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JOHANNES VOLKELT
Erfahrung und Denken
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"Wissenschaft verliert jeden Sinn, wenn die Merkmale des Beweisens, der Allgemeingültigkeit, Notwendigkeit, Allgemeinheit, Gesetzmäßigkeit und dgl. in jeder Hinsicht fern bleiben sollten. Allerdings erklärt der Positivist eine Menge von den überempirischen Ergänzungen und Umwandlungen, welche der naive Mensch und die Wissenschaft mit der Erfahrung vornehmen, eben aus dem Grund für unhaltbar, weil sie die Erfahrung überschreiten und verfälschen."

"Hume erklärt ausdrücklich, keine andere Wirklichkeit zu kennen als die Wahrnehmungen und Vorstellungen. Die Idee der Existenz ist ihm dasselbe mit der Idee der Wahrnehmung. Der Begriff einer äußeren Existenz im Sinne eines von unseren Wahrnehmungen verschiedenen Etwas ist ihm ein Widersinn.

"Einbildung macht aus den Vorstellungsmassen eine personal identity, eine unveränderliche und unentbrochene Existenz. Das Ich ist für Hume eine auf Grundlage der Ideenassoziation gebildete Vorstellung der Einbildungskraft; ein imaginäres Prinzip der Vereinigung, kein reales Band."

"Denn wir haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun; wie Dinge ansich, ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns affizieren, sein mögen, ist gänzlich außer unserer Erkenntnisphäre."

Zweiter Abschnitt
Die reine Erfahrung als
Erkenntnisprinzip

[Fortsetzung 3]

Viertes Kapitel
Der Positivismus und subjektive Idealismus als
inkonsequente Durchführungen des Prinzips der
reinen Erfahrung

1. So unhaltbar auch die Standpunkte sind, die sich ausschließlich auf das Prinzip der reinen Erfahrung gründen, so sind sie doch für die kritische Reinigung des Denkens unerläßlich und schon darum geschichtlich gefordert. Wenn die Philosophie, wie ich dargelegt habe, erst dadurch wahrhaft kritisch wird, daß sie mit dem Standpunkt der reinen Erfahrung beginnt und es sich zu ihrer ersten Pflicht macht, diesen Standpunkt zu durchdenken und seine Leistungsfähigkeit abzugrenzen, so wird es für das Lösen dieser Aufgabe von größtem Vorteil sein, wenn es in der geschichtlichen Entwicklung der Philosophie Richtungen gibt, die sich ganz einseitig auf diesen Standpunkt werfen und alles, was sich nicht durch reine Erfahrung leisten läßt, aus der Erkenntnis tilgen wollen. Nur so kann die fundamentale Wichtigkeit dieses Begriffs ins rechte Licht treten, nur so kann die Philosophie dahin kommen, der reinen Erfahrung gerecht zu werden.

Da tritt uns nun vor allem der Positivismus entgegen. Er ist der historisch wichtigste und zugleich sachlich wertvollste Versuch, das Erkenntnisprinzip der reinen Erfahrung zur ausschließlichen Grundlage der Philosophie zu machen.

Die Erörterungen der voranstehenden Kapitel führten zu der Einsicht, daß jede positivistische Philosophie, wie auch immer ihre nähere Beschaffenheit sein mag, stets eine in den prinzipiellsten Stücken inkonsequente, ungenügende Durchführung ihres eigenen Grundprinzips ist. Denn indem sie wissenschaftliche Forschung sein will, gibt sie eo ipso [schlechthin - wp] ihrem Erkennen alle oder doch die meisten von denjenigen Voraussetzungen und Zielen, deren transsubjektiven Charakter die beiden letzten Kapitel erwiesen haben. Das Wort: Wissenschaft verliert jeden Sinn, wenn die Merkmale des Beweisens, der Allgemeingültigkeit, Notwendigkeit, Allgemeinheit, Gesetzmäßigkeit und dgl. in jeder Hinsicht fern bleiben sollten. Allerdings erklärt der Positivist eine Menge von den überempirischen Ergänzungen und Umwandlungen, welche der naive Mensch und die Wissenschaft mit der Erfahrung vornehmen, eben aus dem Grund für unhaltbar, weil sie die Erfahrung überschreiten und verfälschen. Einen anderen und sicherlich nicht geringen Teil der transsubjektiven Faktoren dagegen muß auch der Positivist unberührt lassen, in so radikaler Weise er auch allem, was nicht aus der Erfahrung stammt, den Krieg erklären mag. Und zwar wird sich, wenn man die vergleichsweise konsequenteren Positivisten betrachtet, bald herausstellen, daß sie alle ungefähr in demselben Umfang ins Unerfahrbare hinausgreifen. Und es ist dies ja auch natürlich, da sich ein Teil des Transsubjektiven nicht wegschaffen läßt, ohne die Wissenschaft geradezu und augenfällig aufzuheben, und daher schon der Trieb der Selbsterhaltung jeden Positivisten dazu bringen muß, diese unentbehrlichen transsubjektiven Ergänzungen stillschweigend oder unter irgendeiner Verkleidung oder Beschönigung in seine Philosophie aufzunehmen. Wollte daher jemand an einer größeren Anzahl positivistischer Denker zeigen, wieviel transsubjektive Formen sie zu eliminieren unterlassen haben, so würde er unvermeidlich sehr bald in eintönige Wiederholungen fallen. Ich will darum nur zwei Positivisten über den bezeichneten Punkt befragen: DAVID HUME, den Vater des Positivismus und JOHN STUART MILL, den hervorragendsten Weiterbildner desselben.

2. Schon der Umstand, daß HUME der Erste war, der das Prinzip der reinen Erfahrung zur ausschließlichen Grundlage der Philosophie machte, läßt darauf schließen, was für ein hervorragend kritischer, mit kühler Schärfe ausgestatteter Denker er gewesen sein muß. Und dieses Lob wird sich steigern, wenn man sieht, mit wie bemerkenswerter und scharfsinniger Konsequenz er sein Grundprinzip durch alle seine Probleme hindurchführte. Auf diese Konsequenz HUMEs will ich zuerst mein Augenmerk lenken.

HUME erklärt ausdrücklich, keine andere Wirklichkeit zu kennen als die Wahrnehmungen und Vorstellungen. Die idea of existence ist ihm dasselbe mit der idea of the perception. Der Begriff einer äußeren Existenz im Sinne eines von unseren Wahrnehmungen verschiedenen Etwas ist ihm ein Widersinn oder doch eine leere und wertlose Möglichkeit. Wir kommen niemals über den engen Raum unseres Vorstellens hinaus. (1)

Die Antworten die HUME auf die verschiedenen Grundfragen seines Philosophierens gibt, sind wesentlich durch das vollbewußte Bestreben bestimmt, nichts über die unmittelbar erfahrenen Vorstellungen Hinausliegendes als wirklich anzunehmen. Dies zeigt sich besonders schlagend da, wo er die Frage aufwirft, wie wir zur Annahme einer kontinuierlichen, ununterbrochenen existierenden Außenwelt gelangen. Er weiß sehr wohl, daß die Bewußtseinsvorgänge als solche ein der Kontinuität entbehrendes Aggregat bilden, ja er hat die Kühnheit, die Ausfüllung der Lücken des Bewußtseins, die Herstellung einer kontinuierlichen Existenz als ein Geschäft der Einbildung (imagination) darzustellen. Wiewohl er nun höchst scharfsinnig ausführt, wie die Einbildungskraft es anstellt, um aus den zerrissenen Vorstellungen eine kontinuierliche und ununterbrochene Existenz herzustellen, so beruth dieses Herstellen eben doch auf bloßer Einbildung, ist also etwas, das auf Wahrheit durch keinen Anspruch erheben darf. Er behandelt die kontinuierliche Existenz durchaus skeptisch, er weist die Hypothesen, die man zur Begründung einer solchen aufstellen kann, als unhaltbar zurück, ohne jedoch gerade zu leugnen, daß es in der Natur so etwas wie eine kontinuierliche Existenz gibt. (2) Ich kenne kaum einen Positivisten, der die Schwierigkeiten, die sich vom Standpunkt des Positivismus aus gegen die Annahme einer kontinuierlichen Existenz erheben, so scharf eingesehen hat.

