W. SchuppeTh. ZiehenH. Cohen | ||||
Meine Erkenntnistheorie und das bestrittene Ich [Eine Antwort auf Ziehens "Erkenntnistheoretische Auseinandersetzungen"]
Mit welchen Mitteln nun könnte der Begriff der Wahrheit und Wirklichkeit oder des wahren Denkens, d. h. des Denkens von Wirklichem, geprüft werden? Es wäre der größte Unsinn von der Welt, a priori deduzieren zu wollen, was das Denken ist (- das Deduzieren wäre ja eben selbst ein Denken und was das prius sein sollte, wäre nicht erfindlich -), und somit ist es ebenso ausgeschlossen a priori den Begriff des wahren Denkens zu konstruieren. Wir kennen das Denken und wahres und falsches Denken aus der Erfahrung. Dieses Denken vor aller philosophischen Reflexion kann auf die Frage, was es eigentlich ist, keine Auskunft geben, aber es reicht zur richtigen Subsumtion aus. Niemand wird Essen und Trinken als Denkakte anführen. Wir reflektieren also auf viele und verschiedene Gedanken oder Denkakte von uns selbst und von anderen Menschen, und nun heißt die Aufgabe Analyse. Diese macht nicht nur die Bestandteile, sondern auch ihren Zusammenhang sichtbar und zeigt als tatsächliche Grundvoraussetzung, daß widersprechende Meinungen nicht zugleich wahr sein können, als eine von ihnen nicht wirkliches Sein zu ihrem Inhalt hat. Das wirkliche Sein ist ein lückenloses in sich übereinstimmendes Ganzes, weshalb der Widerspruch der Anzeiger eines Irrtums ist, und diese Reflexion ergibt ferner, daß die Unerträglichkeit des Widerspruchs nicht nur ein in all unserem Denken beobachtbare Tatsache ist, sondern auch daß sie selbst notwendig ist, weil wir selbst überhaupt nicht sein, weil es ein Bewußtsein überhaupt nicht geben könnte, wenn wir diese Meinung nicht haben dürften. Sehen wir ganz von dieser Notwendigkeit, d. h. Gesetzmäßigkeit, welche die Data zu einem Ganzen verbindet, ab, so wird Bewußtsein undenkbar. Dann wäre auch der Erdboden zu unseren Füßen unsicher und nichts stünde im Weg, daß er plötzlich verschwände, auch unser Leib mit allen Teilen plötzlich in nichts zerrönne; Dinge mit Eigenschaften gäbe es nicht. Und wenn nun die Reflexion auf unsere eigenen und anderer Menschen wirkliche und vermeintliche Erkenntnisse diese Meinung stets in ihnen als selbstverständliche Voraussetzung vorfindet, so ist es nur natürliche, daß sie auch diese Meinung von einem notwendigen oder gesetzlichen Zusammenhang, der das viele Mannigfaltige zu Einheiten und diese alle zu einer Einheit verbindet, dem notwendigen Zusammenhang einordnet. Der Schluß ist einfach. Daß nicht das Rote, weil es rot ist, und nicht das Harte, weil es hart ist, nicht nur die unmittelbaren Sinnesempfindungen, weil sie unmittelbare Sinnesempfindungen sind, eine solche Einordnung in einen gesetzlichen Zusammenhang verlangen, ist leicht zu schließen, und so springt schnell das Ergebnis hervor, daß das alles, bloß weil es ein Inhalt von Bewußtsein ist, diese Einordnung verlangt. Und dieses "bloß weil es Inhalt von Bewußtsein ist" ist völlig gleichbedeutend mit: diese Meinung gehört eben zum Bewußtsein und es kann kein Bewußtsein geben, welches nicht in dieser Meinung alles, was ihm gegeben ist, verknüpfte, gleichviel welcher Art der gegebene Inhalt sein mag. Also die Reflexion rechnet das Kausalprinzip in dem dargelegten Sinn zum Bewußtsein überhaupt, womit aber nicht gesagt ist, daß das Subjekt des Denkens dasselbe aus sich selbst in einem Denkakt geschaffen hat und dann wie einen Apparat auf das Gegebene anwendet. Vielmehr habe ich gelehrt, daß die Reflexion auf die eigenen Erkenntnisse diesen Gedanken wie eine selbstverständliche Voraussetzung in diesen vorfindet, und dann zu der Erkenntnis gelangt, daß er unentbehrlich und die Grundlage aller Erkenntnis ist. Deshalb hat er objektive Geltung, nicht bloß für Menschen, sondern für alle bewußten Wesen, die sich jemand noch erdenken mag, und ist von den Wahrnehmungen der Zukunft unabhängig. Wo und wann auch immer die Wahrnehmung Widersprüche zu bieten scheinen mag oder scheinen wird, da sind entweder die Wahrnehmungen falsch (Sinnenschein, der sicherlich noch seine Erklärung finden wird), oder die Gesetze, welchen die Wahrnehmungen widersprechen; sie werden ihre Berichtigung finden. Bloßen Beziehungen sind für sich allein nichts; aber sie sind etwas ganz Wirkliches und zwar sehr Wichtiges als die Beziehungen unter Etwas, die der Identität und Verschiedenheit, und die der notwendigen Koexistenz oder Sukzession. Und wenn man nicht die allgemeinste Vorstellung von solchen Etwas mitdenkt, so ist die bloße Kausalität gar kein vollziehbarer Gedanke. Sie ist ein Gedanke, aber eben eine Abstraktion, welche immer auf die Etwas, welche in solchen Beziehungen stehen, hinweist. Diese Beziehungen können wir auch logische Bestimmtheiten und jene Etwas Objekt nennen, natürlich Objekt des Denkens, da wir ja die Gedanken Kausalität und Identität dem Denken selbst zugerechnet haben. Ob dem Denken selbst noch etwas anderes zuzurechnen ist oder ob es noch in etwas anderem besteht? Ich weiß nichts, und so muß ich gestehen, daß nach meiner Analyse das Denken ohne Objekte nichts ist. Nichts denken ist überhaupt nicht denken. Es ist kein Widerspruch, daß das Denken mit seinen Objekten etwas wohl von ihnen Unterscheidbares ist (die Beziehungen), ohne Objekte aber gar nichts. Und wenn es nun etwas von seinen Objekten Unterscheidbares ist, die Beziehungen der Identität und Kausalität, welche wir den Objekten als etwas ihnen selbst Zukommendes und Anhaftendes beilegen oder an ihnen vorfinden, so ist es doch immer etwas im Bewußtseinsinhalt oder mit anderen Worten etwas, dessen wir uns als Bestimmtheit der Objekte bewußt sein, und so ist es doch nur eine Umgestaltung des Ausdrucks ohne jegliche Änderung des Sinns, wenn ich sage: das Denken ist ein Bewußtsein von diesen (logischen) Bestimmtheiten der Objekte, und, daß diese Bestimmtheiten der Objekte nicht bewußt sein könnten, wenn die Objekte selbst nicht bewußt wären, so ist das Denken zunächst Bewußtsein, natürlich nicht ohne, sondern mit einem solchen Inhalt. Es ist schon das Werk der Analyse, diese beiden Momente, das Bewßtsein selbst und seinen Inhalt, d. h. alles, was bewußt ist, wohin nicht nur alle Empfindungen, sondern auch alle Erinnerungs- und Phantasiebilder, alle abstrakten Begriffe, alles Überlegen und Betrachten und Schließen, alle Gefühle und Strebungen gehören, zu unterscheiden. Und es ist ferner das Werk der Analyse, daß wir in diesem ganzen Bewußtseinsinhalt die sogenannten Prinzipien der Identität und Kausalität von ihren Objekten unterscheiden, und die hinzukommende Reflexion läßt sie als Grundbedingung nicht dieses oder jenes, um seiner Besonderheit willen, sondern alles Bewußtsein ohne Inhalt ist nichts. Aber sobald erst bewußte Empfindungen, Gedanken, Gefühle, Strebenungen da sind, ist es sehr leicht in der Abstraktion von diesen seinen Inhalten zu unterscheiden, von ihnen gefordert, in ihnen mitgesetzt. Nehme ich eins von den beiden, Bewußtsein und sein Inhalt, weg, so ist auch das andere verschwundenk, setze ich eins von beiden,, so ist auch das andere mitgesetzt. Hier ist, wie ich zur grellen Verbildlichung schon gesagt habe 2 - 1 = 0. Mein Gegner könnte es freilich eine deductio ad absurdum nennen. Wenn sich aus meinen Voraussetzungen ergibt, daß 2 - 1 = 0 ist, so müssen sie falsch sein. Aber Bewußtsein und sein Inhalt sind keine Summe. Zur zwei gehört, daß ich eins und eins zusammenfassen und diese eins müssen, um zählbar zu sein, gleichartig sein oder von Seiten eines ihnen Gemeinsamen