R. SemonTh. ZiehenM. OffnerH. MarcuseB. Rawitz | |||
Das Gedächtnis [2 | 3]
V. Wenn wir in diesem Zusammenhang das Wort Wesen als Terminus gebrauchen, so geschieht es zwar nicht in voller Übereinstimmung mit dem vielgestaltigen geläufigen Gebrauch des Wortes, - was unmöglich wäre, da dieser Gebrauch in sich selbst nicht übereinstimmend ist - aber doch im Anschluß an ihn und so, daß wir hoffen können, daß der, der unseren Auseinandersetzungen mit dem eigenen Denken kontrollierend folgt, wohl verstehen kann, was an dieser Stelle mit dem Wort gemeint ist. Wesen ist ein Schema der Einheitsfunktion im Denken gerade wie Substanz; aber es bezeichnet nicht dieselbe Art von Einheit und nicht dieselbe Art von Beziehung zur Vielheit, sondern eine andere und innerlichere. Das Wesen ist, wie die Substanz, einheitlich; ihm gegenüber steht die Vielheit, und zwar steht sie dem Wesen gegenüber als eine Vielheit der Erscheinung. Aber das Wesen ist doch der Erscheinung nicht fremd, sondern es ist in ihr selbst enthalten, und es ist das Wesen selbst, welches ebensowohl in der Erscheinung ist, wie es in sich ist, nur in anderer Weise. Die Erscheinung ist Erscheinung des Wesens; sie ist nicht durchaus etwas anderes als das Wesen, nicht dem Wesen fremdartig, sondern vom Wesen durchwirkt und durchdrungen. Es gilt also dem Denken nicht sowohl zu der erscheinenden Vielheit das einheitliche Wesen von außen hinzuzubringen, als vielmehr in der erscheinenden Vielheit selbst das Wesen als das Einheitliche zu ergreifen. Das Wesen ist die Sache selbst, ganz wie auch die Substanz dies ist; aber wo die Sache selbst als Wesen gedacht wird, da wird sie bloß als der einheitliche Grund gedacht zu all dem, was an ihr erscheint. Neben dem, was die Erscheinung des Wesens ist, findet sich dann auch solches, was unwesentlich und zufällig und also gar nicht die Sache selbst, nicht das Wesen und auch nicht des Wesens Erscheinung ist; aber selbst zwischen diesem Unwesentlichen und dem Wesen wird noch ein inneres Band festgehalten. Unwesentlich ist an der Sache alles, was an ihr bloße Beziehung ist; so zunächst die Beziehung auf das Subjekt, wie alle Auffassung und Meinung, sodann die Beziehung zu anderen Sachen, ferner der Name und das Zeichen und überhaupt die ganze Reihe dessen, was nebensächlich, was verkleidende Hülle ist, was nicht die Hauptsache, den Kern, die Natur der Sache betrifft. Dieses Unwesentliche ist ganz ähnlich dem Akzidentiellen [Zufälligen - wp], was den Gegensatz zur Substanz bezeichnet; aber das Verhältnis zeigt doch auch die Abänderung, daß das Wesen zugleich als der innere Grund dieses äußerlich Anhaftenden gedacht wird, der auch noch dem letzten und gleichgültigsten Anhängsel innewohnt. Das Nebensächliche und die Beziehung gehört eben auch zur Sache, wenn auch nur zur Erscheinung der Sache in ihrer äußeren Realität, und das Denken ist gewiß, in der Erscheinung mit allem Nebensächlichen, was ihr anhaften mag, die Hauptsache als das Wesen ergreifen zu können. In diesem Sinne wird in allem gesunden Denken ein Unterschied zwischen der Substanz und dem Wesen wirklich gemacht, wenn dieser Unterschied auch nicht immer mit klarem Bewußtsein in der Zergliederung des Denkprozesses aufgezeigt und herausgehoben und wenn auch Substanz und Wesen vielfach miteinander vertauscht und verwechselt wird. Und nicht nur tatsächlich wird dieser Unterschied gemacht; es erweist sich leicht, daß es ein Wesens-Unterschied ist und daß es ganz verschiedene Gedankenreihen ergibt, je nachdem man die Einheit in der Vielheit als Substanz oder als Wesen denkt. Das Wesen steht im Gegensatz zum Unmittelbaren, zum Gegebenen, insbesondere zum Sinnlichen, zur nächsten Wahrnehmung, überhaupt zur Erscheinung und zur Existenz, wie sie sich darbietet. Das Wesen ist deshalb nicht das Ding in dem Sinne, wie die Substanz dinglich ist. Es liegt vielmehr hinter dem erscheinenden Ding, es liegt ihm zugrunde. Es ist das Verborgene, das, so sehr es sich auch in der Erscheinung darbieten mag, doch erst gesucht werden muß; es ist der Grund, aus dem diese Erscheinung stammt, für das Denken also das Vermittelte, das Nicht-Sinnliche, das das denkende Bewußtsein sich aus dem Sinnlichen erst zu gewinnen hat. Das Wesen ist dann der eigentliche Gegenstand, der im erscheinenden Gegenstand verborgen lag. Es ist die Natur des Wesens, daß es erscheint und in all dieser Vielheit und allem Wechsel der Erscheinung zugleich es selber bleibt; aber es verbirgt sich hinter der Erscheinung, die auch das Unwesentliche enthält. Auch das Unwesentliche fließt aus dem Wesen und gehört seiner Erscheinung an, und wenn es auch nicht das Wesen selber ist, so ist doch das Wesen auch noch in ihm enthalten; denn das Wesen ist dem nicht fremd und äußerlich, was von ihm gesetzt ist, sondern es bleibt demselben immanent und kann aus ihm wieder entnommen werden. Das Wesen ist am Gegenstand das Bedeutsame, Charakteristische, das woran man ihn erkennt, was ihn auszeichnet und von