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WILHELM TOBIAS
Grenzen der Philosophie
[konstatiert gegen Riemann und Helmholtz,
verteidigt gegen von Hartmann und Lasker.]

[2/7]

"Es ist notwendig, noch gleichsam den letzten Anker einer phantasiereichen Hoffnung wegzunehmen und zu zeigen, daß die Befolgung der mathematischen Methode in dieser Art (philosophischer) Erkenntnis nicht den mindesten Vorteil schaffen kann, es müßte denn der sein, die Blößen ihrer selbst umso deutlicher aufzudecken, daß Meßkunst und Philosophie zwei ganz verschiedene Dinge sind."

"Der sinnliche Anschauungsraum, als ein dreifaches Nebeneinander von lokalisierten Empfindungen, ist nichts absolut Reales, sondern ein von der Organisation unserer intuitiven Intelligenz abhängiges, und in diesem Sinne subjektives, Phänomen innerhalb jedes uns gleichgearteten Bewußtseins."

"Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen? | Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr."

"Zwei Drittel der von der Sonne emittierten Strahlen schaffen es nicht, im Auge den Sehsinn zu erwecken. Die Strahlen existieren, aber das Sehorgan, das für ihre Übersetzung in Licht erforderlich ist, existiert nicht."


I. Die exakte Wissenschaft
und die philosophische
Grundlage der Erkenntnistheorie

Es kann nicht zweifelhaft sein, von welcher speziellen Philosophie man zu reden hat, wenn man, anknüpfend an historisch Gegebenes, von den Beziehungen spricht zwischen der neueren, auf Exaktheit gerichteten Naturforschung und der Philosophie schlechthin. Denn insofern sich diese Beziehung seit und durch JOHANNES MÜLLER überhaupt wirksam gezeigt hat, wird sie wesentlich durch KANT vermittelt. Wenn auch JOHANNES MÜLLER selbst die "Statik der Gemütsbewegungen" in der Darstellung SPINOZAs gibt; wenn auch bei Späteren hie und da die Schule HERBARTs anklingt und wieder bei Anderen, z. B. bei ZÖLLNER, das Verdienst SCHOPENHAUERs Berücksichtigung findet, so erscheint doch neben dem Interesse an KANT, selbst bei den Genannten, die Teilnahme für andere Philosophen von mehr episodischem Charakter, und die Fragen, welche heute auf dem sogenannten Grenzgebiet zwischen der Naturwissenschaft inklusive Mathematik und der Philosophie diskutiert werden, führen eben wie mit innerer Notwendigkeit auf die Fundamente der kantischen Philosophie als auf ein gemeinsames Verhandlungsfeld.

Von den bewährten Führern der exakten Schule hat unter den Lebenden Niemand früher und mit größerer Nachhaltigkeit dafür gesorgt, daß dem Andenken KANTs Gerechtigkeit geschieht, als HELMHOLTZ, und für die auch außerhalb der Naturwissenschaft wiederbelebte Teilnahme an philosophischen Bestrebungen, welche dieses Namens wert sind und nicht so völlig unwert wie die Irrfahrten der sogenannten Naturphilosophen HEGEL, SCHELLING und deren abenteuernder Nachzügler, - für die Wiederbelebung also des Respekts vor willkürfreiem Philosophieren ist gerade HELMHOLTZ selbständig und bahnmachend eingetreten.

Denn zu der Zeit, als er zuerst öffentliches Zeugnis für seine Achtung vor den Leistungen KANTs abgelegt hat, in den Jahren 1854 und 1855, da gehörte es nicht gerade zur allgemeinen Sitte, der Philosophie in irgendeiner Art ihres Auftretens Reverenz zu machen, und HELMHOLTZ war sich seiner Opposition gegen die damalige Mode-Richtung sehr wohl bewußt, wie es die Einleitungsworte zu seinem Vortrag "Über das Sehen des Menschen" (Leipzig 1855) an den Tag legen. Auch im "Handbuch der physiologischen Optik" von 1867 ist noch (Seite 797) von "der Abneigung unseres Zeitalters gegen philosophische und psychologische Untersuchungen" die Rede. Die in jenem Vortrag ausgesprochene Versicherung des Redners, es seien nicht "äußere Rücksichten oder eine verdeckte Gegnerschaft", sondern "volle Anerkennung und Hochachtung", welche ihn leiten, seiner Verehrung für KANT Ausdruck gegeben, diese Versicherung hat durch spätere streng wissenschaftlich gehaltene Veröffentlichungen hinreichend sachliche Belege erhalten: die physiologische Optik bietet sehr viel mehr als rednerische Zeugnisse dafür, daß es in der Tat die Beschaffenheit des Gegenstandes ist, welche neben dem naturwissenschaftlichen auch das philosophische Interesse wach ruft.

Die Anerkennung nicht nur der kantischen Kapazität, sondern auch der zur Erkenntnistheorie gehörigen Resultate KANTs kehrt auch in der Optik sowie in späteren mehr populär gehaltenen Publikationen von HELMHOLTZ wieder. Und so bedarf es bei der unbestrittenen Bedeutung des Mannes wohl keiner weiteren Rechtfertigung, wenn für den hier versuchten Nachweis der Relationen zwischen Philosophie und exakter Forschung HELMHOLTZ als geeigneter Repräsentant der letzten angesehen wird gegenüber KANT als dem unbezweifelt würdigen Vertreter philosophischer Richtung. Doch ist zu bemerken, daß in diesem Abschnitt das Wort Philosophie in einem restringierten Sinn gelten soll, nämlich für den Teil dieser Wissenschaft,, welcher die Erkenntnistheorie betrifft; denn weder von Ästhetik als der Theorie des Schönen, noch von Ethik soll zunächst die Rede sein, sondern es handelt sich hier nur um die erste der drei von KANT formulierten Fragen, in welche zusammen sich nach seinem Ausdruck alles Interesse der Vernunft, das spekulative wie auch das praktische, vereinigt, - um die Frage nämlich: "Was kann ich wissen?"

Die Aufgabe nun von diesem Teil der kantischen wie jeder wahren Philosophie ist von HELMHOLTZ im genannten Vortrag über das Sehen des Menschen sehr zutreffend mit folgenden Worten bezeichnet (Seite 5):
    "Kants Philosophie beabsichtigte nicht, die Zahl unserer Kenntnisse durch das reine Denken zu vermehren, denn ihr oberster Satz war, daß alle Erkenntnis der Wirklichkeit aus der Erfahrung geschöpft werden muß, sondern sie beabsichtigte nur, die Quellen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung zu untersuchen, ein Geschäft, welches immer der Philosophie verbleiben wird, und dem sich kein Zeitalter ungestraft wird entziehen können."
Die vollkommene Verträglichkeit der Philosophie mit der Naturwissenschaft ist hier durch die Abgrenzung beider Gebiete gegeneinander prägnant formuliert. Und wie sehr auch KANT in Übereinstimmung mit dieser Auffassung ist, zeigt unter anderem folgende Stelle (Werke, Ausgabe Rosenkranz-Schubert, Bd. 1, Seite 563) (1):
    "Mathematik und Naturwissenschaft, sofern sie reine Erkenntnis der Vernunft enthalten, bedürfen keiner Kritik der menschlichen Vernunft überhaupt. Denn der Probierstein der Wahrheit ihrer Sätze liegt in ihnen selbst, weil ihre Begriffe nur so weit gehen, als die ihnen korrespondierenden Gegenstände gegeben werden können, anstatt daß sie in der Metaphysik zu einem Gebrauch bestimmt sind, der diese Grenze überschreiten und sich auf Gegenstände erstrecken soll, die gar nicht, oder wenigstens nicht in der Masse, als der intendierte Gebrauch des Begriffs es fordert, d. h. ihm angemessen gegeben werden können."
Nach dieser übereinstimmenden Auffassung dürfte es also ein Grenzgebiet, d. h.: ein für Philosophie und Naturwissenschaft oder Mathematik gemeinsames Untersuchungsfeld nicht geben. Demgemäß dringt auch KANT wiederholt darauf, die beiden Wissenschaften nicht miteinander zu vermengen, z. B. in der "Kritik der reinen Vernunft" (1781, Seite 726):
    "Da wir es uns zur Pflicht gemacht haben, die Grenzen der reinen Vernunft im transzendentalen Gebrauch genau und mit Gewißheit zu bestimmen, diese Art der Bestrebung aber das besondere an sich hat, unerachtet der nachdrücklichsten und klarsten Warnungen, die sich noch immer durch Hoffnung hinhalten zu lassen, ehe man den Anschlag gänzlich aufgibt, über Grenzen der Erfahrungen hinaus in die reizende Gegend des Intellektuellen zu gelangen: so ist es notwendig, noch gleichsam den letzten Anker einer phantasiereichen Hoffnung wegzunehmen und zu zeigen, daß die Befolgung der mathematischen Methode in dieser Art Erkenntnis nicht den mindesten Vorteil schaffen kann, es müßte denn der sein, die Blößen ihrer selbst umso deutlicher aufzudecken, daß Meßkunst und Philosophie zwei ganz verschiedene Dinge sind, obgleich sie sich in der Naturwissenschaft einander die Hand bieten, folglich das Verfahren des einen niemals vom anderen nachgeahmt werden kann.

