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ALEXANDER WERNICKE
Kant . . . und kein Ende?
[2/2]

""Wissenschaft a priori beansprucht eine andere Gewißheit als Wissenschaft a posteriori, sie will Urteile von innerer Notwendigkeit und darum von allgemeiner Gültigkeit, d. h. gesetzliche Urteile fällen, die an und für sich gültig sind. Es gibt zunächst eine Wissenschaft von dem gesuchten Charakter, die formale Logik, in welcher es der Geist nur mit sich selbst zu tun hat. Sie lehrt Nich-Gegebenes aus Gegebenem ableiten und bestimmt den gesetzlichen Charakter der Ableitung durch den Hinweis auf die sogenannten Denkgesetze. Formale Logik durchzieht alle andere Wissenschaft, indem sie gegebene Begriffe, und zwar lediglich gemäß den Denkgesetzen bearbeitet. Woher aber dieses Gegebensein?"

"Man pflegt nicht an hundert Dreiecken Messungen anzustellen, um darzutun, daß die Winkelsumme im Streckendreieck 180 Grad beträgt, sondern man beweist diese Tatsache an einem Dreieck. Ist nun der Beweis, unter der Annahme, daß die Axiome gegeben sind, mag ihr Ursprung sein, welcher er will, lediglich formal-logisch?"

"Für den Erkenntnistheoretiker der Immanenz liegt gar keine Veranlassung vor, von Dingen außerhalb des Bewußtseins, von Dingen-ansich zu sprechen, er hat beim Gegebenen stehen zu bleiben und dessen Verknüpfungsarten zu studieren."


II. Die Aufgabe der
Kritik der reinen Vernunft

§ 6. Daß ein System innerlich-notwendiger und allgemein-gültiger, d. h. gesetzlicher Urteile über Natur-Körper möglich ist, setzt die Naturforschung seit den Tagen LEONARDO da VINCIs und GALILEO GALILEIs, in denen der Schatten des großen ARCHIMEDES zu neuem Leben erweckt wurde, in erster Linie voraus, und alles, was man als naturwissenschaftliche Methode (Beobachtung und Versuch, Feststellung von Gesetzen usw.) bezeichnet, steht und fällt mit jener Voraussetzung.

Quid juris? [mit welchem Recht - wp]

Die Naturforschung rechtfertigt ihre grundlegende Voraussetzung durch die Einstimmigkeit (12) der Forscher und durch die Fruchtbarkeit ihrer Verwendung: das weite Feld moderner Naturwissenschaft und die auf ihm erwachsene Technik sind vollgültige Zeugnisse.

Ist dies die einzige Rechtfertigung?

Wie weit trägt die Methode der Naturwissenschaft [hpklein] bei der Erforschung des Seienden? Reicht sie aus, alles auszumessen, auch den schönen Schein der Kunst und die ehrwürdigen Gebiete von Sitte und Recht und den majestätischen Tempel der Religion oder ist sie nur der Schlüssel zu den Geheimnissen der Körperwelt?

Ist die Grenze der Naturwissenschaft überhaupt die Grenze menschlicher Erkenntnis, hinter welcher nur der leere Raum der Meinungen und Gerüchte seine Stätte hat?

Dieser "hochmodernen Frage (23), der Frage nach der Erkenntnisgrenze, hat, reichlich vor einem Jahrhundert, IMMANUEL KANT die ganze Kraft seines zergliedernden Scharfsinns und durchdringenden Tiefsinns zugewandt, während fernes Wetterleuchten schon den Sturm der französischen Revolution anzeigte.

Die zügellos dahinstürmende Vernunft, welche im Zeitalter der Aufklärung nach unumschränkter Herrschaft strebte, suchte KANT zur Selbsterkenntnis (5) zu bewegen, damit ihre gerechten Ansprüche anerkannt und ihre ungerechten Ansprüche abgewiesen werden könnten.

Wo aber soll der Maßstab für diese Beurteilung zu finden sein? Wo anders, als in den "ewigen und unwandelbaren Gesetzen der Vernunft." (5)

Diese Gesetze zu bestimmen und ihnen gemäß Recht zu sprechen, das ist die Aufgabge der "Kritik der reinen Vernunft".

Das Ziel heißt: Rechtfertigung der Wissenschaft und Schutz der ethisch-religiösen Weltanschauung. (24)

Kritik der reinen Vernunft? Was bedeutet das?

Nicht Bücher und Systeme sollen kritisiert werden, sondern das Vernunftvermögen, d. h. das, was sie vermag, allein aus sich heraus zu leisten vermag (5), "nicht die Fakta der Vernunft, sondern die Vernunft selbst nach ihrem ganzen Vermögen und Tauglichkeit zu reinen Erkenntnissen a priori." (581)

Was der Menschengeist a priori, d. h. unabhängig von aller Erfahrung (5) auf dem Gebiet der Erkenntnis (Wissen und Glauben) zu leisten imstande ist, soll untersucht werden, es handelt sich um das Inventarium (10) aller unserer Besitze durch reine Vernunft.

Nicht der Menschengeist soll kritisiert werden. Das wäre vergebliche Mühe! Mag er nun an irgendeinem Maßstab der Willkür gut oder schlecht befunden werden, in seiner Eigenart bleibt er doch, was er ist.

Nicht Wissenschaft und Glauben sollen kritisiert werden, zumindest nicht in der Besonderheit, in welcher ihre "Fakta" geschichtlich vorliegen. Kritisiert werden soll die Leistungsfähigkeit des Menschengeistes, gemäß seiner Eigenart, in Bezug auf diejenige Erkenntnisart, welche unabhängig von Erfahrung möglich ist.

Dabei handelt es sich nur um die Leistungsfähigkeit aus eigener Kraft. Nicht, was der Menschengeist übernatürlicher Offenbarung verdankt, ist zu untersuchen, nicht, was der Menschengeist im Getriebe seines irdischen Erlebens, von Erfahrung befruchtet, im Einzelnen wirklich geleistet hat, beschäftigt uns hier, sondern die Tragweite seiner Leistungsfähigkeit aus eigener Kraft, soweit es sich um Erkenntnis handelt.

Zwei Voraussetzungen sind es also, welche der Untersuchung als Grundlage dienen: dieselbe kann nicht geführt werden ohne eine begriffliche (25) Bestimmung der Eigenart des "Menschengeistes" und ohne eine begriffliche Bestimmung der "Erkenntnis aus eigener Kraft."

§ 7. Diese Voraussetzungen selbst aber fordern die Erledigung zweier Existenzfragen. Gibt es so etwas wie einen "Menschengeist"? Gibt es so etwas wie Erkenntnis aus eigener Kraft?

Da es sich hier nicht um eine tiefsinnige Hypothese handelt, welche das geistige Leben des Einzelnen und die Gemeinsamkeit im geistigen Leben der Menschen erklären soll, sondern um die Erscheinung, welche sich als Anschauen, Denken usw. darstellt, so ist die erste Frage nicht von Belang. In der Bedeutung, welche hier zur Verwendung kommt, müßte der "Geist" auch von jenem krassen Materialismus anerkannt werden, welcher jetzt überall bekämpft wird und doch nirgends vorhanden ist.

Anders steht es mit der zweiten Frage.

Gibt es überhaupt Erkenntnis a priori, d. h. unabhängig von aller Erfahrung und unabhängig von übernatürlicher Erleuchtung? (26)

Alle unsere Erkenntnis fängt mit der Erfahrung an, daran ist gar kein Zweifel. Entspringt die darum auch ganz und gar aus der Erfahrung (a posteriori)? (647) Könnte es nicht sein, daß in unserem Erleben (Erfahrung) verschiedene Quellen sprudeln?

Alle unsere Erkenntnis fängt mit der Erfahrung an, daran ist gar kein Zweifel, aber alle unsere Erkenntnis fängt auch mit uns an, daran ist auch gar kein Zweifel. Kann unsere fertige Erkenntnis nicht ein Gewebe sein, in welchem sich Besitz a priori und Erwerb a posteriori vereinigt hat?

Unser Geist läßt sich von außen (praeter, nicht extra) anregen (affizieren) und ist selbst tätig (funktioniert). Muß nicht sogar die Affektionsweise des Geistes und seine Art zu funktionieren a priori gegeben sein, als Bedingung der Affektion durch Erfahrung und der damit beginnenden eigenen Tätigkeit. Sollte dieses "Apriori" in der fertigen Erkenntnis keine Spuren hinterlassen?

Mag es so sein! Wir wollen ja aber nicht die Spuren unseres Geistes verfolgen, sondern zur Erkenntnis gelangen, die doch jedenfalls Objektiv-Gültiges bieten will. Wie kann Erkenntnis (Wissenschaft und Glauben) a priori bestehen?

Sehen wir uns vorläufig (27) vom Glauben a priori ganz ab, so handelt es sich um Wissenschaft a priori.

Gibt es eine solche Wissenschaft oder wenigstens Bausteine einer solchen, d. h. Urteile, die in ihren Bestandteilen (Begriffen) und in ihrer Verbindung a priori sind?

Um dies zu entscheiden, müssen wir fragen: Ist auf dem Gebiet des menschlichen Wissens etwas vorhanden, von dem wir nicht zugeben, daß es durch Erfahrung widerlegt werden kann, mag über die Art des Besitzes oder Erwerbs auch noch so viel Steit sein?

Was durch Erfahrung gegeben ist, kann durch Erfahrung genommen werden: Wissenschaft a priori beansprucht eine andere Gewißheit als Wissenschaft a posteriori, sie will Urteile von innerer Notwendigkeit und darum von allgemeiner Gültigkeit, d. h. gesetzliche Urteile fällen, die an und für sich gültig sind.