aufgefaßt und benannt sein. Aber gerade dies ist beim Bewußtsein und seinem Inhalt nicht der Fall; sie sind nicht nebeneinander oder nacheinander, sondern in concreto ein Ganzes und keiner der Teile kann ohne den anderen eine konkrete Existenz haben, deshalb nenne ich sie auch ausdrücklich Abstraktionen oder abstrakte Momente. Bewußtsein und sein Inhalt ist die Definition des Seins. Es ist so. Wer um jeden Preis eine "Erklärung" haben will, wird sie im Transzendenten suchen müssen, wo sie ja schon gesucht worden ist, aber mir ist dieses schöne Land verschlossen; ich begnüge mich mit der Feststellung des Tatbestandes und kann mich gar nicht genug darüber wundern, daß man sich über die Ansprüche, welche an eine "Erklärung" zu machen sind, so wenig Rechenschaft gibt. Es genüge also, daß keiner der beiden Bestandteile für sich allein existieren oder auch nur gedacht werden kann, weshalb sie ein ursprüngliches Ganzes sind. Einst war ich sehr stolz darauf, das erkenntnistheoretische Problem dadurch gelöst zu haben, daß ein erklärungsbedürftiges Aneinandergeraten von Bewußtsein und Inhalt überhaupt gar nicht stattfindet, daß nur für die Besonderheiten der wechselnden Qualitäten eine Gesetzmäßigkeit zu finden ist, wie aber überhaupt Bewußtsein einen Inhalt haben kann, nicht gefragt werden kann, daß ein "Eingreifen" und ähnliche Ausdrücke nur Bilder sind und eine Vermittlung gar nicht stattfinden kann, und nun muß ich es erleben, daß mir ZIEHEN nachsagt, meine Erkenntnistheorie lehre, daß das Subjekt die Objekte "ergreift" und dadurch zu seinem Bewußtseinsinhalt macht! (1) Die Schwierigkeiten im Begriff des Bewußtseins sind mir wohlbekannt (siehe "Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie", Seite 137), aber sie können, auch wenn sie ungelöst bleiben, nicht bewirken, daß jemand sich einredet, er wüßte nicht, daß er existiert, er hätte wirklich kein Bewußtsein und dächte auch nicht. Es wäre ein vollendeter Widerspruch, wie wenn jemand mit ernster Miene versichert: Ich bin nicht! Das Bewußtsein mit seinem Inhalt bleibt eine unerschütterliche Erfahrungstatsache. Ich glaube nur ein konsequenter Empirist zu sein. Aber nun ergibt sich die Frage: was ist Erfahrung? Warum muß ich mich, darf ich mich nur an die Erfahrung halten? Sie setzt ein Gegebenes, welches ich erfahre, voraus. Was heißt "gegeben"? (2) Ich muß nun, um diese Fragen zu beantworten, vom Ich, obwohl es bestritten ist und obwohl ich im Obigen noch nichts zu seiner Rettung gesagt habe, Gebrauch machen. Also vorläufig sei es vorausgesetzt als derjenige, dem etwas gegeben ist, der es empfängt, annimmt und so eine Erfahrung macht. Der Gegensatz ist belehrend; er ist bekanntlich dasjenige, was einer selbst als sein Eigenes hat, oder was er aus sich schafft, hervorbringt, erdenkt. Und da wäre die Frage, wie den überhaupt dergleichen möglich ist, sowohl daß jemand etwas als sein ursprüngliches Eigen hat oder rein aus sich schafft oder hervorbringt, als auch, daß jemandem etwas von außen gegeben, in ihn hineinsuspendiert wird, mit dem Erfolg, daß es nun von ihm als seine Erfahrung gewußt wird. Die Antwort hängt allein davon ab, was man sich beim Ich, als dem Subjekt des Empfangens und Erfahrens einerseits und dem Besitzer eines ursprünglich Eigenen oder dem Subjekt des aus sich selbst Heraus- oder Hervorbringens andererseits denkt. Wie verschieden das Ich abgegrenzt werden kann und auch wirklich abgegrenzt wird, habe ich in den "Grundzügen der Ethik der Rechtsphilosophie" im Interesse der ethischen Theorie erwähnt. Hier muß es zur Klärung der Begriffe Empirismus, Erfahrung und Gegebenes und ihres Gegensatzes aufs Neue berührt werden. Wer von sich selbst sprechend seinen Leib mit seinen Sinneswerkzeugen in seiner ganzen räumlichen und zeitlichen Bestimmtheit und alle seine Grundsätze und Grundgefühle, verquickt mit allen seinen Erlebnissen, denkt, kann keinen Zweifel darüber haben, wie ihm etwas gegeben sein kann. Er sieht und hört und weiß auch, daß er von all dem Gesehenen und Gehörten keine Vorstellung haben, nichts wissen würde, wenn er es nicht gesehen und gehört hätte. Er rechnet das Sehen und Hören selbst zu sich, die gehörten und gesehenen Dinge aber nicht. Die Unklarheit dieser Rechnung geht uns an dieser Stelle nichts an. Genug, daß das Subjekt diese Dinge nicht zu sich rechnet aus dem bekannten Grund, weil es unzähligemal in ganz veränderter Umgebung dasselbe geblieben ist. Aber gewisse Grundgefühle und Grundsätze (die logischen) - in welchen jeder recht eigentlich sich selbst findet - rechnet er zu sich, und wenn er aus ihnen Folgerungen zieht, so glaubte er nicht, daß ihm das Gefolgerte erst durch Erfahrung gegeben ist. Gilt für Gegebenes vor allem die sinnlich wahrnehmbare Welt, so ist zu verstehen, daß rot und grün, kalt und warm nicht direkt um ihrer Natur willen nur gegeben sein könnten, sondern daß diese durch den bekannten Wechsel sich am handgreiflichsten als nicht zum Ich selbst gehörig erweisen. Ich weiß, daß ich gestern etwas anderes gesehen, gehört und getastet habe, als heute, und kann mir denken, daß ich, derselbe, morgen wieder etwas ganz anderes wahrnehmen werde. Freilich, wenn die Wahrnehmungen alle nicht zum Ich gehören, so wäre das Ich selbst, ohne sie gedacht, auch nur eine Abstraktion und wie dem abstrakten Ich etwas gegeben werden kann, wäre ein Rätsel. Aber es ist leicht, auf die Gesetzlichkeit in ihrem Wandel hinzuweisen, und daß doch eins von den vielen immer anwesend sein muß. Dann wird das Ich doch als konkret wirkliches gedacht und der erwähnte Wechsel scheint nur zu zeigen, daß keines von ihnen gerade durch seine besondere Natur zum Ich gehört. So kann ihm etwas gegeben, wie bekanntlich auch genommen werden. Dieser Gedanke weckt viele andere, aber wir haben es hier ja nur mit den Grenzen des Ich um der Erfahrung und des Gegebenen willen zu tun. Sehen wir von dieser Konkretheit des erfahrenden Ich ab, so ist es, auch wenn ich nicht bloß den Koinzidenz- und Einheitspunkt darunter verstehe, sondern auch die Normen des Denkens zu ihm rechne, doch ein Abstraktum. Denn wirklich gedacht kann doch nur werden, wenn ein Objekt da ist. Aber die Reflexion des konkreten Ich kann in sich vieles unterscheiden und das Verhältnis unter den Unterschiedenen erkennen lassen. Sie zeigt das Moment des Bewußtseins in Abstraktion von seinem Inhalt und läßt erkennen, daß es ohne einen solchen eine reine Undenkbarkeit wird. Also zwar nur das ganze, das erfahrende Ich kann diese Erkenntnis machen, aber diese Erkenntnis lautet: es gehört zu meinem Wesen, dem des Ich oder des Bewußtseins, daß es einen Inhalt haben muß, nicht weil ich ihn bei gehöriger Anstrengung in einem abstrakten Ich-Moment entdecken könnte - das wäre Unsinn -, sondern weil das Ich- oder Bewußtseinsmoment sofort verschwindet, wenn ich vom Inhalt abstrahiere. Und mit den Denknormen geht es ebenso. In ihnen, wenn ich sie für sich allein zu denken versuche, ist selbstverständlich nichts, was ich denken könnte, enthalten. Ich kann nur dasselbe Experiment erkennen, daß ein Inhalt, aber nur in vager Allgemeinheit ein Inhalt dazu gehört; aber in den abstrakten Denknormen finde ich ihn nicht. Welcher Art er sein muß, geht aus ihnen selbst nicht hervor. Die Logik behilft sich mit Buchstabensymbolen. Und wenn ich solche Anzeiger von irgendetwas, was identifiziert, unterschieden oder kausal verknüpft wird, nicht mit denken dürfte, wären auch Identität und Kausalität nicht mehr denkbar. Die besondere Art dieser Etwas oder dieser Bestimmtheiten, in welchen wir uns