Die Grenzen Gegenstand der Erkenntnis Definition | |||
Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft [3/7] VI. DIE NATURWISSENSCHAFTLICHE METHODE Für die herkömmliche Ansicht besteht nun das Wesen aller wissenschaftlichen Begriffsbildung oder Darstellung in erster Linie darin, daß man die Bildung allgemeiner Begriffe anstrebt, unter welche die verschiedenen Einzelgestaltungen sich als "Exemplare" unterordnen lassen. Das Wesentliche in den Dingen und Vorgängen ist dann das, was sie mit den unter denselben Begriff fallenden Objekten gemeinsam haben und alles rein Individuelle geht als "unwesentlich" nicht mit in die Wissenschaft ein. Schon die vorwissenschaftlichen Wortbedeutungen, mit denen wir arbeiten, sind ja, von Eigennamen abgesehen, alle mehr oder weniger allgemein und die Wissenschaft kann gewissermaßen als eine Art Fortsetzung und bewußte Ausbildung eines ohne unser Zutun begonnenen Begreifens der Wirklichkeit angesehen werden. Die Begriffe werden dann entweder durch Vergleichung empirisch gegebener Objekte gewonnen oder sie können auch eine so umfassende Allgemeinheit erreichen, daß sie weit über das unmittelbar Erfahrbare hinausgehen. Wie das möglich ist, kümmert uns hier nicht. Es genügt zu sagen, daß in diesem Fall der Begriffsinhalt aus sogenannten Gesetzen besteht, d. h. unbedingt allgemeinen Urteilen über mehr oder minder umfassende Gebiete der Wirklichkeit, die niemand in ihrer Totalität beobachtet hat. Die Begriffe sind also zwar bald von größerer, bald von geringerer Allgemeinheit, stehen daher auch dem Besonderen und Individuellen mehr oder weniger fern und können ihm bisweilen so nahe kommen, daß nur ein kleiner Kreis von Objekten unter sie fällt, aber allgemein in dem Sinne, daß sie alles, was eine Wirklichkeit zu dieser einen einmaligen und besonderen Wirklichkeit macht, fortlassen, sind sie immer. Die Wissenschaft steht dann nicht nur durch ihre Begrifflichkeit zur Anschaulichkeit, sondern auch durch ihre Allgemeinheit zur Individualität der Wirklichkeit in Kontrast. Schon in der aristotelischen Logik, von der fast alle Untersuchungen in diesem Punkt bis auf den heutigen Tag abhängig sind, wird die wissenschaftliche Begriffsbildung in der angegebenen Weise und zwar nur so aufgefaßt und so sehr sich auch der moderne Gesetzesbegriff vom antiken Gattungsbegriff unterscheiden mag, so scheint doch dies heute wie früher zu gelten: es gibt keine Wissenschaft vom Einmaligen und Besonderen, die es mit Rücksicht auf seine Einmaligkeit und Besonderheit darstellt. Es gilt vielmehr, alle Objekte allgemeinen Begriffen, womöglich Gesetzesbegriffen, unterzuordnen. Ist durch diese Art der Begriffsbildung wirklich der formale Charakter aller Wissenschaft bestimmt? Die Frage müßte bejaht werden, wenn man unter Begriff nur die "Elemente" verstehen wollte, aus denen die Wissenschaft ihre Begriffe bildet und wenn man ferner annähme, daß sich aus allgemeinen Elementen nur allgemeine Begriffe bilden lassen. Die letzten Elemente der wissenschaftlichen Begriffe sind nämlich unter allen Umständen allgemein und einen Begriff kann man schon deswegen nur aus allgemeinen Elementen bilden, weil die Worte, deren sich die Wissenschaft bedient, um allen verständlich zu sein, allgemeine Bedeutungen haben müssen. In Bezug auf die Begriffselemente können also keine formalen Unterschiede in den Methoden der Wissenschaft bestehen. Die Frage darf vielmehr nur lauten, ob auch die wissenschaftlichen Begriffe, welche aus diesen allgemeinen Elementen gebildet werden, stets allgemein sind und solange wir nur die naturwissenschaftliche Methode in Betracht ziehen, ist auch diese Frage zu bejahen. Nur müssen wir das Wort "Natur" dann im Kantischen, also formalen oder logischen Sinne nehmen und nicht auf die Körperwelt beschränken. Die Natur erkennen heißt unter dieser Voraussetzung in der Tat, aus allgemeinen Elementen allgemeine Begriffe bilden und, wenn möglich, unbedingt allgemeine Urteile über die Wirklichkeit fällen, d. h. Begriffe von Naturgesetzen entdecken, deren logisches Wesen es einschließt, daß sie nichts von dem enthalten, was sich nur an diesem oder jenem einmaligen und individuellen Vorgang findet. Höchstens dann könnte man bestreiten, daß die Naturwissenschaft so verfährt, wenn man den Begriff des Allgemeinen zu eng faßt oder nur an eine besondere Art der Verallgemeinerung denkt. Weil das geschehen ist und dadurch die sonderbarsten Mißverständnisse der hier entwickelten Gedanken entstanden sind, will ich auf die "Allgemeinheit" der naturwissenschaftlichen Begriffe noch mit ein paar Worten eingehen. Wir nennen jeden Begriff allgemein, in dem nichts von der Besonderheit und Individualität dieser oder jener bestimmten einmaligen Wirklichkeit enthalten ist und wir berücksichtigen dabei nicht die Unterschiede in den Prozessen, durch welche allgemeine Begriffe zustande kommen. Ebensowenig fragen wir danach, ob wir es mit Begriffen von Relationen oder von Dingen zu tun haben, so wichtig diese Unterschiede für die Logik auch sonst sein mögen. Wir müssen hier einen ganz allgemeinen Begriff vom allgemeinen Begriff zugrunde legen, weil es nur darauf ankommt, das aller Naturwissenschaft Gemeinsame zum Bewußtsein zu bringen. Man darf also nicht etwa nur an die Begriffsbildung denken, die als "vergleichende Abstraktion" das einer gegebenen Mehrheit von Exemplaren Gemeinsame zusammenfaßt. Diese klassifikatorische Form ist in der Tat nur auf einen Teil der Naturwissenschaften beschränkt, wie zu bestreiten niemand einfallen kann. Es gibt noch andere Arten, zu allgemeinen Begriffen zu kommen. So ist z. B. die Naturwissenschaft durch das Experiment in der Lage an einem einzigen Objekt den Begriff, ja eventuell das Gesetz zu finden, das sie sucht und man kann diese Abstraktion als "isolierende" von der vergleichenden scheiden. Doch würde auch sie ihr Ziel vollkommen verfehlt zu haben glauben, wenn der an dem einen Objekt