Es gibt zunächst eine Wissenschaft von dem gesuchten Charakter, die formale Logik, in welcher es der Geist nur mit sich selbst (13) zu tun hat. Sie lehrt Nicht-Gegebenes aus Gegebenem ableiten und bestimmt den gesetzlichen Charakterder Ableitung durch den Hinweis auf die sogenannten Denkgesetze. Formale Logik durchzieht alle andere Wissenschaft, indem sie gegebene Begriffe, und zwar lediglich gemäß den Denkgesetzen bearbeitet. Woher aber dieses Gegebensein?

Ein Begriff wird durch seine Definition gegeben. Mit dem kategorischen Wort der Definition "Es ist gegeben" beginnt das Gebiet der kategorischen Notwendigkeit, während die formale Logik an und für sich, d. h. ohne daß bestimmte Begriffe definiert sein, lediglich hypothetische Notwendigkeit lehrt.

Die umfassendste Definition gibt uns ein Mannigfaltiges überhaupt, d. h. eine unbeschränkte Menge von getrennt Gedachtem, welches etwa als A, B, C usw. bezeichnet werden kann (28) Darum kommt unserem Bewußtsein zunächst (vgl. W9) die vielgestaltige Form des Außer-Einander zu, welche auch die festen Formen des Nach-Einander (Zeit) und des Neben-Einander (Raum und empirisches Ich) zu fassen imstande ist, nicht aber von vornherein durch diese festen Formen gefesselt ist.

Darum muß die Unabhängigkeit von Zahl und Zeit mit BAUMANN (29) gegen KANT und die Unabhängigkeit von Zahl und Raum gegen SCHUPPE scharf betont werden (vgl. W9)

Die Arithmetik hat sich ihre volle Selbständigkeit, auf welche schon C. F. KRAUSE (30) unzweideutig hingewiesen hat, namentlich der Geometrie gegenüber, in unserer Zeit langsam erkämpfen müssen: die meßbare Größe, als deren einfachste Darstellung die Strecke gelten kann, schien zumindest bei der Irrationalzahl als Stütze nötig.

Herr DEDEKIND, dem wir eine strenge Theorie des Irrationalen (31) verdanken, sagt in seiner oben erwähnten Schrift (VIIIf):
    "Die Zahlen sind freie Schöpfungen des menschlichen Geistes, sie dienen als ein Mittel, um die Verschiedenheit der Dinge leichter und schärfer aufzufaseen. Durch den rein logischen Aufbau der Zahlenwissenschaft und durch das in ihr gewonnene stetige Zahlenreich sind wir erst in den Stand gesetzt,m unsere Vorstellungen von Raum und Zeit genau zu untersuchen, indem wir dieselben auf dieses in unserem Geist geschaffene Zahlenreich beziehen."
Herr DEDEKIND gibt, diesem Gedankengang entsprechend, eine rein-formale Theorie der Zahlen und bezeichnet (VII) die Arithmetik (Algebra, Analysis)" als einen "Teil der Logik", als einen "unmittelbaren Ausfluß der reinen Denkgesetze."

Obwohl diese Bezeichnung ihren großen Wert hat, um den grundlegenden Schnitt zwischen Arithmetik und Geometrie deutlich zu machen, so bleibt doch die Frage nach dem Unterschied zwischen formaler Logik und Arithmetik dabei offen, mag man auch Beides unter dem Namen "Logik" zusammenfassen.

Es ist für mich äußerst lehrreich gewesen, die Voraussetzungen von DEDEKINDs Schrift zu studieren.

Der Ausgangspunkt ist genau die oben erwähnte, umfassendste Definition des Gegebenen: Herr DEDEKIND spricht (Seite 1f) von einem System und dessen Elementen, insofern verschiedene Objekte unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt aufgefaßt, im Geist zusammengestellt werden, und beweist, gemäß einer strengen Definition, daß es unendliche Systeme gibt (17).

Außer dieser Voraussetzung eines Mannigfaltigen überhaupt findet sich in der Schrift DEDEKINDs keine Voraussetzung, welche nicht in aller Strenge nur durch Denkverbindungen (Kategorien) gemäß den Denkgesetzen bestimmt wäre.

Diese formale Theorie der Zahlen bahnt aber auch, wie leicht zu ersehen ist, den Weg zu n-fachen Mannigfaltigkeiten eine notwendige Bedingung bildet oder nicht.

Neben der Arithmetik erhebt auch die Geometrie den Anspruch darauf, eine Wissenschaft a priori zu sein.

Solange Geometrie nur eine Theorie n-facher Mannigfaltigkeiten sein will, innerhalb welcher die einfachsten Sonderfälle (n = 1, 2, 3) eine besondere Bedeutung haben, ist Geometrie gewiß eine Wissenschaft a priori und umfaßt als solche auch diejenige Theorie der Bewegung, für welche Bewegung nichts anderes ist als eine Änderung der Lage.

Aber EUKLID wußte nichts davon, daß sein Raum eine dreifach-ausgedehnte, ebene Mannigfaltigkeit ist, und kam doch zu seinem System. Ist diese Wissenschaft EUKLIDs eine Wissenschaft a priori? Sie bezieht sich auf den Raum unserer Anschauung, der die feste Form des Neben-Einander ist, in der uns die Dinge der Sinnenwelt erscheinen.

Man hat einen heißen Streit um die Axiome entfacht, was den Ursprung derselben anlangt. Mag derselbe so oder so erledigt werden, in dem Sinne (32), in welchem KANT von reiner Naturwissenschaft spricht, bleibt auch EUKLIDs Geometrie sicher reine Geometrie, deren wissenschaftlicher Charakter sich übrigens an jedem Lehrsatz erkennen läßt.

Man pflegt nicht an hundert Dreiecken Messungen anzustellen, um darzutun, daß die Winkelsumme im Streckendreieck 180 Grad beträgt, sondern man beweist diese Tatsache an einem Dreieck.

Ist nun der Beweis, unter der Annahme, daß die Axiome gegeben sind, mag ihr Ursprung sein, welcher er will, lediglich formal-logisch?

Wir führen ihn nicht am gezeichneten Dreieck mit all seinen Unbestimmtheiten (Kreidestriche usw.) und nicht an dessen idealisiertem Bild, wir führen ihn nicht am Begriff des Dreiecks (dreifach gebrochener, geschlossener Streckenzug), sondern am schematisierten Begriff, d. h. irgendein Dreieck, welches der Definition gemäß im Raum veranschaulicht (konstruiert) wird, gilt uns als Repräsentant aller möglichen Dreiecke.

Woher diese repräsentierende Kraft mit ihrer inneren Notwendigkeit und ihrer allgemeinen Gültigkeit?

Wie steht es mit derjenigen Phoronomie [Bewegungslehre - wp] (Einheitsstrecke und Zeiteinheit) und derjenigen Dynamik (Einheitsstrecke, Zeiteinheit und Masseneinheit), welche zusammen als Mechanik die Grundlage der mathematischen Naturwissenschaften bilden? Gilt für sie nicht Analoges wie für EUKLIDs Geometrie? Enthält nicht überdies diese Wissenschaft, unabhängig von Erfahrung, Prinzipien, welche erst "Erfahrung als Wissenschaft", d. h. Naturwissenschaft möglich machen? (33)
Wenn die Chemie lehrt, daß Wasser aus 2 Teilen Wasserstoff (H) und 1 Teil Sauerstoff (O) besteht, so setzt sie dabei Substanzen voraus und Meßbarkeit usw. Beruth die Formel H2O, selbst wenn wir dies zugeben, außerdem nur auf Erfahrung? Ist ihr wissenschaftlicher Wertmesser, falls man das Quantum alles bisher untersuchten Wassers mit W1 und das Quantum alles überhaupt vorhandenen Wassers mit W bezeichnet, nur in der überaus kleinen Wahrscheinlichkeit W1 / W gegeben?

Setzt nicht die Wissenschaft, welche die Gesetze der Erscheinungen im Einzelnen bestimmen will, zumindest voraus, daß diese Erscheinungen gesetzlich bestimmt sind? Ist diese Voraussetzung nicht eine Bedingung der "Erfahrung als Wissenschaft" und als solche unabhängig von Erfahrung, eine Bedingung, welche bestehen bleibt, mag auch dieses oder jenes Sondergesetz (z. B. das BOYLE-MARIOTT'sche gegenüber den Untersuchungen von RÈGNAULT) fallen? (34)

§ 8. Welches ist nun die Eigenart des Menschengeistes?

Er vermag nicht Sonne und Sterne zu schaffen, wie der Gottesgeist, er ist nicht Schöpfer der Welt, wohl aber in gewissem Sinn Baumeister seiner Welt.

Der Menschengeist kann, in theoretischer Hinsicht, aus eigener Kraft nur ihm Gegebenes verknüpfen, bzw. das von ihm Verknüpfte auflösen: insofern ihm etwas gegeben wird, schaut er an, insofern er Gegebenes verknüpft oder Selbstverknüpftes auflöst, denkt er: "Synthesis" und "Analysis eigener Synthesen" sind die Funktionen des Denkens, welche an und für sich, d. h. ohne sich auf ein Gegebenes der Anschauung zu beziehen, niemals zur Erkenntnis der Sinnenwelt oder des Übersinnlichen führen.

Indem KANT das Denken lediglich als ein Verknüpfen (oder Auflösen) (35) bestimmt, tritt er in einen scharfen Gegensatz zu jener Philosophie, welche im scholastischen Realismus ihren Höhepunkt erreicht hat. (36) Die Grundbegriffe des Denkens bestimmen nach KANT Verknüpfungsarten, während z. B. FREDEGISUS, ein Schüler ALCUINs aus dem Wort "nihil" [nicht, ohne - wp] auf einen Begriff und aus diesem auf ein Ding schließt, um damit die Schöpfung der Welt aus dem "Nichts" vollkommen begreiflich zu machen (37).