    Die Gründlichkeit der Mathematik beruth auf Definitionen, Axiomen, Demonstrationen. Ich werde mich damit begnügen, zu zeigen: daß keines dieser Stücke in dem Sinne, darin sie der Mathematiker nimmt, von der Philosophie könne geleistet, noch nachgeahmt werden. Daß der Meßkünstler, nach seiner Methode, in der Philosophie nichts als Kartengebäude zustande bringt, der Philosoph nach der seinigen im Anteil der Mathematik nur ein Geschwätz erregen kann, wiewohl eben darin Philosophie besteht, seine Grenzen zu kennen, und selbst der Mathematiker, wenn das Talent desselben nicht etwa schon von der Natur begrenzt und auf sein Fach eingeschränkt ist, die Warnungen der Philosophie nicht ausschlagen, noch sich über sie wegsetzen kann."
Nach KANT wie auch nach HELMHOLTZ darf man demnach erwarten, daß jede dafür in Frage kommende Untersuchung streng zu klassifizieren ist. Aber die Untersuchungsgebiete sind nicht die Menschen. Die Philosophie wird zwar durch ihren Vertreter immer konstatieren können, in wieweit sie sich der Naturwissenschaft als eines Erläuterungs- und Hilfsmittels bedient, und in wieweit sie selbsttätig ist. Wird diese Distinktion von einem Philosophen vernachlässigt, so entsteht zum Nachteil des Gegenstandes nach beiden Seiten hin leicht Unklarheit und folglich Irrtum. Ebenso kann und sollte der Naturforscher sich überall bewußt bleiben, ob er mit Erfahrungsmaterial auf logische Weise operiert, oder ob er mit Hilfe rein innerlicher Beobachtungen über den Hergang bei der ursprünglichen Erwerbung des Erfahrungsmaterials Ermittlungen anstellt. Nun wird es aber durch das Interesse an einem Gegenstand oftmals herbeigeführt, daß der Philosoph Naturforscher wird, und daß der Naturforscher philosophiert. So ist es ja nach dem Voranschreiten von HELMHOLTZ schon geläufig, KANT wegen der von ihm zuerst aufgestellten Hypothese über die Entstehung unseres Planetensystems als ganz genuinen Naturforscher zu schätzen, und ZÖLLNER gibt ausführlich den Nachweis, "wie viel gründlicher und umfassender sich Kant mit den hierauf bezüglichen Fragen beschäftigt hat", als es 42 Jahre nach ihm von LAPLACE geschehen ist.

In diesen Untersuchungen haben wir KANT eben nicht als Philosophen vor uns, sondern als denkenden Naturforscher, und so könnte es ebenso der Fall sein, daß nicht immer der Naturforscher HELMHOLTZ zu uns spricht, sondern der Philosoph, doch werden wir finden, daß gerade HELMHOLTZ selbst in seinen philosophisch erscheinenden Ausführungen mit nur wenigen Ausnahmen bemüht ist, das Terrain nicht zu verlassen, innerhalb dessen seine Kompetenz anerkannt ist. Aber dies gilt allerdings nicht überall auch von dem gleichwohl so sehr kompetenten Mathematiker HELMHOLTZ, nämlich nicht dort, wo er mit Genugtuung RIEMANN seinen Gefährten nennt, wohl aber von demselben Mann als Naturforscher, wo er den beobachtbaren Erscheinungen gegenüber Stellung nimmt. Er unterscheidet sich hierin sehr vorteilhaft von manchen anderen philosophisch interessierten Naturforschern, welche gerade die Vermengung der beiden sehr heterogenen Wissenschaften beharrlich kultivieren. Dieser unheilvollen Richtung leistet z. B. das im Einzelnen vieles Treffliche bietende Werk von WUNDT besonderen Vorschub: "Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele" (Leipzig 1863). Während sich aber WUNDT nach seinen eigenen Worten noch damit begnügt (Bd. 1, Seite 267), "unversehens recht ansehnliche Stücke Metaphysik aus der Psychologie herausgeholt zu haben"; so sehen wir dieses Beginnen sehr bald durch HAECKEL zur Vollendung gebracht. In seiner "Generellen Morphologie der Organismen" (Berlin 1866) gipfelt die neue Tendenz in folgendem Ausspruch, welchen der Autor wiederholt und mit ganz besonderem Nachdruck hervorhebt (Bd. 1, Seite 67 und Bd. 2, Seite 447):
    "Alle wahre Naturwissenschaft ist Philosophie und alle wahre Philosophie ist Naturwissenschaft. Alle wahre Wissenschaft aber ist Naturphilosophie."
Obgleich nun aber HELMHOLTZ eine sehr viel diskretere Haltung bewahrt, so ist es doch selbst ihm begegnet, daß er von verschiedenen Interessenten in gerade entgegengesetztem Sinn verstanden worden ist. Es ist dies der Fall bei dem hier speziell zu behandelnden Gegenstand, und ich gebe zunächst einige Beispiele von den einander widersprechenden Referaten über das eigentümliche Diskussionsobjekt.

Im Habilitationsvortrag des Mathematikers ROSANES "Über die neuesten Untersuchungen in Betreff unserer Anschauung vom Raum" (Breslau 1871) heißt es (Seite 8):
    "In neuerer Zeit ist man wohl überwiegend zu der von Helmholtz sogenannten empiristischen Theorie übergegangen, zu welcher sich schon frühzeitig Gauss bekannt haben soll, wonach man im Raum Nichts als einen von der Empirie abstrahierten Begriff zu sehen hat, eine Ansicht, welche schon vor Kant insbesondere beim englischen Sensualisten Locke auftritt."
Um keinen Zweifel an der Ansicht von GAUSS zu lassen, auf welche hier Bezug genommen wird, führe ich die Worte von GAUSS an:
    "Dieser Unterschied zwischen rechts und links ist, sobald man vorwärts und rückwärts in der Ebene, und oben und unten in Bezug auf die beiden Seiten der Ebene, einmal (nach Gefallen) festgesetzt hat, in sich völlig bestimmt, wenngleich wir unsere Anschauung dieses Unterschiedes Andern nur durch den Nachweis an wirklich vorhandenen materiellen Dingen nachweisen können."

    "Beide Bemerkungen hat schon Kant gemacht, aber man begreift nicht, wie dieser scharfsinnige Philosoph in der ersteren einen Beweis für seine Meinung, daß der Raum nur Form unserer äußeren Anschauung ist, zu finden glauben konnte, da die zweite so klar das Gegenteill, und daß der Raum unabhängig von unserer Anschauungsart eine reelle Bedeutung haben muß, beweist." (Nach einem Zitat von J. C. Becker in seiner Schrift: "Abhandlungen aus dem Grenzgebiet der Mathematik und Philosophie", Zürich 1870, Seite 5).
Nach der Auffassung von ROSANES lehrt also HELMHOLTZ in Übereinstimmung mit GAUSS und im Gegensatz zu KANT, daß der Raum auch außerhalb der subjektiven Vorstellung von ihm existiert. Dieselbe Auffassung von HELMHOLTZ' Arbeiten über den Raum und das räumliche Sehen hat EMIL DUBOIS-REYMOND, wie folgende Stellen seiner Rede über "Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft" zeigen (Berlin 1871, Seite 29):
    "Herr Helmholtz setzt die beiden Lehrmeinungen, die der angeborenen und die der erworbenen Vorstellungen, einander gegenüber unter dem Namen der nativistischen und der empiristischen Theorie. Er besteht darauf, daß, bis die Unmöglichkeit bewiesen ist, mit dem Empirismus auszukommen, der Nativismus als ein Unerklärliches zurückzuweisen ist."