Nicht nur skeptisch, sondern gerade ableugnend verhält er sich in der Frage nach der Seelensubstanz, dem beharrenden Ich. Die Erfahrung zeigt ihm in der Seele eine Bündel von verschiedenen Vorstellungen, die mit unglaublicher Schnelligkeit einander folgen, eine Art Theater, auf dem verschiedene Vorstellungen sukzessive [aufeinander folgend - wp] erscheinen. Nur die "Einbildung" macht aus den Vorstellungsmassen eine personal identity, eine unveränderliche und unentbrochene Existenz. Das "Ich" ist für HUME eine auf Grundlage der Ideenassoziation gebildete Vorstellung der Einbildungskraft; ein imaginäres Prinzip der Vereinigung, kein reales Band. (3)

Ebenso ist die Behandlung der Kausalität wesentlich durch das Bestreben bestimmt, sich streng innerhalb des Erfahrbaren zu halten. Er eliminiert in entschiedener Weise den Kraftbegriff, nicht nur aus der äußeren, sondern selbst aus der inneren Erfahrung. Mit der zweiten Hälfte dieser Behauptung geht er sogar über das vom strengsten Positivismus Geforderte hinaus, wird sozusagen positivistischer, als es nötig ist. Denn das Wollen wird von mir in der Tat als eine Kraft oder Energie gespürt. Das Wollen ist der einzige Vorgang, bei dem wir der Kraft, wenn auch nicht nach dem, was sie ansich oder in ihrem Grund ist, unmittelbar inne werden. HUME aber leugnet selbst dies, er bemüht sich, ausführlich zu zeigen, daß wir selbst im Wollen nichts von power oder energy spüren. Er verwechselt die Unerfahrbarkeit der Art, wie die Kraft unseres Wollens die Bewegung hervorbringt, also die Unerfahrbarkeit des Kausierens selber mit der Unerfahrbarkeit der Kraft als solcher. Haben wir nun keine Einsicht in die wirkenden Kräfte, so ist uns auch jede Einsicht in eine notwendige Verknüpfung (necessary connexion) abgeschnitten. Es existiert für und die Kausalität überhaupt nicht im Sinne einer notwendigen und unzertrennlichen Verknüpfung, eines Bandes zwischen den Erscheinungen. Wie die Kraft, so ist ihm auch die Verknüpfung (connexion) ein Wort ohne Sinn. (4)

Für HUME gibt es also keinen eigentlichen Zusammenhang der Erscheinungen; die Kausalität reduziert sich ihm auf die beständige Aufeinanderfolge, auf die niemals ausbleibende Regelmäßigkeit. Die Definitionen, die er von der Ursache gibt, enthalten nur die Bestimmung des Nichtausbleibens, des "Immer" in der Folge zweier Erscheinungen (5). Und er glaubt, daß er hiermit die Erfahrung nicht überschreitet.

Endlich könnte ich noch auf die Art hinweisen, wie HUME vom Raum und von der Geometrie spricht. Es zeigt sich hier nämlich in überraschender Weise, wie ängstlich er an der Erfahrung klebt. Doch will ich es genug sein lassesn und jetzt die Gegenseite hervorheben: die Überschreitungen der Erfahrung, die trotz aller rühmlichen Konsequenz vielfach und in wichtigsten Beziehungen bei ihm vorkommen.

Wie bei allen Philosophen, so finden sich auch bei HUME nicht bloß Berichte über Beobachtungen, sondern überall knüpfen sich an die Beobachtungen Folgerungen und Beweise. Das heißt: es ist bei ihm eine stillschweigende Voraussetzung, daß es eine unbestimmt große Mehrheit von Subjekten gibt, die in einer ihm prinzipiell ähnlichen Weise psychisch organisiert sind, und daß seine Beweise für sie alle eine notwendige Gültigkeit beanspruchen. Und ferner ist er überall bemüht, wenn auch nicht Zusammenhang und Verknüpfung, so doch Regelmäßigkeit in dem oben bezeichneten Sinn in den Erscheinungen, besonders den psychischen, nachzuweisen. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß er in all diesen Beziehungen mit lauter unerfahrbaren Faktoren operiert. Freilich schreibt er nur der Mathematik demonstrative Gewißheit zu: ausschließlich auf dem Gebiet der Größe und Zahl ist es möglich, strenge Beweise zu geben. Wo es sich dagegen um Tatsachen und Dasein handelt (matter of fact and existence), erklärt er das Beweisen im eigentlichen Sinn für ausgeschlossen (6). Hierin ist wohl das Bemühen anzuerkennen, dem positivistischen Prinzip möglichst treu zu bleiben. Allein in Wahrheit ist doch, wenn die Erfahrung mir über das Unerfahrbare absolut nichts zu sagen imstande ist, das Wahrscheinlichkeitswissen über das Unerfahrbare im Positivismus genauso unmöglich wie das strengste Beweisen.

Was die Auffindung des regelmäßigen Verlaufes der Erscheinungen betrifft, so hat HUME wohl das Bewußtsein, daß er damit die sinnliche Wahrnehmung und das Gedächtnis überschreitet; anhand der Kausalität werden wir über unser Gedächtnis und unsere Sinne hinausgeführt (7). Allein er bemerkt nicht, was doch so dringend naheliegt, daß er hiermit zugleich ins Unerfahrbare hinausgegriffen und ein ganz neues Erkenntnisprinzip eingeführt hat. Wohl sah er die Verpflichtung ein, anzugeben, was es denn eigentlich ist, wodurch wir solcher Tatsachen, welche über das Zeugnis der Sinne und des Gedächtnisses hinausliegen, gewiß werden können. Allein indem er dieses gesuchte Expediens [Hilfsmittel - wp] bekanntlich in Gefühl, Gewohnheit, Glauben, also in etwas Subjektivem, innerlich Erfahrbarem, findet (8), ist er der Meinung, daß er mit jenem Hinausgehen über Sinneswahrnehmung und Gedächtnis der Erfahrung treu geblieben ist und kein neues Erkenntnisprinzip hinzugefügt hat. Gewohnheit und Glaube erscheinen ihm als etwas so rein Tatsächliches, daß, indem er auf ihrem Grund ins Unerfahrbare hinausgreift, er lediglich dem Gebot des Tatsächlichen gefolgt und allem "Beweisen", allem "reinen Denken" (abstract reasoning) fern geblieben zu sein meint. Er verkennt zweierlei:
    erstens, daß, mag auch jenes Expediens noch so subjektiv und erfahrbar sein, ihm doch eine transsubjektive, sich auf das schlechterdings Unerfahrbare beziehende Leistung zugetraut wird, hier also stillschweigend ein von der Erfahrung prinzipiell verschiedenes Erkenntnisprinzip auftritt; und

    zweitens, daß der Gewißheit gebende Nerv in Gewohnheit und Glauben logischer Natur ist, daß das Voraussehen einer Wirkung aufgrund von Gewohnheit und Glauben implizit ein logisches, denkendes, beweisendes Verfahren in sich enthält.
3. Man wird JOHN STUART MILL das Zeugnis nicht versagen dürfen, daß er das Prinzip der reinen Erfahrung noch reinlicher als HUME zur Durchführung bringt. Das geht z. B. aus seiner Haltung gegenüber der Mathematik hervor, die er in ihrem ganzen Umfang für eine auf verallgemeinerten Erfahrungen beruhende und hypothetische Wissenschaft erklärt. Überhaupt kann man vorzüglich aus MILL lernen, wie der Positivismus es anfangen muß, um mit dem Material und den Mitteln, die ihm zu Gebote stehen, die verschiedenen Probleme in möglichst konsequenter Weise und dabei doch bis zu einem gewissen Grad auch für andere Standpunkte förderlich zu behandeln. Doch Unmögliches vermag auch MILLs Scharfsinn nicht zu leisten: auch er muß sich zumindest derjenigen transsubjektiven Faktoren bedienen, ohne die es überhaupt ein wissenschaftliches Verfahren gar nicht geben kann. Auch von ihm gilt also, daß er mit jedem Schritt seines Verfahrens Allgemeingültigkeit, Notwendigkeit und die übrigen in den beiden vorangegangenen Kapitel als jeder Wissenschaft unentbehrlich bezeichneten transsubjektiven Faktoren stillschweigend voraussetzt. Und blicken wir von seiner Methode auf den Inhalt seiner Ausführungen, so finden wir, daß er in alle Hauptergebnisse seiner Untersuchungen ausdrücklich transsubjektive Faktoren in Menge aufnimmt.