Wo der Menschengeist etwas auflösen kann, da löst er nur seine eigenen Verknüpfungen auf (A 130, besonders Anm und B 658). Was ist dieser Menschengeist? Ist er eine Macht, die über das einzelne Individuum hinausgreift, wie FICHTEs absolutes Ich oder wie die Vernunft bei HEGEL? Man hat das so deuten wollen, aber mit Unrecht: KANT unterscheidet das klare (empirische) Bewußtsein von einem umfassenderen Bewußtsein, welches als empirisches Bewußtsein klar werden kann, aber auch dieses umfassendere Bewußtsein ist durchaus individuell begrenzt. Was der individuelle begrenzte Menschengeist ansich ist, bleibt uns verborgen,m und nur, daß er ansich spontan-tätig ist, unterliegt keinem Zweifel.

Auf theoretischem Gebiet bedarf diese Spontaneität stets der Anregung von einem, außerhalb ihrer Individualität Liegenden, um zur Erkenntnis zu gelangen, sie muß affiziert werden, um im Erleiden das Material für ihre Synthesen zu gewinnen.

Die leidende Seite (Sinnlichkeit) und die *tätige Seite (Verstand, bzw. Vernunft) des Menschengeistes stehen sich begrifflich gegenüber und KANT wird nicht müde auf diese Doppelnatur hinzuweisen und sie zu schildern, gegenüber dem schöpferischen Gottesgeist, bei dem Denken und Anschauen "Eins" sind.

Ob diese beiden Stämme der Erkenntnis aus gemeinsamer Wurzel sprossen? Für den Metaphysiker ist dies selbstverständlich. Für den Erkenntnistheoretiker ist es eine müßige Frage: genug, daß sich ihre beiden Kronen in jeder Leistung, welche mit Recht (theoretische) Erkenntnis heißt, zum gemeinsamen Laubdach vereinen. In der Affektion verfällt die Spontaneität der Zeitlichkeit: das Gegebene, welches sich auf Gegenstände bezieht, kann nur in der Zeit erscheinen, d. h. es gibt für den Menschen nur sinnliche Anschauung, die Anschauung des Übersinnlichen ist ihm versagt. Damit ist die Eigenart des Menschengeistes bestimmt, soweit es sich um theoretische Erkenntnis handelt: er vermag nur in der Zeit Gegebenes zu verknüpfen (und aufzulösen) - so ist er der Baumeister seiner (sinnlichen) Welt, aber nicht der Schöpfer der Welt.

Woher aber die Einsicht in diese Eigenart?

Sie fließt aus der Betrachtung derjenigen Wissenschaft, in welcher es der erkennende Geist lediglich mit sich selbst zu tun hat (13), der formalen Logik. Am Urteil, dessen Arten in der formalen Logik festzustellen sind, vielleicht auch in ihr bereits festgestellt sind, ging KANT die Erkenntnis aus, daß, abgesehen von der Analysis, die Gleichung besteht: Denken = Verknüpfen.

Der Blick des Genius haftete auf der Wissenschaft der formalen Logik und nicht auf dem Hypothesen-Gewimmel der zeitgenössischen Psychologie, als es sich darum handelte, die Eigenart des Menschengeistes zu erkennen. (38)

Die Gleichung "Denken = Verknüpfen" führt zu dem Satz, daß neben dem Denken auch ein "Verknüpfungsmaterial" da sein muß, falls eine Erkenntnis von Gegenständen möglich sein soll, sie fordert die Anschauung als Ergänzung des Denkens und diese Anschauung erweist sich als sinnlich. (39)

Mit dieser Bestimmung der Eigenart des Menschengeistes wird zugleich für den Erkenntnistheoretiker das Prinzip der Immanenz zum Ausgangspunkt.

Das Gegebene erscheint als Empfindung in der Affektionsweise des Geistes, welcher es gemäß seiner Art zu Funktionieren verknüpft, und somit gestaltet: forma dat esse rei. [Die Form gibt einer Sache ihr Sein. - wp]

Alles, was uns in theoretischer Hinsicht beschäftigen kann, ist in unserem Bewußtsein vorhanden: die Gegenstände der Sinnenwelt sind anschaulich-logische Verknüpfungen in unserem Bewußtsein, das Übersinnliche ist das Bewußtseinstranszendente, welches viellecit gedacht, jedenfalls aber nicht angeschaut werden kann, weil eine transzendente Realität nur in der Affektionsweise unseres Geistes aufgenommen werden und somit bestenfalls nur durch eine immanente Erscheinung repräsentiert werden kann.

Für den Erkenntnistheoretiker der Immanenz liegt gar keine Veranlassung vor, von Dingen außerhalb des Bewußtseins, von "Dingen-ansich" zu sprechen, er hat beim Gegebenen stehen zu bleiben und dessen Verknüpfungsarten zu studieren.

Höchstens zwecks Polemik, um den von anderer Seite gebildeten Unbegriff des "Dinges-ansich" zurückzuweisen und zu zeigen, daß in ihm lediglich die Grenze der Erkenntnis gewissermaßen nach "Dinghaftigkeit" ringt,m darf der Erkenntnistheoretiker der Immanenz vom "Ding-ansich" sprechen: er hat lediglich das Bewußtsein zu zergliedern und die Elemente festzustellen, welche einer Zergliederung widerstehen, die Verbindungsarten dieser Elemente zu bestimmen und mit dem so gewonnenen Material weiter zu arbeiten.

Diese Elemente bleiben ihm stets das "Gegebene", welches stets im Bewußtsein gegeben ist, während er die Verbindung der Elemente zu Gestaltungen mannigfaltiger Art des weiteren untersuchen kann.

Als Metaphysiker blieb KANT nicht bei diesem "Gegebensein" stehen, das Gegebene war ihm durch die Affektionsweise des Geistes bestimmt und wies also hin auf ein Transzendentes.

Als Metaphysiker blieb KANT nicht bei der "Verbindung der Elemente" stehen, die Elemente wurden ihm in der Anschauungsform des Geistes durch dessen spontane Wirksamkeit verbunden. So tritt das Transzendente für den Metaphysiker KANT in eine enge Beziehung zur Immanenz, die er als Erkenntnistheoretiker lehrt. (40)

§ 9. Welches ist nun der Begriff der "Wissenschaft a priori" bei KANT? mit der Anerkennung (§ 7) eines, unabhängig von der Erfahrung Vorhandenen, welches selbst erst "Erfahrung als Wissenschaft" möglich macht und vielleicht auch zum Übersinnlichen leitet, sind die ehrwürdigen Vorgänger und die streitenden Zeitgenossen KANTs welche ein solches "Apriori" unter verschiedenen Namen suchten, in ihrem Streben gerechtfertigt.

Schließt man alle Formalwissenschaft ein für alle Mal von der Untersuchung aus, weil sie kein Problem bildet, nachdem neben den Denkgesetzen die gebende Macht der Definition anerkannt ist, so bezieht sich alle etwa vorhandene "Wissenschaft a priori" entweder auf die Sinnenwelt oder auf das Übersinnliche, d. h. auf Gegenstände (Objekte), welche nicht bloß Gegenstände formaler Wissenschaft sind. Unter Ontologie verstand man die Aufgabe, dem ewigen Fluß der Sinnenwelt (HERAKLIT) gegenüber, das Feste und Beständige, die ruhenden Pole in der Flucht der Erscheinungen, das ontos on [seiendes Sein - wp] festzustellen.

Da man diese ruhenden Pole unmittelbar oder mittelbar in einem Transzendenten suchte, um aus diesem Reich den Stempel des Objektiv-Gültigen für die Sinnenwelt zu holen, so konnte man die Aufgabe ihrer Bestimmung auch Transzendentalphilosophie nennen. Diese Wissenschaft beschäftigt sich mit den, von Erfahrung unabhängigen, Vorstellungen des Menschen, welche ein Transzendentes als das echteste Sein in getreuester Darstellung abbilden, um in diesem Transzendenten auch die flüchtige Beweglichkeit unserer Sinnenwelt zu verankern.

Die Transzendentalphilosophie der Alten, sagt KANT (101) beschäftigt sich mit "Begriffen a priori von Gegenständen". (vgl. auch Preisschrift 112)

Wie steht es um das Transzendente? Spiegeln sich Dinge, welche selbständig dem selbständigen Geist gegenüberstehen, in diesem Geist bald mehr, bald weniger vollkommen?

Mag sein, daß dem so ist! Da wir aber das Transzendente jedenfalls nicht unmittelbar wahrnehmen, sondern höchstens erschließen, es also nicht von vornherein kennen, so sind wir auch nicht imstande, aus ihm irgendeine Aufklärung zu ziehen, welche zur Grundlage einer Erkenntnistheorien dienen könnten.

Alle Hypothesen, welche der platonischen Anschauung der Gottheit usw. oder dem Gedanken einer "harmonie préétablie" entsprechen, liegen dem Standpunkt (41) fern, der aus reiner Vernunft erkennen will. Es ist denkbar, daß dieser Standpunkt keinen Fortschritt ermöglicht, daß wir also zu solchen Hypothesen greifen müssen: in diesem Fall gibt es keine Wissenschaft a priori.

Gott kann wohl der Zielpunkt unserer Erkenntnis sein, muß es sogar sein, damit wir im Glauben an Gott Ruhe finden, aber aus der Idee Gottes etwas zu deduzieren, wissenschaftlich zu deduzieren, ist unmöglich, wenn es sich um den Ausgangspunkt unserer Erkenntnis handelt. Nicht bloß für SPINOZAs System gilt die bekannte Kritik.

Lehnt man aber jedes Transzendente an der Schwelle der Erkenntnistheorie ab, so bleibt nur übrig, sich ganz auf den Standpunkt der Immanenz zu stellen.

