tb-1KantAugustinusH. Bender     
 
IMMANUEL KANT
Beobachtungen über
das Gefühl des Schönen und Erhabenen


"Hohe Eichen und einsame Schatten im heiligen Hain sind  erhaben,  Blumenbeete, niedrige Hecken und in Figuren geschnittene Bäume sind schön. Die Nacht ist  erhaben,  der Tag ist  schön.  Gemütsarten, die ein Gefühl für das Erhabene besitzen, werden durch die ruhige Stille eines Sommerabends, wenn das zitternde Licht der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht, und der einsame Mond im Gesichtskreis steht, allmählich in hohe Empfindungen gezogen, von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewigkeit. Der glänzende Tag flößt geschäftigen Eifer und ein Gefühl der Lustigkeit ein. Das Erhabene  rührt;  das Schöne  reizt.  Die Miene des Menschen, der sich im vollen Gefühl des Erhabenen befindet, ist ernsthaft, bisweilen starr und erstaunt. Dagegen kündigt sich die lebhafte Empfindung des Schönen durch glänzende Heiterkeit in den Augen, durch Züge des Lächelns und oft durch laute Lustigkeit an."

Erster Abschnitt
Von den unterschiedenen Gegenständen
des Gefühles vom Erhabenen und Schönen

Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens oder des Verdrusses beruhen nicht so sehr auf der Beschaffenheit der äußeren Dinge, die sie erregen, als auf dem jedem Menschen eigenen Gefül, dadurch mit Lust oder Unlust gerührt zu werden. Daher kommen die Freuden einiger Menschen, woran Andere einen Ekel haben, die verliebte Leidenschaft, die öfters Jedermann ein Rätsel ist, oder auch der lebhafte Widerwille, den der Eine woran empfindet, was dem Anderen völlig gleichgültig ist. Das Feld der Beobachtungen dieser Besonderheiten der menschlichen Natur erstreckt sich sehr weit und verbirgt annoch [darüber hinaus - wp] einen reichen Vorrat zu Entdeckungen, die ebenso anmutig als lehrreich sind. Ich werfe für jetzt meinen Blick nur auf einige Stellen, die sich in diesem Bezirk besonders auszunehmen scheinen, und auch auf diese mehr das Auge eines Beobachters, als es Philosophen.

Weil ein Mensch sich nur insofern glücklich findet, als er eine Neigung befriedigt, so ist das Gefühl, welches ihn fähig macht, große Vergnügen zu genießen, ohne dazu ausnehmender Talente zu bedürfen, gewiß nicht eine Kleinigkeit. Wohlbeleibte Personen, deren geistreicher Autor ihr Koch ist, und deren Werke von feinem Geschmack sich in ihrem Keller befinden, werden bei gemeinen Zoten und einem plumpen Scherz in ebenso lebhafte Freuden geraten, als diejenige ist, worauf Personen von edler Empfindung so stolz tun. Ein bequemer Mann, der die Vorlesung der Bücher liebt, weil es sich sehr wohl dabei einschlafen läßt; der Kaufmann, dem alle Vergnügen läppisch scheinen, dasjenige ausgenommen, was ein kluger Mann genießt, wenn er seinen Handelsvorteil überschlägt; Derjenige, der das andere Geschlecht nur insofern liebt, als er es zu den genießbaren Sachen zählt; der Liebhaber der Jagd, er mag nun Fliegen jagen, wie DOMITIAN, oder wilde Tiere wie A...: Alle Diese haben ein Gefühl, welches sie fähig macht, Vergnügen nach ihrer Art zu genießen, ohne daß sie Andere beneiden dürfen, oder auch von andern sich einen Begriff machen können; allein ich wende für jetzt darauf keine Aufmerksamkeit. Es gibt noch ein Gefühl von feinerer Art, welches entweder darum so genannt wird, weil man es länger ohne Sättigung und Erschöpfung genießen kann, oder weil es sozusagen, eine Reizbarkeit der Seele voraussetzt, die diese zugleich zu tugendhaften Regungen geschickt macht, oder weil sie Talente und Verstandesvorzüge anzeigt; da im Gegenteil jene bei völliger Gedankenlosigkeit stattfinden können. Dieses Gefühl ist es, wovon ich eine Seite betrachten will. Doch schließe ich hiervon die Neigung aus, welche auf hohe Verstandeseinsichten geheftet ist, und den Reiz, dessen ein KEPLER fähig war, wenn er, wie BAYLE berichtet, eine seiner Erfindungen nicht um ein Fürstentum würde verkauft haben. Diese Empfindung ist gar zu fein, als daß sie in den gegenwärtigen Entwurf gehören sollte, welcher nur das sinnliche Gefühl berühren wird, dessen auch gemeinere Seelen fähig sind.

Das feinere Gefühl, das wir jetzt erwägen wollen, ist vornehmlich zweifacher Art: das Gefühl des  Erhabenen  und  Schönen.  Die Rührung von beiden ist angenehm, aber auf sehr verschiedene Weise. Der Anblick eines Gebirges, dessen beschneite Gipfel sich über Wolken erheben, die Beschreibung eines rasenden Sturmes oder die Schilderung des höllischen Reiches von MILTON erregen Wohlgefallen, aber mit Grausen; dagegen die Aussicht auf blumenreiche Wiesen, Täler mit schlängelnden Bächen, bedeckt von weidenden Herden, die Beschreibung des Elysium, oder HOMERs Schilderung vom Gürtel der VENUS veranlassen auch eine angenehme Empfindung, die aber fröhlich und lächelnd ist. Damit jener Eindruck auf uns in gehöriger Stärke geschehen könne, so müssen wir ein  Gefühl des Erhabenen  und, um dieses letztere recht zu genießen, ein  Gefühl  für das  Schöne  haben. Hohe Eichen und einsame Schatten im heiligen Hain sind  erhaben,  Blumenbeete, niedrige Hecken und in Figuren geschnittene Bäume sind schön. Die Nacht ist  erhaben,  der Tag ist  schön.  Gemütsarten, die ein Gefühl für das Erhabene besitzen, werden durch die ruhige Stille eines Sommerabends, wenn das zitternde Licht der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht, und der einsame Mond im Gesichtskreis steht, allmählich in hohe Empfindungen gezogen, von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewigkeit. Der glänzende Tag flößt geschäftigen Eifer und ein Gefühl der Lustigkeit ein. Das Erhabene  rührt;  das Schöne  reizt.  Die Miene des Menschen, der sich im vollen Gefühl des Erhabenen befindet, ist ernsthaft, bisweilen starr und erstaunt. Dagegen kündigt sich die lebhafte Empfindung des Schönen durch glänzende Heiterkeit in den Augen, durch Züge des Lächelns und oft durch laute Lustigkeit an. Das Erhabene ist wiederum verschiedener Art. Das Gefühl desselben ist bisweilen mit einigem Grausen, oder auch Schwermut, in einigen Fällen bloß mit ruhiger Bewunderung, und in noch anderen mit einer über einen erhabenen Plan verbreiteten Schönheit begleitet. Das erstere will ich das  Schreckhafterhabene,  das zweite das  Edle,  und das dritte das  Prächtige  nennen. Tiefe Einsamkeit ist erhaben, aber auf eine schreckhafte Art. (1) Daher große weit gestreckte Einöden, wie die ungeheure Wüste Chamo in der Tartarei, jederzeit Anlaß gegeben haben, fürchterliche Schatten, Kobolde und Gespensterlarven dahin zu versetzen.

