ra-2Gnaeus FlaviusJ. Ofnervon BülowS. Kornfeldvon PeretiatkowiczF. Klein    
 
KARL WIELAND
Die historische und die kritische Methode
in der Rechtswissenschaft


"Die Juristen der historischen Ära sprechen nicht nur dem Suchen nach absoluten Wertmaßstäben jede Berechtigung ab, sondern auch der vernunftgemäßen Begründung rechtlicher Bestimmungen als solcher. Im Zerstörungswerk der großen Revolution, so meinen sie, sind die destruktiven Wirkungen des subjektiven Geistes offenbar geworden. Die Vernunft gleicht einem weißen Blatt, das jedem Menschen mitgegeben ist und von jedem mit den verschiedensten Sätzen beschrieben werden kann. Nur was auf dem Weg der Gesetzgebung oder Übung wirklich geworden ist, was sich von Tag zu Tag erproben muß, ist vernünftig. Das geschichtlich gewordene positive Recht trägt den Beweis seiner Existenzberechtigung in sich selbst. Jede Kritik, jeder Gedanke daran, was Recht sein könnte und Recht sein sollte, ist von der Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie abzulösen. Nach vernünftigen Zwecken darf nicht mehr gefragt werden."

"Selbst die primitivste Erkenntnis kommt nur durch eine umbildende Auffassung der Wirklichkeit zustande."

"Mit einer Klarlegung der rechlichen Allgemeinbegriffe ist ein abschließendes Verständnis nicht gewonnen, eben weil sie nur die Bedingungen gegenständlicher Erkenntnis, nicht diese selbst enthalten."

Trotz der zunehmenden Zersplitterung, die das heutige wissenschaftliche Leben durchzieht und stets von neuem vormalige Teilgebiete zu autonomen Provinzen erhebt, scheint es doch, daß in den letzten Jahrzehnten gemeinsame Denkrichtungen und Ziele wiederumg die Oberhand zu gewinnen suchen. Dem Drang nach Befreiung aus der erdrückenden Fülle des Stofflichen und Tätsächlichen entstammt zum guten Teil eine Bewegung, auf die Ihre Aufmerksamkeit in dieser Stunde hingelenkt sein mag, die Abkehr von einem einseitigen, auf Abwege geratenen Kultus der Geschichte und der vereinte Kampf gegen den Historismus, den entarteten Sprößling wahrer geschichtlicher Denkart. Der Glaubenssatz, daß  nur  die Vergangenheit das Verständnis der Gegenwart erschließt, wird nicht mehr ungeprüft hingenommen, wie ehedem. Die rege Tätigkeit, die auf dem Gebiet der historischen Detailforschung nach wie vor entfaltet wird, vermag über die Gleichgültigkeit und das Gefühl der Übersättigung, das in weiten Kreisen der Gebildeten eingekehrt ist, nicht hinwegzutäuschen. Inbesondere herrscht gegenwärtig in der Rechtswissenschaft, die vor kurzem noch und wie keine andere Disziplin neben ihr von historischer Betrachtungsweise wähnte sich leiten zu lassen, eine ausgesprochen anti-historische Richtung vor. Daß sie nicht auf Rechnung vorübergehender Tagesströmungen zu setzen ist, lehrt ein Rückblick auf die Geschichte unserer Wissenschaft.

Die historische Weltanschauung, die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts über den Rationalismus der Aufklärungsperiode den Sieg errungen hatte, hat von der Rechtswissenschaft mächtige Antriebe empfangen. FRIEDRICH KARL von SAGIGNYs im Jahre 1814 erschienene Schrift, "Über den Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", womit die seitdem herrschende historische Rechtsschule ins Leben getreten ist, hat weit über die Grenzen der Fachwissenschaft hinaus Bedeutung erlangt. Sie hat, auf HERDERs Anregungen zurückgehend, den entwicklungsgeschichtlichen Gedanken zum ersten Mal zu voller Entfaltung gebracht. SAVIGNYs Lehre von der zeitlichen Bedingtheit und Wandelbarkeit des Rechts schließt, wie MERKEL dartut, bereits die konstitutiven Merkmale des später von der Naturwissenschaft mit so viel Erfolg verwerteten Entwicklungsbegriffs in sich, das Moment der Metamorphose, der Kontinuität und der Vererbung (1).

Mit SAVIGNY und EICHHORN an der Spitze beginnt eine Periode fruchtbarer geschichtlicher Arbeit. Zu Anfang der vierziger Jahre etwa bleibt der historischen Schule der Sieg unbestritten. (2) Die Schöpfungen, die aus ihrer Blütezeit hervorgegangen sind, tragen noch den frischen Zug, der neuaufkeimenden Bewegungen eigen ist. Frei vom ängstlichen Spezialistentum der späteren Zeit setzen sie sich die Bewältigung umfassender Aufgabe zum Ziel und halten sie den Zusammenhang mit verwandten Wissensgebieten, insbesondere der Philosophie, aufrecht.

Doch hat bereits SAVIGNY die Gefahren einer zu ausschließlichen Pflege der Geschichte nicht verkannt. Die wachsende Entfremdung zwischen Theorie und Praxis, deren Versöhnung er von der Verwirklichung seines Programms vor allem erhofft hatte, ist ihm nicht verborgen geblieben. Zu sehr Historiker, um von einseitiger Verfolgung bestimmter wissenschaftlicher Richtungen alles Heil zu erwarten, betont er in der Vorrede zu seinem Lebenswerk den selbst nur historisch bedingten Wert geschichtlicher Forschung. Sie erscheint ihm nur als die eine von verschiedenen Geistestätigkeiten, die lange Zeit vor anderen versäumt worden war, also vorübergehend mehr als andere einer eifrigen Vertretung bedurfte, um in ihr natürliches Recht wieder einzutreten. (3)

SAVIGNY vermochte jedoch die von ihm selbst entfachte Bewegung nicht aufzuhalten. Seine Nachfolger betreten mehr und mehr die Bahnen eines ausgeprägten Historismus, der die vorhistorischen Voraussetzungen einer fruchtbaren Verwertung der Geschichte nicht gelten läßt. Zwar nimmt die Dogmatik immer noch die führende Stellung ein. Der Geschichte fällt als einzige Aufgabe zu, die Erkenntnis des in Geltung stehenden Rechts vorzubereiten. Aber nur die Geschichte vermittelt das Verständnis der Gegenwart. "Es gibt", schreibt FRANKEN im Jahr 1882, "heute keinen Juristen mehr, der für seine Wissenschaft irgendetwas von unhistorischer Forschung erwartet." (4) Auf den Universitäten müssen die historischen Fächer den dogmatischen  vorausgehen.  Statt dem angehenden Rechtskundigen die Einführung in das seiner bisherigen Denk- und Erziehungsweise nach am Entferntesten liegende Lebensgebiet durch Anknüpfen an Bekanntes und Angeschautes zu erleichtern, nimmt der akademische Unterricht die Rechte fremder oder abgestorbener, ihm unverständlicher Kulturstufen zum Ausgangspunkt (5).

Gleichzeitig schließt sich die Dogmatik von jeder Berührung mit benachbarten Wissenszweigen ab, deren sie am allerwenigsten entraten kann. Zwischen Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft, deren Gebiete sich zueinander verhalten, wie die bedingende Form zum bedingten Stoff und die zu gegenseitiger Befruchtung und Ergänzung aufs Engste aufeinander angewiesen sind, wird eine undurchdringliche Scheidewand errichtet. (6)Ebenso ist die Behandlung rechtswissenschaftlicher Fragen von philosophischen Gesichtspunkten aus mißbeliebt. (7) Von den mächtigen Einwirkungen, die seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts von der neubelebten kritischen Philosophie ausgegangen sind, ist die Rechtswissenschaft unberührt geblieben.