anderem, ähnlichem unterscheidet. Aber es ist nicht bloß eines unter dem vielen, was auch am Gegenstand gefunden wird, sondern es macht die wahrhafte, die wirkliche Einheit in ihm aus, die Macht in ihm die alles andere hervortreibt. So ist das Wesen zugleich das Wertvolle und Wichtige und steht zu den Zwecken des Menschen in nächster Beziehung. Zunächst gleich zum Zweck des Erkennens. Das Wesen entspricht dem Begriff des Gegenstandes. Es ist nicht der ganze Begriff, denn der Begriff enthält mehr als bloß das Wesen; aber es ist die eine Seite am Begriff, die nicht fehlen kann. Was dem Wesen angehört, das gehört auch dem Begriff an, aber nicht umgekehrt. Aus dem Wesen fließt am Gegenstand das, was an ihm das Wesentliche ist. So vermag sich das Wesen, das eines ist, auszubreiten, in eine Vielheit von Bestimmungen, von Merkmalen wie man sagt, überzugehen; aber die Vielheit der wesentlichen Merkmale wird durch das einheitliche Wesen innerlich zusammengehalten. Das Wesen ist der innere Grund dafür, daß diese Merkmale beisammen sind, und die wesentlichen Merkmale sind der Grund für die anderen, die nicht wesentlich sind. Die wesentlichen Merkmale sind immer da; aber nicht alle Merkmale, die immer da sind, sind auch wesentlich. Erst wenn man in ihnen die begründende Macht, mittels derer aus ihnen die anderen fließen, nachweisen kann, dürfen sie als wesentlich gelten. Unter den abgeleiteten Merkmalen finden sich auch solche, die zur Sache selbst nichts beitragen, die unerheblich sind; denn es ist dem Wesen wesentlich, auch Unwesentliches zur Folge zu haben, solches, was der Erscheinung und nicht dem Wesen angehört. Der Unterschied des Wesens und des Unwesentlichen erstreckt sich dann auch auf die anderen Zwecke des Menschen, und es kann das Wesentliche in verschiedener Beziehung sehr Verschiedenes sein. Für den Forstmann, den Baumeister und den Naturforscher gibt es am Baum Wesentliches und Unwesentliches, aber für jeden von ihnen ist das Wesentliche ebensowohl etwas anderes als das Unwesentliche. Der Psychologe hebt an der Handlung etwas ganz anderes hervor, als der Rechtsgelehrte oder der Volkswirt. Die Wesensbeziehung ist aber bei aller Verschiedenheit dessen, was als das Wesen des Gegenstandes unter dem jeweiligen Gesichtspunkt bestimmt wird, doch immer ein und dieselbe. Den Gegenstand unter dem Schema des Wesens zu denken, ist durch die Natur des Denkens wie durch die Natur des Gegenstandes ganz ebenso gefordert, wie ihn unter dem Schema der Substanz zu denken; aber er wird so in anderer Weise gedacht, und diese andere Weise des Denkens bildet eine notwendige Ergänzung zu der zuerst bezeichneten. Wie das Äußere unter dem Schema der Substanz gedacht wird, so bildet die innere Welt die eigentliche Stätte für das Denken unter dem Schema des Wesens, und wo vom Wesen die Rede ist, da liegt immer das Gleichnis der inneren Welt vor. Die innere Welt ist uns aber ebenso gegeben und im Grunde noch ursprünglicher gegeben als die äußere Welt. Für die innere Welt fällt die Ausbreitung des räumlichen Nebeneinander fort; hier haben wir es nur mit einer zeitlichen Sukzession zu tun. Das Verschiedene, was aufeinander folgt und sich ablöst, ist aber zugleich zusammengehalten durch den einheitlichen Grund des sich in diesem Wechsel mit sich identisch erhaltenden Bewußtseins. Ich halte mich in aller Verschiedenheit der wechselnden Bewußtseinszustände als ein und dasselbe Subjekt fest, und diese wechselnden Zustände sind mir nicht äußerlich angeflogen, sondern die eine gleiche Innerlichkeit setzt sich durch sie alle hindurch fort und verbindet sie zur Einheit ein und desselben Lebensverlaufs. Diese Einheit als die Einheit des Ich hat eine ganz andere und viel tiefere Bedeutung als die Identität der Substanz im Wechsel ihrer Akzidenzen. Die wechselnden Bestimmungen des Ichs liegen bei aller ihrer Unterschiedenheit doch nicht auseinander, wie sie auch nicht nebeneinander liegen, und so wenig sie das Ich selber sind, so wenig sind sie vom Ich oder ist das Ich von ihnen getrennt. Man muß darin ein eigentümliches Verhältnis anerkennen, und ein gewaltsamer Zwang ist es, auf diese Innerlichkeit eben dieselben Gesichtspunkte anwenden zu wollen, die für den äußeren Gegenstand und für die räumlich sich ausbreitende Vielheit gelten. Wo von einem inneren Grund die Rede ist im Gegensatz zum äußeren, da schwebt immer der Gedanke an den Zusammenhang in dieser inneren, der psychischen Welt vor, und dieser Zusammenhang hat seine besondere Art, hat sie zumindest schon deshalb, weil hier die räumliche Äußerlichkeit fortfällt. Und eben dieser innere Zusammenhang ist es, von dem die Rede ist, wenn wir im Gedanken die Vielheit der Erscheinung in der Einheit des Wesens zusammenfassen. So kann man ganz allgemein das Wesen auch als die Seele bezeichnen. Einheit, Zusammenhang fordert das Denken ganz ebenso für die Vorgänge der inneren Welt, wie für die der äußeren. Aber das Denken kann sich hier nicht mit denselben Formen der