Das Erhabene muß jederzeit groß, das Schöne kann auch klein sein. Das Erhabene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und geziert sein. Eine große Höhe ist ebensowohl erhaben, wie eine große Tiefe; allein diese ist mit der Empfindung des Schauderns begleitet, jene mit der Bewunderung; daher diese Empfindung schreckhaft-erhaben, und jene edel sein kann. Der Anblick einer ägyptischen Pyramide rührt, wie HASSELQUIST berichtet, weit mehr, als man es sich aus aller Beschreibung vorstellen kann; aber ihr Bau ist einfältig und edel. Die Peterskirche in Rom ist prächtig. Weil auf diesem Entwurf, der groß und einfältig ist, Schönheit, z. B. Gold, mosaische Arbeit etc. etc. so verbreitet ist, daß die Empfindung des Erhabenen doch am meisten hindurchwirkt, so heißt der Gegenstand prächtig. Ein Arsenal muß edel und einfältig, ein Residenzschloß prächtig und ein Lustpalast schön und geziert sein.

Eine lange Dauer ist erhaben. Ist sie von vergangener Zeit, so ist sie ede; wird sie in einer unabsehlichen Zukunft vorausgesehen, so hat sie etwas vom Schreckhaften an sich. Ein Gebäude aus dem entferntesten Altertum ist ehrwürdig. HALLERs Beschreibung der künftigen Ewigkeit flößt ein sanftes Grausen, und von der vergangenen starre Bewunderung ein.


Zweiter Abschnitt
Von den Eigenschaften des Erhabenen und Schönen
am Menschen überhaupt

Verstand ist erhaben, Witz ist schön. Kühnheit ist erhaben und groß, List ist klein, aber schön. Die Behutsamkeit, sagte CROMWELL, ist eine Bürgermeistertugend. Wahrhaftigkeit und Redlichkeit ist einfältig und edel, Scherz und gefällige Schmeichelei ist fein und schön. Artigkeit ist die Schönheit der Tugend. Uneigennütziger Diensteifer ist edel, Geschliffenheit (Politesse) und Höflichkeit sind schön. Erhabene Eigenschaften flößen Hochachtung, schöne aber Liebe ein. Leute, deren Gefühl vornehmlich auf das Schöne geht, suchen ihre redlichen, beständigen und ernsthaften Freunde nur in der Not auf; den scherzhaften, artigen und höflichen Gesellschaften erwählen sie sich zum Umgang. Man schätzt Manchen viel zu hoch, als daß man ihn lieben könne. Er flößt Bewunderung ein; aber er ist zu weit über uns, als daß wir uns ihm mit der Vertraulichkeit der Liebe zu nähern getrauen.

Diejenigen, welche beiderlei Gefühl in sich vereinbaren, werden finden, daß die Rührung vom Erhabenen mächtiger ist, als die vom Schönen; nur daß sie ohne Abwechslung oder Begleitung der letzteren ermüdet und nicht lange genossen werden kann. (2) Die hohen Empfindungen, zu denen die Unterredung in einer Gesellschaft von guter Wahl sich bisweilen erhebt, müssen sich dazwischen in heiteren Scherz auflösen, und die lachenden Freuden sollen mit der gerührten ernsthaften Miene den schönen Kontrast machen, welcher beide Arten von Empfindung ungezwungen abwechseln läßt.  Freundschaft  hat hauptsächlich den Zug des Erhabenen,  Geschlechterliebe  aber des Schönen an sich. Doch geben Zärtlichkeit und tiefe Hochachtung der letzteren eine gewisse Würde und Erhabenheit; dagegen gaukelhafter Scherz und Vertraulichkeit das Kolorit des Schönen in dieser Empfindung erhöhen. Das  Trauerspiel  unterscheidet sich, meiner Meinung nach, vom  Lustspiel  vornehmlich darin, daß im ersteren das Gefühl für das  Erhabene,  im zweiten für das  Schöne  gerührt wird. Im ersteren zeigen sich großmütige Aufopferung für fremdes Wohl, kühne Entschlossenheit in Gefahren und geprüfte Treue. Die Liebe ist daselbst schwermütig, zärtlich und voll Hochachtung; das Unglück Anderer erregt im Busen des Zuschauers teilnehmende Empfindungen, und läßt sein großmütiges Herz für fremde Not klopfen. Es wird sanft gerührt und fühlt die Würde seiner eigenen Natur. Dagegen stellt das Lustspiel feine Ränke, wunderliche Verwirrungen und Witzige, die sich herauszuziehen wissen, Narren, die sich betrügen lassen, Späße und lächerliche Charaktere vor. Die Liebe ist hier nicht so grämisch; sie ist lustig und vertraulich. Doch kann, so wie in anderen Fällen, also auch in diesen, das Edle mit dem Schönen in gewissem Grad vereinbart werden.

Selbst die Laster und moralischen Gebrechen führen öfters gleichwohl einige Züge des Erhabenen oder Schönen bei sich; wenigstens so, wie sie unserem sinnlichen Gefühl erscheinen, ohne durch Vernunft geprüft zu sein. Der Zorn eines Furchtbaren ist erhaben, wie ACHILLES' Zorn in der  Iliade.  Überhaupt ist der Held des HOMER  schrecklich erhaben,  des VIRGIL seiner dagegen  edel.  Offenbar dreiste Rache, nach großer Beleidigung, hat etwas Großes an sich, und so unerlaubt sie auch sein mag, so rührt sie in der Erzählung gleichwohl mit Grausen und Wohlgefallen. Als SCHACH NADIR zur Nachtzeit von einigen Verschworenen in seinem Zelt überfallen wurde, so rief er, wie HANWAY erzählt, nachdem er schon einige Wunden bekommen und sich voller Verzweiflung wehrte:  "Erbarmen, ich will Euch Allen vergeben."  Einer unter ihnen antwortete, indem er den Säbel in die Höhe hob:  Du hast kein Erbarmen bewiesen, und verdienst auch keines.  Entschlossene Verwegenheit an einem Schelmen ist höchst gefährlich; aber sie rührt doch in der Erzählung, und selbst, wenn er zu einem schändlichen Tod geschleppt wird, so veredelt er ihn noch gewissermaßen dadurch, daß er ihm trotzig und mit Verachtung entgegengeht. Von der anderen Seite hat ein listig ausgedachter Entwurf, wenn er gleich auf ein Bubenstück ausgeht, etwas an sich, was fein ist und belacht wird. Buhlerische Neigung (Koketterie) im feinen Verstand, nämlich eine Geflissenheit, einzunehmen und zu reizen, an einer sonst artigen Person, ist vielleicht tadelhaft, aber doch schöne, und wird gemeinhin dem ehrbaren ernsthaften Anstand vorgezogen.

Die Gestalt der Personen, die durch ihr äußeres Ansehen gefallen, schlägt bald in eine, bald in die andere Art des Gefühls ein. Eine große Statur erwirbt sich Ansehen und Achtung, eine kleine mehr Vertraulichkeit. Selbst die bräunliche Farbe und schwarzen Augen sind dem Erhabenen, blaue Augen und blonde Farbe dem Schönen näher verwandt. Ein etwas größeres Alter vereinbart sich mehr mit den Eigenschaften des Erhabenen, Jugend aber mit denen des Schönen. So ist es auch mit dem Unterschied der Stände bewandt, und in allen diesen nur erwähnten Beziehungen müssen sogar die Kleidungen auf diesen Unterschied des Gefühls eintreffen. Große, ansehnliche Personen müssen Einfalt, höchstens Pracht in ihrer Kleidung beobachten, kleine können geputzt und geschmückt sein. Dem Alter geziemen dunklere Farben und Einförmigkeit im Anzug; die Jugend schimmert durch hellere und lebhaft abstechende Kleidungsstücke. Unter den Ständen muß bei gleichem Vermögen und Rang der Geistliche die größte Einfalt, der Staatsmann die meiste Pracht zeigen. Der Cicisbeo [galanter Höfling - wp] kann sich ausputzen, wie es ihm beliebt.

