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HUGO MÜNSTERBERG
Die Apperzeptionstheorie

"Die paar Lichtpunkte, die im Raum nebeneinander liegen, lösen nicht ein paar Lichtempfindungen aus, deren Bewußtseinsbeziehungen das Nebeneinander spiegelt, sondern mit ihnen kommen alle jene Bewegungsempfindungen, Spannungsgefühle, Übergangsempfindungen, Kontrastempfindungen, vor allem aber jene Halbvorstellungen, Veränderungsvorstellungen, Erinnerungsvorstellungen und Erwartungsvorstellungen, deren jede selbst wieder aus zahlreichen Empfindungen besteht, und nur das Zusammenauftreten dieser ganzen Empfindungskolonie repräsentiert die Beziehung der physischen Objekte, und Tausende der Elemente verändern sich, wenn sich dieselben Lichtempfindungen oder Tonreize in veränderter räumlicher oder zeitlicher Ordnung darbieten."

"Die Bewußtseinsformen und die seelischen Beziehungen, die Wertbestimmungen und Entscheidungen, alle fügen sich somit ohne die geringste empirische Einbuße durchaus der Theorie des psychophysischen Parallelismus, sobald scharf zwischen dem psychologischen Geschehen und der subjektivierenden Wirklichkeit unterschieden wird. Wir sahen, daß derjenige Begriff, der sich am meisten mit all den erwähnten Vorgängen berührt, der Apperzeptionsbegriff ist, er spielt in die Entscheidungen, Willensvorgänge, Wertbestimmungen und nicht minder in die geistigen Beziehungs- und Formungsvorgänge hinein und kann gut als Repräsentant der ganzen Gruppe gewählt werden. Andererseits sahen wir, daß gerade er ganz besonders die wechselseitge Durchdringung der subjektivistischen und objektivistischen Betrachtungsweisen zum Ausdruck bringt, da er historisch bald im Dienst der einen, bald im Dienst der anderen stand und somit leicht die Sprache beider spricht."


1. Der freie Wille

Der Versuch, eine Bresche in das Parallelismussystem zu schlagen, richtet sich gemeinhin gegen die psychophysische Erklärung der Willensentscheidung oder der Wertgefühle oder der Vorstellungsformen. Das sinnliche Material des Bewußtseins wird ohne Zaudern dem psychophysischen Kausalzusammenhang überantwortet und eine kurze Überlegung führt meistens rasch zu der Überzeugung, daß alles, was für die Wahrnehmung gilt, auch für die Erinnerung und Phantasie, für das Material der begrifflichen Vorstellungen und somit auch für die komplexen Gedankengebilde gelten muß; die Beziehungen zwischen den Vorstellungen und die Beziehungen der Elemente in der Vorstellung, die Werte und Entscheidungen dagegen scheinen der parallelistischen Auffassung zu widersprechen. Der Entscheidungsakt widerspricht der mechanischen Notwendigkeit des psychophysischen Kausalzusammenhangs, das Wertgfefühl und die Beziehungsform widerspricht der Indifferenz und der nur temporalen Beziehung der physiologischen Prozesse. So tritt dann die Forderung einer rein psychischen Kausalität sowie einer psychischen Synthese und schöpferischen Energie hervor, und der ganze Aufbau einer parallelistischen Psychophysik sinkt herab zu einer Theorie der Wahrnehmungselemente. Die Unhaltbarkeit solcher Einwendungen ergibt sich nach allen bisherigen Erörterungen unmittelbar.

Den akt der inneren Entscheidung dem psychophysischen Zusammenhang zu entziehen, ist gleichermaßen um seiner Ursachen wie um seiner Wirkungen wegen unmöglich. Wir überzeugten uns, daß es allerdings nicht genügt, auf das Gesetz der Erhaltung der Energie zu verweisen, da die Summe der Kräfte nicht wächst und nicht abnimmt, wenn die Entladung in bestimmten Bahnen von nichtphysischen Bedingungen beeinflußt wird. Dagegen gibt es keine innere Entscheidung, die nicht im Ablauf der äußeren Handlungen zum Ausdruck kommt und diese Variation des körperlichen Geschehens muß ihre volle Ursachenreihe auf physischer Seite besitzen, wenn die mechanische Naturauffassung zu Recht besteht. Daran ist natürlich nichts geändert, wenn die freie innere Tat auf eine bloße Zulenkung der Aufmerksamkeit oder auf eine Hemmung des Impulses reduziert wird. Auch die leiseste Regung und die winzigste Verzögerung muß im System der Atombewegungen Veränderungen setzen und somit von physischen Vorgängen begleitet sein, wenn die Veränderungen nicht ursachlos auftreten sollen. Statt von den Wirkungen können wir aber auch von den Ursachen ausgehen. Jeder Willensakt, jede Entscheidung der Persönlichkeit hat psychologische Existenz; die Psychologie verlangt ihre Erklärung; sie soll mit anderen Erscheinungen so verknüpft werden, daß ihr gegenwärtiges Auftreten notwendig erscheint; ein notwendiger Zusammenhang zwischen zwei psychischen Erscheinungen kann nur indirekt hergestellt werden, indem jede als Begleiterscheinung physischer Vorgänge aufgefaßt wird; auch die Willenserscheinung muß somit ein psychophysisches Geschehen sein. Nur scheinbar steht einem solchen Ergebnis das Gefühl des inneren Zusammenhangs, das Bewußtsein der Freiheit, das schöpferische Anwachsen der geistigen Energie gegenüber. Es ist immer wieder dieselbe Verwechslung zwischen geistiger Wirklichkeit und psychologischem Tatbestand.

Aller innere Zusammenhang verbindet die Akte der unmittelbaren Wirklichkeit, insofern sie Bestandteile eine teleologischen Verhaltens sind, aber als solche treten sie niemals in die Sphäre des Psychologischen. Grund und Folge, Motiv und Wille gehören innerlich zusammen und zwar so unmittelbar, daß der Zusammenhang, sobald er verstanden und gefühlt wird, auf keinerlei äußere Kausalverknüpfung mehr hinweist, aber dieser Zusammenhang gilt nur für den Willen, wenn er gewollt, für die Folge, wenn sie begriffen wird. Sobald Motiv und Wille zu vorgefundenen Bewußtseinsinhalten werden, sobald Grund und Folge als erfahrbare psychische Objekte im Bewußtsein nebeneinander stehen, so hat jene innere Verbindung ihren Sinn endgültig eingebüßt. Da weist nun niemals mehr das eine auf ein anderes hin, sondern alles, was es ist, muß in seinem eigenen Inhalt liegen, und wenn der Psychologe sich die Arbeit dadurch bequem macht, daß er Rückerinnerungen an den logisch ursprünglichen Zusammenhang der Geschehnisse in die Auffassung der psychologischen Vorgänge hineinspielen läßt, so macht er denselben Mißgriff, der die Geschichte des Mystizismus kennzeichnet: das, was  in der teleologischen Wirklichkeit durch Wertbeziehungen zusammenhängt, soll auch im Objektzusammenhang als verknüpft gedacht werden.  Selbst jenes Gefühl des inneren Zusammenhangs und jenes Bewußtsein des wechselseitigen Hinweisens wird für den Psychologen notwendigerweise selbst ein Bewußtseinsinhalt und verlangt wie jede andere Gefühlsschattierung seine psychophysische Erklärung. Eine psychologische Erklärung durch Motivation und Begründung, kurz die sogenannte psychische Kausalität, ist also unmöglich, nur hat das nichts mit dem materialistischen Glauben zu tun, daß Motivation und Begründung überhaupt nur Selbsttäuschung und Jllusion sei. Motivation und Begründung bilden im Gegenteil den wahren Zusammenhang aller inneren Wirklichkeit und ihr Platz ist nur deshalb nicht im Umkreis des Psychologischen, weil wir das Psychologische von der inneren Wirklichkeit aus erst durch eine begriffliche Umformung erreichen konnte, durch welche gerade dieser innere Willenszusammenhang ausgeschlossen werden sollte. Für den wirklichen wollenden Menschen, der seinen Motiven nachgeht, hat es keinen Sinn, nach den Ursachen seiner Willensentscheidung zu fragen, da der Wollende seinen Willen restlos versteht, so wie es für ihn auch keine unmittelbare Veranlassung gibt, seinen Willen als Ursache dem durch den Willen erreichten Effekt entgegenzusetzen und beide nachträglich durch ein kausales Band zu verknüpfen. Sein Wollen gehört einem System an, in dem der Ursachbegriff keinen Anhaltspunkt hat, und gerade deshalb ist sein Wollen von Freiheit getragen. Eben deshalb aber ist es auch für ihn kein Gewinn, wenn der psychologisierte Wille sich erfolgreich den psychophysischen Erklärungsversuchen zu entziehen vermag: frei im sittlichen Sinn wird uns der Wille nicht dadurch, daß wir auf seine Erklärung verzichten.

