cr-2cr-2 von HartmannM. NemoWundt    
 
WILHELM SCHUPPE
Die natürliche Weltansicht

"Das Ich oder das Bewußtsein bedarf keines Substrates oder Trägers, an welchem es haftet. Es ist sogar das Ungereimteste von der Welt, daß ein Ich, welches doch immer nur Prädikate von sich als Subjekt aussagt, etwas an einem anderen Subjekt sein sollte."

"War nicht erfindlich, worin die Existenz des Ich bestehen könnte, wenn wir von allem, dessen es sich bewußt werden kann, absehen, so ist ebensowenig erfindlich, worin noch die Existenz der Körperwelt bestehen könnte, wenn wir wirklich von ihrer Qualität als Inhalt oder Objekt von Bewußtsein abstrahieren."

Ich bin und denke und dieses mein Denken hat zu seinem Gegenstand wirklich Seiendes. Ich bin mir zwar meiner Fehlbarkeit bewußt, aber die Irrtümer, welche mir begegnen, gehören zu meinen individuellen Eigentümlichkeiten; nicht dem menschlichen Denken als solchem hängt es an, daß es nur Schein erfassen kann. Soweit nicht meine individuelle Schwäche mitspielt, erkenne ich die wirkliche Welt. Dieses Wirkliche ist:
    1) die Mitmenschen oder anderen Iche, mit welchen ich mich verständigen kann und welche, wenigstens in den Grundzügen, so denken, wie ich, und

    2) die körperlichen Dinge, welche Eigenschaften haben und Tätigkeiten ausüben und in bestimmten vielartigen Verhältnissen zueinander stehen.
Diese wirkliche Welt ist selbstverständlich außer mir und ich finde mich in ihr, ein Stückchen Raum erfüllend.

Das ist die natürliche Weltansicht, auch "naiver Realismus" genannt, insofern der glückliche Besitzer derselben von keiner Reflexion, wie er eigentlich zu ihr gekommen sei und ob sie auch wirklich wahr sei, angekränkelt ist.

Meine Reflexion bestätigt diesen Standpunkt. Aber diese Bestätigung desselben wird erst möglich, wenn wir die natürlichen Mißverständnisse derjenigen Reflexion, welche ihn zu verlassen nötigte, verstehen. Sie setzte an zwei Punkten an.

Das selbstverständliche Ich, von dem jeder spricht und zu sprechen nicht umhin kann, in seinem Verhältnis zum sogenannten "eigenen" Leib und sodann die Kenntnis der Außenwelt, deren Irrtümlichkeit im einzelnen so oft von nachfolgender Erfahrung erwiesen wird und eben deshalb deutlich zu lehren scheint, daß sie nicht unmittelbar gegeben ist, sondern von einer mehr oder weniger geeigneten Beschaffenheit und Tätigkeit des einzelnen Ich abhängt, das sind die beiden Ausgangspunkte.

Die metaphysischen, rerspektive religiösen Motive, welche unzweifelhaft mitgewirkt haben, in ihrer Bedeutung sowohl, wie in ihrer naiven Unklarheit zu würdigen, liegt nicht in meiner Absicht; dem Ich mit seinem Denken hat sich schon in ältester Zeit "die Seele" schon genug substituiert. Und eben das weist auf eine Schwierigkeit hin, welche direkt in der Sache selbst liegt, gewiß nicht erst vom närrischen Volk der Philosophen ergrübelt worden ist.