    "Die metamathematischen Untersuchungen von Riemann, Helmholtz u. a. über die der Geometrie zugrunde liegenden Tatsachen haben dieser Anschauungsweise eine neue Stütze verliehen. Sie haben gezeigt, daß Größenkomplexe mit den wesentlichen Eigenschaften des Raumes sich logisch denken lassen, die nicht unser gemeiner Raum mit seinen drei Dimensionen sind. Die Vorstellung dieses Raumes, wird daher geschlossen, kann keine angeborene, sie muß eine erworbene sein."
Hören wir nun den Philosophen OTTO LIEBMANN. In seinem Aufsatz "Über die Phänomenalität des Raumes" (Philosophische Monatshefte, Bd. VII, Heft 8, Seite 337) wird über denselben Gegenstand referiert, welchen ROSANES in der angeführten Rede behandelt, und von den vier Sätzen, welche das Endergebnis zusammenfassen, lautet der erste (Seite 358):
    "Der sinnliche Anschauungsraum, als ein dreifaches Nebeneinander von lokalisierten Empfindungen, ist nichts absolut Reales, sondern ein von der Organisation unserer intuitiven Intelligenz abhängiges, und in diesem Sinne subjektives, Phänomen innerhalb jedes uns gleichgearteten Bewußtseins."
Und um den Gegensatz zu ROSANES ganz vollständig zu machen, wird auf Seite 355 Folgendes gesagt:
    "Von Gauss berichtet Sartorius von Waltershausen in seiner Gedächtnisschrift,, nach seiner öfters ausgesprochenen innersten Ansicht habe dieser eminente Denker die drei Dimensionen des Raums als eine spezifische Eigentümlichkeit der menschlichen Intelligenz betrachtet. Leute, welche diese nicht einsehen können, bezeichnete er einmal humoristisch als Böotier [sprichwörtlicher Kuhhirt - wp]. Wir können uns, sagte er, etwa in Wesen hineindenken, die sich nur zweier Dimensionen bewußt sind; höher über uns stehende würden vielleicht in ähnlicher Weise auf uns herabblicken; und er habe, fuhr er scherzend fort, gewisse Probleme hier zur Seite gelegt, die er in einem höheren Zustand später geometrisch zu behandeln gedenkt. Von Helmholtz besitze ich verba ipsissima [seine eigenen Worte - wp]. Ich habe mich selbst mit ihm über den Gegenstand unterhalten, und er äußerte sich genau in dem gleichen Sinn. Er erklärte es ausdrücklich für eine Möglichkeit, daß außerhalb unseres Bewußtseins vielleicht eine Welt von mehr als drei Dimensionen existiert. Er erklärte den ebenen Raum von drei Dimensionen für eine subjektive Form unserer Anschauung."
Diese wie Ja und Nein gegeneinanderstehenden Auffassungen, nicht nur von Sachverhalten selbst, sondern sogar von den Parteistellungen spezieller Forscher über den streitigen Gegenstand, dieser Widerspruch also selbst unter den Referenten über die Arbeiten zur Raumfrage ist keineswegs vereinzelt, und schon dieser Umstand liegt die Vermutung nahe, daß die Frage, auf welche hier sowohl mit Ja als auch mit Nein geantwortet wird, eine Unklarheit enthält, und daß es darauf ankommt, zunächst diese Frage selbst eindeutig zu machen, bevor man die Antworten der Spezialisten richtig auffassen kann. Denn irgendwo muß doch ein fundamentales Mißverständnis vorliegen, wenn Antworten auf dieselbe Frage in streng entgegengesetztem Sinn nicht nur erteilt, sondern auch gedeutet werden können.

In der Tat haben sich für mich jene vorhin exemplifizierten Widersprüche gelöst, nachdem ich den Ursprung eines Mißverständnisses an einer Stelle glaube erkannt zu haben, welche bei den Verhandlungen über das Problem des Raumes keine Berücksichtigung gefunden hat. Von dieser scheinbar entlegenen Stelle aus will ich daher nun den Weg, den ich genommen habe, mit dem Wunsch aufweisen, daß er auch bei Anderen die Probe bestehen mag, ob er zur Orientierung geeignet ist.

Auf den Ausgangspunkt, welchen ich im Auge habe, ist das öffentliche Interesse in größerer Ausbreitung als vorher durch einen Vortrag "Über die Grenzen des Naturerkennens" hingelenkt worden, welchen EMILE DUBOIS-REYMOND am 14. August 1872 bei Gelegenheit der 45. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Leipzig gehalten hat. Wider Erwarten hat der in dieser Rede entwickelte Gedanke selbst solche Kreise als neu überrascht, von denen man bei der Fülle offener Verkehrswege zwischen der Naturwissenschaft und allen Schichten des lesenden und hörenden Publikums hätte annehmen sollen, das Dargebotene werde seinen anregenden Eindruck nur der angenehmen Form eloquenter Ausstattung zu danken haben. Denn wer sich für den Gegenstand interessiert, konnte schon seit mehreren Jahren beobachtet haben, daß die Majorität der hervorragenden Naturforscher eines Sinnes geworden ist in der Anerkennung, daß die psychischen Erscheinungen sui generis [in ihrer Eigenart - wp], daß sie spezifisch verschieden sind von allen anderen möglichen Erscheinungen in der ganzen menschenzugänglichen Welt. Folgende Beispiele mögen die an Einmütigkeit grenzende Stellung der Naturforscher zu dieser Angelegenheit bezeugen. In der physiologischen Optik gibt HELMHOLTZ (Seite 443) das Argument für die völlige Unvergleichbarkeit zwischen jeder Vorstellung und ihrem Gegenstand, nachdem er vorher (Seite 441) bemerkt hat, daß "wir überhaupt bisher von der Natur der psychischen Vorgänge so gut wie nichts wissen." Das Argument lautet:
    "Wenn zwischen der Vorstellung im Kopf eines Menschen A und dem vorgestellten Ding irgendeine Art von Ähnlichkeit, von Übereinstimmung wäre, wo würde eine zweite Intelligenz B, welche beide, das Ding und seine Vorstellung im Kopf von A, sich nach den gleichen Gesetzen vorstellt, irgendeine Ähnlichkeit zwischen ihnen finden oder doch wenigstens denken können. Denn Gleiches in gleicher Weise abgebildet (vorgestellt) müßte doch gleiche Bilder (Vorstellungen) geben. Nun frage ich, welche Ähnlichkeit soll man sich denken zwischen dem Prozeß im Gehirn, welcher die Vorstellung eines Tisches begleitet, und dem Tisch selbst. Soll man sich die Gestalt des Tisches von elektrischen Strömen nachgezeichnet denken, und wenn der Vorstellende sich vorstellt, daß er um den Tisch herumgeht, soll dazu noch ein Mensch mittels elektrischer Ströme gezeichnet werden. Perspektivische Projektionen der Außenwelt in den Gehirnhemisphären, wie sie wohl angenommen sind, genügen offenbar nicht, die Vorstellung von einem körperlichen Objekt darzustellen. Und gesetzt den Fall eine kühne Phantasie würde vor einer solchen und ähnlichen Hypothesen nicht zurückschrecken, so wäre ein solches elektrisches Abbild des Tisches im Gehirn eben ein zweites körperliches Objekt, welches wahrgenommen werden müßte, aber keine Vorstellung vom Tisch. Indessen sind es nicht gerade die Anhänger materialistischer Meinungen, welche der aufgestellten Behauptung zu widersprechen suchen werden, sondern die Anhänger spiritualistischer Meinungen, welche der aufgestellten Behauptung zu widersprechen suchen werden, sondern die Anhänger spiritualistischer Meinungen. Und für diese, sollte ich meinen, läge das Verhältnis im Gegenteil noch klarer da. Welche mögliche Ähnlichkeit soll denn die Vorstellung, eine Veränderung in der unkörperlichen, räumlich nicht ausgedehnten Seele mit dem im Raum ausgedehnten Körper des Tisches haben können. Es ist von Seiten der spiritualistischen Philosophen, soviel ich weiß, nicht einmal jemals auch nur eine Hypothese oder eine Phantasie versucht worden, um das anzudeuten, und es liegt auch nicht in der Natur dieser Ansicht, daß so etwas gar nicht versucht werden kann."
Trotz dieser einleuchtenden und radikal klingenden Darlegung ist aber HELMHOLTZ zu einem definitiven Ignorabimus [Wir wissen es nicht. - wp], womit DUBOIS-REYMOND die Angelegenheit besiegelt, nicht geneigt, sondern er reserviert seine Stellung folgendermaßen (Optik, Seite 796):
    "Ich gebe zu, daß wir noch weit entfernt von einem naturwissenschaftlichen Verständnis der psychischen Erscheinungen sind. Die Möglichkeit eines solchen Verständnisses entweder absolut zu leugnen, wie die Spiritualisten, oder andererseits absolut zu behaupten, wie die Materialisten, dazu kann wohl die Neigung zu dieser oder jener Richtung der Spekulation treiben; dem Naturforscher, der sich an die faktischen Verhältnisse zu halten und deren Gesetze zu suchen hat, ist dies eine Frage, für welche er keine Entscheidungsgründe besitzt. Man darf nicht vergessen, daß der Materialismus ebenso gut eine metaphysische Spekulation oder Hypothese ist, wie der Spiritualismus, und ihm deshalb nicht das Recht einräumen, in der Naturwissenschaft über faktische Verhältnisse ohne faktische Grundlage entscheiden zu wollen."
Die Mitteilung auch dieses Votums von HELMHOLTZ schien mir eine Pflicht der Unparteilichkeit zu sein; aber ich verhehle nicht, daß ich die nachträgliche Skepsis mit der vorher angeführten Argumentation von HELMHOLTZ selbst in Widerspruch finde, und daß mir die dort geltend gemachten Verhältnisse und Grundlagen faktisch genug erscheinen, um den "Wahrspruch" von DUBOIS-REYMOND für ebenso unverfrüht zu halten, wie er es schon zu KANTs Zeit gewesen und durch KANTs Mithilfe geblieben ist. Eine ähnliche Überexaktheit wie bei HELMHOLTZ werden wir bei TYNDALL wiederfinden, welcher unter der Flagge DARWINs auf rein phantastische Nebelufer steuert und so den Satz von den benachbarten Extremen passend illustriert.