So sind die frohen Hoffnungen, die in der Blütezeit des deutschen Idealismus an das Wiedererwachen historischer Gesinnung und Forschung geknüpft waren, nicht in Erfüllung geganen. Die Rechtswissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeigt nur allzusehr die Züge des im Übermaß von Geschichte altersgrau gewordenen Positivismus, dem es an der Fähigkeit lebendigen Anempfindens gebricht (8); denn Namen wie  "historische Methode", "geschichtliche Rechtswissenschaft"  besagen mehr als bloß eine übermäßige Wertung historischer Studien. Auch wollen sie zu Beginn und gegen Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenem Sinn verstanden sein. Die gesunden, nicht in starre Formen gepreßten Gedanken, die SAVIGNY der Rechtswissenschaft auf den Weg gegeben hat, machen mehr und mehr einem geschlossenen System Platz, das von ihnen nicht mehr viel erkennen läßt. Nur die Ausgangspunkte hat es mit ihnen gemein. Bereits die ältere historische Schule ist aus dem Kampf gegen die naturrechtlichen Lehren des 18. Jahrhunderts hervorgegangen. Die spätere "geschichtliche Rechtstheorie", wie sie sich nennt, erst zu Beginn der neunziger Jahre von BERGBOHM (9) abschließend formuliert, verlegt den Kampfplatz auf das methodologische Gebiet, und indem sie die Irrtümer von den bleibenden, ewig gültigen Werten der naturrechtlichen Denkweise nicht zu trennen weiß, entfernt sie sich von wahrhaft historischer Sinnesart ebensoweit, wie vom naturrechtlichen Rationalismus.

Mit dem Namen "Naturrecht" verknüpft sich zunächst die Vorstellung eines unwandelbaren, für alle Zeiten und Völker gültigen  Rechtsideals  und einer obersten Richtschnur. Die Juristen der historischen Ära sprechen nicht nur dem Suchen nach absoluten Wertmaßstäben jede Berechtigung ab, sondern auch der vernunftgemäßen Begründung rechtlicher Bestimmungen als solcher. Im Zerstörungswerk der großen Revolution, so meinen sie, sind die destruktiven Wirkungen des subjektiven Geistes offenbar geworden. "Die Vernunft gleicht einem weißen Blatt, das jedem Menschen mitgegeben ist und von jedem mit den verschiedensten Sätzen beschrieben werden kann." Nur was auf dem Weg der Gesetzgebung oder Übung wirklich geworden ist, was sich von Tag zu Tag erproben muß, ist vernünftig. Das geschichtlich gewordene positive Recht trägt den Beweis seiner Existenzberechtigung in sich selbst. Jede Kritik, jeder Gedanke daran, was Recht sein könnte und Recht sein sollte, ist von der Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie abzulösen. Nach vernünftigen Zwecken darf nicht mehr gefragt werden. Mithin erschöpft sich die Aufgabe der Rechtswissenschaft in der Erforschung des tatsächlichen Befundes und der die Rechtsbildung bestimmenden Faktoren. Rechtliche Bestimmungen verstehen, bedeutet, sie genetisch erklären, d. h. aus ihren zufälligen Veranlassungsgründen ableiten (10). Anstelle der Erkenntnis, die uns SAVIGNY vermittelt hat, daß jede rechtliche Ordnung in einem innigen Zusammenhang mit der Gesamtkultur eines Volkes steht, somit nur aus ihrer sittlich-sozialen Umwelt zu begreifen ist, tritt ein trostloser und leerer Formalismus, der das Recht seines Lebensprinzips, des Zweckmoments, beraubt.

Die bloße Erkundung des Gewordenen steht jedoch in einem diametralen Widerspruch mit den eigensten praktischen Zielen der Rechtswissenschaft, die einer steten Neubildung in der täglich geübten Rechtsprechung die Wege zu weisen hat. Kein Gesetzgeber vermag sämtliche Komplikationen des Rechtslebens zu überschauen und auf jede Rechtsfrage, die künftig an den Richter herantritt, im Voraus die Antwort zu geben. Jede, auch die vollkommenste Rechtsordnung weist somit Lücken auf. Die naturrechtliche Denkweise gewinnt die Ausfüllung der Lücken mittels der Vorstellung eines zweckmäßigen und angemessenen, von Gesetzgebung und Übung unabhängigen Rechts. Nach der überlieferten und durch MONTESQUIEUs Lehre von der Gewaltentrennung gefestigten Auffassung (11) obliegt jedoch dem Richter nur die Anwendung bereits fertiger, positiv gegebener Regeln. Das zunächst nur als eine Art Idealkodex für den Gesetzgeber gedachte Naturrecht muß somit, um für die Lückenausfüllung geeignet zu sein, eine formelle Positivität in Anspruch nehmen (12).

Auch die Vertreter der historischen Richtung haben sich vergeblich um die Überwindung dieses Widerspruchs gemüht. Ihnen erscheint als Recht nur, was durch einen geschichtlichen Werdegang, Gesetzeserlaß oder Gewohnheit, autoritative Regel geworden ist. Aber den Grundirrtum der naturrechtlichen Lehre, daß der Richter der Sklave des Gesetzgebers ist, daß er das Recht bereits vorfindet, nicht schafft, haben auch sie übernommen; denn er paßt nur allzusehr in ihren positivistischen Rahmen. Den Zwiespalt zwischen der tatsächlichen Unvollständigkeit und der postulierten Vollkommenheit positiver Satzungen vermögen sie nur mittels eines dialektischen Kunstgriffs wegzudeuten, der am Ausgang des 19. Jahrhunderts sonderbar genug anmutet: Die angeblichen Lücken der Rechtsordnung sind nur Lücken im Wissen des Einzelnen. Man muß nur versuchen, die eigentlichen Gedanken des Gesetzgebers auszudenken. Ein Recht, auch wenn es fast nichts an geregelten Stoffen umfaßt, steht allemal in lückenloser Vollkommenheit da, weil seine innere Fruchtbarkeit und seine logische Expansivkraft jeden Augenblick den ganzen Bedarf an Rechtsurteilen deckt (13). Es genügt, die obersten Prinzipien aufzufinden, denen der Richter sämtliche Rechtsnormen entnimmt, deren er benötigt, selbst für völlig neue Lebenserscheinungen, an die kein Gesetzgeber je gedacht hat.
    "Weil das Leben des Menschen kurz ist und die Rechtswissenschaft weitschichtig, deshalb ist die Kunst erfunden worden, damit man mit Hilfe eines knappen Büchleins die Rechtswissenschaft begreifen und aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gewinnen kann und diese Kunst ist unfehlbar",
lehrte schon der Scholast RAIMUNDUS LULLUS (14). Die Scholastik wird von neuem auf den Thron gehoben. Sie ist an unserem Rechtsleben in Theorie und Praxis nicht spurlos vorübergegangen, wenn auch die gesunden, in ihm wirksamen Kräfte sich als stark genug erwiesen, um ein folgerichtiges Durchdringen zu verhüten. Jahrzehntelang ist historisches Wissen in den Mittelpunkt gestellt worden. Aber vor die Frage gestellt: was nützt uns die Historie für das Leben, oder, in die Sprache des Juristen übersetzt: was trägt historisches Verständnis zur Lückenausfüllung bei, antworten dieselben, die nur eine geschichtliche Forschung gelten lassen: Alles Recht ist lückenlos, es gibt keinen rechtsleeren Raum, so daß für die Geschichte auch nicht die kleinste Ritze übrig bleibt, durch die hindurch sie Gehör fände. FRIEDRICH NIETZSCHEs Voraussage:
    "Beim Übermaß von Historie zerbröckelt und entartet das Leben und zuletzt auch wieder durch diese Entartung die Historie." (15)
ist buchstäbliche Wahrheit geworden.