Wer meinen Fuß tritt, hat mich getreten. Ist deshalb dieses Ich ohne weiteres einschränkungslos identisch mit meinem Leib? Schon deshalb nicht, weil das Possessivpronomen "mein" einen Besitzer andeutet und zugleich vom besessenen Ding unterscheidet. Ich übergehe alles, was sonst noch gegen die materialistische Identifizierung des denkenden, fühlenden und wollenden Ich mit dem Leib gesagt werden kann. Wer sich bei ihr beruhigen kann, für den gibt es wohl überhaupt keine Schwierigkeiten. Wer aber diesen Einfall für unannehmbar hält, ist umso zwingender auf die Frage hingewiesen: welcher Art ist das Besitzverhältnis zwischen dem Ich und seinem Leib? Und vor allem, wenn das Ich doch von seinem Leib trotz des unverkennbarsten Zusammenhanges, ja sogar teilweisen Zusammenfallens mit ihm unterschieden werden muß, was ist es? Wenn es nicht wirklich identisch ist mit dem Leib, so ist es etwas anderes, als er. Und dieses Etwas - so schien es - kann doch nur ein Ding oder eine Eigenschaft an einem solchen sein. Und alles, was wahrnehmbar ist, wie Farbe und Gestalt, sich im Raum ausdehnt, schien nur Eigenschaft eines Dinges sein zu können, also eines Substrates zu bedürfen. Wenn nun im Tod so deutlich und regelmäßig der Körper als die unbewegliche Masse zurückbleibt, während immer gerade die Empfindungen, Gedanken, Gefühle und Begehrungen verschwinden, so lehrte diese regelmäßige Trennung, daß letztere, die auch Eigenschaften, respektive Tätigkeiten seien, auch ein Substrat oder einen Träger und Ausüber alles dessen, was die Lebendigkeit ausmacht, später erst mit Ausschluß der rein leiblichen Funktionen. Er entfernt sich im Tode, wechselt also seinen Ort im Raum. Die Schatten in der Unterwelt sind räumlich ausgedehnt. Später wird die Seele freilich ein rein geistiges Wesen genannt, aber man läßt sie doch einen Ort im Hirn einnehmen. Und wenn dieser auch noch so winzig klein gedacht wird, das bestimmte Hier ist doch - es wäre denn in der mathematischen Abstraktion des Punktes - ohne irgendwelche Raumerfüllung nicht möglich. Die Seele aber soll kein Abstraktum, sondern ein zwar immaterielles, aber doch konkretes Wesen sein, jede ein ganz bestimmtes Einzelding. Auch hierin liegt ein Widerspruch. Denn wir kennen das konkret Wirkliche nur als das räumlich und zeitlich Bestimmte, hier und jetzt. (Wenn wir unser Ich im bekanntesten Sinne als Individuum kennen, so doch gewiß nicht ohne Beziehung auf unseren Leib, Ort und Zeit unserer Geburt und alles, was wir in unserem Leben in Raum und Zeit erfahren haben.)

Und endlich wird nun, gerade um der Geistigkeit dieses Wesens willen, die räumliche Welt als außerhalb der Seele befindlich dargestellt. Es wäre eine Absurdität, wenn der Sternenhimmel und alles Gestein und Getier der Erde  in  der Seele sein sollten. Aber dieses "in" respektive "nicht in, sondern außer" kennen wir nur aus der Raumanschauung und es hat auch allein in ihr einen Sinn. Jene Bestimmung setzt in einem zugleich die Dinge außer der Seele und die Seele außer den Dingen, läßt sie also durch eine räumliche Grenze von ihnen getrennt sein. Was sich "außer" einem Raumteil befindet, ist im raum neben ihm, über, unter, vor, hinter, rechts oder links von ihm. So hat sich die Vorstellung von der Seele gestaltet; trotz aller Versicherungen ihrer Immaterialität wird sie räumlich gedacht.

Nun muß das Verhältnis von Leib und Seele zum unlösbaren Rätsel werden. Wie soll eine Einwirkung der beiden aufeinander möglich sein? Wenn nach einer landläufigen Versicherung die Seele sich des Leibes mit seinen Apparaten als eines Mittels oder Werkzeugs bedient, wie eigentlich geht das Benützen desselben vor sich? Wer ein Werkzeug benützt, z. B. ein Messer, muß erstens eine Vorstellung von demjenigen haben, was er damit hervorbringen will und sodann von demjenigen, was dieses Werkzeug seiner Natur gemäß leisten kann, wie mit seiner Hilfe das Gewünschte hervorgebracht wird und wie es am besten und zweckmäßigsten angewandt wird. Da müßte die Seele eigentlich schon vorher im Besitz aller derjenigen Kenntnisse sein, welche sie erst durch die Benützung der Organe, des Hirns und der Sinnesapparate erwerben soll. Das Benützen ist Redensart.

Und wenn unsere Kenntnis der Welt doch nach der Voraussetzung etwas in der Seele ist und wenn ihre "Tätigkeiten" doch nicht außer ihr, sondern sich in ihr abspielen, so muß nun die Frage: woher überhaupt wissen wir etwas von Dingen außerhalb der Seele und durch welche Tätigkeit kann sie Kenntnis von ihnen gewinnen? brennend werden. Mit diesen Voraussetzungen ist die natürliche Weltansicht nicht vereinbar.

