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Die Darstellung der Skepsis David Humes [3/3]
II. Begriff, Arten und Grade der Erkenntnis. 1. An HUME interessiert uns hier nur der Skeptiker. Daß er noch weit mehr war: geistreicher Schriftsteller und positiver Geschichtsforscher, ist bekannt. Auch als Philosoph beschränkte er sich nicht auf die Untersuchung der Erkenntnisgrenzen, sondern bearbeitete innerhalb der von ihm ermittelten Schranken menschlicher Gewißheit die Probleme der Affektpsychologie und Moral, der Religionswissenschaft und Metaphysik. All diese Bestandteile seiner Lehre, die zur Skepsis nicht in unmittelbarer Beziehung stehen, und die nur deshalb aus dem skeptischen Rahmen nicht herausfallen, weil sie sämtlich mit dem Koeffizienten der bloßen Wahrscheinlichkeitsgeltung stillschweigend zu multiplizieren sind, im Übrigen aber, ihrem Inhalt nach, von der Skepsis völlig unberührt bleiben, sie scheiden aus unserer Betrachtung aus. Bei einer so willkürlichen Einstellung der Blicklinie sind wir uns bewußt, nicht den ganzen HUME zu Gesicht zu bekommen, sondern denselben Verzicht zu üben, zu dem uns bereits bei der Darstellung der Philosophie MONTAIGNEs und CHARRONs der Zweck dieser Arbeit zwang. 2. Das Verständnis des skeptischen Charakters unseres Philosophen wird erleichtert, wenn man die leitenden Gesichtspunkte und allgemeinen Grundbegriffe seiner Untersuchungen an die Spitze stellt. HUMEs Skeptizismus ist nicht das Ergebnis persönlicher Stimmungen wie bei den Alltagsskeptikern, oder der Verzweiflung an der Entscheidung komplizierter Lebensfragen wie bei MONTAIGNE, sondern die Folge einer eingehenden Kritik der menschlichen Erkenntnisfunktionen. Erkenntniskritik oder Erkenntnistheorie, in der weittragenden Bedeutung, welche diesen Worten heute eignet, gilt ihm als unerläßlicher Ausgangspunkt für alle, welche sich über die Grenzen von Wissen und Wahrheit klar werden möchten. Dieser erkenntnistheoretische Grundzug ist nur eine besondere Anwendung jener bei ihm so ausgeprägten, allgemeineren Betrachtungsweise: von innen nach außen an die Dinge heranzutreten, und von einer Zergliederung der "menschlichen Natur" aus die Beschaffenheit der nichtmenschlichen Natur zu ermitteln.
Eine ganz besondere Aufgabe aber hat die Erkenntnistheorie der Philosophie im engeren Sinne (43) gegenüber zu erfüllen. Diese hat sich bisher mit Vorliebe der Erforschung der grundsätzlich unerfahrbaren, der metaphysischen Wirklichkeit zugewandt. Die einzige Methode, sie von dieser verkehrten Richtung abzubringen,
3. Diese Kritik nimmt zunächst von einer Feststellung, Beschreibung, Ordnung der Elemente und Vorgänge im Menschengeist den Ausgang.
4. Die Aufgabe ist zwar schwierig und mühsam - und wie sollte auch das vor aller Augen liegen, was bisher so vielen weisen und tiefen Denkern entgangen ist (49) -, aber sie ist nicht unausführbar. Grundsätzlich vermögen die geforderten Untersuchungen genau den gleichen Gewißheitsgrad zu erreichen wie die vorhandenen Natur- und Geisteswissenschaften. Gesetzmäßigkeiten in den Objekten der Forschung bestehen hier wie dort, und die Ergründung der Gesetze ist vielleicht für die Erkenntnistheorie dem Grad nach verwickelter und subtiler, aber der Art nach nicht aussichtsloser als in Astronomie oder Ästhetik (50). Allerdings findet auch sie ihre Grenze dort, wo die Erforschung jeder Gesetzmäßigkeit endet: an den Pforten des metaphysishen, jenseits der Erfahrung liegenden Reiches. Erkenntnismetaphysik ist ebenso ausgeschlossen wie Naturmetaphysik. (51) Die allgemeinen Methoden sind hier gleichfalls die aller Geistes- und Naturwissenschaften: denkende Bearbeitung der Erfahrung. Unabhängig von Erfahrung, a priori oder aus "reiner Vernunft" würden wir nichts von unseren Erkenntnisbedingungen wissen. Daher trägt das Hauptwerk HUMEs im Titel den methodologischen Zusatz: "ein Versuch, die empirische Denkmethode (experimental method of reasoning) in die Bearbeitung geisteswissenschaftlicher Probleme einzuführen." (52) Freilich steht uns das Experiment, im Sinne einer willkürlichen Herbeiführung und planmäßiger Abänderung der Erscheinungen, hier nicht zur Verfügung wie dem Physiker; denn wenn ich mit Absicht einen geistigen Vorgang in mir zwecks Beobachtung herbeiführe, "
5. Die allgemeinen Grundbegriffe dieser empirischen Disziplin, so weit sie für skeptische Interessen in Betracht kommen, wollen nicht über das, was wir erkennen, wissen, glauben und meinen, Auskunft geben, sondern nur vorläufig und programmatisch orientieren, was wir bei diesen Worten zu denken haben. Denn ehe wir uns darüber nicht im Klaren sind, können wir die Gebiete, auf denen ein Fürwahrhalten möglich oder nicht möglich ist, nicht bestimmen. Alles Fürwahrhalten beruth nach HUME auf einem Akt der Evidenz (evidence), d. h. des Eintritts eines Überzeugungsgefühls (eines feeling, sentiment), das bestimmte Inhalte unseres Bewußtseins (und zwar einzelne Inhalte, nicht synthetische Akte) begleitet. Ein solcher, von Evidenz begleiteter Inhalt heißt Erkenntnis (reason, knowledge). (54) Das Evidenzgefühl aber ist hoher und niedrigerer Grade fähig, und daher gliedert sich die Erkenntnis in die beiden Hauptgruppen völlig gewisser und nur annähernd gewisser Erkenntnis. Jene wird von HUME fast ausnahmslos (subjektiv) als Gewißheit (certainty), seltener (objektiv) als Wahrheit (truth) bezeichnet; diese heißt, von der objektiven Seite aus betrachtet, Wahrscheinlichkeit (probability), während für die Art des subjektiven Zustimmungsgefühls eine Fülle von Synonyma wie Sicherheit (assurance), Zustimmung (assent), seltener persuasion, reliance, opinion, moral evidence, in gewissem Sinne auch Glaube (belief) zur Verfügung stehen. Die völlig gewisse Erkenntnis hat keine Grade, ist stets a priori, ihr Gegenteil ist "unvorstellbar" (incongruous, inconceivable); sie kann mittelbar oder unmittelbar sein, und heißt dann, je nachdem, intuition oder demonstration. (55) Die nur annähernd gewisse Erkenntnis ist stets a posteriori, ihr Gegensteil ist "vorstellbar" (conceivable, intelligible, consistent); sie hat Grade, und zerfällt, je nach ihrer größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit, in eine Wahrscheinlichkeit erster und zweiter Ordnung. Diesen Gegensatz drückt HUME, der mit Vorliebe den Akt, durch welchen Erkenntnis gewonnen wird, und das Ergebnis dieses Aktes mit dem gleichen Wort belegt (vgl. demonstration, argument, inference usw.) terminologisch in der Weise aus, daß er von der probability im engeren Sinne die proofs abgrenzt, welche nur die strengen Wahrscheinlichkeiten bedeuten sollen (56). Also:
6. Während der Gradunterschied des Zustimmungsgefühls zwischen gewissen und bloß wahrscheinlichen Einsichten von HUME auf das einleuchtendste auseinandergesetzt wird, hat er die Frage, ob alle Erkenntnisarten der objektiven und subjektiven Allgemeingültigkeit sich erfreuen, nur an verstreuten Stellen, nebenhin und in unbewußter Betätigung erkenntnismetaphysischer Einschläge beantwortet. Sind vielleicht nur die völlig gewissen Einsichten ihrem Inhalt nach unveränderlich, und für alle Subjekte zwingend, die wahrscheinlichen aber von wechselndem Inhalt, und nur Privatmeinungen einzelner Individuen? Zunächst ist soviel sicher: HUME bekennt sich zur Allgemeingültigkeit des strengen Wissens ohne Einschränkung. Objektiv spiegelt ein solches Wissen unveränderliche Verhältnisse der "Dinge" (ansich?) wieder, subjektiv gilt es für jedermann. An verschiedenen Stellen seiner Werke hat HUME diese Eigenschaften der Wahrheit und Gewißheit im Gegensatz zu den Eigenschaften moralischer und ästhetischer Werte hervorgehoben. Im "Essay of the standard of taste" heißt es z. B.:
Damit sind die allgemeinen Grundbegriffe über Wesen, Arten und Grade des Erkennens aufgezählt. Ein vertiefteres Verständnis von ihnen gewinnt sich erst durch die Betrachtung der Fälle, in denen sie Anwendung finden. 1. Unter diesem Titel wollen wir alle Erkenntnisse zusammenfassen, die sich auf bloße Gedankengebilde, d. h. auf Vorstellungen beziehen, welche durch die Denktätigkeit des Subjekts willkürlich (doch darum nicht ursachlos) erzeugt, verändert, vernichtet werden können, auch als solche in den betreffenden Wissensakten durchaus gemeint werden, und deren Inhalte nicht nach einer, für alle Subjekte identischen Gesetzlichkeit miteinander verbunden sind. Ihnen gegenüber treten - in unserer Sprache - die objektiven Erkenntnisse, die über irgendwelche, von unserem intellektuellen Willen unabhängigen Phänomene, Dinge, Vorgänge etwas zu künden wissen, und welche untereinander nach einer für alle Subjekte identischen Gesetzlichkeit verbunden sind. Beide Klassen erschöpfen den Kreis aller Erkenntnisse. Jedes wahre Urteil sagt entweder über denkend von uns erzeugte Vorstellungen oder über Gebilde aus, deren Schöpfung nicht in unserem denkenden Bewußtsein vor sich geht. Diese Zweiteilung geht auf HUME zurück. Da er die "der schöpferischen Kraft des Geistes" (64) entspringenden seelischen Inhalte "Ideen" (ideas) und die sich uns unwillkürlich aufdrängenden Objekte "Tatsachen" (facts), so drückt er die von uns zugrunde gelegte Gliederung so aus:
2. Daher geht HUME von der Betrachtung der Bewußtseinsinhalte aus, auf denen sich die subjektive und objektive Erkenntnis aufbaut. Nach ihm finden wir zwei getrennte Gruppen von Elementen in unserem Geist, zwei Arten von perceptions vor: neben den willkürlich erzeugbaren "Vorstellungen"; den thoughts und ideas, unwillkürlich uns gegebene, empfangene, sich aufdrängende "Eindrücke" (impressions, sentiments, sensations, feelings). Der LOCKEschen Einteilung folgend, bezeichnet HUME die beiden Hauptklassen, deren ein jeder "Eindruck" verfällt, als Eindrücke des äußeren und inneren Sinns, als äußere Sinneswahrnehmungen und innere (Selbst-) Wahrnehmungen (external, outward sensation, internal, inward sensation = reflection). Beispiele äußerer Wahrnehmungen sind: ein gesehenes Blau, ein gehörter TOn, ein getastetes Hart und deren Zusammensetzungen (also was wir heute Empfindungen: Haßgefühle, Liebessehnsuch, Zornaufwallung, kurz alle passions und affections (also was wir heute als Gefühle, Affekte, Willensregungen bezeichnen). Die willkürlich zu erzeugenden Vorstellungen laufen aber nun nicht als Gebilde völlig selbständigen Inhalts neben diesen "Eindrücken" her; sie sind vielmehr einzig aus dem Material dieser Eindrücke geformt, und nur diese neue Form ist das Werk der Denktätigkeit, "des Geistes und des Willens". (66) Es erscheinen die ursprünglichen Eindrücke dabei sozusagen in vergeistigter Gestalt. Als eine blassere Wiederholung in einer dünneren Bewußtseinsschicht und ohne jenes Passivitätsgefühl, das die Eindrücke begleitet. Dabei kann die Wiederholung, welche Gedächtnis und Phantasie (imagination, fancy) besorgen, eine relativ genaue Kopie des Originals bedeuten, wie bei der treuen