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Erfahrung und Denken [ 4 / 5 ]
Zweiter Abschnitt Die reine Erfahrung als Erkenntnisprinzip [Fortsetzung 2] Drittes Kapitel Das Diskontinuierliche, Kausalitäts- und Regellose der Bewußtseinsvorgänge als solcher. 1. Voran steht die Bemerkung, daß, wie im vorigen Kapitel, so auch in diesem die Auswahl der selbstverständlichen Sätze über die Erfahrung durchaus nach gewissen von anderswoher "leitenden Begriffen" bestimmt wird. (vgl. oben) Ich komme auf den Gedanken, das Wissen von meinem Bewußtsein oder die Erfahrung auf den Gehalt an Gesetzmäßigket hin zu prüfen, überhaupt nur dadurch, daß ich von meinem objektiven, wissenschaftlichen Erkennen her weiß, von welch fundamentaler Bedeutung für dieses Erkennen das Auffinden gesetzmäßiger Zusammenhänge ist. Ich erkenne mit absoluter Selbstverständlichkeit, daß aus meinem Bewußtsein unablässig Vorstellungen (im allgemeinsten Sinn von Bewußtseinsinhalten) austreten, die unmittelbar hierauf für mein Bewußtsein nichts sind und daß ebenso unaufhörlich Vorstellungen in mein Bewußtsein eintreten, die unmittelbar vorher für mein Bewußtsein nichts waren. Die mein gegenwärtiges und vergangenes Bewußtsein überschauende Erinnerung läßt mich mit unbezweifelbarer Gewißheit behaupten, daß allen Vorstellungen, die mir je in meinem Bewußtsein vorgekommen sind, insoweit sie bewußt sein, diese Eigenschaft des absoluten Anfangens und absoluten Aufhörens, des Entspringens aus nichts und des Verschwindens in nichts zukommt. Ich kann meine bewußten Vorstellungen nur eine verhältnismäßig sehr kurze Strecke in meinem Bewußtsein vor- oder rückwärts verfolgen; dann reißen sie ab, es mangelt ihnen jedwede Fortsetzung in meinem Bewußtsein. Mit einem Wort: die Kontinuität ist es, was meinen bewußten Vorstellungen fehlt, soweit sie bewußt sind. Nun aber kann ich von gesetzmäßiger Verknüpfung nur da sprechen, wo ein kontinuierliches Fortlaufen stattfindet. Es muß sich durch alle Übergänge und Wandlungen ein Etwas beharrlich hindurcherstrecken, sich als ein und dasselbe verfolgen lassen oder doch zumindest als ein solches vorausgesetzt werden. Einen gesetzmäßigen Zusammenhang da zu behaupten, wo ein Objekt schlechterdings abreißt, an seine Stelle das absolute Nichtvorhandensein tritt, hat keinen Sinn. Ich spreche dies hier keineswegs als das Resultat einer irgendwoher entliehenen Einsicht aus, sondern einfach als eine Darlegung des Sinnes, den ich mit dem Ausdruck "Gesetzmäßigkeit" verbinde. So erkenne ich dann mit absoluter Selbstverständlichkeit, daß innerhalb meines Bewußtseins als solchem eine gesetzmäßige Verknüpfung nicht zu finden ist. Anders ausgedrückt: eine gesetzmäßige Verknüpfung ist auf keinem Gebiet empirisch aufweisbar. Diesen Satz von der Gesetzlosigkeit der Bewußtseinsvorgänge als solcher wird nur derjenige nicht zugeben, der nicht imstande ist, sein Bewußtsein in vollständiger Abgetrenntheit von allem Transsubjektiven zu betrachten, mag das Transsubjektive sich nun in Gestalt realer Außendinge oder der physiologischen Vorgänge des eigenen Leibes oder des unbewußt psychischen Lebens im eigenen Ich mit dem Bewußtsein zu vermengen drohen. Wem dagegen diese allerdings gewaltsame und widernatürliche Loslösung des eigenen Bewußtseins von allem, was nicht ausdrücklich in ihm ist, gelingt, der wird auch ohne jede weitere Erläuterung durch Beispiele jenem Satz zustimmen. Man vergegenwärtige sich z. B., wie durch jede Drehung der Augenachse, des Kopfes oder des gesamten Körpers, durch das Senken und Heben der Augenlider, ferner durch tausendfche Veränderungen in der räumlichen Gestaltenwelt, die teils infolge meines Willens, teils unabhängig von mir hervorgerufen werden, oder endlich durch irgendein Zusammenwirken dieser Faktoren unablässig aus meinem Gesichtsfeld Wahrnehmungsbilder austreten und in dasselbe eintreten. Die sich auf diese Weise ergebende Reihe meiner bewußten Gesichtswahrnehmungen zeigt sich allenthalben durch absolutes Entstehen und absolutes Verschwinden sozusagen durchlöchert. Diese Durchlöcherung kommt nun freilich fast nur demjenigen zu Bewußtseins, der infolge wissenschaftlicher Reflexion seine Aufmerksamkeit darauf lenkt. Denn jedermann nimmt in seiner Vorstellung die Ergänzung jener durchlöcherten Reihe durch die Einordnung derselben in eine transsubjektive Welt in so unwillkürlicher und selbstverständlicher Weise vor, daß die fundamentale Verschiedenheit der beiden Hälften dieser so geordneten Welt, ihres subjektiven und transsubjektiven Teils, überhaupt nicht zu Bewußtsein kommt und unwillkürlich das überempirische Stück zum empirischen hinzugeschlagen wird. Wer sich dagegen auf sein eigenes Bewußtsein besinnt, wird sofort einsehen, daß im Feld seiner Gesichtswahrnehmungen nach Abzug aller transsubjektiven Faktoren an die Stelle von Ordnung und Gesetzmäßigkeit eine absolute Unterbrochenheit und Gesetzlosigkeit tritt. Ganz in derselben Weise stellen auch die bewußten Empfindungen meiner übrigen Sinne, sodann meine Erinnerungsvorstellungen, Gefühle usw., wenn ich sie ausschließlich nach ihrem Vorkommen in meinem Bewußtsein betrachte, absolut kontinuitätslose Reihen dar. Nun nehme ich noch hinzu, daß diese Reihen sich in meinem Bewußtsein immer in einem teilweisen Nebeneinander abwickeln, also jetzt eine Gesichtswahrnehmung, dann eine Tastempfindung, zugleich ein Unlustgefühl, hierauf etwa ein Phantasiebild usw. in meinem Bewußtsein den absoluten Anfang nimmt oder verschwindet. Muß mir da nicht mein Bewußtsein als ein Tummelplatz für ein wahres Chaos von Vorgängen erscheinen? 