich die Frage erheben: warum gerade nur das Völkerrecht? Der Primat des Völkerrechts war ja nur teils denkökonomisch, teils durch eine rationalistische und logizistische Geschichtswissenschaft begründet. Wenn man beides ablehnt und den "Rechtspluralismus" als eine (vielleicht unerfreuliche, aber doch in dieser Wirklichkeit nun einmal entweder stets bestehende oder nur in der Unendlichkeit aufhebbare) Tatsache hinnimmt, dann wird die Verbindung zwischen dem Rechtlichen und Soziologischen für alle diese vielen Einzel rechtsordnungen, nicht etwa bloß die staatlichen, zu einer ebenso unabweisbaren Notwendigkeit, wie sie es bei KELSEN selbst für das Völkerrecht ist. Und die damit unzweifelhaft verbundenen Antinomien wären nur ein Symptom der Antinomien, die nun einmal diese ganze wirkliche Welt beherrschen, und deren Beseitigung dem Menschen niemals möglich sein wird. Der abstrakte Rationalismus wäre damit bankrott und unser rechtsphilosophisches Denken einem grenzenlosen Positivismus und Empirismus ausgeliefert. Es ist wieder dasselbe, uns bereits bekannte Bild. KELSEN hat recht, wenn er selbst sagt: "Wenn mich ein Vorwurf trifft, ist es nicht der, daß ich zu wenig, sondern eher der, daß ich zu sehr Positivist bin." Aber das ist - wie wir immer wieder sehen werden - nur die eine Seite seines schillernden Systems: er kann sich auf der anderen Seite nicht genug tun in der Bekämpfung des naiven Realismus. Bei seiner Begründung des Umschlagens vom Faktischen zum Normativen auf der obersten weltrechtlichen Stufe sagte er, daß diese darauf beruth, daß hier "das Faktische zum Inhalt einer Norm wird". Ist das denn nicht überall, wo es Normen gibt, der Fall? KELSEN selbst sagt an anderer Stelle, wo er uns die positivistische Seite seines Januskopfes zuwendet: er sei sich wohl bewußt, daß eine "Verfassung ihre rechtlich relevante Geltung zwar aus der vorausgesetzten Ursprungsnorm, ihren Inhalt aber aus dem empirischen Willensakt der konstituierenden Autorität holt"; auch hier wird also "das Faktische zum Inhalt einer Norm". Jene von ihm daher nur an der obersten Stelle vorgenommene "Metamorphose des Faktischen zum Normativen" muß eigentlich überall eintreten, wo es inhaltliche Rechtsnormen gibt; und damit wären wir ganz in Gedankengänge eingemündet, die eigentlich seine Gegenpole darstellen. Denn das ist ja die Grundthese sowohl der "soziologischen" Rechtslehre, die eine "normative Kraft des Faktischen" zur Voraussetzung hat, wie die des - verwaltungsrechtlich gewiß verdienstlichen, aber - philosophisch so abstrusen Buches von WALTER JELLINEK mit seiner Lehre vom "Rechtssatz"charakter der "Wirklichkeit", von den "Tatsachen mit abgeleiteter Rechtssatzwirkung": Der Krieg, das Erlöschen einer Seuche, die Geschichte, ein Kurort, die Heilung eines Bisses von einem tollwütigen Hund im PASTEUR'schen Institut, die Mode, die Nervosität usw. sind nach ihm alles Rechtssätze von derselben juristischen Art wie die Rechtssätze in Rechtsverordnungen. Auch SANDER sagt, nachdem er seine alte Weltrechtstheorie aufgegeben hat, nur noch, daß es darauf ankommt, ob "die Rechtserfahrung eine völkerrechtliche Verfahrensreihe als höchste Stufe der Rechtserfahrung ausgezeichnet hat", und daß "mit dem Wechsel der Rechtserfahrung auch die Theorie der Rechtserfahrung andere und wieder andere Verfahrensgrundreihen annehmen muß". Abgesehen davon, daß es unklar ist, was bei den SANDER'schen Prämissen eine "Rechtserfahrung sein kann, soll hiernach eine Rechts erfahrung eine Verfahrensreihe als "höchste" "auszeichnen" und die Theorie nötigen, Verfahruns-Grund-Reihen "anzunehmen". Es ist also auch hier die Erfahrung, die gewisse Inhalte und Tatsachen zum Recht stempelt: die Kapitulation des Rechts vor dem Empirismus, vor der Faktizität, die den Inhalt der Normen schafft - radikaler soziologischer Empirismus! - Da SANDER seine eigene frühere und KELSENs Weltrechtstheorie mit diesen Sätzen ableugnet, kommt er damit auch in eine für ihn bedenkliche Verwandtschaft mit gewissen Ausführungen von mir, die für ihn jedesmal, wenn er uns die nicht-positivistische Seite seines Januskopfes zukehrt, das Schulbeispiel der konsequent zuende gedachten "alten Staatsrechtslehre" sind. Denn auch ich zeige, daß, wenn man nur vom abstrakten Begriff des Rechts ausgeht, man zu dem kommen muß, was KELSEN "Rechtsplurismus" nennt, und werfe die Frage auf, ob wir bei diesem "Relativismus" von inhaltlich verschiedenen Rechtsordnungen stehenbleiben müssen, oder ob eine "Rangordnung" unter ihnen bestehe; hier seien "verschiedene Wege möglich": im Mittelalter hätten wir die einheitliche Christenheit, also eine Weltrechtsordnung gehabt, in der natürlich für "souveräne" Staaten kein Platz war; aber mit dem Beginn der Neuzeit sei dieses "Kultursystem" zerstört und "Raum für neue Lösungen des Rechtsproblems geschaffen worden; und dann wird geschildert, wie der moderne Staat entsteht und zum souveränen Staat neben anderen, sich ebenso souverän fühlenden Staaten wird. Nach SANDERs Terminologie hat eben "mit dem Wechsel der Rechtserfahrung" die "Theorie der Rechtserfahrung" im Laufe der geschilderten geschichtlichen Entwicklung "andere und wieder andere Verfahrensgrundreihen annehmen müssen". Denn auch ich habe nirgends die "Verfahrensgrundreihe" "moderne Staaten" als etwas "Unbedingtes" hingestellt, im Gegenteil gerade ihre Bedingtheit überall scharf betont: es sei ein Wechsel universalistischer und nationaler Epochen in der Geschichte zu beobachten, es habe den kirchlichen Weltstaat gegeben, auch die "Kirche" könne unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen neben dem Staat eine "Verfahrensgrundreihe" sein, ja je nach den geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingtheiten könnten auch andere Faktoren - ich verwiese auch auf Revolutionen - "mit dem Wechsel der Rechtserfahrung" "Verfahrensgrundreihen" werden. Was mich vom positivistischen SANDER unterscheidet ist also jedenfalls nicht, daß ich dem "Normativen" weniger Bedeutung zumesse als er - wie es bei der Polemik des "normlogischen" SANDER aussieht, - sondern mehr: das geht aus meiner Ablehnung der von BRUNO SCHMIDT vertretenen "empirisch-sozialen, sozial-dynamischen" Rechtstheorie, des damaligen Typus der empiristisch-soziologischen Rechtslehre, und meiner Ablehnung "der normativen Kraft des Faktischen" hervor (1). Was uns unterscheidet, ist, daß ich mich nicht der neukantischen Verwechslung der abstrakt kategorialen Formwelt und der normativen Sphäre schuldig gemacht habe, daß ich das Normative nicht nur in rationalistischer Form kenne und jeden harmonisierenden Vereinfachungsrationalismus ablehne. Die südwestdeutsche Schule hat bisher noch nicht zwei so abgeschlossene und charakteristische Leistungenn wie die von STAMMLER und KELSEN zu verzeichnen; dagegen hat sie einen ungewöhnlich starken Einfluß auf die positive Rechtswissenschaft ausgeübt. Und selbst wo solche unmittelbaren kausalen Beeinflussungen nicht zu erweisen sind, erscheint das, was die südwestdeutsche Rechtsphilosophie geleistet hat, wie der methodologische Unterbau zur herrschend gewordenen Behandlungsart rechtsdogmatischer Probleme: sie ist - und das bedeutet noch mehr als eine kausale Verbindung - aus demselben Geist geboren wie jene und so eine wahrhaft typische Erscheinung in der deutschen Geistesgeschichte der letzten Jahrzehnte. Beide Tatsachen, die sich scheinbar zu widersprechen scheinen, der Mangel an abgeschlossenen und charakteristischen Leistungen und der große Einfluß auf die herrschende Rechtsdogmatik, wurzeln tief in der Eigenart dieser