Darum beschäftigt sich (44) Kants "Transzendentalphilosophie", zu welcher die (Kritik der reinen Vernunft) die Propädeutik [Vorschule - wp] ist, mit unseren Begriffen a priori von Gegenständen überhaupt, d. h. mit unserer Erkenntnisart vom Objektiv-Gültigen oder Gegenständlichen, insofern diese Art zu erkennen a priori, d. h. unabhängig von Erfahrung möglich sein soll. Beachtet man dieses "unser" nicht, so ist die Transzendentalphilosophie KANTs nicht scharf geschieden von anderen Arten der Transzendentalphilosophie. Die Scheidung liegt in der unbedingten Anerkennung des Prinzips der Immanenz. Daß KANT diese "Transzendentalphilosophie" ohne "Transzendentes" doch wieder mit dem alten Namen bezeichnet,m ist bei seiner Abneigung, "neue Worte zu schmieden" erklärlich: KANT hält überdies die geschichtlich gegebene Aufgabe der Transzendentalphilosophie dem Begriff nach auf seinem Standpunkt der Immanenz fest und bleibt daher bei der gangbaren Bezeichnung, zumal er das Transzendente als Zielpunkt seiner Untersuchung unbedingt anerkennt. (Vgl. 47, 80, 637 und Prolegomena 45, 145)

Wir haben hier ein Analogon vor uns zum modernen Begriff der "Psychologie ohne Seele".

Ob es zweckmäßig war, daß KANT so handelte, ist eine ganz andere Frage: schon der erste Kritiker der Kritik las bekanntlich transzendenten oder höheren Idealismus heraus.

Wissenschaft a priori bezieht sich auf unsere Begriffe a priori von Gegenständen überhaupt. Diese Gegenstände sind zunächst (42) Dinge und Vorgänge, wie sie Jedermann in der Sinnenwelt findetm, und vielleicht auf Gegenstände der übersinnlichen Welt.

Bezeichnet man mit KANT innerlich notwendige und darum allgemeingültige Aussagen, welche sich auf "Gegenstände" beziehen, als "synthetische Urteile", um solche Aussagen von den gesetzlichen Aussagen der Formalwissenschaft und den formallogischen Zwischengliedern der Untersuchungen auf dem Gebiet des Objektiv-Gültigen, welche "Analytische Urteile" heißen mögen, streng zu scheiden (43), so ist "Wissenschaft a priori", soweit sie ein Problem bildet, als "System synthetischer Urteile a priori" zu bestimmen.

Daß es sich bei diesen Urteilen nur um unsere Begriffe und nur um unsere Art zu urteilen, handeln kann, ist für den Erkenntnistheoretiker der Immanenz selbstverständlich.

Synthetische Aussagen a posteriori, welche wohl auch gelegentlich den Anspruch erheben, Urteile (44) (B § 19) zu sein, sind unser tägliches Brot, falls wir nicht gerade formal-wissenschaftlich arbeiten. Worauf stützen sich solche Aussagen? Auf Erfahrung! Synthetische Urteile a priori fordern eine Verknüpfung, welche nicht bloß formallogisch ist, aber doch auch nicht empirisch sein darf. Sie fordern einen Verknüpfungszwang, der nicht bloß im Denken gegeben ist. Wo ist das Andere, was sie fordern, zu finden?

Für den Geometer ist dieses Andere die Raumanschauung. Für den Erkenntnistheoretiker der Immanenz ist dieses Andere die menschliche Anschauung überhaupt, welche an Zeit und Raum gebunden ist und die zeitliche Veränderung im Raum als Bewegung (45) erfaßt.

Synthetische Urteile sind logisch-anschaulich.

Wissenschaft a priori ist, so weit sie ein Problem bildet, logisch-anschauliche Wissenschaft.

Neben formaler Logik ist EUKLIDs Geometrie KANTs Lehrmeisterin gewesen und zwar in vielen Stücken.

"More geometrico" rief ein vielstimmiger Chor, aber man sah die Eigenart der Geometrie nur in der äußeren Systematik (46) EUKLIDs: KANT erfaßte den Charakter der Geometrie als Wissenschaft, indem er ihre Urteile als logisch-anschauliche bestimmte.

Diese logisch-anschaulichen Urteile erweisen sich als fruchtbares Werkzeug für die Erkenntnis und Beherrschung der Sinnenwelt, weil sie sich nicht bloß auf reine Anschauung beziehen, sondern damit auch auf Gegenstände der Sinnenwelt. (47)

Sollte dies nicht auch weiter gelten?

"Die reinen <= a priori> synthetischen Urteile der Geometrie beziehen sich, obgleich nur mittelbar, auf mögliche Erfahrung oder vielmehr auf diese ihre Möglichkeit selbst und gründen darauf allein die objektive Gültigkeit ihrer Synthesis" (155).

Ist dies eine allgemeine Einsicht in den Charakter der synthetischen Urteile a priori, so muß gelten (155):

Das oberste Prinzip aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder Gegenstnad steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung.

Das objektiv-gültige Urteil bestimmt den Gegenstand und dieser Gegenstand ist, weil uns übersinnliche Anschauung versagt ist, stets ein Gegenstand möglicher Erfahrung: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteil a priori (156).

Was ist aber diese "mögliche Erfahrung", zu welcher alle synthetischen Urteile a priori, welche die Wissenschaft a priori bilden, soweit sie nicht Formalwissenschaft ist, in Beziehung stehen müssen?

Es ist die gesetzliche Verbindung von Elementen unserer Anschauung (Empfindung) innerhalb der Form unserer Anschauung (Zeit und Raum), insofern dieselbe möglich ist, d. h. Wissenschaft a priori bestimmt das gesetzliche Skelett der Sinnenwelt, wir stehen vor PLATOs Problem im Timaeos, wo der Weltenbaumeister das demantene Netz der Ideen durch die Leere spannt, um in ihm das me on [das Nichtseiende - wp] zu gestalten.

§ 10. Wie steht es nun um die Aufgabe der Kritik? Sie hat zu untersuchen, ob die notwendigen und hinreichenden Bedingungen der Erkenntnis a priori, d. h. zunächst der Wissenschaft a priori, bei der Eigenart unseres Geistes vorhanden sind oder nicht.

"Wie ist Erkenntnis aus reiner Vernunft möglich? So lautet die populäre Fassung (Prolegomena) der kantischen Frage, d. h. unter welcher Bedingung kann aus der subjektiven Quelle des "a priori" Objektiv-Gültiges emporsteigen? Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? So lautet dieselbe Frage in schulmäßiger Fassung.

Die Antwort ergibt sich jetzt fast von selbst, wenn man bedenkt, daß die Denkgesetze für die Formalwissenschaft die quaestio juris [Frage der Rechtfertigung - wp] erledigen und daß die Gesetze des Denkens allein nicht ausreichen (83), um außerhalb der formalen Wissenschaft Objektiv-Gültiges zu bestimmen.

Sie lautet: Wissenschaft a priori ist möglich, insofern ihre Urteile logisch-anschaulichen Gesetzen des Menschengeistes gemäß sind, d. h. falls es über die Denkgesetze hinaus noch Gesetze des Menschengeistes gibt, nach denen das Mannigfaltige der Anschauung im Bewußtsein verbunden wird.

Was wird dabei aus den Dingen, den Dingen dieser Welt und den übersinnlichen Dingen?

Wo für mich eine objektiv-gültige, d. h. gesetzliche Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung vorhanden ist, da ist für mich ein Gegenstand (Objekt) vorhanden, d. h. ein Ding, ein Vorgang usw. der sinnlichen oder übersinnlichen Welt, je nach die gegebene Anschauung sinnlich oder übersinnlich ist (84 Der Gebrauch usw.) Das ist die berühmte Umkehr des Standpunktes (KOPERNIKUS) bei KANT, durch welchen die Dinge, welche sonst das Erste Sind, erst auf einem Umweg gegeben werden: die Frage geht auf die Wissenschaft, d. h. auf das Objektiv-Gültige und ihre Antwort löst zugleich die Frage nach dem Gegenstand (Objekt) (48).

Nun ist uns aber in theoretischer Hinsicht keine übersinnliche Anschauung gegeben, weil es Eigenart des Menschengeistes ist, sinnlich, d. h. in der Zeit anzuschauen, also gibt es für uns keine objektiv-gültigen Urteile in Bezug auf das Übersinnliche und also gibt es für uns keine objektiv-gültigen Urteile in Bezug auf das Übersinnliche und also auch keine Gegenstände einer übersinnlichen Welt.

Die Wissenschaft des Sinnlichen ist möglich, weil es Anschauung des Sinnlichen gibt: a priori bestimmbar ist von dieser Wissenschaft nur das Gesetzliche überhaupt, d. h. es gibt eine Wissenschaft a priori als Lehre von den Prinzipien der Naturwissenschaft.

Diese Wissenschaft, welche stets eine Beziehung zur Möglichkeit der Erfahrung hat, löst die quaestio juris für die Naturwissenschaft und bestimmt ihre Grenzen.

Damit ist die Frage nach der Erkenntnisgrenze, soweit Wissenschaft in Rede steht, gelöst (49). Der Platz, den die Wissenschaft vom Übersinnlichen bisher beansprucht hat, gehört dem Glauben a priori, der praktischen Erkenntnis aus Vernunft.

§ 11. An diese Feststellung der Erkenntnisgrenze schließen sich zwei weitere Fragen an, von denen die erste eine Doppelfrage ist.

1. Es handelt sich darum, im Einzelnen darzulegen, daß die Naturwissenschaft nicht bloß ihrem Begriff nach gerechtfertigt ist, sondern daß die begriffliche Bestimmung zu den Erscheinungen des äußeren Sinnes (Raum) und zu den Erscheinungen des inneren Sinnes, welche nicht zugleich eine Beziehung zum Raum haben, paßt, d. h. es handelt sich einmal darum, die Prinzipien der Naturwissenschaft NEWTONs wirklich festzustellen, es handelt sich andererseits darum, den Anschluß an die Psychologie zu erreichen.

2. Es handelt sich darum, die zeitgenössische Metaphysik wirklich zu vernichten, sie nicht bloß begrifflich zu negieren und an ihrer Stelle die praktische Erkenntnis aus Vernunft aufzubauen.

§ 12. Was die Prinzipien der Wissenschaft NEWTONs anlangt, so ist zunächst zu bemerken, daß die "Existenz" anschaulich-logischer Gesetze des Menschengeistes - KANT nennt sie Grundsätze (50) - bereits für die Feststellung der Erkenntnisgrenze vorausgesetzt werden mußte.