Auch in äußerlichen Glücksumständen ist etwas, das wenigstens nach dem Wahn der Menschen in diese Empfindungen einschlät. Geburt und Titel finden die Menschen gemeinhin zur Achtung geneigt. Reichtum auch ohne Verdienste, wird selbst von Uneigennützigen geehrt; vermutlich weil sich mit seiner Vorstellung Entwürfe von großen Handlungen vereinbaren, die dadurch könnten ausgeführt werden. Diese Achtung trifft gelegentlich auch manchen reichen Schurken, der solche Handlungen niemals ausüben wird und vom edlen Gefühl keinen Begriff hat, welches Reichtümer einzig und allein schätzbar machen kann. Was das Übel der Armut vergrößert, ist die Geringschätzung, welche auch nicht durch Verdienste gänzlich überwogen werden kann, wenigstens nicht vor gemeinen Augen, wo nicht Rang und Titel dieses plumpe Gefühl täuschen und einigermaßen zu dessen Vorteil hintergehen.

In der menschlichen Natur finden sich niemals rühmliche Eigenschaften, ohne daß zugleich Abartungen derselben durch unendliche Schattierungen bis zur äußersten Unvollkommenheit übergehen sollten. Die Eigenschaft des  Schrecklicherhabenen,  wenn sie ganz unnatürlich wird, ist  abenteuerlich.  (3) Unnatürliche Dinge, insofern das Erhabene darinnen gemeint ist, ob es gleich wenig oder gar nicht angetroffen wird, sind  Fratzen.  Wer das Abenteuerliche liebt und glaubt, ist ein  Phantast,  die Neigung zu Fratzen macht den  Grillenfänger.  Andererseits artet das Gefühl des Schönen aus, wenn das Edle dabei gänzlich mangelt, und man nennt es  läppisch.  Eine Mannsperson von dieser Eigenschaft, wenn sie innig ist, heißt ein  Laffe;  ist sie im mittleren Alter, so ist es ein  Geck.  Weil dem höheren Alter das Erhabene am notwendigsten ist, so ist ein  alter Geck  das verächtlichste Geschöpf in der Natur, so wie ein junger Grillenfänger das widrigste und unleidlichste ist. Scherze und Munterkeit schlagen in das Gefühl des Schönen ein. Gleichwohl kann noch ziemlich viel Verstand hindurchscheinen, und insofern können sie mehr oder weniger dem Erhabenen verwandt sein. Der, in dessen Munterkeit diese Dazumischung unmerklich ist,  faselt.  Der beständig faselt, ist  albern.  Man merkt leich, daß auch kluge Leute bisweilen faseln, und daß nicht wenig Geist dazu gehöre, den Verstand eine kurze Zeit von seinem Posten abzurufen, ohne daß dabei etwas versehen wird. Derjenige, dessen Reden oder Handlungen weder belustigen noch rühren, ist  langweilig.  Der Langweilige, insofern er gleichwohl beides zu tun geschäftig ist, ist  abgeschmackt.  Der Abgeschmackte, wenn er aufgeblasen ist, ist ein  Narr.  (4)

Ich will diesen wunderlichen Abriß der menschlichen Schwachheiten durch Beispiele etwas verständlicher machen: denn  der,  welchem HOGARTHs Grabstichel fehlt, muß, was der Zeichnung am Ausdruck mangelt, durch Beschreibung ersetzen. Kühne Unternehmung der Gefahren für unsere, des Vaterlandes oder unserer Freunde Rechte ist  erhaben.  Die Kreuzzüge, die alte Ritterschaft, waren  abenteuerlich;  die Duelle, ein edler Rest der letzteren aus einem verkehrten Begriff des Ehrenrufes, sind  Fratzen.  Schwermütige Entfernung vom Geräusch der Welt aus einem rechtmäßigen Überdruß ist  edel.  Der alten Eremiten einsiedlerische Andacht war  abenteuerlich.  Klöster und dergleichen Gräber, um lebendige Heilige einzusperren, sind  Fratzen.  Bezwingung seiner Leidenschaften durch Grundsätze ist  erhaben.  Kasteiungen, Gelübde und andere Mönchstugenden mehr sind  Fratzen.  Heilige Knochen, heiliges Holz und dergleichen Plundert, den heiligen Stuhlgang des großen Lama von Tibet nicht ausgeschlossen, sind  Fratzen.  Von den Werken des Witzes und des feinen Gefühls fallen die epischen Gedichte des VIRGIL und KLOPSTOCK inst  Edle,  HOMERs und MILTONs ins  Abenteuerliche.  Die Verwandlungen des OVID sind  Fratzen,  die Feenmärchen des französischen Aberwitzes sind die elendestn Fratzen, die jemals ausgeheckt wurden. Anakreontische Gedichte sind gemeinhin sehr nahe beim  Läppischen. 

Die Werke des Verstandes und der Scharfsinnigkeit, insofern ihre Gegenstände auch etwas für das Gefühl enthalten, nehmen gleichfalls einigen Anteil an den gedachten Verschiedenheiten. Die mathematische Vorstellung von der unermeßlichen Größe des Weltbaus, die Betrachtungen der Metaphysik von der Ewigkeit, der Vorsehung, der Unsterblichkeit unserer Seele, enthalten eine gewisse Erhabenheit und Würde. Hingegen wird die Weltweisheit auch durch viele leere Spitzfindigkeiten entstellt, und der Anschein der Gründlichkeit hindert nicht, daß die vier syllogistischen Figuren nicht zu den Schulfratzen gezählt zu werden verdienten.

In moralischen Eigenschaften ist wahre Tugend allein erhaben. Es gibt gleichwohl gute sittliche Qualitäten, die liebenswürdig und schön sind, und insofern sie mit der Tugend harmonieren, auch als edel angesehen werden, ob sie gleich eigentlich nicht zur tugendhaften Gesinnung gezählt werden können. Das Urteil hierüber ist fein und verwickelt. Man kann gewiß die Gemütsverfassung nicht tugendhaft nennen, die ein Quell solcher Handlungen ist, auf welche zwar auch die Tugend hinauslaufen würde, allein aus einem Grund, der nur zufälligerweise damit übereinstimmt, seiner Natur nach aber den allgemeinen Regeln der Tugend auch öfters widerstreiten kann. Eine gewisse Weichmütigkeit, die leichthin in ein warmes Gefühl des  Mitleiden  gesetz wird, ist schön und liebenswürdig; denn es zeigt eine gütige Teilnahme am Schicksal anderer Menschen an, worauf Grundsätze der Tugend gleichfalls hinausführen. Allein diese gutartige Leidenschaft ist gleichwohl schwach und jederzeit blind. Denn gesetzt: diese Empfindung bewege euch, mit eurem Aufwand einem Notleidenden aufzuhelfen, allein ihr seid einem Andern schuldig, und setzt euch dadurch außerstand, die strenge Pflicht der Gerechtigkeit zu erfüllen, so kann offenbar die Handlung aus keinem tugendhaften Vorsatz entspringen; denn ein solcher könnte euch unmöglich anreizen, eine höhere Verbindlichkeit dieser blinden Bezauberung aufzuopfern. Wenn dagegen die allgemeine Wohlgewogenheit gegen das menschliche Geschlecht in euch zum Grundsatz geworden ist, welchem ihr jederzeit eure Handlungen unterordnet, alsdann bleibt die Liebe gegen den Notleidenden noch; allein sie ist jetzt aus einem höheren Standpunkt in das wahre Verhältnis gegen eure gesamte Pflicht versetzt worden. Die allgemeine Wohlgewogenheit ist ein Grund der Teilnahme an seinem Übel, aber auch zugleich der Gerechtigkeit, nach deren Vorschrift ihr jetzt diese Handlung unterlassen müsset. Sobald nun dieses Gefühl zu seiner gehörigen Allgemeinheit gestiegen ist, so ist es erhaben, aber auch kälter. Denn es ist nicht möglich, daß unser Busen für jedes Menschen Anteil von Zärtlichkeit aufschwelle, und bei jeder fremden Not in Wehmut schwimme, sonst würde der Tugendhafte, unaufhörlich in mitleidigen Tränen, wie HERAKLIT, schmelzend, bei all dieser Gutherzigkeit gleichwohl nichts weiter als ein weichmütiger Müßiggänger werden. (5)