neukantischen Richtung. Denn in ihr ist nicht nur ein bestimmter, aus KANT rezipierter Ideengehalt lebendig, sondern auch viel von der nachkantischen Spekulation, der die Marburger fast völlig ablehnend gegenüberstehen, als Erbgut erhalten geblieben: namentlich in WINDELBAND und HENSEL, bei denen die synthetische und zum System tendierende Art RICKERTs und die bohrende Denkenergie und begriffliche Leidenschaft EMIL LASKs, des vielleicht bedeutendsten, leider nicht zur Vollendung gekommenen Denkers dieser Schule, nicht so stark entwickelt sind, die dafür aber einen feineren philosophiegeschichtlichen Sinn besitzen, der den Marburgern fast völlig mangelt, und die daher eine besondere Note als philosophische Persönlichkeiten haben. Wenn hier daher auch bisher nocht die große Systematik der Marburger fehlt, die in ihrer Geschlossenheit und radikalen Einseitigkeit nicht zu überbieten ist, die aber auch keine Weiterentwicklung mehr zuläßt, so sind dafür nicht nur die geistesgeschichtlichen Verbindungslinien zur Vergangenheit erhalten geblieben, sondern es liegen in ihr auch Keime, die eine Fortentwicklung über sie hinaus nicht ausschließen: hat doch LASK in seinen letzten Arbeien vielfach die Schranken dieser Richtung bereits so stark durchbrochen, daß man zweifeln kann, ob er ihr noch ganz zugerechnet werden kann. Der formale Charakter des philosophischen Denkens wird hier so intensiv durchgeführt, das Normative so hoch über die empirische Wirklichkeit erhoben, daß auch für die Probleme der Irrationalität und des geschichtlichen Lebens wenigstens der "erkenntnistheoretische" Ort auf dem globus intellectualis festgelegt, wenn auch nicht zu einer Metaphysik der Geschichte oder des Geistes fortgeschritten werden konnte und die Geschichtsphilosophie letztlich doch in einer Methodenlehre der empirischen pragmatischen Geschichtswissenschaft stecken bleiben mußte. Die transzendente Höhe, in die die absoluten Werte verlegt werden, das Festhalten am formalen Charakter dieser Werte, die schroff dualistische Auseinanderreißung von Wert und Wirklichkeit, von "kritischer" und "genetischer" Betrachtung, mußten es unmöglich machen, die Beziehungen zwischen dieser formalen transzendenten Welt und der Inhaltlichkeit der empirischen Sphäre begreifbar und anschaulich zu machen. Das kantische Ding-ansich, das vielleicht für die transzendentale Ästhetik und Analytik entbehrlich sein oder hier nur als "Grenzbegriff" funktionieren mag, ohne das aber bereits die transzendentale Dialektik nicht verstanden werden kann, und das jedenfalls als Verbindungsstück zwischen den drei Kritiken und als Grundlage der kantischen Geschichtsphilosophie nicht wegzudenken ist, ist - nach FICHTE'schem Vorbild - über Bord geworfen, ohne daß es durch den FICHTE'schen absoluten Willensrationalismus oder den HEGEL'schen absoluten Geist ersetzt wäre. Mag auch KANT in gewissem Sinn Dualist gewesen sein, so war es ein Dualismus zwischen der noumenalen und phänomenalen Welt, d. h. der Dualismus zwischen dem Ding-ansich und seiner Erscheinung, also letztlich doch ein Monismus. Die "Natur" ist bei ihm nicht nur die Erscheinung, sofern sie unter allgemeinen Gesetzen begriffen werden kann, sondern zugleich ein Wertbegriff: der hinter den Erscheinungen steckende ordre naturel, die sich in der menschlichen Sittlichkeit und Geschichte entfaltende noumenale Welt, deren Bürger auch der Mensch in seinem metaphysischen Kern ist. Und wenn auch diese noumenale Welt als "Gegenstand" der "theoretischen Erkenntnis" entzogen ist, so ist doch ohne sie andererseits auch bereits eine Erkenntnis der empirischen Welt nicht möglich, und ist ferner diese noumenale Welt keine Welt formaler Werte, sondern von inhaltlichen Vernunftideen, die darum eine regulative und normative Funktion erfüllen können. Durch die Streichung des Dings-ansich klafft im Denken der südwestdeutschen Richtung eine metaphysische Lücke. Der Dualismus zwischen formalen und absoluten Werten und dem empirischen Stoff ist etwas ganz anderes als der zwischen Ding-ansich und Erscheinung. Wenn man von einem Gegensatz von Form und Inhalt spricht, so bleibt der Gegensatz ein rein abstrakter, begrifflicher, erkenntnistheoretischer, dem irgendwie noch ein realer Monismus entspricht: den es "gibt" nur am Stoff haftende Form und geformten Stoff. Man kann alle jene Gegensatzpaare zwar unter bestimmten "erkenntnistheoretischen" Gesichtspunkten auseinander- denken, aber sie müssen unter anderen Gesichtspunkten wieder als Einheit erscheinen. Jede bloß "begriffliche" Unterscheidung ist eine relative, die einem bestimmten relativen Erkenntniszweck dient; unter anderen Erkenntnisgesichtspunkten erscheint das früher Getrennte als vereinigt. So sind auch die Begriffe Form und Inhalt relative: je nach Gesichtspunkt erscheint bald dieses bald jenes Element als Form. Wenn man eine unter einem bestimmten relativen Gesichtspunkt stehende begriffliche Unterscheidung mit einer Wert farbe umkleidet und so die un sinnliche abstrakte Form zur übersinnlichen erhebt, hypostasiert man etwas bloß Gedachtes, Abstraktes zu einer metaphysischen Dignität: man verleiht dem relativen Unterscheidungsgesichtspunkt eine absolute Bedeutung. Wenn daher das aus erkenntnistheoretischen Gründen in Form und Inhalt Auseinander-Gedachte zur Grundlage der Philosophie überhaupt gemacht wird, verleiht man damit der Erkenntnistheorie metaphysische, ontologische Bedeutung und steht mitten in einer nicht nur rationalistischen, sondern auch intellektualistischen Weltanschauung. Eine Dualität, die nur unter bestimmten, relativ berechtigten Gesichtspunkten auseinander- gedacht werden kann, kann nicht Grundlage einer Philosophie werden, sondern nur eine solche, die unter keinem Gesichtspunkt zusammengedacht, die nur auseinander-erlebt werden kann, ist dazu zu verwenden. Wenn man, ohne der unsinnlichen abstrakten Form eine metaphysiche Farbe zu verleihen, beim Verhältnis Inhalt-Form stehen bleibt, kommt man zu einem metaphysischen Monismus, an dem nur unter "erkenntniskritischen" Gesichtspunkten ein Komplex von abstrakten "Momente" begrifflich herauspräparierbar ist: also zu einem radikalen metaphysischen Empirismus oder empirischen Realismus. Es besteht nicht nur die von RICKERT selbst betonte "Harmonie" zwischen seinem transzendentalen Idealismus und dem empirischen Realismus, sondern eine völlige metaphysische Identität. Die "brutale Wirklichkeit", auf die sich der Realismus beruft, kann durch das begriffliche Herauspräparieren reiner Formen nicht aufgehoben werden; nur "in einem erkenntnistheoretischen Zusammenhang" ist der Hinweis auf dieses "factum brutum" "brutal": sagt RICKERT selbst. Wie aber eine Erkenntnistheorie die "Metaphysik" des empirischen Realismus beseitigen kann, ist unerfindlich: sie interessiert sich ja nur für das, was "begrifflich früher" ist als die Erkenntnis der Wirklichkeit. Man kann aber das "erkenntnistheoretische Problem", das im "Begriff" des factum brutum "steckt", sehr wohl "sehen", wie RICKERT nur fordert, und doch metaphysisch brutaler und radikaler Empirist bleiben. RICKERT hat recht: der "transzendentale Idealismus" braucht den "empirischen Realismus" nicht zu "beunruhigen"; er "beabsichtigt" es ja nicht einmal. Mit bloßer Erkenntniskritik kann man in der Tat keine Metaphysik widerlegen oder aufheben. Nun ist ja aber natürlich auch RICKERT weit entfernt von so einer falschen philosophischen Bescheidenheit, wie er sie gelegentlich in seinen Schriften (wir sprechen schon von "transzendentem Minimum") zur "Beruhigung" des herrschenden naiven Empirismus zur