Einheit behelfen wie dort; es bedarf einer energischeren Durchdringung des Vielen durch das Eine, und das bloße Anhaften der wechselnden Vielheit an der ruhig mit sich identisch verharrenden Einheit reicht hier nicht aus. Die Vielheit der Zustände, Tätigkeiten und Verhältnisse tritt auch nicht bloß äußerlich an das Eine heran; hier gilt nicht mehr die bloße äußere Verursachung, sondern das Wesen selbst geht als innewohnender Grund in die Vielheit der Veränderung mit hinein. Das Wesen ist gar nichts weiter ansich, wenn man von dieser Vielheit absehen wollte, die ihm innerlich, nicht äußerlich ist. Das wechselnde Geschehen ist seine Geschichte, nicht bloß sein äußerliches Schicksal. In den wechselnden Bestimmungen, die sich zeitlich ablösen, drückt sich das Wesen aus; die Vielheit, wie sie hervortritt, ist seine eigene innere Vielheit, die es energisch zur Einheit zusammenbindet, und dieses Geschehen ist das Hervortreten aus dem Zustand der Latenz zur entfalteten Realität. Wo unter dem Schema des Wesens gedacht wird, da wird also innerhalb der Einheit eine innerliche, gebundene Vielheit und eine Lösung und Entfaltung gedacht, die das schon verborgen Vorhandene zu gesonderter Existenz entläßt. Es ist im eigentlichsten Sinn Evolution, was hier vorgeht. Es sondert sich von dem, was vorher eingeschachtelt ineinander war, das eine nach dem anderen, und in diesem Prozeß der Sonderung bleibt das Wesen, das alle diese Besonderheiten umfaßt, als das einigende Band. Solange wir aus zeitlicher Nähe den Vorgang beobachten, ist uns die Vielheit dieser Vorgänge und damit zugleich der ganze überwuchernde Reichtum des Unwesentlichen das Nächstliegende. Tritt die Erscheinung in größere zeitliche Ferne, so wird der Blick für das Wesen geschärft, und alles Kleine und Unbedeutende, was ihm anhaftete, tritt in das Dunkel der Latenz zurück. Darauf beruth die idealisierende, die verklärende Macht der Zeitenferne, des Todes und der Erinnerung. Der Kleinigkeitsgeist, der es fertig bekommt, auch den Himmel und seine Gestirne in die Gewöhnlichkeit herabzuziehen, besteht in der unterwürfigen Hingebung an den zeitlichen Moment und die Unmittelbarkeit des in ihm Gegebenen. Sich aus dem Moment zu retten und über ihn zu erheben, ist das Kennzeichen des Sinnes für das Wesen. Aus diesem Sinn heraus zeichnet der Geschichtsschreiber ein Ereignis, entwirft der Maler ein Porträt des Menschen, in dem uns das Wesen selbst verkörpert entgegentritt. Unter dem Schema der Substanz erfassen wir die Zusammengehörigkeit der gesonderten Einzelheiten als den Vorgang einer äußerlichen Verursachung; unter dem Schema des Wesens nimmt der Begriff der Zusammengehörigkeit des Vorhergehenden und Nachfolgenden mit dem Gegebenen den Charakter einer inneren Begründung und damit ganz neue Züge an. Wir sind es allzusehr gewohnt, daß dies völlig mißverstanden wird. Die an die Sinnlichkeit verhafteten Menschen, denen es ganz unmöglich ist, irgendein anderes Seiendes zu begreifen als das von dinglicher Art, sind mit fanatischer Gleichmacherei darauf versessen, alles was ist und geschieht, und so auch die innere Welt unserer seelischen Vorgänge, unter das Schema der Substanz und damit der mechanischen Verursachung zu pressen. Eine ganz vergebliche Mühe, und deren Vergeblichkeit sich den sich darum Bemühenden beständig selbst erweist. Denn dergleichen kann man wohl sagen und zu denken sich einbilden; man kann es aber nicht wirklich und im Ernst denken. Vorstellungen, Empfindungen sind keine Dinge und können nicht als Dinge gedacht, nicht als Dinge im Denken behandelt werden. Dergleichen Versuche spotten ihrer selbst und werden zum Gespött jedes Einsichtigeren. Man kann körperliche Atome nach Belieben sich stoßen, drücken, schieben und ziehen lassen; mit Vorstellungen geht das nicht zu machen. Daß man es gleichwohl zu machen versucht, daß man damit eine Erklärung der seelischen Vorgänge zu erreichen geglaubt hat, das beweist nur, daß nichts so unverständig ist, was nicht seine Vertreter fände. Und doch muß das Denken auch zwischen diesen inneren Vorgängen eine Verknüpfung und einen Zusammenhang setzen, offenbar aber, daß diese Verknüpfung und dieser Zusammenhang ganz andere Züge tragen muß als bei körperlichen Dingen und bei Vorgängen mit körperlichen Dingen. Es genügt nicht dem eingeborenen Zug des Denkens und nicht der Natur der gegebenen Tatsachen, wenn man nur mit einer einzigen Art des Zusammenhangs für alles auskommen zu können glaubt. Wenn aber gleichwohl nur eine Art gelten soll, so hätte die mechanische Kausalität den letzten Anspruch darauf, als das universelle Band der Wesen zu gelten. Das Erste und Nächste, was uns gegeben ist, das sind wir selber und unsere innere Welt, und der Zusammenhang, der in dieser Welt gilt, könnte weit eher den Anspruch erheben, als die reine Form jenes Zusammenhangs zwischen den Erscheinungen überhaupt zu gelten. Das ergäbe dann aber sicher nicht den Zusammenhang der mechanischen Verursachung, sondern den