Daß Wille, Aufmerksamkeit und Apperzeption psychologisch einem Zusammenhang angehören, der durch den physischen Kausalbegriff beherrscht wird, bleibt schließlich auch durch alle diejenigen Betrachtungen unberührt, die auf das  Wachstum der geistigen Energie  und die schöpferische Neugestaltung geistiger Gebilde hinweisen. Schöpfung ist zunächst ein teleologischer Begriff, der als solchre niemals mit Aussagen über Kausalverhältnisse in Konflikt geraten kann. Wird er aber in das Gebiet der objektivierten Vorgänge herübergenommen, so bezeichnet er ein Problem und keine Lösung. Daß das Ergebnis reicher und inhaltsvoller ist als die einzelnen Eindrücke und Anregungen, von denen es seinen Ausgangspunkt nahm, widerspricht in keiner Weise den Gesetzen des physischen Naturgeschehens. Unvergleichbar scheint die Kraft des Funkens und die Kraft der Explosion, die er hervorbringt. Das Schneeflöckchen, das der Flügel eines Vogels auf der Bergspitze lockert, schwillt zur Lawine, die im Tal ein Dorf zerstört. Niemand erblickt in solchen Ereignissen schöpferische Ausnahmen vom kausalen Naturlauf und vom Gesetz der Erhaltung der Energie. Lawinenstürze und Explosionen sind auch in einem psychophysischen System möglich und nicht selten, aber auch hier steht ihr Auftreten in keiner Weise im Widerspruch mit den Kategorien des physischen Naturgeschehens.

Wichtiger noch ist im Geistesleben das langsame stetige Wachstum. Eine Gemütserregung wächst sich zur Dichtung aus, eine Begriffsverbindung zum wissenschaftlichen System, eine Willensnachahmung wird zum Ausgangspunkt für die Heranbildung eines neuen Charakters, und doch auch hier zeigt uns die Natur überall das physische Gegenstück. So wächst aus dem Sprößling der Eichenbaum, so schwillt der Fluß, so formt sich der Tropfstein und die Koralleninsel. Aber wir können nicht einmal sagen, daß die Veränderung in der Richtung der zunehmenden Mannigfaltigkeit für das psychologische Geschehen in einem höheren Maße charakteristisch ist als für das physische. Was die äußere Natur wachsen läßt, zerfällt und vergeht; so zerfallen und vergehen aber auch im Bewußtsein weitaus die meisten Inhalte, die sich aus unseren Wahrnehmungen und Erinnerungen, Gefühlen und Wollungen aufgebaut haben. Wie in der Natur, so ist auch hier das, was sich in seiner Einzelgestalt auflöst und verschwindet, durchaus nicht verloren für das Werden der Gesamtheit; was da zerbröckelt, wird zu einem neuen Baustein, was stirbt, läßt Samen zurück und was vermodert, fördert neues Wachstum. Nur auf diese Weise ist auch im physischen Geschehen kein Fühlen und kein Empfinden ganz verloren: die Auflösung aber gehört zum psychischen Geschehen genauso wie das Wachstum.

Wachstum, Fortschritt, Entwicklung sind ja freilich durchweg Begriffe, die geradeso wie  Schöpfung  ins Teleologische hinüberspielen; die kausale Natur kennt keine Entwicklung, sondern nur Veränderung in einer bestimmten Richtung, und die Bewertung einer solchen Richtung als Fortschritt gehört nicht der objektivierenden Wissenschaft an. Wenn wir aber mit Wachstum wirklich zur Veränderung in Richtung zunehmender Mannigfaltigkeit der verbundenen Vorgänge meinen, so können wir nicht daran zweifeln, daß alles Wachsen und Sichentwickeln in der psychischen Welt unter dieselben begrifflichen Beziehungen gebracht werden kann, unter denen das physische Werden steht, von einem Zwiespalt der Kategorien auf der psychischen und der physischen Seite des psychophysischen Systems hier also nicht die Rede sein kann. Der Zwiespalt wird erst dann künstlich erzeugt, wenn wir an die Stelle des psychischen Vorgangs die geistige Wirklichkeit setzen. Tatsächlich ist es aber auch dann nicht etwa der Gegensatz, daß auf der geistigen Seite die Vorgänge durch eine schöpferische Neuzeugung an Anzahl zunehmen, auf physischer Seite nicht; das wäre das Hineintragen einer kausalen Analyse in das teleologische Gebiet des Geistes. So wie wir uns hüten müssen, in den Begriff des Wachstums Bewertungen aufzunehmen, solange wir von Natur sprechen, so müssen wir uns auch hüten, in den Begriff des Wachstums Zahlvorstellungen einzuschließen, solange wir auf einem subjektivierenden Standpunkt stehen. In der geistigen Wirklichkeit ist das Gegebene kein Bündel von Elementen. Die Zerlegung in Bestandteile gehört durchaus der Objektivierung an. Wachstum bedeutet dort also nicht eine Zunahme in der Anzahl von Elementarfaktoren, sondern eine neue reichere höhere Bewertung, wie sehr auch die sprachlichen Ausdrücke, mit denen wir geistiges Leben darstellen, gemeinhin vom Begriffssystem der analysierenden Betrachtung beeinflußt sein mögen. Der Gegensatz ist also auch dann nicht eine Zunahme auf geistiger und das Beharren auf physischer Seite, sondern wir finden in der geistigen Wirklichkeit als wesentlichste Eigenschaft eine Vertiefung der Werte, die sich auf die wirklichen Dinge bezieht. Für die vom Subjekt losgelösten Objekte kann es aber überhaupt kein Bewertungsverhältnis geben und wo es überhaupt keine Werte gibt, können sie sich weder vertiefen noch verflachen noch verharren; das gilt dann abe von den psychischen Objekten genauso wie von den physischen.