Schau trägt. Er ist "zugleich der Überzeugung, daß allein in der Erkenntnistheorie die Basis für eine wissenschaftliche Philosophie zu finden ist". Diese "Überzeugung" von der über-erkenntnistheoretischen Bedeutung der Erkenntnistheorie kann natürlich nicht wieder erkenntnistheoretisch begründet sein, was RICKERT freilich glaubt. Ja, er will die für seine "Weltanschauung" entscheidende Lehre vom Primat der praktischen Vernunft "erkenntnistheoretisch" begründen. Daß das nur aufgrund einer extrem intellektualistischen Metaphysik möglich ist, leuchtet ein: oder glaubt er auch sie erkenntnistheoretisch begründen zu können? Für WINDELBAND "geht die Erkenntnistheorie weder der Metaphysik voraus, noch folgt sie ihr, sie ist weder die Voraussetzung noch die Rechenprobe der Metaphysik, sondern sie ist die Metaphysik selbst." Die Unhaltbarkeit dieser erkenntnistheoretischen Begründung der Metaphysik oder gar dieser Identifizierung von Erkenntnistheorie und Metaphysik wird nun aber auch bei dieser neukantischen Richtung dadurch verdeckt, daß einerseits die Sphäre des absoluten Wahrheitswertes mit der Sphäre der abstrakten Kategorialformen vermischt wird und andererseits die abstraktesten empirischen Allgemeinbegriffe in die Höhe der kategorialen Sphäre, ja in die der normativen Werte erhoben werden. Das Wesen der Wahrheit soll nach WINDELBAND bestehen in der "immanenten sachlichen Notwendigkeit der Vorstellungs inhalte", und darum soll die in der Wahrheitserkenntnis liegende "Zustimmung" "aus den rein sachlichen Verhältnissen der Vorstellungs inhalte hervorgehen". Wenn hiermit auch wieder das Entscheidende nicht gesagt ist, nämlich, welcher Art "Sachlichkeit" und "Notwendigkeit" als spezifisch erkenntnis- und wahrheits mäßige gemeint sein soll - denn eine sachliche Notwendigkeit muß bei allen Wertfragen (es gibt sittliche, rechtliche, ästhetische, sachliche "Notwendigkeiten") vorliegen - so ist doch jedenfalls deutlich gesagt, daß es sich um "Verhältnisse der Vorstellungs inhalte" handelt: sie bilden den "Gegenstand" der Erkenntnis, der über deren "Richtigkeit und Unrichtigkeit entscheidet"; "Gegenständlichkeit" ist "sachliche Notwendigkeit". Dann aber kommt ein völliges Abbiegen von der bisherigen These, wenn es weiter heißt: "In Synthesis besteht das, was wir den Gegenstand des Bewußtseins zu nennen haben." Damit sind wir unvermittelt in die kategoriale Sphäre hinübergeglitten: denn Synthesis soll ja eine "Funktion" der Verknüpfung sein für Vorstellungsinhalte, während es vorher die Vorstellungs inhalte waren, deren "sachliche Verhältnisse" den "Gegenstand" der Erkenntnis bilden sollten. Die Synthesis kann nicht als kategoriale Funktion im Gegensatz zu den Vorstellungsinhalten stehen, und zugleich ebenso den "Gegenstand" der Erkenntnis bilden, wie das auch die "sachlichen Verhältnisse" eben der (zu ihr im Gegensatz stehenden) "Vorstellungs inhalte" tun sollen. Die kategoriale "Synthesis" soll "den Wert der Erkenntnis besitzen", wenn "die Art der Verknüpfung sachlich in den Elementen selbst begründet ist". Danach soll also wieder der Wahrheitswert in den Vorstellungs inhalten begründet sein, und nicht in der synthetischen Verknüpfung, sondern im Zusammenhang" liegen, der den Vorstellungs inhalten "sachlich zukommt". Welcher das ist, ist aber doch die Frage.. Wenn die Synthesis, die Verknüpfungs form, und nicht - das ist ja die These - die Vorstellungs inhalte den "Gegenstand" der Erkenntnis bilden, dann kann man doch nicht die Synthesis wieder durch den den Vorstellungs inhalten "sachlich zukommenden Zusammenhang" bestimmen, nicht "abhängen" lassen "von der empirischen Bewegung des Denkens". Diese Erkenntnistheorie pendelt immer zwischen einem grenzenlosen Empirismus und einem grenzenlosen Rationalismus hin und her, sie schillert bald mehr nach der einen, bald mehr nach der anderen Seite, wie wir das bei allen Formen des Neukantianismus beobachtet haben und weiter beobachten werden. Bald heißt es: Wahrheit sei "irgendeine Beziehung des Bewußtseins zum Sein", bald ihr Wesen sei die "Synthesis" als solche, bald die "sachliche Notwendigkeit der Vorstellungs inhalte". Die Formel, daß das Erkennen "die Gegenstände selbst erzeugt", versteckt das Durcheinandergehen dieser drei einander entgegengesetzten Erkenntnislehren. Sie ist richtig, insofern sie besagt, daß die kategorialen Verknüpfungsformen der Dinghaftigkeit, der Gegebenheit usw. erst die Vorstellungsinhalte zu "gegebenen Dingen" usw. "machen". Sie ist falsch, insofern doch auch die Vorstellungsinhalte und der ihnen "sachlich zukommende Zusammenhang", ihre "sachliche Notwendigkeit" etwas ist, was nicht in den synthetischen Formen liegt, ja auch nicht mit dem sachlichen Zusammenhang eines etwaigen Systems der Beziehungs formen identisch ist. Sie ist weiter falsch, insofern die Beziehung des Bewußtseins zum Sein zwar in der Charakterisierung der Synthesis als "selektive" zum Ausdruck kommt (wenn auch unbestimmt bleibt), aber dieses Moment der Selektion von Teilinhalten aus der Totalität des Seins eben eine Totalität des Seins voraussetzt, die doch gerade vom Denken nicht "erzeugt", sondern vorausgesetzt wird. Es ist also keine ausreichende Erklärung der These, daß die Synthesis den "Gegenstand der Erkenntnis" bildet, wenn gesagt wird, daß die "Notwendigkeit", mit der wir jene Synthesen vornehmen, das durch sie "Erzeugte" dem "naiven" Menschen als Gegenstand erscheinen läßt: denn diese Notwendigkeit soll ja gerade nicht im synthetischen Bewußtsein, sondern in einem "sachlichen Zusammenhang" der Bewußtseins inhalte liegen und von ihm bestimmt sein. (2) Wir sind eben vollständig aus der Sphäre des normativen Wahrheitswertes in die der kategorialen Formen hinübergeglitten, und es ist ein eitles Bestreben, in der kategorialen Sphäre synthetischer Funktionen den Wahrheits wert der Erkenntnisse begründen zu wollen. Der Schein, daß das geht, wird dadurch vorgetäuscht, daß die synthetischen Funktionen zu Normen derselben Qualität und Dignität heraufgeschraubt werden wie die Wahrheitsnorm: sie wahr! erkenne die Wahrheit! Es wird einerseits ganz richtig hervorgehoben, daß die kategoriale Form bloß die Würde des abstrakten Formgehalts habe, also "in der Wirklichkeit steckt", daß die in den Kategorien erfaßten Gegenstände "nach Inhalt und Form zur Realität gehören". Andererseits aber wird wieder betont, daß diese kategorialen Verknüpfungsformen "Normen" sind, - und das sind sie auch, insofern wir dieselben Inhalte mit verschiedenen Kategorien erfassen können und die Wahl unter diesen verschiedenen Kategorien bzw. den verschiedenen Möglichkeiten einer Kombination der einzelnen Kategorien abhängt von den konkreten und relativen Erkenntniszwecken; aber sie sind es nur insofern. Die im absoluten Wahrheitswert liegende Norm aber ist von ganz anderer Art: denn diese Norm "steckt" in keinem Sinn in der Wirklichkeit, "gehört" in keinem Sinn zur Realität, sondern sie begründet eine Dignität unserer Erkenntnisse, die nicht allen, sondern nur einigen unserer synthetischen Verknüpfungen zu Gegenständen innewohnt. Der Wahrheitswert ist nicht - wie wir bereits vom Rechtswert sagten - am Stoff festgewachsen, sondern bewegt sich frei zum kategorial geformten Stoff der Erkenntnis, wie die "Richtigkeit" des Rechts zum sozialen Leben. Trotz dieser grundsätzlichen Differenz und trotz der richtigen Erkenntnis, daß die kategoriale Form zum "Monismus" der Wirklichkeit gehört, wird die kategoriale "Norm" als Wertnorm behandelt, wenn ihr nachgerühmt wird, sie sei "als Norm für jede individuelle Art des Vollzugs der Synthesis