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Erkenntnistheoretischer Idealismus oder transzendenter Realismus? [1/2]
I. Die kritische Zersetzung des naiven Realismus Eine zweifellose Kenntnis und Gewißheit haben wir nur vom jeweiligen Inhalt des eigenen Bewußtseins. (Bewußtsein bedeutet hier die Einheit von Bewußtseinsform = Bewußtheit und Bewußtseinsinhalt, eine Einheit, die untrennbar ist und nur von uns in abstrahierender Weise geschieden werden kann.) Schon weniger sicher ist die Kennntis von dem, was einmal Inhalt meines Bewußtseins war; denn die Erinnerung kann trügen. Jedenfalls besitze ich aber eine einigermaßen zuverlässige Kenntnis nur von dem, was in meine Bewußtseinssphäre eintritt, Inhalt meines Bewußtseins wird. Ob es noch andere Bewußtseinsverläufe außer dem meingen gibt, weiß ich nicht sicher; denn ich kann in kein anderes Bewußtsein unmittelbar hineinschauen (1). Erkenntnis und Wissenschaft kann es jedoch nur geben, wenn die in sich abgeschlossenen einzelnen menschlichen Bewußtseinskreise miteinander in Verbindung treten können. Offenbar kann diese Verbindung nicht durch etwas hergestellt werden, was an sich selbst Inhalt des einen oder anderen menschlichen Einzelbewußtseins ist. Denn sonst würden alle die einzelnen Bewußtseinsverläufe unterschiedslos zu einer Einheit zusammenfließen. Das widerspricht aber der Erfahrung; Menschenkenntnis wäre dann auch keine so schwierige Kunst. Gibt es eine Brücke, die den Verkehr zwischen meinem und einem anderen (tierischen oder menschlichen) Bewußtsein vermittelt, so kann jene nur im Unbewußten liegen. Sieht man die materielle Welt, insbesondere auch unsere Körper und Leiber, als die Vermittler des Verkehrs zwischen dem einen und anderen Bewußtsein an, so erkennt man damit eigentlich schon den Bestand und die Existenz eines jenseits eines jeden Bewußtseins befindlichen Seins an. Aber umso schärfer erhebt sich die eigentlich erkenntnistheoretische Frage: Gibt es etwas, das unabhängig von meinem oder gar von jedem Bewußtsein besteht, "existiert", d. h. "draußen" steht; gibt es eine "Außenwelt" im erkenntnistheoretischen Sinn? Sie führt sofort zu einer zweiten: Inwieweit ist eine solche Außenwelt, wenn es eine gibt, erkennbar? Da uns aber nur unser Denken die Antwort auf die beiden Fragen verschaffen kann, so gipfelt das Erkenntnisproblem in der dritten Frage: Inwieweit sind unsere Denk- und Verstandesformen, die Kategorien, auf die möglicherweise bestehende "Außenwelt" anwendbar? Der naive Realist hält es für selbstverständlich daß es eine von seinem und einem jeden Bewußtsein unabhängige Außenwelt gibt, die als identisch mit den im Bewußtsein befindlichen Wahrnehmungsobjekten angesehen wird. Er glaubt, das Reale so wahrzunehmen, wie es "ansich" ist, sodaß ihm Wahrnehmungsobjekt und "Ding-ansich" - d. h. das unabhängig vom Bewußtsein Existierende - einfach zusammenfallen. Drei Wissenschaften decken das Unzulängliche und Widerspruchsvolle dieses Standpunkts auf: die Physik, die Sinnesphysiologie und die Erkenntnistheorie, denen dabei die Psychologie noch Helferdienste leistet. Die Physiker nehmen - abgesehen von wenigen Ausnahmen - an, daß es eine von jedem Bewußtsein unabhängig existierende, zeitlich-räumliche Außenwelt gibt, deren einzelne Teile (Moleküle, Atome, Elektronen, Kraftzentren) keine qualitativen Unterschiede, sondern nur