Ob wir geistiges Wachstum im Sinne der subjektivierenden oder im Sinne der objektivierenden Betrachtung auffassen, niemals kann es uns veranlassen, darin ein Argument gegen den konsequenten psychophysischen Parallelismus zu erblicken, solange wir nicht beide Betrachtungsweisen durcheinander mischen. Genau dasselbe gilt natürlich für jede Spielart des Begriffs geistiger Schöpfung. Besonders  der Begriff der Apperzeption  verführt leicht dazu, die konsequente Durchführung des psychophysischen Parallelismus preiszugeben. Durch die vielfältige historische Wandlung, die der Apperzeptionsbegriff durchgemacht hat, haben sich in ihm in ganz besonderem Maße teleologische und kausale Faktoren fast untrennbar verwoben, und wenn wir nicht konsequent entweder zum Kantischen oder zum HERBART'schen Gebrauch des Wortes zurückgehen, so wird die Gefahr naheliegen, daß durch seine Verwendung zwei logisch ganz getrennte wissenschaftliche Betrachtungsweise ohne Grenzscheide ineinander fließen. Die Apperzeption, wie sie vom subjektivierenden Standpunkt aus erfaßt wird, deckt sich völlig mit der wirklichen Persönlichkeit, und jeder Versuch, noch hinter die Apperzeption als analysierender und erklärender Zuschauer zu treten, ist in sich widersprüchlich. Die Zerlegung in rein psychische Elemente und die Erklärung durch rein psychische Ursachen ist dann ebenso unmöglich wie die Zurückführung auf psychophysische Ursachen und Bestandteile. Die Apperzeption verlangt dann Verständnis, nicht Erklärung, und das Verständnis kann nicht dadurch gefördert werden, daß der Akt ursächlich verbunden wird. Wenn wir die Apperzeption als frei und ursachlos anerkennen, so soll damit also nicht eine Unkenntnis bezüglich ihrer Ursachen eingestanden werden, sondern es soll jeder denkbaren Ermittlung von Ursachen der Apperzeption von vornherein der Stempel der Sinnwidrigkeit aufgeprägt werden. Daß in der geistigen Wirklichkeit die Apperzeption frei entscheidet, ist eben gleichbedeutend damit, daß es überhaupt Subjekte gibt; das ganze Wesen des Subjekts, der ganze Sinn der Persönlichkeit ist durch diese freie Apperzeption zum Ausdruck gebracht, kurz die teleologische Apperzeption hat mit der psychischen Kausalität so wenig zu tun wie mit der physischen und kann somit zu der Frage, ob die psychologischen Zusammenhänge konsequent psychophysisch oder zum Teil rein psychologisch gedacht werden müssen, auch nicht den geringsten Beitrag liefern.

Wird die Apperzeption dagegen wirklich als psychologisches Geschehen betrachtet, so umfaßt sie Prozesse des Aneignens, des Auffassens, des Zuwendens und andere, die außerordentlich zusammengesetzt sind und die von den gesamten Erfahrungen und Erlebnissen des Individuums abhängig sein mögen, die aber prinzipiell in Bezug auf die Voraussetzung einer durchgängigen Erklärbarkeit allen übrigen psychologischen Vorgängen koordiniert sind. Wird aber Erklärbarkeit gefordert, so müssen auch für diesen Vorgang die Hilfsmittel der Erklärung psychophysische sein. Gewiß wird gerade in diesem Fall die Zurückführung der Wirkung auf physiologische Dispositionen, Nachwirkungen, Einübungen und Verbindungen sich im einzelnen als praktisch undurchführbar erweisen, aber die Schwierigkeit der Lösung widerspricht nicht dem Prinzip; auch die einzelne Welle des Meeres wird kein Physiker vollständig zu ihren Ursachen und Bedingungen zurückführen können, Gewiß wird sich auch gerade hier die psychophysische Ursachenreihe leichter von der psychischen als von der physischen Seite überblicken lassen, aber, weil die psychischen Begleiterscheinungen den Überblick und die Verfolgung leichter ermöglichen, haben wir noch keine Berechtigung, dieser Seite des Parallelvorgangs die eigentliche Kausalverknüpfung zuzuweisen. Gewiß wird schließlich auch gerade hier die Ursachenreihe bis in den innersten Kreis der Persönlichkeit führen und die feinsten Wurzelverzweigungen werden auch der aufmerksamsten Selbstbeobachtung unwahrnehmbar bleiben, aber dadurch wird doch niemals die Annahme zulässig, daß irgendein apperzeptiver Vorgang vorkommt, der nicht vollständig durch die psychophysischen Ursachen bedingt ist. Eine psychologische Apperzeption, die ohne psychophysische Ursache entscheidet, gleichsam wie ein Richter ohne Aktenmaterial, widerspricht dem Sinn der Objektivierung, und keinesfalls darf ein instinktiver Respekt für die Bedeutung der teleologischen Apperzeption uns verleiten, den gleichnamigen Vorgang im kausalen Gebiet eine alle Ordnung zerstörende Ausnahmerolle zuzumuten. Die psychologische Apperzeption ist nirgends im Widerspruch mit dem Postulat eines ausnahmslosen Parallelismus.


2. Die geistigen Werte

Ganz ähnlich verhält es sich mit den geistigen Wertbestimmungen. Auch hier scheint zunächst auf physischer Seite jedes Analogon zu fehlen. Die sinnlichen, ästhetischen, ethischen und intellektuellen Wertbestimmungen entbehren, so sagt man, parallel gehende physische Verhältnisse, weil auf die physischen Vorgänge als solche Wertprädikate nicht anwendbar sind. Und selbst, wo Unterschieden der Werte physische Unterschiede überhaupt parallel gehen, wie offenbar bei den sinnlichen Gefühlen, da ermangeln diese doch überall der Eigentümlichkeiten, mittels deren man über ihren psychischen Wert Rechenschaft geben könnte. Wer diese Grenze der psychophysischen Theorie nicht anerkennt, verfällt dem Materialismus und hindert somit den Fortschritt der wahren Psychologie. Aber auch hier stammt die Furcht, daß die psychohysische Theorie zu einer materialistischen Zerstörung aller Werte herausfordert, lediglich aus dem Umstand, daß die Aufstellungen der objektivierenden Psychologie mit den Aussagen der historischen Lebenswirklichkeit durcheinandergemischt werden. Gehen wir wieder zunächst von den Wirkungen aus, die der Objekteindruck in unserem Körper veranlaßt, so stehen wir sofort vor dem Postulat, jeglicher Wertvariation eine Variation der physiologischen Vorgänge parallel zu setzen, wenn wir nich den ganzen Grundgedanken der Theorie preisgeben wollen. Wir dürfen nicht nur behaupten, daß es Wertbestimmungen gibt, die ebensosehr wie der qualitative Inhalt der Vorstellungen die äußeren Handlungen beeinflussen, sondern wir können geradezu voraussetzen, daß es keine einzige Bewertung gibt, die nicht irgendwie die Kontraktionen unserer Muskeln beeinflußt. Mag es auch nur die Betonung eines gesprochenen Wortes, mag es die flüchtigste Bewegung des Auges oder der Finger sein, mag auch nur die Atmung oder der Pulsschlag verändert werden, ja, mag sich die Wirkung auch erst nach Stunden oder Jahren zeigen, niemals kann ein Wertgefühl in uns anklingen, ohne daß im System unserer peripheren Körperprozesse eine Änderung vor sich geht, und da diese physische Änderung ihre vollständige physische Ursachenreihe haben muß, so kann keiner Wertbestimmung das physische Parallelglied im Zentralnervensystem abgesprochen werden.