finden, ist für den bloßen abstrakten Begriff des Denkens und den ganz allgemeinen Begriff von etwas als seinem Inhalt, etwas Neues, nicht in ihm enthalten, also gegeben. Mache ich (ich meine natürlich dieses konkrete erfahrende Ich) die Abstraktion des reinen Ich, d. h. des Ich ohne jede Spur eines Bewußtseinsinhaltes, so zeigt sich, daß dieses Ich, das ganz leere, unmöglich etwas von sich wissen könnte, und insofern ich es nicht ohne Inhalt denken kann, gehört er (natürlich in vagster Allgemeinheit) zum Ich. Insofern ich aber, wenn ich nicht als dieses konkrete Ich diese Reflexionen und Abstraktionen anstelle, gar nichts davon wissen könnte, also auch aus jenem abstraktesten Abstraktum nicht schließen könnte, daß es solche konkrete Ichs gibt und geben muß, ja sogar von solchen keine Ahnung hätte, kann ich sagen, daß jeder sich selbst erfährt, sich selbst gegeben ist. Und ebenso finde ich mein Denken durch Reflexion natürlich auf meine konkreten Gedanken (ich habe es mir nicht gedacht, ohne dasselbe wäre ich gar nicht), und erst recht finde ich mich als diesen bestimmten Leib in Raum und Zeit mit allen durch ihn vermittelten Wahrnehmungen. So ist begreiflich, daß und warum wir auf die Erfahrung angewiesen sind. Dieser Empirismus ist völlig erwiesen. Doch haben wir zur Ergänzung die Frage zu beantworten: wie in aller Welt kann, wenn die Sache so einfach ist, jemand darauf verfallen sein, daß es noch eine andere Erkenntnis gibt und worin ist sie gefunden worden, könnte sie gefunden werden? Nach ältester und noch nie verlassener Meinung ist diejenige Erkenntnis oder dasjenige Denken wahr, welches Wirkliches zu seinem Inhalt hat. Wir sind somit auf den Begriff des Wirklichen verwiesen. Eine Definition davon läßt sich nicht geben; nur der überlieferte Gegensatz des bloßen Scheins läßt sich klären, wie ich es in meiner "Erkenntnis-Logik" (Seite 644f) und dem "Grundriß" (Seite 168) versucht habe. Erst die Möglichkeit eines trügerischen Scheins hat zum Begriff des Wahren und Wirklichen geführt. Ich habe die Kriterien des Wahren und Falschen oben schon andeutungsweise genannt. Das Kausalitätsprinzip leistet diesen Dienst natürlich nur in der Fassung, die ich ihm gegeben habe. Wie man dazu gekommen ist, Nichtgegebenes für Wirkliches zu halten, ist leicht zu sehen. Das Bedürfnis der einheitlichen Weltauffassung hat die Phantasie in Bewegung gesetzt; die Unvollständigkeit des Erfahrungsmaterials, die Mängel der Reflexion und die Unklarheit der Begriffe haben es verschuldet. Der Fehler ist ganz offenbar: Bei den berechtigten Hypothesen in den Wissenschaften wird ein Etwas gesetzt, welches nach schon anerkanntem Naturgesetz eine Erscheinung erklären kann. So wurden die Unregelmäßigkeiten in der Bewegung des Uranus durch die Annahme eines Planeten jenseits desselben (des Neptun) erklärt, der ja auch dann gefunden worden ist. Hier aber bei den Hypothesen, welche für wissenschaftlich wertlos erklärt werden, wird nicht nur Etwas, sondern auch das Gesetz seines Wirkens erhypothesiert. Einem seinem Begriff nach unwahrnehmbaren Etwas wird zugemutet, die Rolle der Ursache zu übernehmen, oder die und die Wirksamkeit auszuüben. Ein solches Nichts ist die Substanz oder das Substrat mit der erdichteten Fähigkeit die Eigenschaften an sich zu tragen oder an sich haften zu lassen und ebenso die Seele (das Beiwort immateriell macht die Sache nicht besser) mit der ebenso erdichteten Fähigkeit, Bewußtsein, Denken und Fühlen zu tragen oder in oder aus sich entstehen zu lassen, auch den Stoff auf sich wirken zu lassen und auf den Stoff zu wirken. Der Begriff der Seele und mißdeutete Erfahrungen ließen die Empfindungen mit ihren Inhalten zu innerseelischen Existenzen machen, welche handgreiflich der altüberlieferten Anforderung an das Wirkliche, von den individuellen Bewußtseinen unabhängig zu sein, nicht entsprechen. Also mußte wiederum ein außerseelisches Etwas gesetzt werden mit der Bestimmung, daß diese innerseelischen Dinge und Vorgänge ein Korrelat zu ihm sind - alles derselbe Fehler -. Also nicht nur das Etwas wird erhypothesiert, was in dem Fall, daß es nach seinem schon anerkannten Naturgesetz eine Erscheinung erklärt, durchaus nicht mißbilligenswert ist - sondern auch das Gesetz bzw. das Wirken ist Dichtung. Diese Wissenschaft kann bekanntlich "die Träume eines Geistersehers erläutern". Das habe ich in meinen logischen Schriften genug auseinandergesetzt. Es ist also kein Dogma, keine subjektive Laune, nur Erfahrungen anerkennen zu wollen, sondern der Empirismus als Erkenntnistheorie ist bewiesen. Diesen Beweis habe ich deshalb unternommen, weil er zugleich die unentbehrliche Aufklärung über den Begriff der Erfahrung gibt. Wenn diese letztere fehlt, so ist es ein reines Dogma - nicht mehr wert, als alle anderen - daß nur die Empfindungsinhalte im engeren Sinn, z. B. rot und grün, hart und weich, warm und kalt, Wirkliches sind und daß alles andere, was nicht dieser Art ist, schleunigst als Dichtung zu verwerfen ist. Der Begriff der Erfahrung hat sein Wesen in dem des Gegebenen, wie ich es oben gelehrt habe. Es muß etwas Positives, Inhalt oder Objekt des Denkens sein, das der Begriff der Identität und Verschiedenheit und der Kausalbeziehung aus sich nicht hervorbringen kann. Der Begriff des Gegebenen ist ohne den seines Gegensatzes absolut unverständlich. Der Gegensatz war, je nach dem Zusammenhang der Gedanken und der Natur der Sache, um die es sich handelt, das Eigene zu eben demselben Ich, welches Empfänger des Gegebenen ist, Gehörige und es selbst Ausmachende. Man kann behaupten, daß aus letzterem allein keine Erkenntnis hervorgehen kann, aber man kann dabei nicht zugleich behaupten, daß solches gar nicht existiert. Jedenfalls wäre das nicht mehr Empirismus. Meine obige Überlegung scheint mir entschieden zu haben, daß Gegebenes auch solches sein kann, was weder Farbe noch Ton noch Geruch noch Geschmack, noch Temperatur noch Tastbares ist. Wer das bestreitet, muß die Gefühle der Lust und Unlust, die doch weder rot noch grün etc. sind, für Nichtwirkliches, für eine metaphysische Dichtung halten, und da auch die Beziehungen, welche ja auch ZIEHEN in seiner psychophysiologischen Erkenntnistheorie statuiert, die erkannte Identität oder Verschiedenheit zweier Sinnesempfindungen nicht selbst Sinnesempfindungen, rot oder grün, sind, so müßten auch diese zu den metaphysischen Dichtungen gehören, wogegen ich überzeugt bin, daß sie in der Reflexion auf alle unsere Gedanken angetroffen und als Grundbedingung allen Denkens erkannt werden. Und ZIEHEN kennt ja ferner auch bewußte Empfindungen, also auch Bewußtsein, denn was könnte Bewußtsein anders sein, als bewußte Empfindungen und bewußte Identitäten und Verschiedenheiten und Kausalbeziehungen? Das Bewußtsein oder die Bewußtheit von rot und seiner Verschiedenheit von grün steht doch nicht neben diesen als auch eine wahrnehmbare Färbung, und nach ZIEHEN selbst gehört sie doch nicht zu den metaphysischen Dichtungen. Und wenn ich nun Bewußtsein, welches keines Ich, d. h. niemandes Bewußtsein, ist, nicht kenne, also mit diesem Bewußtsein immer auch ein Ich, dessen es ist, denken muß, so wird der Umstand allein, daß dieses Ich selbst, so wenig wie die Bewußtheit von rot oder hart oder warm, als eine Färbung oder was ähnliches empfunden wird, nicht als Beweis dafür, daß es nichts ist, gelten können. Ich kann mir kein Bewußtsein ohne Ich denken und sage ja auch ausdrücklich, daß ich diese Wörter promiscue [wechselweise - wp] gebrauche. Ich ohne Bewußtsein und Bewußtsein