Wenn zur Zeit eine der Rechtsgeschichte feindliche Strömung mehr und mehr an Boden gewinnt, wenn sich die Rechtswissenschaft seit den letzten zehn Jahren vorwiegend der Pflege des lebenden und in der täglichen Praxis stets sich verjüngenden Rechts zuwendet, ohne von der Geschichte Notiv zu nehmen, so liegen die Gründe tiefer als nur in einer bequemen Oberflächlichkeit und dem praktischen Utilitarismus unserer Tage. Allseits hat sich die Überzeugung Bahn gebrochen, daß die Jurisprudenz über der einseitigen Pflege historischer Detailforschung ihre sonstigen Hilfsquellen zu sehr vernachlässigt hat (16). BÜLOW hat dieser veränderten Stimmung in schärfster Weise Ausdruck gegeben, wenn er der Geschichte ihren Platz neben und nicht über den übrigen  Hilfswissenschaften  zuweist (17). Und die Historiker heben den hingeworfenen Fehdehandschuh nicht auf. Sie Einsichtigen unter ihnen, wir nennen vor allem MITTEIS, geben die Mißstimmung der Studierenden über das Übermaß an historischem Gedächtnisstoff, den sie aufzunehmen haben, rückhaltlos zu und erachten es an der Zeit, die Kraftanspannung in historischer Richtung auf das richtige Maß zurückzuführen (18). Daneben aber ergeht aus einem Kreis jüngerer Historiker der Ruf nach völliger Trennung von Geschichte und Dogmatik. Sie heißen die heute vorherrschende ahistorische Richtung willkommen, weil sie der Geschichte ihren Eigenwert zurückgibt und sie der Frohndienste enthebt, die sie bisher der Dogmatik zu leisten hatte. Aus ihren Reihen lassen sich Stimmen vernehmen, welche der Geschichte jeglichen Gegenwartswert absprechen und so an den Grundfesten dessen rütteln, was bisher als unumstößliche Wahrheit gegolten hat. "Das Dogma", so erklärt einer von ihnen, "das volle Verständnis eines Rechtssatzes sei ohne Kenntnis seines Werdegangs unmöglich, ist grundfalsch und verderblich und birgt eine ständige Gefährdung der Dogmatik durch antiquierte Standpunkte." (19)

Somit gewinnt es den Anschein, als ob in Zukunft Geschichte und Dogmatik ihre eigenen Wege gehen werden, ohne daß sich die eine um die andere zu kümmern braucht. Und doch ist dies kaum die richtige Lehre, die die verflossene Periode einer übermäßigen Betonung des Historischen uns gewinnen läßt. Gewiß ist es an der Zeit, uns zur Einsicht zu bekehren, daß, um mit WINDELBAND zu reden, "nicht jedes beliebige Wirkliche eine Tatsache für die Wissenschaft ist, sondern nur das, woraus sie etwas lernen kann", daß es schließlich gilt, aus dem übermäßig angehäuften Stoff das Brauchbare zu bewahren und zu bemeistern und das Nutzlose versinken zu lassen. (20) Die Beschränkung unserer Arbeitskraft bringt es mit sich, daß die geschichtliche Forschung für eine Zeitlang hinter der Erfüllung anderer, zu lange versäumter Aufgaben zurücktreten muß. Die Verbindung mit den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen ist wiederum aufzunehmen. Vor allem aber wird sich die Rechtswissenschaft über Ziele und Wege ihrer eigenen Arbeit Rechenschaft geben müssen.

Aber der Gegenbeweis, daß ein volles Verständnis des Gewordenen ohne Kenntnis seines Werdegangs zu gewinnen sei, ist nicht angetreten worden und konnte es auch nicht. Mit der Beseitigung des römischen und deutschen Privatrechts als geltender Rechte und damit, daß sich die Rechtswissenschaft der an ihre Stelle tretenden Gesetzgebung zugewandt hat, ist nur der falsche Schein zerstört worden, als ob sie bisher im wahren Sinne geschichtlich vorgegangen sei. Denn Geschichte und Dogmatik sind zuvor schon einander fremd geworden. Die bleibenden Wahrheiten der historischen Schule sind vom Historismus verdunkelt und überwuchert worden, noch ehe ihnen Zeit zum Wachstum und zu voller Entfaltung vergönnt war. Wenn nunmehr die Rechtsgeschichte für die unleugbaren, jedem Laien offent zutage liegenden Schäden verantwortlich erklärt werden sollte, so hieße dies, dem Historismus mit der ihm eigenen unzulänglichen Kampfesweise entgegentreten, die sich an bloß genetischer Erklärung genügen läßt und die zufälligen Begleitursachen für die Sache selbst ausgibt. Eine völlige und grundsätzliche Lossage von der Geschichte, wie sie gegenwärtig an der Tagesordnung ist, würde für die Aufgaben, die in der Zukunft auf uns warten, von den verhängnisvollsten Folgen begleitet sein.

Ein Anhänger jener neuen Richtung, die durch den Namen "freie Rechtsfindung" gekennzeichnet ist, hält uns das Richterideal der  Constitutio Criminalis Carolina  vor Augen. "Die Richter und Urteiler sollen verständige und erfahrene Personen sein." (21) Noch heute wird jeder verständige Richter bezeugen können, daß er den besten Teil seines Rüstzeugs einer reichen Lebenserfahrng verdankt. Auch werden wir unserem neuen Gesetzbuch erst dann volles Vertrauen entgegenbringen, wenn wir in ihm eine Schöpfung erkennen, die mit den Erfahrungen von Jahrhunderten arbeitet. In richtiger Würdigung der Lehren der älteren historischen Schule, daß das Recht in stetem Wandel begriffen ist und nicht in starre Paragraphen festgeschmiedet werden darf, hat sich unser Gesetzbuch eine weitgehende Zurückhaltung auferlegt. Es ist das Verdienst jener neuen Richtung, daß sie die Lückenhaftigkeit jeder, auch der vollständigsten Rechtsordnung offen anerkennt, daß sie dem Richter bedeutet: Richten ist nicht dasselbe wie Urteilen, es erschöpft sich nicht in einer logischen Schlußfolgerung aus gegebenen Obersätzen, der Richter soll an der Rechtsprechung nicht nur mit seinem Denken, sondern auch mit seinem Fühlen und Wollen beteiligt sein. Wenn aber einzelne ihrer Vertreter das rein gefühlsmäßige Werturteil zur letzten Instanz erheben, so werden wir ihnen nicht folgen können. Erst wenn wir den Boden des Altgewohnten und Vertrauten verlassen, werden wir die Mahnung des Begründers der historischen Rechtsschule in ihrer wahren Bedeutung verstehen lernen, daß es nicht bloß die Masse der gewonnenen Wahrheit ist, die uns in geschichtlicher Erfahrung zufällt, sondern auch jede versuchte Richtung geistiger Kräfte, alle Bestrebungen der Vorzeit, mögen sie fruchtbar oder verfehlt sein, uns zu gute kommen als Muster oder Warnung (22). Um nur eines von vielem herauszugreifen, worin uns die geschichtliche Erfahrung nützen kann, so hat unser Zivilgesetz das für weite Gebiete der Schweiz neue und an schwierigen praktischen Fragen reiche Institut der Rechte an eigener Sache nur mit wenigen kurzen Sätzen erwähnt. Unsere Richter wären übel beraten, wollten sie die Lehren, die aus der wechselreichen Züricher und Luzerner Gerichtspraxis zu entnehmen sind, unberücksichtigt lassen. Sie werden sie vor manchen Irrwegen bewahren und ihnen bessere Dienste leisten, als die vielen, meist unzulänglichen Versuche einer erschöpfenden theoretischen Formulierung.