Hören wir vorher einige Zeugnisse von festerer Position.

In einer Rede CARL LUDWIGs, gehalten beim Beginn der Vorlesungen in der neuen physiologischen Anstalt zu Leipzig am 26. April 1869, heißt es:
    "An den Nerven dringt der Forscher empor zur Seele; anfangs vielleicht von dem Irrtum befangen, daß das Reich des Mechanischen nirgendwo sein Ende findet. Aber je öfter er die Vorstellung des Raums und die Energien der Empfindung mit den Bewegungserscheinungen im Nerven vergleicht, die jene auslösen, umso fester begründet sich das Bewußtsein, daß jenseits der Nerven ein neues Gebiet beginnt. Gerade weil unsere Wissenschaft mit der Mechanik des Leibes vertraut ist, weiß sie dieser ihre Grenzen zu stecken, und so konnte es nur die ferner Stehenden überraschen, als die Anhänger der mechanischen Physiologie allseitig darin zusammentrafen: die Seele lebt außerhalbt der Grenzen der Mechanik, aus der bloßen Bewegung endlicher Massen kann ihre Wirkung nicht begriffen werden."
Im ersten Artikel einer Arbeit über "Die Schnelligkeit psychischer Prozesse" (Archiv von Reichert und Dubois-Reymond, 1868) äußert sich DONDERS so:
    "Aber wird jemals die psychische Tätigkeit in die Kette der sich transformierenden Kräfte aufgenommen werden können? Soviel wir sehen, besteht dazu nicht die geringste Aussicht. Das Wesen aller Formen von Arbeit und Arbeitsvermögen, die wir kennen und messen, ist Bewegung oder Bedingung von Bewegung, und Niemand kann sich eine Vorstellung machen, wie aus Bewegungen, auf welche Weise sie auch kombiniert sind, Bewußtsein oder irgendeine psychische Tätigkeit entstehen kann. Psychische Tätigkeit ist, so wie wir sie an erster Stelle in uns selbst wahrnehmen, in Form und Wesen vollkommen eigentümlich. Nirgends zeigt sie einen Übergang oder Verwandtschaft zu anderen Naturerscheinungen, und das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, welches, für alle bekannten Naturkräfte gültig ist, bei jeder Untersuchung als leitendes Prinzip angenommen wird, ist vollkommen außer Macht, die psychischen Erscheinungen unter seine Herrschaft zu bringen. Denn, abgesehen von ihrer spezifischen Natur, die ihr Entstehen aus chemischer Spannkraft ebenso undenkbar macht, als ihre Umwandlung in Wärme oder elektrische Bewegung, lassen sie sich ja weder messen noch wägen, und wir kennen für Gefühl, Verstand oder Wille keine Einheit, womit sie sich in Zahlen ausdrücken lassen."
In demselben Sinn spriccht sich VIRCHOW an folgenden drei Stellen aus:
    "Meines Erachtens ist der Punkt, in dem die Transzendenz hauptsächlich wurzelt und in dem ihre Zulässigkeit am besten begründet werden kann, unsere Unwissenheit über das Wesen des Bewußtsein. Weder die Philosophie, noch die Naturforschung waren bis jetzt imstande, in dieser Richtung mehr zu leisten, als die einfache Tatsache des Bewußtseins zuzugestehen; alle Bestrebungen, die Selbsterkenntnis gänzlich zustande zu bringen, scheitern an dieser einfachen, aber unerklärlichen und unbegreiflichen Tatsache, welche jeder Analogie in der außertierischen Natur entbehrt und jeder objektiven Behandlung zu spotten scheint." (Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medizin, Ffm 1856, Seite 14).
Ferner:
    "Wiederholt schon haben wir erklärt, daß wir es in einem naturwissenschaftlichen Sinn für unmöglich erachten, die allerdings unleugbare Tatsache des Bewußtseins zu erklären." (Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie für Medizin, Bd. 7, Heft 1, Seite 3: "Empirie und Transzendenz", Seite 27. - Berlin 1854).
Endlich:
    "Trotzdem lassen die Vorgänge der Reflexion und Derivation, der Hemmung und Verstärkung eine Interpretation im Sinne der elektischen Theorie zu.