ohne Ich sind mir gleich undenkbar. Da nun ZIEHEN Bewußtsein zugibt, so muß er sich unter Ich noch etwas ganz anderes denken, als ich. Ich habe, was ZIEHEN selbst hervorhebt, vielfach den Leser gebeten, sich bei dem Ich, von welchem ich spreche, das ihm bekannte Ich zu denken, von welchem er selbst täglich so oft zu sprechen nicht umhin kann, und von welchem auch ZIEHEN spricht, und ich kann mir nicht denken, daß ZIEHEN, so oft er in seinem Aufsatz das Wörtchen gebraucht (z. B. Seite 95: "Sobald ich mein Ich mir gegenständlich mache, finde ich nichts als zahlreiche Vorstellungen etc.", sich dabei absolut nichts denkt. Er würde das sinnlose Wörtchen lieber auslassen. Aber seine theoretische Erklärung, nämliche eine Zahl durch die besondere Eigentümlichkeit ausgezeichneter Vorstellungen, denkt er dabei nicht, denn diese läßt sich, wenn er und andere das Wörchen Ich brauchen, nicht substituieren. Er denkt, so glaube ich zu sehen, wirklich dasselbe dabei, wie ich, nur täuscht er sich über das, was ich dabei denke, wie seine Polemik zeigt. Ich denke mir bei einem Ich das ganze konkrete Ich, wie es sich aus seinem ganzen Leben kennt (3), während ZIEHEN meinen Satz, daß das leere Ich sich absolut nicht selbst denken kann, wie einen Widerspruch mit mir selbst anführt, woraus doch hervorgeht, daß er, wenn ich an den von ihm angeführten Stellen vom Ich spreche, mich das leere Ich, losgelöst oder abgesondert von seinem Empfindungen und Vorstellungen, meinen läßt, was ein großer Irrtum ist. Und wenn nun ZIEHEN (Seite 95) sagt "und wenn ich mein Ich mir gegenständlich mache etc.", so bemerke ich nicht nur zu meiner Freude, daß ZIEHEN die Möglichkeit des Sich-sich-selbst-gegenständlich-machens zugibt, sondern entnehme auch daraus, daß er dabei unter sich, d. h. dem Ich als Objekt, eben wie ich auch, das ganze konkrete Ich versteht. Auch zweifle ich keinen Augenblick, daß ZIEHEN, wenn er sich zeigen soll, mit den Worten "das bin ich" niemals auf den Leib eines anderen, sondern auf den eigenen zeigen wird. Deshalb erlaube ich mir auch seine Beobachtung: Sobald ich mein Ich mir gegenständlich mache, finde ich nichts als zahlreiche Vorstellungen" dahin zu ergänzen: finde ich nichts als meine Vorstellungen oder zahlreiche Vorstellungen von mir. Es ist ein Vorurteil, daß nur die Empfindungsinhalte, z. B. rot, warm, weich und etwa noch Lust und Unlust Gegebenes also Wirkliches sind, daß also das Ich, da es nicht auch eine solche Empfindung neben den anderen ist, nicht zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand gehört, nichts Gegebenes, sondern etwas Abgeleitetes ist. Die Voraussetzung dieser conclusio ist mit nichten erwiesen. ZIEHEN braucht erst nicht zu versichern, daß er das Ich nicht auch als einen solchen Empfindungsinhalt neben den anderen in sich vorgefunden hat; es ist aus seinem Begriff einleuchtend, daß es nichts den bekannten Empfindungsinhalten Gleiches sein kann. Denn nach der Nomialdefinition ist es eben der Inhaber dieser Empfindungen und Vorstellungen und der kann doch nicht selbst wieder eine Empfindung und Vorstellung sein. Aber mit diesem unbezweifelbaren Beweis hätte mein Gegner sich selbst widerlegt. Er hätte einmal bewiesen, daß dieses Ich keine Empfindung und Vorstellung, wie alle anderen, sein kann, aber er hätte zugleich den Gedanken eines Inhabers der Empfindungen und Vorstellungen zugestanden. Was ich mir gar nicht denken kann ist dies, daß Empfindungen und Vorstellungen subjektlos sozusagen frei in der Luft schweben, daß es (Seite 93) Empfindungen gibt, die niemand empfindet, Vorstellungen, die niemand vorstellt, Gefühle, z. B. Zahnschmerz, die niemand fühlt und daß sie trotzdem bewußt sein. Seite 57 wird ausdrücklich bestritten, daß Empfindungen und Vorstellungen nur als Bewußtseinsinhalt existieren können. Ich kann dabei ZIEHENs Behauptung, ebenda, daß die Erkenntnistheorie "ichlos beginnen, d. h. von einem ichlosen Fundamentalbestand ausgehen muß", verstehen, aber in einem anderen Sinn. Vielleicht hat sich ZIEHEN dadurch täuschen lassen, daß in den Spezialwissenschaften immer von einem objektiven Tatbestand, dem Sicht- und Hör- und Tastbaren und dem Vorstellbaren die Rede ist, und daß dabei die Erwähnung des Ich, welches dies alles empfindet und vorstellt, ganz überflüssig wäre, aus dem einfachen Grund, weil es dabei ganz gleichgültig ist, weil diese Daten alle notwendig in bestimmter ihnen selbst angehöriger Gesetzlichkeit auftreten. Ebenso verhält es sich mit dem von ZIEHEN verlangten erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand; da ist, was wir suchen, und zwar ein und dieselbe Erkenntnis für alle, gleichviel welches Ichindivividuum einen Teil und welchen Teil von ihr gewonnen hat. Da ist es dasselbe, wovon Erkenntnis ausgeht und wie sie zustande kommt, nämlich die Empfindungen, die Vorstellungen und die Synthesen des Verstandes. Vom Ich, welches gerade diese oder jene Vorstellung hat, braucht da gar nicht die Rede zu sein. Was Sinnesphysiologie über die Wahrnehmungen und was Psychologie über die Vorstellungen und ihre Assoziationen und was Logik über den Verstand zu lehren vermag, ist für alle dasselbe. Aber daraus folgt nicht, daß die Empfindungen und Vorstellungen subjektlos existieren könnten und daß es kein Ich gibt und geben kann; es wird in einer anderer Hinsicht recht wichtig. Schon was es alles gibt, wirklich gibt, ist durchaus davon abhängig, daß wir selbst sagen können oder glaubwürdige Menschen kennen, welche sagen können: das habe ich gesehen, ich bin mir dessen bewußt. ZIEHEN selbst beruft sich ja oben darauf, was er bei seiner Suche nach seinem Ich gefunden und nicht gefunden hat! Wenn jeder ohne sein Ich als den Erfahrenden in Anspruch zu nehmen nur zu behaupten braucht, was es alles gibt und nicht gibt, so sind wir beim ältesten Dogmatismus angekommen. Das Ich ist durchaus keine ganz leere Vorstellung, wenn man es als den Inhaber dieser oder jener Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken, Gefühle, Strebungen kennt oder mit anderen Worten sich seiner als des Inhabers bewußt ist. Wer es leugnet, darf auch das Wort "mein" nicht verwenden. Denn im Possessivpronomen, mein sein, steckt doch ein Ich als der Besitzer. Und wenn ZIEHEN sagt: "Sobald ich mir mein Ich gegenständlich mache, finde ich nichts als zahlreiche Vorstellungen", so habe ich nicht nur aufs Neue zu konstatieren, daß es ihm möglich ist, sich sein Ich gegenständlich zu machen, sondern vor allem zu betonen, daß er ganz genau weiß, daß es die seinigen sind. Ich halte es für eine vollkommene Widerlegung, wenn ich meinen Lesern glaubhaft machen und ZIEHEN selbst zu einem Akt der Selbstbesinnung veranlassen kann, daß er seine Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken und Gefühle von denen aller anderen Menschen wohl unterscheidet, speziell die seinigen von den meinigen, da er ja eben selbst den Unterschied zwischen ihnen hervorgehoben hat. Er hat offenbar sein Ich dabei im Unterschied vom meinigen gedacht, obgleich er es, ganz wie ich auch, nicht als "ein Drittes neben den Empfindungen und Vorstellungen" findet. Das Etwas, welches sich durch Empfindungen, durch seine Vorstellungen bestimmt weiß, kann sich nicht selbst als eine von diesen es bestimmenden Vorstellungen finden, immer nur in ihnen, in jeder von ihnen als ihren Inhaber oder Besitzer oder als den Empfindenden und Vorstellenden. Ich nenne es auch den formalen Einheits- und Koinzidenzpunkt. ZIEHEN verlangt, daß dieses Ich, wenn es wirklich etwas sein sollte, noch etwas anderes, als