quantitativ-intensive, zeit-räumliche Verschiedenheiten aufweisen. Sie sehen in den Bewegungsvorgängen der materiellen Außenwelt die (mittelbaren) Ursachen der qualitativen Sinnesempfindungen. Diese aber sind - wie die Psychologie unwiderleglich feststellt - durchaus subjektiv; sie bilden zugleich, außer den Gefühlen der Lust und Unlust, die letzten Bausteine des bewußten Seelenlebens, aus denen alle anderen höheren psychischen Gebilde (die Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffe) aufgebaut werden. Die Sinnesphysiologie erschließt als die näheren Ursachen der Gefühle und Sinnesempfindungen die von den materiellen Bewegungsvorgängen auf die Sinnesorgane ausgeübten Reize, die ihrerseits wieder kausal für Erregungen der Sinnesnerven sind und letztlich dem Zentralnervensystem zugeleitet werden. Nunmehr reißt die - erschlossene - Kausalreihe plötzlich ab und es erscheint, anstatt der letzten, völlig im Unbewußten liegenden materiellen Bewegungsvorgänge, im Bewußtsein die qualitative Empfindung mit oder ohne Gefühl. Wichtig ist dabei der Nachweis, daß die räumliche Gliederung der Reize auf dem Weg und während ihrer Fortleitung zu Gehirn völlig aufgelöst wird. So hat die moderne Sinnesphysiologie die Behauptung KANTs, daß die räumliche Anschauung subjektiv ist, einwandfrei festgestellt. Wenn zwei Personen (oder zwei Tiere oder ein Mensch und ein Tier) "dasselbe" anschauen, so liegt niemals eine "numerische Identität der Wahrnehmungen" vor, sondern höchstens eine inhaltliche Gleichheit. Nunmehr aber trägt die Erkenntnistheorie das Gebäude des naiven Realismus bis auf den Grund ab. Sie weist nach, daß alles, was wir empfinden und wahrnehmen, ebenso lediglich Inhalt unseres eigenen Bewußtseins ist wie dasjenige, was wir fühlen und denken. Ob es "Dinge-ansich" gibt, ob unsere Anschauungs- und Denkformen auf möglicherweise existieren "Dinge-ansich" anwendbar sind, bleibt zweifelhaft. Vor allem aber werden damit die Gegenstände, ferner Raum, Zeit und die Kategorialbegriffe, weil sie eben nur Inhalte meines Bewußtseins sind, ebenso vergänglich und intermittierend [zwischenzeitlich - wp] wie dieses selbst. Was lediglich Inhalt meines Bewußtseins ist, kann dies nur so lange sein, solange die Bewußtseinsform, die Bewußtheit, besteht; denn diese und der Bewußtseinsinhalt entstehen im gleichzeitig. Verschwindet die Bewußtseinsform (im traumlosen Schlaf, in der Narkose usw.), so veschwindet damit auch aller Bewußtseinsinhalt. Wollte man diesem auch dann noch eine bewußtseinstranszendente Geltung beilegen, so ergäbe das den Widerspruch, daß etwas, das lediglich bewußtseinsimmanent ist, gleichzeitig auch bewußtseinstranszendent existieren soll. Das gilt nicht nur für den sinnlich wahrgenommenen Stoff, sondern auch für das Ich. DESCARTES hatte geglaubt, in seinem cogito ergo sum eine unerschütterliche Grundlage gegenüber allen Zweifeln gewonnen zu haben. Aber HUMEs scharfer Verstand hat gezeigt, daß die "Wirklichkeit des Ichs" nur eine Einbildung ist, und daß wir niemals das wirkliche reale Subjekt, das unsere Empfindungen usw. hervorbringt, mit dem Bewußtsein erfassen können. "Nie kann ich mich selbst ohne eine Empfindung erfassen und nie etwas Anderes als Empfindungen entdecken." (2) KANT stellt sich auf die Seite HUMEs, soweit das erfahrungsmäßig bekannte Ich in Betracht kommt; er weiß recht wohl, daß wir uns selbst nicht erkennen, wie