    Aber eine solche Interpretation ist nicht mehr möglich bei jenen verwickelten Vorgängen des instinktiven und intellektuellen Lebens, welche überhaupt die höchste Entwicklung der tierischen Funktion darstellen. Wer ist imstande, den Instinkt oder gar den Verstand elektrisch zu konstruieren? oder gar das Bewußtsein als ein Analogon eines mechanischen Vorgangs nachzuweisen? Wie so oft, hat man sich auch in diesem Fall über dier Schwierigkeiten des Einzelnen hinwegzusetzen gesucht, indem man die Einzelerfahrung verallgemeinert hat. So hat noch neuerlich Ewald Hering das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie dargestellt und Wallace hat den noch weiteren Schritt getan, das Bewußtsein als eine allgemeine Eigenschaft der Substanz anzusprechen. Er ist auf diese Weise, ohne es zu ahnen, nahezu auf denselben Standpunkt der Naturanschauung gelangt, den vor fast zweihundert Jahren sein großer Landsmann Glisson, der Erfinder des Wortes Irritabilität, eingenommen hat, indem er der Substanz überhaupt drei Funktionen beilegte, welche er als perceptiva, appetitiva und motiva bezeichnet hat. Leider ist es mit der Generalisation allein nicht getan; man muß auch Beweise beibringen. Sonst bedeutet Generalisation nichts als das Bestreben, eine Schwierigkeit möglich weit von sich zu entfernen und dadurch unmerklich zu machen." (Zellularpathologie, vierte Auflage, Berlin 1871, Seite 348)
Im Anschluß an die Darstellung von DUBOIS-REYMOND, wie dieser in einer Anmerkung zu seinem Vortrag erwähnt, hat TYNDALL denselben Gedanken in einer zu Norwich am 19. August 1868 gehaltenen Rede formuliert. Die betreffende Stelle ist bereits im Anhang zu einer 1869 in Berlin erschienen, von von KLÖDEN gelieferten Übersetzung einer Rede von BARNARD mitgeteilt ("Die neueren Fortschritte der Wissenschaften" etc.) und lautet daselbst (Seite 54):
    "Wären unsere Seelen und Sinne so erweitert, gekräftigt und erhellt, daß wir imstande wären, die Moleküle des Gehirns selbst zu sehen und zu fühlen; wären wir imstande, allen ihren Bewegungen, Gruppierungen, elektrischen Entladungen, wenn deren stattfänden, zu folgen; und wären wir vollständig vertraut mit entsprechenden Zuständen des Denkens und Fühlens: so würden wir von der Lösung des Problems gerade so weit entfernt sein, wie nur je zuvor. Wie stehen diese physischen Prozesse mit den Tatsachen des Bewußtseins in Verbindung? Die Kluft zwischen beiden Klassen von Erscheinungen würde intellektuell noch immer unüberschreitbar bleiben. Lassen wir das Bewußtsein von Liebe z. B. mit einer rechts gewundenen Spiralbewegung der Moleküle des Gehirns und das Bewußtsein des Hasses mit einer links gewundenen Spiralbewegung in Verbindung stehen. Dann wüßten wir, wenn wir lieben, daß die Bewegung in der einen Richtung geschieht, und wenn wir hassen, in der anderen; aber das Warum? würde noch immer unbeantwortet bleiben."
Daß nun trotz dieser seit langem übereinstimmenden Urteile von Männern, welche so vielfach die öffentliche Meinung direkt und indirekt bestimmen helfen, die erneute Kundgebung durch DUBOIS-REYMOND als etwas sehr Auffallendes betrachtet wurde, das durfte schon einigermaßen befremden; es konnte als ein neuer Beleg gelten für die von HELMHOLTZ in der Vorrede zu seiner Optik erwähnte "der materialistischen Neigung der Zeit entsprechende Vorliebe zu unmittelbar mechanischen Erklärungen." Viele Ärzte und andere naturwissenschaftlich erzogene Männer sind eben haften geblieben an der Anschauung, welche DUBOIS-REYMOND selbst zur Zeit der Abfassung seines Werkes "Untersuchungen über tierische Elektrizität" im Jahre 1848 verteidigt hat. In der Vorrede zu diesem Werk hegt der Autor noch die Meinung, daß "wenn nur unsere Methoden ausreichen würden und eine analytische Mechanik sämtlicher Lebensvorgänge möglich wäre" (Seite XXXV). Den psychischen Vorgängen wird dabei keine Ausnahme vorbehalten; denn an einer anderen Stelle (Seite XXXVII) ist von "der sogenannten Seele" die Rede, und auch der folgende Satz bestätigt es:
    "In den Begriffen von Kraft und Materie sehen wir denselben Dualismus wiederkehren, der sich in den Vorstellungen von Gott und der Welt, von Seele und Leib hervordrängt." (Seite XL)
Es gibt also für den damals von DUBOIS-REYMOND behaupteten Standpunkt nur eine Grenze des Erkennens, nämlich die bewegte Materie, die "Zweieinigkeit" von Kraft und Stoff. Es ist dieselbe Auffassung der psychischen Prozesse, welche MOLESCHOTT präzise durch den Satz formuliert hat: "Der Gedanke ist eine Bewegung des Stoffs." (Der Kreislauf des Lebens, dritte Auflage, Mainz 1857, Seite 438) - eine Auffassung, für deren Propagierung nicht nur LUDWIG BÜCHNER - "one of the weaker brethren" [einer der schwächeren Glaubensbrüder - wp], nach TYNDALLs mildgerechter Bezeichnung (2) - eine rege Tätigkeit entwickelt hat, sondern für die auch CARL VOGT eingetreten ist, und die selbst in noch jüngerer Zeit in HAECKEL einen feurigen Anwalt gefunden hat.

Daß die von DUBOIS-REYMOND und seinen Gesinnungsgenossen zugestandene Zweifachheit unserer Erkenntnisgrenzen unter den Anhängern der Naturwissenschaft einen besonders zähen Widerstand findet, kann vielleicht psychologisch dadurch motiviert erscheinen,
    "daß", wie es Helmholtz naiv ausdrückt, "die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen muß, und dieser Voraussetzung gemäß schließen und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwiderlegbare Fakten zur Anerkenntnis ihrer Schranken genötigt sein sollte." (Über die Erhaltung der Kraft, eine physikalische Abhandlung, Berlin 1847, Seite 3) -
ein Gedanke, welchem wir bei demselben Autor auch zwanzig Jahre später begegnen; denn in der physiologischen Optik heißt es (Seite 455):
    "Wir müssen versuchen , sie (die Naturerscheinungen) zu begreifen, wir haben keine andere Methode, sie der Herrschaft unseres Verstandes zu unterwerfen; wir müssen also an ihre Untersuchung gehen mit der Voraussetzung, daß sie zu begreifen sein werden."
Die Naivität dieses Gedankens, welche in einem Mangel an Limitation liegt, erhält aber an dieser Stelle durch den nachfolgenden Satz einen bedeutend reflektierten Charakter; denn HELMHOLZ fährt fort:
    "Somit ist das Gesetz vom zureichenden Grund eigentlich nichts anderes als der Trieb unseres Verstandes, alle unsere Wahrnehmungen seiner eigenen Herrschaft zu unterwerfen, kein Naturgesetz."
Das Sträuben gegen die Anerkennung von Schranken der Wissenschaft erscheint also bei den Naturforschern noch am Ehesten verzeihlich: denn es liegt im Wesen ihrer induktiven Methode, daß sie nicht von einem Unbegreiflichen ausgehen, nicht von einem unzerlegbaren Primären, sondern im Gegenteil von einem Komplexen, das eben durch die Arbeit des Forschens auf möglichst wenige unzerlegbare Elemente reduziert werden soll und reduziert wird; das Ideal des Naturforschers besteht, jenem "Trieb des Verstandes" gemäß, darin, die ganze Mannigfaltigkeit der Erscheinungen schließlich aus nur einem primären Element abzuleiten: das bedeutet eben "die Voraussetzung der Begreiflichkeit". Dem Naturforscher muß also jede definitive Vermehrung der Schranken für die Begreiflichkeit als eine im Voraus auferlegte Fessel seines natürlichen Triebes besonders drückend sein; man mutet mit jeder neuen Schranke seinem Streben nach Wirksamkeit wahre Selbstbescheidung zu, und die Resignation muß sehr schwer sein, wenn sie für eine so anlockende Provinz verlangt wird, wie es der Bereich der rein inneren, psychischen Erscheinungen ist, ganz besonders, nachdem der Siegesrausch der ersten Eroberungszüge die Vorspiegelung verschuldet hatte, es gebe außer dem Problem der Materie nichts Ununterwerfbares mehr für den Angriff mit den Waffen der Exaktheit. Wie tief aber jene "Vorliebe zu unmittelbar mechanischen Erklärungen" vom allgemeinen Denken muß Besitz ergriffen haben, und daß es in der Tat "die materialistische Neigung der Zeit" ist, durch welche man sich die Begünstigung der Mechanik erklären muß, dafür ist jedenfalls das Beispiel eines Mannes wie STRAUSS und die Tatsache, daß er auch für seine Extravaganz zahlreiche Anhänger findet, noch instruktiver als die Opposition der Ärzte und Naturforscher. (3) Denn obgleich STRAUSS in einer anderen Schule groß geworden ist als in der naturwissenschaftlichen, obgleich man also von ihm annehmen sollte, daß er sich frei von jener jugendlich überspannten Weltstürmerei der Exakten gehalten haben wird, so sehe ich nun gerade den Jünger der Geisteswissenschaften sich realistischer gebärden als die Realisten von Fach und Prädestination: im strikten Gegensatz zu DUBOIS-REYMOND, den er gleichwohl "Meister" nennt,
    "wächst" für Strauß "mit jedem Tag die Aussicht, die Bedingungen nachzweisen, unter denen sich das Leben aus dem Leblosen, das Bewußtsein aus dem Bewußtlosen nach einem natürlichen Gesetz entwickelt hat";
und wenn DUBOIS-REYMOND sagt,
    "es bleibt durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff- u. a. Atomen nicht sollte gleichgültig sei, wie sie liegen und sich bewegen; es sei in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammenwirken Bewußtsein entstehen kann",
so fügt STRAUSS hinzu:
    "Ob dieses Wort des Meisters das letzte Wort in der Sache ist, darüber wird am Ende doch nur die Zeit entscheiden können." (Ein Nachwort als Vorwort zu den neuen Auflagen meiner Schrift: "Der alte und der neue Glaube", Bonn 1873, Seite 15 und 28)
Nun liegt aber eben darin der Kern der ganzen Angelegenheit, daß man mit derselben Zuversicht, mit welcher man die für alle Zeit unerschütterliche Wahrheit des pythagoräischen Lehrsatzes behauptet, auch behaupten darf, daß nicht die Zeit entscheiden kann, ob die Entstehung des Bewußtsein aus dem Zusammenwirken verschiedener Stoffe für uns Menschen begreiflich werden wird oder nicht, sondern daß eine klare Einsicht in den unzweifelhaften Sachverhalt schon jetzt die notwendige Folge hat, daß man von der definitiven Unbegreiflichkeit der Bewußtseinsentstehung überzeugt ist. Die mitgeteilten Stellen aus den Erörterungen von DUBOIS-REYMOND und TYNDALL über diesen Punkt können nun zwar ganz geeignet erscheinen, um diese Einsicht zu gewähren, obgleich freilich auch viel Überschwenglichkeit oder große Unbekanntschaft mit KANT dazu gehört, um die Deduktion von DUBOIS-REYMOND als eine kantische Tat zu feiern, wie es in der Zeitschrift von DOVE "Im neuen Reich" geschehen ist. Aber nicht nur die offen vorliegende Erfahrung an STRAUSS, sondern namentlich auch mehrfache private Gelegenheiten haben mich wider Erwarten gelehrt, daß die bisher gegebenen Argumente selbst für geübte Logiker keine Beweiskraft haben. Durch diese ansich interessante psychologische Tatsache mag es gerechtfertigt erscheinen, wenn ich hier die Eule nach Athen trage, welche mir in einigen speziellen Fällen hilfreich gewesen ist.