des inneren Grundes. Wir haben keinen besseren Ausdruck, darum nennen wir diesen Zusammenhang psychische Kausalität; wir erinnern uns aber dabei, daß diese Kausalität mit der mechanischen nichts gemein hat als eben dies: ein Zusammenhang zwischen Gesondertem, eine Dependenz [Abhängigkeit - wp] überhaupt zu sein. Es ist hier nicht der Ort, diese psychische Kausalität, mit der die einzelnen Vorgänge unserer Innerlichkeit untereinander und mit den leiblichen Vorgängen einen einheitlichen Zusammenhang bilden, nach ihrer Eigenart noch weiter zu beschreiben. Es genügt zu sagen, daß wir von ihr die ursprünglichere und unmittelbarere Anschauung haben, und daß dieser Wesens-Zusammenhang uns, soweit wir nicht durch eine falsche Gewöhnung und das Vorurteil befangen sind, bei weitem das Vertrautere und Verständlichere ist. Welche Geltung daneben noch die mechanische Kausalität nicht als als bloßes Mittel der Konstruktion, sondern als Wesens-Erkenntnis in Anspruch nehmen darf, das ist die weitere Frage, die wir hier offen lassen müssen. Jedenfalls, wo Seele, Leben, Organismus ist, da reicht jener äußere Zusammenhang nicht aus; da ist das Denken gezwungen, zum Wesens-Zusammenhang zu greifen, um die Vielheit der Erscheinung begreiflich zu machen und sie in der Einheit des Grundes zusammenzufassen. Nun wird sich auch wenigstens andeuten lassen, was unter diesem Gesichtspunkt das Gedächtnis bedeutet. Einheit und Identität haben wir, wenn wir von Substanz sprechen; Einheit und Identität haben wir auch, wo wir vom Wesen sprechen; aber hier haben wir eine mächtigere und innerlichere Einheit als die, von der zuerst die Rede war. Da ist ein mannigfaltiges, in der Zeit verlaufendes Geschehen, und die Einheit des Wesens, das sich in dieser Mannigfaltigkeit behauptet. Die Erscheinung bringt mit sich die Fülle des Unwesentlichen, das nicht bleibt, sondern vergeht; all dieses Unmittelbare, in welchem sich das Wesen darstellt und ausdrückt, verflüchtigt sich, während das Wesen und das Wesentliche, das als Vielheit die Ausbreitung des Wesens in der Erscheinung bildet, bleibt. Dies nun gerade ist das Wesen-Gedächtnis. Wir sind gewohnt, dieses bleibende Wesen äußerlich als das Monument festzuhalten, im einfachen, großen Umriß, abgelöst von störendem Beiwerk, vom Nebensächlichen, das die Sache selbst nur verdeckt. So stellt sich dem menschlichen Geschlecht seine ganze Vergangenheit in festen Formen als eine Weltgeschichte dar; so haben wir in unserem eigenen Innern jeder sein Leben in den wesentlichen Grundzügen präsent. In unserem gesamten Lebensprozeß fällt das Nebensächliche von uns ab, und die Hauptsachen prägen sich uns ein. Durch die Identität des Wesens, die sich in jedem von uns in aller Veränderung erhält, bleibt jeder in der Hauptsache der er ist, und seine Gegenwart ist jedesmal der Niederschlag seiner Vergangenheit, aber unter Abstreifung dessen, was zum Wesen nicht gehört. Dieses im Gedächtnis erhaltene Wesen ist so ein Auszug und eine Einschränkung dessen, was sich zuvor in unübersehbarer Menge zerstreut und zersplittert hatte. Was als unser Wesen im Gedächtnis übrig bleibt, das ergibt sich aus den wesentlichen Zwecken, nach denen jeder aufgrund seiner Eigentümlichkeit sich sein Leben gestaltet hat. Und wie nun das ganze innere Leben eine Entfaltung des Wesens ist, so ist auch die Identität, die dem Gedächtnis zugrunde liegt, keine starre, veränderungslose, sondern eine lebendige und innerlich bewegte Identität. Der Gedächtnisinhalt empfängt vom Wesen seine Form und seine Farbe und verändert sich mit dem Wandel der Innerlichkeit, in dem sich das Wesen entfaltet. Nicht nach der Art von festen Dingen, sondern nach Art von regsamen Kräften sind die Gedächtnisbilder zu denken, und wie sie aufsteigen und gehen, das hängt ab von der Energie, mit der das Wesen als der innere Grund die Vielheit der inneren Vorgänge beherrscht, zügelt oder walten läßt. Die Betrachtung der Vielheit unter dem Schema des Wesens bildet die notwendige Ergänzung zu ihrer Betrachtung unter dem Schema der Substanz; aber ein voller Abschluß und eine Ruhe ist auch damit noch nicht erreicht. Das Wesen ist der innere Grund für die Fülle der Erscheinung; die unmittelbare Vielheit ist damit aufgehoben in eine gedankenmäßige Einheit. Aber immer noch steht Wesen neben Wesen in unbegrenzter Menge als eine Welt der Monaden, deren innerer Reichtum aus der Latenz hervortretend sich nacheinander abwickelt, und diese Monaden selber stehen gegeneinander selbständig in gleichgültiger Vielheit wie eine Art von Substanzen, jede für sich das Ganze darstellend, so daß ihre Vielheit als eine überflüssige Wiederholung erscheint, in der nur immer derselbe Weltinhalt unzählige Male wiederkehrt. Und es hülfe auch nichts, über dieser Vielheit ein Wesen der Wesen zu denken, dessen Erscheinung diese Vielheit der Wesen bedeuten würde. Denn in Wirklichkeit wäre damit, wenn die Vielheit der Wesen mehr sein sollte als bloße Erscheinung, nur noch ein Wesen