wir sind, sondern nur, wie wir uns erscheinen (3). Aber indem er ein "reines Ich" als den Quell und Einheitspunkt der Inhalte eines oder sogar des "Bewußtseins überhaupt annimmt, fällt er in den Fehler des DESCARTES wieder zurück. Das Bestreben KANTs, des Erkenntnistheoretikers und rationalistischen Logikers, mußte darauf zielen, das logische oder "transzendentale Ich" (eigentlich: "die logische Einheit in der Synthesis der Gedanken") möglichst zu erhöhen und emporzuschrauben. So bemerkt er: "im Bewußtsein meiner selbst beim bloßen Denken bin ich das Wesen selbst, von dem mir aber freilich nichts zum Denken gegeben ist" (II. 803). Daher läßt er jenes logische "Ich" vielfach mit dem metaphysischen Substrat des Selbstbewußtseins, dem "Ich ansich" oder der Seele, zusammenfallen. Das Ziel des Alleszermalmers KANT, des Zerschmetterers der "vernünftelnden" Theologie und rationalen Psychologie, ging umgekehrt darauf, das Ich möglichst herabzudrücken, möglichst geringschätzig zu behandeln. Gerade dadurch hat aber KANT die von HUME begonnene Zersetzung des Ichs weitergeführt, indem er erklärt, dieses sei "ein bloßer Gedanke"; "nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhangs"; es sei "so wenig Anschauung als Begriff von irgendeinem Gegenstand, sondern die bloße Form des Bewußtseins", das Bewußtsein selbst aber ist "nur eine Form der Vorstellungen überhaupt, sofern sie Erkenntnis genannt werden soll" (II. 292, 291, 305, 279). Trotz dieser tiefen Einsicht in das Wesen des Bewußtseins und des Ichs begrenzt aber KANT - in dem Bestreben, eine apodiktisch gewisse, notwendige und allgemeingültige Erkenntnis zu erlangen, die er allein der Würde der Philosophie für entsprechend hält, - die allem Denken und allem Wahrnehmen zugrunde liegende überpersönliche Vernunft durch ein "Ich" und zieht sie dadurch in die Sphäre des Bewußtseins, ja des Einzelbewußtseins herein. Hat KANT darin Recht, daß das Bewußtsein nur die "Form unserer Vorstellungen", das Ich aber lediglich der abstrakte Ausdruck für diese Form und daher nur ein Gedanke, ein abstrakter Begriff ist, unter dem wir uns die bloße Form des Bewußtseins vorstellen, so kann es weder denken, noch als Subjekt der Denktätigkeit zugrunde liegen und sie tragen. Daher sind das cogito des DESCARTES und alle daraus gezogenen Schlüsse falsch. Vielmehr muß man nach LICHTENBERG (4) sagen: "es denkt" anstatt "ich denke". Und NIETZSCHE bemerkt mit Recht: "Ein Gedanke kommt, wenn er will und nicht, wenn ich will, sodaß es eine Fälschung des Tatbestandes ist, zu sagen, das Subjekt ICH ist die Bedingung des Prädikats denke". Was jenes "es" ist, das denken soll, vermag ich nicht zu sagen, wenn ich nicht den Kreis meines Bewußtseins oder auch des Bewußtseins überhaupt überschreiten kann. Ich vermag dann noch nicht einmal zu behaupten, daß "es" existiert; denn ich darf die Kategorie der Existenz zunächst ebensowenig auf das bewußtseinstranszendente Gebiet anwenden wie irgendeine andere Kategorie. Es gibt dann auch keine Denktätigkeit; denn das Bewußtsein ist völlig passiv. Wir finden in ihm - wie ebenfalls schon HUME klar erkannt hat - weder Kraft noch Energie, weder Tätigkeit noch Handlung, sodaß damit auch die Lehre von den "Bewußtseinsfunktionen" hinfällig wird. Als Ergebnis der Zersetzung des naiven Realismus ist demnach festzuhalten, daß das sinnlich Wahrgenommene (der Stoff) und