Nicht mit derselben ausnahmslosen Vollständigkeit, wie vin den körperlichen Wirkungen aus, kann der Beweis von den körperlichen Ursachen aus geführt werden, aber auch die Betrachtung von dieser Seite zeigt die Unhaltbarkeit des antipsychophysischen Argumentes. Wir kennen eine Reihe rein psychischer Vorgänge, beispielsweise die Einführung gewisser Nervina [Mittel, die auf die Nerven wirken - wp] in den Blutkreislauf oder gewisse Krankheiten und Erschöpfungszustände, welche den Inhalt der Wahrnehmungen unverändert lassen, die Wertbestimmungen aber in hohem Maße beeinflussen. Die physischen Ursachen können zunächst nur wieder physische Wirkungen haben; es müssen also physische Gehirnprozesse sein, die vom Alkohol etwa beeinflußt werden und deren Veränderung gewisser Wertbestimmungen begleitet ist.

Alle solche Betrachtungen von den Ursachen oder Wirkungen aus lassen aber den eigentlichen Kernpunkt der Frage außer Sicht; die prinzipielle Bedeutung des Einwandes liegt entschieden in jener Vermischung der Standpunkte, die zu überwinden das Hauptziel unserer gesamten Untersuchungen ist. Die Wertbestimnungen, so sagt man uns, müssen ohne physische Parallelvorgänge gedacht werden, weil die physischen Vorgänge ansich ohne Werte sind. Das Letztere ist zweifellos richtig; die physischen Vorgänge im Gehirn sind als physische Vorgänge ebenso wertfrei wie irgendeine andere Molekularverschiebung im Universum. Falsch dagegen ist die dazugehörige Ansicht, daß es sich mit den psychischen Vorgängen anders verhält. Wert kommt denjenigen Objekten zu, die Objekt für das wirkliche wollende Subjekt sind, aber nicht den Objekten, die dem psychologischen Bewußtseinssubjekt gegeben sind. Das undifferenzierte Objekt hat Wert, die aus ihm abgeleiteten physischen Atome und psychologischen Bewußtseinsinhalte haben gleichermaßen die Beziehung auf das wollende Subjekt und somit den Wertcharakter eingebüßt. Im Umkreis des Psychischen ist die Bewertung somit durchaus nicht wie in der geistigen Wirklichkeit als Bestimmung eines Objektes in Frage, sondern als ein für sich bestehender Vorgang, der zu anderen Vorgängen hinzutritt und der nun selbst wieder  wie alle psychischen Vorgänge wertfrei  ist. Die Wertbestimmung als psychologischer Vorgang ist ein Bewußtseinsinhalt neben anderen Inhalten und nicht eine Beziehung des bewerteten Inhalts zum Subjekt. Wenn wir nach dem physischen Analogon der Bewertung fragen, so meinen wir also zunächst nicht, daß die bewertete Vorstellung selbst in ihrem physischen Parallelglied notwendig selbst die physische Grundlage für die Bewertungsvorgänge enthielte, sondern wir behaupten nur, daß der hinzutretende Bewertungsvorgang für sich selbst ein physisches Analogon besitzt. Daß ein solches mit dem physischen Substrat der Vorstellung irgendwie kausal zusammenhängen wird, ist selbstverständlich, da es sonst unerklärbar wäre, daß die Bewertung sich mit dem Vorstellungsinhalt verändert, und selbst die Hypothese, daß der Bewertungsprozeß und der Vorstellungsprozeß von Vorgängen in demselben physiologischen Elementargebilde begleitet sind, werden wir später als wahrscheinlich erkennen; die Hauptsache bleibt aber, daß die Bewertung psychologisch keine Beziehung, sondern ein Inhalt ist, der zum psychologischen Subjekt in keinem anderen Verhältnis steht als die Vorstellung, und daß somit in gleicher Weise nach seiner physiologischen Grundlage gefragt werden kann.

Daß die physischen Prozesse, die den Wertgefühlen zugrunde liegen, selbst keinen Hinweis auf Wert oder Unwert enthalten, ist ja freilich richtig, aber dasselbe gilt doch von jedem anderen psychophysischen Vorgangspaar: der physische Begleitprozeß der Farbenempfindungen enthält keinen Hinweis auf den qualitativen Unterschied zwischen rot und gelb und grün. Wertfreie quantitativ verschiedene physische Prozesse sind durchweg mit wertfreien qualitativ verschiedenen psychischen Prozessen verkoppelt und wir fordern nur, daß einer Verschiedenheit auf der einen Seite eine Verschiedenheit auf der anderen Seite entspricht, wir fordern aber nirgends in den qualitativen Elementarprozessen Hinweise auf die quantitativen Unterschiede und umgekehrt. Wir können also im physischen Substrat keinen Hinweis darauf erwarten, daß einmal auf qualitativer Seite Vorstellungen, ein anderes Mal Werte entstehen, sofern nur Verschiedenes stets durch Verschiedenes begleitet wird und die Glieder geeignet sind, den Zusammenhang der Erscheinungen zu erklären. Dieselben wertfreien psychophysischen Elemente, die in einer Verbindung Teile eines Wertgefühles sind, mögen in einer anderen Verbindung Teile einer Vorstellung, vielleicht der Vorstellung er eigenen Gliederbewegung und Gliederspannung sein. Die psychophysische Auffassung der Wertbestimmung ist also möglich, nicht weil die physischen Vorgänge auch Wertunterschiede erkennen lassen, sondern weil die psychischen Vorgänge ebenfalls wertfrei sind und die Wertbestimmung psychologisch selbst nur ein wertfreier Bewußtseinsinhalt ist. Das führt nun aber in keiner Weise zu einer spinozistischen oder gar materialistischen Leugnung der Werte; es enthält im Gegenteil die Anerkennung der Werte schon in sich, weil dieses ganze physikalisch-psychologische  Umdenken der Welt in ein wertfreies System selbst eine Tat des Subjekts ist, die ihren Wahrheitsgehalt nur aus der Anerkennung der logischen Wertbestimmungen ableitet.  Wie aber dieser logische Wert nicht auf der Auffindung von Objekten, sondern auf der Anerkennung subjektiver Akte beruth, so wird alle wirkliche Bewertung auf jenes primäre Verhältnis zurückgreifen, das der Objektivierung vorangeht und in dem das Objekt unbearbeitet dem wollenden Subjekt gegenübersteht. Das Sittliche und Religiöse und Schöne liegt dann ebenso wie die Wahrheitsbewertung jenseits vom Physischen und Psychischen und ist somit absolut unberührt durch irgendeine psychophysische Theorie. Die Ethik und Ästhetik, die vor der konsequenten Ausgestaltung der psychophysischen Theorie zittert, erniedrigt sich selbst und verwechselt ihre Aufgabe mit der objektivierenden Beschreibung der Wertbestimmungen.