Als Hindernis für die Annahme des Beweises von DUBOIS-REYMOND und TYNDALL hat man mir folgende Betrachtung entgegen gehalten.

Die Anschauung, daß eine bestimmte Farbe identisch ist mit einer bestimmten Wellenbewegung des Äthers, ist von den Unterrichteten so allgemein als zutreffend anerkannt wie nur irgendeine empirisch und mathematisch wohl fundierte Theorie der Naturwissenschaft. Stellt man sich nun vor, daß man diese Schwingungen zeitlich gesondert unterscheiden, daß man sie unmittelbar zählen könnte, so würde man außer einer bestimmten Farbe auch noch gleichzeitig eine bestimmte Anzahl von Erregungen wahrnehmen, und beide Wahrnehmungen wären nur zwei Erscheinungsweisen desselben objektiven Vorgangs, so etwa wie das Gefühl des Schwirrens, welches ein starker Ton gelegentlich erzeugen kann, indem die Schwingungen der Schallquelle sich der äußeren Haut mitteilen, ein unmittelbarer Begleiter der Gehörwahrnehmung ist, weil beide Effekte die identische Ursache haben.

Die hier postulierte Vorstellung enthält zwar einen Widerspruch mit dem, was tatsächlich physisch vorkommt, aber sie leidet nicht etwa an dem inneren Widerspruch, welchen ZÖLLNER an einer ähnlichen Forderung von SIR WILLIAM THOMSON und Professor TAIT mit Recht rügt. Diese Autoren weisen die Emissionstheorie des Lichts deshalb ab (Zöllner, Über die Natur der Kometen, Seite LII),
    "weil sie sich nur hätte rechtfertigen lassen, wenn ein Lichtkörperchen wirklich wahrgenommen und untersucht worden wäre."
Hierzu bemerkt ZÖLLNER (Seite LIII):
    "In einer solchen Forderung liegt nun aber nicht etwa nur eine physikalische, sondern sogar eine leicht zu entdeckende logische Unmöglichkeit. In der Tat, wenn in uns erst durch die Berührung der Lichtkörperchen mit unseren Nerven die Empfindung des Lichts erzeugt wird, (gleichgültig, ob dies durch Oszillationen des Äthers oder direkt durch fortgeschleuderter Körperchen geschieht) so ist es offenbar unmöglich, ein solches Lichtkörperchen, bevor es unsere Sehnerven berührt oder affiziert hat, überhaupt durch das Auge wahrzunehmen.

    "Die Forderung der Wahrnehmung eines Lichtkörperchens oder einer Lichtquelle als solcher durch den Gesichtssinn enthält also einen groben Denkfehler, denn sie involviert einen palpablen [offenbaren - wp] Widerspruch mit den Prämissen der zugrunde gelegten Theorie. Ihrer logischen Bedeutung nach verhält sich jene Forderung etwa so, wie wenn jemand mit seinen eigenen Augen direkt die optischen Bilder auf den Netzhäuten derselben zu sehen verlangen würde."
In der obigen Fiktion wird hingegen angenommen, daß derselbe Nerv, welcher auf eine bestimmte Summe von Ätherwellen in einer bestimmten Zeit mit der Empfindung einer Farbe reagiert, gleichzeitig jede Erschütterung durch jede einzelne Welle als unbestimmten Lichteindruck empfindet. Dem Begriff nach würde diesem Vorgang im Wesentlichen die Zerlegung eines Klangs in seine Partialtöne entsprechen, welche Leistung bekanntlich von geübten Gehörorganen auch ohne Apparate vollzogen wird. Es liegt nun, so lautet der Einwand weiter, gar keine Veranlassung vor, um von der überall zutreffenden und erklärenden Vorstellung zugunsten eines speziellen Phänomens eine Ausnahme zu machen; es wäre dies vollkommen gegen die so trefflich bewährte Methode der Induktion, welche wiederum in der Natur des menschlichen Denkens wurzelt. Hat ja doch niemand etwas dagegen, daß man die Elektrizität jener Vorstellung von Molekularbewegung unterordnet, obgleich die speziellen Nachweise hier noch nicht die Evidenz ermöglicht haben wie in der Lehre von der Wärme; die Induktion unterstützt eben bis jetzt lediglich die Überzeugung, daß man es bei jeder Art von Phänomen mit einer Form der Bewegung von Massen oder von Atomen zu tun hat, seien es nun Massenatome wie bei den chemischen Aktionen, oder Ätheratome wie beim Licht. Wären also nur die Bedingungen erfüllbar, um die entscheidenden Molekularbewegungen im Gehirn wirklich zu sehen, so würde man etwas dabei wahrnehmen, was den Bewußtseinserscheinungen nicht nur zugrunde liegt, sondern was selbst eine Bewußtseinserscheinung wäre. Es ist folglich, so plädierte man weiter, ein willkürliches Dekret, zu sagen: Bewußtsein ist etwas Anderes als eine Bewegungsform. Jedenfalls steht mit gleicher Autorität gegenüber das andere Dekret, welches aber den Vorzug hat, daß es keinen Widerspruch gegen die übrigen Ergebnisse der Wissenschaft enthält, das Dekret MOLESCHOTTs: "Bewußtsein ist Bewegung."

Das Trügerische dieses Räsonnements konnte ich auf folgende Weise darlegen. Der Anhänger MOLESCHOTTs behauptet, er könne es sich vorstellen, daß er mit einer durch seine Augen wahrgenommenen Molekularbewegung zugleich Bewußtsein wahrnehmen würde, ebenso wie er mit den Bewegungsimpulsen, welche einer bestimmten Farbe entsprechen, zugleich diese bestimmte Farbe wahrnehmen würde; er erklärt es demnach für denkbar, daß sein eigenes Bewußtsein durch die Wahrnehmung von etwas Sichtbarem einen Zuwachs an Intensität erhält. Denn das allein wäre hier das Analogon der Farbempfindung. Diese satirisch klingende Folgerung ist, beiläufig bemerkt, so wenig eine willkürliche Unterstellung, daß sie vielmehr vom konsequentesten meiner Opponenten, einem Mathematiker von Fach und Würden, willig akzeptiert wurde. Nun wohl, so stellt sich der Konsequente ferner vor, daß die für ein fremdes Gehirn erfüllbar gedachte Bedingung an seinem eigenen Gehirn realisiert ist: er hat also seine sämtlichen Gehirnhüllen inklusive der Schädeldecke und der äußeren Haut transparent gemacht, und auch die letzten minutiösen Schwingungen der Gehirnfaser- und Ganglienmoleküle mögen nun als wirkliche Bewegungen seinem weit über die Grenzen des Mikroskops hinaus gesteigerten Gesichtssinne wahrnehmbar sein. Dann bitte ich ihn, sich in diesem Zustand vor einem Spiegel zu denken, welcher ihm die Vorgänge seines Inneren zur Anschauung bringt. Ist sein Satz richtig, daß das Bewußtsein nicht nur entsteht durch Gehirnbewegung, woran auch ich in empirisch-realem Sinn nicht zweifle, sondern daß es eine solche Bewegung ist, dann muß er durch einen Blick in den Spiegel sein Bewußtsein verdoppelt finden, und bei der Vervielfältigung des Schauspiels durch einen zweiten, parallel dem ersten aufgestellten Spiegel kann er sogar die Intensität seines Bewußtseins bis ins Unendlichfache potenzieren. Dieser Erfolg aber würde auf das Allerstrikteste gegen das Gesetz von der Äquivalenz der Kräfte sprechen, wonach bekanntlich jede Entstehung von Bewegung ohne entsprechenden Verbrauch schlechthin verpönt ist. Den aus seiner Annahme gefolgerten Eventus [Resultat - wp] muß also der Opponent gerade in seiner Eigenschaft als exakter Denker auf das Entschiedenste abweisen.