das Ich durchaus unbeständig sind und ebenso aussetzen wie das Einzelbewußtsein selbst. Wenn ich etwas, was ich früher wahrgenommen habe, später - nach einem Erlöschen und Wiedererwachen meines Bewußtseins - von Neuem wahrnehme, so weiß ich nicht, ob es aus dem Nichts aufgetaucht ist, oder wie es in der "Zwischenzeit" existiert hat. Schon die Annahme der Fortdauer der Zeit ist ja naiver Realismus. Jedenfalls kann jenes, solange mein Bewußtsein nicht vorhanden war, nicht als dessen Inhalt, sondern höchsten in einem unbewußten Sein als das bewußtseinstranszendente Korrelat meines Bewußtseinsinhaltes existiert haben. Eine solche Annahme würde zur Voraussetzung haben, daß ich meine Wahrnehmungen sowie mein Ich transzendental auf ein Sein außerhalb meines Bewußtseins beziehen darf, und daß meine Anschauungs- und Denkformen - zumindest einige von ihnen - nicht nur in der Sphäre des Bewußtseins, sondern auch auf bewußtseinstranszendentem Gebiet Gültigkeit haben. Die Richtigkeit dieser Annahme versucht der transzendentale Realismus zu erweisen. Das erkenntnistheoretische Transzendente im strengen Sinn ist das jenseits meines, im leichteren Sinne das jenseits eines jeden oder den Bewußtseins Gelegene. Was sich auf dieses Transzendente bezieht, auf es hinweist, nennen wir transzendental. (Daß KANT diesen Begriff auch in anderen Bedeutungen gebraucht, kommt hier nicht in Betracht.) der transzendentale Realismus erweist sich als die höhere Synthese des naiven Realismus und des erkenntnistheoretischen Idealismus, der den Kreis des Bewußtseins nicht zu überschreiten wagt. Er führt in gewisser Hinsicht, - ohne daß es sich dabei aber um eine völlige restitutio in integrum [vollständige Wiederherstellung - wp] handelt, - wieder zu jenem zurück und ist daher Realismus. Er gibt aber auch dem erkenntnistheoretischen Idealismus Recht, indem er einsieht, daß wir der Dinge (ansich) nicht unmittelbar habhaft werden können, wie der naive Realismus geglaubt hat. Zunächst aber erscheint es geboten, die verschiedenen Richtungen des erkenntnistheoretischen Idealismus kritisch zu prüfen und zu untersuchen, wie er sich im praktischen Leben und angesichts der von den anderen Wissenschaften einigermaßen gesichert festgestellten Ergebnisse bewährt. 1. Der Solipsismus, Bewußtseinsmonismus und Neufichteanismus Kein Mensch kann leben, ohne an die Realität und eine ununterbrochene Fortdauer der Dinge, ohne an ihre Existenz außerhalb seines Bewußtseins zu glauben. Wir sind alle in der Jugend naive Realisten gewesen und nehmen daber diese Ansicht praktisch auch in spätere Abschnitte des Lebens hinüber, wo wir vielleicht theoretisch den erkenntnistheoretischen Idealismus vertreten. Daß mein Weib und meine Kinder, meine Eltern und Vorfahren, meine Mitmenschen, die Tiere und Pflanzen, mein Haus und Hof, Land und Meer, Erde und Sonne sowie die anderen Gestirne nichts wie Inhalte meines Bewußtseins sein sollen, erscheint zu widersinnig, als daß man dies ernsthaft verteidigen könnte. Und doch bleibt der Satz, daß wir unmittelbar nichts kennen als die Inhalte unseres eigenen Bewußtseins, eine nicht zu erschütternde Wahrheit. Will man dies als "Psychologismus" abtun, so muß man schon Denker wie SCHOPENHAUER, VOLKELT, ADICKES, KÜLPE, DRIESCH, von HARTMANN, DILTHEY, die alle jenen Satz anerkannt haben, als Vertreter des "Psychologismus" behandeln. Es ist