Erinnerung, etwa an das Gesicht eines Freundes, oder eine beliebige Kombination einzelner Wahrnehmungsbestandteile zu neuen Gestalten, wie die Verbindund von Pferdeleib und Menschenkopf zur Vorstellung eines Zentauren. Aber niemals kann eine willkürlich erzeugte Vorstellung auch nur den winzigsten Bruchteil enthalten, der nicht irgendwann als unwillkürlich empfangener Eindruck gegeben war. Niemals auch wird in der reproduzierten und willkürlichen Vorstellung getrennt und gesondert (distinct and different) vergegenwärtigt, was in der unmittelbaren Anschauung nicht getrennt und gesondert gegeben werden kann. Wie umgekehrt alles an den unmittelbaren Eindrücken anschaulich Trennbare und Unterscheidbare in der Phantasie zu trennen und zu unterscheiden ist. Darum gibt es keine "abstrakten" und keine, auf ihnen fußenden "allgemeinen" Vorstellungen (ideas), welche diese Trennung vollziehen; z. B. keine Vorstellung einer Bewegung ohne bewegten Körper oder des Menschen ohne bestimmte Größe; es gibt nur konkrete und daher individuelle Vorstellungen, weil es nur konkrete und individuelle unmittelbare Anschauungen gibt. Alle Abstraktion und Verallgemeinerung beruth letztenendes auf einer distinctio rationis [Unterscheidung durch den Verstand - wp], d. h. auf einer Betrachtungsweise, welche auf die Unterschiede und Ähnlichkeiten an den Wahrnehmungen die denkende Aufmerksamkeit richtet, ohne diese Unterschide und *Ähnlichkeiten noch einmal - für sich - bildmäßig im Geist erzeugen zu können. So ist es ganz unmöglich, die Farbe und die Gestalt einer weißen Marmorkugel sich (anschaulich) getrennt vorzustellen, aber sehr wohl möglich, die Kugel "unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten"; etwa das eine Mal sein "Augenmerk zu richten" auf die Ähnlichkeit mit einer Kugel aus schwarzem Marmor und dann "reflektiere ich" auf die Figut, das andere Mal die Ähnlichkeit mit einem weißen Würfel "im Auge zu behalten" und dann reflektiere ich auf die Farbe. Weiter braucht die so viel diskutierte Abstraktionstheorie, in der HUME, wie überall, wo er die Rolle des spontanen Denkens streift, geniale Inkonsequenzen begeht, an diesem Ort nicht ausgeführt zu werden. (67) Genug, daß wir wissen: Ursprüngliche und abgeleitete Vorstellungen erschöpfen die Gesamtheit aller Bewußtseinsinhalte im strengen Sinn. (Das Wort "Vorstellungen" wird bekanntlich in der modernen Psychologie und Erkenntnistheorie bald als Gattung, die HUMEs Impressionen und Ideen begreift, bald nur zur Bezeichnung der ideas verwendet. Wir gebrauchen es so, daß durch den Zusammenhang oder durch Zusätze jedesmal eindeutig seine jeweilige Bedeutung erhellt). Was sonst noch in unserem Geist vorhanden ist, sind Bewußtseinsvorgänge, -tätigkeiten, -funktionen (operations of the mind), welche Beziehungen zwischen diesen Inhalten herstellen und zwar für die Theorie der subjektiven und objektiven Erkenntnis eine große, für die Abgrenzung dieser beiden Erkenntnisarten aber gar keine Rolle spielen. Bei der Herkunft aller subjektiven Denkinhalte aus ursprünglichen, objektiven Wahrnehmungen oder Erfahrungen (denn beides ist gleichbedeutend) könnte es verkehrt erscheinen, zuerst von der Erkenntnis zu handeln, die sich auf die späteren, abgeleiteten, subjektiven Bewußtseinsphänomene bezieht. Die Anordnung rechtfertigt sich durch den Zweck unserer Untersuchung. Denn das logische Erkenntnisproblem ist für die psychologisch verwickelteren Gebilde, die subjektiven Vorstellungen, bedeutend einfacher zu lösen, als für die psychologisch einfachen und ursprünglichen Elemente. Die Wahrheitsgesetze für die subjektive Erkenntnis gelten nämlich auch für die objektive, nicht aber umgekehrt; und die objektive Erkenntnis hat sich überdies noch eigenen, und zwar schwerer faßbaren Gesetzmäßigkeiten zu fügen. 3. Von welch allgemeiner Natur nun die Gegenstände der subjektiven Erkenntnis sind, hat HUME nicht ausdrücklich hervorgehoben. Ihm gilt es als selbstverständlich, daß wir in den ersonnenen Zentauren, den bloß gedachten Göttern, dem willkürlich vorgestellten Sechseck unmittelbar nur Erzeugnisse unseres eigenen Bewußtseins (fictions) erfassen, und daß diese Erzeugnisse auch, im Gegensatz zu den objektiven Perzeptionen, keine Merkmale an sich tragen, die noch auf irgendeine andere Art von Existenz, auf das Dasein ihnen entsprechender ähnlicher oder unähnlicher Dinge hinweisen. Umso deutlicher hat er die Frage gestellt: was wir eigentliche, welche Eigenschaften, Beziehungen, Gesetze wir an diesen ewig subjektiv bleibenden Vorstellungen einzusehen vermögen. Das subjektive Erkennen besteht nach seiner Auffassung nämlich einzig in der Vergleichung (comparison) unserer mittelbaren Vorstellungen, und zwar in der Feststellung solcher Beziehungen (relations), die einzig "von der Natur der Vorstellungen selbst" abhängen. Diese Beziehungen sind: Ähnlichkeit, Grade der Qualität, Widerstreit und Verhältnisse der Quantität und Zahl (68). Stelle ich mir zwei beliebige Farben, auf einem Stück Papier gemalt, vor: etwa Orange und Rot, so kann ich rein aus der Natur dieser Vorstellungen und ohne in die Erfahrung, also in die objektive Wirklichkeit dabei überzugreifen, einsehen:
2. daß das Rot in abgeschwächtem Maß im Orange enthalten ist; 3. daß diese Farben nicht diese Farben sind; 4. daß ihre Anzahl zwei und ihre Ausdehnung flächenhaft ist. An diesem einfachen Beispiel läßt sich im Sinne Humes der ganze Bereich der subjektiven Erkenntnis abstecken. Dabei werden Ähnlichkeiten, logische Relationen, qualitative Gradunterschiede stets unmittelbar, also intuitiv (= unmittelbar a priori) erkannt; während Beweisführungen, mittelbares Erkennen, demonstratives Wissen (= mittelbar a priori) nur im Reich der Mathematik möglich sein sollen (69). 5. Die rein logischen Verhältnisse erschöpfen sich in der Kategorie des Widerspruchs, welche besagt, daß ein Ding nicht sein kontradiktorisches Gegenteil ist (Sein ist nicht Nichtsein). Sie ist streng abzugrenzen gegen die tatsächliche Unverträglichkeit zweier Dinge, die wie Feuer und Wasser, Hitze und Kälte einander aufheben und verdrängen, was keineswegs a priori, sondern nur durch eine Beobachtung der Erfahrung zu entdecken ist. (70) Aber abgesehen von dieser scharfen Trennung zwischen logischem Widerspruch (contradiction) und tatsächlichem Gegensatz (opposition) (mit der HUME den Kern von KANTs Ausführungen über Realprugnanz in dessen Jugendarbeit "Über die Einführung der negativen Größen in die Weltweisheit" vorwegnahm) und von anderen flüchtigen Bemerkungen zu den zuerst genannten Relationen, treten all diese Beziehungen zugunsten der mathematischen Verhältnisse bei der Behandlung in den Hintergrund. Diese sind die einzigen unter den subjektiven Gebilden, denen im Treatise zumindest ein paar Abschnitte gewidmet sind; in der Enquiry werden auch diese Ausführungen von der Theorie der objektiven Erkenntnis völlig verdrängt und HUMEs Äußerungen über die subjektive Erkenntnis beschränken sich auf wenige Sätze. 6. Ehe wir aber auf die einzige Gruppe, die von unserem Denker eingehender behandelt wurde, einen Blick werfen, nämlich auf die Tragweite mathematischer Urteile, müssen wir noch ein Wort über die objektive Gültigkeit all der genannten Beziehungen voranschicken. Das Problem gehört noch insofern in das Kapitel von der subjektiven Erkenntnis, als es nur nach der Anwendbarkeit, nicht nach der Anwendung dieser Relationen auf die, wie auch immer gedachte Wirklichkeit fragt. Es handelt sich also z. B. darum, ob sich die Verneinung des logischen Widerspruchs nicht nur auf willkürliche Gedankengebilde, sondern auch auf wirkliche Dinge zu erstrecken hat und mit welchem Gewißheitsgrad, und in welcher Allgemeinheit dies erkannt werden kann. Nicht um die Existenz dieser Dinge handelt es sich dabei, sondern nur, bei hypothetisch angenommener Existenz, um ihre Relationen. Wenn es ein wirkliches A gibt, ist auch dieses nicht non A; wenn ein wirklicher Berg existiert, hat auch er notwendig ein Tal usw.? In der Tat ist HUME der Ansicht, daß wir all diese Fragen mit vollkommener Gewißheit, in universeller Ausdehnung und ohne die Erfahrung und Wirklichkeit dabei zurate zu ziehen, bejahen müssen. Denn der Anerkennungszwang dieser Beziehungen besteht ganz so gut dort, wo die zu vergleichenden Vorstellungen genau wirklichen Eindrücken nachgebildet sind, wie bei frei abgewandelten Phantasiebildern. Er erstreckt sich schlechterdings auf alle nur denkbaren Inhalte des Bewußtseins. Aber:
Freilich erstreckt sich diese Gültigkeit immer nur auf Erfahrbares, auf mögliche "Erscheinungen" (appearances) und nicht auf die Welt der Dinge-ansich. Hier vielmehr hält HUME zweifelnd inne, ohne ein Für oder Wider behaupten zu wollen. (72) 7. Über die mathematische Erkenntisweise hat HUME zu verschiedenen Zeiten verschieden gedacht. In der Enquiry löst sich ihm die gesamte Mathematik in ein strenges Wissen a priori auf, im Treatise ist es nur die Algebra und Arithmetik, welche diesen Anspruch erheben dürfen.
Auch werden wir annehmen müssen, daß HUME neben der apodiktischen die universelle Geltung arithmetischer Gesetze vertreten hat: d. h. deren apodiktische Gewißheit nicht nur für das Verhältnis zwischen den gerade im Geiste gegenwärtigen individuellen Zahlen, sondern für alle beliebigen vorstellbaren Zahlen der Vergangenheit und Zukunft, deren Verhältnis in mathematischer Beziehung dem gerade vorgestellten gleicht. Auch die Anwendbarkeit der Arithmetik auf objektive Größen, wie sie die Erfahrung aufweist, stand für HUME außer Frage. Denn die früher angeführten Stellen über die objektive Geltung des a priori treffen alle reinen Denknotwendigkeiten ohne Ausnahme. 8. Trotz der ziemlich ausführlichen Besprechung geometrischer Probleme im Treatise ist es nicht ganz leicht, die wahre Meinung unseres Philosophen über die erkenntnistheoretische Bedeutung der geometrischen Sätze zu ermitteln. Seine Hauptanstrengungen gelten hier der Beantwortung von Fragen über die unendliche Teilbarkeit des Raums und der Zeit, über die Möglichkeit leerer Räume und Zeiten, und alle Bemerkungen über den Erkenntniswert der Geometrie überhaupt sind in diese Spezialerörterungen eingeschlossen. (75) Jedoch wurde schon betont, daß die Geometrie nach der Anschauung des Hauptwerks die Sicherheit von Zahlenerkenntnissen niemals erreicht. Diese skeptischen Bedenken zeigen bei unserem Denker aber nur einen bestimmten Grad, und darin liegt wohl der Grund, warum wir von ihm bald mehr die Unsicherheit, bald mehr die Sicherheit geometrischer Erkenntnis betont finden. (76) Seine wahre Meinung ist bei einigem guten Willen jedoch nicht mißzuverstehen. Es hängt nämlich der niedere Erkenntniswert geometrischer Einsichten vorwiegend an zwei, einander nicht durchaus bedingenden Umständen. Einmal an der Beschaffenheit der letzten Elemente, die in unsere räumlichen Vorstellungen eingehen; sodann