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Die Darstellung der Skepsis David Humes [2/3]
I. Leben, Persönlichkeit, Schriften In ihren psychologischen Motiven ist die HUMEsche Lehre der gerade Gegenpolt zu dem aus glühender Sehnsucht geborenen Skeptizismus der Antike. Ihre Wurzeln sind rein theoretische, wie die des Pyrrhonismus rein praktische Bedürfnisse gewesen waren. Daher dann auch die Intensität, der Radikalismus, fast möchte man sagen der Fanatismus auf dieser, das Maß, die Ruhe, das allen Extremen abholde Verhalten auf jener Seite. Dank der Autobiographie, mit der HUME kurz vor seinem Tod, im April 1776, gelassen auf sein Leben zurückblickte, und dank den ausgezeichneten Forschungen BURTONs ist über die äußeren und inneren Schicksale dieses Denkers nicht geringes Licht verbreitet. Als zweiter Sohn eines schottischen Grundbesitzers, des Herrn of Ninewells (in der Grafschaft Berwickshire) (1), Verwandter des Earl of HOME oder HUME, und der Tochter des Sir DAVID FALCONER of NEWTON, Lord president of the Court of Session, wurde DAVID HUME am 26. April 1711 zu Edinburgh geboren. Er besaß einen älteren Bruder und eine Schwester, verlor den Vater noch als Kind, wuchs so mit seinen Geschwistern unter der Erziehung der Mutter heran, und erhielt in Edinburg die in den Colleges damals übliche Ausbildung. Da er als jüngerer Sohn nicht bemittelt war, sollte er die Jura als Beruf ergreifen; aber das Rechtsstudium war ihm zuwider, und er trieb stattdessen, der "ruling passion" seines Lebens nachgebend, Philosophie und Literatur. Melancholische Anwandlungen, die er auf die anstrengende Versenkung in abstrakte Probleme und auf den Versuch zurückführte, die Lehren der moralischen Idealisten an sich selbst zu verwirklichen, zwangen ihn zu dem Entschluß, im praktischen Leben Genesung zu suchen. Mit guten Empfehlungen ausgerüstet begab er sich (1734) nach Bristol, um das Kaufmannsfach zu erlernen. Aber der Geistesart des Jünglings, den es zur Beschaulichkeit aus der Höhe trieb, war der Handelsberuf unerträglich. Kurz entschlossen kehrte er ihm den Rücken, um noch im selben Jahr nach Frankreich überzusiedeln, und dort drei Jahre, erst in Rheims, dann in La Flêche (Anjou), ungestört seinen Lieblingsstudien zu leben. Ähnlich wie DESCARTES sich zur Ausarbeitung seiner Werke in die geliebte holländische Einsiedelei zurückzog, suchte auch HUME Muße und Ruhe, wenn auch unter den bescheidensten Verhältnissen, in einem fremden Land, und - sonderbarer Zufall - am gleichen Ort und in regem Verkehr mit derselben Jesuitenschule, auf der DESCARTES als Jüngling erzogen worden war. Die Frucht des französischen Aufenthalts war die Ausarbeitung der ersten zwei Bücher des Treatise on human nature: Of the understanding and of the passions. Um die Drucklegung zu besorgen, kehrte HUME nach London zurück, und im Jahre 1739 wurde das Werk der Öffentlichkeit übergeben; ein Jahr darauf (1740) erschien der dritte und letzte Teil: Of morals. Der gehoffte Erfolg blieb vollkommen aus; das Buch, welches inzwischen längst und unwiderruflich den Rang einer klassisch-philosophischen Urkunde angenommen hat, kam "totgeboren" zur Welt. Mißmutig, aber doch in der Hoffnung, "die Wahrheit werden schließlich die Gleichgültigkeit und Feindschaft der Welt besiegen" (2), kehrte sein Verfasser zu Mutter und Geschwistern zurück. Um die Scharte auszuwetzen, wurde sogleich eine Sammlung von kleineren Aufsätzen ausgearbeitet, die (zuerst 1741 und ein Jahr darauf, um einen neuen Band vermehrt, in zweiter Auflage) unter dem Titel Essays moral and political erschienen. Das Werk schlug ein, und zugleich mit der literarishen Würdigung, die es fand, besserte sich auch