gebildete Begriff nur für dieses eine Objekt gültig wäre und deswegen kommen diese Unterschiede hier nicht in Betracht. Der Begriff oder das Gesetz soll stets für eine beliebig große Anzahl von Objekten gelten, also durchaus allgemein sein. Selbstverständlich schließt ferner die verallgemeinernde naturwissenschaftliche Erkenntnis eines Objekts keine noch so weitgehende Versenkung in die Einzelheiten und das Detail aus. Denkt man nur an die Zusammenfassung des Gemeinsamen aus einer Mehrheit gegebener Wirklichkeiten, so könnte der Schein erweckt werden, als nähme die Naturwissenschaft, die das Individuelle wegläßt, in ihre Begriffe weniger von den Dingen auf, als wir bereits von ihnen wissen oder als bedeute das Verallgemeinern geradezu eine "Flucht vor der Wirklichkeit". So ist der Satz, daß die Wissenschaft die Wirklichkeit zu vereinfachen habe, nicht zu verstehen. Jede Wissenschaft sucht vielmehr in die Wirklichkeit tiefer einzudringen und mehr von ihr zum ausdrücklichen Bewußtsein zu bringen, als bereits bekannt ist. Das sollte man nicht ausdrücklich zu sagen brauchen. Die Verallgemeinerung darf daher auch nicht zur "Analyse" in einen Gegensatz gebracht werden. Nur das ist gemeint, daß keine noch so eingehende Analyse die inhaltliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen zu erschöpfen vermag und daß die Naturwissenschaft außerdem in der abschließenden Darstellung der Ergebnisse ihrer Analyse all das unberücksichtigt läßt, was sich allein an diesem oder jenem besonderen Objekt findet, daß sie also auch auf dem Weg der Analyse eines einzelnen Falles stets zu allgemeinen Begriffen kommt. (1) Gewiß braucht sich ferner die Naturwissenschaft nicht mit einem allgemeinen Begriff zu begnügen, um ihr Objekt zu erkennen. Sie wendet sich oft auch dem für den einen Begriff unwesentlichen "Rest" zu, um ihn unter neue Begriffe zu bringen und wenn das geschehen ist, kann sie wiederum das Bedürfnis haben, den bei der zweiten Analyse verbleibenden Rest einer dritten Untersuchung zu unterwerfen. Unter formalen Gesichtspunkten läßt sich nicht angeben, wie weit sie in die inhaltliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen eindringen muß, um die Begriffsbildung zu Ende zu führen, denn das hängt von den verschiedenen Zielen und Zwecken ab, welche sich die verschiedenen Teildisziplinen setzen. Aber mag mit Hilfe noch so vieler Begriffe die Analyse noch so weit getrieben und mögen noch so viele, bisher unbekannte Einzelheiten der Wirklichkeit zutage gefördert werden, so kann die Naturwissenschaft hierbei erstens niemals alle Eigentümlichkeiten der untersuchten Objekte begrifflich darstellen, weil deren Menge in jedem heterogenen Kontinuum unerschöpftlich ist und zweitens wird sie selbst bei der detailliertesten Kenntnis durch eine noch so große Fülle von Begriffsbildungen stets das nur einem einzigen Objekt Anhaftende als unwesentlich betrachten, so daß daher auch die Kombination sämtlicher an individuellen Wirklichkeiten gebildeter naturwissenschaftlicher Begriffe niemals die Besonderheit und Individualität auch nur eines einzigen realen Objektes wiederzugeben vermag. Wer das Gegenteil glaubt, muß mit PLATON das Allgemeine für das Wirkliche halten und im Besonderen und Individuellen nur einen Komplex von Allgemeinheiten erblicken. Dieser "Begriffsrealismus" gilt aber heute für überwunden. Das Wirkliche haben wir im Besonderen und Individuellen und niemals läßt es sich aus allgemeinen Elementen aufbauen. So entsteht zwischen dem Inhalt der Begriffe und dem der Wirklichkeit eine Kluft, die so groß ist wie die Kluft zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen und die sich nicht überbrücken läßt. Daß wir trotzdem die Ergebnisse der Naturwissenschaft auf die Wirklichkeit anwenden, d. h. uns mit ihrer Hilfe in unserer Umgebung zu orientieren, sie zu berechnen, ja durch die Technik zu beherrschen imstande sind, darf nicht wundernehmen oder gar als Einwand gegen unsere Ansicht gelten. (2) Diese Anwendung erstreckt sich niemals auf das Individuelle und Besondere selbst. Nur das Allgemeine am Wirklichen können wir vorhersagen und gerade dadurch vermögen wir uns in ihm zurechtzufinden. Wäre die Welt nicht generalisierend vereinfacht, so würde ihre Berechnung und Beherrschung nie gelingen. Die unübersehbare Mannigfaltigkeit des Individuellen und Besonderen verwirrt uns, solange sie nicht durch die generalisierende Begriffsbildung überwunden ist. Mit einem Begriff von individuellem Inhalt kämen wir niemals über diese eine Stelle hinaus zu anderen Orten und zu anderen Zeiten. Also gerade die Allgemeinheit des naturwissenschaftlichen Begriffes und die Kluft zwischen ihm und dem einmaligen Wirklichen, worin wir sein theoretisches Wesen gefunden haben, ist die notwendige Vorbedingung auch für seine praktische Verwendung. Beruft sich doch der "Pragmatismus" ebenfalls auf die begriffliche Vereinfachung, um zu zeigen, daß das wissenschaftliche Denken nur im Dienste praktischer Interessen steht. So verkehrt der Utilitarismus, der hierin steckt, auch sein mag, und so wenig die theoretische "Macht" des Begriffs über das Wirkliche pragmatistisch verstanden werden darf, so bleibt es doch richtig, daß, falls der Inhalt des Begriffs mit dem Individuellen übereinstimmte, wir ihn weder zum Aufbau naturwissenschaftlicher Theorien noch im praktischen Leben gebrauchen könnten. Übersehen kann man die Kluft zwischen der Naturwissenschaft und dem Wirklichen nur, wenn man nicht auf dessen Individualität achtet. Wer einmal versucht, naturwissenschaftliche Begriffe auf das Individuelle selbst anzuwenden, muß bald auf eine Grenze stoßen, die unüberwindlich ist. Gewiß stellt der Arzt aufgrund naturwissenschaftlicher Kenntnisse die Diagnose und dient dadurch eventuell seinem individuellen Patienten. Er kann den besonderen "Fall" dem allgemeinen Krankheitsbegriff unterordnen und infolgedessen das tun, wovon er weiß, daß es