anzusehen", und daß zwischen der logischen "Form" und den Vorstellungsinhalten eine "nicht weiter auflösbare Dualität" bestehe. Die Dualität zwischen logischer Form und Stoff ist aber nur darum durch das Denken nicht weiter auflösbar, weil sie nur vom Denken geschaffen wurde: dagegen ist sie gerade darum im Monismus der Realität, in der ja auch die kategorialen Formen "stecken", aufgelöst. Nicht auflösbar - jedenfalls nicht restlos aufhebbar - dagegen ist die Dualität zwischen Wert und Wirklichkeit, zwischen richtiger Erkenntnis und tatsächlicher Erkenntnis, zwischen richtigem Recht und positivem Recht. Abstrakter Formgehalt und Stoff können nur auseinander- gedacht werden; Wert und Wirklichkeit dagegen können nie ganz zusammen-gedacht werden: sie sind auseinander- erlebbar. Eine schroff dualistische Weltanschauung kann durch die absolute Auseinanderreißung von Wert und Wirklichkeit begründet werden, eine monistische durch deren untrennbare Verkoppelung. Das sind letzte Werterlebnisse, die zu verschiedenen Metaphysiken führen, aber mit erkenntnistheoretischen Problemen nichts mehr zu tun haben. Wie der Schein, daß synthetische Funktionen den Wahrheitswert der Erkenntnisse begründen können, durch die Heraufschraubung des kategorialen Sollens zur Würde des Wahrheitssollens vorgetäuscht wird, so wird diese Täuschung erleichtert durch die rein formale Natur des Wahrheitswertes, der dadurch seiner spezifischen Würde entkleidet und in die synthetisch-kategorile Sphäre heruntergeschraubt wird: wieder ganz wie bei dem formalen "sozialen Ideal" STAMMLERs. "Allgemeingültigkeit", "normaler" Mensch, "voluntaristische Zustimmung oder Ablehnung bei der Bejahung und Verneinung von Urteilssynthesen, das "Gefühl" der "Evidenz" - das alles sind rein formale Charakterisierungen, die mehr oder weniger glückliche Um schreibungen des "Wertes" überhaupt, aber keine Be schreibungen des spezifischen Wahrheits wertes sind. So kann keine Brücke geschlagen werden zwischen dem spezifischen Wahrheitsmoment und den synthetischen Formen; und warum das durch sie zur Einheit Verknüpfte gerade wahre Erkenntnis vermittelt, muß unklar bleiben. Man kann auch der Meinung sein, daß es gar nicht der Fall ist, sondern daß die enge Verbindung, die der Rationalismus seit Jahrhunderten zwischen der kategorialen Synthese und der Wahrheit vornimmt, irrig ist und auf einer intellektualistischen Metaphysik und Ontologie beruht, die überwunden werden muß. Aber darauf kommt es hier nicht an: sondern allein darauf, zu zeigen, wie jenes Herübergleiten von einer Sphäre in die andere auch den Wahrheitswert denaturiert, und daß die neukantische Erkenntnistheorie, die sich vermißt, Metaphysik sein oder begründen zu könen, eine Wahrheitstheorie ohne einen Begriff der Wahrheit ist. Das Bild der Verwirrung wird nun aber erst dadurch vollständig, daß auch noch überall jene unglückliche Verwechslung der empirischen Allgemeinbegriffe mit der überempirischen "Formwelt", die wir bereits bei den Marburgern beobachtet haben, wieder ihre Rolle spielt. Die Formbegriffe sollen durch "Absehen" von Inhalten, der Begriff des "Bewußtseins überhaupt" durch "Abstreifung" alles "Individuellen" gebildet werden, so daß er als "letzte und leerste Abstraktion" bezeichnet werden kann. Trotzdem wird er nicht nur zum "Grenzbegriff", sondern auch zum "Ideal" eines die Welt erkennenden Subjekts, ja zur "Idee einer Totalität", zum "Gedanken einer Aufgabe". Wie eine "letzte und leerste Abstraktion" eine "Totalität", eine "Aufgabe", ein "Ideal" bezeichnen kann, muß unverständlich bleiben. Ja, selbst wenn man ihn faßt als "ein Subjekt, das all die transzendenten Normen anerkennt, durch deren Anerkennung die Form der Gegebenheit und die Formen der objektiven Wirklichkeit entstehen", so ist damit immer erst ein Subjekt da, welches mittels dieser Formen überhaupt verknüpfen soll und verknüpfen kann, das aber nie wissen kann, mit welcher dieser Formen es die einzelnen Inhalte jeweils verknüpfen soll. Als "Ideal" des erkennenden Subjekts ist es das Ideal des objektlosen formalen Denkens, das mit gezückten leeren Formen der Synthesis sich auf die Empfindungsinhalte stürzt ohne jeden Maßstab dafür, wo es welche Form betätigen soll. Wenn man im übrigen zugibt, daß es einen Erkenntniswert hat, den Kategorialbegriff so weit zu fassen, daß auch die "Gegebenheit", das "Dieses sein", das "Etwas" als formale Kategorien darunter fallen - und unter bestimmten erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten hat das einen Wert, wenn man dann nicht noch weiter gehen muß -, so ist nicht einzusehen, warum das Gegebensein, das Etwas usw. durch die Kategorien der Gegebenheit, der Etwashaftigkeit usw. besser erklärt sind als durch die Tatsache, daß es ein gegebenes Etwas in der Wirklichkeit gibt. Das wäre höchstens der Fall, wenn die Kategorien aus einem inhaltlichen Wahrheitswert begrifflich hergeleitet werden könnten; das ist aber natürlich nicht möglich. Als bloße "Sollungen" sind sie genauso brutale Sollensfakten, wie sie für den empirischen Realisten brutale Seinsfakten sind; und warum einfach hinzunehmende Sollens- und Geltungsfakten, die noch dazu bloß abstraktiv gewonnen sind, wertvoller sind als Seinfakten, ist wieder nicht einzusehen. Unverständlich muß weiter sein, wie einerseits diese abstrakten Sollungen, die ja nicht als "psychische Akte" aufgefaßt werden soll, im einzelnen erkennenden Subjekt wirksam werden können, und wie andererseits die für das erkennensollende und -wollende Subjekt geltenden Verknüpfungsnormen, - von denen man auf dieselben Empfindungsinhalte je nach den einzelnen Erkenntniszwecken mehrere, bald diese, bald jene anwenden kann, - eine "objektive", d. h. von den verschiedenen einzelnen Erkenntniszwecken unabhängige Ordnung unter den Empfindungs inhalten herstellen können. Denn ich kann dieselben Empfindungsinhalte z. B. badl unter der Kategorie des Individuellen, bald unter der des Generellen ansehen: es ist nun nicht nur nicht gesagt, wann das eine und wann das andere richtig ist, sondern auch unklar, warum dadurch derselbe Gegenstand nur auf zwei Arten erkannt wird, und nicht, wie es in der Konsequenz der Lehre vom Sollen als Gegenstand der Erkenntnis und der "Erzeugung" der Gegenstände durch das Denken läge: zwei verschiedene Gegenstände, von denen freilich unklar wäre, wie sie sich zueinander verhielten. Die Wirklichkeit ist eben nicht nur brutal, sondern auch hart: sie läßt sich nicht restlos kategorial durchdringen und in Formen der Synthesis auflösen. Wie bei STAMMLER die "Sondergemeinschaft" eine durch das System selbst nicht begründete Vermittlerrolle zwischen dem empirischen Stoff und der Formwelt übernehmen muß, so tritt in der südwestdeutschen Erkenntnistheorie die "vorwissenschaftliche Begriffsbildung" als der unklare und unklärbare Begriff auf, durch den alle von den eigentlichen Grundlagen aus unverständlichen Probleme ihre Lösung finden sollen. Noch größere Schwierigkeiten und Unklarheiten ergeben sich aus den Problemen der geschichtlichen Welt als solcher, wenn es sich um diese selbst und nicht bloß um die Methodenprobleme der pragmatischen Geschichtswissenschaft handelt. Eine scheinbare Harmonie und Einheit mit den Grundpositionen kann nur durch allerlei weitere Verwechslungen, Verschiebungen, Hypostasierungen und Substruktionen hergestellt werden. Die Begriffe "Urteilen" und "Beurteilen", "abstrakter Begriff" als Gegensatz zum "psychischen Akt" und als Begriff von einem psychischen Akt, "Wert und Kategorie", "Wert und Zweck", "konstitutiv und regulativ", "teleologische