Wenn wir somit gleich der  Constitutio Carolina  unsere Richter sowohl erfahrene wie auch verständige Männer wissen möchten, so erhebt sich die kritische Frage:
    "Sind Verstehen und Erfahren schlechthin ein und dasselbe? Ist Verstehen nur durch Erfahren möglich? Oder muß nicht umgekehrt das Verstehen dem Erfahren vorausgehen?"
Hierauf sollte schon ein Blick auf die tägliche, mühevolle Arbeit des Anwalts oder Richters die richtige Antwort geben. Um die oft ungelenke und unvollständige Geschichtserzählung, die ihm der Rechtsuchende vorbringt, nach geduldigem Zuhören und vielfachem Befragen zu formen, wird er ohne Zuhilfenahme seines metahistorischen Wissens schwerlich auskommen. Für die historische Methode aber gilt es als selbstverständliches Axiom, daß das Recht nur und ausschließlich auf geschichtlichem Weg zu erforschen ist. Nach ihr geschieht der Ausbau von unten herauf, so daß jedes einzelne Rechtsinstitut von seinen ersten Anfängen an in seinem ganzen Werdegang verfolgt werden muß. Im Bann des historischen Realismus befangen, für den die Geschichte ein Spiegelbild des Geschehenen bedeutet, wie es wirklich war, glaubt sie damit alles getan zu haben, was ein volles Verständnis erfordert. Ein Apriori des geschichtlichen Erkennens will der Historismus nicht gelten lassen; denn zeitliches und logisches Nacheinander sind für ihn ein und dasselbe (23).

Die Geschichte selbst weist uns auf den entgegengesetzten Weg. Der Einblick in die eigentliche Arbeitsweise der Geschichte ist uns in den letzten Jahrzehnten durch eine Reihe dankenswerter Untersuchungen eröffnet worden, die mit dem Namen WINDELBANDs, RICKERTs und SIMMELs verknüpft sind. Ihr Ziel ist, die durch KANT für die Naturwissenschaften errungene Erkenntnis für die Geschichte und die ihrer logischen Struktur nach mit ihr verwandten Kulturwissenschaften verwertbar zu machen, daß eine Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihrem Gegenstand nicht zu erreichen ist, die anschauliche Wirklichkeit vielmehr einer Umformung und Deutung bedarf durch die apriorischen Forderungen des Erkennens (24). Diesen Umformungsprozeß vollziehen Natur- und Kulturwissenschaften auf verschiedenen, einander ergänzenden Wegen. Die Naturwissenschaften überwinden die unübersehbare Mannigfaltigkeit des Wirklichen durch die Einordnung des Besonderen unter das Allgemeine in seinem gesetzlichen Zusammenhang. Sie steigen stets zu höheren *Gattungsbegriffen empor. Die Qualitäten verwandeln sich in Quantitäten, die Dinghaftigkeit weicht der Relation. Nur das Übereinstimmende in den Dingen interessiert sie. Deshalb müssen sie das Einmalige und Individuelle von sich ablösen. Die Geschichte und die Kulturwissenschaften suchen die Tatsachen der Wirklichkeit in ihrer Einmaligkeit und nie wiederkehrenden Einzigartigkeit zu begreifen. Damit wird für sie  das Interesse das sie am Einzelnen nehmen, zum Ausleseprinzip. Indem die Geschichte die Wirklichkeit  auf Werte  bezieht, gelingt es ihr, das Wesentliche vom Unwesentlichen auszuscheiden und durch Einordnen in den geschichtlichen Zusammenhang das Einzelne und Individuelle als solches in sich aufzunehmen.

Somit muß der Historiker ein Verständnis der geschichtlichen Werte gewinnen. Er muß als ein wertender Mensch zu den geschichtlichen Problemen Stellung genommen haben, bevor er an seine eigentliche Aufgabe herantritt. Diesem Gesetz innerer logischer Notwendigkeit kann sich auch der Chronist nicht entziehen, der nur zu erzählen gedenkt, was sich tatsächlich zugetragen hat. Er beabsichtigt etwa, die Geschichte seiner Vaterstadt zur Zeit weniger Jahre zu beschreiben. Aber die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Geschehnisse, die sich in diesem engen, vom kleinsten Schauplatz und der kleinsten Zeitspanne begrenzten Raum zusammendrängen läßt ihm sein Vorhaben von vornherein als unausführbar erscheinen. Ehe er sich dessen versieht, haben Interesse und vorgefaßte Meinungen die sichtende Auswahl getroffen. Und je mehr die Chronik sich zur Geschichte auswächst, desto mehr bedarf sie der Ergänzung von außen her. Denn erst dann wird die bloße Geschichtenerzählung zur Geschichte, wenn der Historiker die Geschehnisse auf bedeutsame Werte bezieht, die er als Werte zuvor erkannt und in sich selbst erlebt hat, wenn er den Tatsachen ihren Stempel aufprägt, wenngleich dem ungeschulten Auge die geschichtlichen Ereignisse für sich selbst zu sprechen scheinen. Damit der Historiker nicht gleich dem Chronisten seine subjektiven Alltagswertungen in die Geschichte hineinträgt, müssen die geschichtlichen Inhalte auf  normativ allgemeine  oder, wie sich RICKERT ausdrückt, auf soziale Kulturwerte bezogen werden. Jeder kausalen Deutung geschichtlicher Vorgänge muß somit eine Wertbestimmung vorausgehen, die als erste Aufgabe den einzelnen Kulturwissenschaften zufällt, die an die Geschichte Fragen stellen (25). Dabei wird ihnen aber  das logische Verfahren der Geschichte  für die Stufenfolge, in der sich jene Wertanalyse zu vollziehen hat, wirksame Hilfsdienste leisten. Sie beginnt mit der Besinnung auf die  transzendentalen  Werte, die jede Art besonderer Erfahrung erst ermöglichen, das, was man Allgemeingeschichte zu benennen pflegt, mit inbegriffen. Die landläufige Annahme, daß etwa die politische Geschichte oder die Geschichte der gesellschaftlichen Zustände nur mit Begriffen operiert, die jedermann von Haus aus vertraut sind, erweist sich bei näherer Prüfung als irrtümlich. Wie SIMMEL aufgezeigt hat, ist jedes geschichtliche Verständnis, sofern von einem äußeren auf ein inneres Geschehen geschlossen werden soll, durch eine Reihe psychologisch-erkenntnistheoretischer Voraussetzungen bedingt. Neben die kantischen Kategorien, die  jeder  Erfahrung vorausgehen, treten die speziellen, nur für gewisse Inhalte anwendbaren und die einzelnen Provinzen des Wissens verwertbaren Grundformen, ein Gegensatz, auf den gleichfalls SIMMEL insbesondere den Blick hingelenkt hat (26).

Auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft hat freilich die kritische Besinnung erst vor kurzem Wurzel zu fassen vermocht. Auch ist sie noch weit davon entfernt, sich allgemeiner Anerkennung zu erfreuen. Einen der Durchbruchspunkte bildet das vielerörterte Problem der  Einheit  oder, wie der juristische Kunstausdruck lautet, der Persönlichkeit menschlicher Verbände. Lange genug hat sich der juristische Dogmatismus bemüht, die höchst verschieden gestalteten, rechtlicher Beurteilung unterworfenen sozialen Gebilde als Einheiten und Vielheiten, im Sinne realer Entitäten gedacht, einander gegenüberzustellen und ihre Grenzen nach objektiven Merkmalen zu bestimmen, umsonst; denn die Einheit, d. h. die Vereinheitlichung des Mannigfaltigen, liegt als Grundfunktion des menschlichen Bewußtseins in uns, nicht außer uns. Auf SIGWARTs Einheitsbegriff fußend hat JELLINEK die Verbandseinheit im Zweckzusammenhang zeitlich sukzedierender und koexistierender Individuen erkannt und durch eine Verwertung des Prinzips der teleologischen Einheit die scholastische in die kritische Betrachtungsweise übergeleitet. (27) Und STAMMLER hat gezeigt, daß es sich mit den besonderen rechtlichen Allgemeinbegriffen wie Eigentum, Vertrag, Forderung und Schuld nicht anders verhält, so vor allem nicht mit dem Rechtsbegriff selbst, der in seiner Begrenzung gegen Moral, Sitte und Willkür nur in einer kritischen Erwägung, niemals auf geschichtlichem Weg zu ermitteln ist (28). Es sind die apriorischen Formen für das besondere Erfahrungsgebiet rechtlicher Bestimmungen, die uns ermöglichen, Ordnung in einem unübersehbaren Gewirr sozialer Machtbeziehungen zu schaffen. Sie gehören, da selbst die primitivste Erkenntnis nur durch eine umbildende Auffassung der Wirklichkeit zustande kommt, bereits der vorwissenschaftlichen und zum Teil schon der vorrechtlichen Stufe an, wenngleich ihre abschließende begriffliche Bearbeitung immer wieder von neuem zum Problem wird. Aber irgendwelche positive Satzungen einer gegebenen oder bloß gedachten Rechtsordnung lassen sich nicht entnehmen, eben weil sie die rechtliche Erfahrung erst ermöglichen. Wer etwa aus dem allgemeinen Eigentumsbegriff nur den einen zeitlos gültigen Satz ableiten wollte, daß der Eigentümer schlechthin befugt sei, das Betreten seines Besitzes zu verbieten, mag sich aus den alter Überlieferung entstammenden Rechtssatz unseres Zivilgesetzbuches eines besseren belehren lassen, der Wald und Weide jederman offen hält, ohne damit den Eigentümer zu entrechten. (29)