Die Empfindung soll zu den Seelenzuständen gehören. Ob ihr etwas außerhalb der Seele "entspricht"? Denn nur darum kann es sich noch handeln; von einem unmittelbaren Haben der Außenwelt kann ja keine Rede mehr sein. Und wenn die Seele als immateriell behauptet wird und die Empfindungen in ihr sind, so ist offenbar ein neuer Vorgang ganz eigener Art nötig, infolge dessen diese Empfindungen oder doch ihr Inhalt im Raum ausgebreitet, in einnehmend "erscheint". Die Seele muß die Kunst des "Projezieren" verstehen und außerdem muß sie noch vieles können, ohne daß wir begreifen können, wie das alles in ihr vor sich geht, das Vorstellen, das Phantasieren, das Denken. Das sind alles sogenannte "subjektive" Tätigkeiten. Es ist keine geringe Schwierigkeit, dieses Tun selbst, wenn wir noch von seinem Objekt, bzw. seinem Erfolg absehen, auf einen klaren Begriff zu bringen. Und doch ist die Seelentheorie gerade  darauf  angewiesen, wenn sie zeigen soll,  wie  die Seele zum Ergebnis, daß es außer ihr eine Welt von so und so beschaffenen Dinge gibt, kommen kann. Und doch hat sie diese Aufgabe nie in Angriff genommen. Der Grund dieser auffälligen Unterlassung ist klar. Es ist eben einfach unmöglich, von diesen rein subjektiven Seelentätigkeiten etwas zu wissen, unmöglich sich auch nur die leiseste Vorstellung davon zu machen, was da eigentlich vor sich geht, wenn die Seele ein Objekt eben ergreift und was sie mit ihm macht. Deshalb haben auch immer, ohne daß man es merkte, die Bilder für die Sache gelten müssen. Diese subjektiven Tätigkeiten sind immer nach Analogie körperlicher Bewegungen gedacht worden, welche man sehen kann, noch ehe sie ein Objekt getroffen haben und welche man mit Armen und Beinen vornehmen kann, ohne ein Objekt zu ergreifen oder zu berühren. Aber nicht der geringste Denkakt ist möglich ohne ein Objekt und wenn wir von diesem absehen, so bleibt nichts, nicht das Mindeste übrig, was wir als die bloß subjektive Denktätigkeit als solche rekognoszieren [anerkennen - wp] könnten. Worin die Mühe und das Anstrengende des  Nachdenkens  bestehen mag, bleibe hier ununtersucht; es ist eine psychologische Frage, deren Beantwortung uns von unserem augenblicklichen Ziel zu weit entfernen würde. Wessen wir uns dabei bewußt werden, ist eine Reihe von Gedanken, die selbstverständlich einen Inhalt haben. Und richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den logischen Zusammenhang, in welchem diese Gedanken stehen, welcher den einen als Folge aus dem anderen hervorgehen läßt, so ist doch auch dieses Zusammenhängen, welches ohne Vorstellung von zusammenhängenden Etwas nicht möglich ist, Inhalt oder Objekt des Denkens. Wenn wir die Dinge vergleichend, Gleichheit oder Verschiedenheit erkennen, so ist doch auch dieser Gedanke "Gleichheit und Verschiedenheit" Inhalt oder Objekt des Denkens. Wenn er zum Denken als solchem gerechnet worden ist, so geschah es, weil er aus den Sinnesdaten, z. B.  rot  oder  süß,  nicht herausanalysiert werden kann, aber dessen ungeachtet bleibt er Objekt und Inhalt des Denkens und vor allem etwas, was wir nur in Beziehung auf Gegebenes, welches gleich oder verschieden ist und in Abstraktion von solchem gar nicht denken können.