Jetzt handelt es sich darum, dieselben festzustellen, KANT sagt, die Grundsätze zu beweisen. Kann man Grundsätze beweisen? Ja und Nein! "Ein Beweis aus den subjektiven Quellen der Möglichkeit einer Erkenntnis des Gegenstandes überhaupt ist möglich, ja notwendig." (150)

Wir haben zu fragen: Wie müssen die Grundsätze des Geistes beschaffen sein, damit gemäß dessen Eigenart "Erfahrung als Wissenschaft" möglich ist?

Die Schlüsse stehen also folgendermaßen: Wenn "Erfahrung als Wissenschaft", d. h. die gesetzliche Verbindung der in der Zeit gegebenen Elemente (Empfindung) der Anschauung möglich sein soll, so muß dies und das als Bedingung a priori vorausgesetzt werden.

    1. Vor allem muß Empfindung gegeben sein, d. h. sie muß einen bestimmten Grad, eine bestimmte "intensive Größe" haben.

    2. Da in Bezug auf die Zeit
      a) ein Nacheinander (Folge),
      b) ein Zugleich und
      c) ein Nacheinander, welches ein Zugleich ist (Dauer)
    unterschieden wird, so muß es drei Grundsätze der zeitlichen Verknüpfung geben.
Eine genauere Betrachtung zeigt, daß c) die Bedingung für a) und b) ist und demgemäß werden die Grundsätze für die Denkformen "Substanz und Akzidenz" (Ding und Eigenschaft), "Ursache und Wirkung" (als Bedingung und Bedingtes) und "Wechselwirkung" festgestellt. Diese "regulativen" Grundsätze sind "Analogien" der "Erfahrung".

3. Da der größte Teil unserer Empfindungen, unbeschadet seiner Einordnung in die Zeit, ein räumliches Ganzes bildet, so muß dem konstitutiven Grundsatz von der intensiven Größe ein konstitutiver Grundsatz von der "extensiven Größe" hinzugefügt werden. Eine genauere Betrachtung zeigt, daß dieser Grundsatz die Führung übernimmt, da sowohl intensive Größe als protensive Größe (Dauer) in der Raumgröße (Strecke) ihren wissenschaftlichen Halt finden.

Dieser Tafel sind noch die Grundsätze der "Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit" hinzuzufügen, welche die Beziehung des Seienden zum betrachtenden Subjekt regeln. (51)

§ 13. Was den Anschluß an die Psychologie anlangt, so ist zu betonen, daß der "Begriff" vom Menschengeist, welchen die Transzendentalphilosophie verwendet, sich auch für die Psychologie bewähren muß. Diesem Gegenstand widmet KANT nicht bloß in A breiten Raum (namentlich 130f)), er behält ihn vielmehr in der ganzen Analytik, und zwar in A und B, sozusagen im Auge und sucht namentlich im Kapitel von den Grundsätzen (A und B) durch Beispiele (Apprension des Hauses u. A.) zu zeigen, daß sein "Begriff" vom Menschengeist nicht bloß dem Zweck dient, für den er geschaffen wurde.

§ 14. Um den Übergang zur praktischen "Erkenntnis a priori" bei KANT zu verstehen, müssen wir das Gesagte noch in einer anderen Hinsicht betrachten.

Die Kritik der reinen Vernunft folgt genau dem Einteilungsschema der formalen Logik, deren Elementarlehre im Kapitel "Begriff" das Material, in den Kapiteln "Urteil" und "Schluß" die einfacheren, bzw. die verwickelteren Verbindungen ihres Geistes betrachtet.

Dem Kapitel "Begriff" entspricht die "Transzendental-Ästhetik", welche die Elemente des Bewußtseins als Empfindungen bezeichnet, und nach der Art ihres Zusammenseins forscht, d. h. nach den Vorstellungen a priori, welche die Bedingungen ausmachen, unter denen uns Gegenstände gegeben werden (47).

Den Kapiteln "Urteil" und "Schluß" entsprechen die "Transzendentale Analytik" und die "Transzendentale Dialektik".

Versteht man unter einem Grundbegriff das Gesetz für die Verbindung eines Mannigfaltigen der Anschauung, so zerfallen diese Grundbegriffe in:
    a) intuitive (Anschauungsformen) = Einheiten des Beisammenseins

    b) diskursive (Denkformen) = Einheiten der Einzelverknüpfung

    c) systematische (Ideen) = Einheiten der Verknüpfung zu einem Ganzen (52).
KANTs Schrift vom Jahr 1770, welche durch die Untersuchung des Raumes vom Jahr 1768 Genaueste vorbereitet ist, scheidet a) von b) und c), die Kritik fügt den Schritt zwischen b) und c) hinzu (53), welcher der Sache nach schon im Brief an Herz (1772) bekannt ist.

Wie können diese Grundbegriffe zur Erkenntnis führen? Wie kann aus der subjektiven Quelle des "a priori" objektiv-gültige Wissenschaft emporsteigen? (107)

KANT nennt die Erklärung der Art, wie sich (unsere) Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen, die transzendentale Deduktion der Begriffe (104).

Diese Deduktion für die Denkformen (Kategorien) zu geben, gelang KANT erst nach vielfachem Bemühen (8), während für die Anschauungsformen eine solche Deduktion an und für sich nicht nötig ist (106) und nur mit Rücksicht auf die zum Transzendenten strebenden Kategorien, welche auch den "Begriff des Raumes" (106) zweideutig machen, gefordert wird. Für die Kategorien steht die Sache so: KANT hat nie bewiesen oder beweisen wollen, daß der Gebrauch der Kategorien an und für sich auf die Sinnenwelt beschränkt ist, im Gegenteil, er wiederholt oft, daß die Kategorien als Verknüpfungsarten des Mannigfaltigen auch das Übersinnliche fassen würden, wenn ein solches anschaulich gegeben wäre.

Die transzendentale Deduktion der Kategorien kann in einem weiteren und engeren Sinn geführt werden, im engeren Sinn reicht sie aus zur Bestimmung der Erkenntnisgrenze (Preisschrift 113f), in weiterem Sinn (auch die Grundsätze umfassend) bezieht sie sich auch auf jene, oben erwähnten, beiden Nebenzwecke (Darstellung der Prinzipien der Sinnenwelt und Anschluß an die Psychologie).

Eine transzendentale Deduktion der Ideen ist in gewissem Sinne unmöglich: ihr Gegenstand ist in theoretischern Hinsicht nur die Erfahrung selbst, welcher sie systematischen Abschluß gewähren.

In dieser Beziehung gibt es drei Ideen:
    1. Seele = letzte, d. h. unbedingte Einheit der Lebenserscheinungen des Bewußtseins.

    Welt = letzte, d. h. unbedingte Einheit der räumlich-zeitlichen Erscheinungen.

    Gott = letzte, d. h. unbedingte Einheit aller Erscheinungen überhaupt.
Ist die Bedeutung der Ideen damit erschöpft, daß man sie als systematische Begriffe bezeichnet? Für das theoretische Gebiet, ja! Jeder Versuch, die regulativen Begriffe (Ideen) nach Art der konstitutiven Begriffe (Kategorien) zu verwenden, d. h. durch sie bestimmte Gegenstände für uns aufbauen zu wollen, scheitert an der Unzulänglichkeit unseres Geistes in Bezug auf eine theoretische Erkenntnis des Übersinnlichen.

Aber schon PLATO bemerkte sehr wohl (274), daß unsere Erkenntniskraft ein weit höheres Bedürfnis fühlt, als bloß Erscheinungen nach synthetischer Einheit buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können ... er fand seine Ideen vorzüglich in allem was praktisch ist, d. h. auf Freiheit beruth. (275)

Neben der Wissensgewißheit gibt es eine Glaubensgewißheit, welche der Art nach, nicht dem Grad nach von jener verschieden ist: der moralische Glaube führt zu Gott.

Als Objekte dieses Glaubens werden die Ideen, welche in theoretischer Hinsicht stets nur systematische Begriffe bleiben, zu Bildern von Gegenständen höchster Realität.

Woher aber diese Realität? Neben das "ist" der theoretischen Wissenschaft tritt das "soll" der praktischen Erkenntnis: das Sittengesetz mit seinen kategorischen Befehlen, die unseres Wissens spotten, weist uns hin auf unsere eigentliche Heimat, in welcher die Zeit und das Naturgesetz keine Stelle haben (vgl. z. B. A und B 496).

So schlägt KANT die Brücke zum Transzendenten: moralische Anschauung füllt die Leere der Ideen und damit erwächst uns eine Erkenntnis des Übersinnlichen, welche für gewisse Zweck ausreicht. (54)

Man darf nicht in der Ethik stehen bleiben: "Ohne einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernünftigen Wesen natürlich und durch eben dieselbe reinen Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist, erfüllen." (A und B 615f vgl. dazu weiter 610, 617, 627 u. a.)

§ 15. KANT hat den Glauben an die gottgeschaffene Welt des Übersinnlichen, in welchem unsere Sinnenwelt die Wurzeln ihres Seins hat, niemals aufgegeben.

"Die Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik" entwickeln (1766) denselben Gedanken (55), den KANT in der Kritik (A und B 593) als eine transzendentale Hypothese, als einen bloßen zur Gegenwehr ausgedachten Begriff bezeichnet: daß alles Leben eigentlich nur intelligibel ist, den Zeitveränderungen gar nicht unterworfen, und weder durch Geburt angefangen haben, noch durch den Tod beendet wird. Daß dieses Leben nichts als eine bloße Erscheinung, d. h. eine sinnliche Vorstellung vom reinen geistigen Leben, und die ganze Sinnenwelt ein bloßes Bild ist, welches unserer jetzigen Erkenntnisart vorschwebt, und wie ein Traum, ansich keine objektive Realität hat: daß, wenn wir die Sachen und uns selbst anschauen sollen, wie sie sind, wie uns in eine Welt geistiger Naturen sehen würden, mit welcher unsere einzigwahre Gemeinschaft weder durch Geburt angefangen, noch durch den Leibestod (als bloße Erscheinung) aufhören wird usw. (vgl. auch A und B 592) Diese "Hypothese" der theoretischen Vernunft wird durch die Kritik der praktischen Vernunft zur "Glaubensgewißheit", nachdem die Spontaneität als innerstes Wesen des Ich erkannt ist.