3. Die inneren Beziehungen

Schließlich müssen wir fragen, ob vielleicht das beziehende Wissen und die Formen der geistigen Synthese dafür sprechen, die Ausnahmslosigkeit der psychophysischen Theorie preiszugeben. Wir hören von den Gegnern der Psychophysik und mehr noch von den Freunden einer Kompromiß-Psychophysik immer wieder das alte Argument, daß unser geistiges Leben einen Zusammenhang, ein System von Beziehungen darstellt, das mit den physischen Verbindungen und Zusammenhängen unvergleichbar ist. Dabei wird bald an den Zusammenhang der Vorstellungsteile in der Vorstellung, bald an Beziehungen, welche der Verstand zwischen den Vorstellungen, selbst herstellt, bald an die Einheit der gesamten geistigen Persönlichkeit gedacht. In allen Fällen ist aber gleichermaßen ein Argument gegen die Parallelismustheorie nur dann zu gewinnen, wenn wieder die Kategorien der teleologischen Wirklichkeit auf die psychologischen Objekte bezogen werden und so der Mittelbegriff im Schlußverfahren im Obersatz einen anderen Sinn hat als im Untersatz.

Die Frage, ob die Beziehungen der psychischen Objekte sich mit den Beziehungen der physischen Parallelglieder decken, wird nun aber oft noch dadurch verwickelt gemacht, daß sie vom Boden der Psychophysik auf das Gebiet der Metaphysik hinübergetragen wird. Es ist spinozistische Metaphysik, zu sagen, daß die Ordnung der Vorstellungen zugleich die Ordnung der Dinge ist. Nun läßt sich freilich, wie wir immer betonten, eine metaphysische Frage überhaupt nicht vom Standpunkt einer objektivierenden Betrachtung lösen; die spinozistische Frage müßte somit sofort zu einer Auffassung der Vorstellung hinführen, bei der die Sonderung zwischen Vorstellung und vorgestelltem Objekt aufgehoben wird und die Beziehungen der Objekte als Akte des Stellungnehmenden Subjekts anerkannt werden. Aber selbst wenn wir die Sonderung zwischen psychischem und physischem Objekt festhalten, so ist es doch klar, daß die Frage SPINOZAs nichts mit der Psychophysik zu tun hat. Der psychophysische Parallelismus sucht das physische Analogon der Vorstellung ja nicht im vorgestellten physischen Objekt selbst, sondern in der Wirkung dieses vorgestellten Objekts auf das Gehirn; die Ordnung der Vorstellungen wird also der Ordnung der Gehirnerregungen parallel gesetzt. Bei dieser Zuordnung kommt dann aber die Vorstellung gar nicht mehr als  das auf das Ding Bezogene,  sondern einfach als ein für sich bestehendes Gebilde in Betracht, das nun nichts anderes als die Summe seiner Teile ist und das zu anderen Gebilden nunmehr niemals in Beziehungen stehen kann, die aus dem  Sinn  der Vorstellung hervorgehen, sondern nur in Beziehungen, die von den  Bestandteilen  stammen. Die Psychophysik fragt also nicht nach der Ordnung der Vorstellungen, wenn darunter die Vorstellungen als ein Ganzes, Sinnvolles verstanden werden, sondern sie fragt nach der Ordnung der Vorstellungen als Empfindungsgruppen. Wird aber das geistige Leben als psychologischer Bewußtseinsinhalt gedacht und dieser Inhalt als Kombination von Empfindungen, so wird die psychophysische Zuordnung sicher nicht daran scheitern, daß die Beziehungen der Elemente auf psychischer Seite so ungleich denen auf physischer Seite sind, denn der beschreibende Psychologe hat dann gar keinen Grund, auf psychischer Seite eine andere Beziehung als die der qualitativen Verschiedenheit und des Zusammenseins vorauszusetzen. Bei der Introjektion verwandelt sich das Zusammensein in zeitliche Simultaneität, und so sind es dann lediglich die Tatsachen  der qualitativen Verschiedenheit  und  der zeitliche Anordnung,  die in der psychophysischen Darstellung physische Analogien verlangen.

Was die qualitative Verschiedenheit der Elemente betrifft, so ist hier noch nicht der Ort zu fragen, welche besonderen räumlichen Verschiedenheiten des physischen Prozesses den verschiedenen qualitativen Verschiedenheiten des Bewußtseinsinhalts parallel gehen, aber es läßt sich schon hier übersehen, daß eine räumliche Verschiedenheit auf physischer Seite vollkommen ausreicht, um der qualitativen Verschiedenheit auf psychischer Seite ein Analogon zu geben. Dabei gelten uns natürlich die Veränderungen der Erregung bezüglich Stärke, Platz und Ausbreitung des physiologischen Prozesses in gleicher Weise als räumliche Variationen so wie der Begriff der qualitativen Verschiedenheit hier alle Variationen der Intensität und Lebhaftigkeit einschließt. Auf den ersten Blick erscheint es ja freilich, als ob die Ansetzung psychischer Mannigfaltigkeit auf der einen Seite und der räumlichen Verschiedenheit auf der anderen Seite dem Psychischen ein gewisses Übergewicht gibt, da dort nicht nur ein Verschiedenes, sondern auch ein Bewußtsein vom Verschiedenen gegeben ist. Eine solche Wendung ist aber zweideutig. Meinen wir damit, daß mit den verschiedenen psychischen Elemente auch schon ein Urteil über die Art der Verschiedenheit gesetzt ist, so hätte die psychische Seite in der Tat mehr als die physische. Das trifft aber nicht zu; das Urteil über die Verschiedenheit gehört durchaus nicht zur Existenz der psychischen Elemente. Wenn dagegen ein solches Urteil hinzutritt, so ist es einfach ein neues psychisches Gebilde, das zu den gegebenen Elementen assoziiert ist und das nun auch seinerseits wieder assoziierte physiologische Begleitprozesse erfordert. So ein Urteil ist selbst wieder eine Kombination psychischer Elemente, von denen wieder nichts ausgesagt werden kann, als daß sie qualitativ verschieden sind und denen daher räumlich verschiedene Prozesse korrespondieren. Meinen wir dagegen nur, daß die verschiedenen Elemente ein Bewußtsein vom Verschiedenen insofern erwecken, als sie im Bewußtsein verschieden erscheinen, so gehört das allerdings notwendig zu ihrem Auftreten, aber es widerstreitet dann nicht mehr der psychophysischen Analogie. Daß die verschiedenen psychischen Elemente verschieden für das Bewußtseinssubjekt sind, ist eben ihre einzige Verschiedenheit, so wie die räumlich verschiedenen Prozesse nur dadurch verschieden sind, daß sie in verschiedener Beziehung zum Koordinatensystem des Gehirnraums stehen.