Und schließlich: wenn wirklich das Denken selbst im Übergang vom denkenden Subjekt zum Objekt, welches da ergriffen wird, ertappt werden könnte, so wäre alles, was ein feinsinniger Beobachter darüber verraten könnte, doch etwas, dessen er sich bei seiner Selbstbeobachtung bewußt geworden ist, und dessen wir anderen uns nach seiner Versicherung auch bewußt werden könnten und müßten. Immer aufs neue müßten wir fragen, durch welche Tätigkeit die Seele solches zum Inhalt unseres Bewußtseins macht. Also besteht alles das, was das Denken als solches ausmacht, immer in etwas, dessen man sich bewußt wird und unterscheidet sichvon allen anderen "subjektiven Tätigkeiten" durch die Verschiedenheiten des Inhalts, welcher bei letzteren bewußt wird. Das Denken als subjektive Tätigkeit ist nichts oder doch nichts anderes, als das Bewußtsein von einem so und so beschaffenen Inhalt. Sind es abstrakte Begriffe, sind es Identitäten und Verschiedenheiten, sind es Kausalzusammenhänge, so heißt das "Sich-ihrer-bewußt-sein" Denken; ist es Lust oder Unlust, so heißt es Fühlen. Eine subjektive Tätigkeit des "Vorstellens" gibt es nicht, jedenfalls nicht, wenn sie noch etwas anderes sein soll, als ein Etwas, welches wir Vorstellung im Bewußtsein haben nennen. Das Vorstellen unterscheidet sich vom Denken nur durch eben dasselbe, wodurch das Erinnerungsbild sich vom abstrakten Begriff unterscheidet. Und wenn solche Bilder keine direkte Nachahmung wirklicher Eindrücke sind, sondern solches darstellen, was wenigstens in diesem Verein nie erlebt worde ist, so heißt die "Tätigkeit" Phantasieren. Und endlich und vor allem ist das Empfinden als ein besonderer Vorgang in der Seele eine Fiktion. Vom Vorstellen unterscheidet sich diese "Tätigkeit" wiederum nur durch die (allerdings schwer definierbare, eigentlich nur durch gewisse Konsequenzen charaktersierbare) Eigentümlichkeit des Inhaltes, dessen das Subjekt sich bewußt wird. Nicht der Lebhaftigkeitsgrad unterscheidet, wie manche meinen, die Sinnesempfindung von der Vorstellung. Eher möchte ich den Unterschied in der Gesetzlichkeit, nach welcher Vorstellungen und nach welcher Empfindungen eintreten und ihr Verhalten zum Raum anführen. Man kann das lebhafteste Vorstellungsbild vor Augen haben und dennoch die wirklichen Dinge vor eben diesen Augen sehen und wenn man ihnen den Rücken kehrt, so verschwindet diese Gesichtsempfindung, aber das Vorstellungsbild geht mit auf die Wanderschaft. Doch die Frage, worin der Unterschied der genannten Bewußtseinsinhalte besteht, ist für unser Thema, wenn nur über haupt die Tatsache inhaltlicher Unterschiede zugestanden wird, gleichgültig. Genug, in allen diesen Fällen ist die besondere Tätigkeit, welche die Seele ausüben soll, um den Effekt einer Empfindung, oder einer Vorstellung oder dgl. hervorzubringen, erdichtet, ein völlig leerer Begriff. Wir haben es nur mit der Tatsache zu tun, daß das Ich Bewußtseinsinhalte sehr verschiedener Art hat, sich bald eines leuchtenden Punktes vor den Augen, bald eines Erinnerungsbildes, bald der Wahrheit, daß 2 x 2 = 4 oder daß der Löwe eine Katze ist und dgl. bewußt ist.

Es wird Entrüstung hervorrufen, daß ich ein bloßes (seelenloses) Geschehen anstelle der lebendigen von Innen kommenden Tätigkeit setzen will. Aber was wir als den charakteristischen Unterschied der lebendigen Tätigkeit vom bloßen Geschehen zu kennen meinen, ist ganz und gar im Inhalt, dessen wir uns in den gedachten Fällen bewußt werden, gelegen, ist also jedenfalls nicht etwas, was abgesehen von diesem Inhalt ergreift oder auszeichnet. Wenn wir uns eines Gedankens, abstrakter Begriffe von Dingen und ihren Eigenschaften, ihrer Identität oder Verschiedenheit, ihrer kausalen Verknüpfungen bewußt werden, so ist es eine Eigentümlichkeit dieses Inhaltes. welche das Wort "lebendige Tätigkeit" meint. Definierbar ist sie freilich nicht, aber doch erkennbar.

Wenn wir finden wollen, worin der Gegensatz der bloßen Veränderung zur lebendigen Tätigkeit des Denkens besteht, so müssen wir die Veränderung natürlich nicht als von uns konstatierte denken - denn dann wäre sie der Inhalt unseres Gedankens und gehörte als solcher zu dieser unserer Tätigkeit - sondern nur den wahrgenommenen Vorgang unter Absehen von unserem Denken und Konstatieren. Das "bloße Geschehen" oder auch "bloß äußerliche" Geschehen haftet also dem sinnlich Wahrnehmbaren oder der Raumerfüllung als solcher an. Was da geschieht, ist eben deshalb "bloßes" oder "bloß äußerliches" Geschehen und es wäre es erst dann nicht mehr, sondern lebendige Tätigkeit, wenn wir es in dieselbe Verbindung mit einem Ich bringen, in welcher unser Denken, Fühlen und Wollen mit unserem Ich steht.

Das ist nun die Hauptsache: Wir werden unser Denken, überhaupt die sogenannten seelischen Tätigkeiten nicht durch Subsumption unter einen schon anderweitig gewonnenen Begriff der Tätigkeit charakterisieren, sondern umgekehrt dem Begriff der Tätigkeit seinen Inhalt geben durch die Eigentümlichkeit des Bewußtseins von solchem, was wir Gedanken oder Gefühle oder Willensakte nennen.