Die zweite Art des gütigen Gefühls, welches zwar schön und liebenswürdig, aber noch nicht die Grundlage einer wahren Tugend ist, ist die  Gefälligkeit.  Eine Neigung, Andern durch Freundlichkeit, durch Einwilligung in ihr Verlangen, und durch die Gleichförmigkeit unseres Betragens mit ihren Gesinnungen angenehm zu werden. Dieser Grund einer reizenden Gefälligkeit ist schön, und die Biegsamkeit eines solchen Herzens gutartig. Allein sie ist so gar keine Tugend, daß, wo nicht höhere Grundsätze ihr Schranken setzen und sie schwächen, alle Laster daraus entspringen können. Denn nicht zu gedenken, daß diese Gefälligkeit gegen  die,  mit welchen wir umgehen, sehr oft eine Ungerechtigkeit gegen andere ist, die sich außer diesem kleinen Zirkel befinden, so wird ein solcher Mann, wenn man diesen Antrieb allein nimmt, alle Laster haben können; nicht aus unmittelbarer Neigung, sondern weil er gern zu Gefallen lebt. Er wird aus liebreicher Gefälligkeit ein Lügner, ein Müßiggänger, ein Säufer etc. etc. sein, denn er handelt nicht nach den Regeln, die auf das Wohlverhalten überhaupt gehen, sondern nach einer Neigung, die ansich schön, aber indem sie ohne Haltung und ohne Grundsätze ist, läppisch wird.

Demnach kann wahre Tugend nur auf Grundsätze gepfropft werden, welche, je allgemeiner sie sind, desto erhabener und edler wird. Diese Grundsätze sind nicht spekulativische Regeln, sondern das Bewußtsein eines Gefühls, das in jedem menschlichen Busen lebt und sich viel weiter, als auf die besonderen Gründe des Mitleidens und der Gefälligkeit erstreckt. Ich glaube, ich fasse  alles  zusammen, wenn ich sage: es sei das  Gefühl von der Schönheit und der Würde der menschlichen Natur.  Das erstere ist ein Grund der allgemeinen Wohlgewogenheit, das zweite der allgemeinen Achtung; und wenn diese Gefühl die größte Vollkommenheit in irgendeinem menschlichen Herzen hätte, so würde dieser Mensch sich zwar auch selbst lieben und schätzen, aber nur insofern er  einer  von Allen ist, auf die sich sein ausgebreitetes und edles Gefühl ausdehnt. Nur indem man einer so erweiterten Neigung seine besondere unterordnet, können unsere gütigen Triebe proportioniert angewandt werden, und den edlen Anstand zuwege bringen, der die Schönheit der Tugend ist.

In Ansehung der Schwäche der menschlichen Natur und der geringen Macht, welche das allgemeine moralische Gefühl über die meisten Herzen ausüben würde, hat die Vorsehung dergleichen hilfeleistende Triebe als Supplemente der Tugen in uns gelegt, die, indem sie Einige auch ohne Grundsätze zu schönen Handlungen bewegen, zugleich Anderen, die durch diese letzteren regiert werden, einen größeren Stoß und einen stärkeren Antrieb dazu geben können. Mitleiden und Gefälligkeit sind Gründe von schönen Handlungen, die vielleicht durch das Übergewicht eines gröberen Eigennutzes insgesamt Gründe der Tugend, wie wir gesehen haben, obgleich, da sie durch die Verwandtschaft mit ihr geadelt werden, sie auch ihren Namen erwerben. Ich kann sie daher  adoptierte Tugenden  nennen, diejenige aber, die auf Grundsätzen beruth, die  echte Tugend.  Jene sind schön und reizend, diese allein ist erhaben und ehrwürdig. Man nennt ein Gemüt, in welchem die ersteren Empfindungen regieren, ein  gutes Herz,  und den Menschen von solcher Art  gutherzig;  dagegen man mit Recht dem Tugendhaften aus Grundsätzen ein  edles Herz  beilegt, ihn selber aber einen  Rechtschaffene  nennt. Diese adoptierten Tugenden haben gleichwohl mit den wahren Tugenden große Ähnlichkeit, indem sie das Gefühl einer unmittelbaren Lust an gütigen und wohlwollenden Handlungen enthalten. Der Gutherzige wird ohne weitere Absicht aus unmittelbarer Gefälligkeit friedsam und höflich mit euch umgehen, und aufrichtiges Beileid bei der Not eines Anderen empfinden.

Allein da diese moralische Sympathie gleichwohl noch nicht genug ist, die träge menschliche Natur zu gemeinnützigen Handlungen anzutreiben, so hat die Vorsehung in uns noch ein gewisses Gefühl gelegt, welches fein ist, und uns in Bewegung setzen oder auch dem gröberen Eigennutz und der gemeinen Wollust das Gleichgewicht leisten kann,  dieses  ist das  Gefühl für Ehre,  und dessen Folge, die  Scham.  Die Meinung, die Andere von unserem Wert haben mögen, und ihr Urteil von unseren Handlungen ist ein Bewegungsgrund von großem Gewicht, der uns manche Aufopferungen ablockt; und was ein guter Teil der Menschen weder aus einer unmittelbar aufsteigenden Regung der Gutherzigkeit, noch aus Grundsätzen würde getan haben, geschieht oft genug bloß um dies äußeren Scheines willen, aus einem Wahn, der sehr nützlich, obwohl an sich selbst sehr seicht ist. wals wenn das Urteil Anderer den Wert von uns und unseren Handlungen bestimmte. Was aus diesem Antrieb geschieht, ist nicht im Mindesten tugendhaft, weswegen auch ein Jeder, der für einen solchen gehalten werden will, den Bewegungsgrund der Ehrbegierde wohlbedächtig verhehlt. Es ist auch diese Neigung nicht einmal so nahe, wie die Gutherzigkeit, der echten Tugend verwandt, weil sie nicht unmittelbar durch die Schönheit der Handlungen, sondern durch den in fremde Augen fallenden Anstand derselben bewegt werden kann. Ich kann demnach, da gleichwohl das Gefühl für Ehre fein ist, das Tugendähnliche, was dadurch veranlaßt wird, den  Tugendschimmer  nennen.

Vergleichen wir die Gemütsarten der Menschen, insofern eine von diesen drei Gattungen des Gefühls in ihnen herrscht und den moralischen Charakter bestimmt, so finden wir, daß eine jede derselben mit einem der gewöhnlichermaßen eingeteilten Temperamente in näherer Verwandtschaft stehe, doch so, daß über dieses ein größerer Mangel des moralischen Gefühls dem phlegmatischen zum Anteil werden würde. Nicht als wenn das Hauptmerkmal im Charakter dieser verschiedenen Gemütsarten auf die gedachten Züge ankäme; denn das gröbere Gefühl, z. B. des Eigennutzes, der gemeinen Wollust etc. etc. erwägen wir in dieser Abhandlung gar nicht, und auf dergleichen Neigungen wird bei der gewöhnlichen Einteilung gleichwohl vorzüglich gesehen; sondern weil die erwähnten feineren moralischen Empfindungen sich leichter mit einem oder dem anderen dieser Temperamente vereinbaren lassen und wirklich meistenteils damit vereinigt sind.

Ein innigliches Gefühl für die Schönheit und Würde der menschlichen Natur, und eine Fassung und Stärke des Gemüts, hierauf, als auf einen allgemeinen Grund, seine gesamten Handlungen zu beziehen, ist ernsthaft, und gesellt sich nicht wohl mit einer flatterhaften Lustigkeit, noch mit dem Unbestand eines Leichtsinnigen. Es nähert sich sogar der Schwermut, einer sanften und edlen Empfindung, insofern sie sich auf dasjenige Grausen gründet, das eine eingeschränkte Seele fühlt, wenn sie, von einem großen Vorsatz voll, die Gefahren sieht, die sie zu überstehen hat, und den schweren, aber großen Sieg der Selbstüberwindung vor Augen hat. Die echte Tugend also aus Grundsätzen hat etwas an sich, was am meisten mit der  melancholischen  Gemütsverfassung im gemilderten Verstand zusammenzustimmen scheint.