aber ein Unterschied, ob man alle Wissenschaften, auch die Erkenntnistheorie, zu einem Anhängsel der Psychologie macht und unter deren "kaudinisches Joch" [schmachvolle Erniedrigung - wp] zwingt, oder ob man einen Satz anerkennt, dessen Richtigkeit - wie von SCHUBERT-SOLDERN mit Recht bemerkt (5) - als solche evident und eines Beweises nicht bedürftig ist. Jedenfalls kann man den Worten von CARL STUMPF nur beipflichten: daß uns auch in der Erkenntnistheorie nur unser eigenes Bewußtsein als Ausgangspunkt allen Forschens gegeben ist, daß uns besonders die Psychologie über jenes aufklärt, und daß nicht etwas erkenntnistheoretisch wahr, psychologisch aber falsch und umgekehrt sein kann (6). Darauf beruth die große Bedeutung von SCHUBERT-SOLDERNs, daß er - ählich wie SCHOPENHAUER, von LECLAIR, KAUFFMANN etc. - kein Bedenken trägt, die in ihren Folgerungen so widersinnige Lehre des Solipsismus als theoretisch richtig zu vertreten. Wenn jener freilich einräumen muß (7), praktisch und für die kausale Betrachtungsweise sei der Solipsismus Wahnsinn, so gibt er damit, wie auch schon SCHOPENHAUER, die beste Widerlegung des folgerichtigen erkenntnistheoretischen Idealismus. Widerspruchsvoll aber wird dieser, wenn er das Dasein anderer Mitmenschen, anderer "Iche", aus den Bewegungen und Äußerungen ihrer Leiber "erschließen" will. Der "fremde" Leib ist doch nur Inhalt meines Bewußtseins. Will ich meine Vorstellung des fremden Ich transzendental auf ein solches beziehen, so darf man mir auch nicht jegliche Untersuchung darüber abschneiden, wieso ich denn zu diesen Vorstellungen komme; so darf ich auch meine Wahrnehmungen und Vorstellungen als die Vertreter solcher erkenntnistheoretisch transzendenter Korrelate ansehen, die unterhalb eines menschlichen Ichs stehen. Die Grenze zwischen menschlichem und tierischem Bewußtsein ist ebenso fließend wie die zwischen Mensch und Tier, Tier und Pflanze. Jedenfalls ist jedes fremde Ich für mein Bewußtsein ein "Ding ansich". Und der Traum zeigt, wie bedenklich es ist, aus den Wahrnehmungen eines anscheinend "fremden" Leibes ein "fremdes Ich" zu "erschließen". Gibt es keine Vermittlung, die den Verkehr zwischen meinem Bewußtsein und einem anderen (menschlichen oder tierischen) besorgt, so kann ich stets nur einen Monolog mit mir selbst halten. Eine solche Brücke fehlt aber, solange ich keine "Dinge ansich" annehmen darf. Umgekehrt: Findet ein Austausch von Gedanken und Seelenregungen statt - was die Voraussetzung allen Lebens, aller Kultur, aller Wissenschaften, auch der Logik ist, ist -, so muß es auch "Dinge ansich" geben. Es nützt aber nichts, wenn man nur die Existenz von "Dingen ansich" einräumt, diese aber als beziehungslos zu einem jeden Bewußtsein denkt. Besonders können Körper oder Leiber jenen Verkehr nicht vermitteln, wenn ihnen nicht transzendente kausal-wirkenden Korrelate jenseits jeden Bewußtseins entsprechen. Bestreitet man die Vermittlung durch die materielle Welt, will man aber trotzdem irgendeinen Verkehr zwischen den verschiedenen, in sich abgeschlossenen Bewußtseinsverläufen annehmen, so bleibt nichts übrig, als wieder zu seinem Standpunkt zurückzukehren, der sich dem nähert, den BERKELEY eingenommen hatte. Dieser ist ohnehin in einem Punkt der Vater des gesamten erkenntnistheoretischen Idealismus, insofern als er einen "umgekrempelten naiven Realismus" vertritt. Wenn