im Allgemeinen zu helfen pflegt. Er braucht also notwendig die Generalisation. Gerade dem klugen Arzt aber ist es andererseits nur zu wohl bekannt, daß es in Wirklichkeit keine "Krankheiten", sondern lediglich kranke Individuen gibt und daß er bei seiner Tätigkeit daher oft allein mit dem, was in naturwissenschaftlichen Büchern steht, nicht auskommt. Er muß auch zu individualisieren verstehen und das kann die Naturwissenschaft ihn nie lehren. Kurz, es zeigt sowohl die Möglichkeit einer Anwendung der naturwissenschaftlichen Begriffe auf das wirkliche Leben als auch die Grenze, die ihrer Verwertung gesteckt ist, von neuem die Eigenart der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung als eines generalisierenden Verfahrens. Die Naturwissenschaft bringt, um einen glücklichen Vergleich von BERGSON zu gebrauchen, nur Konfektionskleider zustande, die PAUL ebensogut wie PETER passen, weil sie die Gestalt keines von beiden nachzeichnen. Wollte sie "nach Maß" arbeiten, so müßte sie für jeden Gegenstand, den sie studiert, eine neue Arbeit liefern. Das aber widerstreitet ihrem Wesen als Naturwissenschaft. Sie bleibt beim Individuellen nur so lange, bis sie an ihm das Allgemeine gefunden hat, dem es sich unterordnen läßt. Insofern muß man sagen, daß die Wirklichkeit in ihrer Besonderheit und Individualität die Grenze für jede naturwissenschaftliche Begriffsbildung ist. Auch der Umstand, daß es bisweilen nur ein einziges Exemplar faktisch gibt, an dem die Naturwissenschaft ihre Begriffe bilden kann, darf uns nicht darüber täuschen, daß diese Begriffe, mit einer einzigen sogleich erwähnenden Ausnahme, nicht den Sinn haben können, nur für dieses eine Exemplar zu gelten. In diesen Fällen ist es nämlich mit Rücksicht auf die logische Struktur des naturwissenschaftlichen Begriffes sozusagen "zufällig", daß sein empirischer Umfang nur aus einem Exemplar besteht, denn der Begriffsinhalt bleibt trotzdem auf beliebig viele Exemplare anwendbar, ist also ein allgemeiner Gattungsbegriff. Zu den Zeiten z. B., als man vom "Urvogel" nur eine Feder kannte, war diese doch in erster Linie für die Aufstellung einer Gattung bedeutsam, ebenso wie heute, seitdem man zwei Exemplare dieser Gattung gefunden hat. Also der Begriff "Archäopteryx" war schon logisch allgemein, als sein empirischer Umfang noch nicht einmal aus einem ganzen Exemplar bestand. Aus allen diesen Gründen können wir die naturwissenschaftliche Methode generalisierend nennen, um damit den formalen Begriff der Natur hervortreten zu lassen. Naturerkenntnis generalisiert. Darin besteht ihr logisches Wesen. Eine Ausnahme bilden allerdings die einzelnen Weltkörper in einigen Teilen der Astronomie; doch würde eine genauere Untersuchung zeigen, daß auch diese Ausnahme die allgemeine Regel nicht aufheben kann, weil die Rolle, die hier das Einmalige als solches in einer Gesetzeswissenschaft spielt, durch ganz besondere Umstände bedingt und auf scharf abzugrenzenden Gebiete beschränkt ist. Hier wird, wie in der Physik, wieder die Mathematik wesentlich und davon wollen wir später sprechen. Sehen wir vorläufig von diesen Fällen ab, so ergibt sich ferner auch, wie infolge dieser Art von Begriffsbildung die Gesamtheit der im logischen Sinne naturwissenschaftlichen oder generalisierende Disziplinen sich gliedern und zu einem einheitlichen Ganzen mit gemeinsamen Zielen zusammenfassen läßt, zu dessen Realisierung jede besondere Wissenschaft auf ihrem Gebiet beiträgt. Die Wirklichkeit zerfällt für die generalisierenden Wissenschaften zunächst in zwei Arten von Realitäten, in solche, die einen Raum erfüllen (wobei das Wort "erfüllen" zu betonen ist, denn bloß ausgedehnte "Körper" sind nicht wirklich) und solche, die dies nicht tun (wenn sie auch deswegen durchaus nicht überhaupt "unräumlich" zu denken sind) und die generalisierenden Spezialforschungen halten, falls wir von materialistischen Velleitäten [Willensbekundungen - wp] absehen, an der Trennung in physisches und psychisches Sein streng fest. Sie müssen es im Interesse ihrer Begriffsbildung tun, wenn auch diese Scheidung des Ausgedehnten und des nicht Ausgedehnten in gewisser Hinsicht selbst erst das Produkt einer begrifflichen und zwar generalisierenden Abstraktion ist. (3) Sie können die zwei Arten von Objekten, deren Begriffe einander ausschließen, nicht in einem einheitlichen Begriffssystem unterbringen, sondern nur versuchen, die eine Reihe der anderen eindeutig zuzuordnen, nachdem jede für sich generalisierend begriffen ist. Es gibt demnach für die generalisierenden Wissenschaften zwei getrennte Gebiete der Untersuchung und dementsprechend müssen auch zwei Systeme von generalisierenden Einzelwissenschaften aufgestellt werden, von denen die einen körperlich, die anderen seelische Wirklichkeiten behandeln. In ihrer logischen, also formalen Struktur aber gleichen die beiden Systeme einander durchaus und jede Spezialuntersuchung körperlicher oder seelischer Vorgänge findet in ihnen ihren Platz. Denken wir nämlich die Systeme vollendet, so gibt es in den Körperwissenschaften ebenso wie in der Psychologie je eine Theorie, die das enthält, was allen Körpern oder allen Seelen gemeinsam ist, die also mit den denkbar allgemeinsten Begriffen arbeitet und es lassen sich dann die Wissenschaften gliedern, je nachdem ihre letzten Begriffe mehr oder weniger umfassend und allgemein sind. Innerhalb der betreffenden Gebiete ist je ein System von Begriffen und Gesetzen zu gewinnen, das nur für dieses relativ Besondere gilt und zu dessen Bildung dann die bis in das feinste Detail eindringenden Beobachtungen anzustellen sind. Aber überall wird auch hier eine Auswahl des Wesentlichen mit Rücksicht auf einen im Vergleich zum rein Individuellen immer noch allgemeinen Begriff vorgenommen. Alle diese relativ besonderen Begriffsbildungen schließen sich ähnlich wie die bekannte Begriffspyramide zu einem einheitlichen Ganzen zusammen, denn die