Die Gutherzigkeit, eine Schönheit und feine Reizbarkeit des Herzens, nach dem Anlaß, der sich vorfindet, in einzelnen Fällen mit Mitleiden oder Wohlwollen gerührt zu werden, ist dem Wechsel der Umstände sehr unterworfen; und indem die Bewegung der Seele nicht auf einem allgemeinen Grundsatz beruth, so nimmt sie leicht veränderte Gestalten an, nachdem die Gegenstände eine oder die andere Seite darbieten. Und da diese Neigung auf das Schöne hinausläuft, so scheint sie sich mit derjenigen Gemütsart, die man  sanguinisch  nennt, welche flatterhaft und den Belustigungen ergeben ist, am natürlichsten zu vereinigen. In diesem Temperament werden wir die beliebten Eigenschaften, die wir adoptierte Tugend nannten, zu suchen haben.

Das Gefühl für die Ehre ist sonst schon gewöhnlich als ein Merkmal der  cholerischen  Komplexion angenommen worden, und wir können dadurch Anlaß nehmen, die moralischen Folgen dieses feinen Gefühls, welche großenteils nur aufs Schimmern abgezielt sind, zur Schilderung eines solchen Charakters aufzusuchen.

Niemals ist ein Mensch ohne alle Spuren der feineren Empfindung; allein ein größerer Mangel derselben, der vergleichsweise auch Fühllosigkeit heißt, kommt in den Charakter des  phlegmatischen,  den man sonst auch sogar der gröberen Triebfedern, als der Geldbegierde etc. etc. beraubt, die wir aber, samt anderen verschwisterten Neigungen, ihm allenfalls lassen können, weil sie gar nicht in diesen Plan gehören.

Laßt uns jetzt die Empfindungen des Erhabenen und Schönen, vornehmlich sofern sie moralisch sind, unter der angenommenen Einteilung der Temperamente näher betrachten.

Der, dessen Gefühl ins  Melancholische  einschlägt, wird nicht darum so genannt, weil er, der Freuden des Lebens beraubt, sich in finsterer Schwermut härmt, sondern weil seine Empfindungen, wenn sie über einen gewissen Grad vergrößert würden, oder durch einige Ursachen eine falsche Richtung bekämen, auf dieselbe leichter, als auf einen anderen Zustand auslaufen würden. Er hat vorzüglich ein  Gefühl für das Erhabene.  Selbst die Schönheit, für welche er ebensowohl Empfindung hat, muß ihn nicht allein reizen, sondern, indem sie ihm zugleich Bewunderung einflößt, rühren. Der Genuuß der Vergnügen ist bei ihm ernsthafter, aber deswegen nicht geringer. Alle Rührungen des Erhabenen haben mehr Bezauberndes an sich, als die gaukelnden Reize des Schönen. Sein Wohlbefinden wird eher Zufriedenheit, als Lustigkeit sein. Er ist standhaft. Deswegen ordnet er seine Empfindungen unter Grundsätze. Sie sind desto weniger dem Unbestand und der Veränderung unterworfen, je allgemeiner dieser Grundsatz ist, welchem sie untergeordnet werden, und je erweiterter also das hohe Gefühl ist, welches die niederen unter sich befaßt. Alle besonderen Gründe der Neigungen sind vielen Ausnahmen und Änderungen unterworfen, wofern sie nicht aus einem solchen oberen Grund abgeleitet sind. Der muntere und freundliche ALCEST sagt: "Ich liebe und schätze meine Frau, denn sie ist schön, schmeichelhaft und klug." Wie aber, wenn sie nun durch Krankheit entstell, durch Alter mürrisch, und, nachdem die erste Bezauberung verschwunden, euch nicht klüger scheinen würde, wie jede andere? Wenn der Grund nicht mehr da ist, was kann aus der Neigung werden? Nehmt dagegen den wohlwollenden und gesetzten ADRAST, welcher bei sich denkt: "Ich werde dieser Peron liebreich und mit Achtung begegnen, denn sie ist meine Frau." Diese Gesinnung ist edel und großmütig. Nunmehr mögen sich die zufälligen Reize ändern, sie ist gleichwohl noch immer seine Frau. Der edle Grund bleibt und ist nicht dem Unbestand äußerer Dinge so sehr unterworfen. Von solcher Beschaffenheit sind Grundsätze im Vergleich der Regungen, die bloß bei einzelnen Veranlassungen aufwallen, und so ist der Mann von Grundsätzen im Gegensatz mit demjenigen, welchen gelegentlich eine gutherzige und liebreiche Bewegung anwandelt. Wie aber, wenn sogar die geheime Sprache seines Herzens so lautete: "Ich muß jenem Menschen da zu Hilfe kommen, denn er leidet; nicht, daß er etwa mein Freund oder Gesellschafter wäre, oder daß ich ihn fähig hielte, dereinst Wohltat mit Dankbarkeit zu erwidern. Es ist jetzt keine Zeit, zu vernünfteln oder sich bei Fragen aufzuhalten. Er ist ein Mensch, und was Menschen widerfährt, das trifft auch mich." Alsdann stützt sich sein Verfahren auf den höchsten Grund des Wohlwollens in der menschlichen Natur und ist äußerst erhaben, sowohl seiner Unveränderlicheit nach, als um der Allgemeinheit seiner Anwendung willen.

Ich fahre in meinen Anmerkungen fort. Der Mensch von melancholischer Gemütsverfassung bekümmert sich wenig darum, was Andere urteilen, was sie für gut oder wahr halten, er stützt sich bloß auf seine eigene Einsicht. Weil die Beweggründe in ihm die Natur der Grundsätze annehmen, so ist er nicht leicht auf andere Gedanken zu bringen; seine Standhaftigkeit artet auch zuweilen in Eigensinn aus. Er sieht den Wechsel der Moden mit Gleichgültigkeit und ihren Schimmer mit Verachtung an. Freundschaft ist erhaben, und daher für sein Gefühl. Er kann vielleicht einen veränderlichen Freund verlieren; allein dieser verliert ihn nicht ebensobald. Selbst das Andenken der erloschenen Freundschaft ist ihm noch ehrwürdig. Gesprächigkeit ist schön, gedankenvolle Verschwiegenheit erhaben. Er ist ein guter Verwahrer seiner und anderer Geheimnisse. Wahrhaftigkeit ist erhaben, und er haßt Lügen oder Verstellung. Er hat ein hohes Gefühl von der Würde der menschlichen Natur. Er schätzt sich selbst, und hält einen Menschen für ein Geschöpf, das da Achtung verdient. Er erduldet keine verworfene Untertänigkeit und atmet Freiheit in einem edlen Busen. Alle Ketten, von den vergoldeten an, die man am Hof trägt, bis zum schweren Eisen des Galeerensklaven, sind ihm abscheulich. Er ist ein strenger Richter seiner selbst und anderer, und nicht selten seiner sowohl, als der Welt überdrüssig.

In der Ausartung dieses Charakters neigt sich die Ernsthaftigkeit zur Schwermut, die Andacht zur Schwärmerei, der Freiheitseifer zum Enthusiasmus. Beleidigung und Ungerechtigkeit zünden in ihm Rachbegierde an. Er ist alsdann sehr zu fürchten. Er trotzt der Gefahr und verachtet den Tod. Bei der Verkehrtheit seines Gefühls und dem Mangel einer aufgeheiterten Vernunft verfällt er aufs  Abenteuerliche.  Eingebungen, Erscheinungen, Anfechtungen. Ist der Verstand noch schwächer, so gerät er auf  Fratzen.  Bedeutende Träume, Ahnungen und Wunderzeichen. Er ist in Gefahr, ein  Phantast  oder ein  Grillenfänger  zu werden.