Verknüpfung" und "Wertbetrachtung", - die alle in verschiedenen Ebenen liegen, - sind nicht scharf auseinandergehalten; das abstrakte normative "Bewußtsein überhaupt" wird zum Kollektivbewußtsein, ja zum Menschheitsbewußtsein umgedeutet, allerlei intellektualistische und individualistische Metaphysik liegt gewissen letzten Entscheidungen und Wertungen zugrunde. Und als letztes Ausdrucksmittel der rationalistischen Metaphysik, die so oft begriffliche Gegensätze in metapyhische umdeutet, fehlt auch nicht die "List der Vernunft", die immer da auftreten muß, wo bloß Auseinander- Gedachtes letztlich doch nicht völlig auseinander-erlebt, auseinander-geschaut werden kann, und so auf irgendeiner - und sei es auf der obersten - Stufe des Systems das Getrennte doch wieder zu einer harmonischen Einheit zusammengeführt werden muß. Aus alledem erklärt sich, daß das südwestdeutsche Denken so mannigfaltig schillert, zugleich aber seine unzweifelhaft gewaltig anregende Kraft, wenn es auch unmöglich ist, in ihm zur Ruhe zu kommen. Rechtsphilosophisch konnte es die Grundlage abgeben sowohl für den skeptischen Empirismus von GEORG JELLINEK, wie für den absoluten Relativismus von RADBRUCH, wie schließlich für den positivistischen Rechtsformalismus von BINDER. Die formalen absoluten Werte schweben so punktuell erhaben über der Wirklichkeit, daß diese von ihnen ganz unberührt bleiben muß: ihre formale Natur kann die vermeiintlich normative und regulative, die Maßstabsfunktion nie aktuell werden lassen. Das Pathos der Unbedingtheit muß ein formales und hohles, letztlich ermüdendes, weil nicht glaubhaftes, bleiben. Ist doch der südwestdeutsche "Kritizismus" sogar stolz darauf, daß er "weit entfernt, den Empirismus abzulehnen, ihn vielmehr bestätigt und begründet". KARL SCHMITT-DOROTI hat richtig beobachtet, wenn er in seiner Besprechung von BINDER hervorhebt: "Aber das Auffällige an BINDERs Rechtsidee ist, daß sie nach den mehrfach zitierten Umschreibungen verabschiedet und insbesondere bei der Erörterung der juristischen Bearbeitung des positiven Rechts ausdrücklich ignoriert wird." Das ist jedoch nicht "auffällig", sondern im Kern des südwestdeutschen Kritizismus begründet. "Die Wissenschaft des positiven Rechts - sagt er weiter - betätigt sich, als wären Rechtsnorm und Rechtsidee nie gewesen. Danach kann nicht anerkannt werden, daß die kantische Rechtslehre bei BINDER die Grundlage seiner Rechtslehre bedeutet; sie ist der Vorbau einer positivistischen Rechtslehre geworden." Das ist alles durchaus zutreffend erkannt. Zugleich liegt darin natürlich einer der Gründe dafür, daß diese "Rechtsphilosophie" das Lieblingskind der empiristischen Rechtsdogmatik wurde: Lesefrüchte aus ihren Schriften sind die beliebtesten Ornamente in dogmatischen Untersuchungen geworden, denen sie einen fast zur Mode gewordenen "philosophischen" Anstrich geben konnten. Da auch STAMMLER die "technische Rechtslehre" mit seinem formalistischen Rationalismus ungekränkt ließ und nur bei Lücken und Verweisungen einen Platz bei der "Rechtsanwendung" forderte, ist auch er dieser Mode zum Opfer gefallen. Da war KELSEN mit seiner unerbittlichen und alles durchdringenden Denkenergie schon sehr viel unbequemer: jedoch hat seine scharf und - wie wir sehen werden - vielfach berechtigte Kritik nicht verfehlt, bei der Erörterung von Einzelproblemen große Beachtung zu finden. Konnte nach alledem der südwestdeutsche Neukantianismus eine eigentliche Rechtsphilosophie nicht begründen, so konnte er auf der anderen Seite durch sein Einmünden in den Rechtspositivismus und seine Tendenz, philosophische Fragen in methodologische Fragen aufzulösen, die Methodenlehre der positiven Rechtswissenschaft fördern und anregen. Und das hat er - trotzdem die scharfe Scheidung von generalisierender naturwissenschaftlicher und idiographischer, auf Werte beziehender kultuwissenschaftlicher Forschung für die Rechtswissenschaft eigentlich keinen methodologischen Ort ließ (3) - seit RICKERTs kurzen Bemerkungen über den juristischen Begriff in seiner "Lehre von der Definition" unzweifelhaft getan. Hier konnte der Neukantianismus bereits an Traditionen anknüpfen, die bis in die spekulative Periode zurückreichen. Die "Reduzierung aller Rechtsbeziehungen auf Willensverhältnisse" war einer der Bestandteile der kantischen Rechtslehre. Das war, wie wir noch im einzelnen sehen werden, bei KANT als eine "objektive Ordnung" von "intelligiblen" Willensverhältnissen gemeint, wurde aber in der HEGEL'schen Rechtsphilosophie zur "Thesis" des bloß "abstrakten Rechts" umgedeutet, wie die kantische "Moralität" zur "Antithesis" der bloß "subjektiven", letztlich im Probabilismus ausmündenden "Moralität" umgedeutet war, die beide in der Synthesis des "objektiven Geistes" "aufgehoben" sein sollten. Wir werden sehen, wie ganz anders KANT das Verhältnis von Legalität und Moralität gefaßt hatte, aber auch wie der Neukantianismus eine ganz ähnliche Umdeutung der kantischen Metaphysik der Sitten vornahm, freilich ohne den "objektiven Geist" HEGELs mit zu übernehmen oder durch etwas anderes zu ersetzen. Durch diese HEGEL'sche Umdeutung der kantischen Legalität zur "Abstraktheit" des Rechts war die objektive Ordnung der Willensverhältnisse zu einem abstrakten Willensformalismus geworden durch den HEGEL auf die positivistische Rechtsdogmatik einen gewaltigen, bis heute fortwirkenden Einfluß ausgeübt hat. So fand der Neukantianismus, insolge seiner analogen Umbiegung KANTs vom Metaphysischen ins Abstrakt-Formale, in der Rechtsdogmatik Anschauungen vor, die ihm entsprachen. Auch SAVIGNY und STAHL sind von diesen Bestandteilen des hegelisch umgedeuteten kantischen Denkens nachhaltig beeinflußt gewesen und haben sie über PUCHTA und BRUNS auf WINDSCHEID und THOEL der zivilistischen, über ZOEPFL und H. A. ZACHARIÄ auf GERBER und LABAND in der publizistischen Wissenschaft vererbt (4). Vor allem durch JHERINGs klassisch gewordene Lehre von der juristischen Begriffsbildung ist diese formalistische Rechtsdogmatik über ZITELMANN und JELLINEK auf unsere Tage gekommen und beherrscht die juristischen Disziplinen umso mehr, je mehr sie sich - unzweifelhaft durch diesen Rechtsformalismus bestärkt - zu rein "systematischen", von der rechtsgeschichtlichen Wurzel gelösten Wissenschaften entwickelt haben, die auf ihre streng "juristische" Methode stolz sind. Zwischen dieser Methode und dem Neukantianismus bestand so nicht nur eine historische Verbindung, sondern auch eine innere sachliche Wahlverwandtschaft: kein Wunder, daß er ihr daher nicht nur hervorragende Helfersdienste und Stützen geliefert hat, sondern auch seinerseits die markantesten Leistungen auf dem Gebiet der Methodik der positiven Rechtsdogmatik aufzuweisen hat. Der Gegensatz von Sein und Sollen, von genetischer und normativer Betrachtung, von abstrakter Form und konkretem Inhalt, den er für die philosophische Sphäre zum Ausgangspunkt genommen hatte, legte zumindest den Gedanken einer "Analogie" und eines "Parallelismus" zum Verhältnis von Rechtssatz und sozialer Wirklichkeit nahe, bei dem die südwestdeutsche Rechtsphilosophie im allgemeinen stehenblieb, während bei JELLINEK, KISTIAKOWSKI und vor allem bei KELSEN die positive Rechtswissenschaft selbst geradezu zur "Normwissenschaft" wurde. Die Rechtsdogmatik suchte sich dementsprechend immer mehr nicht nur von der "bloß" "genetischen" und "kausalen" Rechtsgeschichte zu emanzipieren und auf eigene Füße zu stellen, sondern sah auch ihren Stolz darin, die juristischen Begriffe dadurch zu wirklich "juristischen" zu machen, daß sie nur solche