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PAUL HENSEL
Über die Beziehung des reinen Ich bei Fichte
zur Einheit der Apperzeption bei Kant

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"Es handelt sich in der kantischen Deduktion darum nachzuweisen, wie unsere Begriffe die Fähigkeit haben Anschauungen zu bestimmen und dadurch Vorstellungen von Gegenständen zu erzeugen. Kant unternimmt es hier nachzuweisen, daß die Kategorien die einzigen Bedingungen sind, welche es ermöglichen etwas als Gegenstand zu denken, daß folglich das Objekt erst in und mit den Kategorien zustande kommt und eine objektive Erkenntnis gar nichts anderes ist, als ein Denken in Kategorien, daß also wenn eine gedankemäßige Verknüpfung der Erscheinung, das ist Erfahrung möglich sein soll, sie es nur durch Kategorien sein kann."

"Wie habe ich es anzufangen, damit aus einem Wahrnehmungsurteil ein Erfahrungsurteil wird? Das was dem Wahrnehmungsurteil fehlt ist die objektive Gültigkeit, das heißt seine Notwendigkeit und Allgemeinheit. Das Erfahrungsurteil entsteht indem in der Verbindung der Objekte ein Verstandesbegriff mitgedacht wird, der diese Verbindung als allgemeingültig setzt, mithin dem Urteil objektive Gültigkeit verleiht. Durch dieses Denken eines apriorischen Begriffs wird nunmehr auch das festgestellt, was Kant mit glücklichsten Ausdruck Beziehung auf das Bewußtsein überhaupt nennt. Ich spreche damit aus, daß diese Verbindung nicht nur hier und jetzt, sondern überall und für jedes Vernunftwesen gelten soll und diese Geltung verschaffe ich ihm, indem ich ihm eine Form der Allgemeinheit gebe, welche jedem Vernunftwesen den Zugang zu meinem Gedanken ermöglicht, weil es diesen Gedanken aus der Sphäre meiner nur subjektiven Wahrnehmungen heraus hebt, ihn diskutabel macht. Die Zurückbeziehung von Wahrnehmungsurteilen auf das  Bewußtsein überhaupt ist die Möglichkeit reiner Naturwissenschaft."

Die große Anzahl von Darstellungen der "deutschen Philosophie seit KANT" hat sich meist das Problem vorgesetzt die folgerichtige Entwicklung der großen idealistischen deutschen Systeme aus dem Kantischen aufzuzeigen, und hat diese Aufgabe oft mit Scharfsinn und Umsicht gelöst. Ebenso leicht aber, wie man die innere Verwandtschaft des SCHELLING'schen Systems zu dem FICHTEs, die des HEGEL'schen zu dem SCHELLINGs nachweisen kann, da hier wirklich mehr als ein nur psychologischer Zusammenhang zu beobachten ist, sofern die Weiterbildung im fortzubildenden und zu überwindenden System selbst begründet lag, war doch das Verhältnis KANTs zum ersten ihm nachfolgenden System FICHTEs nicht zu bestimmen. Wäre dasselbe Verhältnis auch hier obwaltend, so würde ja das heute so vielfach empfohlene "Zurückgehen auf Kant" lediglich ein Wiederbeginn desselben Zirkels sein und uns auf dem Weg logischer Konsequenz ebenso auch zurück zu FICHTE, zu SCHELLING, zu HEGEL führen. Gerade also im Interesse unserer heutigen Philosophie liegt es zu untersuchen ob dieser erste Schritt über KANT hinaus eine berechtigte Weiterbildung seines Systems genannt werden kann; es ist nicht bloß vom historischen Standpunkt aus, es ist auch für die vitalsten Interessen unseres modernen Denkens eine wichtige Frage, ob FICHTE zu diesem Verständnis, zu dieser Behandlung des kantischen Systems durch ein dem Urheber desselben verwandtes Denken gekommen ist. Die folgende Abhandlung verfolgt den Zweck die Stellung eines Begriffs im kantischen System, der Einheit der Apperzeption zu erläutern, und mit ihr jenen Begriff zu vergleichen, den FICHTE aus ihrer Fortbildung gewonnen zu haben erklärt, den des reinen Ichs.

Es ist die Wahl dieser Vergleichung auch deshalb eine berechtigte, weil der erwähnte kantische Begriff einer der wenigen ist, welche vom Erscheinen der "Kritik der reinen Vernunft" an bis zum heutigen Tag das Interesse dauernd zu fesseln vermocht haben, es ist dies in der Tat eine seltene Erscheinung. Uns erscheinen heute die Schriften, die damals über KANTs Lehren sich aussprachen, zum Teil wunderlich genug. Wir berücksichtigen heute ganz andere Gesichtspunkte, als damals im Vordergrund der Betrachtung standen. Ganz abgesehen davon, daß heute für uns die Kr. d. r. V. ebenso entschieden im Mittelpunkt des Interesses steht, wie den Zeitgenossen KANTs (es genügt auf SCHILLER und REINHOLD hinzuweisen) die "Kritik der praktischen Vernunft" und die der "Urteilskraft", so erscheinen - auch innerhalb der theoretischen Philosophie - uns ganz andere Punkte der weiteren Fortbildung bedürftig, als den damaligen Darstellern und Interpreten. Unsere, auf dem Boden der Naturwissenschaften erwachsene Betrachtung, nimmt keinen Anstoß an der Lehre der Affektion unserer Sinnesorgane durch eine von uns verschiedene Außenwelt und bestrebt sich eher die etwas mehr mit formalistischen Bestandteilen durchsetzten Darstellungen des Systems, wie die Lehre vom Schematismus der Verstandesbegriffe, von der Ableitung der Kategorien aus den logischen Urteilsformeln u. a. mehr zu ändern und umzugestalten. Jenes, eben noch eminent metaphysisch denkende Zeitalter dagegen nahm schweren Anstoß an der Unerkennbarkeit der Dinge-ansich, an der Beschränkung der Erkenntnis auf das Gebiet möglicher Erfahrung, an der Zerstörung des ontologischen Beweises für das Dasein Gottes.

Umso eifriger suchte man in dem neuen System nach Anknüpfungspunkte für eine Fortbildung, ebenso metaphysisch dem Inhalt nach wie das WOLFF'sche Lehrgebäude, nur der Form nach der neuen Lehre angepaßt und dieses Bemühen war durchaus nicht vergebens. Zunächst war KANT nicht völlig über die Traditionen der Schule in der er aufgewachsen war, hinausgekommen. Er bekennt in die Metaphysik "verliebt zu sein" und so entschlüpfen ihm Äußerungen wie jene vielumstrittene von der Einheit der Wurzel von Verstand und Sinnlichkeit; er äußert gelegentlich die Ansicht, daß die Kritik keine abschließende Arbeit, sondern nur grundlegend sein soll für ein System der reinen Vernunft; Andeutungen, die sein System nur allzuwenig als ein fertig Abgeschlossenes anzusehen einluden und da der Ausbau der Systems durch KANT selbst immer länger auf sich warten ließ, zu einer Versuchung wurden, selbständig an die Ausarbeitung des Versprochenen zu gehen.