2. Hier bin ich auf einen Einwand gefaßt. Stellt denn nicht eben mein Bewußtsein selbst das Kontinuierliche meiner bewußten Vorstellungen dar? Weiß ich mich nicht in allen Vorstellungen, die ich jemals hatte, als mit mir identisch? Hier ist der Faden, der die Vorstellungen verknüpft; diesen gilt es weiter zu verfolgen. Es führt uns dieser Einwand zu einer keineswegs fruchtlosen Überlegung. Die Behauptung von der Kontinuitätslosigkeit meiner bewußten Vorstellungen wird hierdurch eine größere Bestimmtheit gewinnen. Zunächst ist festzuhalten, daß das sogenannte "reine Ich" über alle meine Erfahrungen hinausliegt. KANT behauptet nicht nur, daß ein reines "Ich denke", eine objetive, d. h. notwendige Einheit des Selbstbewußtseins unserem Vorstellungswechsel zugrunde liegt, sondern er sagt auch, daß wir uns dieses reinen Ichs a priori bewußt sind. (1) Damit würde, wenn ich mich unkantisch ausdrücken soll, gesagt sein, daß wir gleichsam hinter unseren wechselnden Bewußtseinsvorgängen noch ein davon unberührtes, bleibendes Ich mit seinem ununterbrochen vorhandenen apriorischen Funktionieren, mit seiner konstanten ordnenden, einigenden Tätigkeit erleben und erfahren. Es ist hier nicht meine Aufgabe, zu untersuchen, ob faktisch ein derartiges zentrales Ich alle meine Vorstellungen "begleitet" und in der Tiefe zusammenhält; hier kommt es mir nur darauf an, zu konstatieren, daß mir meine Erfahrung nirgends in meinem Bewußtsein eine solche konstante aktive Potenz zeigt. Wie wäre es denn auch, falls uns das Bewußtsein die transzendentale Apperzeption mit ihrem kontinuierlichen Funktionieren direkt wahrnehmen läßt, erklärlich, daß immer noch, selbst zwischen den scharfsichtigsten Forschern, darüber Streit besteht, obe es überhaupt etwas derartiges gibt? Vielleicht sind wir aufgrund anderer Erkenntnisquellen berechtigt, ein solches Ich als unerfahrbare Grundlage unseres Vorstellungslebens anzunehmen und es zu unserem Vorstellungswechsel hinzuzudenken. Vielleicht birgt unser Bewußtsein nicht wenige Elemente in sich, die ganz besonders innige und direkte Ausflüsse jenes konstant tätigen, einigenden Mittelpunkts sind. Es wäre auch möglich, daß wir in den Wechsel unserer Bewußtseinsvorgänge ein tieferes, bleibendes Selbst derart unwillkürlich und innig hineindeuten und hineinfühlen, daß wir in unserem empirischen Bewußtsein dieser zugrunde liegenden Einheit selbst inne zu sein meinen; ähnlich wie wir die Materie in unsere räumlichen Wahrnehmungen unwillkürlich hineinlegen und sie nun mit wahrzunehmen glauben [vgl. Kap. 2, § 2]. Von diesem einheitlichen Hintergrund, den unser empirisches Ich für unser Gefühl hinter sich zu werfen scheint, wäre an geeigneter Stelle nachdrücklich zu reden. Hier muß es dahingestellt bleiben, ob das Gefühl mit diesem instinktiven Glauben recht hat. Nur das Eine mußte hier festgestellt werden, daß ein konstantes Ich, von dem die Ordnung, Einigung, Gesetzmäßigkeit meiner Bewußtseinsvorgänge spontan ausgeht, außerhalb aller Erfahrung fällt. Andererseits ist aber unbestreitbar, daß ich mich in allen meinen Vorstellungen als dasselbe Bewußtsein, als mit mir identisch fühle und weiß. Ich habe jetzt also genau auszusprechen, in welcher näheren Bestimmtheit mir die Erfahrung diese nicht wegzuleugnende Identität meines Bewußtseins, diese kontinuierliche Erstreckung desselben zeigt, wenn sie sich doch nicht auf jenes konstante reine Ich beziehen soll. Es ist mir unstreitig als eine Erfahrungstatsache gegeben, daß jeder meiner Bewußtseinsvorgänge das dunkle oder deutlichere Innesein davon in sich hat, meinem Bewußtsein anzugehören. Damit ist zugleich gesagt, daß jedem meiner Bewußtseinsvorgänge das Innesein beiwohnt, ein und demselben Bewußtsein anzugehören, wie alle übrigen. Wie dieses Gefühl der Bezogenheit auf dasselbe Bewußtsein psychologisch zustandekommt, geht mich hier nichts an. Mir ist nur dieses wichtig, daß jedem meiner Bewußtseinsinhalte dieses Gefühl unablösbar eingeschmolzen, jede meiner Vorstellungen im weitesten Sinn von diesem Spühren, Fühlen, Wissen, daß immer und überall ich es bin, der sie hat, durchdrungen ist. Diese bewußte Beziehung auf mich ist die allgemeine, beharrende Form meiner Vorstellungen, das Element, in dem sie leben. Und nirgends zeigt mir die Erfahrung diese Form als solche, niemals werde ich des Wissens von mir als eines für sich erfaßbaren, für sich heraushebbaren Faktors oder Fundamentes meines konkreten Bewußtseins inne. Ich kann mich nie isoliert von meinen jeweiligen Bewußtseinsinhalt spüren und wissen. Mein Bewußtsein bietet mir erfahrungsgemäß nichts anderes dar als eine von Zeitpunkt zu Zeitpunkt wechselnde Summe heterogener Vorstellungen, deren jede das dunkel oder deutlich bewußte Bezogensein auf mich als ein nicht für sich heraushebbares Element in sich trägt. Wenn man ausschließlich die reine Erfahrung befragt, so hat demnach HUME mit der Eliminierung der Substanz aus den Bewußtseinsvorgängen und mit der Auffassung des Bewußtseins als eines Bündels oder einer Sammlung von Vorstellungen im Großen und Ganzen recht; und es kann nicht genug die Konsequenz gelobt werden, mit der er zumindest an diesem Punkt die Grenze zwischen Erfahrung und Unerfahrbarem gezogen hat. Jetzt wird klar sein, daß durch die Kontinuität der Bewußtseinsform meine Bewußtseinsvorgänge selbst keineswegs kontinuierlich werden und Gesetzmäßigkeit erhalten. Kontinuität kommt ihnen nur insofern zu, als jedem von ihnen die allgemeine Bewußtseinsform als solche eigentümlich ist, als sie sich sämtlich in meinem Bewußtsein abspielen. Insofern sie dagegen besondere, bestimmte, voneinander unterschiedene Vorgänge in meinem Bewußtsein sind, mangelt ihnen jedwede Kontinuität. Was jeder Bewußtseinsvorgang im Unterschied von allen übrigen ist, dies ist er erst durch das, was als besonderer Inhalt seine allgemeine Bewußtseinsform ausfüllt. Nach dieser Seite hin nun eben, insofern jeder Bewußtseinsvorgang etwas Unterschiedenes ist, ist er nur eine kurze Strecke im Bewußtsein zu verfolgen; sehr bald kommen wir beim Verfolgen nach rückwärts zu einem Zeitpunkt, wo er für das Bewußtsein aus dem Nichts aufgetaucht ist, und ebenso führt uns das Verfolgen