Die qualitative Verschiedenheit der psychischen Elementarobjekte ist also nicht selbst eine Beziehung, die gegen den Parallelismus spricht; es frägt sich somit nur noch, ob es mit den sonstigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Elementen anders steht. Lassen sie sich auf reine Zeitbeziehungen zurückführen, so ist es klar, daß sie von vornherein in bester Harmonie mit den physischen Beziehungen stehen. Nun war ja unsere gesamte psychologische Analyse im Dienst der Beschreibung gerade auf diesen Punkt gerichtet und wir haben im einzelnen verfolgt, wie alle jene subjektiven Anschauungs- und Verstandesformen psychologisch durch ein Material vertreten sind, das sich ohne eine besondere Bewußtseinsform als beziehungsfreier Ablauf von Empfindungskombinationen darstellt. Das freilich sahen wir ja sofort, daß die Zerlegung zu einer unvergleichlich größeren Zahl solcher Elemente führt, als wenn wir etwa von den Hauptfaktoren des wahrgenommenen Gegenstandes ausgehen, und lediglich jedem Faktor eine Empfindung parallel setzen. Wer in Bild von hundert Farbpunkten sieht, ein Lied von hundert Tönen hört, und davon ausgehend nur hundert Ton- oder hundert Lichtempfindungen für die Wahrnehmung in Rechnung setzt, der wird allerdings genötigt sein, von vornherein eine Fülle innerer Beziehungen zwischen diesen hundert Elementen anzunehmen. Wer dagegen von der inneren Erfahrung ausgeht, der wird, wie wir sahen, schon bei der Wahrnehmung von ein paar Tönen oder ein paar Lichtpunkten viele Tausende psychischer Elemente in Rechnung setzen und jedes objektive räumliche und zeitliche Verhältnis der wahrgenommenen Objektteile in der Wahrnehmungsvorstellung durch Empfindungskombinationen der verschiedensten Art wiedergegeben finden. Die paar Lichtpunkte, die im Raum nebeneinander liegen, lösen nicht ein paar Lichtempfindungen aus, deren Bewußtseinsbeziehungen das Nebeneinander spiegelt, sondern mit ihnen kommen alle jene Bewegungsempfindungen, Spannungsgefühle, Übergangsempfindungen, Kontrastempfindungen, vor allem aber jene Halbvorstellungen, Veränderungsvorstellungen, Erinnerungsvorstellungen und Erwartungsvorstellungen, deren jede selbst wieder aus zahlreichen Empfindungen besteht, und nur das Zusammenauftreten dieser ganzen Empfindungskolonie repräsentiert die Beziehung der physischen Objekte, und Tausende der Elemente verändern sich, wenn sich dieselben Lichtempfindungen oder Tonreize in veränderter räumlicher oder zeitlicher Ordnung darbieten.

Was so von den Anschauungsformen gilt, wiederholt sich bei allen übrigen Beziehungsformen. Das Bekanntheitsgefühlt, durch das sich ein Gegenwärtiges mit einer vergangenen Vorstellung verbindet und so eine Beziehung herstellt, oder das Einheitsgefühl oder das Gegensatzbewußtsein, das Zielgefühl und das Ursachengefühl, alles löst sich in eine Reihe von Neben- und Hilfsvorstellungen, organische Empfindungen, Assoziationen und Aktionsempfindungen auf, deren Aufzählung im Einzelfall mühsam sein mag, sicher aber jedesmal leichter zu geben ist als die Aufzählung aller physiologischen Gehirnprozesse, die von irgendeiner Wahrnehmung im nervösen Zentralapparat angeregt werden. Durch eine solche Analyse soll also keine erfahrbare Beziehung verflüchtigt werden; jede Beziehung, die wir bewußt erleben, muß ihren vollständigen Ausdruck inmitten der psychologischen Vorgänge finden, nur muß der Ausdruck in der Sprache der Psychologie erfolgen und Empfindungskombinationen müssen so an die Stelle der Beziehungen treten.

Ist diese Umsetzung, die dem Psychologen allerdings eine unvergleichlich schwerere Arbeit zumutet als den bequemen Hinweis auf die teleologischen Beziehungen, in vollständiger Weise vollzogen, so ist das  Zusammensein  und  Nacheinandersein  die einzige Kategorie, welche die Ordnung der qualitativen Mannigfaltigkeit bestimmt, und welche doch auch gleichzeitig für die räumlich getrennten Gehirnprozesse zur Verfügung steht. Es ist also durchaus nicht die Rede davon, die erlebten Beziehungen des Geistigen für die psychischen Inhalte als Beziehungen bestehen zu lassen und dann diese Beziehungen in den Zusammenhang der physischen Begleitprozesse hineinzuprojizieren, wie die Gegner der Psychophysik es ihr mit Vorliebe andichten. Wer da glaubt, daß psychische Elemente miteinander verschmelzen oder eine Einheit oder einen Gegensatz formen oder leicht ineinander übergehen und all das das physisch darauf basiert wird, daß die entsprechenden physiologischen Elementarvorgänge auch eine Einheit bilden oder gegeneinander anprallen oder chemisch verschmelzen oder leicht oder schwer zueinander überführen, der begeht allerdings im Interesse der Psychophysik genau denselben Fehler, den die Gegner der Psychophysik immer wieder machen: er überträgt subjektive Kategorien auf objektive Verhältnisse. Ob ein Prozeß physisch in einen anderen leicht oder schwer übergeht, davon kann uns die psychologische Erscheinungsreihe zunächst gar nichts sagen, ebensowenig erzählt sie uns, ob sie verschmelzen oder eine physiologische Einheit bilden. Sind beide physiologische Erregungen gesetzt, so sind die beiden Empfindungen psychisch gegeben und nichts führt dabei über die rein zeitliche Beziehung des Zusammenseins hinaus. Wenn trotzdem im einen Fall das Gefühl der Leichtigkeit beim Übergang oder die Empfindung der Einheit oder das Gefühl der Verschmelzung auch noch im Bewußtsein vorhanden sind, so müssen andere physiologische Begleitfaktoren hinzugetreten sein, die von jenen Beziehungsgefühlen als assoziierten selbständigen Gebilden auf psychischer Seite begleitet sind.

Nun wird ja der physiologische Prozeß, der die Grundlage des Leichtigkeitsgefühls bildet, irgendwie physisch mit einer größeren Leichtigkeit der Übergänge zusammenhängen, aber es ist eben diese durch den leichten Übergang hervorgerufene Nebenerregung und nicht die Leichtigkeit der Haupterregung selbst, welche das Leichtigkeitsgefühl im Bewußtsein erweckt. In gleicher Weise mag ja eine gewisse physiologische Einheit zweier Erregungen dahin wirken, daß die sich anschließenden Assoziationserregungen auch denjenigen physiologischen Prozeß enthalten, der von einem Einheitsgefühl begleitet ist, aber es ist wieder dieser besondere sekundäre Prozeß, und nicht die Einheit der primären Prozesse, der dem Einheitsgefühl zugrunde liegt. Und wenn zwei Empfindungen verschmelzen, so wissen wir nichts vom Verhältnis der physiologischen Vorgänge; erst wenn wir mit den Begriffen des psychologischen Atomismus die beiden Bestandteile in Urelemente auflösen und so die Verschmelzung als eine teilweise Unterdrückung der Teile auffassen, erst dann kann ein entsprechendes physiologisches Verhalten vorgestellt werden, weil erst dann der ganze Prozeß auf ein zeitliches Verhalten der Elemente zurückgeführt ist und das begleitende Verschmelzungsgefühl hat natürlich dann wieder seine eigene physiologische Grundlage. Die Beziehungen der geistigen Wirklichkeit beim Übergang in die Sphäre der psychischen Objekte einfach zu ignorieren oder die geistigen Beziehungen einfach auf das physiologische Substrat zu übertragen, ist daher gleichermaßen verkehrt und beides sind trügerische Manipulationen im Dienste der Psychophysik; sie sichern der Psychophysik leichte Arbeit und somit vielleicht einen flüchtigen Erfolg, aber auf die Dauer läßt es sich nicht verbergen, daß sie mit Begriffsverwechslungen operieren. Der Psychophysik ist nur dann gedient, wenn jegliche subjektive Beziehung und Bewertung vollkommen berücksichtigt wird und vollständig in eine Kombination von psychischen Elementen umgesetzt wird, zwischen denen es nur die Beziehung des Zusammenseins und Nacheinanderseins gibt; sobald diese Umsetzung erfolgt ist, bedarf es natürlich auf physiologischer Seite keine andere Beziehung als die der zeitlichen Folge räumlicher Lageveränderungen.