Es erhebt sich also zunächst zu die Frage: Was wollte KANT mit der Kritik der reinen Vernunft bezwecken, denn nur auf diese Weise vermögen wir einzusehen ob die ganze Tendenz der Fortbildung bei FICHTE eine im Sinne KANTs berechtigte war. Es ist zunächst nicht zu übersehen, daß ein Hauptergebnis und für KANT gewiß  das  Hauptergebnis der Kritik ein negatives war und in den Antinomien, wie überhaupt in dem ganzen Abschnitt die "Dialektik der reinen Vernunft" zu suchen ist. Durch HUME aus dem "metaphysischen Schlummer" aufgescheucht untersuchte er das Gebäude der rationalen Wissenschaften, welche seine Schule aufgestellt hatte und überzeugte sich, daß dieselben Scheinwissenschaften seien, aus Erschleichungen bestünden, daß eine Wissenschaft aus reinen Begriffen nicht jenseits des Gebiets möglicher Erfahrung bestehen könnte. Im Kontrast zu diesen Scheinwissenschaften erforschte er die Methode der Mathematik und der reinen Naturwissenschaften. Die Tatsache, daß diese Wissenschaften bestünden hat KANT niemals bestritten, er wollte sie auch keineswegs erst in der Kritik entdecken, denn sie waren ja bereits da und wären auch ohne die Arbeit der Kritik in ihrem ruhigen Fortschritt geblieben. Wohl aber war ein doppeltes zu tun. Die erste Aufgabe sollte vernichtend werden für die alte Metaphysik; sie sollte mit dem ruhigen Fortschreiten dieser Wissenschaften die sporadischen und stets kontrovers gebliebenen Versuche der Metaphysik konstrastieren, sie sollte zeigen, daß Metaphysik keine Wissenschaft werden kann, noch je gewesen ist, und als die schärfste Waffe wurde dem vollendeten Gebäude der Mathematik zum Kontrast auf die stets sich kontradiktorisch entgegengesetzten Grundsätze der Metaphysik in den Antinomien hingewiesen. Dies war der negative Teil der Aufgabe. Hand in Hand geht allerdings damit eine positive Richtung.

Obwohl es für den Forscher auf dem Gebiet der Mathematik oder der Naturwissenschaften sehr gleichgültig sein konnte auf welchem Fundament er das Gebäude seiner Wissenschaft aufgerichtet hatte, solange es bei der praktische Arbeit nicht zu Unzuträglichkeiten nach Art der berührten in der Metaphysik kommt, so ist ein ganz anderer Standpunkt des philosophischen Beobachters. Ihn können diese tatsächlich erreichten Resultate nicht befriedigen, solange er nicht nachgewiesen hat, wie sie erreicht werden konnten; die Tatsache der Allgemeingültigkeit der Mathematik ist solange nicht unanzweifelbar solange nicht die Möglichkeit ihrer Resultate, der zureichende Grund aus welchem sich ihre Gültigkeit ableiten lassen kann, aufgezeigt worden ist. Und dieser Nachweis, bedingt zugleich die Geltung der Wissenschaft als wirkliche Wissenschaft, die notwendig allgemeingültig ist, während eine anscheinende Wissenschaft, die einen solchen Nachweis nicht beizubringen vermag, lediglich als Gedankenspielerei nach Art der Metaphysik gelten muß. Deshalb konnte KANT diese Wissenschaften nicht voraussetzen, obgleich sie tatsächlich vorlagen, sondern mußt er sie konstruieren und dies ist die Aufgabe der Kritik im positiven Sinn. Hier ist der Punkt wo KANT sich von HUME, dem er im Angriff auf die Metaphysik gefolgt war, lossagt, um seinen eigenen Weg zu gehen, denn auf dem Weg HUMEs war ein solches Aufzeigen der Allgemeingültigkeit irgendeiner Wissenschaft nie zu erreichen; daher aber auch die Formulierung der kantischen These als einer logischen Untersuchung "Wie sind synthetische Urteile apriori möglich" denn nicht auf dem Gebiet psychologischer Untersuchung war dieses Resultat strenger Allgemeinheit zu erreichen; das was dieses Unternehmen allein ausführbar machen konnte, war eine auf logischem Grund ausgeführte Beweisführung. "Mögliche Erfahrung" ist also das Motto der Kr. d. r. V. nach ihrer positiven Seite hin, dies ist der Zweck, alles andere ist nur ein subsidiäres Mittel. Freilich ist es nicht zu leugnen - und wer wollte es auch leugnen wollen - daß eine ganze Anzahl von Untersuchungen sich an diese Hauptuntersuchung anschließen, daß der Nachweis der absoluten Idealität von Zeit und Raum (denn dieser Nachweis ist trotz TRENDELENBURG erbracht), so viel Beziehung er auch zum Zweck hat die Mathematik als mögliche Wissenschaft nachzuweisen, der kantischen Philosophie in erkenntnistheoretischer Bedeutung sehr gleichgültig gegenübersteht, auch wenn man Raum und Zeit nicht als rein formell auffaßt, (wie dies z. B. RIEHL tat) bleibt der Grundcharakter des Systems vollständig gewahrt; der eigentliche Zweck der transzendentalen Ästhetik ist lediglich den Nachweis zu führen, daß die Sätze der Mathematik in der Tat synthetische Urteile a priori sind. Und zwar muß betont werden, daß hierin beide Auflagen der Kr. d. r. V. vollständig miteinander übereinstimmen; bei beiden ist das Thema dasselbe, bei beiden ist zum großen Teil die Methode dieselbe, nur die Resultate weichen, wie wir sogleich zu zeigen gedenken, in einem wichtigen Punkt voneinander ab. Keinesfalls kann man am veralteten Vorurteil, daß die zweite Auflage Partei gegen den Idealismus der ersten Auflage zu nehmen beabsichtigt, festhalten. Für den besten Beweis der Gleichheit der Voraussetzungen beider Auflagen halte ich die Tatsache, daß die beiden Männer, die KANT am rücksichtslosesten im idealistischen Sinn weiter fortgebildet haben, FICHTE und SCHOPENHAUER, zum Ausgangspunkt ihrer Weiterbildungen die verschiedenen Ausgaben wählten. Das Urteil SCHOPENHAUERs über die zweite Ausgabe ist ja bekannt und gerade diese zweite Auflage hat FICHTE als die Grundlage seines höcsht idealistischen Systems benutzt, ja sie hat ihn, seinem eigenen Zeugnis nach, geradezu zu demselben geführt. Ober er die erste Auflage überhaupt gekannt hat, ist mir ziemlich ungewiß; er erwähnt sie jedenfalls nicht und zitiert stets nach der zweiten Auflage. Verändert sehen wir nicht die ganze Fragestellung; im Gegenteil, diese ist ganz dieselbe geblieben, sondern nur die Beantwortung derselben in dem Punkt, der sich auf die Einheit der Apperzeption bezieht.