die äußere Lage seines Schöpfers. In der kurzen, aber umso unerfreulicheren Zeit, die HUME, nach einer fehlgeschlagenen Bewerbung um die Professur der Ethik in Edinburg, bei dem nervenkranken Marquis of AMMANDALE als dessen Gesellschafter (1746) verbrachte (3), vor allem durch die zwei Reisen, auf denen er den General Saint CLAIR als Sekretär und judge advocate erst nach Frankreich (1746) (an dessen Küste das englische Geschwader unglückliche Überfälle versuchte), und dann 1748) als aide-de-champs nach Holland, Wien und Turin begleitete, erwarb er sich ein kleines Vermögen, das ihm die so ersehnte finanzielle Unabhängigkeit und damit eine sorgenlose Hingabe an philosophische Studien ermöglichte. Denn all diese praktischen, militärischen, diplomatischen Intermezzi sind HUME wesentlich Mittel zum Zweck; anfangs, um sich pekuniär für den literarischen Beruf sicher zu stellen, später, um Stoff für seine historischen Arbeiten zu sammeln (4). "Ich bin ein Philosoph", heißt es in einem Brief um diese Zeit, "und muß es vermutlich bleiben." (5) Da seine eigenen philosophischen Anschauungen in der Form, die er ihnen im Treatise gegeben hat, vom Publikum nicht verstanden wurden, so arbeitete er das Werk um, und veröffentlichte den ersten Teil in neuer Fassung als Philosophical essays - in späteren Ausgaben Enquiry concerning human understandig - vor seiner Abreise nach Turin (1748), den dritten als Enquiry concerning the principles of morals (1751). In HUMEs Augen war diese Abhandlung "die unvergleichlich beste seiner Schriften". Aber auch in dem glatteren Gewand vermochten die allzu tiefsinnigen Gedanken des Verfassers nicht durchzudringen. Die Beachtung, welche sie schließlich fanden, kam ihnen nur durch das Licht, das die "Political Essays" in steigendem Maße auf sie geworfen hatten. Schon 1748 war wieder eine neue, veränderte Ausgabe von diesen nötig geworden, und während HUME alle bisherigen Schriften anonym herausgegeben hatte, setzte er von nun an seinen Werken den vollen Namen voran. In den ruhigeren Jahren (1749 bis 1751), die er auf dem Landsitz seines Bruders verbrachte - die Mutter war inzwischen gestorben -, wurde ein zweiter Band Essays entworfen und bald (1752) veröffentlicht. Diese Political discourses zündeten sogleich bie ihrem Erscheinen; der Ruhm des Autors ist von nun an besiegelt. Aber HUME, obwohl literarischen Erfolgen in hohem Maße zugänglich, ließ sich dadurch nicht verführen, von ernsteren Arbeiten abzusehen. Die historischen und religionsphilosphischen Probleme sind es, die jetzt seinen Geist in Anspruch nehmen. 1751 werden die kühnen Dialogues concerning natural religion fertiggestellt, aber auf Anraten seiner Freunde von der Veröffentlichung zurückgehalten. Sie wurden erst 1779, drei Jahre nach dem Tod des Autors, durch dessen Neffen herausgegeben, während selbst ein ADAM SMITH sich von der heiklen Aufgabe, die Herausgabe zu besorgen, durch den ihm eng befreundeten Philosophen hatte entbinden lassen. Die Bibliothekarsstelle, welche HUME nach wiederum vergeblicher Bewerbung um eine Professur (der Logik in Glasgow), an der faculty of advocats (1752-1761) in Edinburgh bekleidete, gab ihm die willkommene Gelegenheit, historische Studien in großem Umfang zu betreiben, und (1754-1761) dem Publikum eine Geschichte Englands aus seiner Feder vorzulegen. Der erste Band wurde zunächst verketzert, dann totgeschwiegen, so daß der tief gekränkte Philosoph ernsthaft erwog, sich nach Frankreich zurückzuziehen und sein undankbares Vaterland nie wieder zu betreten. Der zweite und dritte Band fanden eine freundlichere Aufnahme, während die Geschichte des Hauses Tudor ein völliges Fiasko verursachte. Mitten