Den wissenschaftlichen Wert des Syllogismus findet MILL darin, daß der Obersatz ein allgemeiner Satz ist. Er legt dar, daß die Sicherheit des Schließens, der Schutz vor möglichen Unzulänglichkeiten durch die allgemeinen Sätze erhöht und jeder beträchtliche Fortschritt im Schließen durch sie erst möglich wird (9). Wie will aber MILL das Gewinnen allgemeiner Sätze, deren Erkenntniswert er so hoch anschlägt, aus der bloßen Erfahrung rechtfertigen? Und von nicht geringerer Wichtigkeit sind die allgemeinen Sätze für das induktive Verfahren. Jede Induktion ist eine Verallgemeinerung und hat daher die Einsicht zum Zweck, daß, was von gewissen Individuen einer Klasse wahr ist, auch von der ganzen Klasse gilt. Und ausdrücklich setzt er hinzu, daß der allgemeine Satz, in den die Induktion mündet, nicht etwa nur eine abgekürzte Aufzeichnung von solchen Tatsachen, die sämtlich durch die Erfahrung bereits konstatiert sind, sein darf, sondern sich auf schlechthin alle Exemplare der betreffenden Klasse, auch auf die zukünftigen und noch unentdeckten, beziehen, also über die unmittelbare Beobachtung hinausgehen muß (10). MILL sieht nicht, daß die Erfahrung über das unmittelbar Beobachtete nicht hinausführen kann; und doch sollte man meinen, es müßte einem so eminent klaren Denker, wie MILL, wenn er Worte niederschrieb, wie etwa die, daß die Induktion von beobachteten auf unbeobachtete Tatsachen, vom Wahrgenommenen auf das nicht in den Bereich unserer Erfahrungen Getretene schließt (11), sich hieraus die Einsicht förmlich aufgezwungen haben, daß dann doch eben die reine Erfahrung als einzige Erkenntnisquelle nicht ausreicht.

Die Betrachtung der Induktion führt MILL sehr bald zum Begriff der Naturgesetze und der Kausalität. Mit Recht erklärt er den Satz von der Gleichförmigkeit des Naturverlaufs für das Grundprinzip oder den letzten Obersatz aller Induktion (12). Nach dem, was ich über den unerfahrbaren Charakter der Gesetz- und Regelmäßigkeit, sowie des ganzen modernen naturwissenschaftlichen Apparates ausgeführt habe, läßt sich ermessen, welche ungeheuren Mengen an transsubjektiven Ergänzungen und Unterbauungen der Erfahrung MILL mit diesem einfachen Satz einführt. Jedes Beispiel, das er vom naturgesetzlichen Wirken gibt, kann uns darüber belehren. So sagt er, daß es in der Natur eine Anzahl dauernder Ursachen gibt, die immer vorhanden waren, solange das Menschengeschlecht besteht und durch einen unbestimmten, wahrscheinlich unermeßlichen Zeitraum vorher; und er rechnet dazu die Sonne, die Erde und die Planeten, die verschiedenen Bestandteile derselben, die Luft, das Wasser usw. (13) Was nun z. B. die Sonne anlangt, so lehrt mich die Erfahrung doch lediglich, daß ich tausendfach unterbrochene Wahrnehmungsbilder einer über den Himmel wandelnden leuchtenden Scheibe habe, und daß ich außerdem durch Hören und Lesen die Vorstellung gewinne, daß die Menschen immer derartige Wahrnehmungen gehabt haben. Welch gewaltige transsubjektive Zutaten sind nötig, um hieraus zur Annahme der Sonne als einer dauernden Ursache zu gelangen! Oder zeigt mir etwa die Erfahrung die Luft auch nur als einen die Erdoberfläche überall umgebenden gasförmigen Körper? Gebe ich genau acht, so finde ich, daß die Luft als Inhalt meines Empfindens und Wahrnehmens hauptsächlich nur insofern vorkommt, als ich bei bewegter Luft gewisse Tastempfindungen auf der Oberfläche der Haut und beim starken Aus- und Einatmen gewisse begleitende Tastempfindungen in der Mund- und Nasenhöhle habe. Hieraus und aus verschiedenen wahrnehmbaren Veränderungen, die ich als Wirkungen der Luft deute (wie aus den Bewegungen der Blätter usw.), schließe ich, daß die Erde überall von einer Luftschicht eingehüllt ist. Ein sinnliches Wahrnehmen dieser Einhüllung dagegen gibt es nicht. Wenn nun MILL gar weiter sagt, daß von der Luft ein ursächliches Verhalten ausgeht, daß sie z. B. auf die Oberfläche des Quecksilbers im Barometer drückt (14), so sind damit weitere beträchtliche Schritte über die Erfahrung hinaus getan. Denn für niemanden knüpft sich an die Wahrnehmung des Quecksilbers die weitere Wahrnehmung, daß es durch die Luft gedrückt wird. Ein Eingehen auf weitere Beispiele MILLs würde ermüden.

Am augenfälligsten tritt für den kritischen Betrachter das Überschreiten der Erfahrung da hervor, wo MILL den interessanten und hochwichtigen Begriff der Wahrnehmungsmöglichkeiten (possibilities of sensation) einführt. MILL hat die Einsicht, daß die wirklich bewußten Wahrnehmungen weder Kontinuität noch Gesetzmäßigkeit zeigen. Und da verfällt er dann, um diese beiden zu retten, auf den Ausweg, die ganze Außenwelt als eine Summe von "permanent possibilities of sensation" aufzufassen. Diese von den wechselnden Bewußtseinsvorgängen unabhängigen Möglichkeiten sind zu zusammengehörigen Gruppen und zu regelmäßiger Ordnung verbunden. So ist ihm z. B. die Materie das geordnete Ganze der Gesichts- und Tastwahrnehmungsmöglichkeiten; und er erklärt ausdrücklich, daß er in diesem Sinne an die Materie glaubt. (15)

Hiermit ist die gewöhnliche Realität der Außenwelt, nur in möglichst abgeblaßter und verdünnter Gestalt, in den Positivismus aufgenommen. Denn sollen die Wahrnehmungsmöglichkeiten den Zweck, zu dem sie eingeführt sind, erfüllen, also z. B. dem Stück Papier auf dem Tisch eine von meinem Aufenthalt und Nichtaufenthalt im Zimmer unabhängige Existenz sichern, so müssen sie natürlich, trotzdem sie Möglichkeiten heißen, eine außerhalb meines Bewußtseins existierende Wirklichkeit sein. Ja, MILL müßte sie im Grunde für eine ganz unfaßbare, mysteriöse metaphysische Wesenheit erklären: sind sie doch ein Mögliches, das auch abgesehen von seiner Verwirklichung existieren soll. - Derselbe Begriff wird uns auch bei den extremen subjektiven Idealisten begegnen.

4. Meine bisherigen Erörterungen über die Abgrenzung der Erfahrung vom Gebiet des Unerfahrbaren kehrten ihre Spitze gegen den Positivismus als denjenigen Standpunkt, der offen und ausdrücklich alles Erkennen ausschließlich aus der reinen Erfahrung ziehen will. Es gibt jedoch auch Denkrichtungen ganz anderer Art, Denkrichtungen mit weit entschiedenerem Zug auf das Überempirische hin, die gleichwohl das Prinzip der reinen Erfahrung, wenn auch versteckt und unbewußt, für den ausschließlichen Maßstab des Erkennens erklären. Wir wissen, daß sich die reine Erfahrung und das Wissen von den eigenen Bewußtseinsvorgängen gänzlich decken. Nun wird freilich kaum jemand das Erkennen ausdrücklich auf seine eigenen Bewußtseinsvorgänge einschränken wollen; im Gegenteil, wem es aufgegangen ist, daß die reine Erfahrung mit dieser Einschränkung gleichbedeutend ist, der wird darin vielmehr eine Nötigung erblicken, den Standpunkt der reinen Erfahrung aufzugeben. Wohl aber kann es geschehen, daß die Einschränkung des Erkennens auf die eigenen Bewußtseinsvorgänge sich unter einer Form verbirgt, die nach ihrem täuschenden Aussehen weit mehr zu besagen, einen viel reicheren Wissenskreis zu eröffnen und uns sogar zu den Höhen eines kritischen Idealismus emportragen zu können scheint. Es ist dies bei den subjektiven Idealisten der Fall, die in der Leugnung der Erkennbarkeit des Dings-ansich, der Außenwelt oder des Transsubjektiven mit dem Positivisten übereinstimmen, dabei aber in einem bewußten Gegensatz zu diesen für das Zustandekommen des Erkennens neben der Erfahrung ausdrücklich auch überempirische Faktoren, ursprünglich und spontan geistige Funktionen für unentbehrlich erachten. Diese Denker würden es als absurd verwerfen, das Erkennen sich immer nur auf das eigene Vorstellen und Bewußtsein beziehen zu lassen; vielmehr tut sich vor unseren Augen, wenn wir die Darlegungen mancher dieser Philosophen lesen, der Ausblick in eine große Bewußtseinswelt, in ein zusammenhängendes Geisterreich auf. Doch das Erkenntnisprinzip, auf das sie die Unerkennbarkeit der Dinge-ansich, also die ausschließliche subjektive Geltung aller Begriffe, kurz: die subjektive Seite ihres Idealismus gründen, wird von sehr vielen unter ihnen so ausgesprochen, daß ihm zufolge das Erkennen vielmehr streng auf ihre individuellen Bewußtseinsphänomene einschränken müßten. Fragt man sie nämlich, warum ihrer Ansicht nach die Dinge-ansich, das Wesen des Ich, die Außenwelt, das Unbewußte und dgl. unerkennbar sind, so antworten sie damit, daß alles, was wir kennen, immer unsere Vorstellungen sind, daß alles, was unser Bewußtsein anfaßt, meint und nennt, eo ipso [schlechthin - wp] Bewußtseinsgegenstand ist, daß wir nie an ein Jenseits unseres Bewußtseins hingelangen; und mit anderen Wendungen, die prinzipiell auf dasselbe hinauslaufen. Es ist also die unmittelbar gewisse Selbstbezeugung des Bewußtseins, worauf sie fortwährend pochen, und woraus sie alle Gewißheit herleiten wollen. Sonach ist es im Grunde das Erkenntnisprinzip der reinen Erfahrung in seiner anfänglichen Gestalt, worauf sie die Philosophie aufbauen. Nach diesem Grundsatz von der Selbstgewißheit des Bewußtseins aber müßte nicht nur die apriorische oder kategoriale Ordnung der Erscheinungswelt, sondern auch überhaupt die Gesetz- und Regelmäßigkeit der Erscheinungen und die Existenz anderer Subjekte genauso unerkennbar bleiben, wie die Dinge ansich. Wenn sich daher diese subjektiven Idealisten selbst verstünden und dem dabei dem von ihnen ausgesprochenen erkenntnistheoretischen Grundsatz treu bleiben wollten, so müßten sie den vollen Bankrott ihres Wissens aussprechen.