mehr gesetzt zu den übrigen, oder wenn jene unter der Einheit befaßten Wesen nicht Wesen für sich sein, sondern doch wieder nur der Erscheinung angehören sollten, so wäre eine bloße Einheit gesetzt, gegen die alle Vielheit verschwinden müßte. Unter dem Schema des Wesens bleibt aber nur diese Wahl, den gesamten gegebenen Weltinhalt entweder als einen bloß erscheinenden in die Einheit des Wesens versinken, oder die Vielheit der selbständigen Realen als ein gleichgültiges Nebeneinander ohne Wesensverschiedenheit stehen zu lassen. Bei keiner der beiden Möglichkeiten findet das Denken sein Genügen; jeder Ausweg aber, aus diesem Dilemma herauszukommen, ist abgeschnitten, solange man immer nur den Gesichtspunkt des Wesens und seiner Erscheinung festhält. In Wahrheit greift dann auch das Denken fortwährend über diesen Gesichtspunkt hinüber, auch da, wo man sich dessen nicht ausdrücklich bewußt ist. Erst eine dritte Einheitsform, die zu den beiden genannten hinzutritt, gewährt dem Denken die Befriedigung, sich den gegebenen Weltinhalt völlig anzueignen und zu durchdringen. Als Wesen und innerer Grund der Erscheinung wird jedesmal für einen bestimmten Kreis der Gesamterscheinung ein Bestimmtes erfaßt; das ergibt eine Vielheit, die sich dem Denken durch seine Natur wie durch die Natur des Seienden aufdrängt. Diese Vielheit ist vom Denken nicht anders zu bewältigen, als indem es über den inneren Grund, wie er als das Wesen in einem bestimmten Erscheinungskreis gedacht wird, emporsteigt zu einem höheren Grund, aus dem auch das Wesen in seiner jedesmaligen Beschaffenheit fließt. Dieser höhere Grund ist dann eine Einheitsform, die die Vielheit der Wesen nicht bloß in sich trägt, sondern sie zugleich als beherrschende Macht zügelt und regiert. Die Wesen werden dadurch zum System, und die Einheit, die sich in ihnen darstellt, wird zum Allgemeinen, zum Begriff. Die Vielheit der Wesen wird durch den Begriff gegliedert und zum System zusammengehalten. Der Begriff ist das Gemeinsame in den vielen Wesen; aber weder gehört alles Gemeinsame dem Begriff an, noch beschränkt sich der Begriff darauf, das Gemeinsame zu sein. Sondern das Gemeinsame, was außerhalb des Wesens liegt, liegt auch außerhalb des Begriffs, und mehr noch als im Setzen des Gemeinsamen erweist sich die Macht des Begriffs in einem Hervortreiben und im Beherrschen der Unterschiede. Unter dem Schema des Begriffs ist die Vielheit eine durch und durch bestimmte, und jedes Glied dieser Vielheit ebenso wieder durch und durch bestimmt, und dieses Bestimmen und Auseinanderhalten ist genauso wie das Binden und Vereinigen die Funktion des Begriffs. In Wahrheit hat es das Denken überall mit einer solchen gebundenen, gegliederten Vielheit zu tun, und es kann ihm nichts gegeben werden, was nicht unmittelbar und auf einen Schlag als Glied in dieses System einträte. Damit ist die Vielheit der Gegenstände in einen ganz neuen und eigenartigen Zusammenhang gestellt. Überall ist das Allgemeine, aber nirgends ist es für sich. Es ist vorhanden als das Allgemeine im Besonderen und Einzelnen, unabtrennbar, innewohnend, als Moment, mächtig, wirksam, schöpferisch, eine Kraft des Gestaltens und Bestimmens, des Lenkens und Zurückholens, und doch auch wieder liberal genug, um eine Weite und Freiheit der Bewegung, der Abänderung und Abweichung zuzugestehen, die nur durch das feste begriffliche Maß in Schranken gehalten wird. Die durch die bestimmende und begrenzende Macht des Allgemeinen beherrschte Vielheit ist so zunächst eine Vielheit der Gattungen und Arten, des ganzen weiten Reichs der Besonderheit, die jedesmal selbst wieder ein relativ Allgemeines bedeutet. Aber ins Unendliche kann der Reichtum der Besonderheit nicht verlaufen; das wäre wider die Natur des Begriffs und wider die in ihm gesetzte Richtung auf eine feste Grenze in aller Vielheit und Verschiedenheit. Weder nach oben hin noch nach unten hin mangelt es an einem Letzten. Nach oben hin wird notwendig eine oberste Einheit gedacht, die der begriffliche Grund für die Vielheit ist; sie kann als dieser begriffliche Grund nur die Natur des Geistes selbst haben. Sie ist absoluter Geist, der sich selbst und mit sich alles andere setzt, schlechthin tätig, sich selbst und darin zugleich alles andere erzeugend. Nach unten hin aber verläuft die Besonderheit in das Einzelne als ihre absolute Grenze. Nicht so, als wäre das Einzelne bloß Einzelnes und nicht auch Allgemeines; sondern das Einzelne als solches ist eine Abstraktion, die nur als Moment am Seienden gefunden wird, aber niemals für sie ist. Das wirkliche Einzelne ist vielmehr das Allgemeine in der Form der Einzelheit, und so wird es am besten als Individuum bezeichnet. Wobei nur festzuhalten ist, daß es Grade der Individualität gibt, von der äußerlichsten und gleichgültigsten Verschiedenheit an bis zur durchgreifendsten und inhaltsreichsten Gegensätzlichkeit. Zwar kann es niemals bloß numerische Verschiedenheit geben und wird auch nirgends gefunden; was