Der von  sanguinischer  Gemütsverfassung hat ein herrschendes  Gefühl für das Schöne.  Seine Freuden sind daher lachend und lebhaft. Wenn er nicht lustig ist, so ist er mißvergnügt und kennt wenig die zufriedene Stille. Mannigfaltigkeit ist schöne, und er liebt die Veränderung. Er sucht die Freude in sich und um sich, belustigt Andere und ist ein guter Gesellschafter. er hat viel moralische Sympathie. Anderer Fröhlichkeit macht ihn vergnügt, und ihr Leid weichherzig. Sein sittliches Gefühl ist schöne, allein ohne Grundsätze, und hängt jederzeit unmittelbar vom gegenwärtigen Eindruck ab, den die Gegenstände auf ihn machen. Er ist ein Freund von allen Menschen, oder, welches einerlei sagen will, eigentlich niemals ein Freund, obwohl er gutherzig und wohlwollend ist. Er verstellt sich nicht. Er wird euch heute mit seiner Freundlichkeit und guten Art unterhalten, morgen, wenn ihr krank oder im Unglück sei, wahres und ungeheucheltes Beileid empfinden, aber sich sacht davonschleichen, bis sich die Umstände geändert haben. Er muß niemals Richter sein. Die Gesetze sind ihm gemeinhin zu streng, und er läßt sich durch Tränen bestechen. Er ist ein schlimmer Heiliger, niemals recht gut und niemals recht böse. Er schweift öfters aus und ist lasterhaft, mehr aus Gefälligkeit, als aus Neigung. Er ist freigiebig und wohltätig, aber ein schlechter Zahler dessen, was er schuldig ist, weil er wohl viel Empfindung für Güte, aber wenig für Gerechtigkiet hat. Niemand hat eine so gute Meinung von seinem eigenen Herzen, als er selbst. Wenn ihr ihn gleich nicht hochachtet, so werdet ihr ihn doch lieben müssen. Im größeren Verfall seines Charakters gerät er ins  Läppische,  er ist tändelnd und kindisch. Wenn nicht das Alter noch etwa die Lebhaftigkeit mehr oder weniger Verstand hervorbringt, so ist er in Gefahr, ein alter Geck zu werden.

Der, welchen man unter der  cholerischen  Gemütsbeschaffenheit meint, hat ein herrschendes Gefühl für diejenige Art des Erhabenen, welche man das  Prächtige  nennen kann. Sie ist eigentlich nur der Schimmer der Erhabenheit, und eine stark abstechende Farbe, welche den inneren Gehalt der Sache oder Person, der vielleicht nur schlecht oder gemein ist, verbirgt und durch den Schein täuscht und rührt. Sowie ein Gebäude durch eine Übertünchung, welche gehauene Steine vorstellt, einen ebenso edlen Eindruck macht, als wenn es wirklich daraus bestände, und geklebte Simse und Pilaster [eingearbeiteter Teilpfeiler - wp] die Meinung von Festigkeit geben, obgleich sie wenig Haltung haben und nichts unterstützen, und so glänzen auch tombackene [hausgemachte - wp] Tugenden, Flittergold von Weisheit und gemaltes Verdienst.

Der Cholerische betrachtet seinen eigenen Wert und den Wert seiner Sachen und Handlungen, aus dem Anstand oder Schein, womit er in die Augen fällt. In Ansehung der inneren Beschaffenheit und der Beweggründe, die der Gegenstand selber enthält, ist er kalt, weder erwärmt durch wahres Wohlwollen, noch gerührt durch Achtung. (6) Sein Betragen ist künstlich. Er muß allerlei Standpunkte zu nehmen wissen, um seinen Anstand aus der verschiedenen Stellung der Zuschauer zu beurteilen; denn er fragt wenig danach, was er sei, sondern nur, was er scheine. Und deswegen muß er die Wirkung auf den allgemeinen Geschmack und die mancherlei Eindrücke wohl kennen, die sein Verhalten außer ihm haben wird. Da er in dieser schlauen Aufmerksamkeit durchaus kaltes Blut bedarf, und nicht durch Liebe, Mitleiden und Teilnahme seines Herzens sich blenden lassen muß, so wird er auch vielen Torheiten und Verdrießlichkeiten entgehen, in welche ein Sanguinischer gerät, der durch seine unmittelbare Empfindung bezaubert wird. Und deswegen scheint er gemeinhin verständiger, als er wirklich ist. Sein Wohlwollen ist Höflichkeit, seine Achtung ist Zeremonie, seine Liebe ausgesonnene Schmeichelei. Er ist jederzeit voll von sich selbst, wenn er den Anstand eines Liebhabers oder eines Freundes annimmt, und ist niemals weder das Eine, noch das Andere. Er sucht durch Moden zu schimmern; aber weil alles an ihm künstlich und gemacht ist, so ist er darin steif und ungewandt. Er handelt weit mehr nach Grundsätzen, als der Sanguinische, der bloß durch gelegentliche Eindrücke bewegt wird; aber diese sind nicht Grundsätze der Tugend, sondern der Ehre, und er hat kein Gefühl für die Schönheit oder den Wert der Handlungen, sondern für das Urteil der Welt, das sie davon fällen möchte. Weil sein Verfahren, insofern man nicht die Quelle sieht, daraus es entspringt, übrigens fast ebenso gemeinnützig, als die Tugend selbst ist, so erwirbt er vor gemeinen Augen ebenso die Hochschätzung, als der Tugendhafte; aber für feinere Augen verbirgt er sich sorgfältig, weil er wohl weiß, daß die Entdeckung der geheimen Triebfeder der Ehrbegierde ihn um die Achtung bringen würde. Er ist daher der Verstellung sehr ergeben, in der Religion heuchlerisch, im Umgang ein Schmeichler, in Staatsparteien wetterwendisch nach den Umständen. er ist gern ein Sklave der Großen, um dadurch ein Tyrann über Geringere zu werden. Die  Naivität,  diese edle oder schöne Einfalt, welche das Siegel der Natur und nicht der Kunst auf sich trägt, ist ihm gänzlich fremd. Daher wenn sein Geschmack ausartet, so wird sein Schimmer  schreiend,  d. h. auf eine widrige Art prahlend. Er gerät alsdann sowohl seinem Stil als dem Ausputz nach in den Gallimathias (das Übertriebene), eine Art Fratzen, die in Ansehung des Prächtigen dasjenige ist, was das Abenteuerliche oder Grillenhafte in Ansehung des Ernsthafterhabenen. In Beleidigungen fällt er alsdann auf Zweikämpfe oder Prozesse, und im bürgerlichen Verhältnis auf Ahnen, Vortritt und Titel. So lange er  nur  noch eitel ist, d. h. Ehre sucht und sich bemüht, in die Augen zu fallen, so kann er noch wohl geduldet werden; allein wenn bei gänzlichem Mangel wirklicher Vorzüge und Talente er aufgeblasen wird, so ist er das, wofür er zumindest gern möchte gehalten werden, nämlich ein Narr.

Da in der  phlegmatischen  Mischung keine Ingredenzien vom Erhabenen oder Schönen in sonderlich merklichem Grad hineinzukommen pflegen, so gehört diese Gemütseigenschaft nicht in den Zusammenhang unserer Erwägungen.