in diese Arbeiten hinein fällt die Veröffentlichung der schon lange konzipierten Natural history of religion (1757) mit noch drei anderen Aufsätzen, von denen der eine Of the passions in einem wörtlichen Extrakt aus dem zweiten Teil des Treatise besteht, die beiden anderen von ästhetischen Problemen handeln und im ersten Band der Essays später eine Aufnahme gefunden haben. Das Werk, dem Dichter HOME gewidmet, enthielt ursprünglich noch zwei Aufsätze über die Unsterblichkeit der Seele und über den Selbstmord, die vo der Drucklegung zurückgezogen, uns aber erhalten geblieben sind (6). Es erregte natürlich den Haß der Orthodoxie, wie das schon frühere Schriften HUMEs getan hatten (7), und rief ein kulturgeschichtlich interessantes Pamphlet WARBURTONs hervor, welches, neben das beschimpfte Original gestellt, diesem einen besonderen Glanz zu verleihen geeignet ist. Inzwischen war HUME nicht nur ein berühmter, sondern auch durch die Einnahmen aus seinen Werken ein reicher Mann geworden, und hatte sich in einem eigenen Haus seiner Vaterstadt zu stiller Beschaulichkeit zurückgezogen. Da wird er unerwartet noch einmal in den Strom der großen Welt hineingerissen. Der englische Gesandte in Frankreich, Marquis of HERTFORD, lud ihn ein, Paris zu besuchen, und stellte ihm bei der Bewerbung um die Stelle eines Sekretärs seine Empfehlungen zur Verfügung. Nach einigem Zögern kam HUME dieser Aufforderung nach. Am glänzenden Hof des Königs, wo bereits die kleinen Dauphinkinder HUME ihre Elogen [Ehrerbietungen - wp] machen mußten, in den eleganten Kulturzirkeln der Pariser Salons, in den Kreisen der Aufklärer und Literaten, die mit den Ideen des englischen Philosophen durch VOLTAIRE gespeist worden waren, besonders auch bei den gefeiertsten Damen dieser Kreise fand er eine enthusiastische Aufnahme; er wurde der Modephilosoph, die Sensation des Tages und erntete jenen vollen Kranz des literarischen Ruhms, den zu erlangen neben dem Erkenntnistrieb die einzige wirkliche Leidenschaft dieses Mannes gewesen ist. (8) Aber auch im Trubel verehrender Menschen bleibt er meist (nicht immer !) (9) Philosoph genug, um sich von äußeren Huldigungen nicht blenden zu lassen, und ist fest entschlossen "die feine Welt eher zu verlassen als sie ihn verläßt" (10). Drei Jahre (1763-1766) führte er, zunächst ohne Rang, dann als Sekretär, endlich als chargé d'affairs der Gesandtschaft dieses Leben voll Glanz und Anerkennung. Mit JEAN-JACQUES ROUSSEAU, dem er auch Bitten der Pariser Freunde eine gesicherte Existenz zu verschaffen suchte, kehrte er nach England zurück. Aber in einem krankhaften Mißtrauen, das ihn in einem satirischen, auf ihn gemünzten Zeitungsartikel statt WALPOLE fälschlich HUME als Autor vermuten ließ, lohnte ROUSSEAU seinem Wohltäter die freundlichsten Gefälligkeiten, Gastfreundschaft, Verwendung beim König, mit maßlosem Haß. HUME antwortete auf alle Schmähungen, die sein Günstling privat und öffentlich auf ihn häufte, als vollkommener Gentleman mit einer korrekten, dokumentarischen Zusammenstellung der zwischen beiden Männern gepflogenen Beziehungen. Aus ihr geht die pathologische Bedingtheit von ROUSSEAUs Benehmen und HUMEs vollkommene Unschuld für jeden Einsichtigen klar hervor. (11) Mit dem Jahr 1761 war HUMEs literarische Laufbahn abgeschlossen; aber seine diplomatische, in die er mehr durch Zufall als durch Beruf und Neigung geriet, war es noch nicht. Bald nach seiner Rückkehr in die Heimat bekleidete er noch zwei Jahre lang (1767-1769) das Amt eines Unterstaatssekretärs für die Kolonien. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er als Zuschauer des Weltgetriebes [watching the wheels - wp] in Edinburgh. Den 25. August 1776 ist er, ein abgeklärter skeptischer Weiser, den Folgen einer Leberkrankheit erlegen. 