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Grundlegung einer Geschichte der deutschen Philosophie [2/2]
II. Der Entwicklungsgang der deutschen Philosophie und ihre Gliederung in Perioden Die deutsche Philosophie hat eine mehr als tausendjährige Entwicklung hinter sich, und SCHELLING hat vollkommen Recht, wenn er behauptete, daß die deutsche Philosophie von Anfang an verflochten ist in die deutsche Geschichte. Dennoch ist über den Anfangspunkt der deutschen Philosophie mehrfach gestritten worden und kann der Natur der Sache nach gestritten werden. Versteht man unter der deutschen Philosophie ein von der Wissenschaftsbildung anderer Völker völlig unabhängige originale Leistung, sieht man den Eintritt der Deutschen in die allgemeine Geschichte der Philosophie erst da garantiert, wo die Deutschen die Führung in der allgemeinen Geschichte der Philosophie übernehmen, so kann man den Anfang der Geschichte der deutschen Nationalphilosophie nicht viel früher als bei KANT setzen, der im sogenannten Kritizismus anerkanntermaßen ein neues Prinzip zur Reform der gesamten Philosophie wissenschaftlich begründet hat. Dem steht gegenüber, daß man den philosophischen Erwerb der Deutschen in den Jahrhunderten vor KANT, der tatsächlich besteht, doch nicht einfach übersehen kann. Die Philosophie KANTs wächst so sehr aus der Grundlage der LEIBNIZ-WOLFFschen Philosophie hervor, daß schon durch KANT die Anerkennung der Philosophie von LEIBNIZ und WOLFF als einer besonderen geschichtlichen Form des Systems der Philosophie gewährleistet ist. Wir werden also zunächst, wie das vielfach geschieht, auf LEIBNIZ als Begründer der deutschen Philosophie zurückgehen müssen, und die von ihm begründete philosophische Periode im Verhältnis zu den übrigen Perioden näher zu charakterisieren. Im Verhältnis zu KANT begründet LEIBNIZ die metaphysische Periode der deutschen Philosophie, mit der nach Analogie sonst immer die Ausbildung der wissenschaftlichen nationalen Philosophie beginnt, während KANT im Kritizismus eine neue erkenntnistheoretische Logik und auf ihrem Grund eine neue philosophische Natur- und Geschichtsansicht geschaffen hat, wobei wir zugleich auf die ethische Tendenz der kantischen Philosophie das Hauptgewicht legen. Im Verhältnis zu den früheren Epochen der deutschen philosophischen Bildung unterscheidet sich die LEIBNIZsche Periode der Wissenschaftsbildung dadurch, daß durch LEIBNIZ originelle deutsche Gedankenschöpfungen in streng wissenschaftlicher Form zutage treten, während bis auf ihn die im weiteren Sinne des Wortes philosophisch zu nennenden deutschen Bestrebungen mehr nur Reproduktionen der Leistungen anderer Völker, wenn auch in eigenartiger Weise, sind, und vielfach noch der wissenschaftlichen Form, d. h. Klarheit, Deutlichkeit und Gewißheit entbehren, was am besten an der urdeutschen Erscheinung der Mystik ersehen werden kann. Nichtsdestoweniger werden wir diese früheren Betätigungen des deutschen Geistes auf dem Gebiet der Philosophie nicht einfach in einer monographischen Behandlung der Philosophie der Deutschen in ihrer Entwicklung beiseite lassen können, weil sie innig in die Gesamtgeschichte der Philosophie hineingeflochten sind und mit ihr organisch zusammenhängen. Wir werden daher die Anfänge der deutschen Philosophie bis in die Anfänge der Wissenschaftsbildung in Deutschland unter den Karolingern überhaupt zurückversetzen. Diese früheren wissenschaftlich-philosophischen Versuche beruhen sämtlich auf einer reproduzierenden Verwendung zugleich christlicher und griechischer Elemente, tragen aber bald mehr den theologischen bald mehr den humanistischen Charakter an sich. - Der Endpunkt der Entwicklung der deutschen Philosophie ist zur Zeit noch nicht zu bestimmen, weil wir noch mitten in der Entwicklungsreihe stehen. Erst wenn die ganze Entwicklung der Philosophie innerhalb der allgemeinen Geschichte der Philosophie abgelaufen sein wird, wird sich endgültig der Abschluß der deutschen Philosophie konstatieren lassen. - Bisher steht wohl nur soviel fest, daß dieser Abschluß nicht in einem der bisherigen Systeme der deutschen Philosophie zu