an der Art, wie wir zum Bewußtsein dieser Elemente und der zwischen ihnen herrschenden Beziehungen gelangen. Dem ersteren Umstand verdankt jede geometrische Einsicht eine relative Ungenauigkeit ihres Inhalts, dem zweiten eine nur wahrscheinliche Geltung, sowie sie universell (im vorhin angegebenen Sinne) genommen werden soll. Das letzte Element unserer Raumvorstellung ist der eben noch sichtbare, eben noch tastbare, unteilbare Punkt. Dieses Gebilde ist aber kein absolut festes, sich gleichbleibendes; es schwankt und schwebt vor unserer Imagination hin und her. Ein unsichtbarer, untastbarer, unteilbarer Punkt wiederum, wie ihn die Mathematiker fordern, ist eine unvollziehbare Fiktion, der keinerlei Existenz, auch nicht als willkürlich vorzustellendem, subjektivem Gedanken, zugestanden werden kann. Nun hängen aber alle geometrischen Figuren, wie gerade und krumme Linien, Ebenen, ja alle Körper, sowie die Beziehungen der Gleichheit und Ungleichheit an und zwischen verschiedenen Figuren von diesen letzten, vagen Bewußtseinsbildern, den unteilbaren Punkten ab, und nehmen dadurch indirekt an der Ungenauigkeit der Punktvorstellung teil. Ja, auf die Punktbestandteile zurückgeführt, sind sie noch weit unbestimmter als diese Bestandteile selber! Wer vermöchte z. B. über die Gleichheit zweier Linien aus der gleichen Anzahl der in beiden enthaltenen Punkte etwas auszusagen? So kommt zur Unbestimmtheit der Elemente hier noch die Unübersehbarkeit ihrer Anzahl. Daher sind wir bei der Beurteilung von Linien, Flächen, Körpern und ihren Verhältnissen auf den Gesamtaspekt (general appearance) angewiesen, den sie als Ganzes unseren Sinnen bieten. Nun täuscht dieser Anblick zwar dort, wo es sich um gröbere Verhältnisse handelt, wohl unter geeigneten Bedingungen niemals. Eine in stärkerem Maß krumme Linie läßt sich von einer graden auf den ersten Blick unterscheiden; aber bei stetig verringerter Krümmung werden beide bald ununterscheidbar. Daß zwei in merklichem Winkel zueinander geneigte Linien keine Strecke gemeinsam haben, leuchtet ein; nimmt der Winkel aber stark ab und die Entfernung, aus der sie sich nähern, entsprechend zu, so werden wir über das Ergebnis im Zweifel bleiben. Allerdings stehen uns auch zur Beurteilung feinerer geometrischer Verhältnisse, die mit bloßem Auge nicht zu übersehen sind, (zumindest in der objektiven Welt) Hilfsmittel in der Form fester Maßstäbe und Instrumente zu Gebote. Aber diese sind doch nichts anderes als Gegenstände, in denen wir unsere, unter den günstigsten Bedingungen ausgeübten Urteile über räumliche Größen gewissermaßen materiell fixiert haben, und sie führen über die grundsätzlichen Schranken unserer Raumanschauung niemals hinaus; denn niemals können sie die Kraft überbieten, welche sie selbst erzeugte, und deren Aufspeicherung ihr ganzes Wesen ausmacht.
10. Es erhebt sich die Frage: wenn die geometrischen Sätze als allgemeine Behauptungen die Zweifelhaftigkeit mit allen allgemeinen Behauptungen teilen, deren Inhalt der Erfahrung entstammt, wenn sie überdies noch durch die schwankende Undeutlichkeit der Elemente an den beurteilten Gebilden zur Ungewißheit die Ungenauigkeit fügen - eine Ungenauigkeit, die bereits dem singulären Urteil über jedes individuelle Raumverhältnis anhaftet -, so erscheint die Raumwissenschaft an Erkenntniswert nicht nur den apriorischen, sondern auch allen empirischen Wissenschaften nachzustehen. Ist das auch HUMEs Meinung? Ersichtlich nicht. Denn die Geometrie rückt (im Treatise) nicht an das Ende, sondern an die Spitze aller empirischen Wissenschaften. Und das beruth auf folgendem eigentümlichen Vorzug ihrer Gegenstände: Einmal sind die Raumgesetze weit einfacher und daher mit viel größerer Sicherheit zu ermitteln, wie die sonstigen Gesetze der empirischen Welt, und sodann betreffen sie so allgemeine Eigenschaften des Raumes, daß sich auf rein logischem Weg eine Fülle von Folgerungen aus diesen empirischen Prämissen ziehen lassen; und zwar gelegentlich sogar von Folgerungen, welche durch die Sinne und die Erfahrung gar nicht mehr wahrgenommen werden können. Aus den ganz einfachen und übersichtlichen Eigenschaften eines Dreiecks z. B. läßt sich rein logisch (und arithmetisch) die Winkelsumme eines Tausendecks berechnen, dessen Bild keine Anschauung uns zu vergegenwärtigen imstande ist.
11. Diese Ansicht vom empirischen Charakter der Geometrie ist in der Enquiry fallen gelassen. In ihr räumt HUME ein, daß eine reine Geometrie besteht, von streng apriorischer Herkunft mit streng apodiktisch-universellen Urteilen. Insofern verliert die Geometrie hier ihre Sonderstellung der Arithmetik gegenüber, rückt mit dieser auf eine Linie. Über den Genauigkeitsgrad ihres Inhalts schweigt sich die Abhandlung dagegen aus.
So sind die Vorstellungen des Raumes und der Zeit lediglich abstrakte Begriffe, die unter Abstraktion vom Empfindungsinhalt, Farbe und Tastbarkeit beim Raum, unter Abstraktion aller Bewußtseinsinhalte bei der Zeit, zustande kommen.
In der Enquiry verschiebt sich HUMEs Stellung zur Unendlichkeitsfrage um ein Weniges. Der negativ-dogmatische Standpunkt hat einem skeptischen Platz gemacht. (86) In der reinen Geometrie gilt ihm die unendliche Teilbarkeit des Raumes als völlig einwandfreie Folgerung "aus einer Reihe der klarsten und natürlichsten Gedankengänge". Auf der anderen Seite verletzt ihre Annahme "die klarsten und natürlichsten Prinzipien der menschlichen Vernunft".