2. HUMEs Persönlichkeit ist keine von denen, über die man viele Worte verliert. Denn ausgeglichen und harmonisch, von inneren Kämpfen in seltenem Maß frei, nach keiner Seite hin von besonderer Eigenart durch die Qualität oder Intensität ihrer Züge, fordert sie die psychologische Analyse nicht heraus. Ob sein Äußeres wirklich "nicht die leiseste Spur geistiger Fähigkeiten" verraten und HUME mehr einem turtle-eating alderman als einem refined philosopher geglichen hat, wie einer seiner Zeitgenossen berichtet (12), muß beim Fehlen anderer Zeugnisse und leidlicher Bildnisse dahingestellt bleiben. Sein Temperament war, nach dem eigenen Ausspruch des Philosophen, "heiter und sanguinisch" (13), und ADAM SMITH fand es "in einem glücklicheren Gleichgewicht als das von irgendeinem seiner sonstigen Bekannten" (14). In allem, was an der Peripherie seiner Interessen lag und das zentrale Gebiet seines Wirkens, die theoretische Erkenntnis, nicht berührte, blieb HUME ein nüchterner Durchschnittsmensch. Er nahm hier die Dinge als das, wofür sie gelten, ohne sie in der Art vieler Genies zu vergrößern oder zu verkleinern. Nichts weniger als ein im täglichen Leben verträumter Philosoph, war er in allen praktischen Fragen bestimmt und entschieden, und mit SCHOPENHAUER der Ansicht, daß ein Philosoph auch ein guter Geschäftsmann sein kann (15). Er war kein enthusiastisches Gemüt (von der Grundleidenschaft der Erkenntnis sehen wir vorläufig ab). Die Liebe spielt keine Rolle in seinem Leben; die Naturschilderungen, die er in einem Tagebuch auf der Reise von Holland nach Österreich un Italien entwirft, sind von erstaunlich trockener Genauigkeit (16) und den gleichen Geist atmen seine gelegentlich verfaßten Verse (17), sein Brief über den Selbstmord eines Freundes (18), seine Gleichgültigkeit der bildenden Kunst und der Musik gegenüber, seine Beziehungen zu den Dichtern seiner Zeit (19), gelegentliche ästhetische Bemerkungen in seinen Werken (20). Doch besaß er ein mildes und weiches Herz, dessen hilfsbereite, wenn auch niemals sehr gesteigerte Regungen manchem seiner großen und kleinen Zeitgenossen zugute kamen (21). Ein Mann der Beschaulichkeit, war er doch kein Mann der Einsamkeit. Mit der schottischen Gentry, den literarischen, politischen, militärischen, selbst kirchlichen Größen seiner Zeit stand er in persönlichem oder schriftlichen Verkehr. Alles in allem ein glücklicher Mensch. Und sein Glück bestand weder in Erlösung von Leiden und Qual, die ihm sein eigenes Selbst oder das Schicksal verschafft hätten, noch in sieghafter Vervollkommnung der Welt in ihm und um ihn herum, sondern in einem ruhigen Waltenlassen seiner optimistisch-sanguinischen Naturanlage; ihr Besitz, meinte er, mache glücklicher "als mit einer Jahresrente von 10 000 Pfund geboren zu sein. " (22) Die bestimmende Passion dieses Mannes war der Trieb nach Erkenntnis. Aber auch er hielt sich sozusagen durch seine eigenen Ergebnisse bald im Zaum. HUMEs intellektuelle Leidenschaft, die letzten philosophischen Fragen zu lösen, war ursprünglich eine sehr große, und eine größere, als man nach späteren Aufzeichnungen des Denkers vermuten sollte. Aber die skeptische Entscheidung, zu der sie gelangte, fiel früh; sie legte den Erkenntnistrieb zwar nicht brach, aber lenkte ihn auf zugänglichere oder weniger prinzipielle Gebiete und stimmte seine Heftigkeit dadurch herab. Auch strahlte die Liebe zur Wahrheit niemals in ihre Erzeugnisse die eigene Wärme aus. HUME hatte die Leidenschaft der Leidenschaftslosigkeit, der Kühle und Objektivität in allen geistigen Dingen. Sie zu üben befähigte