da ist, auch innerhalb derselben Art, das ist auch innerlich durchweg bestimmt, unterschieden und unterscheidbar. Aber es gibt solches, dessen Verschiedenheit sich einer solchen numerischen Verschiedenheit, die Andersheit nur nach Ort und Zeit ergibt, annähert, wie etwa zwei Masseteilchen, und durch alle möglichen Zwischenstufen hindurch solches, was innerhalb derselben Art als einziger und unvergleichlicher Typus die Verwirklichung eines unendlichen geistigen Gehalts und schlechthin unersetzbar und unvertretbar ist wie die großen geschichtlichen menschlichen Persönlichkeiten. Immer aber ist das, was man das Einzelne nennt, ein solches, was im Verlauf der Zeit eine Unendlichkeit verschiedener Zustände durchmacht, was alle diese Verschiedenheiten in sich zur Einheit bindet und sich in diesem Wandel als dasselbe erhält, wozu man als zu demselbigen immer wieder zurückkehren und an dem man immer wieder etwas Neues und Anderes auffassen kann. In dieser seiner Tätigkeit sich selbst zu erhalten und die unendliche Verschiedenheit in der Dasselbigkeit seines Wesens zur Einheit zu verbinden, ist alles Einzelne ein tätiges Allgemeines. So ist es dann auch eine grobe Täuschung des am Sinnlichen haftenden Verstandes, die geläufige Annahme, als wäre uns zuerst und ursprünglich das Einzelne gegeben und erst nachträglich von uns durch Abstraktion das Allgemeine hinzu ersonnen. Vielmehr das Allgemeine, zumindest in seiner einfachsten und am meisten schematischen Form, ist notwendigerweise das zuerst Gegebene. Denn ohne das Allgemeine könnte uns gar nichts gegeben werden. Was wäre das, was weder ein Baum, noch ein Fisch, noch ein Stein, noch eine Empfindung, noch eine Vorstellung oder irgendetwas dergleichen wäre? Offenbar wäre es gar nichts, weder ansich, noch für irgendeine Innerlichkeit. Das ist also der Fortschritt im Erfassen des Objekts, daß mit der schematischen Allgemeinheit als Bedingung für das Gegebensein irgeneindes Inhaltes begonnen und zu immer größerer Bestimmtheit und Festigkeit im Festhalten des Einzelnen fortgeschritten wird. Und wenn der Unterschied angegeben werden sollte zwischen niederen Stufen des Erkenntnisvermögens, etwa beim Kind oder beim Tier, und den höchsten Stufen, so würde er nicht darin gesucht werden können, daß dort nur das Einzelne, hier aber auch das Allgemeine erfaßt würde, sondern umgekehrt darin, daß das Tier, das Kind, der Ungebildete alles nur in einem schematischen Umriss als Allgemeinvorstellung erblickt, der im Denken geübte Mensch dagegen das Konkrete, Individuelle, durchaus Bestimmte zu erfassen vermag. Das Einzelne, das schlechthin kein Allgemeines wäre, könnten wir nun als Inhalt einer Empfindung in einem unteilbaren Moment der Zeit haben, als Gegenstand in einem unteilbaren Punkt des Raums. So aber kann uns nichts gegeben sein. Was uns gegeben ist, ist uns immer durch einen zeitlichen Verlauf gegeben, ist immer ein Vergangenes, Aufgehobenes, worin eine Vielheit von Vergangenem und Aufgehobenem gebunden ist. So ist auch der Punkt im Raum nichts für sich, sondern nur als ein durch Abstraktion Festzulegendes in dem niemals rastenden Fluß der Bewegung kommt er vor. Das Einzelne läßt sich ebensowenig als etwas für sich denken, wie es sich als etwas für sich sagen läßt. Es ist immer nur ein Erzeugnis der Abstraktion, das getrennt vom Allgemeinen keine Existenz oder Realität hat. Und vom Allgemeinen gilt ganz das Gleiche. Es ist gebunden an das, was von ihm beherrscht, bestimmt, gezügelt wird, eine tätige Macht, die ohne den Stoff, an dem sie sich offenbart, nicht mehr wäre als das leere Nichts. Wirklichkeit ist überall und auf allen Gebieten nur dieses Gewebe des durch die Macht des Begriffes gezügelten, ansich unbestimmten Werdens, an dem sich beide Momente unterscheiden lassen, die Tendenz zur Unbestimmtheit und die bestimmende, begrenzende Macht des Begriffs. So wird die Welt unter dem Schema des Begriffs gedacht als durchaus gegliedertes Reich der durch das Allgemeine beherrschten Unterschiedenheit. Die Objekte des Denkens gruppieren sich nach Gattungen und Arten in immer weiter absteigener Reihe. Die Vielheit wird zu einer begrifflichen Sonderung, die Verschiedenheit zu geordneter Mannigfaltigkeit. Das Allgemeine ist die Einheit, der die Vielheit nicht fremd ist, sondern die an ihr den Ausdruck ihres inneren Reichtums, das Erzeugnis ihrer schöpferischen Kraft besitzt. Das Allgemeine wiederholt sich im Besonderen und im Einzelnen, und doch nicht in gleichgültiger Weise. Es kehrt im Verschiedenen als das Identische wieder; im Ungleichen ist es das Gleiche, in der auseinanderfallenden Vielheit das zusammenhaltende Band. Aber so wird es doch nicht bloß gefunden, sondern es selber stellt sich immer wieder her durch seine Macht, ebensowohl die Vielheit aus sich zu entlassen, wie auch sie wieder in sich zurückzunehmen. Nun mag der Strom des Werdens rastlos fluten: es finden sich doch immer wieder dieselben Gestalten [Angela Merkel] ein. Die Tendenz