Es unterscheiden sich also diese subjektiven Idealisten von den Positivisten im Grunde nur dadurch, daß sie in einer von diesen wesentlich abweichenden Weise und aus anderen Motiven das Erkenntnisprinzip der reinen Erfahrung überschreiten, daß die Inkonsequenzen gegen das ihnen im Grunde gemeinsame erkenntnistheoretische Prinzip da und dort einen zum Teil sehr verschiedenen Charakter an sich tragen. Gewisse Inkonsequenzen sind begreiflicherweise beiden Richtungen gemeinsam. Die Annahme einer Mehrheit bewußter Subjekte und all die anderen transsubjektiven Ansprüche, die in der Tatsache, daß sie Wissenschaft treiben wollen, implizit liegen, ferner die Überzeugung von einer in den Wahrnehmungen usw. herrschenden Ordnung und Ähnliches. Dagegen gehen beide Richtungen in der Stellung zum Apriorischen prinzipiell auseinander. Die Positivisten leugnen alles Apriorische, alles ursprünglich und spontan Geistige, sie lassen daher die Gedanken der Einheit, Kausalität, Gesetzmäßigkeit und dgl. nicht aus entsprechenden Funktionsanlagen, die im Vorempirischen wurzeln und dem Geist ursprünglich angehören, sondern lediglich aus den Empfindungen und Wahrnehmungen entspringen. Die andern dagegen leiten die Ordnung der Bewußtseinsvorgänge in irgendeiner Form und irgendeinem Grad von ursprünglich geistigen, nicht der Erfahrung abgelernten Funktionen her; sie wissen, daß Einheit, Kausalität, Gesetzmäßigkeit und dgl. nicht in den vorgefundenen elementaren Bewußtseinsdaten als solchen stecken, sondern daß erst die Intelligenz mit ihren eigentümlichen Funktionen des Einigens und Verknüpfens dieses Faktoren zum übrigen Bewußtseinsinhalt, speziell zu den Empfindungen und Wahrnehmungen hinzubringt. In sachlicher Beziehung ist ihnen mit dieser Forderung unbedingt recht zu geben; ihr Grundirrtum liegt nur darin, daß sie mit dem Aufstellen dieser ursprünglich geistigen, überempirischen Faktoren ausgesprochenermaßen innerhalb der Selbstbezeugung des Bewußtseins zu bleiben beanspruchen. Und liest man in ihren Schriften, mit welcher Selbstverständlichkeit und Hartnäckigkeit sie diesen Glauben aussprechen, und wie ihr ganzes Denken förmlich darin eingewickelt ist, so muß man befürchten, es werde nicht leicht gelingen, sie davon zu überzeugen, daß mit allem, was bei ihnen als apriorisch, transzendental, Kategorie und dgl. bezeichnet wird, kurz: was den Sinn der ursprünglich geistigen Funktion hat, implizit ein Jenseits des Bewußtseins postuliert wird.

Ich will hier ausdrücklich bemerken, daß der subjektive Idealismus sich keineswegs notwendig mit dem bezeichneten Grundirrtum zu verbinden braucht. Es kann jemand ganz wohl KANTs oder BERKELEYs Philosophie in den Hauptergebnissen festhalten und dabei doch die klare Einsicht besitzen, daß darin in der vielfältigsten Weise das Prinzip von der Einschränkung des Wissens auf das eigene Bewußtsein überschritten wird, und daß daher zum Aufbau des subjektiven Idealismus ein transsubjektives Erkenntnisprinzip nötig ist. In der Regel jedoch geht den Vertretern des subjektiven Idealismus diese Einsicht ab, und sie begründen ihren Standpunkt vielmehr mit solchen Wendungen, die implizit auf die Behauptung von der ausschließlichen Gültigkeit des reinen Erfahrungsprinzips hinauslaufen.

Der subjektive Idealismus wird nun eine sehr verschiedene Gestalt annehmen, je nachdem das Prinzip der Selbstgewißheit des Bewußtseins mit mehr oder weniger Selbsterkenntnis, Konsequenz und Einseitigkeit durchgeführt ist. Es gibt Philosophien, in denen wohl die ausschließliche Geltung jenes Prinzips ausgesprochen, aber über die Tragweite desselben ein so wenig entwickeltes Bewußtsein vorhanden ist, daß daneben auch entgegengesetzten Erkenntnisprinzipien, natürlich gleichfalls nur mit unentwickeltem Bewußtsein, Folge geleistet wird und die Herrschaft dieser anderen Prinzipien im Gesamtgepräge der Philosophie vielleicht ebenso stark hervortritt wie die jenes ersteren. Von hier an gibt es mannigfache Zwischengestaltungen bis zu jenem extremen subjektiven Idealismus hin, der das Prinzip von der Selbstgewißheit des Bewußtseins mit einer Konsequenz und Einseitigkeit, die sich kaum überbieten läßt, zur Durchführung bringt. Es ist natürlich, daß diese extreme Ausgestaltung des subjektiven Idealismus sich dem konsequenten Positivismus sehr annähert: es ist ja doch im Grunde ein und dasselbe Erkenntnisprinzip, das da und dort das Erkennen leitet. Doch auch diese konsequenteste Gestalt des subjektiven Idealismus wird durch einen, wenn auch noch so abgeschwächten Rest an Apriorismus von der positivistischen Philosophie getrennt. Übrigens ist die extreme Form des subjektiven Idealismus, gerade wegen des Vorzugs der Konsequenz, weit mehr mit einem Mangel der Unfruchtbarkeit und Künstlichkeit behaftet, als die inkonsequenteren Formen desselben. Gerade der formelle Mangel der Inkonsequenz läßt diese zu weit mehr Reichtum, Ergiebigkeit und Ungezwungenheit gelangen. Als Vertreter dieser inkonsequenten, mit einer Menge anderer Elemente durchsetzten Art des subjektiven Idealismus tritt uns vor allem KANT entgegen; neben ihm werde ich weiter unten noch BERKELEY berücksichtigen. Die extreme Richtung des subjektiven Idealismus hat sich vor allem in der neuesten Zeit entwickelt, und SCHUPPE wird wohl als das Haupt derselben gelten dürfen.

Bevor ich jedoch auf die verschiedenen Durchführungen des subjektiven Idealismus eingehe, will ich vom Apriorismus desselben ganz im allgemeinen, noch ohne Rücksicht auf seine mehr oder weniger konsequente Ausgestaltung, dartun, in welchen Beziehungen er das Prinzip von der Selbstbezeugung des Bewußtseins überschreitet. Wenn ich dabei von denjenigen Überschreitungen dieses Prinzips absehe, welche dem subjektiven Idealismus mit dem Positivismus gemeinsam sind, so liegt in jener Fundamentalannahme des subjektiven Idealismus zumindest ein dreifaches Hinübergreifen des Erkennens ins Transsubjektive.
    Erstens fällt das ursprünglich Geistige, insofern es ununterbrochen eine dauernde Anlage des Geistes ist, durchaus in das Gebiet des unbewußt Psychischen. So finde ich in meinem Bewußtsein wohl zeitweilig den fertigen Gedanken der Kausalität, dagegen liegt die Funktionsanlage zur Kausalität,, die dauernde Richtung des Ich, die Verknüpfungen im Sinne der Kausalität zu vollziehen, gänzlich außerhalb meines Bewußtseins. Und so steht es mit allen anderen Kategorien: das Angelegtsein des Geistes auf das Funktionieren in ihrem Sinn ist dem Bewußtsein vollkommen verborgen.