suchen ist. Weder KANT, noch FICHTE, noch SCHELLING, noch HEGEL, noch BAADER, KRAUSE, SCHLEIERMACHER, noch FRIES, HERBART oder SCHOPENHAUER ist der deutsche Nationalphilosoph in dem Sinne, daß er das vollkommene System der deutschen Philosophie zutage gefördert und damit die Bewegung zum Stillstand gebracht hat. Der Beweis für diese Behauptung liegt in der herrschenden Kritik, mit der die Systeme sich sämtlich gegenseitig zersetzt haben und in der noch stetig fortschreitenden Bewegung. Nur soviel läßt sich von der philosophischen Gegenwart sagen, daß wir in einem Zeitalter des Eklektizismus leben, wie er geschichtlich einer Periode der Systembildung stets zu folgen pflegt und ein Doppeltes bedeutet. Entweder bereitet sich darin ein neues reformatorisches Prinzip zur Reform und Höherbildung der Philosophie vor, oder es vollzieht sich eine systematische Zusammenfassung des bisherigen Erwerbs der Entwicklung als Grundlage für eine auf einem anderen Gebiet der Geschichte als dem der Wissenschaft sich vollziehenden Umschwung der Dinge. Ein neues und höheres Prinzip, als der Kritizismus darbietet, erwarten wir nun nicht, wohl aber eine Ausgestaltung des Systems der Universalphilosophie auf der Grundlage des Kritizismus, wobei wir unter Universalphilosophie ein die Einseitigkeit des Idealismus und Realismus, des Empirismus und Rationalismus überwindendes ethisches System verstehen. Nach diesem Endziel streben wir, ohne es bisher erreicht zu haben. Die kritische Geschichte der deutschen Philosophie kann und soll es erreichen helfen. Es fragt sich nun ferner, wie die in diesen Grenzen vom 8. Jahrhundert bis zur Gegenwart verlaufende Entwicklung der deutschen Philosophie sich zur allgemeinen kulturgeschichtlich verlaufenden Geschichte der Philosophie der Menschheit stellt und wie sie sich in die Perioden derselben einreiht. - Es fragt sich auch, welche Winke für das Verständnis und die Zukunft der deutschen Philosophie sich aus Analogien derselben mit schon bekannten abgelaufenen Entwicklungen von Nationalphilosophien darbieten. - Es ist ohne Zweifel, daß wir dabei an die Analogie der deutschen mit der Entwicklung der griechischen Philosophie denken müssen. - Was den Gesamtentwicklungsgang der Philosophie der Menschheit betrifft, so zerfällt dieselbe entsprechend der Einteilung der Geschichte überhaupt in die Philosophie des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit. Die Philosophie des Altertums umfaßt
b) die wissenschaftliche griechische Nationalphilosophie und c) die griechische Universalphilosophie, d. h. sowohl die eklektische Zusammenfassung der griechischen Philosophie zu einem griechischen Gesamtsystem, wie die eklektische Verwicklung der griechischen Weltansicht mit den Ansichten der übrigen Nationen des Altertums und die Ausbreitung dieser eklektischen Erscheinungen im römischen Weltreich.
b) die Epoche vom kirchlich-politischen Friedensschluß bis zur Revolution. Sie umfaßt die neueuropäische französische, englische und deutsche Philosophie von Leibniz bis Kant. Es ist das Zeitalter der Gegensätz des Rationalismus und Empirismus, des Dogmatismus, der Metaphysik und empirischen Psychologie, des Naturalismus und seiner Überwindung. c) die dritte Periode beginnt mit Kant und reicht bis auf unsere Tage. Kant vermittelt von seinem Prinzip aus in seinem Kritizismus die Gegensätze des Dogmatismus und Skeptizismus. Nach ihm schießen die Systeme auf seiner Grundlage aber in einseitiger Ausführung wieder auf; alle diese Systeme harren noch ihres Ausgleichs und ihrer abschließenden Zusammenfassung. Die Philosophie der Deutschen in Abhängigkeit von der allgemeinen Geschichte der neueren Philosophie. A. Vorgeschichte der deutschen Philosophie: I. Im Mittelalter = die deutsche Theologie II. Im Reformationszeitalter = der deutsche Humanismus B. Geschichte der deutschen wissenschaftlichen Philosophie: I. die deutsche Metaphysik von Leibniz bis Kant. Den zweiten Abschnitt der Entwicklung der deutschen Philosophie leitet die Reform KANTs ein. - Die deutsche Philosophie wird nun unabhängig von der europäischen Philosophie, ja sie tritt führend