pyramidenartige logische Struktur ist unabhängig davon, ob es Gattungs- oder Gesetzesbegriffe, Ding- oder Relationsbegriffe sind und die allgemeinste Theorie bestimmt in jedem System auch die Spezialarbeit insofern, als eine Einordnung des weniger Allgemeinen unter das Allgemeinste im Prinzip nicht ausgeschlossen sein darf. Deshalb widerspricht es z. B. dem Sinn jeder generalisierenden Wissenschaft, ein prinzipiell nicht gesetzmäßiges Geschehen anzunehmen und für die Körperwissenschaften haben sogar nur Begriffsbildungen Wert, die mit einer mechanischen Auffassung nicht prinzipiell unvereinbar sind, weshalb "vitalistische" Theorien keine Problemlösungen, sondern nur Problemverdunkelungen geben können, obwohl die Biologie ohne relativ besondere Begriffe vom "Leben" nicht auskommt. (4) Die Psychologie hat es bisher nicht zu einer allgemein anerkannten Theorie vom Seelenleben gebracht und steht aus diesem Grund hinter den Körperwissenschaften mit Rücksicht auf eine systematische Durchbildung noch weit zurück. Doch ist der Unterschied nicht prinzipiell, sondern nur graduell und wie sie sich im einzelnen auch logisch von den Körperwissenschaften unterscheiden mag, so verwendet sie doch jedenfalls eine generalisierende, also im logischen Sinne naturwissenschaftliche Methode, solange sie das Psychische als nur Psychisches erforscht, sich also auf zeitlich ablaufende, sinnlich-empirische Realitäten beschränkt. Selbstverständlich soll hiermit nicht einer unkritischen Übertragung des in den Körperwissenschaften erprobten Verfahrens auf die Psychologie das Wort geredet werden. Im einzelnen hat jede wissenschaftliche Untersuchungsmethode sich nach den inhaltlichen Eigentümlichkeiten ihrer Objekte zu richten. Hier kommt es nur darauf an, ob diese Eigenarten eine derartige logische Bedeutung haben, daß sie eine generalisierende Begriffsbildung der Art, wie die Naturwissenschaften sie vollziehen, ausschließen und das dürfte aus dem Wesen des für sich betrachteten seelischen Lebens nicht zu folgern sein, wie ich an einem besonderen Punkt noch zeigen möchte. Man hat oft auf den einheitlichen Zusammenhang hingewiesen, der das erlebte psychische Sein zum Unterschied von der Körperwelt charakterisiert und daraus Schlüsse auch auf die Methode seiner Darstellung gezogen. An der Tatsache einer solchen "Einheit" ist nicht zu zweifeln. Aber man wird doch genau angeben müssen, worin diese Einheit besteht und dann, falls sie wirklich der naturwissenschaftlichen Methode einen Widerstand entgegensetzt, prüfen, ob dieser Widerstand auch dem Wesen des psychischen Seins entstammt oder nicht aus ganz anderen Faktoren herzuleiten ist, die entweder überhaupt nicht in eine empirische Wissenschaft gehören oder sich lediglich aus der Eigenart des seelischen Kultur lebens begreifen lassen, das nicht nur seelisch, sondern zugleich sinnvoll ist und daher in seiner "Einheit" belassen werden muß, wenn man den daran haftenden Sinn nicht seines realen "Trägers" berauben will. Man kann ferner auch von einer Einheit des "Bewußtseins" reden und sie der Vielheit der physischen Wirklichkeit entgegensetzen. Handelt es sich jedoch dabei um den erkenntnistheoretischen Begriff, so schließt die bloß formale Einheit die psychische Mannigfaltigkeit nicht in prinzipiell anderer Weise zusammen als die physische und diese Form kommt für die Methode der Psychologie daher gar nicht in Betracht. Weil die psychologische Begriffsbildung sich ausschließlich auf den Inhalt der psychischen Wirklichkeiten bezieht, so kann die logische Einheit des Bewußtseins nie zu ihrem Objekt werden. Ja, mit dieser Form wird sich keine empirische Wissenschaft beschäftigen, weil sie zu den logischen Voraussetzungen jeder Empirie gehört. Doch ist dies in der Tat nicht die einzige "Einheit", die das Seelenleben zeigt. Man kann noch auf einen anderen "Zusammenhang" hinweisen, der es unmöglich macht, die psychischen Elemente in der Weise begrifflich zu isolieren wie die physischen, der eine Atomisierung des seelischen Seins ausschließt und der daher prinzipiell wichtige logische Eigentümlichkeiten der Begriffsbildung bedingt. Doch auch dies ist noch nicht eindeutig. Die Einheit dieses Zusammenhangs kann nämlich entweder darauf beruhen, daß es nicht möglich ist, das Seelenleben ohne jede Rücksicht auf den Körper zu erforschen, zu dem es gehört und daß dabei dieser Körper als Organismus in Betracht kommt, der seine Einheit auf das mit ihm verknüpfte psychische Sein überträgt. Oder die Einheit kommt daher, daß der Mensch Werte setzt und daß sich mit Rücksicht auf diese Werte sein Seelenleben ebenfalls zu einer Einheit zusammenschließt. Diese beiden Arten des "Zusammenhangs" im Psychischen muß man sorgfältig auseinanderhalten, selbst wenn man annehmen sollte, daß die Auffassung eines Körpers als Organismus nur durch Rückübertragung entsteht. Im ersten Fall der organischen Einheit, in dem Werte keine Rolle spielen, bildet diese Einheit, mag sie nun vom Körper auf das Seelenleben übertragen sein oder im letzten Grund aus dem Seelenleben selbst stammen, zweifellos ein wichtiges Problem der Methodenlehre der Psychologie, das vielleicht noch zu wenig beachtet worden ist und dessen Lösung in der Tat den Gedanken einer "Mechanik" oder Atomisierung des Seelenlebns in derselben Weise ausschließen könnte wie den einer reinen Mechanik der Organismen. Diese lassen sich nie als bloße Mechanismen begreifen, denn sie würden damit aufhören, "Organismen" zu sein und die Biologie wird daher stets besondere Prinzipien der Begriffsbildung zeigen, die sich nicht restlos auf die der rein physikalischen Betrachtung zurückführen lassen. (4) Dementsprechend könnte man dann sagen, daß eine der rein mechanischen Theorie analoge Auffassung vom Seelenleben unmöglich ist und daß daher jeder psychische Vorgang nur im Zusammenhang mit der Einheit des Seelen ganzen erforscht werden kann. Aber so richtig das auch sein mag, so