der bloße Inhaber der Vorstellungen sein müßte, letzteres nur sozusagen im Nebenamt. Aber das ist unmöglich, denn wenn wir solches finden könnten, was das Ich noch außerdem, daß es seine Vorstellungen hat, ist, so wäre das sogleich ein Bewußtseinsinhalt, in welchem es sich, als seinen Inhaber, als durch ihn bestimmt fände. Wenn das Ich als ein Drittes neben dem Empfindungen gefunden werden sollte, so wäre sein Begriff aufgehoben, sie könnten gar nicht sein Bewußtseinsinhalt sein, es könnte sie gar nicht als die seinigen haben. Ws ich - wie ZIEHEN mir vorwirft - nicht analysiert habe, ist dieser Einheitspunkt, Ich genannt, als Inhaber allen Bewußtseinsinhaltes. ZIEHEN behauptet nun zwar nicht, daß es kein Ich gibt, aber was er in seiner vermeintlichen Analyse desselben findet, kommt dieser Behauptung gleich. Es soll eine Zahl von in bestimmter Weise ausgezeichneten Vorstellungen sein. Er setzt anstelle des Ich einen Bewußtseinsinhalt. Soll dieser sich in das Subjekt, welches ihn hat, verwandeln, oder auch als Subjekt fungieren? Dieses Ergebnis seiner Analyse setzt dieses Ich voraus und schließt es ein. Wenn wir es in Gedanken ganz fernhalten und seinen Begriff als Inhaber der Vorstellungen wegdenken, so ist absolut nicht ersichtlich, wie jemand dazu kommen konnte, ein Quantum von Empfindungen und Vorstellungen ein Ich zu nennen. Es wäre auch ihr Zusammen nicht verständlich. Zusammen kann nur heißen entweder, daß sie von einem Beobachter in räumlicher Nähe erblickt werden, oder daß sie desselben Subjektes Vorstellungen sind. Und wenn jemand meinen sollte, daß anstelle dieser Ichfiktion der einzig wahre Sachverhalt, nämlich eine Zahl von ichlosen Vorstellungen zu setzen ist, so ist all das, was die Menschen immer schon in allen Sprachen von einem Ich ausgesagt haben, unmöglich. "Ich war infolge dieser Nachricht sehr betrübt und beschloß usw." heißt "eine, irgendeine" (nicht meine, denn "meine" gibt es ja nicht, wenn mein Ich nichts ist) Menge von Vorstellungen war infolge dieser Nachricht sehr betrübt, und beschloß das und das zu tun". Ich kann den Sinn dieses Satzes nicht erkennen. Sollte aber jemand den Sinn dahin erklären, daß zum Bestand von Vorstellungen noch die Betrübnis über die erhaltenen Nachrichten und der Beschluß, etwas zu tun, hinzutritt, so würde doch dieser Sinn, wenn wirklich von Sinn die Rede sein sollte, verlangen, daß dasselbe Subjekt, welches die Nachricht erhalten hat, infolgedessen betrübt ist. Und sollte schließlich jemand meinen, daß dieses Subjekt das Gehirn eines Menschen ist, so müßte er doch erst den Chemiker finden, der eine ichlose Vorstellung als Eigenschaft eines Ganglions [Nervenzelle - wp] im Gehirn nachweist. Es ist freilich sehr leicht, die Empfindung oder Vorstellung eine Funktion dieser materiellen Elemente zu nennen und die Abhängigkeit jener von dieser wird nicht bestritten. Aber dann liegt doch nichts näher, als auch das Erfahrungs-Ich selbst zur Gehirnfunktion zu rechnen, und zu meinen, daß die gedachten Hirnpartien eben dies fungieren, daß ein Ich, bei demselben Gehirn dasselbe Ich, sich in allen diesen Empfindungen und Vorstellungen als ihren Inhaber weiß, mit anderen Worten: diese als die seinigen hat. Ohne ein solches seine Zustände oder, was dasselbe ist, sich in oder mit solchen Zuständen oder Bestimmtheiten wissende Subjekt (d. h. Ich) ist überhaupt keiner Vorstellung Existenz konstatierbar. Wenn wir jemanden beschuldigen, daß er dies oder jenes denkt, so kann er, wenn er es nicht zugibt, nur antworten, daß er sich eines solchen Gedankens nicht bewußt ist. Die Selbstvergessenheit mag in der Praxis zuweilen lobenswert sein, in der Theorie ist sie einfach ein Rechenfehler. Jene Tugend und das Entgegengesetzte, der Egoismus, sind ohne dieses Ich, bzw. wenn es nur eine Menge von Vorstellungen ist, etwas Undenkbares. ZIEHEN ist auch damit nicht zufrieden, daß ich das Ich ohne seinen Bewußtseinsinhalt eine Abstraktion nenne. "Wenn es aber nur eine Abstraktion ist", sagt er Seite 96, "so gehört es nicht zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand, so ist es keine Urtatsache und "seine Existenz nicht unbezweifelbar". Nun handelt es sich also um die Abstraktion. Auch das Abstrakte hat sicherste wirkliche Existenz. Nur wenn ZIEHEN unter Tatsache etwas Konkretes versteht, wäre das leere Ich das, wie ich oben sagte, abstrakte Moment des bloßen Einheits- und Koinzidenzpunktes, keine Urtatsache. Denn es hätte eben nicht die Existenz des Konkreten, sondern die des Abstrakten. Aber auch in einer konkreten Urtatsache kann man abstrakte Momente entdecken, und diese sind auch etwas durchaus Wirkliches. Sie sind im Konkreten immer enthalten und wenn es nicht so wäre, so würde ein solches Konkretum auch nicht unter das Abstraktum, welches der Art- und Gattungsbegriff ist, subsumiert werden können (4). Und wenn man ein Konkretum zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand gerechnet hat, und wenn man jenes in Elemente zerlegen kann, welches jedes für sich gedacht ein Abstraktum ist, so gehören auch diese zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand. Die sichtbare räumlich ausgedehnte Röte gehört gewiß zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand, aber ich kann sie in Gedanken in die beiden Elemente zerlegen, die Röte ohne die räumliche Ausgedehntheit und die räumliche Ausgedehntheit ohne die Röte und jedes von ihnen ist ein richtiges Abstraktum und gehört doch als im konkreten Ganzen enthalten, welches ohne eines von ihnen nicht mehr wahrnehmbar wäre, zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand. So geht's auch mit dem Ich. Die Abstraktion des Ich soll (Seite 97) "noch dazu, eine noch sehr der Erklärung und des Berechtigungsbeweises bedürftige" sein (5). Was dabei noch der Erklärung bedürftig ist, gestehe ich nicht zu wissen, und vermute, daß, wer meine Darlegungen darüber gelesen hat und doch noch eine Erklärung verlangt, sich schon vorher davon überzeugt hat, daß dieses Ich eigentlich nur eine Zahl von ichlosen Vorstellungen ist, welche durch besondere Eigentümlichkeiten den Ich-Charakter, d. h. den Charakter des Subjekts, welches alle anderen Vorstellungen und Gefühle als die seinigen hat, im Gegensatz zu denjenigen Vorstellungen und Gefühlen, welche andere Subjekte haben, gewinnt. Wie dieses den Ichcharakter-Gewinnen vor sich geht, möchte ich erklärt sehen. Und was die Berechtigung anbetrifft, so könnte sie, wenn die Abstraktion des Ich oder Ichpunktes richtig ist, wenn also keine Verkennung und keine Verwechslung dabei vorgekommen ist, doch nur darin bestehen, daß diese Abstraktion wissenschaftlich wichtig ist, weshalb sie nicht unterlassen werden darf, während sie, wenn nichts Wichtiges aus ihr hervorginge, zwar richtig sein, aber doch nur als Spielerei angesehen werden könnte. Ich verzichte auf diesen Beweis. Aber auf ZIEHENs Frage (Seite 94), ob das Kind im ersten Lebensjahr schon eine Vorstellung oder Empfindung von seinem Ich hat, muß ich noch kurz eingehen. ZIEHEN begnügt sich damit, daß die Antwort doch jedenfalls zweifelhaft sein kann. Aber ich will auch eine verneinende Antwort zugeben und behaupte, daß meine Theorie davon gar nicht berührt wird. Es ist bekannt, daß das individuelle Bewußtsein in der Zeit entsteht und mit ihm das individuelle Ich. Zwar ist schon oft betont worden, daß dieses Entstehen nicht begreiflich ist, denn alle, welche es zu demonstrieren vermeinen, geben doch immer nur Bedingungen an, z. B. daß äußere Reize die Sinnesorgane treffen, welche erfüllt