zum Grenzenlosen mag sich noch so gewaltig regen: das Allgemeine zeichnet doch immer wieder die Formen vor, in denen sich alle Bewegung vollzieht und die alle Gebilde durchdringen. Nicht Gleichheit oder Ähnlichkeit überhaupt bezeichnet dieses Allgemeine, sondern Wesensgleichheit und Wesensähnlichkeit. Die Menschen mit gleichen Rufnamen oder die Menschen mit ähnlicher Haarfarbe - das ergibt noch keine Gattung, auch nicht, wenn man dergleichen Ähnlichkeiten in Masse aufzeigen könnte. Alle Wörter mit gleichem Anfangsbuchstaben, oder alle Bäume mit verletzter Rinde, oder alle Städte mit künstlicher Wasserleitung lassen sich wohl irgendwie in Gedanken zusammenfassen und praktisch gleichmäßig behandeln: aber Gattungen sind das nicht und auch keine wahrhaften Allgemeinheiten. Das wahrhaft Allgemeine ist der Begriff als Wesensgrund, der Wesen an Wesen knüpft, der die Entstehung beherrscht und die Ausbildung bestimmt, der Masse und Grenzen setzt und eine Überschreitung verhindert, der das beherrschende Gesetz der Form und den Spielraum für die Abweichung in sich enthält. Denn der Begriff ist fern davon, eine tote, starre Gleichförmigkeit zu verlangen. Seine Unterschiede, wie er sie setzt, sind seine eigenen, seine inneren Unterschiede. Alle Ordnung und alle Gliederung beruth auf ihm; wie er die Unterschiede aus seinem Reichtum hervortreibt, so durchdringt er sie auch und sammelt sie zu einem geordneten Reich. In dieser unablässig nach allen Richtungen bewegten und auseinander stiebenden Welt kehren doch immer dieselben Formen und Gestalten wieder; das Geschehen vollzieht sich nach festen Gesetzen. Es sind immer wieder dieselben Bedingungen gegeben, und es ergeben sich immer wieder dieselben Gebilde. Nicht Neues unter der Sonne. Und doch stellt sich die grenzenlose Mannigfaltigkeit auf allen Punkten und zu jeder Zeit verwirrend ein. Kein Individuum ist wie das andere. Der Begriff setzt gebieterisch seine Unterschiede, aber er läßt weitherzig die begriffslosen Unterschiede walten. Das Thema kehrt wieder, aber in unzähligen Variationen. Die Grenzen sind gezogen, aber innerhalb dieser Grenzen tummelt sich mit unbegrenzter Lust am freien Spiel der Einfälle und Zufälle die launenhafte Mannigfaltigkeit der Exemplare des Begriffs. Die Sphäre ist weit genug geöffnet, um ebenso, wie für die sichere Herrschermacht des Begriffs auch noch für den lebensvollen Reichtum spielerischer Verschiedenheit Raum zu lassen. Die Herrschaft des Begriffs ist keine Tyrannei, ihr Bestand ruht nicht auf äußerem Zwang. Wie er selber der fruchtbare Mutterschoß ist, dem sich die Unterschiede entwinden, so sind alle Gebilde in dieser Welt der Freiheit Zeugen seiner Herrlichkeit, die dem von ihm Beherrschten seine freie Lebendigkeit neidlos gönnt und zugesteht. Nirgends ertappt der Gedanke die Natur und Wirkungsweise des Begriffs so unmittelbar wie in der Welt der lebenden Wesen. Hier drängt sich in der unendlichen Buntheit der Erscheinungen die Wiederkehr der gleichen Formen, der bestimmenden Masse, der herrschenden Gesetze, die geordnete Fülle der Gattungen und Arten, die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Abwandlung im Einzelnen am zwingendsten auf. Dieses gehaltene und gebundene Werden aber vollzieht sich auf dem Weg der Zeugung; Zeugung ist die Wirkungsweise des Begriffs. Was geschieht in der Zeugung? Wir haben hier ein Geschehen, bei dem immer das Bestimmte herauskommt, dessen Form und Maß von vornherein festgelegt ist. Und zwar das was herauskommt, das Gezeugte, ist seinem Begriff nach genau dasselbe wie das, was vorausgegeben war, das Zeugende. Real vorhanden sind zunächst die Eltern. Durch ihr Zeugen entspinnt sich ein Geschehen von unendlich vielen Stadien und unendlicher Verwicklung unter einer unausdenkbaren Mannigfaltigkeit verschiedenartigster Bedingungen; aber in der Anlage der Eltern liegt der Grund dafür, daß der Ausgang dieses Geschehens völlig bestimmt ist. Denn der Mensch zeugt den Menschen, der Löwe den Löwen und der Adler den Adler. Aus der Eichel kommt immer wieder die Eiche und aus den Sporen des Pilzes der Pilz. Dieses Verhältnis nun, daß das, was als Ergebnis des realen Geschehens herauskommt, vor dem Geschehen ideell vorausgegeben war und die Macht hatte, dieses Geschehen nach sich zu bestimmen und zu beherrschen, das nennt man ein Zweckverhältnis. Menschliche Zwecksetzung mit bestimmter Absicht und kluger Auswahl der Mittel ist nur ein besonderer Fall dieser allgemeinen Erscheinung. Es ist grundverkehrt, das, was das unterscheidende Kennzeichen dieser menschlichen Zwecktätigkeit ist, maßgebend zu machen für alle Erscheinungsformen zweckmäßigen Geschehens und die Zweckmäßigkeit überall da zu leugnen, wo jenes Kennzeichen nicht vorhanden ist. Unter dem Gesichtspunkt des Begriffs ist die Zwecktätigkeit die allumfassende Form allen Geschehens. Denn in allem Geschehen in dieser geordneten Welt wiederholen sich die festen Gestalten. Es erhält sich das Gebildete, und in allem