nach vorwärts sehr bald zu einer Stelle, wo er für das Bewußtsein im eigentlichsten Sinn zu nichts wird. Ebendaher läßt sich aus der farblosen allgemeinen Bezogenheit meiner Vorstellungen auf mein Bewußtsein für die Gesetzmäßigkeit derselben nicht das Mindeste gewinnen. Es bleibt also dabei: meine Bewußtseinsvorgänge als solche, d. h. insofern jeder von ihnen etwas Bestimmtes ist, sind gegeneinander diskontinuierlich, es muß ihnen daher nach der Bedeutung, die der Ausdruck "Gesetzmäßigkeit" hat, diese abgesprochen werden. Ebensowenig natürlich wird die Diskontinuität der Bewußtseinsvorgänge durch den Umstand aufgehoben, daß jedweder Bewußtseinsvorgang das Merkmal eines zeitlichen Verlaufs besitzt, noch auch dadurch, daß wir in jedem Zeitpunkt Räumliches in irgendeiner Form vorstellen. Dies und manches andere sind Ähnlichkeiten allgemeinster Art, Gleichförmigkeiten genereller Natur, die sonach das, was die Bewußtseinsvorgänge in ihrer Bestimmtheit und Eigentümlichkeit sind, ebenso unverbunden lassen, als wenn sie überhaupt nicht vorhanden wären. Gerade so wie übernatürliche Wunder dadurch, daß sie sich alle etwa in Raum und Zeit vollzogen haben, nicht aufören würden, Wunder zu sein, ebenso bleibt die Diskontinuität zwischen der Wahrnehmung eines Zimmers und der darauffolgenden der Straße trotz des beiden gemeinsamen Merkmals der Räumlichkeit bestehen. 3. Es läßt sich noch von einer anderen Seite mit absoluter Selbstverständlichkeit einsehen, daß das Bewußtsein als solches keine gesetzmäßige Verknüpfung darstellt. Ich ging vorhin von einem Suchen nach Kontinuität aus; jetzt will ich sehen, ob das, was man als Kausalität zu bezeichnen pflegt, mir von meinem Bewußtsein dargeboten wird. Hiermit führe ich einen neuen "leitenden Begriff" ein. Ich setze in keiner Weise die transsubjektive Gültigkeit des Kausalitätsbegriffs voraus, sondern einzig eine bestimmte, sofort näher anzugebende Bedeutung des Ausdrucks: Kausalität. Für jeden, der dieses Wort in demselben Sinn nimmt, wird es, wie ich zeigen werde, eine sich ganz von selbst verstehende Behauptung sein, daß meine Bewußtseinsvorgänge als solche nirgends eine kausale Verknüpfung darbieten. Sollte jemand dreilich mit diesem Wort einen anderen Sinn verknüpfen, so gilt diese Behauptung natürlich nicht für ihn. Allerdings weiß ich nun anderswoher, daß der Begriff der Kausalität nur in dem Sinne, wie ich ihn fasse, ein für die Wissenschaft ersprießlicher und fundamental bedeutungsvoller Begriff ist. Allein dieses mein Wissen bleibt hier, wo es sich um selbstverständliche Behauptungen handelt, sozusagen im Hintergrund. Es ist gut, sich bei der Einführung von "leitenden Begriffen" stets vor Augen zu halten, daß von ihnen kein objektiver Gebrauch gemacht werden darf. Mit dem Ausdruck: Kausalität verbinde ich den Sinn, daß eine Erscheinung für eine andere bestimmend, maßgebend ist. A ist die Ursache von B, wenn B durch A bestimmt ist. Kausalität bezeichnet kein bloßes Nacheinander, auch wenn es mit Regelmäßigkeit verbunden wäre, sondern ein Abhängigkeitsverhältnis. A muß sich in maßgebender, vorschreibender Weise auf B beziehen, sich auf B hin geltend machen, auf B wirken. Zur Kausalität gehört das Durch. So findet auch KANT die "Dignität" des Kausalitätsprinzips darin, daß "die Wirkung nicht bloß zur Ursache hinzukommt, sondern durch dieselbe gesetzt ist und aus ihr erfolgt." (2) Wenn ich mit Aufmerksamkeit meinen Vorstellungsverlauf betrachte, so entdecke ich nirgends zwischen meinen Vorstellungen das Verhältnis des Bestimmens, Wirkens, das Durch; meiner Erfahrung zeigt sich überall nur ein simul [ähnlich - wp] und post [nach - wp]. Die Luftbewegung halte ich für die Ursache der Bewegung der Blätter, die größere Wärme für die Ursache des Steigens der Quecksilbersäule im Thermometer. Und doch bemerke ich zwischen der Druckempfindung des Windes und der Gesichtswahrnehmung der bewegten Blätter, zwischen der erhöhten Wärmeempfindung und der Gesichtswahrnehmung des gestiegenen Quecksilbers in keiner Weise das Verhältnis des Bestimmens, Herbeiführens, Eingreifens und dgl. In anderer Form aber als in der des Empfindens und Wahrnehmens ist meiner Erfahrung die Außenwelt überhaupt nicht gegeben. Indem ich also zwischen den Empfindungen und Wahrnehmungen nichts von einem Bestimmtwerden des einen durch das andere entdecken kann, so ist damit zugleich gesagt, daß auch die Außenwelt meiner Erfahrung nirgends ein kausales Verhalten darbietet. Ebenso läßt mich die Erfahrung da, wo auf irgendeine Verandlassung hin, eine reproduzierte Vorstellung in mein Bewußtsein tritt, nichts als ein Nacheinander erblicken. Wenn das lang entbehrte Wahrnehmungsbild meiner Heimatstadt die Vorstellung von allerhand Spielen und Streichen aus meiner Kindheit ins Bewußtsein gleichsam hinaufruft, so ist doch in meinem Bewußtsein von irgendeiner Abhängigkeit der reproduzierten Vorstellung von der vergangenen Wahrnehmung keine Spur zu entdecken. Und dasselbe ist der Fall, wenn ich Vorstellungen absichtlich reproduziere, also mit bewußtem Wollen, indem ich meiner Aufmerksamkeit eine gewisse Richtung gebe, aus meinen unbewußten Vorstellungsdispositionen die meiner gegenwärtigen Absicht entsprechenden als fertige Vorstellungen in mein Bewußtsein gleichsam hinaufspringen lasse. Auch hier ist in meinem Bewußtsein nichts weiter vorhanden als eine gewisse von einem bewußten Wollen begleitete Spannung meiner Aufmerksamkeit (3) und ganz unvermittelt hiermit die sofort oder nach einiger Zeit in meinem Bewußtsein erscheinende reproduzierte Vorstellung. Dagegen findet sich davon, daß meine Aufmerksamkeit irgendwie auf diese Vorstellung einwirkt und sie aus dem Unbewußten ins Bewußtsein nötigt, in meinem Bewußtsein nicht die leiseste Andeutung. Der betrachtete Fall führt mich auf die Frage, ob ich mich nicht vielleicht doch da, wo ich durch mein bewußtes Wollen