ihn die besondere Organisation seines Intellekts in hohem Maße. Er fühlte sich als "Anatom" der menschlichen Seele, nicht als ihr "Maler" (23); und schon als ganz junger Mensch weist er HUTCHESONs Vorwurf, seinen moralphilosophischen Untersuchungen fehle der Enthusiasmus für die Tugend, höflich, aber bestimmt mit dem Bemerken zurück: er vermöge der Tugend nur auf diese gründlichere, allerdings undeklamatorische Art zu dienen (24). Dieses rein verstandesmäßige Bemeistern philosophischer Probleme wurzelte bei HUME in der vorwiegend analytischen Veranlagung seiner Denkkraft. Die erbarmungslose Zergliederung angeblicher Einheiten in zahllose Elemente, verworrener Zusammenfassungen in klare Fäden, als selbstverständlich geltender Lösungen in rätselhafte Fragen, stillschweigender Annahmen in bewußte Voraussetzungen, und das auf Gebieten, die allen Wissenschaften, ja den alltäglichen Einsichten zugrunde liegen - darin liegt die Stärke und Schärfe dieses Geistes. Im Aufbau, in der Synthese, im Vereinigen des Getrennten, und gar überall dort, wo die Phantasie durch ein Zusammenschauen dem Intellekt zuhilfe kommt, sei es zum Nutzen, sei es zum Schaden des Ganzen, ist HUME nicht zu Hause. Er ist das Genie der philosophischen Analyse, wenn nicht erst in der Synthese die Tat des Genies beschlossen liegt. Auch kam ihm wenig darauf an, die Ergebnisse seiner Arbeiten dem Geist von Mit- und Nachwelt als unauslöschliche Überzeugung einzugraben. Vielmehr sehen wir ihn hier jedem Anstoß, den seine Ansichten etwa erregen konnten, ziemlich ängstlich aus dem Weg gehen; den Essay über die Wunder hielt er lange zurück, seine Hauptwerke ließ er anonym und posthum erscheinen. So wenig wie ein künstlerischer ist er ein apostolisch veranlagter Philosoph gewesen. Nur eine Leidenschaft sehen wir dem Erkenntnistrieb dieses Mannes sich zugesellen: die Ruhmsucht, welche die Früchte der literarishen Arbeiten in der Anerkennung der Welt zu ernten hofft; aber einer Anerkennung, die nicht so sehr als Gewähr für den Fortschritt und die Verbreitung wahrer und darum heilig gehaltener Ideen wie als Befriedigung persönlicher Eitelkeit erstrebt wird. (25) Unter seinen Gesinnungsgenossen gleicht HUME wohl am meisten MICHEL de MONTAIGNE; nur daß dieser stets ein skeptischer chevalier, jener ein skeptischer gentleman geblieben ist. In der konservativen Stellung zur Landessitte stimmt er ganz mit den skeptischen Vorgängern überein, von denen kein einziger den Lebensgewohnheiten seines Volkes gegenüber Revolutionär gewesen war. Und auch die Religion zählte er, nach dem Vorbild der Pyrrhoniker, zur Landessitte. Aber während die Renaissance-Skepsis an religiösen Skrupeln litt, sich in den "Glauben" flüchtete, und sich innerlich mit den Wahrheiten der positiven Kirchenlehre zumindest abzufinden trachtete, sehen wir den Skeptiker des 18. Jahrhunderts, in vollendeter Gleichgültigkeit gegen den Inhalt der Religion, und nur auf ihre äußere Befolgung bedacht, einem ungläubigen jungen Mann den Rat zum Predigerberuf mit der Begründung erteilen:
Dem Tod stand HUME dagegen ebenso gelassen gegenüber wie die skeptischen Heroen der Antike und der Renaissance. Das Bild, das uns ADAM SMITH vom sterbenden HUME entworfen hat, ist von rührender Erhabenheit und schlichter Größe. Manche Züge erinnern an die letzten Tage des EPIKUR oder SOKRATES. Daß ihnen jede Pose mangelt, die bei den Weisen des Altertums fast niemals fehlt, ist nicht ihre geringste Eigenschaft, und erinnert an die Seelenhaltung, die MONTAIGNE seiner Krankheit gegenüber einnahm. In den letzten Wochen sprach HUME gern in Scherz und Ernst zu seinen Freunden über den herannahenden Tod. Eines dieser Gespräche voll anmutigster Ironie hat uns SMITH aufbewahrt, und uns damit tief in die Seele seines großen Freundes blicken lassen. Aber tiefer noch durch den Zusatz:
3. Der philosophische Entwicklungsgang unseres Denkers ist anhand seiner Korrespondenz in großen Zügen unschwer zu verfolgen. Mit dem Erscheinen des Treatise, der die philosophischen Anschauungen vollkommen und vielleicht vollkommener enthält, als die späteren Schriften, also im dreißigsten Lebensjahr des Philosophen ist er abgeschlossen. Und auch das betrifft nur Art und Begründung seiner Skepsis, nicht diese selbst. HUME war in keinem Zeitpunkt seines vollbewußten Lebens Dogmatiker. Als noch nicht zwanzigjähriger Jüngling hatte er bereits ein philosophisches Manuskript verfaßt.
Mit 23 Jahren war HUME sich ganz klar darüber, daß in der Philosophie kein sicherer Satz zu finden ist, und "eigentlich nur endlose Streitigkeiten, selbst in den fundamentalsten Prinzipienfragen, bestehen." (33) Die Gründe für das Scheitern aller bisherigen Philosophie der Natur und des Geistes erblickte er in der Vernachlässigung des Studiums der menschlichen Natur, und so beschloß er, diese "zu seinem Hauptstudium zu machen und zur Quelle, aus der er jede Wahrheit in Ästhetik und Moral abzuleiten beabsichtigt." (34) In den drei Jahren, vom zwanzigsten bis dreiundzwanzigsten, füllte er zu diesem Zweck "Viele Buch Papier mit nur eigenen Entdeckungen." Zwei Jahre darauf wird der Treatise, als das Programm der neuen Lehre, während des französischen Aufenthalts ausgearbeitet (35), ein paar Jahre später um seinen dritten Teil vermehrt. Bis auf die religionsphilosophischen Anschauungen, die ihm aber auch schon seit 1750 feststehen, ist der philosophische Entwicklungsgang HUMEs nun beendet. Denn von kleinen Abschwächungen und Milderungen in der Enquiry abgesehen, sind die Grundzüge seiner Lehre abgeschlossen. Einen systematischeren Ausbau, eine methodischere Begründung hat er ihnen später nicht mehr gegeben. Schon als ihm das starke Material zum Treatise vorlag, verzweifelte er an dessen systematisch-methodischer Durcharbeitung. "Hier lag meine größte Schwäche." (36) Und in der Tat, wenn eine essaisistische Behandlung philosophischer Probleme ein Nachteil ist, so lag in dieser Beschränkung der nie überwundene Defekt seiner Geistesart. Aber durch den, zu bescheidener Zurückhaltung mahnenden Inhalt dieser Schriften wird auch ihre lose Form der Ausdruck nicht so sehr von geistiger Lässigkeit wie von tiefsinniger Bescheidenheit, und man freut sich der Harmonie von Inhalt, Stil und Begabung statt an der hingeworfenen Art der Behandlung Anstoß zu nehmen und sie aus einem betrüblichen Mangel an Denkstetigkeit abzuleiten. Bei allen echten Philosophen fällt das hellste Licht auf ihr Wesen aus ihren Überzeugungen, und deren relative Berechtigung läßt uns Züge ihrer Geistesart und ihres Charakters von einer höheren Warte verstehen. Dann wird man kaum noch wünschen, daß MONTAIGNE und HUME ein stärkeres intellektuelles Beharrungsvermögen und eine strengere Art des Arbeitens und des Ausdrucks besessen hätten; denn dann würden sie ihr Bestes, Eigenstes der Welt nicht haben geben können. Von fremden Einwirkungen auf HUMEs Leistungen sind wohl einzig die Anschauungen LOCKEs und BERKELEYs zu nennen. (37) Es bedurfte auch keiner anderen. Denn um von den Lehren dieser Männer zur Skepsis zu gelangen, war nur eine genaue Kenntnis ihrer Werke und ein scharfsinniger, religiös und moralisch vorurteilsloser, die vorhandenen Ideen zu Ende denkender Kopf vonnöten. Diese Anforderungen erfüllte HUME in seltenem Maß, und darum war eben er berufen, das Fazit der empiristischen Bewegung zu ziehen. 4. HUMEs philosophische Schriften, in eine systematische Ordnung gebracht, zerfallen in vier Gruppen:
2. Die Umarbeitungen seiner ersten zwei Teile in der Enquiry concerning human understanding und in den Principles of morals. 3. Die religionsphilosophischen Schriften, die Dialogues concerning natural religion und Natural history of religion. 4. Die kleineren Essays philosophischen Inhalts, wie im ersten Band Essay 10, 11, 15, 16, 17, 18, 25; und die zwei Aufsätze Of suicide und Of the immortality of the soul. HUME selbst wünschte zwar in advertisment zur letzten Ausgabe der Essays, daß nur die spätere Arbeit von der Mit- und Nachwelt "allein als Darstellung seiner philosophischen Ansichten und Prinzipien" angesehen werden soll, und schalt die Kritiker, die "all ihr Geschütz gegen jene Jugendarbeit gerichtet haben, welche der Verfasser durchaus nicht anerkannte". Er glaubte, "einige Nachlässigkeiten seines früheren Gedankengangs und noch mehr des Ausdrucks" durch die Umarbeitung ausgemerzt zu haben (40). Aber große Geister müssen es sich gefallen lassen, daß bei der Nachwelt Wünsche, die über irgendeine Äußerung ihres Wesens den Schleier der Vergessenheit breiten möchten, keine Berücksichtigung finden. Die Schwierigkeiten, welche dem Studium des Treatise entgegenstehen, hatten die Nichtbeachtung des Werks bei den Zeitgenossen zur Folge. Daher verwies sein Autor, dem das Verständnis der Gegenwart und der literarische Ruhm nicht gleichgültig waren, so eindringlich auf die populäre Fassung in den Essays. Er erreichte dadurch, daß man durch die Lektüre den Enquiry von seinen erkenntnistheoretischen Ideen Notiz nahm, sie allmählich in ihrer Bedeutung würdigte; aber auch, daß man nun in der Mühe, welche das Durcheinander der Probleme und ihre subtile Behandlung im Treatise bereiten, keinen Grund mehr erblickte, sich von der Beschäftigung mit einem so hervorragenden Werk abhalten zu lassen; ja, daß man für ein eingehendes Studium dieser Ideenwelt vor der glatteren, aber unvollständigeren der schwierigeren und ausführlicheren Fassung den Vorzug gab. Vielleicht beginnt diese einseitige Bevorzugung des Jugendwerkes in Fachkreisen bereits zu weit zu gehen. Denn abgesehen von den erwähnten Einzelunterschieden, die doch nicht bloß in Streichungen bestehen, welche die Enquiry am Treatise vornahm, erblickt man in diesem das Dampfen und Stampfen der geistigen Maschine, erlebt die mühsame Denkarbeit, wie sie mit den Problemen ringt; im Essay hat HUME Abstand gewonnen, und rascherem Tempo, auf glatteren Geleisen ziehen seine Gedanken an uns vorüber. Beide Ausdrucksformen sind unschätzbare Urkunden für das Verständnis ihres Inhalts, und deshalb wird das eine Werk durch das andere so wenig überflüssig gemacht wie KANTs Prolegomena durch die Kritik der reinen Vernunft. ![]()
1) Burton, "Life and Correspondence of David Hume" 1846, I, Seite 1. Alle nicht mit Quellenangaben versehenen Bemerkungen zu Humes Leben sind diesem Werk entnommen oder der Autobiographie, abgedruckt in der Ausgabe der "Philosophical works of David Hume", edited by Green and Grose, London 1898, III, Seite 1-8. Für die Chronologie der Ausgaben ist die daselbst Seite 15f gebotene "History of the Editions" benutzt worden. 2) Brief an Henry Home, Burton I, Seite 108. 3) Alles Nähere darüber siehe Burton I, Kap. V. 4) Vgl. den Brief an Oswald bei Burton I, Seite 236. 5) Brief an Henry Home, Burton I, Seite 221. 6) Sie erschienen zuerst 1777; Hume selbst erwähnt sie in einem Brief an Strahan, siehe Birbeck Hill, "Letters of David Hume", Oxford 1888; daß die bekannten Essais, die seit 1777 unter Humes Namen gehen, auch wirklich von ihm verfaßt sind, machen die Mitteilungen Greens und Groses in der Gesamtausgabe III, Seite 71 zur Gewißheit. 