4. Apperzeptionismus und Vitalismus

Die Bewußtseinsformen und die seelischen Beziehungen, die Wertbestimmungen und Entscheidungen, alle fügen sich somit ohne die geringste empirische Einbuße durchaus der Theorie des psychophysischen Parallelismus, sobald scharf zwischen dem psychologischen Geschehen und der subjektivierenden Wirklichkeit unterschieden wird; sobald dagegen diese notwendige Unterscheidung verloren geht, so müssen beide Teile gleichmäßig leiden: die Psychophysik muß auf jede Konsequenz verzichten und mit psychophysischen Wundern operieren und das wirkliche Leben muß durch jedes empirische Vordringen der Psychophysik in ihrem Wertbestand bedroht werden. Wir sahen, daß derjenige Begriff, der sich am meisten mit all den erwähnten Vorgängen berührt, der Apperzeptionsbegriff ist, er spielt in die Entscheidungen, Willensvorgänge, Wertbestimmungen und nicht minder in die geistigen Beziehungs- und Formungsvorgänge hinein und kann gut als Repräsentant der ganzen Gruppe gewählt werden. Andererseits sahen wir, daß gerade er ganz besonders die wechselseitge Durchdringung der subjektivistischen und objektivistischen Betrachtungsweisen zum Ausdruck bringt, da er historisch bald im Dienst der einen, bald im Dienst der anderen stand und somit leicht die Sprache beider spricht. Alle Seiten der zurückgewiesenen Theorie werden daher ihren einheitlichen Ausdruck in der Bezeichnung  Apperzeptionstheorie  finden. Apperzeptionstheorie ist somit diejenige Vorstellung vom Zusammenhang des Psychischen und Physischen, welche zwar einen durchgängigen Parallelismus für die elementaren Empfindungen anerkennt, die Bewertungen, die Entscheidungen, die Beziehungen und die Bewußtseinsforen dagegen rein psychologisch ohne begleitende physiologische Vorgänge auffaßt. Hat die Apperzeptionstheorie recht, so ist die Psychophysik verurteilt, für alle Zeiten so unendlich weit vom Ziel, das sie sich gesteckt hat, zurückzubleiben, daß es für sie kaum einen nennenswerten logischen Wert hat, überhaupt an die Arbeit zu gehen; sie würde etwa auf demselben Standpunkt wie eine Physik stehen, die von vornherein anerkennt, daß kausale Zusammenhänge nur dann für die Stoffe bestehen, wenn sie in fester Form existieren, während sie allen Kausalgesetzen entzogen sind, sobald sie in flüssige oder gasförmige Gestalt übergehen.

Die Psychophysik unter der Herrschaft der Apperzeptionstheorie wäre eine Sammlung von empirisch beobachtbaren Zusammenhängen, denen jedes erkenntnistheoretische Interesse fehlt. Die Apperzeptionstheorie spielt da in der Psychologie dieselbe Rolle, welche in der Naturwissenschaft der Vitalismus spielt. Das Bemühen der Wissenschaft, alle Naturerscheinungen auf mechanische Vorgänge zurückzuführen und so konsequent den einzigen Weg zu verfolgen, den die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen für die Naturwissenschaft vorzeichnen, hat trotz aller glänzenden Erfolge immer wieder vorübergehende Gegenbewegungen erlebt. Bald waren es die chemischen, bald die physischen Vorgänge, für die durchgängie Zurückführung auf die Mechanik der Atome als prinzipiell unmöglich hingestellt wurde, vor allem aber blieben es die Vorgänge der lebendigen Substanz, die der mechanischen Erklärbarkeit endgültig entrückt schienen. Man pries es geradezu als "Überwindung" des wissenschaftlichen Materialismus, wenn man die Behauptung, daß auch die Lebensvorgänge mechanisch zu erklären seien, selbst als hilfreiche Arbeitshypothese unerbittlich zurückwies. Die Theorien, die an die Stelle der biologischen Kausalerklärung zu treten bereit sind, sind selbst zwar freilich von sehr ungleicher Art, je nachdem sie auf chemischem, physikalischem, botanischem oder zoologischem Boden emporgewachsen sind, stets aber handelt es sich darum, zielstrebige, zwecksetzende, richtunggebende Kräfte in den Ablauf der Naturvorgänge eingreifen zu lassen.

Auch hier, genau wie bei der Apperzeptionstheorie, wird uns immer die Versicherung gegeben, daß für die kausale Forschung doch noch genug zu tun übrig bliebe; so wie beim Apperzeptionismus nur die Wertbestimmungen und Auffassungen und Beziehungen dem psychophysischen Kausalzusammenhang entzogen sind, der Psychophysiologie aber noch immer genug zu tun übrig bleibt, wenn er die sinnlichen Empfindungen kausal aneinanderreiht, so tröstet uns auch der Vitalismus immer wieder, daß die Materie und die Energie als konstant anerkannt werden können und die Lebensenergien ihr zu Zielen hinstrebendes Werk somit verrichten können, ohne daß die Arbeit des Physikers vergeblich wird. Zugunsten so einer vitalistischen Hypothese spricht nur ein einziger Umstand; sie hat den Vorzug, daß "sie die Tausende und Millionen von Rätseln der organischen Natur mit einem einzigen Schlag auflöst". Aber löst sie die Probleme wirklich auf? Begnügt sie sich nicht einfach damit, die Millionen ungelöster Probleme unter eine gemeinsame Überschrift zu bringen? Scheinbar ist es ja einfacher, einen Vorgang als Wirkung kosmischer Intelligenz zu denken, als ihn aus dem Zusammenwirken der mannigfaltigsten Teilursachen verständlich zu machen, in Wahrheit aber ist die Intelligenz dabei entweder teleologisch genommen und somit überhaupt kein Hilfsmittel der Erklärung oder sie ist als Ursache gedacht, reiht sich damit selbst in die Kausalreihe ein und verlangt somit selbst eine Erklärung aus Ursachen, ohne daß die vitalistische Theorie auch nur den geringsten Versuch macht, eine solche Erklärung zu liefern.