In Bezug auf den Beweisgang der ersten Deduktion muß ich noch eine Anmerkung voraus schicken. Wenn ich auch die Problemstellung der Kritik als eine logische bezeichnet habe, so ist damit noch durchaus nicht ausgeschlossen, daß nicht zur Verdeutlichung auch von anderen Hilfsmitteln als solchen rein logischer Natur Gebrauch gemacht werden konnte und in der Tat geschieht dies in der Bearbeitung der ersten Auflage in ziemlich ausgedehnter Weise mit einer ausgebildeten psychologischen Terminologie, deren Gebrauch allerdings den Vorteil hat, den Beweisgang der Deduktion sehr klar und verständlich, wenn auch vielleicht weniger überzeugend zu machen.

Es handelt sich in der Deduktion darum nachzuweisen (RIEHL, Philosophischer Kritizismus, Bd. 1, Seite 372) "wie unsere Begriffe die Fähigkeit haben Anschauungen zu bestimmen und dadurch Vorstellungen von Gegenständen zu erzeugen," KANT unternimmt es hier nachzuweisen, daß die Kategorien die einzigen Bedingungen sind, welche es ermöglichen etwas als Gegenstand zu denken, daß folglich das Objekt erst in und mit den Kategorien zustande kommt und eine objektive Erkenntnis gar nichts anderes ist, als ein Denken in Kategorien, daß also (HÖLDER, Darstellung der kantischen Erkenntnistheorie, Seite 27) "wenn eine gedankemäßige Verknüpfung der Erscheinung, das ist Erfahrung möglich sein soll, sie es nur durch Kategorien sein kann."

In diesem Beweisgang tritt die Einheit der Apperzeption als "reines, ursprüngliches, unwandelbares Bewußtsein" auf. Auch Raum und Zeit sind nur durch eine Beziehung der Anschauungen auf sie möglich und schon daraus tritt die Stellung dieses Begriffs als Mittelpunkt des ganzen theoretischen Systems deutlich hervor; (COHEN, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 144) "wenn ich eine Linie ziehe, vereinige ich in meinem Bewußtsein das Mannigfaltige in den Begriff der Größe; und indem ich es unter diesem Begriff verbinde, als Linie denke, vollziehe ich in jener Einheit der Synthesis zugleich die Einheit der Apperzeption." Es ist dies vollkommen richtig für den Gesichtspunkt, daß auch Mathematik unmöglich würde, wenn die Handlung des Ziehens der Linie nicht auf die Einheit der Apperzeption bezogen würde, daß somit auch diese für die Mathematik a priori zu setzen ist. Aber die transzendentale Apperzeption bewirkt auch die Ordnung der Erscheinungen nach Gesetzen; also ist das Bewußtsein seiner selbst zugleich das Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen und somit denken wir a priori den nicht empirischen Gegenstand als das den Erscheinungen zugrunde Liegende, als den Gegenstand überhaupt, den wir als in einer möglichen Erfahrung nie gebbar  = x  setzen können. Mit Hilfe dieses reinen Verstandesbegriffs können wir allein unseren empirischen Begriffen eine Beziehung auf einen Gegenstand der Erfahrung, ein Objekt, verleihen; wir kommen zu dem transzendentalen Gesetz (Kr. d. r. V., Ausgabe KEHRBACH, Seite 123) "daß alle Erscheinungen, insofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln apriori der synthetischen Einheit derselben stehen müssen, daß sie ebensowohl in der Erfahrung unter Bedingungen der notwendigen Einheit der Apperzeption als in der Anschauung unter den formalen Bedingungen des Raums und der Zeit stehen müssen, ja daß durch jene jede Erkenntnis allererst möglich wird." Es mag hier am Platz sein, sogleich noch auf das Verhältnis der Einheit der Apperzeption zum sinnlich Gegebenen in Kürze einzugehen. Wie sehr nämlich diese beiden Termini als die beiden Pole der kantischen theoretischen Philosophie zu betrachten sind, tritt hier so recht hervor. Die Einheit der Apperzeption ist das absolut Formale, das für das ganze Gebiet der Erfahrung formgebende und bildende Prinzip, daher auch Mathematik als eine lediglich formale Wissenschaft, deren Objekt wir selbst erzeugen, nur in Bezug auf diese Einheit der Apperzeption möglich ist. Je mehr aber in der Skale der Wissenschaften das formale Prinzip sich an der Gestaltung des Materials der Erfahrung, erst betätigen muß, desto mehr nimmt die ausschließliche Geltung der formalen Einheit der Erfahrung ab, desto weniger ist die daraus resultierende Beobachtung auf die apriorische Konstruktion hingewiesen und muß mit empirischen Faktoren rechnen. Daß KANT die Geltung des empirischen Fakotrs durchaus nicht unterschätzt hat, ergibt sich aus der bekannten (wenn auch nur hypothetisch zu verstehenden) Stelle (Kr. d. r. V., Seite 107, vgl. auch Seiten 510 und 512)) "Denn es könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände und alles so in Verwirrung läge, daß z. B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts darböte, was eine Regel der Synthesis an die Hand gäbe". In diesem Fall würden wir zwar alle formlen Bedingungen zur Bildung von Objekten, zur Bildung von Naturwissenschaft, haben; aus Mangel an der Möglichkeit der Betätigung am Stoff der Erfahrung, würde kein einziger dieser Keime wirklich zur Entwicklung kommen immer mit Ausnahme der Mathematik. So wichtig ist die Rolle des Stoffes der Erfahrung.