sein müssen, wenn Bewußtsein entstehen soll, und niemand kann die Bestandteile, aus welchen Bewußtsein nach bekannten Naturgesetzen aus ihnen durch eine Vereinigung oder ein Zusammenrinnen entstünde, angeben. Aber die Tatsache ist doch immer zuzugeben, daß Bewußtsein in der Zeit entsteht und dann ist es gleichgültig, in welchem Zeitpunkt wir seine Entstehung setzen, ob schon in die ersten Wochen oder Monate oder vielleicht erst in das zweite Jahr. Es würde mich gar nicht wundern, wenn festgestellt würde, daß es lebendige Menschenleiber ohne Bewußtsein gibt. Erkenntnis wäre für sie nicht da und somit auch sie nicht für die Erkenntnistheorie, d. h. für die Theorie von ihrem Erkennen. Doch ZIEHENs Frage regt noch andere wichtige Gedanken an. Sie verweist uns ja auf die Entwicklung, als wollte er sagen: das Bewußtsein kann nicht zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand gehören, denn es entwickelt sich ja erst in der Zeit, vielleicht erst im zweiten Jahr. Und da tritt die psychologische Frage der Entwicklung hervor, nicht nur in Bezug auf das Bewußtsein selbst, sondern auch all seines Inhaltes. Diese Frage ist deshalb so schwer, weil wir selbstverständlich allesamt von unserem seelischen Leben in der ersten Kinderzeit nichts wissen und uns demgemäß ebenso schwer, wenn wir Kinder beobachten, in sie oder in ihren inneren Zustand versetzen können. Aber wie schwer sie auch sein mag, wir müssen ihr doch näher treten und uns zumindest dies klar machen, daß mit dem Begriff der Entwicklung ein Ausgangspunkt gesetzt ist, welcher entweder ganz oder doch nahezu als Nullpunkt zu bezeichnen ist. Und wenn jemand das Ich deshalb, weil es nicht schon im ersten Lebensjahr vorhanden ist, nicht zum erkenntnistheoretischen Fundamentalbestand rechnen will, so tritt die Frage hervor, welche ich anfangs gar nicht stellen zu sollen glaubte, was sollen wir uns eigentlich unter den Worten "erkenntnistheoretischer Fundamentalbestand" denken? Etwa diejenigen Erkenntnisse oder Erkenntniselemente, welche zeitlich zuerst auftreten? Das bloße "Auftreten" ohne jede Ortsbestimmung ist schon zu unklar. Denn daß sie sich etwa im Gehirn des kleinen Kindes aufhalten, ist doch eine Hypothese und zwar eine ganz unglaubliche. Daß sein Gehirn der Besitzer derselben wäre, ist ebenso unmöglich - wir sprachen schon oben davon - wenn wir nicht sogleich mit dem Gehirn das Ich denken, welches, wie ja auch das ganze Bewußtsein seine Funktion wäre. Dann wäre ja meiner erkenntnistheoretischen Forderung Genüge geschehen. Soll das aber nicht so sein, so fehlt auch zur ersten Entstehung von Erkenntnis der unentbehrliche Anhaltspunkt, das Wo bzw. der Besitzer. Denn unaufhörlich entsteht - wer weiß, wie lange schon - Erkenntnis, und so wäre "die erste" nur fixierbar durch den Ort bzw. den Besitzer, und auch für die zweite und dritte und alle folgenden fehlt die wichtigste Bestimmung, wenn wir nicht wissen, wo oder als wessen Erkenntnis sich die folgenden Erkenntnisse der ersten anschließen müssen. Der Leib ist erst dann zur Fixierung brauchbar, wenn wir ihn als zentralen Bewußtseinsinhalt denken oder mit anderen Worten: als den Leib, als welchen sich ein Ich weiß. Dann und in diesem Sinne erst sind sie ja identisch. Daß dieses Ich nur eine Zahl eigentümlich ausgezeichneter ichloser Vorstellungen ist, könnte über diese Schwierigkeit nicht hinweghelfen, denn sie bestünde erstens noch für alle Vorstellungen vorher, ehe diese Zahl sich angesammelt hat, sage und schreibe: "ortlos angesammelt hat", und zweitens ist für mich nicht zu begreifen, wie sie selbst, diese Zahl solcher Vorstellungen sich mit einem bestimmten Leib im Sinne eines "das bin ich" zu identifizieren vermag. Ichlosigkeit der Empfindungen hebt eigentlich auch den Begriff der Empfindung auf; man müßte stattdessen immer nur das, was ich als den Empfindungsinhalt bezeichne, nennen, die Anwesenheit von rot, warm, hart an einem bestimmten Ort. Dabei müßte auch der Sinn des Wortes Gegebenes schwinden (worüber oben schon gesprochen wurde). Die zweifelnde Frage, ob ein einjähriges Kind schon Bewußtsein oder ein bewußtes Ich hat, welche die Frage mit der: ob es eine Empfindung oder Vorstellung von seinem Ich hat, identifiziert wird, muß unsere Aufmerksamkeit noch auf etwas anderes lenken. Die Frage, ob es eine Empfindung oder Vorstellung von seinem Ich hat, läßt zwei Irrtümer vermuten. Erstens den, daß nach der Meinung des Fragers eine Empfindung oder Vorstellung vom eigenen Ich eine Empfindung oder Vorstellung außerhalb von und neben anderen sein muß, welche einen Inhalt hat, wie die anderen auch, nur eben keinen von dieser Art, sondern zu seinem Inhalt das bloße reine Ich, also ohne die Empfindungen und Vorstellungen desselben hat. Nach meiner Darstellung der Sache findet und weiß es sich immer nur mit und in diesen und ist sonst für sich allein nichts, und ich muß gestehen, daß ich immer geglaubt habe und noch glaube, mich dabei streng an die Erfahrung zu halten. Der zweite Irrtum wäre der, bei "der Empfindung oder Vorstellung von seinem Ich! nur an die ganz klaren als Objekt der Aufmerksmkeit im hellsten Punkt des Bewußtseins stehenden Vorstellungen zu denken. Ganz unabhängig von dieser und jeder Erkenntnistheorie ist die Meinung, daß die ersten seelischen Regungen im Kind sehr unklar sind, verschwommen, nicht scharf abgegrenzt gegen anderes als anderes, und daß wir dennoch aus den wahrnehmbaren Reaktionen auf gewisse Bewußtseinsinhalte schließen dürfen. Was in einem bestimmten Augenblick nicht klar und scharf im hellsten Punkt des Bewußtseins stand, sondern nur schwach beleuchtet im Hintergrund, kann doch in der Erinnerung zur Geltung kommen und wird als mitwahrgenommen gerechnet. Und auch solches, was in einem gedachten Augenblick wirklich gar nicht im Bewußtsein anwesend war, was man mit bestem Gewissen als nicht gesehen, nicht gehört behauptet hat, kann doch unter günstigen Umständen als wohl gesehen und gehört erkannt werden. Das geht nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen so. Und woran man gerade gar nicht denkt, weil etwas ganz anderes die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, gilt doch als gewußt, weil es nur eines Anlasses bedarf, um es sogleich in den hellsten Punkt des Bewußtseins treten zu lassen. Wenn man ganz einer Beobachtung hingegeben, nicht an sich selbst denkt, so wäre es doch falsch zu sagen, daß man in dieser Zeit gar nicht als ein Ich existiert hat und daß diese Empfindungen unbewußte gewesen sind. Wer seine Angaben, weil sie unglaubwürdig scheinen, bestritten sieht, wird sogleich sagen "aber ich habe es doch gesehen, d. h. ich bin mir dessen doch bewußt, es gesehen und beobachtet zu haben. Am verwunderlichsten schien mir immer und scheint mir immer noch die Geltendmachung der Tatsache, daß die Ichvorstellung keineswegs alle Empfindungs- und Vorstellungsergebnisse begleitet. Aus ihr geht keineswegs hervor, daß, wenn wir nicht bei allem Empfinden und Vorstellen immerfort mitdenken, "ich empfinde dies, ich stelle jenes vor", diese Empfindungen und Vorstellungen auch nicht unserem Ich als die seinigen angehören, sondern subjektlos existieren. Wenn man etwas weiß, so weiß man es auch in den Zeiten, in welchen man gerade nicht daran denkt. Genug, daß dieses Gewußte, sobald der Zusammenhang der Gedanken und die Gelegenheit es verlangt, ganz sicher im hellsten Punkt des Bewußtseins stehen wird. So weiß auch jeder von sich und seinen Vorstellungen, und sich dabei fortwährend gegenwärtig zu halten, daß er dies vorstellt, ist