Die Autonomie des Ich erscheint als Kausalität aus Notwendigkeit (Naturgesetz), wenn das Ich seine Reaktionen auf den Eingriff des Fremden zu Gegenständen der Sinnenwelt formt (Reflexion 948 und 949), sie zeigt sich als Kausalität aus Freiheit (Sittengesetz), wenn das Ich lediglich seiner eigenen Bestimmung folgt.

Erhaben über den Gegensatz von Natur und Moral steht der allwaltende Gott da, und uns bleibt nur übrig, das Erforschliche in treuer Arbeit zu erforschen, und das Unerforschliche zu verehren, indem wir unsere Zwecke nach dem ewigen Zielpunkt aller Erkenntnis richten.

Wir erkennen in theoretischer Hinsicht a priori nur die Affektionsart und die Funktionsweise unseres Geistes, d. h. die Art und Weise, wie wir bauen, und a posteriori nur den Teil der möglichen Erfahrung, den wir im klaren Bewußtsein nachgebildet und untersucht haben, und bleiben dabei stets entweder bei den Bedingungen möglicher Erfahrung (a priori) oder in der Erfahrung selbst (a posteriori) stehen, indem wir die Erfahrung selbst in letzter Hinsicht als ein Ganzes denken und es auch als solches anzuschauen trachten.

In praktischer Hinsicht führt uns die Summe des Gewissens über die Erfahrung hinaus und leitet uns empor zu Gott.

Das Übersinnliche leuchtet, soweit lediglich unsere Vernunft in Frage kommt, nur soweit in die Sinnenwelt hinein, daß wir unseren Weg finden, den wir pflichtmäßig zu gehen haben, es erschließt sich uns aber nicht in voller Majestät, wir können es nur im Symbol fassen.

Im Symbol fassen heißt aber dichten, d. h. dichten in jenem Sinn, wie GOETHE und SCHILLER wollten und taten, wo das freie Kunstwerk notwendig wird.

§ 16. Es ist kein Zufall, daß KANT im Verlauf seiner kritischen Arbeiten zu der Überzeugung gekommen ist, daß auch das Gefühl neben dem theoretischen Erkennen und neben dem Wollen eine Kritik erfordert. Die Kritik der Urteilskraft löst den Gegensatz von Natur und Freiheit auf in die Harmonie der Zweckmäßigkeit (Schluß der Streitschrift gegen Eberhard), "welche nicht aus der Beschaffenheit der Weltwesen, sondern, als eine für uns wenigstens zufällige Übereinstimmung, nur durch eine intelligente Weltursache kann begriffen werden."

Teleologische "Betrachtung" des Seienden ist für den Menschen in letzter Hinsicht der Schlüssel zu allen Rätseln: die Realisierung des Sittengesetzes durch Gott mittels des Getriebes aller Besonderheiten des Naturlaufs, welche uns nur a posterior bruchstückweise bekannt werden ist der Zweck aller Zwecke.

Was aber absichtslos zweckmäßig ist, das ist schön: alle echte Kunst wirkt trotz ihrer Freiheit als Natur.

So tritt KANT für uns neben GOETHE und SCHILLER: er konstruiert, ohne jene Heroen zu kennen, den Begriff "ihrer" Kunst. (56)

§ 17. Hat das Dreigestirn "Kant, Goethe, Schiller", welches um die Wende des vorigen Jahrhunderts mit voller Kraft leuchtete, für uns seinen Glanz verloren?

Das "Zeitalter der wissenschaftlichen Technik", in dem wir leben, hat mit Notwendigkeit die soziale Frage gebracht, deren Kernpunkt die Anerkennung der Arbeit ist.

Man fürchtet einen alleszermalmenden Sturm, gegen den das Unwetter der französischen Revolution nur eine unbedeutende Erscheinung wäre.

So beschwöre man den Sturm durch das einzige Mittel, welches niemals versagt, durch den Idealismus der Gesinnung und der Tat, welcher nichts anderes ist als eine Beschränkung des wuchernden Egoismus, mag er so oder so verkleidet erscheinen!

Während der " in allen Bauernhäusern und in allen Wachstuben Frankreichs seine Runde machte, um für die unbeschränkte Monarchie der Vernunft zu werben, versenkte sich deutsches Denken still in das Studium der Gesetzlichkeit der Menschenvernunft und fand in ihr den Begriff von allem, was zu gleicher Zeit in deutscher Kunst zum Leben (57) erwacht war und was in deutscher Wissenschaft zum Leben erwachen sollte.

Dieser Idealismus zeigte an, daß Deutschland vom Siechtum, welches ihm der vernichtende Krieg der dreißiger Jahre gebracht hat, genesen war und gab ihm, erzogen in der Schule der Pflicht, die gewaltige Kraft, den Korsen [Napoleon Bonaparte - wp] niederzuschmettern, welcher als echtes Kind der Revolution Frankreichs entfesselte Ströme auf ganz Europa leitete.

Dieser Idealismus gab Deutschland die Kraft, in den friedlichen Wettbewerb, ihm zugleich dienstbar, in ihren Dienst genommen, den anderen Kulturvölkern den Rang streitig zu machen.

Sollte dieser Idealismus, das teure Erbstück unserer Ahnen, im neuen Deutschland, das sich aus "seinem" Füllhorn "nährt", keine Stätte haben? Glauben wir nicht an die Sonne, weil der Sturmwind Wolken zusammenballt?

Heute, wie vor Zeiten, heißt die Losung: Rechtfertigung der Wissenschaft und Schutz der ethisch-religiösen Weltanschauung. Möge auch unserer Zeit der Glanz des ewigen Ideals leuchten, welches sich vor einem Jahrhundert in jenem flammenden Dreigestirn verkörpert hat, um die dunklen Pfade der Sinnenwelt mit dem Licht des Übersinnlichen zu überfluten!


III. Beilagen

1. Das Prinzip der Immanenz. "Der deux ex machina ist in Bestimmung des Ursprungs und der Gültigkeit unserer Erkenntnisse das Ungereimteste, was man nur wählen kann." So schreibt KANT 1772 an MARCUS HERZ Als grundlegendes Erkenntnisprinzip wird die Gottesidee abgelehnt, aber nicht überhaupt. In der "nova dilucidatio" (propositio XIII) von 1755 und noch in der Dissertation (§ 20) von 1770 hatte sich KANT zu diesem deus ex machina bekannt und demgemäß das vielbesprochene "sicuti sunt" [so ist es - wp] abgeleitet. Jetzt fällt dieses Prinzip und damit erhebt sich die Frage: Wie können unseres (diskursiven) Begriffe zu einem Objektiv-Gültigen führen? Wie tief die Schlüsse von 1755 und 1770 in KANTs Denken haften, zeigt (neben Reflesion 1185) eine Stelle der Kritik (B 220): Daher Leibniz, indem er den Substanzen der Welt, nur, wie sie der Verstand allein denkt, eine Gemeinschaft beilegte, eine Gottheit zur Vermittlung brauchte; denn aus ihrem Dasein allein schien sie ihm mit Recht unbegreiflich.

Das Prinzip der Immanenz stand für die intuitiven Begriffe (Zeit und Raum) schon 1770 fest. Woher die Wendung zwischen 1770 und 1772? Sollte der deus ex machina bei einem erneuten Studium HUMEs (570) gefallen sein? Mit seinem Fall wird das Blickfeld auf die formale Logik (Urteilstafel) frei und das langwierige Problem der "transzendentalen Deduktion der Kategorien" taucht auf. Mit ihm wird auch eine transzendentale Deduktion des Raums (A und B 106) nötig. Wo steckt diese in A (und in B)? Sie liegt in den "allgemeinen Anmerkungen" (§ 8) und setzt Seite 69 kraftvoll ein, wie der Vergleich mit "Wir haben oben usw." (106) und die anschließende Verbesserung (69) in B zeigt. Daß ihr in B eine, das 3. Raumargument ausbauende, transzendentale Erörterung voraufgeschickt wird, ist eine Sache für sich.

Als notwendige Erfahrungsbedingung [das treibende Moment, welches in A absichtlich unterdrückt ist, weil es nach "Meinung" schmeckt (8), kommt in B 74, Nr. IV wieder hinein: Die Zeitlichkeit (und Räumlichkeit) soll von Gott fern gehalten werden.] sind Zeit und Raum "nur-subjektive", d. h. immanente Bedingungen unserer Anschauung, weil eine "Anschauung a priori" von einem "Ding-ansich" unmöglich ist, falls man jede Art von "Eingebung" ausschließt. (Vgl. 54f, 71, 109, 136, § 16 in B, Prolegomena § 9f, § 14f)

Aus der Gesetzlichkeit des Bewußtseins (Synthetische Einheit der Apperzeption) "als der Form des Verstandes in Beziehung auf Raum und Zeit, als ursprüngliche Formen der Sinnlichkeit" (683) fließt die Möglichkeit der Erfahrung . Diese Gesetzlichkeit mag immerhin als "eingepflanzte Anlage" gedacht werden, sie ist jedenfalls mehr als eine solche Anlage, falls diese nur als Präformation (682) gefaßt wird.