Von welcher Art auch diese feineren Empfindungen sein mögen, von denen wir bis daher gehandelt haben, es mögen erhabene oder schöne sein, so haben sie doch das Schicksal gemein, daß sie im Urteil desjenigen, der kein darauf bestimmte Gefühl hat, jederzeit verkehrt und ungereimt scheinen. Ein Mensch von einer ruhigen und eigennützigen Emsigkeit hat, so zu reden, gar nicht die Organe, um den edlen Zug in einem Gedicht oder in einer Heldentugend zu empfinden, er liest lieber einen ROBINSON, als einen GRANDISON, und hält den CATO für einen eigensinnigen Narren. Ebenso scheint Personen von etwas ernsthafterer Gemütsart dasjenige läppisch, was anderen reizend ist, und die gaukelnde Naivität einer Schäferhandlung ist ihnen abgeschmackt und kindisch. Auch selbst wenn das Gemüt nicht gänzlich ohne ein einstimmiges feines Gefühl ist, sind doch die Grade der Reizbarkeit desselben sehr verschieden, und man sieht, daß der Eine etwas edel und anständig findet, was dem Anderen zwar groß, aber abenteuerlich vorkommt. Die Gelegenheiten, die sich darbieten, bei unmoralischen Dingen etwas vom Gefühl des Anderen auszuspähen, können uns Anlaß geben, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch auf seine Empfindung, in Ansehung der höheren Gemütseigenschaften und selbst derer des Herzens, zu schließen. Wer bei einer schönen Musik Langeweile hat, gibt starke Vermutung, daß die Schönheiten der Schreibart und die feinen Bezauberungen der Liebe wenig Gewalt über ihn haben werden.

Es ist ein gewisser Geist der Kleinigkeiten  (esprit des bagatelles ), welcher eine Art von feinem Gefühl anzeigt, welches aber gerade auf das Gegenteil vom Erhabenen abzielt. Ein Geschmack für etwas, weil es sehr  künstlich  und mühsam ist, Verse, die sich vor- und rückwärts lesen lassen. Rätsel, Uhren in Ringen, Flohketten etc. etc.; ein Geschmack für alles ,was abgezirkelt und auf peinliche Weise  ordentlich,  wenn auch ohne Nutzen ist, z. B. Bücher, die fein zierlich in langen Reihen im Bücherschrank stehen, und ein leerer Kopf, der sie ansieht und sich erfreut; Zimmer, die wie optische Kasten geziert und überaus sauber gewaschen sind, samt einem ungastfreien und mürrischen Wirt, der sie bewohnt. Ein Geschmack an all dem, was  selten  ist, so wenig, wie es auch sonst einen inneren Wert haben mag. EPIKTETs Lampe, ein Handschuh von König KARL dem Zwölften; in gewisser Art schlägt die Münzensucht mit hierauf ein. Solche Personen stehen sehr im Verdacht, daß sie in den Wissenschaften Grübler und Grillenfänger, in den Sitten aber für all das, was auf freie Art schön oder edel ist, ohne Gefühl sein werden.

Man tut einander zwar Unrecht, wenn man denjenigen, der den Wert oder die Schönheit dessen, was uns rührt oder reizt, nicht einsieht, damit abfertigt, daß  er es nicht verstehe.  Es kommt hierbei nicht so sehr darauf an, was der  Verstand  einsehe, sondern was das Gefühl empfinde. Gleichwohl haben die Fähigkeiten der Seele einen so großen Zusammenhang, daß man größtenteils von der Erscheinung der Empfindung auf die Talente der Einsicht schließen kann. Denn es würden demjenigen, der viele Verstandesvorzüge hat, diese Talente vergeblich erteilt sein, wenn er nicht zugleich starke Empfindung für das wahrhaftig Edle oder Schöne hätte, welche die Triebfeder sein muß, jene gemütsgaben wohl und regelmäßig anzuwenden. (7)

Es ist einmal gebräuchlich, nur dasjenige nützlich zu nennen, was unserer gröberen Empfindung ein Genüge leisten kann, was uns Überfluß im Essen und Trinken, Aufwand in Kleidung und im Hausgerät, desgleichen Verschwendung in Gastereien [Schlemmerei - wp] verschaffen kann, obgleich ich nicht sehe, warum nicht alles war nur immer meinem lebhaftesten Gefühl erwünscht ist, ebensowohl den nützlichen Dingen sollte beigezählt werden. Allein, alles gleichwohl auf diesen Fuß genommen, so ist derjenige, welchen der  Eigennutz  beherrscht, ein Mensch, mit welchem man über den feineren Geschmack niemals vernünfteln muß. Ein Huhn ist freilich in solchem Betracht besser, als ein Papagei, ein Kochtopf nützlicher, als ein Porzellangeschirr, alle witzigen Köpfe in der Welt gelten nicht den Wert eines Bauern, und die Bemühung, die Weite der Fixsterne zu entdecken, kann solange ausgesetzt bleiben, bis man übereingekommen sein wird, wie der Pflug auf das Vorteilhafteste könne geführt werden. Allein welche Torheit ist es, sich in einen solchen Streit einzulassen, wo es unmöglich ist, sich einander auf einstimmige Empfindungen zu führen, weil das Gefühl gar nicht einstimmig ist. Gleichwohl wird doch ein Mensch von der gröbsten und gemeinsten Empfindung wahrnehmen können, daß die Reize und Annehmlichkeiten des Lebens, welche die entbehrlichsten zu sein scheinen, unsere meiste Sorgfalt auf sich ziehen, und daß wir wenig Triebfedern zu so vielfältigen Bemühungen übrig haben würden, wenn wir jenes ausschließen wollten. Desgleichen ist wohl niemand so grob, daß er nicht empfinde, daß eine sittliche Handlung, wenigstens an einem Andern, umso mehr rühre, je weiter sie vom Eigennutz entfernt ist und je mehr jene edleren Antriebe in ihr hervorstechen.

Wenn ich die edle und schwache Seite der Menschen wechselweise bemerke, so verweise ich es mir selbst, daß ich nicht denjenigen Standpunkt zu nehmen vermag, von dem diese Abstechungen das große Gemälde der ganzen menschlichen Natur gleichwohl in einer rührenden Gestalt darstellen. Denn ich bescheide mich gern, daß, sofern es zum Entwurf der großen Natur gehört, diese grotesken Stellungen nichts anderes, als einen edlen Ausdruck geben können; ob man schon viel zu kurzsichtig ist, sie in diesem Verhältnis zu übersehen. Um indessen doch einen schwachen Blick hierauf zu werfen, so glaube ich Folgendes anmerken zu können. Derjenigen unter den Menschen, die nach  Grundsätzen  verfahren, sind nur sehr  Wenige,  welches auch überaus gut ist, da es so leicht geschehen kann, daß man in diesen Grundsätzen irre, und alsdann der Nachteil, der daraus erwächst, sich umso weiter erstreckt, je allgemeiner der Grundsatz und je standhafter die Person ist, die ihn sich vorgesetzt hat. Derer, die aus  gutherzigen Trieben  handeln, sind weit  mehrere,  welches äußerst vortrefflich ist, ob es gleich einzelne nicht als ein sonderliches Verdienst der Person angerechnet werden kann, denn diese tugendhaften Instinkte fehlen wohl bisweilen, allein im Durchschnitt leisten sie ebensowohl die große Absicht der Natur, wie die übrigen Instinkte, die so regelmäßig die tierische Welt bewegen. Derer, die ihr allerliebstes Selbst, als den einzigen Bezugspunkt ihrer Bemühungen, starr vor Augen haben, und die um den  Eigennutz,  als um die große Achse, alles zu drehen suchen, gibt es die  meisten,  worüber auch nichts Vorteilhafteres sein kann, denn diese sind die Emsigsten, Ordentlichsten und Behutsamsten; sie geben dem Ganzen Haltung und Festigkeit, indem sie auch ohne ihre Absicht gemeinnützig werden, die notwendigen Bedürfnisse herbeischaffen und die Grundlage liefern, über welche feinere Seelen Schönheit und Wohlgereimtheit verbreiten können. Endlich ist die  Ehrliebe  in  aller  Menschen Herzen, obwohl in ungleichem Maß, verbreitet worden, welches dem Ganzen eine bis zur Bewunderung reizende Schönheit geben muß. Denn wiewohl die Ehrbegierde ein törichter Wahn ist, sofern sie zur Regel wird, der man die übrigen Neigungen unterordnet, so ist sie doch als begleitender Trieb äußerst vortrefflich. Denn indem ein jeder auf der großen Bühne, seinen herrschenden Neigungen gemäß, die Handlungen verfolgt, so wird er zugleich durch einen geheimen Antrieb bewogen, in Gedanken sich außer sich selbst einen Standpunkt zu nehmen, um den Anstand zu beurteilen, den sein Betragen hat, wie es aussehe und dem Zuschauer in die Augen falle. Dadurch vereinbaren sich die verschiedenen Gruppen in ein Gemälde von prächtigem Ausdruck, wo mitten unter großer Mannigfaltigkeit Einheit hervorleuchtet, und das Ganze der moralischen Natur Schönheit und Würde an sich zeigt.