schließt dies doch eine im logischen oder formalen Sinn naturwissenschaftliche, d. h. generalisierende Methode der Psychologie im Prinzip ebensowenig aus, wie die Organismen der naturwissenschaftlichen Behandlung entzogen sind und diese "organische Einheit" des Seelenlebens wird daher für unseren Zusammenhang nicht von Bedeutung. Erst wenn die Einheit mit Rücksicht auf Werte in Frage kommt, kann man vielleicht behaupten, daß die generalisierende Betrachtung diese Einheit zerstören muß und daher die einheitliche Seele nicht nur naturwissenschaftlich untersucht werden darf, weil damit ihre Beziehung auf die Werte aufgehoben werden würde. Hierdurch aber ist in keiner Weise bewiesen, daß das seelische Leben als solches sich gegen eine naturwissenschaftliche Auffassung sträubt oder daß die naturwissenschaftlich unbegreifliche Einheit aus dem Wesen des Psychischen stammt, sondern nur, daß bestimmte Arten des Seelenlebens wegen der an ihnen haftenden Bedeutungen oder Sinngebliden sich generalisierend nicht erschöpfend behandeln lassen. Und diese Möglichkeit soll gar nicht bestritten werden. Hierin steckt vielmehr, wie wir sehen werden, das Problem der geschichtlichen Kulturwissenschaft. Doch können wir diese Frage erst dann behandeln, wenn wir die rein logischen und formalen Unterschiede der Methoden mit dem materialen Einteilungsprinzip von Natur und Kultur verbinden. Vorläufig kommt es nur darauf an, zu zeigen, daß die Wissenschaft, welche das seelische Leben lediglich mit Rücksicht darauf untersucht, daß es seelisch und nicht körperlich ist, also von allen Werten und Sinngebilden absieht, keinen Grund hat, sich einer anderen als der im logischen Sinne naturwissenschaftlichen, d. h. generalisierenden Methode zu bedienen. Es bleibt eher dabei, daß jede Wirklichkeit, also auch die psychische, generalisierend als Natur aufgefaßt werden kann und folglich auch naturwissenschaftlich begriffen werden muß. Sonst wäre ein die gesamte psychophysische Natur umfassender wissenschaftlicher Begriff überhaupt nicht zu bilden. NATUR UND GESCHICHTE Fassen wir nun aber den Begriff der Naturwissenschaft so weit, daß er mit dem einer generalisierenden Wissenschaft zusammenfällt, ist dann ein anderes als naturwissenschaftliches Verfahren bei der Erkenntnis der realen Sinnenwelt überhaupt noch möglich? Die Wissenschaft bedarf, wie wir gesehen haben, für die Auswahl des Wesentlichen eines leitenden Prinzips. Die Zusammenfassung des Gemeinsamen durch empirischen Vergleich oder die Darstellung des Allgemeinen von der Form des Naturgesetzes liefert es ihr. Wenn nun sowohl körperliches als auch seelisches Geschehen in dieser Weise erforscht werden kann und muß und es ein drittes Gebiet des empirisch Wirklichen nicht gibt, was bleiben dann in formaler Hinsicht noch für wissenschaftliche Aufgaben übrig? Der Begriff der Wissenschaft vom Wirklichen scheint dann mit dem Begriff der Naturwissenschaft im weitesten, formalen Sinn des Wortes zusammenzufallen und alle Wissenschaft, die das reale Sein behandelt, darauf ausgehen zu müssen, die allgemeinen Begriffe oder die Naturgesetze zu finden, unter denen ihre Objekte stehen. Man kann sich in gewisser Hinsicht für diese Meinung auf ARISTOTELES berufen. Nicht nur die Naturwissenschaft, sondern die Wissenschaft überhaupt generalisiert. Und in der Tat, wer zwei Gruppen von Einzelwissenschaften nach dem Gegensatz von Natur und Geist so scheiden will, daß Geist dabei dabei nur das seelische oder psychische Sein bedeutet, wird dieser Ansicht gegenüber keine durchschlagenden Argumente finden. Wo man versucht, aus den Eigenschaften des seelischen Lebens Gründe abzuleiten, die seine Erforschung nach naturwissenschaftlicher Methode unmöglich machen sollen, hat man entweder höchstens logisch sekundäre Unterschiede finden können, welche die Aufstellung eines prinzipiellen formalen Gegensatzes zwischen Natur- und Geisteswissenschaften nicht rechtfertigen und den Begriff der Naturwissenschaft nicht im logischen Sinne nehmen oder man hat mit metaphysischen Behauptungen operiert, die, auch wenn sie richtig sind, für die Methodenlehre nichts bedeuten. Das seelische Leben soll z. B. "frei" sein im Gegensatz zur kausal bedingten Natur und daher lasse es sich nicht Gesetzen unterordnen, weil der Begriff der Gesetzmäßigkeit dem Begriff der Freiheit widerspricht. Mit solchen Behauptungen kann man in der Wissenschaftslehre nur Verwirrung stiften. MILL (5) hätte mit Recht triumphiert, daß es nur Naturwissenschaft gibt, wenn es wirklich auf die Alternative Freiheit oder kausale Notwendigkeit bei dieser Frage ankäme, denn aufgrund eines metaphysischen Freiheitsbegriffs wird man niemals dem Versuch widerstehen können, das empirisch gegebene Seelenleben in derselben Weise als gesetzmäßig darzustellen wie die Körperwelt und vollends kann die Freiheit das empirisch generalisierende Verfahren nicht stören. Mag also die Psychologie im einzelnen sich noch so sehr von den Körperwissenschaften unterscheiden, so ist doch ihr letzter Zweck immer der, die besonderen und individuellen Vorgänge unter allgemeine Begriffe zu bringen und womöglich Gesetze zu suchen. Auch die Gesetze des psychischen Lebens müssen in logischer und formaler Hinsicht Naturgesetze sein. Die Psychologie ist also logisch betrachtet eine Naturwissenschaft und zwar sowohl mit Rücksicht auf den Unterschied von Natur und Kultur, als auch mit Rücksicht auf ihre generalisierende Methode. Diese Fragen sind entschieden durch die Tatsache, daß die empirische Psychologie, die von allen Werten und Sinngebilden absieht, auf dem generalisierenden Weg der Naturwissenschaft allein bisher ihre Resultate gewonnen hat. Soll es also noch ein von der naturwissenschaftlichen prinzipiell verschiedene Art der Begriffsbildung für die reale Welt innerhalb der Einzelforschung geben, so darf sie sich - das wird hier beim formalen Einteilungsprinzip ebenso deutlich wie beim materialen - nicht auf die Eigenschaften des psychischen Lebens aufbauen. Nur die Logik kann vielmehr hoffen, zu einem Verständnis der vorhandenen Spezialwissenschaften zu kommen, die das Seelenleben der generalisierenden Naturwissenschaft ruhig überläßt, aber ebenso entschieden frägt, ob es nicht dennoch außer dem für die naturwissenschaftliche Methode maßgebenden Prinzip der generalisierenden Begriffsbildung noch einen zweiten, von diesem prinzipiell verschiedenen formalen Gesichtspunkt gibt, der in völlig anderer Weise Wesentliches vom Unwesentlichen im Wirklichen scheidet. Und wer sich nun bemüht seine logische Theorie durch die Beobachtung der wirklich vorhandenen Forschung zu kontrollieren, kann, wie mir scheint, zunächst die Tatsache eines in formaler Hinsicht andersartigen wissenschaftlichen Verfahrens gar nicht übersehen. Paßt diese Tatsache in die traditionelle Logik nicht hinein - umso schlimmer für die Logik. Es gibt Wissenschaften, die nicht auf die Aufstellung von Naturgesetzen, ja überhaupt nicht nur auf die Bildung allgemeiner Begriffe gerichtet sind und das sind die historischen Wissenschaften im weitesten Sinne des Wortes. Sie wollen nicht nur "Konfektionskleider" machen, die PAUL ebensogut wie PETER passen, d. h. sie wollen die Wirklichkeit, die niemals allgemein, sondern stets individuell ist, in ihrer Individualität darstellen und sobald diese in Betracht kommt, muß der naturwissenschaftliche Begriff versagen, weil seine Bedeutung gerade darauf beruth, daß das Individuelle durch ihn als "unwesentliche" ausgeschieden wird. Die Historiker werden mit GOETHE vom Allgemeinen sagen: "Wir benutzens, aber wir lieben es nicht, wir lieben nur das Individuelle" und dieses Individuelle selbst werden sie, jedenfalls soweit das zu untersuchende Objekt als Ganzes in Frage steht, auch wissenschaftlich darstellen wollen. Es kann demnach für eine Logik, die die Wissenschaften nicht meistern, sondern verstehen will, kein Zweifel sein, daß die Meinung des ARISTOTELES, der sich fast die gesamte neuere Logik, ja sogar einige Historiker angeschlossen haben, die Meinung nämlich, die das Besondere und Individuelle in die Begriffe der Wissenschaft nicht aufnehmen will, falsch sein muß. Wie die Geschichtswissenschaft die Besonderheit und Individualität des Wirklichen, das sie behandelt, darstellt, sei zunächst dahingestellt. Weil die Wirklichkeit als solche wegen ihrer unübersehbaren Mannigfaltigkeit in keinen Begriff eingeht und weil die "Elemente" aller Begriffe allgemein sind, muß der Gedanke an eine individualisierende Begriffs bildung zunächst problematisch erscheinen. Daß aber die Geschichte in der Darstellung des Einmaligen, Besonderen und Individuellen selbst ihre Aufgabe sieht, sollte man nicht bestreiten und von dieser Aufgabe aus muß man ihr formales Wesen darlegen. Denn alle Begriffe von Wissenschaften sind Begriffe von Aufgaben und ihr logisches Verständnis ist nur möglich, wenn man vom Ziel, das sie sich setzen, in die logische Struktur ihrer Methode eindringt. Diese ist der Weg, der zum Ziel führt. Die Geschichte will als "Geschichte" nicht in der Weise generalisieren, wie die Naturwissenschaften es tun. Das ist der für die Logik entscheidende Punkt. In neuester Zeit ist dann auch der Gegensatz des naturwissenschaftlichen, d. h. generalisierenden und des historischen Verfahrens wenigstens nach dieser einen, wenn auch gewissermaßen nur negativen Seite hin klar gemacht. Die Unterscheiung von Gesetzes- und Geschichtswissenschaften bei HERMANN PAUL habe ich bereits erwähnt. Ohne auf die übrigen Beiträge zur Klarlegung dieses Punktes einzugehen, weise ich hier nur auf die Ausführungen WINDELBANDs (6) hin. Er stellt neben das "nomothetische" Verfahren der Naturwissenschaften das "idiographische" der Geschichte als dasjenige, welches auf die Darstellung des Einmaligen und Besonderen gerichtet ist und mit der Einschränkung, daß das nomothetische Verfahren nicht nur auf die Auffindung von Gesetzen im strengsten Sinne, sondern auch auf die Bildung von empirisch allgemeinen Begriffen bezogen werden muß, ist das zweifellos richtig. Ich selbst habe, um zwei rein logische und damit rein formale Begriffe von Natur und Geschichte zu gewinnen, mit denen nicht zwei verschiedene Realitäten, sondern dieselbe Wirklichkeit unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten gemeint ist, das logische Fundamentalproblem einer Gliederung der Wissenschaften nach ihren Methoden so zu formulieren versucht: Die Wirklichkeit wird Natur, wenn wir sie mit Rücksicht auf das Allgemeine betrachten, sie wird Geschichte, wenn wir sie betrachten mit Rücksicht auf das Besondere und Individuelle (7) und ich will dementsprechend dem generalisierenden Verfahren der Naturwissenschaft das individualisierende Verfahren der Geschichte gegenüberstellen. In diesem Unterschied besitzen wir dann das gesuchte formale Prinzip für die Einteilung der Wissenschaften und wer die Wissenschaftslehre wirklich logisch betreiben will, muß diese formalen Unterschied zugrundelegen. Sonst wird er das logische Wesen der empirischen Wissenschaften nie verstehen. Es ist eine Tatsache, die man beklagen, aber dadurch nicht aus der Welt schaffen kann, daß die wirklich ausgeübte wissenschaftliche Begriffsbildung der Einzelforschung sich in diese zwei logisch einander entgegengesetzten Richtungen spaltet und diese Spaltung, nicht irgendwelche sachlichen Unterschiede, muß daher die Wissenschaftslehre zuerst berücksichtigen. (8) Mit allgemeinen Redewendungen wie: alle Wissenschaft sei einheitlich, es könne doch nicht mehrere Wahrheiten geben oder die Geschichte sei keine "Wissenschaft", weil sie nicht generalisiere, ist der Logik nicht geholfen. Gewiß haben alle empirischen Wissenschaften das miteinander gemeinsam, daß sie wahre Urteile über das reale Sein der Sinnenwelt geben, d. h. nur wirklich vorhandene Objekte und nicht Produkte der Phantasie darstellen wollen. Insofern