an die Spitze derselben. Es bildet sich ein eigenes nationales System der Philosophie mit neuem Prinzip aus, eine Entwicklung, deren Endziel wir noch nicht erreicht haben. - Wir können diesen Abschnitt "die Periode der deutschen Nationalphilosophie seit Kant" nennen, sie ist die zweite erkenntnistheoretische und ethische Epoche in der Entwicklung der wissenschaftlich-deutschen Philosophie. Nach ihr haben wir nach Analogie des Entwicklungsgesetzes der griechischen Philosophie nur noch vielleicht einen Abschnitt, "die Periode der deutschen Universalphilosophie", zu erwarten, in der der Abschluß des eklektischen Systems der deutschen Philosophie und der eklektische Ausgleich der deutschen Philosophie mit der Weltansicht der anderen Nationen zustande kommt und die deutsche Philosophie sich zur Weltansicht der Völker erweitert. Wir ergänzen daher die obige Übersicht über die Perioden der deutschen Philosophie vorläufig in folgender Weise. Die Nationalphilosophie der Deutschen II. der deutsche Kritizismus und seine systematische Ausgestaltung seit Kant. Noch haben wir auf eine ungemein lehrreiche Analogie hinzuweisen: das Verhältnis von deutscher Literaturgeschichte und Geschichte der deutschen Philosophie. Beide stammen aus derselben Quelle, der Tiefe des deutschen Geistes, beide stellen die Entwicklung desselben in Sprache und Schrift dar, beide berühren sich vielfach, indem sie dieselbe deutsche Muttersprache als Darstellungsmittel benutzen und den gemeinsamen Genius derselben verraten. - Schließlich ist es dieselbe deutsche Weltansicht, welche sie vortragen und nur darin unterscheiden sie sich, daß der deutschen Literaturgeschichte mehr die ästhetischen, d. h. poetischen, exoterischen und populärwissenschaftlichen Erzeugnisse des deutschen Geistes zufallen, während der Geschichte der Philosophie die strengwissenschaftlich philosophisch prosaischen Schriften zur Darstellung vorbehalten bleiben. Die Epochen der Entwicklung des deutschen Geistes sind indessen wesentlich dieselben dort wie hier, daher schreibt sich dann die Analogie der Perioden der deutschen Literaturgeschichte und der Geschichte der deutschen Philosophie. Wir wollen sie hier in Kürze darlegen. Die deutsche Literaturgeschichte zerfällt in die des Mittelalters und die der Neuzeit. Die deutsche Literaturgeschichte des Mittelalters reicht von der Mitte des vierten Jahrhunderts bis 1517. Ihr geht parallel die Entwicklung der oben von mir deutsche Theologie genannten philosophischen Wissenschaftsbildung, und zwar läßt sich die Analogie bis in die einzelnen Perioden hinein verfolgen, doch geht überall die wissenschaftliche und literarische Entwicklung ein wenig zeitlich auseinander, indem bald die eine, bald die andere ein wenig voraufgeht. Die deutsche Literatur des Mittelalters zerfällt in drei Perioden:
II. von 1150 - 1350, Hauptblüteperiode der mittelhochdeutschen Literatur in mittelhochdeutscher-schwäbischer Sprache, ihr geht zur Seite die Entwicklung der deutschen Scholastik, III. von 1350 - 1517, Verfall der deutschen mittelalterlichen Sprachbildung und Literatur; ihr entspricht die Ausbildung der deutschen Mystik, als positive Ergänzung und Vorbereitung eines Neuen. Verfolgen wir näher die Entwicklung der deutschen Philosophie innerhalb jeder dieser angegebenen Abteilungen und Unterabteilungen. Ein jetzt ziemlich allgemein anerkanntes Entwicklungsgesetz für natürliche wie für geschichtliche Dinge belehrt uns, daß eine höhere Entwicklung bei einem nachfolgenden Wesen den früheren gegenüber erst dann zu erwarten ist und sich erst dann vollziehen kann, wenn es alle vorhergehenden Entwicklungsstufen der anderen Wesen wiederholt und durchgemacht hat, wenn letzteres sich auch oft auf abgekürzte Weise und vom höheren Standpunkt aus vollzieht. So konnte sich auch die Philosophie der Deutschen nicht höher entwickeln als die Philosophie des Mittelalters und der neuen Kulturvölker, wenn sie nicht vorher die Philosophie des Mittelalter und der neuen Völker reproduziert hatte, wenn diese Reproduktionen auch bereits den höheren und überlegenen Standpunkt der deutschen Philosophie und deren