7) Burton I, Seite 424f. 8) Vgl. die interessanten Pariser Briefe Humes an Smith, Blair u. a. bei Burton II, Seite 168f. 7) 9) Burton II, Seite 181 10) ebd. 11) Die ganze Episode mit Rousseau bei Burton II, Kapitel XV. 12) Lord Charlemont bei Burton I, Seite 270/71; ebd: "his face was broad and fat, his mouth wide und without any other expression than that of imbecibility. His eyes vacant and spiritless ... Wisdom most certainly never disguised herself before in such uncouth a garb." 13) Works III, Seite 2 14) ebd. Seite 13 15) Von der Richtigkeit dieser (Burton I, Seite 29 ausgesprochen) Ansicht überzeugen Humes Briefwechsel mit dem Drucker seiner Werke Strahan a. a. O., die umsichtigen Verhandlungen mit den Verlegern, die eine Wahrung seiner Ansprüche Annandale gegenüber (Burton I, 201f) und bei den Beförderungen an der englischen Gesandtschaft (Bd. II, Seite 287f). 16) Burton I, Seite 240f 17) Burton I, Kapitel VI 18) Burton I, Seite 216 19) Burton II, Seite 27f; Home und Wilkie wurden von ihm besonders geschätzt. 20) Die Anmerkungen in den Ausgaben E - Q zum Beispiel in der "Enquiry concerning human understanding", Sect. III. 21) Vgl. z. B. seine wiederholten Verwendungen für den blinden Dichter Blacklock bei Burton I, Seite 385f. 22) Works III, Seite 4 23) Burton I, Seite 112/113, Brief an Hutcheson. 24) ebd. 25) Die Belege dafür bei Burton sind zahlreich; Hume selbst gab diese literarische Eitelkeit als einen Grundzug seines Wesens an: Works III, Seite 36. 26) Burton II, Seite 188. 27) Burton II, Seite 453. 28) Works III, Seite 12. 29) Brief an Elliot, Burton I, Seite 332. 30) Burton I, Seite 31. Die Quelle, der wir die Notizen über Humes philosophische (und nicht nur philosophische) Sturm- und Drangperiode entnehmen, ist der hochinteressante Brief "to a physician". Burton hat als Adressaten den englischen Arzt Cheyne wahrscheinlich gemacht. 31) Burton I, Seite 36/37 32) Burton I, Seite 32 33) Burton I, Seite 31 34) Burton I, Seite 35 35) Nicht wie Hume im Vorwort der posthumen Ausgabe der "Essays" sagt: unmittelbar nach Verlassen des College; vgl. Works III, Seite 37. 36) Burton I, Seite 36 37) Works III, Seite 74 38) Selbst Kant hat vermutlich den Treatise nicht gekannt, wie Erdmann, Riehl, Vaihinger annehmen. Möglich ist es aber immerhin, daß er ihn doch kannte; vgl. Karl Groos: Hat Kant Humes Treatise gelesen? (Kant-Studien V, Seite 175f). 39) So Lipps im Vorwort zu der, besonders durch die lehrreichen Anmerkungen wertvollen, unter seiner Leitung veranstalteten Übersetzung des Treatise (Hamburg-Leipzig, 1. Teil 1895, 2. und 3. Teil 1906). Es ist diese Arbeit ein trefflicher Ersatz für die gänzlich ungenügende Übersetzung von Jacob (1790), die einzige, welche bisher vom Treatise vorhanden war. Die Enquiry, von Tennemann im 18. Jahrhundert in antiquierter Terminologie, von Kirchmann (Philosophische Bibliothek, Bd. 35) zu leichtsinnig, von Nathanson (erste Auflage 1893, zweite Auflage 1903) zu schwerfällig wiedergegeben, habe ich für die sechste Auflage in der "Philosophischen Bibliothek" (1906) ins Deutsche übertragen. In den Zitaten des Textes habe ich außer dieser meiner Übersetzung diejenige des Treatise von Lipps des öfteren benutzt. 40) Works, Essays I, Seite VI; vgl. Burton I, Seite 337 den Brief, in dem Hume Gilbert Elliot warnt, den Treatise zu lesen: "by shortening and simplifying the questions I render them much more complets. Addo dum minuo. The philosophical principles are the same in both ... I have repented my haste a hundred, and a hundred times" (nämlich den Treatise veröffentlicht zu haben); vgl. auch daselbst den Brief I, Seite 98. |