Elemente in ihnen duldete, die vom "sozialen Substrat" und anderen "metajuristischen" Faktoren nichts mehr enthielten, daß diese von allen außer-"juristischen" Bestandteilen "gereinigt" wurden und ein formal-"juristischer" Purismus als letztes Ziel und höchste Mode erschien. LASK hat zwar auf manche darin liegenden Gefahren und meist übersehene Probleme scharfsinnig aufmerksam gemacht, aber grundsätzlich hat auch er diesen Purismus der Jurisprudenz der Jurisprudenz als "formalistischer Kulturwissenschaft" nicht nur gebilligt, sondern als Ideal der juristischen Begriffsbildung hingestellt. Es ist vielfach als so selbstverständliche methodologische Grundlage der Rechtsdogmatik angesehen worden, daß die "Reinigung" geradezu zum Selbstzweck wurde und man völlig aus den Augen verlor, daß es sich doch nur um eine Reinigung für die Zwecke der "Rechts"anwendung handelt, und daß der Rechtsgedanke, also ein spezifischer Wert gedanke dabei nicht zu kurz kommen darf. Unter Billigung von KELSEN hat LABAND sogar den "Zweck" der Rechtsinstitute als außerhalb der streng "juristischen" Begriffsbildung liegend betrachtet. Die elegante formale "Konstruktion", die begriffsscharfe Antithese, die formale Systematik und Klassifikatioin als solche treten bei vielen, und nicht den unbekanntesten Namen so allein dominierend in den Vordergrund, daß jeder, der auch mit soziologischen, psychologischen, ethischen und historischen Kategorien arbeitete, als nicht "juristisch" abgelehnt wurde; ja man konnte sich vielfach nicht des Eindrucks erwehren, daß aus dem Bedürfnis nach "juristischer" Reinheit die Jurisprudenz eine "Rechtswissenschaft ohne Recht" geworden war. (5) Die Rechtswelt erstarrte und versteinerte, das Denken über Rechtsprobleme wurde rein statisch, wie das der exakten Naturwissenschaften: verhängnisvoll überall, politisch gefährlich geradezu für das staatsrechtliche Denken. Die "juristische" Reinheit war zu einem Fetisch geworden, dem man opferte, und den man so laut und pathetisch pries, daß man darüber gar nicht merkte, daß von der Rechtsidee nichts mehr in den entleerten Begriffsformen übriggeblieben war. Die Mahnungen GIERKEs wurden überhört und der große Jurist als Nicht-"Jurist", als Metaphysiker und Mystiker beiseite geschoben, und HAENELs Polemik gegen den formalen Rechtsbegriff und seine Konsequenzen von der herrschenden LABANDschen Schule bespöttelt. Den Neukantianismus trifft die große Schuld, all dem nicht nur nicht entgegengetreten zu sein, sondern es geradezu gedeckt zu haben. War doch auch - wie wir sahen - sein Pathos der reinen und rationalen Formen zu einem hohlen und unglaubhaften geworden, und hatte doch auch er die formale Rechtsidee in eine so abstrakte Höhe versetzt, daß er sie vor dem Eintritt in die Sphäre der Methodik des Rechtspositivismus "verabschieden" und ausdrücklich "ignorieren mußte. Bei COHEN wird geradezu der Rechtsformalismus zum "methodischen Vorbild" der Ethik des reinen Wollens, zum "Symptom seiner absoluten Werthaftigkeit, seiner Reinheit, seines Apriorismus". KELSENs "normlogische" Energie ist tief im Neukantianismus verwurzelt. So hatte dieser nichts in sich, was er einem solchen Treiben gehaltvoll entgegenstellen konnte. Aber dieses völlige Versagen gegenüber dem positivistischen Rechtsformalismus ist noch tiefer begründet, im "Rechtsbegriff selbst. Denn gerade, auch wo er sich unter der Besinnung auf den Rechtsbegriff über die Ausleseprinzipien klar werden wollte, nach denen jener Reinigungsprozeß vorzunehmen sei, wurde er infolge eben dieses Rechtsbegriffs immer tiefer in eine Formalisierung und Entseelung der juristischen Begriffe verstrickt. Die neukantische Rechtsidee ist freilich durchaus nicht identisch mit der kantischen, wenn das auch wieder den Neukantianern vielfach nicht zu Bewußtsein kommt. KANT hatte zwar auch seine Sittenlehre, seine "Metaphysik der Sitten" dualistisch aufgebaut, die Tugendpflichten den Rechtspflichten, die Moralität der Legalität, die autonome der heteronomen Gesetzlichkeit, die moralische Freiheit den rechtlichen Zwangsgesetzen, die Regeln des inneren denen des äußeren Verhaltens gegenübergestellt. Der Neukantianismus übernahm diesen Dualismus, aber er wandelte ihn zugleich um, indem er - seinem Bestreben, KANT zu entmetaphysizieren und ins Formale umzudeuten entsprechend - die kantische Ethik als formale Gesinnungsethik auffaßte und die formalen Begriffe der Pflicht und der sittlichen Autonomie zu den einzigen Tragepfeilern der Ethik machte: ganz wie HEGEL auf der "Stufe" der "subjektiven Moralität". Diese formalen Begriffe sollten wieder als normative Beurteilungsmaßstäbe dienen, was unmöglich ist, da Inhalte nie an einer Form gemessen werden können. Die Formalisierung der Ethik entwertete zugleich auch das Recht. Denn das Recht konnte seine Inhalte nun nicht mehr aus der ja rein formal gewordenen Sittlichkeit erhalten und mußte so zu einem bloßen Mittel für die Zwecke der formalen Sittlichkeit herabsinken: zu einer "empirischen Maschinerie", welche die äußeren Bedingungen sicherstellt, die den Individuen ein sittliches Leben ermöglichen. Das führte zugleich oft dazu, daß das Recht, "gänzlich aus der Wertsphäre herausfiel": was Rechtsnorm ist, ließ sich nur formal bestimmen, als das, was der Staat als Rechtsnorm vorschreibt, als das äußere Verhalten, welches er "gebietet" oder "verbietet" und nötigenfalls "erzwingt". Die Rechtsnorm ist kraft ihrer formalen Autorität verbindlich: hatte doch auch KANT, trotzdem er ein begeisterter Bewunderer der französischen Revolution war, die klassische Widerstandslehre aus formalem Rigorismus abgelehnt, jedes Not- und Widerstandsrecht (jedes Recht auf Revolution und Krieg) bestritten und sich den formalen obrigkeitsstaatlichen Rechtsbegriff des Absolutismus zueigen gemacht. Auch wo der Neukantianismus KANT hierin nicht folgte und den Rechtsbegriff anders bestimmen wollte, mußte er sich doch, wenn er konsequent bleiben wollte, mit einer formalen Rechtsbestimmung begnügen: Recht sei, was von den Rechtsgenossen "anerkannt" wird. Das "Rechtliche" am Recht, das was eine "anerkannte" oder "befohlene" erzwingbare Norm inhaltlich zu einer rechts gemäßen machen muß, ist so überall durch die allein maßgeblichen formalen Begriffselemente verdrängt, die Rechtsidee durch die Betonung der bloßen Legalität, Erzwingbarkeit, äußerlichen Regelung, Heteronomie lediglich negativ bestimmt. Es ist das große Verdienst von STAMMLER, dies gesehen und den Versuch gemacht zu haben, den Sinn des Rechtsgedankens positiv zu bestimmen. Dadurch, daß aber auch er dem neukantischen Glauben huldigte, einen objektiven Beurteilungsmaßstab formal bestimmen zu können, wurden seine Grundsätze des richtigen Rechts und sein formales "soziales Ideal" zu bloßen Tautologien. Der einzige Versuch von neukantischer Seite, das Recht nicht bloß negativ und formal, sondern inhaltlich zu bestimmen, ist die Bezeichnung des Rechts als "ethisches Minimum". Diese von JELLINEK geprägte Formel ist von LASK und WINDELBAND akzeptiert worden. Aber ganz abgesezen davon, daß eine solche ethische Gradation zwischen Maximum und Minimum unmöglich ist und das Wesen des Rechts ebenso verfälscht wie das der Ethik, liegt in dieser Begriffsbestimmung ein Widerspruch einer Auffassung der Ethik als formaler Gesinnungsethik: sie setzt voraus, daß es bestimmte ethische Inhalte gibt, ohne zu sagen, worin die liegen und woher sie stammen. Der neueste Rechtsphilosoph der südwestdeutschen Richtung, JULIUS BINDER, hat sie daher auch, durchaus konsequent, abgelehnt. (6) Wenn der Neukantianismus konsequent