unmittelbar Bwegungen meines Leibes und hierdurch wieder Bewegungen fremder Körper hervorbringe, als verursachendes Agens fühle. Es scheint, daß, wenn überhaupt irgendwo, so hier sich uns ein unmittelbarer Blick in das Geheimnis des kausalen Bandes, des Wirkens und Erfolgens eröffnen muß. SCHOPENHAUER behauptet in der Tat, daß wir das, was die Kausalität ihrer inneren Bedeutung nach ist, unmittelbar aus unserer eigenen Bewegung auf Motive erfahren, daß sich uns im Wollen das Geheimnis enthüllt, "wie dem innersten Wesen nach die Ursache die Wirkung herbeiführt." (4) Bei scharfem Achtgeben auf das, was wir im Akt des Wollens innerlich erfahren, stellt sich SCHOPENHAUERs Ansicht als unrichtig heraus. Allerdings enthält das Wollen für unser Bewußtsein etwas, was sich nicht auf Fühlen und Vorstellen zurückführen läßt. So sehr sich mir auch mein Wollen als mit beiden verknüpft darstellt, so spüre ich darin doch zugleich ein gewisses inneres Handeln, ich gebe mir darin eine Richtung aufs Verwirklichen, ich vollziehe einen Akt der Energie, der gebietenden Kraft. In jedem Wollen ist ein Kraftbewußtsein enthalten. Während sich in der äußeren Wahrnehmung, wie ich früher hervorgehoben habe, nirgends eine Kraft entdecken läßt, offenbart sich eine soche der Innenerfahrung in jedem Willensakt. Die Naturkräfte sind unerfahrbar und unwahrnehmbar; dagegen liegt unserem inneren Auge an dieser Stelle eine gewisse Kraft offen. Also erfahre ich mich doch im Wollen als Kausalität? Keinesweg. Mit dem Spüren der Kraft ist noch nicht das Spüren der Kausalität gegeben. Ich habe zwar, wie SIGWART richtig sagt (5), in jedem Wollen "die Vorstellung einer realen Kausalität", ich weiß, indem ich mich als Kraft fühle, mehr oder weniger deutlich, daß diese Kraft bestimmend eingreifen, eine Wirkung hervorbringen kann, allein dieses Bestimmen, Eingreifen, Hervorbringen selbst erfahre und erlebe ich nicht. Es ist dies eine einfache Beschreibung dessen, was sich mir beim Wollen im Bewußtsein darbietet. Aber erfahre ich das Kausieren als solches nicht dann zumindest, wenn mein Wollen direkt eine Bewegung meines Leibes, z. B. das Heben des Fußes oder die greifende Bewegung der Hand herbeiführt? Hier geht zuerst ein Willensimpuls in meinem Bewußtsein vor, nach SIGWARTs Ausdruck "das Kommando, das ich meinen Sprachwerkzeugen, meinen Armen, meiner Hand erteile." Ich erfahre nun aber keineswegs weiter das Bestimmen, das Sichgeltendmachen, das vom Willensimpuls auf das Gehirn, die Nerven, Muskeln, ein Körperglied ausgeübt wird. Sondern es stellen sich einfache in einem Verhältnis des Nacheinander auf den Willensimpuls gewisse lebhafte oder schwächere Gefühe der Anstrengung ein; und hieran wieder reiht sich, gleichfalls im Verhältnis der Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] oder der teilweisen Koexistenz, die ziemlich komplizierte Empfindung der erfolgenden Bewegung. So erfahre ich in dem ganzen Vorgang ein bloßes Nach- und Nebeneinander von Willensimpuls, Anstrengungsgefühl (6) und Bewegungsempfindung. Also auch das Wollen und Herbeiführen einer Leibesbewegung bietet meiner Erfahrung nirgends das Verursachen als solches dar. 4. Um die Sache noch deutlicher zu machen, frage ich nun: was treffe ich denn in meinem Bewußtsein an, wenn ich zwei Vorgänge als kausal verknüpft ansehe? Denn auch wenn die Kausalität als solche niemals gespürt, gefühlt, wahrgenommen, erlebt werden kann, so muß sie doch in irgendeiner Form in meinem Bewußtsein vorkommen; sonst könnte ich ja von ihr überhaupt nicht reden. Gerade so wie ich oben sagte, daß ich nur die Vorstellung von unbewußtem Dasein, niemals diese selbst in meinem Bewußtsein habe, so darf ich hier den absolut unbezweifelbaren Satz aussprechen, daß ich zuweilen in meinem Bewußtsein den mehr oder weniger deutlichen Gedanken der Kausalität oder noch genauer: den Gedanken mit dem Inhalt: Kausalität antreffe (7). Natürlich ist derjenige meiner Gedanken, der den Inhalt: Kausalität hat, damit nicht selbst als kausal verknüpft erfahren. Der Unterschied springt in die Augen. Genauer verhält sich nun die Sache in meinem Bewußtsein so, daß ich den Kausalitätsgedanken zu gewissen Empfindungen, Wahrnehmungen, Gefühlen, kurz Vorstellungen hinzudenke. Doch hier muß ich näher unterscheiden. Wenn ich mein Übelbefinden als Wirkung eines eben erlittenen Schrecks betrachte oder das Eintreten des Erinnerungsbildes meines verstorbenen Vaters in mein Bewußtsein davon herleite, daß soeben das Wahrnehmungsbild des Hauses hatte, in dem er gewohnt hat, so füge ich den Kausalitätsgedanken unmittel bar zu meinen eigenen Bewußtseinszuständen als solchen hinzu. Anders ist es, wenn ich z. B. das Kommen des Schülers als Wirkung des ihm erteilten Befehles, oder den Umstand, daß mir sehr oft eine Melodie einfällt, als Wirkung einer sehr lebhaften unbewußten Disposition zu dieser Vorstellungsgruppe, oder das Schwimmen des Holzes auf dem Wasser als Wirkung des vom umgebenden Wasser auf dasselbe ausgeübten Druckes nach aufwärts ansehe und dgl. Hier sind es nicht meine Bewußtseinsvorgänge als solche, zu denen ich den Kausalitätsgedanken hinzudenke, sondern dieses Hinzudenken geschieht zum Transsubjektiven, das ich mir als den betreffenden Vorstellungen entsprechend denke. Hier tritt also zunächst eine transsubjektive Deutung meiner Vorstellungen ein; und erst auf die ins Transsubjektive projizierten Gegenstände beziehe ich den Gedanken der Kausalität. Denn ich denke mir, daß das Subjekt des Schülers als solches, und nicht etwa meine Vorstellung von ihm, veranlaßt wurde, zu mir zu kommen, und daß das veranlassende Moment in dem gehörten Befehl, also in einem realen psychischen Vorgang des Schülers, nicht aber etwa in meiner Vorstellung von ihm, veranlaßt wurde, zu mir zu kommen und daß das veranlassende Moment in dem gehörten Befehl, also in einem realen psychischen Vorgang des Schülers, nicht