der naive Realismus meint, man nehme unmittelbar die wirklichen Dinge (ansich) wahr, so ist BERKELEY der Ansicht, seine Vorstellungen seien die wirklichen Dinge. Die Gesetze der Erhaltung des Stoffes und der Energie dürfen damit freilich kaum in Einklang zu bringen sein. Dies wird man auch dem Bewußtseinsmonismus, einer Unterart des Bewußtseinsspiritualismus (FECHNER, PAULSEN, HEYMANS usw.), entgegenhalten müssen, wie ihn z. B. EDMUND KÖNIG (zumindest früher), FRANZE und zuletzt auch in gewissem Sinn THEODOR LIPPS vertreten haben. Ich will hier auf die Metaphysik des Bewußtseinsmonismus nicht näher eingehen und auch seine erkenntnistheoretische Seite nur kurz streifen. Jedenfalls reicht meine Kenntnis des absoluten allumfassenden Bewußtseins nicht weiter als mein eigenes, sodaß ein erkenntnistheoretischer Monismus nur als Solipsismus möglich ist. Der Bewußtseinsmonismus kann nicht erklären, wieso aus dem absoluten Bewußtsein die vielen endlichen, von einander abgeschlossenen Einzelbewußtseinssphären hervorgehen, und in jedem einzelnen Bewußtsein auch noch der Gegensatz einer inneren und äußeren (materiellen) Welt entsteht, ein Gegensatz, der auch, wenn man ihn selbst als nur scheinbar betrachtet, doch trotzdem als Schein ebenfalls seine Erklärung verlangt. - Gelten das Gesetz der Erhaltung der Energie und das Beharrungsgesetz, wie leicht zu zeigen ist, nicht im Einzelbewußtseins, so können sie überhaupt keine Gültigkeit haben, wenn alles nur Bewußtsein ist. Und wie will man nach der modernen Entwicklungstheorie, die das menschliche Bewußtsein als eine Spätling in der Welt ansehen muß, erklären, daß das hell leuchtende absolute Bewußtsein einen so tiefen Fall tun konnte, daß aus ihm die - entweder unbewußte oder doch nur mit einem dumpfen, ärmlichen Bewußtsein ausgestattete - anorganische Natur hervorgehen konnte? Soweit das absolute Bewußtsein weiter reicht als mein eigenes, bleibt es für dieses transzendent, ein "Ding ansich". Nimmt man an, es findet eine Übertragung der Inhalte meines Sonderbewußtseins in ein anderes durch das absolute Bewußtsein statt, und jene würden während der Unterbrechung meines Bewußtseins im absoluten "aufgehoben", so macht man nicht nur von der Kategorie der Kausalität einen transzendenten Gebrauch, sondern führt auch eine Hypothese ein, die schon mehr ein Wunder und etwas völlig Magisches, Unbegreifliches ist. Das fühlen dann auch die Bewußtseinsmonisten. Sie wählen daher gern unverfänglicher klingende Bezeichnungen, wodurch das überindividuelle Bewußtsein zu einem "abstrakten Moment" herabgedrückt wird. So hoffen sie, die metaphysischen Bedenken zu zerstreuen, die gegenüber dem einheitlichen absoluten Bewußtsein bestehen, und doch über die Enge des Einzelbewußtseins hinaus zu gelangen. Um die Tatsache zu verwischen, daß das Bewußtsein fortwährend aussetzt, erweitert man dessen Begriff, indem man die Bewußtseinsform verselbständigt. Da diese sich selbst gleich bleibt, solange das Bewußtsein ohne Unterbrechungen besteht, so glaubt man leicht, sie sei etwas Dauerndes, dem die wechselnden Bewußtseinsinhalte dargeboten werden, oder das sich sich diese sogar aneignet. Da aber die Bewußtseinsform stets gleichzeitig mit dem Inhalt des Bewußtseins erzeugt wird, so kann sie unmöglich den Inhalt als den ihrigen auffassen oder gar hervorbringen. Vor allem darf man nicht das Ich, dieses "punktuelle