Aus demselben Grund ist mit einer Klarlegung der rechlichen Allgemeinbegriffe ein abschließendes Verständnis nicht gewonnen, eben weil sie nur die Bedingungen gegenständlicher Erkenntnis, nicht diese selbst enthalten. Es erwächst die weitere Aufgabe, den empirisch gegebenen Stoff positiver Rechtsordnungen mit ihrer Hilfe zu verarbeiten und in den Begriff eingehen zu lassen. Damit betreten wir dem Anschein nach die Stelle, an der die Geschichte in ihre Rechte einzusetzen ist. Wenn das heutige Eigentum anders ist als das römische, das stark ausgeprägte Eigentum des französischen  Code civil  anders als das unsrige, so scheint es, haben wir den Ursachen nachzugehen, weshalb es hier so und dort anders gekommen ist. Dies würde jedoch voraussetzen, daß wir im Sinne der naturwissenschaftlichen Methode nach allgemeinen Gesetzen der sozialen Entwicklung zu forschen hätten; denn nur soweit sich die Verknüpfung nach der Kategorie von Ursache und Wirkung unter allgemeine Gesetze unterordnen läßt, vermag sie für sich allein schon eine inhaltliche Bereicherung unserer Erkenntnisse zu vermitteln. Gerade weil jedoch soziale Vorgängen geschichtlich, d. h. im letzten Grund auf die schöpferische Tat freier Individuen zurückzuführen sind, wird dieser Weg nicht zum Ziel führen. Die geschichtliche Betrachtung zeigt zunächst nur die zufällige äußere Veranlassung auf, ohne uns ein gegenständliches Verständnis zu eröffnen. So wenig die Entstehung des Rechts einen Einblick in sein Wesen gewährt, so wenig gibt das erste Auftreten eines besonderen Rechtsinstituts Aufschluß über seinen Inhalt und seine Bedeutung. Die heute so beliebten Untersuchungen dieser Art, wie z. B. ob der heutige Wechsel jüdischen oder arabischen Ursprungs ist, bleiben müßige Spielerei, solange nicht ihre Ergebnisse einem allgemeineren Zusammenhang eingeordnet werden, der auf einem anderen als auf geschichtlichem Weg herzustellen ist. Gerade das richtig verstandene Verfahren der Geschichte, das für die übrigen Kulturwissenschaften vorbildlich ist, zeigt vielmehr, daß auch  auf dieser zweiten Stufe  die Geschichte an das Ende, nicht an den Anfang gehört.

Die Rechtswissenschaft pflegt sich Inhalt und Tragweite rechtlicher Bestimmungen dadurch zu veranschaulichen, daß sie den Blick auf ihre Wirkungen richtet und darzustellen versucht, was dem Rechtsunterworfenen durch sie zuteil wird. Sie gelangt auf diesem Weg zu einem System subjektiver Berechtigungen und glaubt damit ein Teilgebiet der Wirklichkeit abgegrenzt zu haben. Gegenstand rechtlicher Ordnung ist jedoch das soziale Leben in seiner Gesamtheit und untrennbaren Einheit. Nur dadurch, daß der Jurist, der Nationalökonom oder Techniker sich umeinander nicht bekümmern, entsteht der täuschende Schein, als ob das soziale Dasein in seiner objektiv gegebenen Wirklichkeit sich in rechtliche, volkswirtschaftliche oder technische Bestandteile auseinander lösen lasse (30). Zur extensiven gesellt sich die intensive Mannigfaltigkeit und Unübersehbarkeit der vom Recht beherrschten sozialen Gebilde. In jedem einzelnen Verkehrsgeschäft des täglichen Lebens tritt uns eine Unzahl komplizierter Relationen entgegen, die sich nicht im Bild festhalten lassen. (31) Vielmehr ist eine umbildende Auswahl zu treffen. Und da es zeitlos gültiges, für alle Zeiten und Völker passendes Recht im Sinne einer naturrechtlichen Denkweise nicht gibt, muß jede Rechtsordnung als historisches Individuum in ihrer Einzigartigkeit und nie wieder kehrenden Besonderheit begriffen werden. Die Rechtswissenschaft hat somit die Arbeitsweise der Geschichte zur Richtschnur zu wählen. Sie hat den Vereinfachungsprozeß in der Weise vorzunehmen, daß ihr das Individuelle und Besondere nicht verloren geht. Dies geschieht wiederum, indem durch eine Beziehung auf Werte das Wesentliche vom Unwesentlichen, das rechtlich Relevante vom rechtlich Bedeutungslose ausgeschieden wird. Das Recht trägt jedoch seinen Wert nicht in sich selbst. Es findet ihn vor in den Bedürfnissen und Interessen; deren Verwirklichung und Schutz ihm obliegt. Auf sie ist zurückzugehen, um rechtliche Satzungen in ihrem wahren Sinn zu verstehen. Da auch sie dem Wechsel unterworfen sind, da spätere Entwicklungsstufen sich auf den früheren aufbauen, glaubte man, die Gegenwart nur aus der Vergangenheit verstehen zu können, während doch gerade der unausgesetzte Wandel der sozialen Lebensforemn den entgegengesetzten Schluß nahelegen sollte. Denn das Verstehen verlangt nach einem festen halt, den ihm die tatsächliche Wirklichkeit in ihrem nie rastenden Fluß nicht gewähren kann. Soll der Zusammenhang von Recht und Wirtschaft in seiner rein sachlichen Eigenart begriffen werden, so müsen beide als in sich selbst ruhende, von zeitlichen Bestimmungen freie Inhalte einander gegenübergestellt werden. Um sich einen Entwicklungsgang gegenständlich zu machen, muß der Historiker gleichsam eine Reihe von Momentbildern aufnehmen. Er muß den geschichtlichen Verlauf in einzelne in Wirklichkeit nicht gegebene Perioden zergliedern und jede von ihnen zuvor systematisch bearbeiten. (32) Zudem will jener Zusammenhang nicht nur verstandesgemäß erkannt, sondern innerlich anempfunden sein, so daß nur derjenige aus der Geschichte Nutzen ziehen wird, der vom Recht der Gegenwart eine lebendige Anschauung gewonnen hat. Daß die Vergangenheit so gut von der Gegenwart aus Licht empfängt, wie umgekehrt das Verständnis der Gegenwart durch die Geschichte vervollständigt wird, ist von methodisch geschulten Historikern wie BERNHEIM und EDUARD MEYER rückhaltlos anerkannt worden (33).