Einen  Begriff der Tätigkeit können wir allerdings unabhängig von dieser letzteren gewinnen. Es ist derjenige, der mit dem Sinn der Verbalprädikation zusammenfällt. Die Aussage in der Form des Verbums, z. B. "er singt", "er läuft", meint nicht nur einen positiven Wahrnehmungsinhalt, welcher eingetreten und wieder verschwunden ist oder irgendwie lange verharrt, sondern setzt dabei ein Etwas, welches trotz der Veränderung dasselbe ist (vgl. meine "Erkenntnistheoretische Logik", Seite 496f, spezieller Seite 498 unten und 511f). Und wenn Verbalbegriffe einen gleichmäßig verharrenden Zustand zum Inhalt haben, so wird doch auch in dieser Aussage das Gewicht darauf gelegt, daß nicht bloß der Wahrnehmungsinhalt in mehreren unmittelbar einander folgenden Zeitpunkten völlig gleich ist, sondern daß es ein und dasselbe Individuum ist, welches in allen Punkten dieser Zeitdauer dieselbe Eigenschaft hat. Das Wesen der verbalen Verknüpfung besteht darin, daß sie das Verhältnis des Dings als des Subjektes zu demjenigen, was nur als seine Eigenschaft gelten soll, zum Ausdruck bringt. Es ist die  Zusammengehörigkeit  dieser beiden, die Unauflöslichkeit, die absolute Notwendigkeit des Vereins, wenn nicht für immer, so doch für bestimmte, wenn auch noch so kurze Zeit. Das kann ich hier nicht weiter ausführen. Wird ein Nomen durch "ist" mit dem Subjekt verbunden, so wird es eben durch dieses "ist" in das gleiche Verhältnis zu ihm gesetzt, wie in anderen Fälle der Inhalt eines Verbalbegriffes durch die Verbalform, z. B.  liebt, läuft. 

Es gibt noch andere Tätigkeitsbegriffe, aber uns interessiert hier nur derjenige, welcher in der besonderen Art der Verknüpfung besteht, welche die Tätigkeiten des Empfindens, Vorstellens, Denkens, Fühlens und Wollens ausmacht.

Es ist eine andere Art gesetzlicher Notwendigkeit, welche etwas vom Stein oder vom Baum als seine (dauernde oder vorübergehende) Beschaffenheit aussagen läßt, z. B. daß der Stein da liegt oder zur Erde fällt, der Baum wächst oder blüht und eine andere, welche Gedanken und Gefühle dem Ich als dieseinigen beilegen läßt. Unvergleichbar mit jener, vollständig anderer Art ist die Unablösbarkeit dieser letzteren vom Subjekt und ihre Unentbehrlichkeit für dasselbe. Man erwäge nur, daß das Ich ohne Rest verschwindet, sobald wir es ohne Gedanken und Gefühle zu denken versuchen und in welchem Grad die Zugehörigkeit dieser zu ihm über jeden Zweifel erhaben ist. Kann jemand darin irren, daß er jetzt gerade einen Gedanken denke und ein Gefühl fühle? Ist es denkbar, daß er sich mit einem anderen verwechselt, der jetzt gerade diesen Gedanken denkt und dieses Gefühl fühlt.

Die absolute Zusammengehörigkeit des Ich mit seinem Bewußtseinsinhalt kann in Beziehung auf die Besonderheiten des letzteren bezweifelt werden. Nicht dieses gerade, meint man, muß ich denken und fühlen, auch etwas anderes zu denken oder zu fühlen wäre mir möglich gewesen. Dann ist aber doch jedenfalls für das Denken und Fühlen überhaupt die Notwendigkeit zugestanden, geknüpft an das Bewußtsein überhaupt und die Besonderheiten des Denkens und Fühlens in jedem Augenblick werden zur Individualität des Bewußtseins gehören, abhängig vom Lauf der Welt, welcher jedesmal die nötigen Anlässe bietet. Sie machen ja das Ich als dieses individuelle aus. Rein zufällig ist auch hier nichts. Die Notwendigkeit, welche auch hier waltet, ist nur eine andere Art von Notwendigkeit und was wir zufällig nennen, ist nur eine bestimmte Relation innerhalb des Notwendigen.

In der undefinierbaren, nur erlebbaren Enge und Innigkeit der Verknüpfung des Ich mit seinen Gedanken, Gefühlen und Wollungen, in denen es sich erst findet und sich hat und eben dadurch "ist", besteht eben dasjenige, was die lebendige Tätigkeit im Gegensatz zum bloßen Geschehen auszeichnet, diesem Begriff erst seinen Inhalt gibt und dieses Geschehen zur Tätigkeit im eminenten Sinne macht.