Begriffsresultat", als eine solche unvergängliche Form des Bewußtseins ansehen. Es besteht ohnehin eine gewisse Neigung, das Ich als Bewußtseinsform zu einem abstrakten Ich zu machen, weil die Bewußtseinsform als solche für unseren diskursiven Verstand etwas Abstraktes ist, die Abstraktion von den Inhalten aller Bewußtseinsaugenblicke. Scheinbar geht ein solches, von jedem individuellen Bewußtsein abgezogenes abstraktes Ich als etwas Einfach-Einheitliches und Allgemeines aller Erfahrung und jedem empirischen Ich voraus, und es bedarf daher nur noch eines Schrittes, um jenes abstrakte Ich in ein absolutes hinübergleiten zu lassen, wie es seinerzeit FICHTE getan hat. Die heutigen Neufichteaner gehen meist vom kantischen Begriff des "Bewußtseins überhaupt" aus und versuchen, diesem Begriff die Bedeutung eines Ansich-Seienden zu verleihen, das niemals Objekt und Bewußtseinsinhalt werden kann, sondern das Subjekt im strengsten Sinne des Wortes bildet. Dabei übersieht man jedoch, daß schon "mein" oder "das" Bewußtsein eine Abstraktion ist, die ich von meinen verschiedenen bewußten Zuständen gewonnen habe, und das "Bewußtsein überhaupt" eine weitere Abstraktion von den einzelnen Bewußtseinsverläufen: also die Abstraktion einer Abstraktion. (8) Mit Recht bemerkt auch MESSER (9): "
Um diese Schlußfolgerungen in Bezug auf das bewußtseinstranszentdente Gebiet zu ziehen, müssen wir natürlich bei Bewußtsein sein. Will man das "Immanenz der Erkenntnis" nennen, so ist dagegen nichts einzuwenden. Man darf aber hierunter nicht verstehen, dadurch, daß wir das außerbewußte Sein mittels des bewußten Denkens, mittels im Bewußtsein befindlicher Begriffe dächten, werde jenes selbst wieder Bewußtseinsinhalt und vom Bewußtsein "abhängig". Diesem Trugschluß gegenüber, dem man namentlich bei SCHUPPE (11), aber auch bei WINDELBAND (12) begegnet, kann man nur betonen: es kommt lediglich darauf an, als was etwas gedacht wird; die Behauptung SCHUPPEs und (und WINDELBANDs) bestünde nur dann zu Recht, wenn alles bloß gedacht, alles lediglich durch mein bewußtes Denken existieren würde. Der Inhalt des Begriffes des "Dings-ansich", der das allein Entscheidende ist, seine Bedeutung, wird jedoch durch das Gedachtwerden nicht geändert, mag auch die Daseinsform oder das Vorkommen des Begriffs nur als Bewußtseinsinhalt möglich sein. Man kann sogar nicht scharf genug betonen, daß alle Begriffe als solche stets nur in einem individuellen Bewußtsein vorkommen. Aber es handelt sich immer nur darum, was wir mit dem Inhalt des Gedachten meinen; nur dessen intentionale Bedeutung kommt in Betracht; sonst würden Gefühle und das fremde Ich dadurch, daß ich sie denke, lediglich Gedanken meines Bewußtseins. Im Begriff des "Dings-ansich" liegt nun gerade, daß es unabhängig von einem jeden Bewußtsein existieren soll. So können wir mittels eines Begriffs das außerbewußte Sein denken, ohne dieses selbst zum Begriff, zum Bewußtseinsinhalt, zu machen (13). Wendet man schließlich ein, wir könnten nnicht von den "Dingen ansich" wissen, weil sie nicht wahrnehmbar sind, so ist dies eine ganz unberechtigte Unterschätzung des Denkens, die - wie KÜLPE (14) mit Recht bemerkt - namentlich in den Naturwissenschaften völlig unbegründet ist. (Man wird dies besonders auch gegenüber HUSSERL und seinen Schülern betonen müssen.) Wenn KÜLPE weiter sagt: da wir von den realen