Ich sagte eben "Bildung von Objekten", denn diese sind nach KANT durchaus nicht gegeben. Gegeben sind nur Sinnesreize, Empfindungen, welche wir nach Raum und Zeit ordnen. Um diesen lediglich rezeptiven Stoff zur Behandlung durch die formalen Bedingungen der Erfahrung zu bringen, braucht KANT ein Vermögen, das einerseits mit der Sinnlichkeit, andererseits mit dem Verstand verwandt ist, die Einbildungskraft. Diese bringt das in Raum und Zeit Gegebene zur Beurteilugn, zur Einheit der Apperzeption, erst durch diese Behandlung entsteht das empirische Objekt, indem bestimmte Teile des sinnlich Gegebenen unter einem bestimmten Gesichtspunkt von denen aus die Beurteilung erfolgen kann sind die Kategorien. Erst durch diese Beurteilung entsteht aus dem unendlich Mannigfaltigen von Sinneseindrücken ein Erfahrungssystem, das in der Zeit sowohl, wie im Raum nach festen Gesetzen zusammenhängt, eine Welt von Gegenständen, eine objektive Welt. Die Einheit und Konstanz der Objekte vermag die Sinnlichkeit mit ihrem fortwährend wechselnden Charakter nie zu erreichen, ich muß sie mir selbst schaffen; ebenso wie nichts eine Anschauung zu werden vermag, was nicht den reinen Anschauungsformen Raum und Zeit gemäß ist, so vermag auch nichts Objekt zu werden ohne die Bedingungen der Einheit der Apperzeption gemäß zu sein und diese Bedingungen sind die Kategorien. Es scheint somit allerdings das Resultat zu welchem KANT kommen wollte, der Nachweis synthetischer Urteile a priori für reine Naturwissenschaft und als unumgängliche Grundlage für dieselbe, wirklich erreicht zu sein. Wenn auch der Beweisgang nicht die erforderliche Strenge hatte, wenn es auch späteren Darstellern (z. B. FRIES) gänzlich mit Unrecht so erscheinen konnte, als trete hier der eigentliche psychologische Grundcharakter des Kantischen Systems mit voller Klarheit hervor und als gälte es ihn hauptsächlich zu betonen und weiter zu bilden; wenn auch Gegner (z. B. HERBART) glauben konnten, daß mit der Anfeindung und Widerlegung dieses psychologischen Apparats auch die Resultate der Deduktion selbst erschüttert wären, die Grundlagen des Beweises lagen doch auf viel zu festem Boden als daß die psychologische Veranschaulichung mehr sein können als eine Beihilfe zu einem leichteren Verständnis. Es war ja gar nicht die Aufgabe der Kr. d. r. V. zu zeigen wie Erfahrung entsteht - das gehört in das Forschungsgebiet empirischer Wissenschaften - sondern woraus sie besteht; und wenn es auch dem Kritiker der Erfahrung selbstverständlich unbenommen bleibt, sich auch über die erstere Frage ein Urteil zu bilden, wenn er es auch für nützlich halten mag, diese seine Meinung zur näheren Erläuterung in seine Ausführungen mit zu verflechten (obschon dies, wie KANTs Beispiel selbst zeigt, möglicher Mißverständnisse halber nicht ganz unbedenklich bleibt) so kann und muß doch sein Beweis ganz unabhängig von dieser Art der Darstellung geführt werden und ich bin überzeugt, daß dies auch bei der ersten Darstellung der Deduktion der Fall gewesen ist.

Weshalb hat nun KANT mit seiner Umarbeitung gerade an diesem Punkt eingesetzt? Wenn COHEN als Motiv der neueren Bearbeitung die Frage nach dem Verhältnis der produktiven Einbildungskraft zur transzendentalen Apperzeption faßt, so kann ich damit nicht vollständig übereinstimmen. Richtig ist daran, daß dieses Verhältnis in der ersten Auflage nicht mit wünschenswerter Klarheit hervortritt, weil KANT hier zwischen dem von der Einbildungskraft produzierten Bild und der Kategorie einen in der Tat nur ideell konstruierbaren Unterschied macht, der auf seiner allzu strengen Unterscheidung unserer Erkenntnis in einen rein und ausschließlich produktiven und in einen ebenso ausschließlich rezeptiven Teil beruth, eine Unterscheidung, deren zweiter Teil entschieden nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Aber nicht richtig ist, daß sich in der zweiten Auflage die Behandlung ganz vornehmlich auf diesen Unterschied richtet oder ihn gar befriedigend löst. Ersteres ist, wie wir zu zeigen gedenken nicht als der leitende Faden der zweiten Auflage anzusehen; letzteres ist KANT überhaupt nie befriedigend gelungen, weil es eine unmögliche Aufgabe ist, zwischen tatsächlich stets und unauflöslich Verknüpftem auf rein logischem Weg zu unterscheiden. Es muß also der Grund der Unzufriedenheit KANTs mit der Form in welcher sich das Resultat der Deduktion darstellte, zunächst klargestellt werden. Ich glaube, daß nicht bloß einzelne Differenz kleinerer Art, wie die von COHEN aufgeführte zur Neubearbeitung dieses schwierigsten Teils der Kritik führen konnten, sondern am Resultat selbst mußte noch Erhebliches zu verändern sein, um eine derartige Neubearbeitung angezeigt erscheinen zu lassen. Und in der Tat ist dies meiner Ansicht der Fall. Es war allerdings ein festes System von Wahrnehmungen gewonnen worden, die Möglichkeit dazu war aufgezeigt; aber was dies wirklich das System, das KANT seiner Voraussetzung nach nachweisen wollte? Wie KANT von einer Betrachtung des Individuums ausgegangen war, wie trotz der Forderung der Notwendigkeit und Allgemeinheit der Ergebnisse, kein weiterer Geist zu existieren braucht um die Untersuchungen des Kritikers zu ermöglichen, als der des Philosophen selbst, so gilt auch das in der Deduktion gewonnene Resultat nur für das einzelne Individuum. Im Denken des Einzelnen ist jede Erkentnis mit der andern nach Regeln verbunden, der Philosoph vermag über das Gesamtgebiet seiner möglichen Erfahrung Sätze auszusprechen, Urteile zu fällen und dieselbe in eine System zusammenzuschließen, das eine Ausnahme für ihn nicht erleiden kann.

Aber ist damit auch der Beweis erbracht, daß diese Sätze auch allgemein gelten, daß sie Bestandteile nicht nur für meine, sondern für die Erfahrung jedes Menschen, jedes vernünftigen Wesens sind? Und worin habe ich, wenn dies nicht bei jedem beliebigen Urteil der Fall ist ein festes Kriterium zu entscheiden, bei welchem dies der Fall ist und bei welchem nicht? Ein genauerer Nachweis darüber fehlt in der Deduktion der ersten Auflage; sie hat nur die Möglichkeit einer für das Individuum notwendig geltenen Wissenschaft erbracht: der Nachweis einer allgemeinen Wissenschaft ist noch ausstehend oder vielmehr im erreichten Resultat nicht zu erkennen und soll nun geleistet werden. Dieser Schritt aus dem Individualismus heraus ist aber ein sehr bedeutsamer. Denn mag man auch in der Konstruktion die Möglichkeit nicht ausschließen, daß ein einzelnes Individuum für sich allein ein wissenschaftliches System aufstellen und es in individueller Forschung ausbauend vervollkommnen könnte, in Wirklichkeit verhält sich die Sache ganz anders. Da ist Wissenschaft und Erfahrung nur möglich im Denkverkehr gleichartiger Individuen miteinander; am Organ unserer Sprache hat, wie wir heute wissen, sich die Möglichkeit Urteile zu fällen überhaupt erst gebildet und die Sprache ist ein Produkt des sozialen Lebens und ohne dasselbe völlig undenkbar. Nur in gemeinsamer Arbeit ist das Entstehen einer Wissenschaft möglich und Erfahrung bedeutet gar nichts anderes als gemeinsames Denken, als das, was im Denkverkehr vieler Individuen sich als gemeinschaftliche Norm herausgestellt hat, was zum allgemeinen Denken gehört; einen wissenschaftlichen Gedanken haben heißt so zu denken, daß anstelle des Denkers jedes vernunftbegabte Individuum denselben Gedanken haben muß, wissenschaftlich denken heißt allgemein, für Alle denken.