Vielleicht denkt mancher bei der lebendigen Tätigkeit des Denkens auch an das lebendige Interesse und den lebendigen Willen, welcher die Aufmerksamkeit konzentriert, bis das erwünschte Ergebnis hervortritt. Aber ich könnte in dieser unleugbar vorhandenen Begleitung, welche allerdings den Eindruck der lebendigen Tätigkeit im Gegensatz zu jedem bloßen Geschehen erhöht, doch nicht das gesuchte, auszeichnende Merkmal finden, weil doch auch das Fühlen und Wollen selbst wieder als lebendige Tätigkeit erklärt sein will und nur ebenso, wie eben das Denken erklärt werden könnte.

Also das Haben solcher Bewußtseinsinhalte ist lebendige, von innen dringendene Tätigkeit; aber es gibt keine Tätigkeiten des Empfindens, Vorstellens, Denkens, welche rein subjektiv wären in dem Sinne, daß sie im Gegensatz zum Objekt  in  der Seele vor sich gingen. Diese vermeintlichen subjektiven Tätigkeiten gehen vollständig auf in einem  Sich eines so oder so beschaffenen Etwa bewußt sein,  z. B. eines Lichtscheins vor den Augen oder der Erinnerung an einen solchen oder dergleichen.

Dieses Bewußtsein selbst ist lebendige Tätigkeit, aber doch nur, wenn wir es mit einem Objekt denken. Wir können von der Besonderheit und den möglichen Arten der Objekte abstrahieren und in diesem Sinne bloß vom Bewußtsein sprechen, aber wenn wir nicht die allgemeine Vorstellung von etwas, dessen Ich sich bewußt sei, festhalten, so ist dieses Bewußtsein ein rein abstrakt begriffliches Moment. Mit jener ist es lebendige Tätigkeit, ohne sie nicht; ein bloß abstraktes Moment kann nicht lebendige Tätigkeit sein.

Vieles knüpft sich an diese Ausschaltung der subjektiven Seelentätigkeiten, aber uns interessiert hier nur eins. Es ist die wissenschaftliche Bestätigung des naiven Realismus, dem es das Selbstverständlichste ist, was es gibt, daß wir uns in einer wirklichen räumlich ausgedehnten Welt befinden.

Das Ich oder das Bewußtsein bedarf keines Substrates oder Trägers, an welchem es haftet. Es ist sogar das Ungereimteste von der Welt, daß ein Ich, welches doch immer nur Prädikate von sich als Subjekt aussagt, etwas an einem anderen Subjekt sein sollte. Es bedarf freilic des "eigenen" Leibes, aber dieser ist nicht Substrat oder Träger des Bewußtsein, wie das Ding als Substrat oder Träger seiner Eigenschaften, z. B. der Härte, Glätte, Röte usw. gedacht wird. Er ist Objekt oder mit anderen Worten etwas, dessen Ich sich bewußt ist, ausgezeichnet vor allen anderen Bewußtseinsinhalten durch die Beständigkeit, die zentrale Stellung und seine Unentbehrlichkeit beim Eintreten anderer Bewußtseinsobjekte. Unmittelbar findet sich das Ich ein Stück Raum erfüllend und diese Raumerfüllung in bestimmter Weise gestaltet; unmittelbar wird es sich der Teile derselben, ihres Zusammenhangs und ihrer Lage bewußt. Auch der Blindgeborene unterscheidet die Lage seiner Glieder, oben und unten, rechts und links, vorn und hinten. Unmittelbar wird das Ich sich der Bewegung dieser Raumerfüllung und ihrer Teile bewußt und unmittelbar ferner, daß jene von seiner Willkür abhängt.

Man erklärt dieses Bewußtsein der eigenen Ausgedehntheit gern durch Berührungsempfindungen. Mag sein, daß es ohne solche nicht vorkommen kann, aber man darf dabei nicht vergessen, daß die Berührungsempfindung eo ipso [selbstverständlich - wp] unmittelbar das Bewußtsein der eigenen Ausgedehntheit einschließt. Wessen das Ich sich dabei bewußt wird, das ist unmittelbar im Raum ausgedehnt, so und so weit in der und der Richtung sich erstreckend und ist unmittelbar als etwas am ausgedehnten Selbst, bzw. zu ihm gehörend bewußt.