LITERATUR: Immanuel Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - Immanuel Kants vermischte Schriften und Briefwechsel, hg. von J. H. von Kirchmann, Berlin 1873
    Anmerkungen
    1) Ich will nur ein Beispiel von dem edlen Grausen geben, welches die Beschreibung einer gänzlichen Einsamkeit einflößen kann, und ziehe deswegen einige Stellen aus CARAZANs Traum im Bremer Magazin, Band V, Seite 539 aus. Dieser karge Reiche hatte nach dem Maß, als seine Reichtümer zunahmen, sein Herz dem Mitleiden und der Liebe gegen jeden anderen verschlossen. Indessen, so wie die Menschenliebe in ihm erkaltete, nahm die Emsigkeit seiner Gebete und der Religionshandlungen zu. Nach diesem Geständnis, fährt er also fort zu reden: "An einem Abend, da ich bei meiner Lampe meine Rechungen zog und den Handelsvorteil überschlug, überwältigte mich der Schlaf. In diesem Zustand sah ich den Engel des Todes wie einen Wirbelwind über mich kommen; er schlug mich, ehe ich den schrecklichen Streich ableiten konnte. Ich erstarrte, als ich gewahr ward, daß mein Los für die Ewigkeit verworfen sei, und daß zu allem Guten, das ich ich verübt, nichts konnte hinzugetan, und von allem Bösen, das ich getan, nichts konnte hinweggenommen werden. Ich ward vor den Thron dessen, der im dritten Himmel wohnt, geführt. Der Glanz, der vor mir flammte, redete mich also an: CARAZAN, dein Gottesdienst ist verworfen. Du hast dein Herz der Menschenliebe verschlossen und deine Schätze mit einer eisernen Hand gehalten. Du hast nur für dich selbst gelebt, und darum sollst du auch künftig in Ewigkeit allein und von aller Gemeinschaft mit der ganzen Schöpfung ausgestoßen leben. In diesem Augenblick ward ich durch eine unsichtbare Gewalt fortgerissen und durch das glänzende Gebäude der Schöpfung getrieben. Ich ließ bald unzählige Welten hinter mir. Als ich mich dem äußersten Ende der Natur näherte, merkte ich, daß die Schatten des grenzenlosen Leeren sich in die Tiefe vor mir herabsenkten. Ein fürchterliches Reich von ewiger Stille, Einsamkeit und Finsternis. Unaussprechliches Grausen überfiel mich bei diesem Anblick. Ich verlor allgemach die letzten Sterne aus dem Gesicht, und endlich erlosch der letzte schimmernde Schein des Lichts in der äußersten Finsternis! Die Todesangst der Verzweiflung nahm mit jedem Augenblick zu, so wie jeder Augenblick meine Entfernung von der letzten bewohnten Welt vermehrte. Ich bedachte mit unleidlicher Herzensanst, daß, wenn zehntausendmal tausend Jahre mich jenseits der Grenzen alles Erschaffenen würden weiter gebracht haben, ich doch immerhin in den unermeßlichen Abgrund der Finsternis vorwärts schauen würde, ohne Hilfe oder Hoffnung einiger Rückkehr. - - In dieser Betäubung streckte ich meine Hände mit solcher Heftigkeit nach Gegenständen der Wirklichkeit aus, daß ich darüber erwachte. Und nun bin ich belehrt worden, Menschen hochzuschätzen; denn auch der Geringste von denjenigen, die ich im Stolz meines Glücks von meiner Türe gewiesen hatte, würde in jener erschrecklichen Einöde von mir allen Schätzen von Golkonda weit vorgezogen worden sein." - -
    2) Die Empfindungen des Erhabenen spannen die Kräfte der Seele stärker an, und ermüden daher eher. Man wird ein Schäfergedicht länger in einer Folge lesen können, als MILTONs verlorenes Paradies und den de la BRUYÉRE länger, als den YOUNG. Es scheint mir sogar ein Fehler des Letzteren, als eines moralischen Dichters, zu sein, daß er gar zu einförmig im erhabenen Ton anhält; denn die Stärke des Eindrucks kann nur durch Abstechungen mit sanfteren Stellen erneuert werden. Beim Schönen ermüdet nichts mehr, als mühsame Kunst, die sich dabei verrät. Die Bemühung zu reizen wird peinlich und mit Beschwerlichkeit empfunden.
    3) Insofern die Erhabenheit oder Schönheit das bekannte Mittelmaß überschreitet, so pflegt man sie  romanhaft  zu nennen.
    4) Man bemerkt bald, daß diese ehrwürdige Gesellschaft sich in zwei Logen teile, in die der Grillenfänger und die der Gecken. Ein gelehrter Grillenfänger wird bescheiden ein  Pedant  genannt. Wenn er die trotzige Weisheitsmiene annimmt, wie die  Dunse  alter und neuer Zeiten, so steht ihm die Kappe mit Schellen gut zu Gesicht. Die Klasse der Gecken wird mehr in der großen Welt angetroffen. Sie ist vielleicht noch besser als die erstere. Man hat an ihnen viel zu verdienen und viel zu lachen. In dieser Karikatur macht gleichwohl einer dem andern ein schiefes Maul und stößt mit seinem leeren Kopf an den Kopf seines Bruders.
    5) Bei näherer Erwägung findet man, daß, so liebenswürdig auch die mitleidige Eigenschaft sein mag, sie doch nicht die Würde der Tugend an sich habe. Ein leidendes Kind, ein unglückliches und armes Frauenzimmer wird unser Herz mit dieser Wehmut erfüllen, indem wir zu gleicher Zeit die Nachricht von einer großen Schlacht mit Kaltsinn vernehmen, in welcher, wie leicht zu erachten, ein ansehnlicher Teil des menschlichen Geschlechts unter grausamen Übeln unverschuldet erliegen muß. Mancher Prinz, der sein Gesicht vor Wehmut von einer einzigen unglücklichen Peron wegwandte, gab gleichwohl aus einem öfters eitlen Bewegungsgrund zu gleicher Zeit den Befehl zum Krieg. Es ist hier gar keine Proportion in der Wirkung, wie kann man dann sagen, daß die allgemeine Menschenliebe die Ursache sei?
    6) Er hält sich auch nur insofern für glücklich, als er vermutet, daß er dafür von anderen gehalten wird.
    7) Man sieht auch, daß eine gewisse Feinheit des Gefühls einem Menschen zum Verdienst angerechnet wird. Daß jemand in Fleisch oder Kuchen eine gute Mahlzeit tun kann, desgleichen, daß er unvergleichlich wohl schläft, das wird man ihm wohl als ein Zeichen eines guten Magens, aber nicht als ein Verdienst auslegen. Dagegen, wer einen Teil seiner Mahlzeit dem Anhören einer Musik aufopfert, oder bei einer Schilderung sich in eine angenehme Zerstreuung vertiefen kann, oder einige witzige Sachen wenn es auch nur poetische Kleinigkeiten wären, gern liest, hat doch fast in jedermanns Augen den Anstand eines feineren Menschen, von dem man eine vorteilhaftere und für ihm rühmlichere Meinung hat.