Daher hat sich die Rechtswissenschaft in Erfüllung ihrer wichtigsten praktischen Aufgabe, der Lückenausfüllung, vor falschen, angeblich historischen Methoden, die auch heute noch eine nie versiegende Fehlerquelle bilden, zu hüten. Sie hat vielmehr den Weg einzuschlagen, den ihr GUSTAV HARTMANN vorgezeichnet hat, dem niemand einen Mangel an historischem Verständnis vorwerfen wird, aus den nie ausreichenden positiven Rechtssätzen den inneren Zweck und die Idee des Ganzen zu erschließen, um aus der erkannten Idee die fehlenden Bestimmungen zu ergänzen. "Die Rechtsforschung", warnt HARTMANN, auch hierin LEIBNIZ zum Führer wählend,
    "kann sich bei der äußeren Geschichte der Entstehung formeller Willenssatzungen nicht beruhigen. Anstatt historischer Begründung ist auf die materielle Grundlage einzugehen auf die Darlegung des praktischen Zweckmoments." (34)
So soll der Richter Lücken der geltenden Gesetzgebung nicht kritiklos aus einem früheren oder einem ihm zugrunde liegenden gemeinen Recht ergänzen. Gewiß sollen die Erfahrungen der Vorzeit nicht in den Wind geschlagen werden. Dies will jedoch nicht besagen, daß eine Regel, die früher gegolten hat, aber unter dem unmerklichen Wandel der sozialen Erscheinungen ihre innere Rechtfertigung vielleicht längst eingebüßt hat, unbesehen herübergenommen wird. Ebenso verwerflich ist es, wenn der Richter einem Rechtssatz ohne weiteres den Sinn beilegt, der ihm in seinem geschichtlichen Vorbild vielleicht in einem ganz anderen Zusammenhang zugekommen ist. Noch verbreiteter ist der naheliegende und deshalb, wie es scheint, unausrottbare Trugschluß, daß der Zweck eines Gesetzes mit bewußter Zwecksetzung gleichbedeutend ist. Die Aufgabe richterlicher Tätigkeit ist, so scheint es, die Absichten des Gesetzgebers aufzudecken und das Gesetz in dem Sinne auszulegen, den ihm der Gesetzgeber beilegen wollte. Das heutige, bei Erlaß von Gesetzen übliche Verfahren leistet dieser Auffassung durch die Veröffentlichung von Materialien und Motiven nur allzu willfährig Vorschub. Nicht immer aber tritt der Sinn, der mit einem Gesetzestext zu verbinden ist, als bewußte Absicht in Erscheinung. So gut wie ein und derselbe Rechtssatz verschiedenen Zwecke dienstbar sein kann, vermögen sich die rechtlichen Bestimmungen veränderten Verhältnissen anzuschmiegen, ohne daß es eines Eingreifens des Gesetzgebers bedarf (35). Wenn wir z. B. nach dem Grund fragen, weshalb die kontinentalen Länder das Vermögen der Frau mit der Heirat in die Verwaltung des Mannes übergehen lassen, so führt die genetische Erklärung auf die vormalige eheherrliche Vormundschaft zurück. Sie mag noch für die Gesetzgebungen aus dem Anfang und der Mitte des vorigen Jahrhunderts zutreffen. Mit Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft hat sich jedoch die eheliche Vormundschaft derartig verflüchtigt, daß nur noch spärliche Residuen davon übrig geblieben sind. Scheinbar mit Recht fordern die Anhänger der Frauenemanzipation die Anerkennung des in England und Amerika geltenden Güterrechts, welches der Ehefrau die freie Verfügung über ihr Vermögen beläßt. Jener Satz hat der kontinentalen Länder hat jedoch infolge des Sieges der kapitalistischen Wirtschaftsweise eine neue Stütze erhalten. Denn das Bestehen im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf erfordert gebieterisch die Vereinigung des ehelichen Vermögens in einer hand, soweit es als Unternehmensfonds gewinnbringend eingesetzt werden soll (36). In der Regel pflegt sich auch der Gesetzgeber über solche Zweckwandlungen keine Rechenschaft zu geben, indem er bestehende Institutionen unbesehen herübernimmt. Aber auch wo sie fehlen, lernen wir aus den Absichten des Gesetzgebers nur die äußere Veranlassung kennen, die Gründe, die ihn bewogen haben, dem einen Rechtssatz vor anderen den Vorzug zu geben, nicht aber seine sachlich eigene Bedeutung, die auch dem Gesetzgeber in ihrem vollen Umfang meist verborgen bleibt (37).

Gerade die Methode der Geschichte läßt erkennen, daß das Zweckmoment nicht in einem falschen Sinn geschichtlich, d. h. psychogenetisch, zu begreifen ist, daß die Erklärung aus Zweckzusammenhängen eine andere viel weitergehende Bedeutung gewinnt. Wenn der Historiker die geschichtlichen Ereignisse auf Werte oder Zwecke bezieht, so will das nicht besagen, daß er sie aus bewußten Zweckvorstellungen handelnder Personen ableitet (38). Vielmehr untersucht er von seinem Standpunkt aus, wie sie dazu beigetragen haben, bestimmte, vom Historiker als solche gedachten Ziele zu verwirklichen. Die Gruppierung nach Zwecken gibt ihm das Mittel an die Hand, das Unwesentliche auszuscheiden, den ungesichteten Stoff zu gliedern und einem allgemeinen Zusammenhang einzuordnen. Die geschichtlichen Vorgänge werden zu Teilen und Stadien eines Entwicklungsprozesses,  die sich in der Richtung auf ein gemeinsames Ziel hin gegenseitig bedingen und beeinflussen. (39)

Es ist derselbe Gedanke, auf das juristische Gebiet übertragen, wenn JHERING die Rechtswissenschaft auffordert, der funktionellen Seite des Rechts mehr Beachtung zu schenken (40), oder wenn neuerdings DEGENKOLB (41) eindringlich betont, die einseitige Betrachtung einzelner Vorgänge und Situationen reiche nicht aus, um ein wahres Verständnis der Rechtsverhältnisse zu ermöglichen. "Ihr innerer Zusammenhang ist der funktionelle Zweckzusammenhang ihrer Elemente." Indem wir in den rechtlichen Institutionen die gestaltenden Zwecke aufsuchen, lösen sich die Teile, aus denen sie bestehen, aus ihrer Vereinzelung. Wir lernen sie erkennen, wie sie ineinander greifen und sich gegenseitig bedingen. Und je reicher die rechtlichen Gebilde ausgestaltet sind, desto mehr versagt die übliche atomisierende Betrachtungsweise. So werden wir in die komplizierte Struktur der modernen Unternehmungsformen, wie der Aktiengesellschaft oder Genossenschaft, erst dann einen Einblick gewinnen, wenn uns ihre Morphologie verständlich geworden ist, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie etwa die Haftung für Schulden abhängig ist von der Zahl der Mitglieder, ihrem größeren oder geringeren Einfluß auf die Geschäftsleitung, wie jene wiederum die Freiheit oder Gebundenheit des Gesellschaftsvermögens und die Anpassung an die veränderten Konjunkturen bedingt.

Nur auf diesem Weg gelingt es der dogmatischen Vorarbeit, ihren Stoff so zu formen, daß sie aus den Erfahrungen der Vergangenheit einen Nutzen zu ziehen vermag. Umgekehrt stellt erst die Geschichte den vollen Abschluß dar. Sie erhebt die Erscheinungen des Rechtslebens zu historischen Individuen und die Vorgänge, die sich in ihnen abspielen, zu Stadien eines historischen Prozesses. Wenn JHERING den Vorwurf erhebt, die Rechtswissenschaft habe sich daran gewöhnt, das Recht zu sehr von Seiten seiner anatomischen Struktur zu betrachten, so war es ihm vor allem darum zu tun, die geschichtliche Forschung, so wie er sie vorfand, als ein nach Zeit und Inhalt geordnetes Geschehen, in Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes umzugestalten.

Trotzdem bleibt jene funktionelle Seite des Rechts immer noch über Gebühr vernachlässigt. Am weitesten hat sich von ihr jene Richtung entfernt, unter deren Einwirkungen wir heute noch stehen und die sich die Bezeichnung "historisch" in vorzugsweisem Sinne beilegt. Über die Schranken der Fachwissenschaft nicht hinausblickend und von der Fülle des Stofflichen überwältigt, hat sie es versäumt, über ihr eigenes Tun und die ihr konforme Arbeitsweise ins klare zu kommen. Wenn daher die Rechtswissenschaft in Erfüllung der Aufgaben, die ihr die Gegenwart stellt,  das Verfahren  der Geschichte zur Richtschnur wählt, wenn sie sich bemüht, die Vergangenheit zu bemeistern, statt sich unter ihr Joch zu beugen, so würde ihr Begründer der historischen Rechtsschule nicht zürnen, trägt sie doch zu ihrem Teil dazu bei, das reiche Material, das historischer Sammelfleiß zusammengetragen hat, in nutzbares Kapital umzuwandeln.