14. Wie steht es endlich mit der objektiven Gültigkeit der geometrischen Erkenntnisse? Hier müssen wir wieder streng zwischen physischer und metaphysischer Geltung unterscheiden. Auf dem Standpunkt des Treatise kann über den ersten Punkt überhaupt kein Zweifel aufkommen. Die Grundsätze der Geometrie sind ja nicht a priori unserem Geist entsprungen, sondern aus der Erfahrung abgelesen und erst hinterher in die reproduzierende Einbildungskraft erhoben. Wie sollen sie da nicht auf die physischen Objekte anwendbar sein, von denen sie abgezogen sind? Für den Verfasser des Treatise ist es eigentlich viel schwerer, die Existenz der reinen als die der physischen Geometrie zu rechtfertigen! Denn die reine und subjektive Geometrie wird nur dadurch möglich, daß auf beliebige willkürliche Raumvorstellungen die empirisch ermittelten Gesetzmäßigkeiten angewandt werden, und daher von diesen Phantasiegebilden so gut wie von ihren empirischen Originalen ausgesagt werden können. Man lasse sich nicht durch die Vorstellungsnotwendigkeit der geometrischen Verhältnisse, die auch im subjektiven Raum besteht, etwa die Existenz einer reinen Geometrie a priori vortäuschen! Der Vorstellungszwang ist zwar der gleiche wie bei den Erkenntnissen a priori, aber seine Erklärung, wie wir vorhin sahen, eine ganz andere, ja entgegengesetzte. Einigermaßen schwierig ist es nur, an diese Vereinigung von empirischem Ursprung und apodiktischer Geltung zu glauben, wenn man aus HUMEs Kausaltheorie weiß, daß dort alles empirisch Erfaßte auch stets ein einem subjektiven Denken vorgestellt werden kann, und es geradezu ein Kriterium für die Erfahrungsquelle einer Erkenntnis ist, nicht notwendig vorgestellt werden zu müssen. In der Enquiry hingegen könnte zwar die Anwendung der reinen Geometrie auf die empirische Wirklichkeit zum Problem werden; denn in ihr wird ja eine selbständige, von der Erfahrung unabhängige Wissenschaft a priori der Raumgrößen anerkannt. Für HUME aber besteht, nach der These von der objektiven Geltung alles a priori, ein solches Problem nicht. Die wiederholte Gleichsetzung von geometrischen Einsichten in der imagination, der Quelle aller mittelbaren Vorstellungen, un in den senses, der Quelle der unmittelbaren Eindrücke, ist der Beweis dafür. (88) Beiden Werken ist gemein, daß die objektive Geltung der Geometrie mit aller Entschiedenheit nur auf den erfahrbaren physischen Erscheinungsraum, niemals aber für den metaphysischen Raum oder den Raum ansich - selbst wenn ein solcher existieren sollte - ausgedehnt wird. In unserer Terminologie vertritt HUME also zwar die objektive, aber nicht die reale, in KANTs Ausdrucksweise die empirisch-reale, nicht die absolut-reale Geltung der Geometrie. Daher wird hier auch die dogmatische Verwerfung der Unendlichkeit hinfällig und mach einer metaphysischen Skepsis Platz. 15. Im Übrigen klang die Theorie der subjektiven Erkenntnis bisher sehr wenig skeptisch. Die logischen Einsichten, die Urteile über gewisse Beziehungen der Ähnlichkeit und des Grades zwischen willkürlich vorgestellten Inhalten; die gesamten arithmetischen und nach der Enquiry, auch geometrischen Erkenntnisse - sie alle sind a priori zu gewinnen, gewähren ein apodiktisches Wissen, ihr Gegenteil ist unvorstellbar, ihre Ausdehnung universell, ihre Geltung objektiv. Diese Anschauungsweise, mit der sich vorläufig noch der orthodoxeste Dogmatiker einverstanden erklären würde, erhält nun aber eine skeptische Wendung, die das ganze Inventar der Einsichten a priori ergreift, und es durch eine einzige Erwägung auf eine niedere Erkenntnisstufe herabdrückt. Diese Erwägung läßt sich kurz dahin zusammenfassen: die subjektive Erkenntnis a priori, welche im idealen Sinne absolut gewisse und universelle Geltung beanspruchen darf, und deren Gegenteil unvorstellbar ist (das letztere trifft übrigens selbst für die empiristische Deutung der geometrischen Urteile im Treatise zu), sie sinkt de facto auf die Stufe der objektiven Gesetzeserkenntnis a posteriori herab, die nur relative Sicherheit, eingeschränkte Gültigkeit erreicht, und deren Gegenteil stets vorstellbar bleibt. Dieser Übergang des idealiter höheren Erkenntniswertes in einen realiter niederen Wert ist für den tatsächlichen Ablauf der Erkenntnis ein unvermeidliches Verhängnis. Die Gründe sind diese: Überall da, wo es sich nicht um die "intuitive" Lösung völlig einfacher Probleme handelt, sondern um verwickeltere Aufgaben im Bereich des subjektiven, also apriorischen "demonstrativen" Wissens, können wir nicht sicher sein, daß die Bedingungen, unter denen unser Denken allein richtig und bei allen Subjekten in gleicher Weise arbeitet, auch wirklich vorhanden sind. Es ist ja eine gewöhnliche Erfahrung, daß man in schwierigen Fällen der Beurteilung oft nur zu erkennen glaubte, während man in der Tat nicht erkannte, sondern sich durch Unachtsamkeit, Zerstreutheit usw. täuschen ließ; daß also die psychologischen Voraussetzungen fehlten, unter denen das menschliche Wahrheitsbewußtsein allein fehlerlos und zuverlässig funktioniert. Nun vermögen wir über die Erfüllung dieser Bedingungen nur auf objektivem Weg uns zu unterrichten, d. h. nicht wiederum a priori, sondern nur durch das Studium der Erfahrung. Dadurch aber wird das Wissen a priori, wo es sich verwirklichen will, vom Wissen a