aber etwa in miener Vorstellung von einem solchen Vorgang lag. Und ebenso verstehe ich unter der unbewußtsen Dispositionen zu gewissen Vorstellungen und unter dem Holz, Wasser und dem Druck, den dieses auf jenes ausübt, Zustände, Vorgänge und Dinge, die auch außerhalb der jeweilig sie vorstellenden bewußten Subjekte etwas sind und bedeuten. Doch hiermit ist das, was in meinem Bewußtsein geschieht, wenn ich zwei Vorgänge kausal miteinander verknüpfe, noch nicht vollständig bezeichnet. Vielmehr bleibt das Wichtigste noch zu erwähnen. Ich bleibe nämlich nicht dabei stehen, den Kausalitätsgedanken zu meinen Vorstellungen, bzw. zu ihrem ins Transsubjektive versetzten Inhalt hinzuzudenken, sondern ich denke ihn geradezu hinein. Wenn ich zwei Erscheinungen, seien es subjektive oder transsubjektiv gedeutete, kausal verknüpfe, so meine ich nicht, daß ihre kausale Verknüpftheit in meinem Gedanken, daß sie kausal verknüpft sind, liegt, sondern ich will damit sagen, daß die Erscheinungen selbst in der Beziehung von Ursache und Wirkung stehen. Der Sinn des Kausalitätsgedankens ist der, daß das kausale Verhalten von den betreffenden Erscheinungen selber geleistet wird, sie selber angeht; daß also das Bestimmen, Einwirken, Anhängigsein, kurz das, was ich im Kausalitätsgedanken denke, irgendwie den kausal bezogenen Erscheinungen als solchen anhaftet, innewohnt, darin zu finden ist. Wenn der Sinn der Kausalität lediglich darin bestünede, daß das Abhängigkeitsverhältnis zu gewissen Erscheinungen jeweilig von den verschiedenen Menschen hinzugedacht wird, so wäre die Kausalität nicht durch die Bestimmtheit und Eigenart der Erscheinungen selbst gesetzt, und sie würde also zu einer objektiv nichtssagenden Vorstellung werden. Die Kausalität zweier Erscheinungen würde dann an der ganz zufälligen Bedingung hängen, als ob ein Bewußtsein vorhanden wäre, das diese Erscheinungen wahrnimmt und dabei ausdrücklich den Gedanken der Kausalität hinzudenkt. Nun habe ich aber mit absoluter Gewißheit konstatiert, daß die Abhängigkeit der Erscheinungen schlechthin unerfahrbar ist. So wird also der Inhalt des Kausalitätsgedankens mit der (stillschweigenden) näheren Bestimmung mitgedacht, daß das in ihm Ausgedrückte sich nicht an dem, was die betreffenden Erscheinungen in meinem Bewußtsein sind, sondern nur an dem, was sie transsubjektiv sind, verwirklicht zeigt. Mein Bewußtsein setzt also im Kausalitätsgedanken einen Inhalt als verwirklicht, ohne doch die Verwirklichung desselben ein seinem Bereich erfahren zu können. Mit anderen Worten: das Bewußtsein postuliert die Kausalität, es bestimmt, daß im Transsubjektiven Kausalität herrscht, ohne doch jemals mit dem Transsubjektiven in Berührung zu kommen. Frage ich also, was beim haben des Kausalitätsgedankens in meinem Bewußtsein vorgeht, so lautet die erschöpfende Antwort kurz folgendermaßen: Ich denke zu gewissen Erscheinungen den Inhalt des Kausalitätsgedankens, das Durch oder wie ich ihn sonst bezeichnet habe, hinzu, dabei denke ich aber implizit zugleich den wesentlichen Gedanken mit, daß jener Inhalt den betreffenden Erscheinungen selber anhaftet; indem ich aber diesen Gedanken mitdenke, ist darin ein transsubjektives Verhältnis postuliert. Was also in meinem Bewußtsein von der Kausalität zweier Erscheinungen vorgeht, reicht gerade bis dahin, wo das wirkliche kausale Verhältnis beginnt; dieses selbst ist transsubjektiv. Nur das Hinausversetzen, Hineindenken der Kausalität wird erfahren; die Kausalität aber als Verwirklichung der Forderungen, die das Hineindenken ausspricht, ist unerfahrbar. - Wir werden übrigens im folgenden Abschnitt sehen, daß mit der Bezeichnung des Kausalitätsgedankens als eines Postulates nichts ihm besonders Zukommendes gesagt ist, sondern daß das Denken überhaupt und durchgängig ein Postulieren trannsubjektiver Bestimmungen ist. Nebenbei bemerkt, beging KANT die Unachtsamkeit, das Hinzudenken des Begriffs der Kausalität zu den Wahrnehmungen schon für die kausale Verknüpfung dieser selbst zu halten. Auch bei ihm gehört, wie schon oben bemerkt wurde, zur Kausalität wesentlich dies, daß der nachfolgende "durch" den vorangegangenen "bestimmt" ist, also etwas, was sich im Bewußtsein nicht verwirklichen kann. Und doch hält er die Kausalität für etwas Intersubjektives; sie kommt, meint er, dadurch zustande, daß mein Bewußtsein die Wahrnehmungen nach der Kategorie der Kausalität verknüpft, also durch das bloße Hinzudenken eines Begriffs. Etwas Ähnliches lehrt er auch von der Kategorie der Substanz. Es sollen meine Wahrnehmungen, die, wie wir wissen, absolut diskontinuierlich sind, und die, isoliert betrachtet, auch nach KANT ein bloßes "Gewühl" darstellen, schon dadurch allein ein beharrliches Substrat erhalten, daß ich mit ihnen eine Synthesis nach der Kategorie der Substanz vornehme, d. h. den Begriff der Substanz zu ihnen hinzudenke. (8) Indem ich nun wieder zu meinem Thema zurückkehre, habe ich zunächst die abschließende Bemerkung zu machen, daß nach dem eben Dargelegten auch von der Seite der Kausalität aus nirgends in meinem Bewußtsein als solchem Gesetzmäßigkeit zu finden ist. Das Wort "Gesetzmäßigkeit! verliert nicht nur jeden Sinn, wenn ich Kontinuität davon abziehe, sondern auch durch die Tilgung des Merkmals der Kausalität. Indem also Kausalität durchaus zum Jenseits meines Bewußtseins gehört, ist auch von dieser Seite aus die gesetzmäßige Verknüpfung von ihm ausgeschlossen. Die Gesetzmäßigkeit gehört demnach in jedem Fall in den Bereich des Transsubjektiven oder Unerfahrbarern. 