    Zweitens fällt aber auch das Funktionieren der Kategorien als solches, die Tätigkeit des Verknüpfens und Ordnens zum großen Teil außerhalb des Bewußtseins. Wenn ich meine Gedanken ordne, dann allerdings gebe ich dem Stoff mit Bewußtsein das Gepräge der Kategorien. Dagegen bin ich der geordneten Erscheinungswelt gegenüber durchaus der unbewußte Gesetzgeber. Kein Kantianer wird leugnen können, daß die Erscheinungen nach Raum und Zeit, nach Quantität, Qualität, Relation und Modalität wohlgeordnet vor ihm stehen, ohne daß er die reinen Anschauungsformen und die Kategorientafel mit Bewußtsein angewendet hätte.

    Drittens endlich geht die Meinung des subjektiven Idealismus, wenn auch meist unausgesprochen, dahin, daß die aus der Intelligenz stammende Gesetzmäßigkeit zu den Erscheinungen nicht bloß hinzugedacht, hinzugemeint wird, sondern in ihnen selbst liegt und waltet. Was z. B. die Kausalität der Erscheinungen anlangt, so ist die eigentliche Meinung des subjektiven Idealismus doch nicht die, daß die Erscheinungen nur insofern, als ich ihnen den Begriff der Kausalität denkend hinzugeselle, kausal verbunden sind, sondern sie schließt vielmehr die Annahme in sich, daß ich von zwei kausal verknüpften Erscheinungen, die eine als diese, die andere als jene bestimme, von sich abhängig mache und dgl.
Wenn der subjektive Idealist behauptet, daß der Wahrnehmungskomplex A die Ursache des Wahrnehmungskomplexes B ist, so will er, wie jeder andere Mensch, damit gesagt haben, daß, ganz abgesehen von seinem Hinzudenken des Begriffs der Kausalität, A solche Merkmale und Bestimmtheiten besitzt, daß dadurch eine gewisse Abhängigkeit des B nach seinen Merkmalen und Bestimmtheiten herbeigeführt wird. Diese in den Erscheinungen oder Vorstellungen selber wohnende kausale Bestimmtheit fällt nun, wie wir sehen, gleichfalls über das Bewußtsein hinaus, wie überhaupt alle Verknüpftheit der Erscheinungen als solcher.

In dieser dreifachen Beziehung greift der subjektive Idealismus durch sein Aufstellen apriorischer Funktionen in charakteristischer Weise über das Unbewußte hinaus. Durch das Zeugnis des Bewußtseins lassen sich die Kategorien nur insofern konstatieren, als ich zeitweilig zu meinem Bewußtseinsinhalt den fertigen Begriff der Kausalität und dgl. hinzudenke.

5. KANT ist, auch in seiner theoretischen Philosophie, nicht bloß subjektiver Idealist. Denn so ausdrücklich und prinzipiell auch von ihm die Dinge ansich für unerklärbar erklärt werden, so zieht sich doch versteckt und naiv durch seine Vernunftkritik eine ziemlich entwickelte Metaphysik vom Ding-ansich hindurch. Der gesunde Erkenntnistrieb war bei KANT viel zu kräftig entwickelt, als daß er sich durch sein eigenes subjektivistisches Erkenntnisprinzip auf das Bewußtseinsgebiet hätte einschränken lassen. So finden sich dann unlegitimierter Weise bei ihm verschiedene Bestimmungen des Dings-ansich ein, sogar bis zur Tiefe der Gottheit hinab. (16) Ansich aber liegt diesen Bestimmungen die Anerkennung des logischen Erkenntnisprinzips zugrunde, von dem der nächste Abschnitt handeln wird. Aber auch sein Apriorismus beruth auf einer noch sorglosen und ungefähren Anwendung des Prinzips von der Selbstgewißheit des Bewußtseins. Auch hier läßt er sich durch die Notwendigkeit der Sache leiten, ohne ängstlich nach den durch das reine Erfahrungsprinzip auferlegten Schranken zu fragen. Indessen gerade durch diese erkenntnistheoretische Inkonsequenz wird sein Apriorismus vor jener Subtilität und Verflüchtigung geschützt, an der er bei anderen konsequenteren Kantianern leidet. Darum würde sich auch gerade bei KANT sehr leicht und deutlich nachweisen lassen, daß in seinen Bestimmungen vom Apriori in der Tat die drei vorhin namhaft gemachten Überschreitungen der Bewußtseinssphäre enthalten sind. Nur in Bezug auf den ersten Punkt will ich hier darauf hinweisen, daß, wenn KANT von der transzendentalen oder reinen Apperzeption, vom transzendentalen Grund der Einheit des Bewußtseins, von dem vor aller besonderen Erfahrung vorhergehenden Bewußtseins und dgl. spricht, damit in Wahrheit nichts anderes gemeint ist, als die auf ihre Einheit zurückgeführten Funktionsanlagen der Kategorien, also der ansich unbewußte Einheitsgrund des Selbstbewußtseins. Es kommt diese ansich unbewußte Beschaffenheit der transzendentalen Apperzeption bei KANT zuweilen unwillkürlich zum Vorschein: so, wenn er von der Beziehung der Vorstellungen auf ein mögliches Bewußtsein oder auf das Vermögen der Apperzeption spricht (17), oder wenn er vom "Ich denke" sagt, daß es alle meine Vorstellungen muß begleiten können. (18)

Vielleicht könnte jemand geneigt sein, die in KANTs aufstellungen vom Apriori implizit enthaltenen transsubjektiven Bestimmungen zuzugeben, und doch in Abrede stellen, daß diese Überschreitungen der Bewußtseinssphäre Inkonsequenzen bedeuten, da dem Erkenntnisprinzip der Selbstbezeugung des Bewußtseins von KANT keineswegs eine ausschließliche Geltung zugesprochen wird. Wer so spräche, würde damit eine geringe Kenntnis der Vernunftkritik an den Tag legen. An die Spitze seiner Untersuchungen freilich wird von ihm das positivistische Prinzip nicht gestellt, wohl aber zieht es sich durch seine ganze Vernunftkritik hindurch, wenn auch meist verdeckt und nur halbbewußt, so doch mit sichtlich maßgebender und bestimmender Kraft. Warum würde denn KANT die Erkenntnis prinzipiell auf unsere Vorstellungen einschränken, warum würde er dem schlechthin unerkennbaren Ding-ansich die Bedeutung geben, daß es alles bezeichnet, was nicht Erscheinung, d. h. Vorstellung ist, wenn für ihn nicht der Grundsatz bestimmend wäre, daß all mein Vorstellen für alles außerhalb desselben Gelegene gänzlich unmaßgebend sein soll? In mannigfachen Wendungen blickt bei ihm der Gedanke durch, daß einzig und allein das gewiß ist, was das Bewußtsein in sich selbst bezeugt, was das Vorstellen uns in seinem eigenen Kreis zu erkennen gibt. So setzt er z. B. um zu begründen, daß wir aus der Sukzession in unseren Vorstellungen nichts über die Sukzession in den Dingen-ansich erkennen können, den bedeutsamen Satz hinzu:
    "Denn wir haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun; wie Dinge ansich, ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns affizieren, sein mögen, ist gänzlich außer unserer Erkenntnisphäre." (19)
Und noch deutlicher spricht folgende Stelle:
    "Wenn wir äußere Gegenstände für Dinge-ansich gelten lassen, so ist schlechthin unmöglich zu begreifen, wie wir zur Erkenntnis ihrer Wirklichkeit außerhalb unseres Bewußtseins kommen sollten, indem wir uns bloß auf die Vorstellung stützen, die in uns ist. Denn man kann doch außerhalb seiner selbst nicht empfinden, sondern nur in sich selbst, und das ganze Selbstbewußtsein liefert daher nichts als lediglich unsere eigenen Bestimmungen." (20)
6. Auch die Allbewußtseinslehre BERKELEYs ist dem subjektiven Idealismus zuzuzählen. Er begründet die Verneinung der Existenz einer realen Körperwelt damit, daß jedem Erkenntnisobjekt eben darum, weil das Erkennen im Bewußtsein vor sich geht, auch die Form des Bewußtseins anhaftet und daher das Außerbewußte aller Erkenntnismöglichkeit entzogen ist. Unermüdlich kommt BERKELEY darauf zurück, daß wir doch nur unsere eigenen Ideen oder Sinneswahrnehmungen perzipieren, daß, wenn wir unvorgestellte Dinge denken wollen, eben indem wir sie denken, sie uns doch als vorgestellte gegenwärtig sind, daß wir also in keiner Weise über das Erkennen des Vorgestellten oder Perzipierten hinauskommen. Auch wenn ich mir etwa einen Baum in ganz einsamer Gegend, wo ihn niemand sehen kann, vorstelle, so bin ich doch selbst derjenige, der ihn sieht. (21)