posteriori, das subjektive vom objektiven Erkennen abhängig gemacht und in seinen Ergebnissen auf das Niveau des letzteren herabgezogen. Sieht man näher zu, wie HUME die Unsicherheit in der Feststellung der Bedingungen, unter denen unsere Vernunft allein Wahrheit erarbeitet, zu motivieren sucht, so treten im Wesentlichen drei Punkte dabei in den Vordergrund. Einmal sind wir a priori niemals ganz sicher, daß die geforderten Bedingungen bei unserer Denkarbeit a priore vorhanden waren; zweitens ist es auch nur eine Erkenntnis a posteriori, daß bei ihrer Erfüllung bestimmte Erkenntniswerte erzeugt werden können; endlich läßt sich der Zweifel, der auf diese Weise in die apodiktische Gültigkeit demonstrativen Wissens hineingetragen wird, ins Unbegrenzte dadurch steigern, daß die nur a posteriori festzustellende Richtigkeit der Erkenntniskriterien selbst wieder nur wahrscheinlich, diese Wahrscheinlichkeit auch nur wahrscheinlich ist usw. So schrumpft durch eine allmähliche Abschwächung der Gewißheitsgrad der ursprünglichen Erkenntnis schließlich "zu Nichts" zusammen. Ein Beispiel aus der Arithmetik mag die nicht leicht verständlichen Erwägungen HUMEs verdeutlichen. Die Addition von 28 und 32 ist eine Aufgabe, die einer völlig gesicherten Lösung aufgrund der uns bekannten Wahrheitskriterien fähig sein müßte. Denn ihr Ergebnis, die Summe 60, gewinnt sich aus Überlegungen a priori höchster Wissensordnung. Im faktischen Verlauf der Rechnung aber sind diese idealen Möglichkeiten nicht zu verwirklichen. Ziehe ich das abkürzende Verfahren gar nicht einmal in Betracht, dessen man sich gewöhnlich bei einer solchen Rechnung bedient, nämlich der Anwendung des auswendig gelernten Einsundeins, sowie der erlernten Additionsregeln, deren logisch gültiger Gebrauch von der Treue des Gedächtnisses abhängt, also von einem nur a posteriori nachzuprüfenden Faktor (durch den dennoch die Richtigkeit des Schlußergebnisses bedingt wird), so ist auch ein Schritt für Schritt, logisch und arithmetisch, vollbewußt begründeter Fortgang der Rechnung den erwähnten skeptischen Bedenken ausgesetzt. Denn für die Richtigkeit der unzähligen elementaren Urteile, aus denen sich die Lösung des Exempels dann aufbauen würde, wird die vollkommenste Geistesbereitschaft unseres Denkvermögens vorausgesetzt, die sich nur selten längere Zeit erhält, und über deren Vorhandensein wir nur durch einen Befund a posteriori anhand von Erfahrungsgesetzen, also nur mit Wahrscheinlichkeit uns zu vergewissern vermögen. Hier wird die mathematisch-logische, prinzipiell höchste Erkenntnisart von der psychologischen, einer grundsätzlich niederen Erkenntnisweise durchkreuzt und abhängig gemacht. Aber - und das ist der zweite Punkt - woher wissen wir schließlich, daß Einsichten in Zahlenverhältnisse a priori und apodiktisch, Einsichten in die Erfüllung der Bedingungen, unter denen unser erkennendes Bewußtsein allein sachgemäß urteilt, also in den psychologischen Mechanismus, nur a posteriori und problematisch gewonnen werden können? Wiederum nur auf dem Erfahrungsweg, durch Beobachtung der Prinzipien unseres Verstandes, die nicht a priori und absolut, sondern nur a posteriori und relativ überzeugend zu machen sind. Jetzt ist es der empirische Charakter der erkenntnistheoretischen Reflexion, welcher auf das Resultat der mathematischen Rechnung abfärbt und ihm die vollkommene Gewißheit raubt. Daß dieser Charakter aber ein empirischer und kein "reiner" ist, gilt, nach dem dritten Einwand, wiederum nur mit Wahrscheinlichkeit usw. So wird die Sicherheit des Urteils 28 + 32 = 60 ins Unendliche herabgemindert.
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42) Treatise, Einleitung, Seite 307 (4). Ich gebe die Seitenzahlen nach der englischen Gesamtausgabe von Green and Grose, und füge bei Zitaten aus dem Treatise in Klammern die betreffenden Zahlen der Übersetzung von Lipps, aus der Enquiry die meiner Übersetzung bei. 43) Philosophy hat bei Hume eine weitere und eine engere Bedeutung; es bezeichnet bald sämtliche Wissenschaften von der Wirklichkeit (im Gegensatz zur Mathematik), bald nur die Prinzipienwissenschaft, welche wir im Deutschen allein Philosophie zu nennen pflegen. Näheres zur Terminologie siehe in den Registern zum Treatise und der Enquiry bei Lipps und Richter. 44) Enquiry I, Seite 8 (10/11). Zum Gebrauch des Wortes Metaphysic bei Hume siehe oben und Register zur Enquiry. 45) Besonders deutlich Treatise Einleitung, Seite 307 (3). 46) Enquiry I, Seite 10 (12): parts, powers, faculties, oeconomy, operations of the mind sind hier Humes Ausdrücke für das zu erforschende Objekt. 47) Enq. I, 11 (14) 48) Treat. Einleitung, 307 (3). 49) Enq. I, 12 (15). 50) Enq. I 10-13 (12-16); Treat. Schluß der Einleitung. 51) Treat. Einleitung 308-310 (5-7). 52) Experiment, experimental bedeutet bei Hume nicht willkürlich angestellte Erfahrungen, sondern jede einzelne konkrete Erfahrungstatsache, die zur Gattung experience gehört. Siehe Register der Enquiry. Im Einklang damit bezeichnet sich Hume in seinen Briefen mit Vorliebe als anatomist. 53) ebd. 54) Genau wie Kant gebraucht Hume das Wort reason (Vernunft) bald in dem weiteren Sinn, in dem es alle Erkenntnisse umspannt, bald in dem engeren, in dem es nur die höheren Einsichten bezeichnet. Knowledge steht erst in der Enquiry für alle Erkenntnisse, während es im Treatise nur das ganz sichere Wissen a priori, die certainty, bedeutet; vgl. Treat. III, 2, 423 (171) mit Enquriy 135 (192). 