Moralität und Legalität formalisiert, fallen Recht und Sittlichkeit vollkommen auseinander, sie werden zu zwei inhaltlich und formell getrennten Sphären, die nur durch den abstrakten Allgemeinbegriff des "praktischen" Verhaltens von Menschen untereinander verbunden sind. Und wenn sie zu inhaltlich gleichem Verhalten verpflichten, so muß das als unbegreiflicher Zufall erscheinen. Die formale Gesinnungsethik ist zwar formal rigoristische, aber inhaltlich relativistisch, ja anarchisch und probabilistisch; die formale Legalitätslehre radikal autoritär. Wenn andererseits die Verbindung des Rechts mit der Sittlichkeit dadurch hergestellt wird, daß das Recht zu einem bloßen Mittel zur Herstellung der äußeren Bedingungen für die Entwicklung der ethischen Persönlichkeiten gemacht wird, wird das Recht jedes eigenen Wertes beraubt und zur bloßen, sozialen Technik, ohne geistigen Gehalt gemacht. Wenn schließlich die Befolgung der Rechtsnormen zur sittlichen Pflicht erhoben, das Recht also dem ethischen Individuum ins Gewissen geschoben wird, dann wird der ganze Inhalt der Legalitätsnormen zur sittlichen Pflicht und die autonome Freiheit der Moralität erdrosselt. Das sind die unhaltbaren Konsequenzen, zu denen die neukantische Rechtslehre mit ihrem Dualismus von Legalität und Moralität unweigerlich getrieben wird, wenn sie nicht mit STAMMLER das Recht zum allein bestimmenden und bedingenden Formwert für das soziale Leben erheben und damit die Moralität auf die bloße "Bearbeitung der wünschenden Gedanken" beschränken und so jeder Tendenz auf ein Handeln berauben will: lediglich die "Frage des Zürnens" ist für STAMMLER eine ethische Frage, "die des Tötens" dagegen nur eine rechtliche. Dieser schroffe und durch nichts überbrückbare Dualismus zwischen Moralität und Legalität, der für alle Formen der neukantischen Rechtslehre charakteristisch ist, besteht nun wieder bei KANT nicht, der im begrifflichen "Trennen" immer nur eine erste, aber nicht die letzte Aufgabe sah uns als wirklicher Philosoph das unter bestimmten Gesichtspunkten Auseinandergedachte metaphysisch zusammenhielt. Die noumenale, intelligible Welt der Sittlichkeit ist der gemeinsame Boden, auf dem Moralität und Legalität erwachsen, in dem sie beide ihren "Ursprung" haben. Auch das Recht gehört zur "sittlichen" Welt, zum "Reich der Freiheit": die "Rechtslehre" ist der erste Teil der "Metaphysik der Sitten". Und dieses noumenale Reicht der Freiheit ist ihm keine Welt formaler Werte, sondern ein Kosmos positiver Inhalte, inhaltlicher Ideen: eine "intelligible Ordnung der Dinge", kein abstraktes System von formalen Sollungen und Normen, von bloßen Gültigkeiten. Zwar kann die theoretische, "spekulative Vernunft" dieses Reich nicht gegenständlich "erkennen"; aber diese Welt mit ihrer intelligiblen Ordnung der Dinge besitzt darum doch eine "unbezweifelbare" "objektive Realität". Wenn die theoretische Vernunft daher auch diese Ordnung nicht als Gegenstände erkennen kann, so kann sie aber andererseits ihre objektive Gegenständlichkeit auch nicht leugnen: beides wäre die gleiche Grenzüberschreitung der Spekulation. Sie muß dieser, "objektive Realität" besitzenden Welt vielmehr einen "Platz offen lassen", ist sie doch selbst letztlich in ihr verankert. Denn auch ihr "Streben" zum "Unbedingten" ist legitim, kann sie doch ohne dasselbe auch nicht die phänomenale Welt erkennen, da ohne den regulativen Gebraucht der in jener intelligiblen Welt beheimateten "Vernunftideen" auch eine Erkenntnis der Erscheinungswelt nicht möglich wäre. Wenn auch unsere theoretische Vernunft die noumenale Ordnung nicht "erkennen" kann, sondern nur die phänomenale, so ist doch diese nicht "metaphysisch" von jener getrennt, sondern eben "ihre" Erscheinung. Im ordre naturel des Dings ansich wirkt sich nicht nur der "Naturmechanismus" der geschichtlichen Entwicklung aus, den die theoretische Vernunft zwar nicht "gegenständlich" erkennen kann, den wir aber nach den regulativen und heuristischen Prinzipien der teleologischen Urteilskraft bei der Erforschung der geschichtlichen Welt nachkonstruieren können; sondern in ihm sind auch die sittlichen Gesetze als eine objektive Ordnung metaphysisch verankert, so daß der Zusammenhang beider Gesetzlichkeiten zwar von der theoretischen Vernunft nie als "Gegenstand" erkannt werden kann: er ist aber in der Weltordnung, die eben wegen der "Sittlichkeit" der "intelligiblen Ordnung der Dinge" eine sittliche Weltordnung ist, metaphysisch garantiert. Hier klafft nichts bloß abstrakt - begrifflich - dualistisch auseinander. Da nun die sittliche Welt eine "Ordnung der Dinge" ist, sind die "moralischen Gesetze" die Ordnungs gesetze dieses "Reiches der Freiheit", die nicht nur für die Menschen gelten, sondern für alle "vernünftigen Wesen überhaupt". Und diese "moralischen Gesetze" bilden ebenso den Inhalt der "Rechtspflichten" wie der "Tugendpflichten". Ist es doch eine dem Menschen gestellte Aufgabe, ein "sittliches" Reich der Freiheit zu verwirklichen, d. h. die objektive "Ordnung" des "Reichs der Freiheit" in das "Reich der Natur" einzubilden: wobei das Wort "sittlich" Vor der Unterscheidung von Moralität und Legalität steht und eine durch "allgemeine Gesetze", die "moralischen Gesetze", geregelte "Ordnung" bedeutet. Die Grundfrage sowohl der Rechtslehre wie der Tugendlehre ist daher, ob man in einer Welt leben kann, in der ein bestimmtes Verhalten zu einem "allgemeinen Gesetz" erhoben werden, in der betrogen, gestohlen, unterschlagen werden darf. Als "objektive Ordnung" unterscheiden sich die Rechts- und die Moralordnung nicht, sie haben beide denselben Inhalt. Legalität und Moralität unterscheiden sich nur im "Motiv", im "Bestimmungsgrund des Willens", in der "Triebfeder". KANTs Ethik ist nicht, wie die neukantisch-südwestdeutsche und die "Stufe" der bloß subjektiven Moralität bei HEGEL, bloß formal rigoristisch, sondern auch materiell rigoristischt. "Das moralische Gesetz in mir" ist nicht das formelle Pflichtgesetz, sondern das materielle Gesetz, das die Ordnung der Dinge in der intelligiblen Welt beherrscht: wie ja auch "der Sternenhimmel über mir" nicht die abstrakte formale Naturgesetzlichkeit, sondern die materiellen Ordnungsgesetze der natürlichen Welt meint. KANT spricht vom ethischen und natürlichen "Kosmos". Für KANT ist in der Tat der gesamte Inhalt der Rechtspflichten zugleich Inhalt der Tugendpflichten, der Inhalt der Legalität auch Inhalt der Moralität. Die Moralität hat "mit dem Recht Pflicten, aber nur nicht die Art der Verpflichtung gemein". Die "moralischen" Beispiele, die KANT gibt, sind darum nicht zufällig dem Rechtsgebiet entnommen. Und es erhellt sich daraus, wieweit sich der südwestdeutsche Kantianismus, ohne es zu bemerken, von KANT entfernt hat, wenn z. B. BINDER im Hinblick auf die kantischen Formeln der Legalität und Moralität findet, daß "man kaum daran wird zweifeln wollen, daß in Wahrheit eine begriffliche Unterscheidung zwischen beiden nicht besteht". Und doch findet sich in der einen Formel das Wort "Maxime", das in der anderen fehlt. In der "Maxime" des Handelns, der "Triebfeder", dem "Bestimmungsgrund des Willens" liegt in der Tat allein der Unterschied von Legalität und Moralität. "Die Ethik gibt nicht Gesetze für die Handlungen, denn das tut die Rechtslehre, sondern nur für die Maximen der Handlungen -"; "das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich stellt". Die besonderen "Tugendpflichten", die in der Metaphysik der "Sitten" neben den "Rechtspflichten" entwickelt werden, sind alles nur Pflichten für die "Triebfedern", die "Bestimmungsgründe" des Wollens: Selbsterhaltung, Wahrhaftigkeit, Liebespflichten, Achtungspflichten usw. Und wenn sowohl in der Moralitäts- wie in der Legalitätsformel das Zusammenbestehen der eigenen Freiheit der Willkür mit der aller anderen "nach einem allgemeinen Gesetz" vorkommt, so ist eben damit auf den gemeinsamen Inhalt beider, die objektive Ordnug der moralischen Welt verwiesen, der beide Sphären zusammenhält. Der Begriff des Guten und Bösen kann eben nach KANT "nicht vor dem moralischen Gesetz (dem er dem Anschein nach sogar zugrunde gelegt werden müßte,) sondern nur nach demselben und durch dasselbe bestimmt" werden: auch die Moralität setzt das "moralische Gesetz", das die intelligible Ordnung der Dinge beherrscht, voraus. Sie unterscheidet sich nur dadurch von der Legalität, daß für sie dieses Gesetz nicht bloß Beurteilungsnrom, sondern zugleich auch Bestimmungsgrund ist. Wenn das "Gesetz" auch "Triebfeder" und "Maxime" ist, ist der Wille "moralisch"; wenn es bloß Beurteilungsnorm ist, ist der Wille nur "legal". Der "formale" Rigorismus der kantischen Ethik liegt darin, daß jede Befolgung der moralischen Gesetze, die nicht darauf beruth, "daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimmt", die "vom Zweck" der Handlung, statt vom Gesetz als solchem "ausgeht", die nicht "eine Wirkung überlegter, fester und immer mehr geläuterter Grundsätze" ist, bloß legal ist. Denn dann ist der Wille "empirisch", "pathologisch affiziert". Auch wer aus "Gewohnheit", auf Furcht vor himmlischer Strafe, aus "Fertigkeit" das moralische Gesetz befolgt, handelt nur legal: "der Bestimmungsgrund des Willens ist nicht in die intelligible Ordnung der Dinge verlegt." Wer dagegen die Rechts pflichten befolgt, weil er sich das "Rechthandeln" zur "Maxime" gemacht hat, handelt "moralisch"; denn die Triebfeder seines Willens ist dann das moralische Gesetz, also nichts Empirisches, sondern etwas Intelligibles. Der Rechtszwang ist gerechtfertig und nötig, weil man mit der Errichtung des Reiches der Freiheit nicht "warten" kann, bis die Triebfedern aller Menschen nur im Noumenalen verankert sind. Trotz gelegentlicher pessimistischer Äußerungen ist KANT fest überzeugt, daß die wachsende "Aufklärung", die harte rigoristische Schule des friderizianischen Absolutismus und der gewaltige Fortschritt durch die französische Revolution (die beiden großen Erlebnisse des Philosophen, auf die er stets exemplifiziert), aber auch der Freihandel die Menschheit diesem Ziel immer näher bringen werden. Das Entscheidende bleibt, daß man "von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch" machen darf, daß die "Publizität" überall gewahrt bleibt; denn dadurch werden alle Dinge zur öffentlichen Diskussion vor dem "eigentlichen Publikum, nämlich der ganzen Welt", vor der "Weltbürgergesellschaft" gestellt und einem Forum von "Gelehrten" unterbreitet, die der Vernunft zum Sieg verhelfen werden. Daß ein "Publikum sich selbst aufkläre", ist ihm nicht nur "möglich"; "ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich". So ist für KANT der Dualismus von Legalität und Moralität letztlich auch formal nur ein vorläufiger, zur Aufhebung in der reinen Moralität bestimmter: in und hinter der Erscheinungswelt steckt das Ding-ansich als sittliche Welt; der Mensch ist ein Bürger beider Welten; und der "Naturmechanismus" der pragmatischen Geschichtsentwicklung, dessen Zusammenhang mit jener noumenalen Ordnung nicht erkennbar ist aber objektiv besteht, bewirkt von selbst, - wor allem durch die Not und durch Kriege, - daß diese hinter den Erscheinungen steckende sittliche Ordnung immer mehr "ausgewickelt" wird. Man sieht auch hier wieder, wie das Ding ansich das Kernstück des kantischen Denkens, das unentbehrliche Verbindungsglied zwischen den Elementen seines Systems ist. Seine Streichung läßt nur die disiect membra [Unterscheidungsglieder - wp] der neukantischen Philosophie übrig, die höchstens durch "die List der Vernunft" notdürftig zu einem Ganzen wieder zusammengefügt werden können. Die Entmetaphysizierung und Formalisierung KANTs durch den Neukantianismus und die vermeintlich von KANT inaugurierte Auflösung der Philosophie in Erkenntnistheorie oder ihre Basierung auf Erkenntnistheorie morden die Seele der kantischen Spekulation: sie lassen nicht seinen Geist, sondern ein unheimliches Gespenst in seinem Gewand unter uns umgehen. Auch in der HEGEL'schen Rechtsphilosophie, die - wie wir sahen - von der Antithese des abstrakten Rechts und der subjektiven Moralität ausgeht, wird dieser Dualismus dialektisch überwunden und aufgehoben in der Synthesis des objektiven Geistes, in der sich der absolute Geist gewissermaßen soziologisch-historisch offenbart. Es erschien notwendig, hier den wirklichen KANT etwas ausführlicher zu Wort kommen zu lassen, nicht weil es wünschenswert oder auch nur möglich wäre, zu ihm zurückzukehren: das deutsche Volk hat im 19. Jahrhundert zuviel "erlebt", als daß ihm diese Philosophie, - die doch wohl im letzten Grund mehr das Ende einer großen Geistesbewegung als der Anfang einer neuen ist, - heute mehr sein könnte als eines der erhabensten Weltbilder, das der deutsche Geist in bestimmter geschichtlicher Lage gezeichnet hat. Gerade das sollte bei der Beschwörung seiner Manen empfunden werden. In unserem Zusammenhang kam es aber vor allem darauf an, bewußt zu machen, wie eine wirkliche Philosophie aussieht, in der der Dualismus von Moralität und Legalität eine Stätte hat; denn die Entleerung der kantischen Sittenmetaphysik von Metaphysik und von inhaltlichen Werten, letztlich von geistigem Gehalt, hat das philosophische Gefühl so abgestumpft und denaturiert, daß man seine Sittenmetaphysik gar nicht mehr verstand und ihm ein farbloses und unphilosophisches Schema imputierte, für das er nicht verantwortlich gemacht werden kann. Schließlich aber kam es darauf an, begreiflich zu machen, warum die umgebogene und entgeistigte Rechtsidee des Neukantianismus als Auslesegesichtspunkt für die Elemente, die als "wesentliche" in die echten Rechtsbegriffe aufzunehmen sind, die Rechtsbegriffe geistig entleeren, ja geradezu rechtlich denaturieren, warum die unter dem Zeichen dieser "Rechtsidee" stehende juristische Begriffsbildung die Rechtswissenschaft ebenso zu einer "Rechtswissenschaft ohne Recht" machen mußte, wie wir id neukantische Erkenntnislehre als eine Wahrheitstheorie ohne Wahrheitsbegriff bezeichnen mußten.
1) Vgl. E. KAUFMANN, Das Wesen des Völkerrechts und die Clausula Rebus sic Stantibus, Tübingen 1911, Seite 55f, Seite 9 Anm. 1 und öfter. 2) KANT sagt im Gegensatz zu dieser "neukantischen" Erkenntnislehre: "Verstand und Sinnlichkeit können nur in Verbindung Gegenstände bestimmen. Wenn wir sie trennen, so haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne Anschauungen, in beiden Fällen aber Vorstellungen, die wir auf keinen bestimmten Gegenstand beziehen können. (Kr. d. r. V., Ausgabe KEHRBACH, Seite 237 und 238) 3) Auch LASKs Versuch nach dieser Richtung dürfte mehr die Schwierigkeiten gezeigt haben als eine Lösung darstellen. 4) Vgl. E. KAUFMANN "Über den Begriff Organismus" und KAUFMANN, "Verwaltung, Verwaltungsrecht" im Wörterbuch des Staats- und Verwaltungsrechts, Bd. III, Seite 717. 5) Vgl. Clausula a. a. O., Seite 128 und 129 und das auf Seite 50 Note 1 Zitierte. 6) Um sie freilich neuestens in der Schrift über "Recht und Macht" doch anzunehmen. Hier wird das Recht zugleich als eine "Synthese von Macht und Sittlichkeit" charakterisiert: was das jedoch bei einer formalen Gesinnungsethik bedeuten kann, ist unverständlich. |