Es ist der naturwissenschaftliche Begriff der Bewegung, welcher durch seine eigenen Merkmale die Analogie der Bewußtseinserscheinung mit irgendeiner Art von Bewegungsform ausschließt, und das Verführerische einer solchen Analogie wird wesentlich durch eine Doppeldeutigkeit der sprachlichen Bezeichnung veranlaßt. Die Worte Wärme, Licht, Schall usw. werden für zwei völlig verschiedene Begriffe gebraucht, erstens für subjektive, nur der Innenwelt des Ich zugehörige Empfindungsqualitäten und zweitens für objektive, nur der Außenwelt des Nicht-Ich zukommende Bewegungsformen. Die exakte Forschung hat es zu allgemeinen Überzeugung gemacht, daß den qualitativ verschiedenen Zuständen, welche unser Bewußtsein konstatiert, also den subjektiven Wahrnehmungen von Licht, Wärme etc. nicht ebenso viele qualitativ verschiedene Erreger entsprechen, sondern daß der Qualität nach nur eine Erregungsurache unseres Empfindens in der Außenwelt existiert, nämlich die Bewegung. Wir benennen aber verschiedene Quantitäten und Formen der objektiven Bewegung mit denselben Namen, welche unseren subjektiven, unseren spezifisch verschiedenen Sinnesenergien entsprechen. Während es für die Empfindungen von Licht und Wärme kein gemeinsames Maß gibt, durch welches sie miteinander verglichen werden können, hat die Physik allerdings für die verursachenden Bewegungen, besonders genau für die Wärme, ein solches Maß nachgewiesen: die sogenannte lebendige Kraft, ein Zahlenausdruck, in welchem die konstituierenden Größen nur dem Quantum nach variabel sind. Den Begriffen Wärme, Licht im objektiven Sinn entspricht also die sinnliche Vorstellung von Bewegungsformen, und die Begriffe sind durch diese Vorstellung wirklich definiert, das heißt: es ist ihr Gleichartigkeit bezeichnet mit einer noch allgemeiner bekannten Vorstellung, welche ihrerseits nicht weiter zurückführbar erscheint und etwas vorher Gekanntes, sondern die man als ein ursprünglich Gegebenes hinzunehmen hat; denn Raum und Zeit, die Faktoren des Produkts Bewegung, lassen ein Zerlegen in primitivere Vorstellungen nicht zu - wie verschieden man auch über ihre Wesenheit urteilen mag, so bleibt doch dies unbestritten, daß sie im entwickelten Menschen als fertige Elemente angetroffen werden, ohne welche die Beobachtung, also die eine Quelle der exakten Wissenschaft ihre bewußte Tätigkeit nicht beginnen könnte.

Im strikten Gegensatz nun zur Definierbarkeit der Begriffe Licht, Wärme usw. in einem objektiven Sinn steht die völlige Undefinierbarkeit der gleichbenannten Begriffe, sofern sie subjektive Qualitäten der Empfindung bedeuten. Denn weder eine Bewegung, noch irgendetwas Vorstellbares, überhaupt nichts an die Stelle zu Setzendes entspricht den verschiedenen Empfindungsqualitäten: wir finden sie als etwas zuerst Gegebenes, Unvergleichbares, folglich Unerklärliches ausschließlich in uns selbst vorhanden. Die vorstellbare Schwingung der Äthermoleküle, welche wir Licht nennen, sind wir aus allgemein zugestandenen Gründen genötigt, für die Ursache zu halten von einer Wirkung, welche die Funktion dieser Ursache ist, d. h. welche sich innerhalb gewisser Grenzen ändert, wenn sich die Ursache ändert; die Wirkung selbst ist aber nicht mehr durch etwas ihr Korrespondierendes vorstellbar, sondern nur empfindbar und zu vergleichen nur mit der identischen Art von Wirkung, von welcher die eigene Erinnerung allein Beispiele darbieten kann.

Somit ist die Bewußtseinsfrage eigentlich schon durch die Auffassung der naturwissenschaftlichen Begriffe beantwortet. Nach der vorhin zitierten Stelle der kantischen Vernunftkritik gehen diese Begriffe "nur so weit, als die ihne korrespondierenden Gegenstände gegeben werden können", nur soweit können sie also befähigen, um Etwas zu verstehen, d. h. gleichfalls nach KANT (Kritik der reinen Vernunft, 1781, Seite 80): ein Objekt der Anschauung zu denken. Hiernach wären nun auch die Begriffe Wärme, Licht, Schall etc. nur in der einen ihrer zwei Bedeutungen naturwissenschaftliche Begriffe, nämlich nur insofern durch sie die Anschauung schwingender Körperteile gegeben wird; in der anderen Bedeutung, nach welcher sie innere, subjektive Zustände der Empfindung bezeichnen, würden sie sich, streng genommen, schon der Kompetenz der Naturforschung entziehen. Vollständig wäre das allerdings dann der Fall, wenn man der Definition zuliebe sowohl das Wesentlichste in der Physiologie der Sinnesorgane als auch das ganze neu eroberte Gebiet der Psychophysik aus dem Verband der naturwissenschaftlichen Disziplinen ausschließen würde; doch wird man dies zweckmäßigerweise mit Rücksicht auf gleichgeartete Interessen nicht tun; denn die dahin gehörigen Ermittlungen koordinieren sich vollkommen der beobachtenden und messenden Forschungsmethode und deren Resultaten: es handelt sich daselbst stets um Beobachtungsgrößen rein empirischer Natur, zwischen welchen innerhalb gewisser Grenzen auch mathematisch-funktionelle Verhältnisse konstatierbar sind. Die in der Psychophysik interessierenden Größen sind das Irritament [Reiz - wp] und die Empfindung, z. B. ein Gewicht und die dadurch verursachte Druckempfindung; das Verhältnis zwischen beiden ist formuliert, wenn man sagt: die Druckempfindung nimmt zu wie der Logarithmus der Gewichtsgrößen, d. h.: wenn verschiedene nacheinander hervorgerufene Druckempfindungen sich verhalten wie 1 : 2 : 3, so haben die verursachenden Gewichte das Verhältnis 10 : 100 : 1000. Hier wir in allen hergehörigen Fällen wird die Größe des Irritaments (des Reizes) konstatiert durch sinnliche Wahrnehmung, also durch die Zusammenwirkung von Empfindung und nichtsinnlichen Bewußtseinsvorgängen; die Größe der durch den Reiz verursachten Empfindung wird durch das Bewußtsein allein konstatiert. Dieses selbst bleibt daher von der eigentlichen Untersuchung als Objekt ganz ausgeschlossen; es ist nur als Berichterstatter dabei beteiligt; es muß schon in voller Leistungsfähigkeit bereit sein, ehe die Vorgänge des Empfindens beginnen, über welche seine Aussagen verlangt werden. Das Bewußtsein figuriert also auch hier als ein ausschließlich subjektiver Faktor, und wenn man sich die für jede Erkenntnis erforderliche Distinktion der unterscheidbaren Begriffe gegenwärtig hält, so erscheint ein Zweifel über die für den Begriff Bewußtsein hier diskutierte Frage gar nicht mehr zulässig. Denn, während die Worte Schall, Licht, Wärme etc. für je zwei ganz verschiedene Begriffe gebraucht werden, dient das Wort Bewußtsein nur einer, nämlich nur der subjektiven Bedeutung, und die Anforderung, daß man auch diesem Begriff einen korrespondierenden Gegenstand in der Welt des Nicht-Ich geben soll, oder aber, daß man sein Wesen in demselben Sinn als Objekt einer direkten Beobachtung unterwerfen soll wie irgendeine Art sinnlicher Empfindung, - diese Anforderung leuchtet als eine ganz widersinnige ein, als eine solche, deren Möglichkeit man nur aus jener Verwirrung erklären kann, welche, wie wir gesehen haben, durch den Doppelsinn sprachlicher Bezeichnungen für andere Begriffe verschuldet war.