Entstehen und Vergehen kehren die gleichen Formen, die gleichen Bedingungen und Gesetze wieder. Eben der Umstand, daß sich kein Geschehen ins Unbestimmte verläuft, das Grenzenlose nirgends zur Tatsache wird, überall Bestimmtheit und Gebundenheit herrscht, und alles freie Spiel der ins Ungebundene strebenden Kräfte schließlich doch das Vorausgegebene, die Gattungen und Arten der Dinge wie der Vorgänge, wiederholen muß, daß die Abweichung selber mit voller Sicherheit in die festgelegte Bahn zurückgeholt wird: - eben das ist die Zweckmäßigkeit in der Welt und diese Zweckmäßigkeit ist allumfassend. Nur wenn die Welt das Chaos wäre, dürfte man in ihr die Zwecktätigkeit bestreiten. Die Welt ist aber nicht das Chaos, und nirgends in der Welt hat das Chaotische einen Platz. Denn die Welt ist denkbar und wird gedacht; gedacht aber wird in Begriffen. Und die Welt, die in Begriffen gedacht wird, wie alles in der Welt, muß selber eine begriffliche Natur an sich tragen. Auch das läßt sich leugnen nur in Worten und in unverstandener Meinung, die sich selbst nicht versteht. Denn indem man es leugnet, behauptet man es. Man kann es nur leugnen, während man zugleich die Welt als eine begriffliche in Begriffen denkt. Ist die Welt kein Chaos, sondern herrscht in ihr überall die bestimmte Gestalt, so ergibt sich leicht, daß auch das scheinbar Unzweckmäßige in ihr vielmehr den triftigen Beweis für die durchgängige Herrschaft des Zweckes liefert. Denn wenn der Begriff als Zweck herrscht, so muß er auch etwas haben, worüber er herrscht; dies aber muß das relativ Begrifflose und Zwecklose sein, was die Natur und Anlage hat, vom Begriff und Zweck beherrscht und durchdrungen werden zu können. Zweck kann nur sein, wo Widerstand ist, an dem sich der Zweck erprobt. Denn fiele der Widerstand weg, so fiele auch das Geschehen weg. Der ideelle Anfang und der reale Ausgang fiele in eins zusammen; es gäbe überhaupt keine Vielheit mehr, weder im Sein noch im Geschehen; es bliebe nur eines übrig, und dieses Eine wäre das Nichts. Die Vielheit, die zwischen Anfang und Ende liegt, gehört also zum Zweck, damit eine Zwecktätigkeit sein kann; sie gehört zum Zweck als das System der Mittel. Sie ist unzweckmäßig, sofern sie noch nicht vom Zweck durchdrungen ist und ihm Widerstand leistet; sie ist das Zweckmäßige selber, sofern sie dem Zweck zugänglich, von ihm lenkbar und bestimmbar ist und den Zweckprozeß immer aufs Neue entzündet. Das ist der Sinn alles Unzweckmäßigen, Irrationalen, Begrifflosen, nur relativ unzweckmäßig, irrational und begriffslos zu sein als das System der Mittel, durch das, und als das Reich des Stoffes, in dem der Begriff als der Zweck seine Herrlichkeit offenbart. So ist dann der Begriff tätig als Grund, und wie die Substanz äußerer Grund oder Ursache, wie das Wesen innerer Grund ist, so gibt es auch einen begrifflichen Grund. Dieser begriffliche Grund ist noch innerlicher als der Wesensgrund. Das Substrat für das Schema des Wesens war uns die innere Welt der seelischen Vorgänge im Gegensatz zur äußeren Verursachung, wie sie unter dem Schema der Substanz gedacht wird. Das Substrat für den begrifflichen Grund ist uns in der Verkettung der Gedanken gegeben, die beiden Welten zugleich angehört, der inneren Welt und der äußeren, und für beide das einigende Band ist. Der Gedanke aber zeugt den Gedanken. Er ist das Urbild alles Organischen, allen Lebens und aller Zweckbeziehung. Es ist ein Geschehen, aber kein zeitliches, sondern ein ewiges Geschehen. Der Gedanke ruft den Gedanken, das Prinzip seine Konsequenz, der Zweck das Mittel; aber nur scheinbar ist darin die zeitliche Aufeinanderfolge. Der wahre Vorgang darin ist ein ewiger Zusammenhang. Der Begriff, wie er sich als Zweck im gegebenen Material vollzieht, wird die Idee genannt. Als Idee beherrscht der Begriff mit dem Charakter der Ewigkeit alles zeitliche Geschehen. Was in der Idee enthalten ist, entfaltet sich in zeitlicher Aufeinanderfolge, aber so, daß das Geschehen nicht von außen gezwungen, sondern frei von innen heraus den Inhalt der Idee verwirklicht. Es ist aber keine bloße Entfaltung, Evolution, die nur das vorher schon Vorhandene, aber in der Latenz Vorhandene, zu einer gesonderten Erscheinung brächte, sondern es ist eine wirkliche Entwicklung, eine freie Verwirklichung der Anlage, so daß für die Verschiedenheit und Eigenart im Geschehen und Bilden ein Raum gelassen ist und der Reichtum der Idee sich ausspricht in der Fülle des immer Neuen, der unvertretbaren Individualität. Diese Tätigkeit der Idee, die unbegrenzte Verschiedenheit im Realen zugleich walten zu lassen und doch vor der Ausschreitung zu bewahren, den auftauchenden Widerspruch zu lösen und in aller Mannigfaltigkeit die Einheit wiederherzustellen, ist das Kennzeichen der Vernunft. Der sich stets erneuernde Sieg der Vernunft über allen Widerstand bezeichnet die Art und Weise, mit der der Begriff als Grund das Dasein in der inneren wie in der äußeren Welt beherrscht und leitet. |