allzu überflüssig; es ist zu selbstverständlich. Und woher weiß den ZIEHEN, daß es auch solche Vorstellungen gibt, welche von der Ichvorstellung nicht begleitet sind? Wenn er einen Menschen sieht, so kann er ihm doch nicht ansehen, ob die Ichvorstellung seine Vorstellungen begleitet. Und auch wenn dieser Mensch Urteile ausspricht und dabei das Wörtchen Ich ausläßt, z. B. bloß sagt "furchtbare Hitze", so kann ZIEHEN noch gar nicht wissen, ob jener Mann nicht doch heimlich mitgedacht hat: "ich finde es furchtbar heiß". Man spricht ja nicht alles aus, was man denkt. Also daß wirklich ichlose Vorstellungen erlebt worden sind, könnte man nur aus sich selbst wissen. Wem seine Angabe bezweifelt wird, der würde sagen oder könnte doch nur sagen: aber ich muß es doch wissen, daß ich soeben oder dereinst einmal etwas vorgestellt habe ohne dabei an mein Ich zu denken. Aber wenn diese Erinnerung so klar und deutlich ist, daß kein Zweifel dagegen aufkommt, so ist auch zugleich gesetzt, daß er selbst diese Vorstellung gehabt hat, obwohl die Ichvorstellung sie damals nicht begleitet hat. Auch was erst die analysierende Reflexion aus einem Gesamtzustand herausfindet, also was bis dahin nicht für sich allein als abstraktes Element gedacht worden war, war doch in dem konkreten Glauben enthalten, widrigenfalls keine Analyse es herausabstrahieren könnte. LOCKE schloß, weil das Kind vom abstrakten Begriff der Identität und des Widerspruchs noch nichts weiß, habe es diese Begriffe überhaupt nicht. Aber wir können sie doch mit ihnen operieren sehen, sie erkennen wieder und unterscheiden und schließen, soweit ihnen die Dinge, von denen sie sprechen, klar sind, ganz richtig. Deshalb ist die Macht dieses Gedankens doch in ihnen lebendig, auch wenn er noch nicht in der Abstraktion als etwas für sich gedacht worden ist und demgemäß die Worte der logischen Lehre für sie unverständlich sind. So geht es ja auch mit den Begriffen von Dingen und ihren Eigenschaften. Das Denken beginnt ohne als solches bewußt zu werden und ein Weltbild mit unzähligen Dingen und ihren Eigenschaften ist schon da, wenn die logische Reflexion einsetzt, um es zu zergliedern und seine Elemente zu finden, was auch gar nicht anders geht, wie ich in meiner Logik auseinandersetze. Das Ich steckt so selbstverständlich und so tief in allen Empfindungen, sie sozusagen ganz durchdringend, daß es schon deshalb schwer sein muß, es als das Subjekt aus ihnen auszusondern. Aber wenn das Kind das Wörtchen Ich gebrauchen lernt, so muß es dasjenige, was es bedeutet, schon vorher in sich kennengelernt haben, auch als es die Bedeutung des Wortes noch nicht erkannt hatte. Und es ist auch nicht schwer zu denken, daß dieser Ichpunkt in jeder Empfindung schon, wenn auch nur ansatzweise, nur in der schwächsten Potenz, mehr als Gefühl enthalten war, noch ehe die Abstraktion desselben aus den vielen ihn enthaltenden Empfindungen gelungen war. Für den Sensualisten CONDILLAC war die Tatsache, daß mit der oder den obersten Empfindungen sogleich eine, wenn auch noch dunkle Ahnung des Ich gegeben ist, der Beweis, daß dieses aus jenen entsteht, nur eine Umwandlung derselben ist. Er erkennt wenigstens die Tatsache an. Aber ZIEHEN trifft eine Auswahl aus den ichlosen Vorstellungen und meint, daß diese Vorstellungen von bestimmter Eigentümlichkeit eben das Ich sind, wobei also keine Umwandlung anzunehmen nötig ist. Ich hebe nur hervor, daß meiner Ansicht nach ein, wenn auch schwaches unklares Bewußtsein von dem in den vielen Empfindungen und Vorstellungen enthaltenen Ich sehr wohl möglich ist, auch wenn es noch nicht als abstraktes Moment ausgesondert und Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit ist. Und wenn nun viele, unendlich viele Empfindungen und Vorstellungen in diesem einen Punkt koinzidieren, während sie sich in ihrem Inhalt unterscheiden, so finde ich nichts natürlicher, als daß dieser Punkt, der so oft immer und immer wieder bewußt wird, auch immer stärker und lebhafter sich im Gegensatz zu allem Bewußtseinsinhalt hervorhebt. Je reicher und geordneter sein Inhalt wird, oder mit anderen Worten: je mehr von der wirklichen Welt mit ihren Zusammenhängen sein Inhalt wird, desto mehr weiß es auch sich selbst, "wird das glimmende Fünkchen zur hellleuchtenden Flamme". Wenn ZIEHEN Seite 95 meint: "Man kann positiv verfolgen, wie sich beim Kind aus zahlreichen Empfindungen indirekt die Ichvorstellung entwickelt", so muß ich gestehen, daß ich dies nicht positiv verfolgen kann, aber ich behaupte, daß die Tatsache, welche er vermutlich meint, daß die Ichvorstellung sich immer mehr entwickelt, je reicher und klarer der Bewußtseinsinhalt wird, von mir in natürlicher Weise erklärt ist. Die Verlegenheit, in welche die Frage "was ist nun eigentlich dieses Ich?" führen soll, habe ich durch die Antwort zu beseitigen geglaubt: das Ich ist alles das, als was es sich findet und weiß (6). Ich bin gewiß, daß jeder, der nicht schon mit dem Vorurteil gegen das Ich erfüllt ist, das Wort "ich weiß doch, daß ich bin" ohne weiteres gleichsetzen wird mit "ich weiß mich" und dann auch nicht nur zugeben, sondern selbst behaupten wird, daß das Subjekt dieses Wissens (ich) und das Objekt desselben (mich) dasselbe sind. Und daraus allein schon wäre meine Antwort gerechtfertigt. Das Ich ist alles, als was es sich weiß. Aber sie wird auch ganz reflexionslos und theorielos von jedem gegeben. Ich weiß mich als diesen Leib, also bin ich dieser Leib. Dadurch schon unterscheiden sich die Iche und dann noch weiter natürlich durch alles, was jeder dieser Ichleiber oder Leib-Iche erlebt hat, seinen ganzen Vorstellungsschatz und ihm entsprechend auch sein Gefühl und sein Streben. Da kann jeder die Stufen seines Werdegangs unterscheiden und jedes Ich befindet sich in einer fortwährenden Entwicklung. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß diese Empfindungen und Vorstellungen selbst ichlos existieren und dann eine Zahl von ihnen ein Ich wären oder es aus sich entwickelten. Denn niemand könnte es ihnen ansehen, der nicht schon aus seiner eigenen Erfahrung wüßte, was ein Ich ist. Ich hätte ZIEHENs Einwänden folgend noch viel zu sagen, aber aus dem vielen wähle ich nur ganz weniges aus und will meine Meinung nicht beweisen, sondern nur sagen, was ich wirklich gemeint habe und noch meine. Ich protestiere gegen ZIEHENs Darstellungsweise, Seite 99, "das Spezifische soll ohne das Generelle undenkbar sein", als wenn ich mir das zu irgendeinem Zweck erklügelt hätte. Ich will dabei gar nichts, sondern sage, was ich vorzufinden meine. ZIEHEN soll es doch gerade heraussagen, daß er imstande ist, daß bloß Spezifische rot oder dreieckig vorzustellen, ohne etwas vom gattungsmäßigen Moment, Farbe oder ebene Figur mit vorzustellen. Ich bin nicht imstande und glaube viel eher, daß er sich täuscht und wirklich etwas Generisches mitvorstellt. Sollte er wirklich meinen, er habe schon ein rot gesehen oder vorgestellt, welches nicht Farbe war? Somit wage ich mich nicht in das metaphysische Gebiet hinein, sondern werde durch Erfahrungstatsachen, welche sonst nicht beachtet zu werden pflegen, auf dieses vermeintlicherweise metaphysische Gebiet geführt. Es hat mir immer als etwas Selbstverständliches gegolten und ich habe es auch oft genug ausgesprochen, daß die Allgemeinvorstellungen lediglich aus den speziellen Vorstellungen entstammen, daß diese Erinnerungsbilder der Empfindungen sind, und daß die Entwicklung der Allgemeinvorstellung eng an unsere Gehirntätigkeit gebunden ist. Ich habe schon manchem