Natürlich glaubt nun auch BERKELEY, wie jeder subjektive Idealist und Positivist, daß er aufgrund dieses Erkenntnisprinzips auf die Existenz anderer bewußter Geister schließen kann, und doch ist nichts klarer, als daß er strenggenommen folgendermaßen sprechen müßte:
    "Sobald ich versuche, mir die Existenz anderer Geister vorzustellen, stelle ich mir doch faktisch immer nur meine Idee von diesen Geistern vor."
BERKELEY müßte daher nicht nur das unbewußte Dasein, sondern auch alles außerhalb seines Bewußtseins etwa vorhandene bewußte Dasein für unerkennbar erklären. Indem er dann nun weiter auf das Dasein eines schöpferischen göttlichen Bewußtseins schließt, diesem die Urheberschaft all unserer Sinneswahrnehmungen zuschreibt usw., häufen sich die Überschreitungen jenes erkenntnistheoretischen Grundsatzes. Ich will diese nicht verfolgen, sondern nur bemerken, daß das, was ich von den transsubjektiven Bestandteilen gesagt habe, die im allgemeinen in der Lehre von den ursprünglichen geistigen Funktionen enthalten sind, in gesteigertem Maß von BERKELEY gilt, da er die Aktivität der Intelligenz vor allem dem göttlichen Geist zuschreibt, ja unsere Sinneswahrnehmungen direkt von diesem hervorgebracht sein läßt. Der Apriorismus erscheint hier in der eigentümlichen Wendung, daß mit Bezug auf die Sinneswahrnehmungen die ursprünglichen geistigen Funktionen direkt dem göttlichen Bewußtsein zugeschrieben werden, das unmittelbar in die endlichen Subjekte erzeugend eingreift. Es ist klar, daß hierdurch die transsubjektiven Faktoren bedeutend vermehrt werden.

BERKELEY ist auch ein recht schlagendes Beispiel für jene weiter oben gerügte Vermischung des absoluten Skeptizismus und exklusivem Subjektivismus. Die Eingeschlossenheit des Erkennens im Bewußtsein nämlich wird bei BERKELEY stets so gewendet, als ob damit nicht nur die Unerkennbarkeit, sondern auch schon die Nichtexistenz alles Nichtbewußten ausgesagt wäre. Das Richtige wäre es, als unmittelbare Folge jener Eingeschränktheit des Erkennens auf die Vorstellungen den Skeptizismus in Bezug auf das Nichtbewußte auszusprechen; statt dessen hängt sich an jene Eingeschränktheit unmittelbar die dogmatische Voraussetzung, daß mit dem Unvermögen des Bewußtseins, aus sich herauszutreten und das Nichtbewußte zu erfassen, zugleich die Existenzunmöglichkeit des Nichtbewußten gesetzt wäre. So schlägt sich hier das Prinzip von der Begründung allen Wissens auf die Selbstbezeugung des Bewußtseins unmittelbar selbst ins Gesicht. Das Erkennen soll auf das Bewußtsein eingeschränkt sein, weil es überall nur auf bewußte Vorstellungen trifft; dies wird nun so gewendet, als wüßte ebendamit das Bewußtsein, daß es außerhalb seiner selbst nichts gibt. Es wird also jener rein skeptische Grundsatz im Sinne eines zumindest negativen Wissens vom Nichtbewußten genommen.

Ich würde hier dieser negativ dogmatischen Wendung des positivistischen Erkenntnisprinzips nicht noch einmal gedenken, wenn sich dieselbe nicht bei den meisten Positivisten und subjektiven Idealisten fände. Nur zu häufig sieht man die konsequente positivistische Behauptung, daß das Gebiet jenseits der Erfahrung schlechterdings problematisch ist, hinübergleiten in die inkonsequente und erschlichene, daß ein solches jenseitiges Gebiet gar nicht existiert. Wer die Erfahrung für das einzige Sein erklärt, außerhalb dessen es nichts gibt, der traut sich ein ganz bestimmtes, wenn auch durchaus negatives Wissen über das Unerfahrbare zu: daß es nämlich existiert. Der Positivist greift also mit dieser Verwertung seines Prinzips ins Transsubjektive. Und dasselbe ist bei KANT der Fall. Schon Unzählige haben darauf aufmerksam gemacht, daß, indem KANT die intersubjektive Natur von Raum und Zeit, Kausalität usw. hervorhebt, ihm eo ipso zugleich dies festzustehen scheint, daß ihnen eine Existenz im Transsubjektiven (im Ding-ansich) nicht zukommt. Damit schreibt er sich eine, wenn auch nur negative Erkenntnis über das Ding ansich zu.

7. Es ist hier nicht meine Aufgabe, zu verfolgen, welche verschiedenen Formen in denjenigen Richtungen, die sich erkenntnistheoretisch zu KANT oder BERKELEY halten, der Aufbau der Philosophie auf der Selbstbezeugung des Bewußtsein und die Überschreitung dieses Prinzips annimmt. Nur jene schon einige Male erwähnte Gruppe der extremen Bewußtseinsidealisten will ich besonders hervorheben, da bei ihnen jenes erkenntnistheoretische Prinzip einen wahren Bewußtseinsfanatismus erzeugt hat. Im Vergleich zu ihnen ist KANT ein naiver und unbekümmerter Denker. Freilich trägt er jenes Prinzip als einen leitenden Faktor in seinem Geist und spricht es auch oft genug aus; allein dies hindert ihn nicht, dem gesunden Zug seines Forschens, der unbefangenen Einsicht in die Erfordernisse der Sache gar oft auch dann zu folgen, wenn dadurch grobe, augenfällige Inkonsequenzen gegen jenes Prinzip entstehen. Wer die umfassende Tiefe des kantischen Geistes würdigen will, muß gerade seine sorglos aufgehäuften Widersprüche in Betracht ziehen. Diejenigen Philosophen dagegen, von denen ich jetzt spreche, erfassen jenes Prinzip viel konsequenter und schneidiger und bringen sich die durch dasselbe dem Erkennen gesetzten Grenzen viel mehr zu Bewußtsein. Darum müssen sie aber auch die trotz allem auch ihnen unentbehrlichen transsubjektiven Elemente in viel verdünnterer und künstlicherer Form einführen. Mit dem Ding-ansich als einem uns affizierenden Gegenstand haben diese Denker, wie SCHUPPE, von LECLAIR, von SCHUBERT-SOLDERN u. a. längst aufgeräumt; aber auch das Apriorische, die Kategorien und überhaupt alles, was zum Ich gehört, erscheint bei ihnen weit absichtlicher auf das Bewußtsein bezogen und auf die Existenzform des Bewußtseins als des allein aufweisbaren Wirklichen zurückgeführt. Wenn KANT von den Kategorien, von der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen und dgl. spricht, so spitzt er die Sache meist nicht ausdrücklich auf das Bewußtsein zu, sondern läßt es unausgesprochen, wie man sich diese Faktoren angesichts jenes erkenntnistheoretischen Prinzips, demzufolge nur unser Bewußtsein erkennbar ist, zu deuten hat. Die unvereinbaren Seiten laufen in bequemer Breite unbefangen nebeneinander her. Hier hingegen werden die transsubjektiven Faktoren, wiewohl sie nie und nimmer in das Bewußtsein aufgehen, doch möglichst in dasselbe hineingezwängt. Es wird alles ausdrücklich auf das Bewußtsein hingespannt, und doch hat man gerade darum umsomehr das Gefühl dabei, daß alles Reden vom Bewußtsein doch eigentlich nicht den Kern dessen trifft, was der Verfasser im Grunde meint, und daß sowohl dem Bewußtsein wie dem Transsubjektiven Gewalt angetan wird. Wie sehr das Transsubjektive hier verdünnt und farblos gemacht wird, ließe sich in interessanter Weise belegen. Man lese beispielsweise etwa nach, wie SCHUPPE die Außenwelt zu einem "eventuell oder begrifflich Wahrnehmbaren" verflüchtigt, das es neben dem "tatsächlich Wahrnehmbaren" geben soll (22), oder wie ANTON von LECLAIR von einem "Existenzbegriff des Wahrnehmbaren" oder dem Begriff "gesetzlicher Wahrnehmbarkeit" spricht und dieses Wahrnehmbare dem aktuell Wahrgenommenen entgegensetzt (23) oder wie ALBRECHT KRAUSE das unbewußt Psychische zu einem "möglichen Bewußtsein" abschwächt (24). So droht dem Leser hier alles unter der Hand zu zerrinnen. Das Transsubjektive wird bis zur Verflüchtigung verdünnt, und das Bewußtsein in seiner uns bekannten Hilflosigkeit vermag keinen Ersatz dafür zu bieten. Der aufgebotene, oft bewundernswerte Scharfsinn bewegt sich auf diese Weise in Spinneweben und Seifenblasen, und die Gedankenentwicklung gewinnt etwas Gequältes und Überspitztes.