LITERATUR Karl Wieland, Die historische und die kritische Methode in der Rechtswissenschaft [Rektoratsrede gehalten am 12. November 1909 an der Universität Basel] Leipzig 1910
    Anmerkungen
    1) ADOLF MERKEL, Über den Begriff der Entwicklung in seiner Anwendung auf Recht und Gesellschaft, Zeitschrift für Privat- und öffentliches Recht, Bd. 3, Seite 625f; von BELOW, in SYBELs hist. Zeitschrift, Bd. 81, Seite 199
    2) IMMANUEL BEKKER, Über den Streit der historischen und philosophischen Rechtsschule, 1886; BERGBOHM, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Seite 66.
    3) JHERING, System des heutigen römischen Rechts I, Seite XIII.
    4) "Romanisten und Germanisten" (1882), Seite 3
    5) Betreffend das Verkehrte der heutigen Unterrichtsmethode vgl. insbesondere STAMMLER, Über die Methode der geschichtlichen Rechtsschule, Festgabe für Windscheid, 1888, Seite 53; siehe auch MITTEIS in der österr. Rundschau I, Seite 131f; schon LEIBNIZ warnt vor einer Unterrichtsmethode, welche die Ordnung des Entstehens zugrunde legt: "Bei etwas mehr Reife und bei befstigtem Urteil lernt sich nachher der Ursprung leicht und geschwind." G. HARTMANN, Leibniz als Jurist und Rechtsphilosoph, Seite 24.
    6) Damit hängt auch die Verachtung legislatorischer Probleme zusammen. Siehe MAX RÜMELIN, Bernhard Windscheid, 1907, Seite 20.
    7) Über den Mangel an philosophischem Interesse siehe STAMMLER, a. a. O., Seite 10; BÜLOW, Heitere und ernste Betrachtungen, 1901, Seite 58; siehe auch BERGBOHM, a. a. O., Seite 3f; MERKEL, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1, Seite 291. Die Rechtsphilosophie erhält die bescheidene Rolle einer "Philosophie des positiven Rechts", d. h. einer allgemeinen Rechtslehre, zugewiesen. BERGBOHM, Seite 25f, Vgl. LASK in der "Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", Bd. II, 1905, Seite 2: "Wer es heute noch wagt, von der Rechtsphilosophie die Ergründung einer obersten Bedeutung des Rechts und seiner Beziehungen zu anderen unbedingten Werten zu verlangen, der verfällt von vornherein dem so schweren Verdacht naturrechtlicher Ketzerei."
    8) Anzeichen hierfür sind u. a. die einseitige Betonung des Willensmoments in der Bewertung von Wille und Erklärung oder die formalistische Behandlungsweise der Lehre vom abstrakten Versprechen. Vgl. RÜMELIN, a. a. O., Seite 32.
    9) BERGBOHM, a. a. O.
    10) FRANKEN, a. a. O., Seite 28f; BERGBOHM, insbes. Seite 93, 115f, 140f, 229, 321, 343f, 366, 439. Vgl. STAMMLER, a. a. O.; HARTMANN, Leibniz, Seite 101f; KOHLER, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts I, 1904, Seite 5. Über den Historismus als Weltanschauung siehe GEORG SIMMEL, Probleme der Geschichtsphilosophie, dritte Auflage, 1907, Vorrede; HEINRICH RICKERT, Geschichtsphilosophie, in "Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", Bd. II, Seite 117f, LASK, a. a. O., Seite 10f; ERNST TROELTSCH, Religionsphilosophie, Bd. I, Seite 141f.
    11) siehe RADBRUCH im Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 22, Seite 357f.
    12) Über Naturrecht im formellen und materiellen Sinne und deren Vermengung bei den Vertretern der historischen Richtung siehe STAMMLER, Wirtschaft und Recht, zweite Auflage 1906, Seite 165f; LASK, a. a. O., Seite 2f.
    13) BERGBOHM, a. a. O., Seite 373f, insbes. 387. Weitere Vertreter der Lehre von der Lückenlosigkeit des Rechts siehe bei ZITELMANN, Die Lücken im Recht, 1903, Anm. 5/I. Betreffend die Unvereinbarkeint des Entwicklungsbegriffs mit der logischen Geschlossenheit siehe ERICH JUNG, "Die logische Geschlossenheit des Rechts", 1900, Festgabe der Gießener Juristenfakultät für Heinrich Dernburg, Seite 154. Die Bezeichnung "Historische Methode" deutet somit auf zwei einander widersprechende Verfahrensweisen hin, auf der einen Seite die ausschließlich historische Begründung der Gewordenen, die bei den Anfängen zu beginnen hat, andererseits die rein systematische Entfaltung jedes positiven Rechts als eines in sich abgeschlossenen Ganzen aus gegebenen Obersätzen. Über erstere vgl. OTTO GIERKE, Die historische Rechtsschule und die Germanisten, 1903, Seite 7: "Als selbstverständlich gilt uns, daß das wissenschaftliche Verständnis jedes Rechts  nur  aus seiner Geschichte erschlossen werden kann."
    14) Siehe KAUFMANN, Die Geschichte der deutschen Universitäten I, Seite 20, Anm. 2. Vgl. auch RADBRUCH, a. a. O., Seite 366: "Mit der scholastischen herrschenden Ansicht, die durch lediglich intellektuelle unschöpferische Operationen aus dem unklaren, widerspruchsvollen, lückenhaften, das vollkommene Rechtssystem hervorgehen läßt, steht die Rechtswissenschaft heute allein. Früher durfte sie sich der Gesellschaft der protestantischen Theologie rühmen."
    15) NIETZSCHE, Unzeitgemäße Betrachtungen, Leipzig 1904, Seite 118
    16) Die Klagen über die Rückständigkeit und Unpopularität der Rechtswissenschaft sowie über den Mangel einer zielbewußten Methode ertönen aus den verschiedensten Lagern. Siehe BEKKER, a. a. O., Seite 18; STAMMLER, Methode, Seite 59; BERGBOHM, Seite 7f; ZITELMANN, Die Gefahren des bürgerlichen Gesetzbuchs, 1890, Seite 26; BÜLOW a. a. O., Seite 59; ANTON MENGER, Über die sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft, 1905; ERNST FUCHS, Die Gemeinschädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz, 1909; JELLINEK, Das Recht des modernen Staates, zweite Auflage 1905, Seite 24f; MANIGK, Willenserklärung und Willensgeschäft, 1907, Seite 8f; BRODMANN, Dogm. Jahrb. 55, Seite 277f.
    17) a. a. O., Seite 61f
    18) a. a. O., Seite 126
    19) KANTOROWICZ, Probleme der Strafrechtsvergleichung, i. Monatsschrift krim. Psych, Bd. 4, Seite 104; "Der neue Plan für das juristische Studium in Preußen", von IGNOTUS, 1902, Seite 9. Vgl. auch von MÖLLER, Die Trennung der deutschen und der römischen Rechtsgeschichte, 1905, und die Übersicht über die zur Zeit vorherrschenden Richtungen bei O. FISCHER, Ziele und Methode des rechtsgeschichtlichen Unterrichts, Dogm. Jahrb. 54, Seite 303f.
    20) "Geschichte und Naturwissenschaft", Seite 20. Siehe auch die herzigenswerte Rede GUSTAV RÜMELINs des Älteren "Über die Arbeitsteilung in der Wissenschaft"m 1877, Reden und Aufsätze, Neue Folge, Seite 89f.
    21) RADBRUCH, a. a. O., Seite 358