vorgeworfen, daß er logische Abstraktionen in reale Wesen verwandelt, aber wo ich dies tun soll, ist mir unbekannt, und ebenso unbekannt ist mir, wo mir (wie mir ZIEHEN Seite 101 nachsagt) die Allgemeinvorstellungen unindividuelle vom Individuum losgelöste Allgemeinvorstellungsgebilde sind. Ich bin mir bewußt, immer das Gegenteil gelehrt zu haben und ZIEHEN hat ja selbst oben meine Lehre, daß es kein Denken, kein Empfinden und Vorstellen gibt, ohne eines Ich Denken, Empfinden und Vorstellen zu sein, bekämpft. Oder richtet sich sein Kampf nur gegen das Ich, nicht gegen "das Individuum"? Und meint er denn unter einem Individuum nur das Leib-Individuum? Aber ich habe mir das Ich-Individuum auch nie ohne das Leibindividuum gedacht, also habe ich mir auch die Allgemeinvorstellungsgebilde niemals losgelöst vom Individuum gedacht. Ein neues Mißverständnis in Bezug auf dieses wichtige Ding findet sich Seite 105. Worin es eigentlich besteht, kann ich nicht recht sagen; ZIEHEN muß bei meinen Worten etwas anderes gedacht haben, als ich. "Die Allgemeinbegriffe sollen mir unabhängig von der Induktion schon in der einzelnen Sinneserfahrung gegeben sein", während sie doch, nach ZIEHEN, erst das Ergebnis vieler Sinneserfahrungen sind." "Gegeben" kann meiner Ansicht nach die Allgemeinheit der Elementarspezies nicht sein. Das "Gegebene" ist immer räumlich-zeitlich vollständig bestimmt. Aber wenn überhaupt eine Analyse des vielen zugleich Gegebenen und wenn logische Reflexion möglich ist, so kann die Analyse die Qualität und die räumliche Bestimmtheit unterscheiden und die Reflexion kann darüber belehren, daß jedes der beiden im ganzen Gegebenen enthalten war oder ist, für sich allein gedacht aber die Existenz des aus Gegebenem Ausgesonderten hat. In der Abstraktion von Bestimmtheiten, welche zum konkreten Ganzen gehören, ist jedes Element ein Allgemeines, im Sinne des Urteils, daß es sich durch oder aus sich selbst mit jeder anderen räumlichen und zeitlichen Bestimmtheit auch verträgt. Was "die Allgemeinbegriffe" meinen oder ihr Inhalt ist allerdings schon vor der Analyse und vor der Induktion in der einzelnen Sinneserfahrung gegeben, d. h. enthalten, sonst könnte es keine Analyse herausfinden, aber wenn das Moment der Allgemeinheit selbst zu Bewußtsein kommt, so gehört dieses nicht zum Gegebenen. Ich habe es bei der Lehre von der Abstraktion ausgesprochen: wir würden das abstrakte gattungsmäßige Moment (aus psychologischen Gründen) nie herausfinden, also auch in unserer Sprache kein Wort dafür finden, wenn es nicht in einer verschiedenen Determination vorkäme, aber auch, wenn es noch nicht begriffsmäßig ausgesondert ist, ist es im Gegebenen vorhanden. Vieles hätte ich auf ZIEHENs kritische Bemerkungen noch zu erwidern, aber ich muß mich der Kürze halber auf eins beschränken, das sogenannte Identitätsprinzip und zwar verlangt dieses noch zum Schluß ein Wort der Berichtigung, weil ZIEHENs Beurteilung meiner Ansicht im Zusammenhang steht mit den Mißverständnissen, welche meine Ichlehre betrafen. ZIEHEN hat mir zwar manchen bildlich gemeinten Ausdruck als eigentlichen aufgefaßt, aber im Ganzen hat er doch Recht damit, daß das Identitätsprinzip bei mir in meiner Erstlingsschrift eine "etwas mystische Rolle" (Seite 127) spielt. Aber nicht erst ZIEHEN hat es durch seine Darlegung Seite 126 derselben entkleidet, sondern schon mein "Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik" hat es getan. Gegen den Begriff der Seelentätigkeiten als solcher (des Empindens, Vorstellens und dgl.) bin ich zuerst aufgetreten - wenigstens kenne ich bis heute keinen Vorgänger - und nun soll mir "das Auffassen des Eindrucks in seiner positiven Bestimmtheit" (Seite 127) als eine von mir statuierte Seelentätigkeit gedeutet werden! Gemeint habe ich nichts anderes, als das Bewußtwerden oder Bewußtsein oder die Bewußtheit einer positiven Bestimmtheit. Wenn ZIEHEN sagt (Seite 126) "Wir haben einfach empirisch festzustellen: was geschieht tatsächlich?" so hat er mir aus der Seele gesprochen, und ebenso mit den Worten ebenda "die Empfindung ist doch als solche qualitativ bestimmt und positiv und bewußt" und auf die Frage "was soll da noch dieses Auffassen? Was fügt SCHUPPE im Auffassen des Eindrucks in seiner positiven Bestimmtheit zur Empfindung hinzu?" antwortete ich "nichts". Was unterscheidet ist, daß ich es für nötig, mindestens nützlich hielt, auf die Bewußtheit und positive Bestimmtheit als solche aufmerksam zu machen, schon um der Negation willen, während ZIEHEN dies nicht für nötig, sondern für sehr entbehrlich halten mag. Es ist ein Irrtum, daß ich solche Gespenster sehe, ein Irrtum, welcher eigentlich meine ganze Erkenntnistheorie aufhebt. Wenn ich von der "sozusagen" Fixierung und Aufnahme spreche, so kann dieses "sozusagen" doch lehren, daß ich nicht im eigentlichen Sinn solche Ereignisse behaupte, und die folgenden zum Teil von ZIEHEN selbst zitierten Worte (7) "man darf das Fixieren und Aufnehmen nicht als eine subjektive Tätigkeit denken, sondern nur als das Bewußtsein von dieser positiven Bestimmtheit, durch welche eben erst eine Unterscheidbarkeit von anderem möglich wird. Was man Identitätsprinzip nennt, kann zunächst nur hierin gefunden werden; es ist also eigentlich als Voraussetzung und Korrelat zu aller Unterscheidung bzw. Verneinung dies, daß es überhaupt eine solche positive Bestimmtheit gibt", schließen doch ZIEHENs Beschuldigung aus. Seinem Wort (Seite 127) "Ich betrachte das Auffassen als einen durch nichts belegten, hypothetischen Akt, der wie so viele andere Seelentätigkeiten, nichts erklärt und nichts zu erklären hat", habe ich nur gleich hinzuzufügen: "was Schuppe weiß, weshalb er auch keinen solchen hypothetischen Akt annimmt". Daß ZIEHEN trotzdem und trotz vieler anderer ebenso deutlich sprechender Stellen diese Beschuldigung doch aufrecht erhält und sich an das Wort "ergreifen" hält, obwohl ihm dieses Wort als Bewußtsein des Objekts erklärt worden ist, kann ich mir nur dadurch erklären, daß er mich auch durch meine "Ich-Hypothese" zur Annahme dieser hypothetischen Seelentätigkeit gedrängt sieht. Seine Auffassung meines "Ergreifens" ist geradeso unrichtig, wie die meiner "Ich-Hypothese" und macht alle Mühe, die ich mir in der Erkenntnistheoretischen Logik gegeben habe, um dieses Eingreifen zu eliminieren, was mir damals als der Hauptpunkt und als ganz neu erschien, vergeblich. Nachdem ich ein Ich als Urtatsache aufgestellt habe, "muß" dieses die Empfindung erst ergreifen. ZIEHEN deduziert es und deshalb "scheint es ihm auch gar nichts zu helfen", daß ich das gerade Gegenteil behauptet habe. Seine Frage (Seite 128) "in welchem Sinn ist denn diese Vorstellung des Ergreifens noch zulässig oder gar als Hypothese etc. gerechtfertigt?" beantworte ich kurz: zulässig in dem eben erklärten Sinn, nämlich dem des Bewußtseins oder Bewußtwerdens oder der Bewußtheit des Objekts; Hypothese ist sie überhaupt nicht. LITERATUR: Wilhelm Schuppe, Meine Erkenntnistheorie und das bestrittene Ich, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 35, Leipzig 1904
1) Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, Seite 22f; Erkenntnistheoretische Logik, Seite 27 und 64f. 2) Grundriß Seite 77f. 3) Grundriß Seite 17 unten 18. 4) Erkenntnistheoretische Logik, Seite 204f; Grundriß Seite 90-92. 5) Vgl. auch meinen Aufsatz "Begriff und Grenzen der Psychologie" in der "Zeitschrift für immanente Philosophie", Bd. 1. 6) Grundriß Seite 21 7) Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, Seite 39 und 7. |