2. Die Spontaneität des Ich. KANT hat nicht bezweckt, nur die Verbindungsgesetze für Elemente des Bewußtseins festzustellen, er hat das Ich von vornherein als Spontaneität bestimmt. Die Gesetzlichkeit des Bewußtseins ist in subjektiver Hinsicht die Gesetzlichkeit des Ich und in objektiver Hinsicht die Gesetzlichkeit der Erfahrung - diesen beiden Seiten entsprechen die Begriffe "transzendentales Subjekt" und "transzendentales Objekt" (A, 119f). Das Subjekt (442) als Ding-ansich, in dem der "Grund" der Gesetzlichkeit liegt, ist in letzter Hinsicht als Spontaneität zu betrachten. Diese heißt (679 Anm.) in ihrer theoretischen Wirksamkeit bald Einbildungskraft, bald Verstand, je nachdem die verbindende Tätigkeit als solche oder die Gesetzlichkeit dieser Tätigkeit ausgedrückt werden soll. So wird der "Gegenstand" der Sinnenwelt ein Konstruktionsgebilde der Einbildungskraft, gemäß den Gesetzen des Verstandes. Die Frage (Objekte der Mathematik) im Brief von 1772 an MARCUS HERZ hat ihre Antwort erhalten, auch hier ist die Geometrie Lehrmeisterin gewesen: die bildende Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel konstruieren, ist mit derjenigen gänzlich einerlei, welche wir in der Apprehension [Zusammenfassung - wp] einer Erscheinung ausüben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu machen (206); das eine Mal ist die Anschauung rein, das andere Mal empirisch (vgl. den Grundsatz von der intensiven Größe) Begrifflich ist die Aufnahme (Apprehension) eines Anschauungselementes von der eigentlichen Verbindung zu trennen (115f).

3. Die Lehre vom inneren Sinn. Dieselbe wird in § 6 (A und B) vorbereitet und an vielen Stellen (A und B) wieder berührt. Eine geschlossene weitere Ausführung gibt B in der Anmerkung Nr. II zur transzendentalen Ästhetik und in § 24. Diese Ausführung ist in erster Hinsicht polemisch und richtet sich gegen Angriffe, welche schon der Brief (1772) an Marcus Herz berührt, d. h. gegen die Bemerkung, daß die Zeit keinen immanenten Charakter hat. Die Spontaneität des Ich "bringt die Synthesis des Mannigfaltigen hervor, inden sie den inneren Sinn affiziert (674). Ist das Mannigfaltige "Empfindung des äußeren Sinns", so ist außerdem noch die äußere Affektion (675) zu betonen, in welcher diese Empfindung gegeben wird. Da innerhalb des Gebietes theoretischer Erkenntnis die Vorstellungen des äußeren Sinnes der eigentliche Stoff (72) sind, womit wir unser Gemüt besetzen, so ist hier stets die Doppelaffektion durch das transzendente Ding-ansich und durch das transzendente Ich-ansich, begrifflich zu scheiden. Der Satz der modernen Psychologie "Kein Bewußtsein (auch von äußeren Dingen) ohne (innere) Willenstätigkeit entspricht genau dem kantischen Standpunkt. Handelt es sich um Vorstellungen, welche sich nicht "real" auf den Raum beziehen, so bleibt nur die einfache Selbstaffektion (Hinweis auf die Aufmerksamkeit) übrig (72). Das "Gemüt" als gemeinsame Wurzel der Stämme "Sinnlichkeit" und "Verstand" ist begrifflich stets als Selbstaffektion zu bestimmen, mag nun dabei die Anregung von außen (praeter nos) in Frage kommen oder nicht.

Man vergleiche namentlich auch die betreffenden Ausführungen in der (Preisschrift).

4. Das Unbewußte bei Kant. "Wenn das Vermögen sich bewußt zu werden das, was im Gemüt liegt, aufsuchen (apprehendieren) soll, so muß es dasselbe affizieren" (73). Die "Erscheinung" muß apprehendiert werden (206), die empirische Anschauung eines Hauses wird durch Apprehension zur Wahrnehmung (679), Wahrnehmung ist Empfindung, deren man sich bewußt ist (206 und 230). Dieser Gedankengang wiederholt sich an vielen Stellen, er beherrscht den ganzen Abschnitt von den Grundsätzen (A und B). "Die Gattung ist Vorstellung (repraesentatio) überhaupt. Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewußtsein (perceptio)" (A und B 278). Die Synthesen unserer Spontaneität sind meist unbewußt (A und B 95), der Schematismus ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele (145), erst, nachdem wir unbewußt gebaut haben, stellt sich die Klarheit (186) ein. Derartige Wendungen (wobei zu bemerken ist, daß auch das Begriffspaar "klar" und "dunkel" (128) dem Gegensatz "bewußt" und "unbewußt" entspricht) durchziehen die ganze Kritik. Freilch gibt es auch eine freie Synthesis. Ist aber die "Synthesis eine Synthesis der Apprehension (des Mannigfaltigen einer gegebenen Erscheinung), so ist die Ordnung im Objekt bestimmt, oder, genauer zu reden, es ist darin eine Ordnung der sukzessiven Synthesis, die ein Objekt bestimmt."

Die "Gegenstände" der Sinnenwelt, welche als Bauwerke auf dem Feld unseres "klaren" Bewußtseins stehen, sind einer "dunkel" vorhandenen Erscheinung nachgebaut, d. h. es gibt auf Seiten des Objekts ein "Drittes" zwischen "Ding-ansich" und "Erscheinung des empirischen Bewußtseins", ebenso wie auf Seiten des Subjekts das "Ich-ansich" und das "empirische Ich" vom "Ich als kollektiver Einheit zu scheiden ist. [Letzteres (128) ist für den Transzendentalphilosophen freilich nur ein Begriff, aber dem Metaphysiker bedeutet es eine Welt.] Vgl. hierzu auch Vaihinger II, 55.

5. Die Herbart'sche Frage. Woher das Besondere? Wir müssen diese Frage innerhalb der Transzendentalphilosophie entschieden ablehnen. Gerade, weil a priori nur das Allgemeine erkennbar ist, bleibt die Frage nach dem Besonderen hier ein ewiges Rätsel. Weil sie aber hier ein ewiges Rätsel bleibt, darum wird die Übereinstimmung von (a posteriori erkennbarer) Natur und Freiheit ein Problem, welches Gott als Α und Ω fordert. (Vgl. namentlich auch den Schluß der Streitschrift gegen Eberhard). Dieses Problem der Übereinstimmung von Natur und Freiheit ist die Frage nach der Beziehung der beiden Seiten in der Doppelgesetzlichkeit unseres spontan-tätigen Ich. Schon die Schrift von 1770 läßt, was gegen RIEHL zu bemerken ist, keinen Zweifel darüber, daß aus dem Nicht-Ich nur die Anregung kommt zum selbsttätigen Erbauen der Sinnenwelt. [Die Frage nach der Übereinstimmung von Natur und Freiheit hätte gar keinen Sinn, wenn die Sinneswelt nicht als unbewußt Erbautes, dem klaren Bewußtsein als "gegeben" Gegenüberstehendes aufgefaßt werden würde, als ein Zwang für die bewußte Synthesis.] (vgl. namentlich § 4 und § 15, E)

6. Das transzendentale Objekt. "Nun kann man zwar alles ... Objekt nennen" (182), aber es gibt doch zwei Hauptbedeutungen des Wortes "Objekt": es ist einerseits das, dem Ich Gegenüberstehende (darum kann auch das Ding-ansich allenfalls "Objekt" heißen) und es ist andererseits das gesetzmäßige Gebäude im Bewußtsein, der "Gegenstand" im strengen Sinn des Wortes. Schon die Einführung des "transzendentalen Objekts" (122) ist nicht frei von dieser Doppelbeziehung: der reine Begriff von diesem "transzendentalen Objekt", ist die Gesetzmäßigkeit der objektiven Sphäre des Bewußtseins (vgl. auch 403f), das "transzenendentale Objekt" selbst ist aber (schon 69) der Vorstellungsrepräsentant eines transzendenten Dings-ansich, welches das "wahre Korrelatum" unserer Sinnlichkeit ist. Wir können das Ding-ansich als solches nicht "betrachten", sondern nur seinen Vorstellungsrepräsentanten: darum wird z. B. 305 "Noumenon" verbessert in "transzendentaler Gegenstand". Die Idee ist für die theoretische Erkenntnis ein focus imaginarius (503) und so erscheint das Ding-ansich hier nur als "Riesenschatten unserer eigenen Schranken im hohlen Spiegel unseres Wissensdrangs"; erst praktische Erkenntnis weckt den Schatten zum Leben.

7. Die transzendentale Deduktion nach ihrer objektiven und nach ihrer subjektiven Seite (A 8). Die Anmerkung der Vorrede zu den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft (1786) bezeichnet deutlich den Hauptzweck der Kritik, welcher übrigens auch in dieser selbst und in den Prolegomena klar hervortritt. Er verlangt den Nachweis des "daß", die Erörterung des "wie" ist nur verdienstlich. Hauptzweck und Nebenzweck werden in A nebeneinander behandelt; in B schließt die "transzendentale Deduktion" nach ihrer objektiven Seite mit § 22, während die "transzendentale Deduktion" nach ihrer subjektiven Seite mit § 24 beginnt und in § 26 (vgl. das "wie" und das Beispiel vom Haus) weitergeführt wird, um sich im Abschnitt über die Grundsätze zu vollenden (aus den subjektiven Quellen 150). Das Ziel der Hauptuntersuchung ist überall die Feststellung der Erkenntnisgrenze, das Doppelziel der Nebenuntersuchung ist die Feststellung der Prinzipien der Wissenschaft NEWTONs und der Anschluß an die Psychologie.