Somit war in der ersten Auflage erst ein Teil der Arbeit getan, vollendet wurde dieselbe aber schon vor dem Erscheinen der zweiten Auflage in den Prolegomenen. In der Art, wie das Problem hier behandelt ist, sieht man zugleich auch den Grund, weshalb KANT einen sich anscheinend darbietenden Weg die Resultate der ersten Auflage allgemeingültig zu machen, nicht einschlug. Ausgehen könnte dieser Nachweis von der Deduktion der Kategorien aus der logischen Urteilstafel durch eine Einschränkung desselben auf das Zeitschema. Denn da die Form des logischen Urteils als allgemeingültig gesetzt werden muß, andererseits aber die Allgemeingültigkeit der Lehren der Mathematik auch die Allgemeingültigkeit der reinen Anschauungsform der Zeit postuliert, so muß das Produkt, die Anwendung der logischen Tafel auf das Zeitschema ebenfalls allgemeine Gültigkeit beanspruchen, die Kategorien haben also schon ihrem Ursprung nach eo ipso allgemeine Gültigkeit. Es ist dies ungefähr der Beweisgang KUNO FISCHERs. Aber dieser Beweis geht eben von der Voraussetzung aus, daß KANT den Beweisgang der Prolegomenen auch schon in der Kritik anwendet, das heißt, die Allgemeingültigkeit der Mathematik und reinen Naturwissenschaften voraussetzt, während wir vorher nachgewiesen haben, daß dies durchaus nicht seine Ansicht ist, sondern daß er diese Wirklichkeit im philosophischen Sinn der Mathematik erst in der Kritik beweist, während erst in den Prolegomenen diese Aufgabe erledigt wird. Es schließt also die Aufnahme dieses Gesichtspunktes in die Kritik einen Zirkel ein.

Die Art wie KANT die in der Kritik der reinen Vernunft offen gelassene Lücke ausfüllt, ist bekanntlich die in den Prolegemen gemachte Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Erfahrung, eine Unterscheidung, die hier zum ersten Mal auftretend von so fundamentaler Wichtigkeit ist, daß ein Eingehen auf die Entwicklung derselben unerläßlich erscheint. Sie findet sich in dem Abschnitt der Prolegomenen "Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?" und ihr Beweisgang ist im wesentlichen der folgende:

KANT beginnt mit der Definition der Natur, als: "das Dasein der Dinge, soweit es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist." Wir sehen hier sofort, daß der Standpunkt der Allgemeinheit scharf ins Auge gefaßt wird und in der Tat ist es dieser Begriff, der die ganze weitere Ausführung beherrscht. Es wird dann mit den aus der Kritik bekannten Gründen nachgewiesen, daß Naturwissenschaft von Dingen-ansich unmöglich ist, daß nur für Erscheinungen unser Verstand nach den Ergebnissen der transzendentalen Ästhetik normative Bedeutung haben kann, daß aber andererseits aus Wahrnehmungen, die stets nur zufällige Gültigkeit haben, eine Wissenschaft, die aus notwendigen und allgemeinen Sätzen bestehen muß, nie entstehen kann und auf diesem Weg wird die zweite Definition gewonnen, die präziser als die erste die Natur im engeren Sinn als Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung faßt. Nun aber beziehen sich alle unsere apriorischen Naturgesetze auf die Gesetzmäßigkeit der Veränderungen in der Natur; es ist also das Resultat der Regelmäßigkeit des Naturverlaufs die formale Seite unseres Naturerkennens ebenso wie Zeit und Raum die Form für alle Sinnlichkeit waren.

Wir kommen somit zu der Frage: Wie ist die notwendige Gleichmäßigkeit der Dinge als Gegenstände der Erfahrung möglich?" Auch bei dieser Untersuchung ist die weise Mäßigung zu bewundern mit der KANT sich einerseits von der Gefahr, den Formen des Bewußtseins irgendeinen materiellen Inhalt a priori zu geben und somit eine neue Ontologie zu inaugurieren, fern hielt, andererseits aber auch die noch viel gefährlichere vermied, daß trotz der apriorischen Formen der Vernunft in welche die sinnlichen Anschauungen gefaßt und durch welche sie bestimmt werden, ebenso wie in der ersten Auflage, die Erkenntnisse rein subjektiver Art bleiben konnten und somit lediglich anstelle des empirischen Individualismus HUMEs ein idealistisch kritischer gesetzt wurde, der um nichts besser dazu geeignet war Naturwissenschaft möglich zu machen.

Um diese Schwierigkeit zu heben unterscheidet KANT zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen, in welche beide Klassen er die synthetischen Urteile einteilt. Die Wahrnehmungsurteile haben lediglich subjektive Gültigkeit; ich kann durchaus nicht ein einem meiner Wahrnehmungsurteile verlangen, daß es ein anderer zu irgendeiner Zeit ebenso fällt wie ich; es mag ja für mein praktisches Handeln und für den Augenblick von allergrößter Wichtigkeit für mich sein, daß ich es so und nicht anders fälle, aber es gibt nur die Beziehung zweier Wahrnehmungsobjekt lediglich für mich und ich kann ohne Widerspruch jederzeit denken, daß ein anderes Individuum andere Empfindungen, folglich auch andere Wahrnehmungsobjekte hat als ich. Alsdann kann der Andere mir zwar mein Urteil nicht rauben, aber ich kann ihn andererseits nicht von der Wahrheit meines Empfindungsinhaltes überzeugen; das Urteil mag gut in den Rahmen meiner subjektiven Erfahrung passen, Bestandteil objektiver Erfahrung kann es nie werden.