55) Man halte sich gegenwärtig, daß Hume, entgegen unserem modernen deutschen Sprachgebrauch, die Worte Intuition und Demonstration nur für den Erwerb oder Besitz von Wissen höchsten Grades und daher von Erkenntnissen a priori verwendet, deren Gegenteil stets unvorstellbar ist. Hauptquellen: Treat. II, 2, 339 (48); III, 1, während die Enquiry diese beiden Kategorien nur streift. 56) Treat. III, 2, 423 (171/72) und Enq. VI, 47A (70A). 57) Of the standard of taste, 268 58) Essay concerning the principles of morals, 265/66. Vgl. auch Treat. I, 236 (198). 59) Treat. III, 7, 395 (128) 60) Enq. I, 10 (13A) 61) Treat. III, 13 62) Enq. VIII, 66 (96) 63) Besonders deutlich Treat. III, 13, 448/49 (209/209) 64) Enq. II, 14 (19) 65) Enq. IV, 20 (35) 66) Enq. II, 14 (19) 67) Humes Einteilung aller perceptions in impressions und ideas. Treat I, 1-3; Enq. II; zur Abstraktionstheorie siehe Treat. I, 7; Enq. XII, 129A (185A) 68) Diese Anschauung wird sowohl im Treatise III, 1, 373 (95), als auch in der Enq. XII, 133 (190) festgehalten. 69) Treat. I 5 und III, 1. 70) Treat. I, 5. Humes Ausführungen über die Identität (ebd. und Treat. III, 2; IV, 6) haben es nicht mit dem logischen Verhältnis oder dem Axiom der Identität, sondern mit einer angeblichen Beharrlichkeit der Substanz zu tun, die sich aber auf die Konstanz gewisser Merkmale an objektiv-empirischen Gegenständen zurückführen läßt. 71) Treat. II, 2, 336 (44, 49) 72) Treat. II, 5, 368A (87A). 73) Treat. III, 1, 374 (96). 74) Eine scheinbare Relation zwischen Zeit, Zahl und Einheit wird Treat. IV, 2, 490 (268) erwähnt, aber bei genauerem Zusehen handelt es sich dabei nur um die Frage, wann ein Objekt als mit sich identisch aufzufassen ist. Dies gegen Green's "General Introduction", § 256. 75) Treat. II, 1-5. 76) z. B. Treat. III, 1, 374/75 (6) heißt es von einem Axiom über gerade Linien: we have no standard of a right line so precise as to assure us of the truth of this propositions. It is the same case with most of the primary decisions of the mathematics. Dagegen Treat II, 4, 357 (73): we may learn the reason, why geometry fails of evidence in this single point (nämlich der unendlichen Teilbarkeit des Raumes), while all its other reasonings command our fullest assent and approbation. Übrigens bedeuten assent, approbation, assurance immer nur Grade der moral evidence, niemals aber dasselbe wie die certainty. 77) Treat. II, 4, 356 (71) 78) Treat. III, 1, 374 (97) 79) Treat. III, 1, 374 (97) 80) Treat. II, 4, 356 (71) 81) Treat. III, 1, 373 (96). 82) Enq. IV, 1, 20/21 (35); vgl. XII, 3, 133 (190): it seems to me, that the only objects of the abstract sciences or of demonstration are quantity (nämlich sämtliche Größen) and number; abenso den berühmt-berüchtigten Schlußsatz der alle Werke verdammt, die nicht any abstract reasoning concerning quantity or number oder empirische Untersuchungen enthalten; vor allem IV, 1, 28 (42), wo die Geometrie ausdrücklich als Wissenschaft a priori der empirischen Kausalerkenntnis entgegentritt. 83) Treat. II, 4, 346 (57/58); real existence bedeutet hier nicht etwa wirkliches Dasein im Gegenteil zum bloß willkürlich vorgestellten, sondern erfülltes Dasein im Gegensatz zum leeren Sein und ist dementsprechend übersetzt worden. 84) Treat. II, 4, 349 (61). 85) Treat. II, 2, 339 (48). 86) Enq. XII, 2, Anfang. 87) Man kann also jedenfalls nicht mit Riehl (Der philosophische Kritizismus) behaupten, Hume habe die unendliche Teilbarkeit des Raums als einwandfreie Annahme der reinen Geometrie im Treatise und der Enquiry anerkannt, und nur die Anwendbarkeit des Begriffs auf die Objektivität problematisch gefunden. Im Treatise erkennt er diesem Begriff in der reinen Geometrie überhaupt gar keine Berechtigung zu (und erklärt die subjektive Unvorstellbarkeit mit dem objektiven Nichtvorkommen); in der Enquiry gibt er zumindest die relative d. h. scheinbare Berechtigung des Begriffs in der reinen Geometrie zu, verwirft ihn aber schließlich ebenso wie im Treatise und leugnet damit auch, da ihm subjektiv unvorstellbar = objektiv unmöglich ist, dessen objektive Geltung. Daß es sich auch in der Enquiry immer nur um die Frage nach dem unendlich Kleinen handelt, erhellt sich aus Enq. XII, 2, Anm. 88) Enq. XII, 2, Anm. 89) Zu den letzten Ausführungen vgl. Treat. IV, 1. Von Humes sophistischen Beweisgängen habe ich in der Darstellung abgesehen. Diese treiben ihn dazu, auch die Sicherheit der einzelnen arithmetischen Elementarurteile in Zweifel zu ziehen aufgrund der Unsicherheit komplizierter Rechnungen: da strenges Wissen (der Elementarurteile) nicht allmählich in Wahrscheinlichkeit (des aus vielen solchen Urteilen gewonnenen Resultats) umschlagen kann, andererseits in einem Exempel kein bestimmter einzelner Schritt genannt zu werden vermag, wo dieser Umschlag plötzlich erfolgt, so müssen schon die Elementarurteile ungewiß sein! Oder ein andermal: die einzelnen Teile einer arithmetischen Operation können nicht mehr Gewißheit enthalten als das Gesamtergebnis: "da das Ganze nicht von der Gesamtheit seiner Teile verschieden sein kann." Diese Pseudodialektik ist zu durchsichtig, um widerlegt zu werden. |