5. Jetzt will ich den letzten Schritt tun und zeigen, daß meinen Bewußtseinsvorgängen als solchen selbst Regelmäßigkeit mangelt. Wenn wir den Sachverhalt genau auffassen, so stellt es sich als absolut unmöglich heraus, eine Regelmäßigkeit zu erfahren, so unglaublich dies zunächst klingen mag. Ich verstehe unter Regelmäßigkeit das, was von der Gesetzmäßigkeit nach Abzug der spezifischen Verursachung übrigbleibt, also eine solche Wiederholung der Aufeinanderfolge zweier Vorgänge, daß nach dem Eintreten des einen unausbleiblich der andere folgt. Es enthält daher die Gesetzmäßigkeit zwar immer das Merkmal der Regelmäßigkeit; dagegen gibt es viele regelmäßig aufeinanderfolgende Erscheinungen, die nicht zugleich in einem Verhältnis von Ursache und Wirkung stehen. Was ist regelmäßiger als die Folge von Tag und Nacht, von Winter und Frühling? Und eilen nicht regelmäßig nach der Baumblüte die Tage ihrer größten Länge zu, wie sie umgekehrt nach der Weinlese rasch ihrer kürzesten Dauer entgegengehen? An der beständig regelmäßigen Folge dieser Tatsachen ist nicht zu mäkeln. Und doch wäre es sinnlos, den Tag als die Ursache der Nacht, die Baumblüte als die Ursache der größten Tageslänge zu bezeichnen. Ebenso geschieht es durchaus regelmäßig, daß jedes die Donau hinabfahrende Schiff zuerst in Linz und dann in Wien eintrifft, und daß einige Zeit, nachdem die Glocken des Münsters in X. an Sonntaage um 9 Uhr vormittags geläutet haben, der Prediger die Kanzel betritt. Und doch ist das Erscheinen des Schiffes in Linz keineswegs die Ursache seines Eintreffens an den weiter unterhalb befindlichen Stellen (9) und ebensowenig wird jemand den Umstand, daß die Glocken des Münsters ertönen, als die Ursache vom Erscheinen des Predigers auf der Kanzel bezeichnen. Die Ursache in diesem letzten Fall liegt vielmehr in der Vorstellung des Predigers, daß nach dem gewohnten Verlauf des Gottesdienstes jetzt die richtige Zeit zur Kanzelbesteigung gegeben ist. Diese Beispiele werden zur Genüge dargetan haben, daß die Regelmäßigkeit viel weiter reicht als das Verhältnis von Ursache und Wirkung (10). Ich frage nun, ob ich unter meinen Bewußtseinsvorgängen eine Regelmäßigkeit zu beobachten imstande bin. Auch hier muß die Antwort verneinend lauten. Wenn in meinem Bewußtsein, daß heute B auf A folgt, so kann vielleicht morgen das A ohne das B oder das B ohne das A im Bewußtsein verlaufen. Heute habe ich z. B. zuerst die Wahrnehmung des sich durch ein unterhaltendes Feuer immer mehr und mehr erwäremenden Wassers und dann die Wahrnehmung des Siedens; morgen jedoch sehe ich vielleicht, wie das Wasser sich unter denselben Umständen immer mehr dem Siedepunkt nähert, allein ich werde abberufen und die Wahrnehmung des Siedens fällt nicht in mein Bewußtsein; wogegen vielleicht übermorgen mir die Wahrnehmung der steigenden Erwärmung fehlt und nur die des Siedens eintritt. Oder ich habe zehnmal gesehen, wie auf einen Stich in meinen Finger Blut fließt; das elfte Mal jedoch steche ich mich gerade in einer Stunde höchster Aufregung in den Finger, so daß ich von einem Bluten absolut nichts wahrnehme. Oder wird mir etwa der regelmäßige Wechsel von Tag und Nacht durch die Erfahrung gegeben? Heute habe ich ununterbrochen die Wahrnehmung des Lichts, worauf die Finsternis folgt; morgen dagegen mache ich am Tag ein Schläfchen oder gehe in den Keller oder schließe aus irgendwelchen Gründen mehrere Male die Augen. Und während der Nacht habe ich fast niemals die ununterbrochene Wahrnehmung der Finsternis; ist ist durch den Aufenthalt in erleuchteten Zimmern und durch den Schlaf mannigfach unterbrochen. Niemand läßt sich nun durch solche Zufälligkeiten beirren, denn es versteht sich für jeden von selbst, daß, mag er auch das siedende Waser oder das fließende Blut nicht gesehen haben, und mag seine Wahrnehmung des Tageslichts und der Nachtdunkelheit wie oft auch immer unterbrochen sein, nichtsdestoweniger hat das Unwahrgenommene doch stattgefunden, d. h. das Wasser kam ins Sieden, das Blut zum Herausströmen und Tag und Nacht sind ununterbrochen verflossen. Zum Konstatieren von Regelmäßigkeit gehört also die Annahme von Transsubjektiviem, die Ergänzung der bewußten Vorgänge durch nicht Erfahrenes. Sollte lediglich aus dem im Bewußtsein Geschehenden eine Regelmäßigkeit herausgefunden werden, so müßte das Bewußtsein als solches eine Garantie für das immer stattfindende Miteinandereintreten der meinetwegen zehn- oder hundertmal verbunden gewesenen Vorstellungen und für ihr ununterbrochenes Verlaufen enthalten. Dieses ist jedoch nicht der Fall. Welchen tausendfachen Unterbrechungen, Störungen, Durchkreuzungen, Zwischenfällen ist Bewußtsein nicht ausgesetzt! Für solche Zufälligkeiten, vor denen das Bewußtsein niemals sicher ist, muß durch die Annahme einer transsubjektiven Wirklichkeit ein für allemal die Möglichkeit einer Korrektur geschaffen sein, wenn von Regelmäßigkeit die Rede sein soll. Selbst der Experimentator, der absichtlich seine Aufmerksamkeit auf das regelmäßige Eintreten unter den von ihm selbst veranstalteten Bedingungen lenkt, ist nicht sicher, daß durch irgendein unvermutetes Ereignis seine Aufmerksamkeit, die vielleicht soeben die erste Erscheinung aufgefaßt hat, von der zweiten so vollständig abgelenkt wird, daß sie gar nicht in sein Bewußtsein fällt. Wenn er trotzdem annimmt, daß hierdurch die Unabänderlichkeit der Aufeinanderfolge kein Loch erhalten hat, so liegt dieser Annahme eben der Glaube zugrunde, daß die zweite Erscheinung, die er erwartete, sich außerhalb seines Bewußtseins irgendwie vollzog, daß also das wirklich Erfahrene nur durch die Zugehörigkeit zu einer Sphäre des Unerfahrbaren als regelmäßig geordnet gelten kann. Dies ist kein kleinliches auf die Spitze treiben, keine aufsässige Konsequenzenzieherei, sondern nur ein einfaches Aufweisen der Unrichtigkeit der Annahme, daß uns die Erfahrung als solche zum Konstatieren von Regelmäßigkeit berechtigt. Hiermit hat unser früherer Satz, daß die Kausalität als solche absolut unerfahrbar ist, auch für diejenige Richtung Gültigkeit gewonnen, welche in dem Glauben, daß jedes Überschreiten der Erfahrung in eine Mystik hineinführt, aus dem Begriff der Kausalität das Durch eliminiert und ihn, wie HUME und nach ihm MILL (11), als "ein Verhältnis unabänderlicher Aufeinanderfolge" definiert. Selbst dieser verdünnte Kausalitätsbegriff läßt sich, wenn mann auf dem Standpunkt der bloßen Erfahrung steht, nicht halten; denn auch die regelmäßige Aufeinanderfolge ist nur durch eine fortwährende Ergänzung des Erfahrenen durch Unerfahrenes zu gewinnen. Die Angst vor der Metaphysik müßte den reinen Empiristen nicht nur zu jener Entnervung des Gedankens der Kausalität, sondern vielmehr zum völligen Aufgeben desselben führen. 