Genau das Gleiche gilt vom Apperzeptionismus. Auch hier werden scheinbar Millionen von Rätsel mit einem Schlag aufgelöst, während sie tatsächlich nur mit gemeinsamen Namen benannt werden. Auf ihre Lösung wird entweder prinzipiell verzichtet, indem die Apperzeption als logische Absicht und nicht als psychologischer Vorgang aufgefaßt wird, oder die Lösung wird, wenn die Apperzeption selbst in die Kausalreihe eingeordnet wird, einfach in ein Gebiet zurückgeschoben, das unbekannt genug ist, um jeden Versuch einer Verfolgung der verschlungenen Pfade von vornherein als aussichtslos erscheinen zu lassen. Wer aber wirklich ernsthaft daran ginge, das Apperzeptionsvermögen in die Kausalreihen einzuordnen, der müßte sofort den äußerlich einheitlichen Vorgang in zahllose Reihen von Einzelprozessen auflösen, deren jede auf die psychophysischen Erfahrungen und Gewöhnungen zurückführt, so daß der Gesamtvorgang sich doch wieder als das automatische Resultat der gesamten Anlagen und Reizwirkungen erweisen würde. Der Apperzeptionsvorgang würde dann nicht mehr ein außerhalb stehender Faktor sein, der überkausal in die Schicksale der psychophysischen Elemente eingreift, sondern nur ein einheitlicher Ausdruck für das gesamte Zusammenwirken aller Faktoren des psychischen Geschehens; Apperzeption ist dann nicht mehr ein autokratischer Herrscher, sondern ist einfach der Name für die Konstitution, nach der das psychische Völkchen sich selbst regiert. Ist aber jeder einzelne Teilfaktor des psychischen Kausalzusammenhangs zugleich ein physiologischer, so geht die Gesamtheit der Gehirnprozesse in den Apperzeptionsvorgang ein. Die Apperzeptionstheorie hat dann aber ihre eigenen Voraussetzungen vollständig preisgegeben.

Das alles soll nun aber durchaus nicht den Wert und die Bedeutung der beiden verwandten Theorien herabsetzen oder gar bestreiten. Es ist wahr: der Vitalismus in der Naturwissenschaft und der Apperzeptionismus in der Psychologie sind keine fördernden Arbeitshypothesen, und wäre ihnen das letzte Wort gelassen, so würde es notwendig bald dazu kommen, daß die empirische Forschung die Weisung zu einem allgemeinen Stillstand erhielte. Ihre Aufgabe ist eine andere: sie sollen warnen gegen die schädliche Hast, mit der die Auffindung von ein paar neuen Kausalzusammenhängen sofort als Lösung der tiefsten Probleme ausgegeben wird, sie sollen warnen gegen die Oberflächlichkeit, mit der Erklärungsprinzipien, die sich auf eine Gebiet als fruchtbar erweisen, schablonenhaft auf ganz andersartige Gebiete übertragen werden, kurz warnen vor dem Wahn, daß wir am Ziel sind, wenn wir einen Schritt vorwärts gekommen sind. Die Gefahr, Probleme für gelöst zu erklären, weil irgendein Bruchteil der Lösungsschwierigkeiten beseitigt ist, steht in der Tat kaum zurück hinter der Gefahr, Probleme für unslösbar zu erklären, weil ihre Lösung noch Schwierigkeiten darbietet. Die letzte Gefahr ist notwendig mit allen teleologischen Naturtheorien verbunden, die erste Gefahr aber trat gerade in unserer Zeit so nahe an den Wissenschaftsbetrieb heran, daß die Neubelebung teleologischer Theorien ein wertvolles und bedeutsames Warnzeichen wurde. Wenn die Erfolge der organischen Chemie und der darwinistischen Biologie den Glauben aufkommen lassen, daß die Entstehung und Vererbung des Lebens kein Problem mehr ist, wird es zur historischen Notwendigkeit, daß sich der Vitalismus erhebt und mit trotziger Übertreibung die Dinge so darstellt, als wären die eigentlichen Probleme der Lösung heute nicht näher als zuvor. In gleicher Weisee ist  der Apperzeptionismus die gesunde konservatie Gegenbewegung gegen die oberflächliche Überschätzung der Assoziationstheorie.  Das Bemühen, eine konsequente psychophysische Theorie auszubilden, in der alle psychischen Erscheinungen psychophysisch erklärt werden, findet in den Vorgängen der Gedächtnisverknüpfung mittels physiologisch basierter Assoziation die nächstliegende und bequemste Handhabe. Der Assoziationsvorgang reiht sich wirklich ziemlich einfach der psychophysischen Theorie ein; wird daraus aber der Wahn, daß mit dem Hinweis auf die Aneinanderreihung von Assoziationen schon das gesamte Spiel des geistigen Lebens erklärt sei, so wird es zur Pflicht, darauf hinzuweisen, daß die Verhältnisse viel verwickelter liegen und die zentralsten Probleme vom Assoziationismus noch kaum berührt werden. Diese rein negative Aufgabe kommt der Apperzeptionstheorie zu. Hat sie ihre Mission erfüllt, ist das Unzureichende der Assoziationstheorie erkannt, so wird die Apperzeptionstheorie selbst nun nicht weiter den Gang der Forschung bestimmen dürfen, sie würde als Arbeitshypothese, wie wir sahen, notwendig unfruchtbar bleiben. Anstatt also mit ihr die Möglichkeit einer konsequenten psychophysischen Theorie zu leugnen und die Erklärung auf unkausale Gebiete abzuwälzen, wird die empirische Wissenschaft vielmehr dahin arbeiten müssen, psychophysisch konsequent zu denken und trotzdem die Fehler und Unzulänglichkeiten der Assoziationstheorie zu vermeiden. Sie wird die Warnungen der Apperzeptionstheorie beherzigen und sich doch die Erfolge der Assoziationstheorie zunutze machen; vor allem wird sie das Verlangen nach konsequenter psychophysischer Vorstellung unbeirrt festhalten müssen, wie sehr sie auch der Apperzeptionstheorie zugeben mag, daß der Assoziationismus das Ziel noch nicht erreicht hat.

So liegt also die Aufgabe vor uns, die vorliegenden psychophysischen Theorien zu prüfen und, wenn möglich, zu ergänzen; wir werden uns speziell der Assoziationstheorie zuwenden müssen, und der Versuch, im Rahmen konsequenter Psychophysik über sie hinauszugehen, wird uns zu einer Anschauungsweise führen, die als Aktionstheorie bezeichnet werden mag. Ehe wir aber zu dieser unserer letzten Aufgabe voranschreiten, muß offenbar noch eine Vorfrage erledigt werden. Wir suchen eine abschließende konsequente psychophysische Theorie: wir haben bisher die Einwendungen geprüft, welche die Apperzeptionstheorie im Interesse des psychischen Tatbestandes gegen jede ausnahmslose Durchführung des psychophysischen Prinzips erhebt. Wir haben dieselben als praktisch wichtig und beachtenswert, aber als prinzipiell unhaltbar erkannt. Wir können auf rein psychischem Gebiet also keine Tatsachen finden, welche einer Durchführung des psychophysischen Prinzips widersprechen. Ehe wir nun zur speziellen Durchführung fortschreiten, müssen wir nun aber auch der anderen Seite gerecht werden und fraen, ob nicht  die Physiologie  ihrerseits Einspruch erhebt. Es wäre ja denkbar, daß die psychischen Tatsachen sich glatt einer psychophysischen Auffassung fügen, die physischen Tatsachen sich aber als prinzipiell unzureichend erweisen. Unsere Vorfrage muß also dahin zielen zu ermitteln, ob die konsequente Durchführung der psychophysischen Theorie von physischer Seite gesehen überhaupt möglich erscheint. Wir werden diese Frage bejahen und erst dann werden wir uns der Untersuchung und Ergänzung der besonderen psychophysischen Vorstellungen zuwenden. Zunächst also stehen wir vor der Frage, ob die physikalischen Einwendungen der Naturwissenschaft gegen den psychophysischen Parallelismus haltbarer sind als die psychologischen Einwendungen der Apperzeptionstheorie.
LITERATUR Hugo Münsterberg, Grundzüge der Psychologie, Bd. 1, Leipzig 1900