Wie die Sinnesempfindungen vor sich gehen, speziell was die Sinnesapparate dabei leisten, ist hier gleichgültig. Jedenfalls ist im unmittelbaren Bewußtsein keines Menschen etwas davon enthalten. Unmittelbar treten farbige Gestalten hier und da in unserem Bewußtsein auf und erfüllen Teile desselben Raumes, von welchem der eigene Leib ein Stück ist. War dieser vorher nur die Empfindung der eigenen, kompakten Ausgedehntheit mit Unterscheidung seiner Glieder und ihrer Lage, so tritt nun das Bedeutsame und Wichtige hinzu, daß im Bewußtsein desselben Subjektes farbige Gestalten denselben Raum einnehmen, wie die Empfindung seiner kompakten Ausgedehntheit und daß die Empfindung von Ortsveränderung seiner Glieder auch eine Ortsveränderung dieser farbigen Gestalten begleitet, daß bei der Berührungsempfindung auch farbige Gestalten als unmittelbare Nachbarn der berührten Körperstelle auftreten, während, wenn von diesen farbigen Gestalten andere ebensolche berührt werden, keine Berührungsempfindung eintritt und endlich, daß auch in anderen Bewußtseinen dieselben farbigen Gestalten, welche mit meiner eigenen Ausgedehntheitsempfindung räumlich koinzidieren, denselben Raum einnehmen wie in meinem Bewußtsein.

Von einer Erklärung der Möglichkeit dieser Koinzidenzen ist keine Rede. Genug, ohne sie gäbe es diese Welt nicht, und wenn Raum und Zeit, mit allem, was sie erfüllt, Inhalt, d. h. Objkekt unseres Bewußtseins sind, so ist das absolut nur so möglich, daß wir uns mit unserem Körper im Raum und in der Zeit ein Stück derselben erfüllend finden. Von Raum- und Zeitanschauung könnte doch keine Rede sein, wenn der Anschauende selbst unräumlich, also nicht im Raum wäre, wenn er den Raum nicht immer von einem Punkt im Raum aus wahrnähme.

Daß das Ich sich ein Stück Raum einnehmend findet, ist absolut nicht erklärbar. Ist das aber als Grundbedingung der Welt vorausgesetzt, so scheint mir alle weitere Abhängigkeit des seelischen Lebens vom raumerfüllenden Leiblichen nur eine Spezialisierung dessen, was da im Prinzip schon zugestanden oder hingenommen worden ist. Wie unendlich wichtig und interessant auch diese Spezialisierungen sind, die prinzipielle Schwierigkeit ist damit überwunden, daß das Sich-finden des Ich in räumlicher Ausgedehntheit und Gestaltung einfach hingenommen worden ist. Wie ist das aber möglich? bzw.: wie ist überhaupt eine Welt, wie ist Sein möglich? Alle Möglichkeitsfragen erledigen sich nur innerhalb dieses Rahmens, unter dieser Voraussetzung.

Wie das Ich zu seinem "eigenen" Körper steht, war der erste Punkt, an welchem die Reflexion ansetzte. Sie kam durch natürliche Mißverständnisse zum Begriff der "Seelensubstanz", welche immateriell, unräumlich sein soll und doch ein konkretes Wesen, durch räumliche Grenzen abgetrennt von den körperlichen Dinge, welche "außer" ihr sein sollen. Damit ist der Standpunkt der naiven Weltauffassung unverträglich. Er tritt sofort wieder in sein Recht, wenn wir diese Grenzen aufheben und erkennen, daß das Ich keines Substrates bedarf, sondern nur eines Bewußtseinsinhaltes, den ein durchgängiger gesetzlicher Zusammenhang zu der Welt, in der es sich befindet, schafft. Der Materialismus ist in der Voraussetzung ausgeschlossen und die Schwierigkeit, wie die einander entgegengesetzten "Substanzen", Leib und Seele, ein Ganzes bilden und aufeinander einwirken können, ist nicht mehr vorhanden.

Das "in" der Seele vor sich gehenden, also rein subjektiven "Tätigkeiten" sind ausgeschaltet worden und so bleibt gar nichts anderes übrig, als die alte Weisheit, daß, was wir Empfindung nennen, eben das Bewußtsein on einem solchen ist. Daß er nicht "im" Ich ist, versteht sich von selbst, wenn man nicht eben das Ich mit allen seinen Bewußtseinsobjkten zusammenfaßt, was ja deshalb allerdings zweilen nahe liegen kann, weil es ohne diese kein wirkliches, individuelles Ich, sondern nur ein abstrakt begriffliches Moment ist. Ihnen die Realität abzusprechen hat absolut keinen Sinn.