Das ausschließlich Innerliche und dabei nicht sinnlich Qualifizierbare, das ist eben das Wesen des Begriffs Bewußtsein, und alle Definitionen können immer nur wieder tautologisch auf eine Erfahrung rekurrieren, welche erstens durch eine irgendwie sinnliche Empfindungsqualität nicht zu charakterisieren ist, und die zweitens gleich einer Empfindung ausschließlich innerliche, dem Ich allein zukommende Existenz hat, - man mag nun mit HERBART das Bewußtsein als "die Gesamtheit alles gleichzeitigen wirklichen Vorstellens" auffassen, oder mit KANT dafür stimmen, daß
    "das Bewußtsein ansich nicht sowohl eine Vorstellung ist, die ein besonderes Objekt unterscheidet, sondern eine Form derselben überhaupt, sofern sie Erkenntnis genannt werden soll" (Kr. d. r. V. 1781, Seite 346), - "die bloße subjektive Form aller unserer Begriffe." (ebd. Seite 361).
Dem Unternehmen, das Wesen des Bewußtseins in Etwas zu suchen, was selbst sinnlich vorstellbar, selbst anschaulich wäre, und von dessen Manifestation mehr unmittelbare und gleichzeitige Zeugen zu denken wären als ein Ich, - jedem derartigen Unternehmen ist in einem Distichon SCHILLERs ein schlagendes Urteil gesprochen:
    "Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen?
    Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr."
Das Sprechen ist hier in einem prägnanten Sinn auf jede mögliche Äußerungsform zu deuten: die Wahrheit bleibt dieselbe.

Sicherlich liegt dem hoffnungsraubenden Ausspruch des Dichters ein verständlicherer Sinn zugrunde als der rednerischen Trostverheißung, mit welcher TYNDALL kurz vor der Entlassung seines Auditoriums die Klarheit des Gedankens wieder verdüstert, mit dessen glücklicher Formulierung er uns in derselben Rede vorher erfreut hatte. Hier ist die Wolke, - obgleich von TYNDALL vorgeführt, so doch das Gegenteil einer aktinischen [radioaktiven - wp]:
    "Vielleicht, dafs das Geheimnifs sich eines Tages in Wissen auf? War doch bis jetzt der Gang der Dinge auf dieser Erde der der Vervollkommnung. Es ist ein langer Weg vom Iguanodon [Dinosaurier - wp] und seinen Zeitgenossen bis zu dem Präsidenten und den Mitgliedern der Britischen Gesellschaft. Und mögen wir nun die Verbesserung vom Standpunkte der Wissenschaft als das Ergebnis stetiger Entwickelung beurtheilen, oder vom Standpunkte der Theologie als das Ergebnifs ununterbrochener Kundgebungen von Schöpferkraft, — keine von beiden Anschauungen berechtigt uns zu der Annahme, dafs die gegenwfärtigen Fähigkeiten des Menschen die Reihe beschließen, — daß bei ihm die fortschreitende Vervollkommnung Halt macht. Wohl mag also die Zeit noch kommen, in welcher dieses überwissenschaftliche Gebiet, von dem wir uns jetzt umschlossen finden, sich selbst darbieten wird, wenn nicht für die menschliche, so doch für die irdische Erforschung. Zwei Drittel der von der Sonne entsendeten Strahlen erregen keine Gesichtsempfindung in unserem Auge. Die Strahlen sind da, aber es fehlt am Sehorgan, um die Strahlen in Licht umzusetzen. Und so mögen auch jetzt von jener dunklen, geheimnisvollen Sphäre, die uns umgibt, Strahlen ausgehen, für welche nur die geeigneten Organe des Geistes noch nicht entwickelt sind, um sie in ein Wissen zu übertragen, welches so weit über dem unsrigen ist wie dieses über dem Wissen jener einstigen Bewohner dieses Planeten, der sich umherwälzenden Reptilien." (Essays on the use and limit of the imagination in science, 1871, Seite 64 und 65)
Nun freilich wohl: da alle menschlichen Bestrebungen die gemeinsame Voraussetzung haben, daß sie nicht übermenschlich sind, so können auch die Versuche, unsere menschlichen Begriffe, die naturwissenschaftlichen wie die philosophischen, zu einer Klarheit zu entwickeln, deren sie fähig sind, nur für das menschliche Auffassungsvermögen Geltung beanspruchen. Halten wir uns daher an den menschenzugänglichen Sinn der Wort TYNDALLs, so bleibt es eben dabei, daß wir es als menschenunmöglich konstatieren müssen, die Erscheinungen des Bewußtseins jemals als Erscheinungen von Bewegung zu denken.

Suchen wir für die Schwärmerei TYNDALLs nach einer psychologischen Erklärung, so bleibt uns nur übrig, anzunehmen, daß der Blick in eine so äonenferne Zukunft, wie er von TYNDALL getan wird, eine ähnliche Wirkung auf den Seher geübt hat, wie sie dem körperlichen Auge durch die Luftperspektive bereitet wird: poetische Verdüsterung auf Kosten der Deutlichkeit des Erkennens. Aber ratlos bleibe ich in der psychologischen Deutung gegenüber WUNDT, welcher sich so vernehmen läßt (Menschen- und Tierseele, Bd. 1, 1863, Seite 199):
    "Dies ist das wichtige Endergebnis dieser Untersuchungsreihen, durch das mit einem Mal der Gegensatz zwischen physischen Vorgängen in den Sinnesorganen und Nerven und dem psychischen Akt der Empfindung aufgehoben wird: beide Akte sind miteinander identisch, es kommt nur auf den Ausgangspunkt an, den wir nehmen, ob die Dinge uns in der einen oder in der anderen Form erscheinen. Damit ist der Dualismus des materiellen und psychischen Geschehens bei der Empfindung im Prinzip aufgehoben."
Oder noch einfacher und kerniger auf Seite 200: "Denn Mechanismus und Logik sind identisch."

Dieses Thema eines mutigen Neuhegelianismus wird in dem genannten, sonst sehr lesenswerten Werk unverdrossen durchvariiert.

Mag nun die durch TYNDALL und WUNDT gestörte Harmonie des Schlusses wieder hergestellt werden durch die Stimme eines älteren Naturforschers, dessen Worte ich von den kräftigsten seiner Nachkommen wesentlich bestätigt gefunden habe, nachdem bei Einigen die Abwendung vom Sinn des Meisters sehr bald mit der eigenen Selbstverurteilung geendet hatt. JOHANNES MÜLLER spricht sich im "Handbuch der Physiologie" (Bd. 2, 1840, Seite 516) so aus:
    "Die Energie oder der Modus des Seelenlebens im engeren Sinne ist das Bewußtwerden, Etwas, was sich nicht weiter, als durch das Bewußtwerden an sich selbst aufklären und so wenig beschreiben läßt, als Ton, Blau, Rot, Bitter." ...

    "Obgleich ferner die Klarheit und Schärfe des Vorstellens, Denkens und die Tiefe des Leidens durch materielle Veränderungen des Gehirns verändert werden, und die Integrität des Gehirns durchaus zum Bewußtwerden nötig ist, so kann doch das Seelenleben nicht aus materiellen Veränderungen des Gehirns erklärt werden, und muß das Leben der Seele vielmehr als eine von räumlichen Verhältnissen, seinem Wesen nach ganz unabhängige Tätigkeit angesehen werden, auf deren Klarheit und Schärfe nur der Zustand des Gehirns Einfluß hat."
Für Angelegenheiten übermenschlicher Intelligenzen aber tun wir wohl gut, uns der Worte LESSINGs zu erinnern:

"Törichte Sterbliche, was über euch ist, ist nicht für euch!"
LITERATUR - Wilhelm Tobias, Grenzen der Philosophie, Berlin 1875
    Anmerkungen
    1) Wo im Folgenden die Zitate aus Kants Werken ohne Zusatz gegeben werden, ist immer die Ausgabe von Rosenkranz-Schubert gemeint.
    2) John Tyndall, Essays on the use and limit of the imagination in science. Second Edition, London 1871, Seite 8, "To the Editor of the Record", Seite 6.
    3) Die ganze Stelle ist vor dem Tod von David Friedrich Strauß geschrieben.