Ganz anders ist es mit der zweiten Klasse der Erfahrungsurteile. Sie sind spezifisch von den vorigen verschieden, da aus der Anhäufung einer noch so großen Menge von Wahrnehmungsurteilen nie Erfahrung werden kann, sich selbst auf einer denkbar großen Anzahl nicht das Gebäude einer Wissenschaft sicher erheben kann. "Es ist nicht, wie man sich gemeinhin einbildet, zur Erfahrung genug Wahrnehmungen zu vergleichen und in einem Bewußtsein mittels des Urteilens zu verknüpfen; dadurch entspringt keine Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Urteils, um deren willen es allein objektiv gültig und Erfahrung sein kann." Wie habe ich es also anzufangen, damit aus einem Wahrnehmungsurteil ein Erfahrungsurteil wird? Das was dem Wahrnehmungsurteil fehlt ist die objektive Gültigkeit, das heißt seine Notwendigkeit und Allgemeinheit; obgleich es sich auf Dinge der Erscheinungswelt bezieht, wie z. B. in dem Urteil "der Zucker schmeckt mir süß" so gilt es doch nur subjektiv für das Bewußtsein, das diesen Satz soeben ausspricht. Es muß also noch ein Bestandteil dazu kommen, damit aus dem Wahrnehmungsurteil ein Erfahrungsurteil wird; diese Zutat kann nicht aposteriorischer Natur sein, denn sonst gehörte sie wiederum in das Gebiet der Wahrnehmung, sie muß also a priori gegeben sein; das Erfahrungsurteil entsteht indem in der Verbindung der Objekte ein Verstandesbegriff mitgedacht wird, der diese Verbindung als allgemeingültig setzt, mithin dem Urteil objektive Gültigkeit verleiht. Durch dieses Denken eines apriorischen Begriffs wird nunmehr auch das festgestellt, was KANT mit glücklichsten Ausdruck Beziehung auf das "Bewußtsein überhaupt" nennt. Ich spreche damit aus, daß diese Verbindung nicht nur hier und jetzt, sondern überall und für jedes Vernunftwesen gelten soll und diese Geltung verschaffe ich ihm, indem ich ihm eine Form der Allgemeinheit gebe, welche jedem Vernunftwesen den Zugang zu meinem Gedanken ermöglicht, weil es diesen Gedanken aus der Sphäre meiner nur subjektiven Wahrnehmungen heraus hebt, ihn diskutabel macht. Die Zurückbeziehung von Wahrnehmungsurteilen auf das Bewußtsein überhaupt ist die Möglichkeit reiner Naturwissenschaft.

Inwiefern ist nun der hier eingenommene Standpunkt eine Umgestaltung des in der ersten Auflage vertretenen? Es könnte zunächst scheinen, als ob die Änderung eine in der Tat fundamentale wäre. In der ersten Auflage wird durch die Behandlung des in der Sinnlichkeit gegebenen Stoffes durch den spontanen Teil unseres Erkenntnisvermögens das Objekt zuallererst gebildet. Die Sinnlichkeit gibt mir lediglich eine Reihe von Affektionen meiner Sinnesorgane und erst wenn ich sie in ein Gebiet der reinen Anschauungsform des Raums lokalisiert habe, sie durch die reproduktive Einbildungskraft vereint und unter der Kategorie der Substanz gedacht habe, erhalte ich z. B. aus jener Reihe von Lichtempfindungen, die ich somit zur Einheit der Apperzeption gebracht habe, das Objekt, das ich Sonne nenne und das somit gar nicht rein empirischen Ursprungs ist, sondern zu dessen Entstehung ich mindestens ebensoviel getan habe als der mich zu meiner Tätigkeit sollizitierende [ersuchende - wp] und bestimmende Stoff der Erfahrung.

Wie verhalten sich dazu die Prolegomenen? Doch scheinbar ganz anders. Auch im Wahrnehmungsurteil, dem alle objektive Geltung schlechthin abgesprochen wird, das lediglich von subjektiver Bedeutung sein soll, finden sich Begriffe wie "Sonne" und "Stein", zu deren Entstehung nach dem Standpunkt der ersten Auflage doch unzweifelhaft Kategorien mitgewirkt haben, die doch also auf mehr als auf lediglich subjektive Gültigkeit Anspruch machen können. Es scheint sich somit als notwendige Folgerung zu ergeben, daß der in der ersten Auflage eingehaltene Standpunkt nicht nur modifiziert sondern verlassen worden ist; es wird hier das Zustandekommen der Erfahrung nicht von der Einheit der Apperzeption, sondern vom neuen Begriff des "Bewußtseins überhaupt" abhängig gemacht, während die Aufgabe, die der Einheit der Apperzeption in der ersten Auflage zufiel, nämlich das Objekt zu bilden, hier eigentlich gar nicht mehr als eine solche anerkannt wird; jedenfalls scheint der Satz (und er steht nicht vereinzelt da) "zum Grunde liegt die Wahrnehmung, der ich mir bewußt bin, d. h. Wahrnehmung (perceptio)  die bloß den Sinnen angehört"  darauf hinzuweisen. Wenn nun nachher Urteile wie das: "wenn die Sonne scheint, wird der Stein warm" als Wahrnehmungsurteile angeführt werden, so scheint vom Standpunkt der ersten Auflage aus ein entschiedener Widerspruch geboten, dergleichen Urteil als bloß den Sinnen angehörig anzusehen, es ist damit die ganze Mitwirkung der Kategorien für die Bildung der Objektbegriffe ausgesetzt und übersehen worden. Es wird sodann die Stellung der Kategorien eine sehr zweideutige. Sie würden bei der Herstellung der Erfahrungsobjekt, als welche bloß den Sinnen angehören, keine Rolle mehr spielen, sondern lediglich als teilnehmend an der Produktion von Erfahrungsurteilen angesehen werden; ihre Form aber ist dann nicht mehr die Einheit der Apperzeption, sondern das Bewußtsein überhaupt; während der Einheit der Apperzeption alsdann lediglich die Stellung als Form der empirischen Wahrnehmung, als eine Art innerer Sinn zufallen würde, ja es könnte für die "Einheit der Apperzeption" eigentlich eine Stelle im System nicht mehr gefunden werden, sie verschwimmt mit dem inneren Sinn.

Ich glaube aber, daß man den Prolegomenen gegenüber jedenfalls an der Mitwirkung der Kategorien bei der Entstehung der Begriffe festhalten muß; KANT kann ihre Existenz gar nicht ohne die Bedingung einer Mitwirkung des Verstandes annehmen und einmal dies zugegeben ist es schwer denkbar wie diese Mitwirkung anders erfolgen soll als in der in der ersten Auflage angeführten Weise. Es ist also der Standpunkt der ersten Auflage beizubehalten (denn ohne ihn wird das ganze System unverständlich) und die gegenteiligen Ausführungen der Prolegomenen müssen als Schroffheiten angesehen werden, wie sie bei der ersten Darstellung eines neuen großen Standpunktes ganz von selbst sich einzuschleichen pflegen. Dieses Zurückkehren auf den früheren Standpunkt für diesen Teil der Frage finden wir in der zweiten Auflage der Kritik wenn es heißt (Seite 678):
    "folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien".
Es ist ein nochmalige ausdrückliche Konstatierung des Standpunktes der ersten Auflage. Aber was kommt denn bei der Anwendung der Kategorie auf das Material der Erfahrung zustande? Ich fasse allerdings das in der Anschauung gegebene Mannigfaltige zusammen und erhalte auf diese Weise als ihr Gemeinsames den Begriff. Es ist also der Begriff das Resultat dieser Anwendung der Kategorie. Welche Stellung nimmt nun der Begriff im Denkzusammenhang ein? Wenn ich "Sonne" oder "Stein" sage, so ist zunächst noch gar keine Erkenntnis damit gegeben; ich spreche lediglich die Tatsache aus, daß ich eine gewisse Anzahl sinnlicher Eindrücke verbunden habe, ohne damit irgendeinem anderen Bewußtsein eine Vorstellung damit geben zu können, außer wenn ich durch meine Gebärde beim Aussprechen schon ein Urteil impliziere. Es ist der Begriff allerdings eine Vorstufe um Erkenntnis für mich oder andere gewinnen zu können, aber eben auch nur eine Vorstufe; um daraus Erkenntnis zu gewinnen muß die weitere Verbindung zweier Begriffe zum Urteil stattfinden; bis dies geschieht, ist der Begriff  dynamei  Erkenntnis, erst in dieser Verbindung wird er  energeia. 