gibt es nur eine einheitliche Wissenschaft, die auf die eine Wirklichkeit gerichtet ist. Dies bezieht sich jedoch auf den Inhalt und nicht auf die Form der Wissenschaft und es ist daher für die Logik, welche sich auf die Formen beschränkt, nur eine stillschweigende Voraussetzung. Ferner gibt es auch eine Reihe von Denkformen, die überall unentbehrlich sind, wo überhaupt eine empirische Wirklichkeit in wissenschaftliche Begriffe gebracht werden soll. Aber ebenso sicher setzen sich die Wissenschaften auch die formal voneinander verschiedenen Ziele des Generalisierens und des Individualisierens und deshalb muß es auch formal voneinander verschiedene Arten der Begriffsbildung geben, die zur Erreichung dieser Ziele dienen. Wer den Namen der "Wissenschaft" nur für die Produkte generalisierender Auffassung verwenden will, ist natürlich nicht zu widerlegen, weil solche terminologischen Festsetzungen überhaupt jenseits von wahr und falsch liegen. Daß es aber eine besonders glückliche Terminologie ist, die die Werke RANKEs und aller großen Historiker nicht zur "Wissenschaft" zu rechnen gestattet, wird man nicht behaupten können. Man sollte sich vielmehr bemühen, einen Begriff von Wissenschaft zu bilden, der das umfaßt, was allgemein Wissenschaft genannt wird und zu diesem Zweck vor allem die Tatsache berücksichtigen, daß die Wissenschaften nicht überall dieselbe Form des naturwissenschaftlichen oder generalisierenden Verfahrens zeigen. Machen wir das zunächst noch ausdrücklich an Beispielen klar und vergleichen wir zu diesem Zweck die berühmte Darstellung, die K. E. von BAER von der Entwicklung des Huhns im Ei gegeben hat, mit RANKEs Römischen Päpsten im 16. und 17. Jahrhundert. In dem einen Fall wird eine unübersehbare große Mehrheit von Objekten unter ein System von allgemeinen Begriffen gebracht, das den Zweck hat, für jedes beliebige Exemplar dieser Mehrheit zu gelten und das darzustellen, was sich immer von neuem wiederholt. Im anderen Fall dagegen wird eine bestimmte einmalige Reihe von Wirklichkeiten so aufgefaßt, daß die Besonderheit und Individualität jeder einzelnen zum Ausdruck kommen und das in die Darstellung aufgenommen werden soll, was nirgends noch einmal da war. Aus dieser Verschiedenheit der Aufgaben ergeben sich mit Notwendigkeit logisch verschiedene Denkmittel und Denkformen. BAER, wie jeder Mann der Naturwissenschaft, faßt das den verschiedenen Objekten Gemeinsame zusammen und das Denkprodukt ist der allgemeine Gattungsbegriff. RANKE dagegen muß jeden seiner Päpste unter einen besonderen Begriff bringen und hat zu diesem Zweck Begriffe mit individuellem Inhalt zu bilden. Die Denkzwecke und Denkformen, die den beiden Darstellungen eigentümlich sind, schließen einander geradezu aus, so daß an der prinzipiell logischen Verschiedenheit der verwendeten Methoden nicht gezweifelt werden kann. Ja, die Beispiele sind so gewählt, daß sich zugleich noch etwas anderes aus ihnen ersehen läßt. Wenn die eine Darstellung ihre Objekte mit Rücksicht auf das Gemeinsame oder Allgemeine, die andere sie dagegen mit Rücksicht auf das Besondere und Individuelle betrachtet, so ist klar, daß hier der denkbar größte logische Unterschied zum Ausdruck kommt, den es zwischen den Methoden der empirischen Wissenschaften geben kann. Ein drittes Ziel der Wissenschaft, das sich von den beiden genannten in logischer oder formaler Hinsicht so prinzipiell unterscheidet, wie diese untereinander verschieden sind, ist bei der Darstellung empirischer Wirklichkeiten nicht möglich. Die Wissenschaftslehre wird also bei einer Einteilung der Disziplinen, die das Wirkliche erforschen, den angegebenen Unterschied als den formalen Haupt gegensatz aller wissenschaftlichen Begriffsbildung der Einzelforschung bezeichnen müssen, neben dem die anderen Unterschiede logisch sekundär sind und sie wird daher die empirischen Wissenschaften so einteilen, daß sie sagt: alle spezialwissenschaftliche Tätigkeit, die Wirkliches erkennen will, bildet entweder allgemeine oder individuelle Begriffe oder sie enthält ein Gemisch von beiden Arten. Da aber die Mischformen erst verstanden werden können, wenn die reinen Formen verstanden sind, so hat es die Wissenschaftslehre zunächst mit den zwei Hauptarten der Begriffsbildung, der generalisierenden und der individualisierenden, zu tun. Es ist nicht einzusehen, weshalb jemand gegen diese Sätze etwas einwenden sollte. Höchstens das könnte man bezweifeln, ob die Gleichsetzung des angegebenen rein formalen Unterschiedes mit dem Gegensatz des naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Verfahrens berechtigt ist oder ob nicht vielmehr das Wort "Geschichte" nur in einer engeren Bedeutung gebraucht werden sollte. Doch ist auch darauf die Antwort nicht schwer. Die Untersuchung von BAER nennt jeder naturwissenschaftlich und die Gründe für die Gleichsetzung der generalisierenden Begriffsbildung mit der naturwissenschaftlichen kennen wir bereits. Daß dieser logische Gebrauch des Wortes Natur im Einklang mit der Terminologie KANTs steht, gibt ihm zugleich sein historisches Recht. Nicht minder gerechtfertigt ist aber auch der Ausdruck geschichtliche Methode zur Bezeichnung des auf die Besonderheit und Individualität der Wirklichkeit gerichteten wissenschaftlichen Verfahrens. Wenn man RANKEs Werkt über die Päpste eine historische Untersuchung nennt, so denkt man allerdings gewiß auch daran, daß hier geistige oder seelische Vorgänge und insbesondere menschliches Kultur leben behandelt wird. Sieht man jedoch von diesen inhaltlichen Bestimmungen ab, was man tun muß, um einen logischen Begriff zu erhalten, so behält das Wort "geschichtlich" noch immer eine bestimmte und allgemein verständliche Bedeutung und das ist eben die hier verwendete. Freilich, der Sprachgebrauch ist nicht konsequent. Man spricht von "Naturgeschichte" und der Ausdruck "Entwicklungsgeschichte" ist gerade für solche Untersuchungen üblich