6. Jetzt erst kennen wir die ganze Dürftigkeit des Standpunktes der reinen Erfahrung. Das vorige Kapitel lehrte, daß, wer die Erfahrung als alleinige Erkenntnisquelle ansieht, sich nich nur alles Redens von realen Dingen, unbewußtem Dasein und anderen Menschen, sondern auch alles allgemeingültigen und notwendigen Beweisens und Urteilens enthalten müßte. Dieses Kapitel fügt nun noch die Einsicht hinzu, daß er nicht einmal hoffen darf, in monologisierender Weise in seinem eigenen Bewußtsein eine gesetzmäßige Verknüpfung oder auch nur irgendeine Regelmäßigkeit aufzuweisen. Da man unter Wissenschaft ein Erkennen versteht, das alle diese Merkmale besitzt, auf die das Wissen der reinen Erfahrung durchaus verzichten muß, so ist klar, daß es auf dem Standpunkt der reinen Erfahrung keine Wissenschaft gibt. Verzweiflung an aller Wissenschaft, absoluter Skeptizismus - dies ist das Ziel, bei dem jeder, der sein Wissen ausschließlich auf die reine Erfahrung oder die Selbstgewißheit des Bewußtseins gründen will, wenn er nur dieses Beginnen klar zu durchschauen imstande ist, ankommen muß. Dies ist keine bloße Ansicht, sondern ein absolut unbezweifelbarer Satz. Und dieser Satz hätte schon längst allgemeine Anerkennung finden müssen, wenn man die Frage nach den elementaren Gewißheitsprinzipien sorgfältiger behandelt hätte. Nur selten stößt man auf philosophische Schriften, die sich über die Beschaffenheit der Bewußtseinsvorgänge als solcher keiner Täuschung hingeben und die ganz Kläglichkeit des sich auf sie einschränkenden Standpunktes darlegen. Hierzu gehört die "Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus" von EDUARD von HARTMANN. In dieser erkenntnistheoretischen Schrift kommt er nach treffenden und ganz passend von recht trivialen Beispielen ausgehenden Darlegungen zu dem Ergebnis, daß es in der subjektiven Erscheinungswelt eine Beharrlichkeit der Dinge und eine Kontinuität der kausalen Vorgänge überhaupt nicht gibt, daß ihre Sukzessionsreihen immerfort in unvermittelter Weise und ohne jede erkennbare Gesetzmäßigkeit unterbrochen werden, und daß daher derjenige, der die subjektive Erscheinungswelt streng isoliert, ihren Inhalt zu einem unerklärbaren Durcheinander wirrer Bilder herabsetzt. Zugleich können HARTMANNs Erörterungen lehren, in wie hohem Maß die Einsicht in die wahren Schranken der reinen Erfahrung auch den Phänomenalismus der kantischen Philosophie, vom dem übrigens noch weiter unten die Rede sein wird, als unhaltbar erscheinen läßt. (12) Auch LIEBMANN hat der Beschaffenheit der Bewußtseinsvorgänge als solcher eine scharfe Aufmerksamkeit zugewendet. Das Pochen der modernen Erfahrungswissenschaften auf ihre von allem Überempirischen gereinigte Natur veranlaßte ihn, den heutigen "Neo-Baconisten" die reine Erfahrung in ihrer vollen Blöße eindringlich vor Augen zu führen. In seinem schneidigen Schriftchen "Die Klimax der Theorien" zeigt er, zu was für einem "ungeordneten, zusammenhanglosen Aggregat diskontinuierlicher Wahrnehmungsfragmente" die Erfahrung auseinanderfällt, wenn man sämtliche in der gewöhnlichen und wissenschaftlichen Erfahrung enthaltenen subjektiven Verstandeszutaten eliminiert. Sein Zweck ist, diejenige nicht-empirischen "Interpolationsmaximen" aufzudecken, durch deren beständige Handhabung wir aus den unstetigen, durchlöcherten Wahrnehmungsfragmenten die geordnete Erfahrung erzeugen (13). Man pflegt heutzutage diejenige Richtung in der Philosophie, welche die reine Erfahrung mit vollem Bewußtein als einzige Erkenntnisquelle betrachtet, also den reinen, extremen Empirismus mit dem Namen des Positivismus zu belegen. Demgemäß ließe sich auch das Erkenntnisprinzip der reinen Erfahrung oder der Selbstgewißheit des Bewußtseins, insofern es als ausschließlich geltend betrachtet wird, als das positivistische Erkenntnisprinzip bezeichnen (14). Gemäß diesem Sprachgebrauch würde somit das Prinzip der reinen Erfahrung dadurch, daß ihm eine ausschließliche Geltung zugesprochen würde, die Verengung zum positivistischen Prinzip erfahren. Die Erkenntnistheorie hat also, wie dieser Abschnitt durch die Tat dargetan hat, damit anzufangen, daß sie dasjenige Erkenntnisprinzip anerkennt und es daraufhin untersucht, ob es wohl auf eine ausschließliche Geltung Anspruch erheben, d. h. als positivistisches Erkenntnisprinzip auftreten kann. Dies geschah hier, indem ich einerseits den Vorzug der reinen Erfahrung, die absolute Unbezweifelbarkeit, und andererseits die Schranken ihrer Leistungsfähigkeit in ein gehöriges Licht setzt. Sonach hat der Erkenntnistheoretiker zu Beginn seines Geschäfts sich versuchsweise auf den Standpunkt des Positivismus zu stellen. Freilich hat dieses Durchmachen des Positivismus die Einsicht zum Resultat, daß, wenn man bei seinem Erkenntnisprinzip stehen bliebe, alle Wissenschaft unmöglich würde. Aus dem Gesagten ergibt sich von selbst, daß es in der Wissenschaft einen konsequenten Positivisten nicht geben kann. Jeder, der sich als Positivist bekennt und dabei auf den Namen eines Mannes der Wissenschaft Anspruch erhebt, gesteht hiermit stillschweigend ein, daß er sein eigenes Grundprinzip nicht klar durchdacht hat, daß er eine Menge höchst wichtiger Faktoren, die völlig unerfahrbar sind, stillschweigend zur Erfahrung rechnet. Wenn er seinen Standpunkt klar durchschauen würde, so müßte er ihm sagen, daß, sobald