Die Positivisten arbeiten bei aller Einseitigkeit doch mit einer gewissen Naivität im Erfahrungsstoff und fördern dabei viel Interessantes, Fruchtbares, auch für andere Standpunkte Verwertbares zutage. Bei diesen raffinierten Idealisten dagegen herrscht nur zu häufig eine höchst empfindliche Unfruchtbarkeit und Öde. Alle lebendigen Potenzen sind bis zur Unbrauchbarkeit und Bedeutungslosigkeit verdünnt, die reiche Welt ist zu einer lächerlichen Bewußtseinsfarce verflüchtigt, alle naturgemäßen Gesichtspunkte sind verdreht, Scharfsinn und Kurzsichtigkeit sind in oft unerträglicher Weise gepaart. Auf die großen philosophischen Gedankengebäude, wie auch auf die realistischen Annahmen des gewöhnlichen Menschen haben diese Denker immer nur die eine uninteressante Antwort, daß sie mit derlei keinen Sinn verbinden können. Ohne die Besorgnis, langweilig zu werden, halten sie allen transsubjektiven Lehren immer und immer wieder dasselbe spitzfindige Sophisma entgegen, das wir schon bei BERKELEY gefunden haben: daß nämlich das transsubjektive, ungedachte, unvorgestellte Sein, indem ich es denke und erkenne, eo ipso zu einem gedachten und erkannten wird, und daß daher ein außerhalb des Bewußtseins vorhandenes Sein eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] ist. (25)

Am fatalsten wird natürlich die Situation der Idealisten, wo sie sich die Mühe geben, die Annahme einer Mehrheit bewußter Subjekte von ihrem Standpunkt aus zu rechtfertigen. LECLAIR z. B. verwirft den Solipsismus als eine puerile [kindische - wp] Absurdität; er beruft sich, während er sonst ein wahres Grauen vor der logischen Notwendigkeit empfindet, ohne Umschweife auf den unausweichlichen Zwang derselben: der logische Zwang, ein fremdes Bewußtsein anzunehmen, soll so groß sein wie der Zwang, mit dem sich die Wahrnehmung selbst geltend macht. So treibt ihn das Gespenst des Solipsismus zu der handgreiflichsten Sünde gegen sein oberstes Prinzip. Doch sträubt er sich begreiflicherweise, diese Annahme als einen "transscensus" der Bewußtseinsdata anzuerkennen; er mutet dem Leser die erstaunliche Kurzsichtigkeit zu, zu übersehen, daß das neben ihm bestehende fremde Ich vielmehr eine Existenz außerhalb seines Bewußtseins ist, als ein realer Stein oder Baum. Man traut aber vollends seinen Augen nicht, wenn man liest, mit welchen Argumenten er dem Leser dieses Übersehen zu erleichtern sucht. Die Bewußtseinsimmanenz soll nämlich durch den Umstand gerettet sein, daß der Satz: "fremde Subjekte existieren" stets durch ein Subjekt gedacht wird. Hier beginnt die Gedankenlosigkeit und es bleibt nichts anderes übrig, als über die verlegenheitsvolle Lage des Gegners zu lächeln (26).

Ganz ähnlich verhält es sich bei SCHUBERT-SOLDERN, der die Frage nach dem "fremden Ich" ausführlich erörtert. Er legt die Schlüsse, die uns zu der Annahme eines fremden Bewußtseins mit einer eigenen Wahrnehmungs-, Reproduktions- und Gefühlswelt nötigen, mit ausgezeichneter Schärfe bloß. Allein man fragt erstaunt, woher er mit einem Mal ein Gewißheitsprinzip nimmt, das ihn berechtigt, das Transzendentale zu erschließen. Kurz vorher erklärt er, daß er nur Tatsachen des Bewußtseins analysieren will, und daß er keine anderen Waffen hat als diese Tatsachen selbst. Unmittebar darauf aber verläßt er das Analysieren von Tatsachen und die Tatsachen selbst und wendet sich zum Erschließen und zwar zum Erschließen von solchem, was nie Bewußtseinstatsache werden kann. So wird Seitenlang mit erstaunlicher Unbefangenheit im Transzendenten weitergeschritten und selbst die Unsterblichkeit des Ich spielend erobert. Es dürften sich jedoch nur wenige Leser finden, die hierin nicht einen eklatanten Abfall von dem sonst unablässig wiederholten Erkenntnisprinzip des Verfassers erblicken werden. Um z. B. den Satz zu widerlegen, daß das Gehirn eine der Bedinungen des Bewußtseins und überhaupt ein Etwas außerhalb des Bewußtseins ist, zeigt er, wie alles, wodurch mir das Gehirn bekannt ist, Data meines Bewußtseins sind. In genau derselben Weise aber ließe sich die Existenz der fremden Subjekte widerlegen. Das fremde Ich erweist mir sein Vorhandensein immer nur durch Tatsachen meines Bewußtseins; was berechtigt mich also, über diese Tatsachen zu etwas, das mir nie gegeben ist, hinauszugehen? SCHUBERT-SOLDERN will die "Transzendenz" in jeder Form vernichten; transzendent ist ihm aber "alles, was über das Bewußtsein oder das Gewußtwerden hinausgeht." Fällt denn nun aber das fremde Ich nicht ebenso unbedingt außerhalb des Gewußtwerdens wie die transzendente Körperwelt? Aber freilich: das instinktive Bedürfnis, der Verrücktheit des Solipsismus zu entrinnen, wirkt so mächtig, daß es den doch wahrlich scharfsinnigen Vertretern dieses Standpunktes da, wo es gilt, die Mittel, deren sie sich für diesen unerlaubten Schritt bedienen, zu beurteilen, das kritische Vermögen bedenklich verdunkelt (27).

In sehr naher Verwandtschaft zu den genannten Denkern steht, wie ich schon oben bemerkte, REHMKE. Auch ihm gilt ohne weiteres die Gleichung: Seiendes = Bewußt-Seiendes. Nur ist ihm dieselbe nicht, wie BERKELEY und den zuletzt genannten Idealisten, eine Folge jenes erkenntnistheoretischen Grundsatzes von der Eingeschlossenheit des Bewußtseins in seinen subjektiven Vorstellungen, sondern sie tritt bei ihm als eine im Grunde selbstverständliche metaphysische Denknotwendigkeit auf. Sein Standpunkt ist eine seltsame Verquickung von künstlichem Subjektivismus und naivem Realismus. Zwar ist ihm das Seiende identisch mit Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff, liegt also offenbar nicht außerhalb des Bewußtseins (- künstlicher Subjektivismus -), doch aber soll es auch nicht im Ich liegen, kein Inneres, Subjektives sein (- naiver Realismus -) (28). Bei weitem nicht so seltsam verquickt und einseitig ist der Standpunkt BERGMANNs, der sich gleichfalls zu BERKELEYs Satz: "esse est percipi" [Sein ist Wahrnehmung. - wp] bekennt und ihn als eine unumgängliche Notwendigkeit des Denkens an den Anfang der Erkenntnistheorie stellt. (29)

8. Zum Schluß werfe ich die Frage auf, wie es denn kommt, daß der Positivismus trotz der für jeden, der nur sehen will, augenscheinlichen Haltlosigkeit doch eine so mächtige Strömung darstellt und zum Teil höchst ausgezeichnete Köpfe zu seinen Vertretern zählt. Wenn ich von den historischen Gründen seines Auftretens hier absehe, so wäre doch wohl vor allem darauf hinzuweisen, daß das Denken, je mehr es sich von einem Erfahrungsboden entfernt, umso mehr die Unsicherheit und Unbestimmtheit seiner Schritte wachsen sieht, und daß im Gegensatz hierzu die Erfahrung einen unübertrefflich sicheren und unzweideutigen Charakter zu besitzen scheint. Wenn es schon aus diesem Grund geboten erscheinen kann, der Logik des Denkens möglichst wenig und den zwingenden Tatsachen der Erfahrung möglichst viel von der wissenschaftlichen Arbeit zu überlassen, so kann sich unter dem Einfluß dieser dem Denken ungünstigen Stimmung die unbestreitbare Tatsache, daß sich das Denken ohne Unterbrechung zur Erfahrung in Beziehung zu halten hat, sehr leicht dahin verstärken, als ob das Denken im Grunde nichts wäre als das Aufzeichnen des von der Erfahrung Gebotenen und das Vollziehen des von ihr Aufgetragenen und Gelehrten. Nach derselben Richtung wirkt auch der Umstand, daß die Elemente, die das Denken von sich aus zur Erfahrung hinzutut, weit weniger augenfällig sind als die Erfahrungselemente, und daher leicht als problematisch in ihrer Existenz erscheinen können. Und überhaupt macht die Erfahrung - und mit Recht - den Eindruck des Lebensvollen, Gesättigten, Reichen, wogegen die Region der Begriffe und Gedanken blaß und fadenscheinig aussieht und ein geborgtes Dasein zu fristen scheint.