Gegenständen (Dingen-ansich) das Übereinkommen mit den Anschauungsformen und Kategorien vielfach behaupten können, so fallen auch sie in den Bereich "möglicher Erfahrung" (15), so muß der transzendentale Realismus, der dies eingehender begründen will, nur hinzusetzen: möglicher indirekter Erfahrung. Weil die heutigen Neufichteaner und Neukantianer eine solche für "unwissenschaftlich" halten, obwohl doch die Naturwissenschaften fast nur auf indirekter Erfahrung fußen; weil jene die Möglichkeit eines "absolut unbezweifelbaren Wissens" begründen wollen, wehren sie sich gegen die (erkenntnistheoretische) Transzendenz und ihre indirekte, repräsentative Erkenntnis. Deshalb erklären sie, alles Sein ist nur Bewußtsein; deshalb knüpfen sie - wie SCHUPPE und RICKERT - alles Wissen und alle Bewußtseinsinhalte an ein abstraktes Ich-Subjekt oder erkenntnistheoretisches Subjekt, das keinen angebbaren Inhalt mehr hat, und von dem man nichts aussagen kann, da man es dann wieder zum Objekt machen würde. Da dürfte das unbewußte oder außerbewußte Sein, wenn man es mit EDUARD von HARTMANN metaphysisch näher als überbewußten logisch-thelistischen [logisch-voluntaristisch | wp] Geist bestimmt, dann doch einen weit reicheren Inhalt aufweisen als jene kahle, ausgehöhlte Abstraktion einer Abstraktion (16). ![]()
1) vgl. hierzu auch Frischeisen-Köhler, "Wissenschaft und Wirkllichkeit" (1912), Seite 22, 139, 257f, 309, 314, 369, 472. 2) Hume, Treatise of human nature, I, 4. Teil, 6. Abschnitt. 3) Kant, Werke II, 282, 303, 747, 749 (Ausgabe Rosenkranz-Schubert) 4) Lichtenberg, Vermischte Schriften, Bd. 2, 1801, Seite 95. 5) Schubert-Soldern, Über die Bedeutung des erkenntnistheoretischen Solipsismus und über den Begriff der Induktion, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 30, Leipzig 1906, Seite 49f 6) Stumpf, "Psychologie und Erkenntnistheorie", 1892, Seite 8 (Bayerische Akademie der Wissenschaften) 7) In seiner "Erwiderung", Seite 305-307. 8) vgl. hierzu, Arthur Drews, "Die Realität des Bewußtseins", Preußische Jahrbücher, 1909, Seite 205 und 206 und dessen gegen Rickert gerichteten Aufsatz daselbst, Bd. 117, Seite 193f. 9) Schuppe, Einführung in die Erkenntnistheorie, 1909, Seite 111. 10) vgl. Schuppe, Die immanente Philosophie und Wilhelm Wundt, "Zeitschrift für immanente Philosophie", Bd. II, Seite 180 und Schuppes "Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, 1894, Seite 31. 11) Schuppe, "Zeitschrift für immanente Philosophie", a. a. O., Seite 53 und "Erkenntnistheoretische Logik", Seite 34, 69. 12) Windelband, Einleitung in die Philosophie, 1914, Seite 230, 231. 13) Vgl. auch Volkelt, "Die Quellen der menschlichen Gewißheit", 1906; Külpe, Einleitung in die Philosophie, 1907, Seite 156f; Freytag, "Der Realismus und das Transzendentalproblem", 1902, Seite 97 und 102f; Stumpf, "Zur Einteilung der Wissenschaften", 1906. 14) Külpe, "Die Realisierung", 1912, Seite 126. 15) Külpe, a. a. O., Seite 151. 16) Zur Kritik Windelbands, bei dem der Begriff des "Bewußtseins überhaupt" noch mehr ins Metaphysische hinüberschillert, vgl. auch Drews, "Eine neue Einführung in die philosophischen Studien", Preussisches Jahrbuch, Bd. 160, Seite 390f, ferner Messer, "Über Grundfragen der Philosophie der Gegenwart", Kant-Studien, Bd. XX, Seite 65f und "Zur Verständigung zwischen Idealismus und Realismus", a.a.O., Bd. XX, Seite 299f. |