    22) SAVIGNY, System I, Seite IX
    23) siehe Anm. 13 am Ende; SIMMEL, a. a. O., Seite III; STAMMLER in "Kultur der Gegenwart II/VIII, Seite 500f.
    24) WINDELBAND, Geschichte und Naturwissenschaft, 1894; Über die gegenwärtige Lage und Aufgabe der Philosophie, Präludien, dritte Auflage 1907, Seite 13f; HEINRICH RICKERT, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1902; Geschichtsphilosophie, Seite 51f. LASK, a. a. O., Seite 3f; SIMMEL, a. a. O.; Kant, 1905, Seite 24f; MAX WEBER, Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik, Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. 22, Seite 143f; MEDICUS, Kant und Ranke, Kantstudien Nr. 8, Seite 129f; BAENSCH, Über historische Kausalität, Kantstudien Nr. 13, Seite 18f; JELLINEK, a. a. O., Seite 24f, 41f; STAFFEL, Dogm. Jahrb. 50, Seite 316f.
    25) RICKERT, Grenzen, Seite 357f, 389f, 571f; Geschichtsphilosophie, Seite 83; MAX WEBER, a. a. O., Seite 171f; SIMMEL, Probleme, Seite 28; TRÖLTSCH, a. a. O., Seite 142f.
    26) a. a. O., Seite 6f; derselbe, Soziologie, 1908, Seite 27f.
    27) System der subjektiven öffentlichen Rechte, zweite Auflage; 1905; Seite 12f; SIGWART, Logik II, (dritte Auflage 1904), § 66, 72, 78; WINDELBAND, Vom System der Kategorien, Sigwarts Festschrift, Seite 43f; SIMMEL a. a. O., Seite 88f; HÖLDER, Über natürliche und juristische Personen, 1906, Seite 42f, 55f; STAMMLER, Unbestimmtheit des Rechtssubjekts, 1907, Seite 35f. Beruth die Verbandseinheit im letzten Grund auf gemeinsamer Zweckverfolgung, so können beliebig geartete Personenverbindungen mit demselben Recht sowohl unter Relationsbegriffe (Gemeinschaft, Gesellschaft), wie auch unter Substanzbegriffe (Korporation, Gesamtperson) subsumiert werden, ohne daß nach objektiven Kriterien zu fragen ist und mehr als bloße Zweckmäßigkeitserwägungen für die Wahl einer dieser beiden Denkformen den Ausschlag geben. Siehe SIGWART § 78, Nr. 13. Andererseits geht BINDER (Das Problem der juristischen Persönlichkeit, 1907, § 6 und 7) zu weit, wenn er die "Korporation" schlechthin mit der "Gesamthand" identifiziert. Subjektive Rechte d. h. Beziehungen, setzen einen Beziehungspunkt voraus. Somit kann das Rechtssubjekt nicht selbst wiederum als Relation, sondern nur als "Ding" gedacht werden, dem aber nur "im erkenntnistheoretischen, nicht in einem metaphysischen Sinn Realität zukommt". Siehe SIMMEL a. a. O. Doch kommt BINDER das Verdienst zu nachdrücklich betont zu haben, daß die angeblichen Unterscheidungsmerkmale wie beschränkte Haftung, Organstellung, Deliktsfähigkeit usw. auf praktische gesetzgeberische Motive zurückführen und nicht im Sinne der herrschenden Lehre nach scholastische Manier einem gerade mit Rücksicht auf jene Merkmale gewählten Oberbegriff zu entnehmen sind. Siehe BINDER a. a. O., Seite 166f. Siehe übrigens auch GUSTAV RÜMELIN, Methodisches über juristische Personen, 1891, Seite 3; Zweckvermögen und Genossenschaft, 1892, Seite 47f; LEONHARD, Der allgemeine Teil des BGB, 1900, Seite 101. Auch darf man sich nicht durch das beliebte Argument täuschen lassen, daß der Gesetzgeber juristische Persönlichkeit verleiht, die Wissenschaft somit an dessen Machtwort gebunden ist. Mit begrifflichen Formulierungs- und Subsumptionsfragen - und um etwas anderes handelt es sich z. B. bei der Frage, ob die Aktiengesellschaft Gesellschaft oder juristische Person ist, nicht -, hat bekanntlich der Gesetzgeber nichts zu tun. Siehe neuerdings treffend MANIGK, Seite 10f. Wenn der Gesetzgeber einem Verband Rechtsfähigkeit beilegt, so will er damit nur die Rechtssätze auf ihn zur Anwendung bringen, die  er  mit dem Begriff der Persönlichkeit verbindet und ohne daß wir an seine Vorstellung gebunden wären. Siehe RÜMELIN, Methodisches, Seite 71.
    28) STAMMLER, Kultur der Gegenwart, Seite 1f, 497f, Unbestimmtheit des Rechtssubjekts, Seite 21f; LASK a. a. O., Seite 27f. Siehe auch TROELTSCH, a. a. O., Seite 142: "Es ist unmöglich, Religionsgeschichte zu treiben, ohne eine klare Vorstellung von dem zu besitzen, was Religion wirklich ist; das aber kann man nicht sagen, ohne in psychologische, erkenntnistheoretische ... Forschungen einzutreten." Für den juristischen Dogmatismus sind die Begriffe auf der einen Seite Urquell alles positiven Rechts, dessen Lückenlosigkeit und Harmonie verbürgende. Andererseits sind sie nur Abstraktionen aus Rechtssätzen und werden sie auf rein emprischem Weg gewonnen; a priori aufgestellte Kategorien bestehen nur für den, der "in natur- oder vernunftrechtlicher Doktrin verstrickt ist". BERGBOHM, Seite 64f. BERGBOHM selbst gibt jedoch (Seite 79 Anm.) zu, "durchaus nicht dem vitiosen Zirkelschluß zu entschlüpen", wonach der zu abstrahierende Begriff bereits an die Dinge herangebracht wird. Betreffend die Frage, ob sich a priori bestimmte Richtlinien eines  künftigen seinsollenden  Rechts aufstellen lassen, siehe einerseits STAMMLER, die Lehre vom richtigen Recht, 1902, andererseits STAFFEL a. a. O., JUNG, Positives Recht, 1907, Seite 16, Anm. 1. In diesem Zusammenhang kommt es nur auf die Kategorien des "technisch geformten" Rechts an.
    29) Schweizer Zivilgesetzbuch, Artikel 699.
    30) siehe BRODMANN, Vom Wesen und Begriff des Rechts, Dogm. Jahrb. 55, Seite 307f
    31) siehe JELLINEK, Recht des modernen Staates, Seite 30
    32) siehe insbesondere SIMMEL, Probleme, Seite 28, Anm. 1
    33) BERHNHEIM, Lehrbuch der historischen Methode, dritte Auflage 1903, Seite 11; EDUARD MEYER, Zur Theorie und Methodik der Geschichte, 1902, Seite 40f. Siehe auch MITTEIS, a. a. O., Seite 132.
    34) siehe LEIBNIZ; Seite 25, 81; Der Gedanke des Zwecks, akademische Antrittsrede, 1877, Seite 34
    35) siehe hierüber treffend JELLINEK, a. a. O., Seite 43f; KOHLER a. a. O., § 38.
    36) siehe meine Abhandlung in Zeitschr. f. schweiz. Recht, n. F. 18, Seite 326f. Gegen die Ableitung aus der ehelichen Munt, siehe auch DERNBURG, Bürgerliches Recht IV, 2. Auflage, 1903, Seite 123.
    37) GUSTAV HARTMANN, Gedanke des Zwecks, Seite 29; DEGENKOLB, Gustav Hartmann, ziv. Arch. 81, Seite IX.
    38) siehe insbesondere RICKERT, Grenzen, Seite 375f; MEDICUS, a. a. O., Seite 171f.
    39) RICKERT, a. a. O. Seite 392f, 437f.
    40) JHERING, Geist des römischen Rechts, § 4.
    41) Ziv. Arch. 103, Seite 395f