geworden, an denen man sich, wie an BAERs Darstellung der Entwicklung des Huhns, das logische Wesen des naturwissenschaftlichen Verfahrens klarmachen kann. Aber das sind Ausnahmefälle. Wer von "Geschichte" schlechtweg redet, meint immer den einmaligen individuellen Verlauf einer Sache und gerade in der Philosophie ist es üblich, das Historische als das Besondere der Natur als dem Allgemeinen gegenüberzustellen. Das "historische" Recht ist das einmalige individuelle Recht im Gegensatz zum "Naturrecht", das allen gemeinsam ist oder sein soll. Die "historische" Religion ist die einmalige besondere Religon im Gegensatz zur "natürlichen" Religion, von der man glaubt, daß sie jedem Menschen mit seiner allgemeinen Natur gegeben sei. Wenn ferner der Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts, der die Dinge nur soweit berücksichtigt, als sie sich unter allgemeine Begriffe bringen lassen, vom "bloß" Historischen geringschätzig spricht, so identifiziert er dabei ebenfalls das Geschichtliche mit dem Einmaligen und Individuellen und dieser Sprachgebrauch zieht sich auch noch weit in die Philosophie des deutschen Idealismus hinein. Das aber kann nur ein neuer Grund sein, das Geschichtliche im logischen Sinne mit dem Einmaligen, Besonderen und Individuellen zu identifizieren. Wo KANT und seine Nachfolger nämlich vom bloß Historischen ebenfalls geringschätzig reden, da zeigt sich, daß, so große Fortschritte sie im geschichtlichen Denken auch der Aufklärung gegenüber gemacht haben, zu einer logischen Erfassung der Geschichte bei ihnen doch höchstens Ansätze vorhanden sind. Kurz, es ist nicht etwa Sache der Willkür, die geschichtliche Methode als die individualisierende der naturwissenschaftlichen als der generalisierenden gegenüberzustellen. Wo man KANTs logischen Begriff der Natur akzeptiert, ist vielmehr auch dieser logische Begriff der Geschichte gefordert und jedenfalls erhalten wir so allein einen brauchbaren Ausgangspunkt für eine logische Untersuchung der empirischen Wissenschaften. Die Logik hat die Aufgabe, zuerst aus dem wissenschaftlichen Ziel der Geschichte, das in der Darstellung des einmaligen und individuellen Ablaufs einer Wirklichkeit besteht, die hierbei verwendeten individualisierenden Denkformen als notwendige Mittel zur Erreichung dieses Zieles zu verstehen. Das kann niemand bestreiten, dem es um ein Verständnis aller spezialwissenschaftlichen Tätigkeit zu tun ist. Nur wer, wie die Vertreter des Naturalismus es tun, sich einen Begriff von "Wissenschaft" zurechtmacht, ohne sich dabei an den tatsächlich vorhandenen Wissenschaften zu orientieren, wird die Gleichsetzung des historischen Verfahrens mit dem individualisierenden anfechten.
Anmerkungen 1) Ich muß dies RIEHL und besonders FRISCHEISEN-KÖHLER gegenüber hervorheben, der meine "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" in mehreren ebenso betitelten Abhandlungen (Archiv für systematische Philosophie, Bd. 12 und 13) und in seinem Buch: Wissenschaft und Wirklichkeit, 1912 einer sehr eingehenden Kritik unterzogen hat. Daß er mir zutraut, ich hätte die Naturwissenschaft allen Ernstes einer "Flucht vor der Wirklichkeit" gleichgesetzt, wundert mich etwas, denn seine Ausführungen sind im übrigen streng sachlich und ich erkenne ihren Scharfsinn gerne an. Selbst seine Mißverständnisse sind mir zum Teil lehrreich gewesen, denn sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, daß ich in einigen Punkten auch für einen aufmerksamen Leser nicht ausführlich genug gewesen bin. Im folgenden nehme ich daher noch einigemal auf seine Kritik Bezug, soweit das mit dem Charakter dieser Schrift vereinbar ist, die allzu eingehende logische Spezialuntersuchungen meidet. Vgl. auch meine "Grenzen usw.", 3. und 4. Auflage, Seite 145f. 2) Vgl. dagegen FRISCHEISEN-KÖHLER, Wissenschaft und Wirklichkeit, Seite 158f 3) Das Körperliche läßt sich vom Seelischen auch noch in anderer Weise trennen, z. B. so, daß körperlich das genannt wird, was wir alle gemeinsam erleben, seelisch dagegen, das, was jedes Individuum für sich allein hat. Von diesem Unterschied sehen wir hier jedoch ab und bemerken nur, daß er nicht mit dem im Text behandelten zusammenfällt. Ebensowenig kommt ein dritter Unterschied in Betracht, der das Verhältnis des Physischen und des Psychischen zu Werten betrifft. Er wird erst für den Begriff des "Geistes" wichtig, der von dem des Seelischen verschieden ist. 4) Vgl. "Grenzen usw.", besonders Seite 456f, 3. und 4. Auflage Seite 311f. Auf den Begriff der wertfreien Teleologie kann ich hier nicht näher eingehen und er ist auch für das Verständnis des folgenden nicht unentbehrlich. 5) JOHN STUART MILL, System der deduktiven und induktiven Logik, 1877, Bd. 2, Buch 6: Von der Logik der Geisteswissenschaften. 6) WILHELM WINDELBAND, Geschichte und Naturwissenschaft, 1894. Unveränderter Abdruck in Präludien, 5. Auflage 1915, Bd. 2, Seite 136f. Einer der ersten, der den allgemeinsten logischen Unterschied von Naturwissenschaft und Geschichte klar erkannte, war SCHOPENHAUER. Doch benutzte er diese Einsicht nur dazu, der Geschichte den Charakter als Wissenschaft abzusprechen, wie das viele im Anschluß an ihn getan haben. In positiver Hinsicht wichtig sind: HARMS, Die Philosophie in ihrer Geschichte, 1892, doch kommt er in der 2. Auflage dieser Schrift (1905) der entscheidende Punkt völlig klar heraus. Vgl. Genaueres in meinen Grenzen, 3. und 4. Auflage, Seite 205f. 7) RICKERT, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1896, Seite 255. 3. und 4. Auflage, Seite 173 8) Daß die Voranstellung des formalen Unterschieds eine spätere Berücksichtigung der sachlichen Verschiedenheiten nicht ausschließt, ist selbstverständlich. Daher sollte man nicht sagen, die Wissenschaften seien nicht nach formalen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten zu gliedern. Es ist beide gleich berechtigt, je nach den Zielen, die man dabei im Auge hat. |