Da sich die Bewußtseine nicht wie Zellen durch zarte Membranen voneinander abgrenzen, so ist nicht abzusehn, warum nicht eben dasselbe raumerfüllende Individuum Objekt oder Inhalt mehrerer Bewußtseine zugleich, ihr "gemeinsamer Bewußtseinsinhalt" sein kann. Mag der körperliche Vorgang, welcher die Bedingung des Bewußtwerdens solcher Objekte ist, d. h. die Molekularbewegung in Nerven und Hirnfasern, so vielmal vorhanden sein, wie empfindende Subjekte da sind, dieser Vorgang ist nicht die Empfindung; sie ist an diese Bedingung gebunden, sitzt aber nicht an irgendeinem Punkt im Hirn, von wo aus sie durch eine unbewußte Seelentätigkeit projeziert würde. Warum die Empfindung an diesen Vorgang gebunden dist, ist noch nicht gesagt worden. Was in jedem einzelnen Fall ein absolutes Wunder ist, wird die Härte des unlösbaren Rätsels verlieren, wenn es als ein Glied in einem System einander bedingender und fordernder gleichartiger Gesetzlichkeiten erkannt wird, - die oben genannte Spezialisierung. Doch das hat hier keinen Platz. Jedenfalls kann die Physiologie nicht beweisen, daß der bewußte Empfindungs- oder Wahrnehmungsinhalt mehrerer dasselbe Wahrnehmender immer nur etwas in jedem dieser Subjekte, also so vielfach vorhanden ist, wieviele solcher Subjekte da sind und daß das numerisch Eine, welches sie alle wahrzunehmen meinen, eigentlich nur erschlossen werde und selbst unwahrnehmbar diesen mehreren Empfindungszuständen zugrunde läge. So vielfach, wie empfindende Subjekte da sind, sind nur die Modifikationen des Gesehenen, welche von der Stellung des Sehenden und von Eigentümlichkeiten seiner Organisation und seiner Auffassungsweise abhängen. Und so vielfach, wie Subjekte da sind, sind ferner nur die Erinnerungsbilder, die reproduzierten Vorstellungen, welche trotz glücklichster Verständigung der Subjekte doch immer noch individuell verschieden sind.

Die Dinge im Raum sind so real, wie der "eigene" raumerfüllende Leib neben ihnen und es ist nicht zu erdenken - und wäre auch nie erdacht worden, wenn nicht die Lehre von der Seelensubstanz und den subjektiven Seelentätigkeiten verwirrend dazwischen getreten wäre - warum etwas bloß deshalb, weil ich mir seiner bewußt bin, nichts Reales sein sollte.

Auch die Unabhängigkeit der Körperwelt vom Subjekt ist gesichert. Verstehe ich unter "Subjekt" das individuelle Ich, als welches jeder sich kennt, so ist doch zu klar und auf der Hand liegend, daß es nicht von seiner Laune und Willkür abhängt, daß die räumlichen Dinge, z. B. die Häuser, zwischen denen es wandelt, ihm bewußt sind. Wenn wir wissen, worin die Individualität des Ich besteht, daß sie nur von der ganzen Eigentümlichkeit des Bewußtseinsinhaltes, zunächst des "eigenen" Leibes und alles dessen, was sich rings um ihn begibt, konstituiert wird, so kann gewiß eben dieses in seiner Existenz nicht vom individuellen Ich als solchem abhängen.

Anders freilich gestaltet sich die Sache, wenn wir die Naivität des "naiven" Standpunktes verlassen. War nicht erfindlich, worin die Existenz des Ich bestehen könnte, wenn wir von allem, dessen es sich bewußt werden kann, absehen, so ist ebensowenig erfindlich, worin noch die Existenz der Körperwelt bestehen könnte, wenn wir wirklich von ihrer Qualität als Inhalt oder Objekt von Bewußtsein abstrahieren. Wir können nicht umhin, dieses Subtraktionsexempel zu denken, erkennen aber, daß der Rest nicht ausrechenbar ist. Es ist unvollziehbar, d. h. wir haben im Ich und der Körperwelt zwei für sich allein gedacht rein abstrakte Momente eines ursprünglichen Ganzen. Was meine Reflexion zur natürlichen Weltsicht hinzutut, ist die Erkenntnis dieser ursprünglichen Ganzheit und Zusammengehörigkeit. Die Naivität des ersten Reflexionsversuches ließ als selbständige Dinge erscheinen, was dem letzten dieser Versuche nur abstrakte Momente des real Einen sind. das bewaffnete Auge läßt die Angaben des unbewaffneten als Doppeltsehen erkennen. Es zeigt zwar die Unabhängigkeit der Außenwelt vom individuellen Ich, es zeit aber zugleich auch in diesem Letzteren das gattungsmäßige oder generische Moment des Bewußtseins überhaupt und an dieses geknüpft den  notwendig gemeinsamen  und eben deshalb objektiven Bewußtseinsinhalt. In der Einheit der Weltauffassung, welche dadurch ermöglicht wird, liegt nichts, was die zugestandene Realität der Körperwelt heimlich wieder aufheben oder abschwächen könnte.
LITERATUR - Wilhelm Schuppe, Die natürliche Weltansicht Philosophische Monatshefte, Bd. 30, 1894