Von ganz besonderer Bedeutung aber für das Entstehen und Wachsen des Positivismus dürfte die naheliegende Erwägung sein, daß die wahre crux [springende Punkt - wp] der Philosophie das leidige Ding-ansich ist, und daß es daher vor allem gilt, die Zumutung zu beseitigen, hinter die Erscheinungen zu dringen und in Bezug auf solches ein Erkennen auszuüben, das von unserer Subjektivität gänzlich getrennt ist. Nun aber scheint dieses Grundübel der Philosophie durch die Einschränkung des Erkennens auf die Erfahrung geheilt werden zu können. Stellt sich doch die Erfahrung als ein Reich dar, das einerseits dem Erkennen einen ungeheuren Stoff entgegenbringt und unzählige und verwickelte Aufgaben stellt, andererseits doch mit dem Ding-ansich nichts zu schaffen hat, sondern ganz diesseits der fatalen Kluft fällt. Freilich kann die Erfahrung nur dadurch als ein dem wissenschaftlichen Bedürfnis Genüge leistendes Gebiet erscheinen, daß der Forscher insgeheim unerfahrbare Faktoren tausendfältig zu ihr hinzuschlägt. Aber eben diese Vergrößerung des Erfahrungsbereiches um ungeheure Massen unerfahrbarer Elemente geschieht so unwillkürlich und instinktiv, ist mit all unserem selbstverständlichen Meinen und Urteilen so eng verschmolzen und ist dem praktischen Bedürfnis des Lebens so angemessen, daß selbst der wissenschaftlich Denkende nur schwer die Kraft der Abstraktion und den Mut des Denkens findet, allen unliebsamen Konsequenzen zum Trotz den Schnitt zwischen Erfahrung und Unerfahrbarem unbarmherzig zu führen. Wäre es nicht so schwer, diese unwillkürliche Vergrößerung des Erfahrungsbereiches klar zu durchschauen, so würde der Positivismus schon bei einem geringen Grad von Selbstbesinnung des Denkens hinweggeblasen werden.

Zu diesen Motiven gesellt sich dann noch das ansich gerechtfertigte Streben, das Fertige und in seiner Fertigkeit einfach und unzerlegbar Erscheinende möglichst in seine Elemente aufzulösen und als Produkt des natürlichen Zusammenwirkens einfacherer Funktionen aufzuweisen. Und da sind es nun Erfahrungselemente, welche die Bausteine liefern, aus denen sich die als Resultat so einfach erscheinenden, in Wahrheit aber höchst komplizierten Gebilde der Raumanschauung, des Kausalitätsbegriffs und dgl. entwickeln. Das Einleuchtende und Fruchtbringende dieses Gesichtspunktes führt aber sehr leicht dahin, ihn für so ausschließlich maßgebend zu halten, daß über den Bausteinen das leitende Prinzip vergessen und die Sache so angesehen wird, als ob die Bausteine sich aus eigenem Trieb zu einem kunstvollen Bau anordnen könnten.

Komplizierter sind die Motive, die den subjektiven Idealismus so vielen und bedeutenden Denkern als Lösung aller philosophischen Schwierigkeiten empfehlen. Wollte man denselben nachgehen, so müßte man besonders darauf sein Augenmerk lenken, daß sich zweierlei Bedürfnisse miteinander verbinden müssen, wenn der subjektive Idealismus entspringen soll: erstens, wie beim Positivismus, das Bedürfnis, das Ding-ansich aus der Philosophie fortzuschaffen und das Erkennen auf die Erscheinungen oder Vorstellungen einzuschränken, und zweitens, abweichend vom Positivismus, das Bestreben, die verknüpfenden, ordnenden Funktionen des Bewußtseins nicht aus den Empfindungen und Wahrnehmungen entstehen zu lassen. Verbinden sich beide Motive, so entsteht jene eigentümliche Verschlingung von Selbsttäuschungen: der subjektive Idealist will es offen und bewußt nur mit dem Bewußtsein zu tun haben, und doch macht er mit seinem Apriorismus lauter Anleihen an der transsubjektiven Sphäre.
LITERATUR: Johannes Volkelt, Erfahrung und Denken - Kritische Grundlegung der Erkenntnistheorie, Hamburg und Leipzig 1886
    Anmerkungen
    1) Hume, A treatise on human nature, London 1874 (hg. von Green und Grose) Bd. 1, Seite 370f und 479. - An enquiry concerning human understanding (im zweiten Band der "Essays moral, political an literary" hg. von Green und Grose, London 1875) Seite 124f.
    2) Hume, Treatise, Bd. 1, Seite 479-505.
    3) Hume, Treatise, Bd. 1, Seite 534f
    4) Hume, Enquiry, Seite 29f, 37, 50f.
    5) Hume, Enquiry, Seite 63
    6) ebd. Seite 20f, 128, 133f.
    7) Hume, Enquiry, Seite 39, 130 und öfter.
    8) ebd. Seite 37f.
    9) Mill, Logik, I. Bd., Seite 206f.
    10) ebd. I. Bd., Seite 309f, 315.
    11) ebd. I. Bd. Seite 332
    12) ebd. I. Bd. Seite 331f.
    13) ebd. II. Bd. Seite 35.
    14) Mill, Logik, II. Bd. Seite 2
    15) Mill, An examination of Sir William Hamiltons philosophie, London 1878, Seite 228f. Auch Laas bedient sich des Begriffs der Empfindungsmöglichkeiten in harmlosester Weise (Idealismus und Positivismus, Bd. III, Seite 46f); und doch werden dadurch alle seine Beteuerungen, wie streng sein Erkenen sich vom Transzendenten fernhält, und wie es einzig durch die Erfahrung gerechtfertigt wird, einfach weggeblasen.
    16) Im dritten Abschnitt ("Kants metaphysischer Rationalismus") meines Buches über Kants Erkenntnistheorie findet sich die Stufenleiter der Bestimmungen über das Ding-ansich entwickelt.
    17) Kant, Kritik der reinen Vernunft, erste Auflage, Seite 117 (vgl. Seite 103f).
    18) ebd. zweite Auflage, Seite 131.
    19) Kr. d. r. V., zweite Auflage, Seite 235
    20) Kr. d. r. V., erste Auflage, Seite 378. Den umfassenden Nachweis von der Wirksamkeit des positivistischen Erkenntnisprinzips bei Kant habe ich im ersten Abschnitt ("Kants absoluter Skeptizismus") meines schon erwähnten Buches über Kant gegeben.
    21) Berkeley, Treatise concerning the principles of human knowledge, § 3f und 23 und öfter. Ebenso in "Dialogues between Hylas and Philonous" (Seite 286 und 291f und sonst im ersten Band der Ausgabe seiner Werke von Fraser).
    22) Schuppe, Erkenntnistheoretische Logik, Seite 77f.
    23) Anton von Leclair, Beiträge zu einer monistischen Erkenntnistheorie, Breslau 1882, Seite 39 und 45f.
    24) Albrecht Krause, Die Gesetze des menschlichen Herzens, Lahr 1876, Seite 26f. So sehr sich Krause auch durch seinen weit strengeren Kantianismus von Schuppe usw. unterscheidet, so findet sich doch auch bei ihm diese extreme Zuspitzung allen Erkennens auf das Bewußtsein.
    25) Zum Beispiel Schuppe, Logik, Seite 33f, 69, 87 usw. - Leclair, Beiträge etc. a. a. O. Seite 7f und 19. - ders. Das kategoriale Gepräge des Denkens (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1883, III. Heft, Seite 275, 286, 288. Die ganze Haltlosigkeit dieses Sophismas wird sich erst im dritten Abschnitt herausstellen. - Mir scheint dieser zugespitzte Kantianismus in vielen Stücken mit der Art und Weise, wie der scharfsinnige Salomon Maimon die kantische Philosophie über Reinhold hinausführte, eine Verwandtschaft zu haben.
    26) Leclair, Beiträge etc. Seite 42f.
    27) Richard von Schubert-Soldern, Grundlagen der Erkenntnistheorie, Leipzig 1884, Seite 5, 25f, 32f, 77f.
    28) Johannes Rehmke, Die Welt als Wahrnehmung und Begriff, Seite 71, 92, 98, 100, 102 und öfter.
    29) Julius Bergmann, Sein und Erkennen, Berlin 1880. Vgl. meine Kritik von Bergmanns Standpunkt in Bd. 80 der "Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik", Seite 129f.