LITERATUR: Alexander Wernicke, Kant . . . und kein Ende?, Wissenschaftliche Beilage zum Programm Nr. 691 des Herzoglichen neuen Gymnasiums zu Braunschweig, Braunschweig 1894
    Anmerkungen
    23) Vgl. Dubois-Reymonds vielbesprochenen Vortrag (Naturforscherversammlung 1872) und dazu W7 und auch W6. Unter dem Titel "Ein Blick in unsere Zeit" habe ich in einem Aula-Vortrag der Herzoglich Technischen Hochschule (Wintersemester 1883/84) die Frage nach der Erkenntnisgrenze, von der Vieldeutigkeit des Wortes Materialismus ausgehend, vom Standpunkt der Immanenz aus behandelt.
    24) Nicht umgekehrt, wie bei Cohen (616). Vgl. A und B 640.
    25) Vgl. dazu Kants allgemeine Bemerkung (499): daß transzendentale Fragen nur transzendentale Antworten, d. h. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeste empirische Beimischung erlauben.
    26) Bei Kant gilt: a priori = unabhängig von Erfahrung. Erkenntnis durch Offenbarung ist nicht Gegenstand der Untersuchung und ist darum gleichfalls im Begriff "a priori" ausgeschlossen. Dies ist wichtig für die Beurteilung der "Trendelenburg'schen Lücke", denn jede "harmonie préétablie" kann bei Begriff der kantischen "Erkenntnis a priori" nur als "Erleuchtung" gefaßt werden. Dagegen Vaihinger II 290f.
    27) Dieses "vorläufig" wird bei Kant oft übersehen (vgl. B 13, und A und B 605f.
    28) Gelegentlich (668) bemerkt Kant, daß er von einer Voraussetzung nicht abstrahieren konnte, "nämlich davon, daß das Mannigfaltige für die Anschauung noch vor der Synthesis des Verstandes und unabhängig von ihr gegeben sein muß; wie aber, bleibt hier unbestimmt."
    29) Vgl. Julius Baumann, Die Lehren von Raum, Zeit und Mathematik in der neueren Philosophie, Berlin 1869
    30) Vgl. meine Anzeige seiner diesbezüglichen Arbeiten in der Cantor-Schlömilch'schen Zeitschrift 1891.
    31) Richard Dedekind, Stetigkeit und irrationale Zahlen, zweite Auflage, Braunschweig 1892.
    32) 639. Wir nehmen aus der Erfahrung ...
    33) Vgl. hierzu namentlich W3, W9, W 10 und außerdem meine "Mechanik" und meine "Goniometrie [Wissenschaft, Winkel zu messen und zu bewerten - wp] etc."
    34) Vgl. Humes Fehler (Zufälligkeit des Gesetzes) 584
    35) Die Behandlung der Analysis wird in der Kritik absichtlich unterdrückt, weil Kant Eile hat und keine besondere Schwierigkeit in ihrer Behandlung sieht, nachdem die Synthesis behandelt ist. Vgl. z. B. 44f oder 98 oder 191.
    36) Vgl. meinen Aufsatz "Den Manen Darwins" in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1882.
    37) Carl Prantl, Geschichte der Logik II, Seite 17f.
    38) Das ist die kantische Tat. Ob die Kategorientafel aus der vorhandenen Urteilstafel vollständig abgelesen und demnach auch die Tafel der Grundsätze endgültig bestimmt werden konnte, ist eine Frage für sich. Bestehen bleibt, daß eine vollständige Urteilstafel die gesuchten Verknüpfungsarten (im Sinne der kantischen Untersuchung) vollständig geben würde.
    39) Man vgl. hierzu Kants Gedankengang in der Anmerkung zur Einleitung von den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" und die "Analytik" in A und B. Daß Kant, außerhalb dieses Gedankengangs, nämlich beim Studium der Eigenart der Geometrie und der Wissenschaft Newtons, bereits die "Anschauung" abgespalten hat, bleibt trotzdem in einem geschichtlichen Sinn sehr bemerkenswert.
    40) Die Gruppe der Kant-Erklärer, welche hauptsächlich durch Riehl, Cohen und Stadler bezeichnet wird, ist meiner Ansicht nach im Recht, solange sie Kant als Erkenntnistheoretiker behandelt. Stadler hat das große Verdienst, gezeigt zu haben, was hier bleibt, wenn man die Spontaneität streicht: seine Entwicklung auf Seite 44 der "Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie", Leipzig 1876, ist aber nur überzeugend, wenn man das Ich doch wieder spontan denkt.
    41) Das übersieht Vaihinger bei seiner, an und für sich sehr schätzenswerten Analyse des Streites zwischen Trendelenburg und Kuno Fischer. Kant nimmt die bezüglichen Einwürfe nicht ernst, weil alle derartigen Hypothesen außerhalb des Gesichtskreises liegen, den er sich bestimmt hat.
    42) Freilich wird auch das Dreieck des Geometers als "Gegenstand" bezeichnet, aber die Geometrie wäre ein bloßes Hirngespinst (155), wenn nicht Alles, was sie im Gebrauch (162) bestimmt, auch für die Sinnenwelt ohne weiteres gültig wäre (vgl. auch z. B. 224 und 669). Auch die Geometrie hat ihre synthetischen Urteile a priori, aber Urteile im strengsten Sinn des Wortes sind objektiv-gültige Aussagen in dem Sinne, daß sie sich auf Objekte der Sinnenwelt beziehen (vgl. 666 und 669; vgl. auch 105): Der Gebrauch dieses Begriffs geht in dieser Wissenschaft auch nur auf die äußere Sinnenwelt usw.
    43) Daß diese Scheidung im einzelnen Fall oft schwierig sein kann, mag besonders bemerkt werden. Vgl. dazu auch die Richtung der Arbeiten auf dem Gebiet der Geometrie, welche durch den Namen Peano bezeichnet werden.
    44) Der Unterschied zwischen Aussage und Urteil wird in den "Prolegomena" als Unterschied vom Wahrnehmungsurteil und Erfahrungsurteil bezeichnet; hier ist das "Urteil" stets "objektiv-gültig".
    45) Kant hat bekanntlich in Bezug auf die Einreihung der "Bewegung" geschwankt (z. B. 66). Cohen gegenüber bemerke ich, daß man entweder die Bewegung als "a priori" ansehen oder der euklidischen Geometrie den Charakter der "Wissenschaft a priori" absprechen muß: nicht einmal die Existenz der Parallelen läßt sich ohne Kongruenzbetrachtung, d. h. also ohne Voraussetzung von Beweglichkeit der Gebilde darlegen. Die erzeugende Synthesis (B 674) kann hier nichts helfen (vgl. W8).
    46) Vgl. die Vorreden zu meiner "Mechanik" und meiner "Goniometrie etc.".
    47) Vaihinger sucht in einem eigenen Exkurs zu zeigen, daß Kant den Unterschied von reiner und angewandter Mathematik nicht beachtet hat. Nur schade, daß Kant in der "Kritik" (vgl. dagegen Reflexion 1030) diesen Unterschied überhaupt nicht macht: reine Mathematik hat hier einen reinen und einen empirischen Gebrauch und steht der empirischen Mathematik entgegen, welche mißt und beobachtet, wo sie beweisen sollte (vgl. 162, 111 u. a., 157 oben usw.
    48) Man setze hierzu die moderne Frage der Logik "Begriff oder Urteil?" in Beziehung. Was war eher, das Ei oder die Henne? Auch die Psychologie lehrt, daß wir durch Urteile das Gegenständliche gewinnen.
    49) Vgl. die Anmerkung zur Einleitung in die "Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft".
    50) Deren immanente Gültigkeit wird z. B. 499 scharf bestimmt.
    51) Mit deren Feststellung kann meiner Ansicht nach jeder Naturforscher wohl zufrieden sein, aber auch jeder Historiker. Man vgl. dazu namentlich auch 404 und 405.
    52) Vgl. die Tafel der conjunctio (158) und die Stellen, wo Zeit und Raum als (intuitive) Begriffe bezeichnet werdenm, z. B. 104, 106, 110.
    53) Die Zähigkeit des kantischen Denkens zeigt sich darin, daß die Ergebnisse von 1768 festgehalten werden mit der Einschränkung, daß der absolute Raum der Naturforschung in erkenntnistheoretischer Hinsicht nur empirische Realität hat und daß die Ergebnisse von 1770 festgehalten werden mit der Einschränkung, daß jenes "sicuti sunt" [sind so - wp] gleichfalls nur "relativ" bestehen (z. B. 68, 237 u. a.) bleibt.
    54) Vgl. die kurze Darstellung in der Preisschrift (139). Man vgl. dazu in "Wilhelm Meisters Lehrjahren" den Schluß der "Bekenntnisse einer schönen Seele". "Warum sollte er nicht einen göttlichen Ursprung, nicht einen wirklichen Gegenstand haben, da es sich im Praktischen so wirksam erweist? usw."
    55) Schon hier wir die Metaphysik als Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft (113) bezeichnet, schon hier wird der moralische Glaube den Spitzfindigkeiten der theoretischen Erkenntnis (119) gegenübergestellt.
    56) Über das Verhältnis von Goethe und Schiller ist viel geschrieben worden, auch manches Gute, aber nur Einer hat dieses Verhältnis in seiner vollen Weite und in seiner ganzen Tiefe im eigenen Empfinden von Neuem erlebt, der früh dahingeschiedene Heinrich von Stein. Er besaß das höchste Glück der Erdenkinder, eine "Persönlichkeit" zu sein (Buch Suleika), in hohem Maße und fand in diesem Besitz auch das Verständnis für jene einzigartige Doppelpersönlichkeit, welche nach Schillers jähem Heimgang im vereinsamten Goethe weiter lebte. - - - Die Bekanntschaft mit Steins Persönlichkeit verdanke ich meinem Freund R. Elster, der vor allem den Verkehr mit Stein zu den bestimmenden und gestaltenden Ereignissen seines Lebens zählt. Da Steins Betrachtungen über die Beziehungen von Goethe und Schiller neuerdings auch in der Reclam'schen Bibliothek erschienen sind, so nehme ich hier Gelegenheit, auf dieselben hinzuweisen.
    57) Man vgl. in Goethes "Wahrheit und Dichtung" (VIII. Buch) die Bemerkungen (Anschauung und Begriff) über Lessings "Laokoon" und errinnere sich überdies an dessen Einteilung der Künste, gemäß den Anschauungsformen "Raum und Zeit", usw.