Diese Verbindung kann nun, wie wir gesehen haben, in doppelter Form geschehen; entweder ich bleibe auf dem subjektiven Standpunkt stehen und mache mir lediglich für mich selber klar, was ich in der Verbindung zweier Begriffe denke, alsdann bringe ich lediglich mein subjektives Denken in Zusammenhang; ich fälle Wahrnehmungsurteile. Oder ich reflektiere nochmals ausdrücklich auf den apriorischen Anteil, den ich an der Wahrnehmungsbildung gehabt habe; ich werde mir bewußt, daß ich diese Begriffe nicht bloß zum individuellen Gebrauch gebildet habe, sondern daß diese Art der Begriffsbildung mir das Material gegeben hat, um daraus für alle Erfahrung gültige Erkenntnisse zu gewinnen und indem ich auf diesen apriorischen Faktor, der im Begriff enthalten ist, reflektiere, verbinde ich die Begriffe in einer für alles Bewußtsein gültigen Weise, folglich a priori und diese Verbindung ist die Beziehung auf das "Bewußtsein überhaupt".

Es ist dies auch wieder ein Punkt an dem sich deutlich erkennen läßt, wie sehr KANT sein Bestreben lediglich auf Untersuchungen der Grundbedingungen zur Wissenschaft richtete und wie gleichgültig ihm das Gebiet dessen war, was man im Allgemeinen als Erfahrung, als Empirie, zu bezeichnen pflegt. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, daß die Wahrnehmungsurteile im allgemeinen Leben viel häufiger vorkommen, daß man für den Bedarf des täglichen Lebens ganz ausschließlich mit Wahrnehmungsurteilen auskommen würde und faktisch auch auskommt; die Erfahrungsurteile haben ihre Geltung faßt ausschließlich nur zum Zweck wissenschaftlicher Forschung; zum Zweck, nicht die gegenseitigen Gefühle anläßlich der Gegenstände auszutauschen, sondern um sie zu erkennen um wissenschaftliche, das heißt eine uninteressierte Beobachtung der Objekte zu ermöglichen. Und gerade diese Klasse würdigt KANT bei seinen Untersuchungen seiner Aufmerksamkeit, während er die andere nur betrachtet um sie von der weiteren Untersuchung ausschließen zu können.

Allerdings läßt sich bei dieser Interpretation der Anwendung der Kategorien nicht leugnen, daß die Kategorien im Verlauf der Bildung synthetischer Urteile a priori zweimal - einmal zur Bildung des Begriffs und ein zweites Mal zu der des Erfahrungsurteils - verwendet werden; es ist dies auch vielleicht ein Punkt der bei einer Weiterbildung des kantischen Systems Berücksichtigung verdienen würde; jedenfalls ist aber vom rein historischen Standpunkt aus gerade diese doppelte Anwendung der Kategorien bei KANT nichts ungewöhnliches; ich verweise nur auf den Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, worin diese (doch schon durch die Beziehung auf die Zeit, wenigstens für unsere psychologische Vorstellungsart restringierten Urteilsformen) nochmals auf das Schema der Zeit angewendet werden.

Es ergibt sich aber aus dieser doppelten Anwendung der Kateogorien ein wichtiger Folgesatz. Es muß, da es dieselben Kategorien sind, die zur Anwendung kommen auch dieselbe einheitliche Form für sie angenommen werden, diese Form ist aber in den Prolegomenen als "Bewußtsein überhaupt" bezeichnet worden, also ist die Einheit der Apperzeption und das Bewußtsein überhaupt ein und derselbe Begriff von verschiedenen Seiten aus betrachtet. Während nämlich die Einheit der Apperzeption zunächst nur die Einheit der Erfahrung im Individuum bezweckt und vollbringt, liegt in dieser individuellen Erfahrungseinheit zugleich schon die Möglichkeit einer intersubjektiven, die Beziehung auf das Bewußtsein überhaupt. Wir haben gesehen, daß diese Beziehung der unfertigen Wahrnehmungsurteile auf das Bewußtsein überhaupt ganz analog derjenigen ist, mittels deren die Einheit der Apperzeption Ordnung in die Mannigfaltigkeit des Sinnlichen bringt und es ist in der Tat auch bei diesem zweiten höheren Prozeß die Einheit der Apperzeption die es über das in ihr selbst Enthaltene reflektierend als allgemeingültig anerkennt; das Bewußtsein überhaupt ist gar nichts anderes als die Reflexion der Einheit der Apperzeption über das in ihr Vereinte.

Entscheidend ist für diese Auffassung, daß in der zweiten Auflage in der Deduktion des Terminus "Bewußtsein überhaupt" fast ganz wiederum zurücktritt und seine Stelle in der sonst den Prolegomenenn ganz analogen Beweisführung, wiederum durch die Einheit der Apperzeption ausgefüllt wird, wobei zugleich der sehr bedeutungsvolle Zusatz "objektiv" uns nicht im Zweifel lassen kann, was KANT mit dem Terminus in dieser neuen Stellung bezweckte.