er sich theoretisch verhält, ihm nichts übrig bleibt, als seine gegenwärtigen und vergangenenen Bewußtseinszustände zu bezeichnen und zu beschreiben. Er müßte also die Philosophie als Jllusion ansehen und daher aufgeben. Will dies der Positivist nicht tun, will er seine positiven und negativen Behauptungen über die kausalen Verknüpfungen auf psychischem und physischem Gebiet aufrechterhalten, so ist es seine Pflicht, endlich einmal zu gestehen, daß er die Erfahrung vielfältig und in prinzipiell bedeutungsvollster Weise überschreitet, und das Erkenntnisprinzip genau anzugeben, das ihn gerade zu einem so eigenartigen Hinausgreifen ins Unerfahrbare und zu einem so schroffen Verwerfen jeder anderen Weise, das Unerfahrbare zu bestimmen, berechtigt. Es gibt für die Philosophie keinen prinzipielleren Gegensatz als den zwischen den eigenen Bewußtseinsvorgängen und dem Transsubjektiven. Allerdings ist es kein metaphysischer, sondern ein erkenntnistheoretischer Gegensatz. Über die Verschiedenheit des Seienden auf beiden Gebieten ist mit diesem Gegensatz nichts ausgesprochen; er bezieht sich lediglich auf das Verhältnis beider Gebiete zu dem Bestreben, sie zu erkennen. Zu meinem Erkennen haben meine eigenen Bewußtseinsvorgänge eine fundamental andere Stellung als das Transsubjektive; für meine Erkenntnisbemühungen beginnt da, wo mein Bewußtsein aufhört, eine prinzipiell verschiedene Welt. In Bezug auf alles, was ich nicht ausdrücklich in meinem Bewußtsein besitze und finde, treten vollständig andere Schwierigkeiten, Aufgaben, Prinzipien für mein Erkenntnisbestreben ein. Es gibt daher keinen so tief einschneidenden Wendepunkt in meinem Erkennen als das Hinausgreifen über mein Bewußtsein. Mein ganzes weiteres Bemühen wird nun darauf gerichtet sein, dasjenige Erkenntnisprinzip genau zu bestimmen, aufgrunddessen mein Bewußtsein diese für das Erkennen epochemachende Tat vollbringt und die ganze erkenntnistheoretische Art und Weise der Eroberung des transsubjektiven Gebietes darzulegen. ![]()
1) KANT, Kritik der reinen Vernunft, zweite Auflage B, Seite 135 [erste Auflage A, Seite 116]. 2) KANT, Kr. d. r. V., Ausgabe B, Seite 124 (vgl. Seite 234, 240, 244). 3) Es ist nicht ganz leicht, die Spannung der Aufmerksamkeit zu beschreiben, die in einem Akt des absichtlichen Sichbesinnens auf eine Vorstellung stattfindet, und zwar aus dem Grund, weil der suchenden Aufmerksamkeit die Vorstellung, welche sie sucht, gänzlich unbekannt ist. 4) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung, dritte Auflage, Bd. I, Seite 150. Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, dritte Auflage, § 43. 5) CHRISTOPH SIGWART, Der Begriff des Wollens und sein Verhältnis zum Begriff der Ursache, Seite 6 und 8 (enthalten in den Tübinger Universitätsschriften aus dem Jahr 1879). 6) Nebenbei bemerkt, ist dieses Anstrengungs- oder Anspannungsgefühl eine zweite Stelle im Bewußtsein, wo sich die Kraft seinem inneren Auge enthüllt. Im Willensimpuls werde ich der Kraft in mehr geistiger, in der Anstrengungsempfindung in mehr sinnlicher Art inne. Dagegen läßt sich eine weitere Stelle, wo uns die Kraft unmittelbar zum Bewußtsein käme, nicht entdecken. Die übrigen Bewußtseinsvorgänge weisen nchts von einer Kraftempfindung auf; so scharf ich sie auch zergliedern mag, so ist doch die Kraft als Bewußtseinsinhalt nicht in ihnen zu erspähen. Wenn daher HERBERT SPENCER behauptet, daß sich alle übrigen Bewußtseinsvorgänge aus Erfahrungen von Kraft ableiten lassen (Grundlagen der Philosophie, übersetzt von VETTER, Stuttgart 1875, Seite 167f), so läßt sich schon aus dem Angedeuteten der Wert dieser seiner grundlegenden Hypothese ermessen. 7) Wenn SCHUPPE meine Behauptung, es gebe in meinem Bewußtsein keine Spur von Gesetzmäßigkeit, durch den Hinweis darauf zu widerlegen meint, daß ich doch selbst beim Leugnen der Gesetzmäßigkeit den Begriff derselben in meinem Denken besitze ("Zur voraussetzungslosen Erkenntnistheorie", Philosophische Monatshefte, Heft VI und VII, Seite 382), so verwechselt er augenscheinlicherweise den in meinem Bewußtsein ganz sporadisch vorkommenden Gedanken der Gesetzmäßigkeit, mit der als ununterbrochen vorausgesetzten Gesetzmäßigkeit, in die die Bewußtseinsvorgänge eingegliedert werden sollen. 8) KANT, Kritik der reinen Vernunft, zweite Auflage, Seite 225f; erste Auflage, Seite 111. 9) Es ist geradezu eine seltsame Unaufmerksamkeit KANTs, daß er da, wo er das Haupterfordernis der Kausalität an einem Beispiel erörtern will, zu diesem Zweck die regelmäßige Wahrnehmungssukzession wählt, daß ich jedes den Strom hinabtreibende Schiff zuerst an den oberen und dann erst an den weiter unterhalb gelegenen Stellen bemerke (Kritik der reinen Vernunft, zweite Auflage, Seite 237). Vgl. auch die richtigen Bemerkungen EDUARD von HARTMANNs über dieses kantische Beispiel ("Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus", Berlin 1875, Seite 81). 10) Die Frage, wie sich die Regelmäßigkeit zur Kausalität verhält, ist damit keineswegs erledigt. Weiteres über diesen Punkt folgt im letzten Kapitel des dritten Abschnitts. 11) JOHN STUART MILL, System der deduktiven und induktiven Logik, übersetzt von GOMPERZ, Bd. II, Seite 14f. 12) EDUARD von HARTMANN, Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus, Seite 81f. 13) OTTO LIEBMANN, Die Klimax der Theorien. Eine Untersuchung aus dem Bereich der allgemeinen Wissenschaftslehre, Straßburg 1884, Seite 76f. 14) Gäbe es für den extremen Bewußtseinsidealismus, der gleichfalls im Grunde das Erkenntnisprinzip der reinen Erfahrung als ausschließlich geltende ansieht, einen kurzen bezeichnenden Namen, so könnte man diesen natürlich mit demselben Recht für diesen Begriff anwenden. Überhaupt gilt alles im unmittelbar folgenden über den Positivismus Gesagte auch vom extremen Vorstellungsidealismus, von dem übrigens bald näher die Rede sein wird. |