Wir haben in der Tat von der Einheit der Apperzeption zwei Fassungen, ich möchte sagen zwei Seiten zu unterscheiden; die subjektive welche in der ersten Auflage die einzig hervortretende ist und der nachher bei der Ausbildung des Systems lediglich die Funktionen der Begriffsbildung und der Fällung der Wahrnehmungsurteile zufällt und die objektive, die den intersubjektiven Denkzusammenhang mit Hilfe der Erfahrungsurteile möglich macht. Es ist notwendig auf dieses "möglich macht" noch näher einzugehen. Es soll nämlich das Erfahrungsurteil durchaus nicht das bedeuten, daß nun ein jedes Bewußtsein dasselbe Urteil fällen  muß,  sondern es soll lediglich ausdrücken, daß durch dasselbe ein jedes Bewußtsein in die Lage versetzt ist, es fällen zu  können,  weil es der Form nach nicht nur auf das individuelle Bewußtsein beschränkt ist. Das Erfahrungsurteil braucht gar nicht immer material wahr zu sein, ja es kann die größten Irrtümer enthalten, aber während das Wahrnehmungsurteil nie zu widerlegen ist, während mir niemand nachweisen kann, daß der Zucker süß ist, wenn ich ihn nun einmal bitter finde, hat das Erfahrungsurteil die diskutable Form, und diese ist es lediglich welche es zum möglichen Bestandteil der Wissenschaft macht. Aus dieser Diskussion über die Erfahrungsurteile entsteht erst die Wissenschaft; diese Diskussion selbst ist ihre Methoe und die Wissenschaft in ihrer Vollendung ist ein Ideal, dem wir dadurch immer näher kommen, je mehr es uns gelingt, Urteile von der subjektiven Seite der Apperzeption zur objektiven zu übertragen, das heißt unser individuelles Denken immer mehr den Forderungen der intersubjektiven zugänglich zu machen. Ebenso aber wie wir a priori sagen können, daß jede Empfindung den formalen Bedingungen der Zeit und des Raumes gemäß sein muß, ebenso können wir auch a priori sagen, daß jede wissenschaftliche Erkenntnis den Bedingungen der objektiven Einheit der Apperzeption gemäß sein muß, als welche die Form des intersubjektiven Denkens überhaupt ist.

Wir haben somit die Stellung der Einheit der Apperzeption für die theoretische Philosophie KANTs im Allgemeinen dargestellt, es ist aber nützlich ihr Verhältnis zu den verwandten Begriffen, namentlich zu dem des inneren Sinnes etwas näher zu beleuchten um auch nach dieser Richtung hin eine schärfere Abgrenzung zu bewirken. Es ist dies für mich umso wichtiger als ich mich hier mit einem der bedeutendsten Darsteller der kantischen Philosophie in Widerspruch befinde und deshalb die Gründe für meine Ansicht beibringen möchte: COHEN sagt (Kants Theorie der Erfahrung, Seite 154):
    "Der innere Sinn kann im Mannigfaltigen seiner Wahrnehmungen nur ein wechselndes Bewußtsein und demzufolge nur subjektive Wahrnehmungsurteile geben. Die transzendentale Einheit der Apperzeption aber gewährt eine objektive Einheit des Selbstbewußtseins insofern durch sie alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird."
Worin diese Ansicht von der meinigen abweicht, braucht kaum wiederholt zu werden. Hier ist der innere Sinn wirklich gleich der subjektiven Einheit der Apperzeption gesetzt, es wird ihm die Fähigkeit zugeschrieben, Wahrnehmungsurteile zu fällen, eine Fähigkeit, die ich für gänzlich unvereinbar halte mit der Abwesenheit der Wirksamkeit der Kategorien. Ich glaube diese Möglichkeit umso weniger dem inneren Sinn zuschreiben zu sollen als KANT ausdrücklich bemerkt
    "der innere Sinn enthält die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch  gar keine bestimmte  Anschauung."
Zur Verknüpfung in einem Wahrnehmungsurteil gehören aber nicht nur bestimmte Anschauungen, sondern sogar Begriffe von Erfahrungsobjekten. Ich glaube man könnte das Verhältnis in folgender Weise fassen. Während die Zeit lediglich die Form ist für eine bestimmte Art von Affektionen (äußeren und Selbstaffektionen, wobei sich KANT über die letzteren in der zweiten Anmerkung zur transzendenten Ästhetik ausgesprochen hat) kommt beim inneren Sinn für welchen die Zeit die Form ist, noch etwas etwas hinzu, nämlich das Bewußtsein, daß das Subjekt, welches in diesem bestimmten Zeitpunkt die Empfindung hat, dasselbe ist, wie dasjenige, das sie im vorigen gehabt hat. Das Subjekt erkennt oder besser empfindet sich als gleichartig im Fluß der Zeit und kontrastier dieses Gleichbleiben des Subjekts mit der fortwährend wechselnden Mannigfaltigkeit der Empfindungen. Alles aber was darüber hinaus liegt ist nicht mehr als Leistung des inneren Sinnes zu fassen, welcher lediglich bei der Tatsache des Affiziertseins stehen bleibt. Inhaltlich ist allerdings in dieser Tatsache schon alles Spätere, das ganze Gebäude möglicher Erfahrung enthalten, den wie KANT sagt (Seite 66):
    "der Unterschied einer undeutlichen von der deutlichen Vorstellung ist bloß logisch und betrifft nicht den Inhalt"
aber es fehlte eben noch die formale Behandlung des gegebenen Empfindungsstoffes und diese ist Aufgabe der Einheit der Apperzeption. Wie der innere Sinn die Konstanz des Subjekts empfand, so erkennt die Einheit der Apperzeption die Konstanz der Objekte. Vom Bewußtsein des Ich aus kommt man nie zur Konstruktion der Objekte, das ist lediglich das Gefühl der Konstanz des Subjekts in der Zeit, wobei gar nichts hindern würde, daß auf immer die Erscheinungen in wirrer Flucht an ihm vorüberströmen könnten; zur Konstruktion der Objekte gehört eine Reflexion auf diesen Empfindungsinhalt und diese Reflexion vollziehen heißt die Erscheinungen zur Einheit der Apperzeption bringen, sie objektiv machen. Erst durch diesen Kontrast mit den gefundenen Objekten der Wahrnehmung wird aber aus der Empfindung des Ich, aus dem Bewußtsein der Identität ein Selbstbewußtsein, das heißt ein klares Verständnis von der Stellung dieses Subjekts den Objekten gegenüber, welches in der Widerlegung des Idealismus so ausgedrückt wird, daß wir der Existenz äußerer Dinge ebenso gewiß sind wie von uns selbst; das ist richtig vom Standpunkt des inneren Sinnes aus, denn nur aus dem Bewußtsein des Wechsels der Empfindungen kommen wir zum Bewußtsein; das ist aber auch richtig für den Standpunkt der Einheit der Apperzeption, denn nur aus der Bildung des Objektbegriffs mit Hilfe der Kategorien kommen wir zur Bildung des Selbstbewußtseins. Ich glaube, daß man auf diese Weise zu einer festen Grenze zwischen Einheit der Apperzeption und innerem Sinn kommen kann und daß wir die Stellung der Einheit der Apperzeption dahin zusammenfassen können, daß sie die logische Bearbeitung des in der Sinnlichkeit Gegebenen zu Begriff und Urteil ist, zwecks Bildung einer allgemeingültigen Erfahrung. Ich glaube in dieser Formulierung die zwei Hauptpunkte auf die es ankommt, die Betonung des rein logischen Charakters der Einheit der Apperzeption einerseits und die vollständige Abhängigkeit in der Ausübung dieser Funktion von einem unabhängig vom Ich gegebenen Sinneseindruck andererseits hinlänglich betont zu haben.
LITERATUR - Paul Hensel, Über die Beziehung des reinen Ich bei Fichte zur Einheit der Apperzeption bei Kant, Freiburg i. B. 1885