eigentümlichen Charakter verraten. So reproduziert vom höheren Standpunkt zunächst die deutsche Theologie den allgemeinen Charakter der gesamten Philosophie des Mittelalters, der deutsche Humanismus die neuere humanistische Richtung Italiens und Europas, die mit LEIBNIZ beginnende deutsche Metaphysik die neu-europäische Philosophie der Franzosen und Engländer mit Hinneigung zum rationalistischen und theologischen Standpunkt. Die deutsche Theologie trägt den allgemeinen Charakter mittelalterlicher Philosophie an sich, die in einer Verschmelzung theologischer und philosophischer Elemente besteht, wobei die theologischen Elemente Bald die heidnische Philosophie ersetzen sollen, wenn sie auch nicht ohne deren Hilfe zustande kommen, bald die Philosophie der Theologie dienstbar gemacht wird. Ersteres geschieht in der Patristik, letzteres in der Scholastik. Die altgriechischen Elemente, welche dabei den christlichen religiösen Ideen dienen, sind entweder die platonische Philosophie mit ihrem vorwiegend ethisch-relisiösen Charakter, oder die aristotelische Philosophie mit ihrem wissenschaftlichen Charakter, oder der Neuplatonismus, der die ethisch-religiösen und wissenschaftlichen Elemente verschmilzt und dadurch den Deutschen besonders sympathisch ist. Die Deutschen reproduzieren zunächst in den Anfängen des Mittelalters die Weltansicht der Kirchenväter, namentlich des AUGUSTINUS, darauf führen sie die Kenntnis des ARISTOTELES in das Bewußtsein der abendländischen Völker ein und begründen damit die später von den romanischen Völkern gepflegte Scholastik und schließlich schaffen sie die Mystik, eine wissenschaftlich noch unreife Religionsphilosophie und echt deutsche Erscheinung. Diese bereitet zugleich der deutschen Reformation die Bahn. - In näherer Ausführung entwickelt sich die deutsche Theologie als Ersatz und Vorbereitung auf die deutsche Philosophie in folgender Weise: In der ersten Epoche derselben, im Zeitalter der Karolinger, werden anfangs eine Zahl logischer und enzyklopädischer antiker Werke angeeignet und reproduziert, und durch ALKUIN zugleich wichtige Elemente der patristischen Weltanschauung dem deutschen Bewußtsein vermittelt. Darauf versucht NOTKER der deutsche die altdeutsche Sprache diesem Bemühen der Reproduktion der Patristik bei den Deutschen dienstbar zu machen, und schließlich entwickelt HUGO von St. VIKTOR, den man bezeichnend den zweiten AUGUSTINUS genannt hat, eine vollständige, der Philosophie der Kirchenväter analoge Theologie (freilich mit mystischem und damit spezifisch deutschem Charakter), die ihre ethisch-religiöse Tendenz durch ihre Sympathien für den Platonismus oder Neuplatonismus unter Hervorkehrung seiner platonischen Elemente verrät. Die zweite Periode der deutschen Theologie ist freilich auch von neuplatonischem Gepräge, doch tritt in derselben die wissenschaftliche Tendenz als die herrschende hervor. In ihr führt ALBERT der Große, wenn auch durch unvollkommene Übersetzungen und mit unzureichenden philosophischen und historischen Kenntnissen, doch in erreichbarer Vollständigkeit, die Kenntnis des ARISTOTELES in die wissenschaftliche Welt des Abendlandes ein. Er macht sich in kindlich-naiver Weise mit bewunderungswürdigem Fleiß einen christlichen ARISTOTELES zurecht und fördert dadurch das Studium der Logik und der Naturwissenschaften. In ähnlicher Weise verfährt er reproduzierend mit den dem angeblichen DIONYSIUS, dem Aeropagiten, beigelegten religionsphilosophischen neuplatonisch-christlichen Schriften. Aus beiden, dem Altertum entlehnten Anschauungsweisen schöpft er vorzüglich die formalen Elemente seiner deutschen Theologie, deren materiale Bestandteile er der Exegese der Bibel entlehnt. So schafft er seine unvollendete "Summe der Theologie", ein scholastisches Lehrsystem, nicht ohne gewissen religionsphilosophischen Inhalt als die Grundlegung der deutschen Scholastik, die dann ihre weitere Pflege und Vollendung den romanischen Völkern verdankt. Die dritte Periode der deutschen Theologie nimmt die Geschichte der deutschen Mystik ein. sie ist von deutsch-nationalem Gepräge, verrät Sympathie für den Neuplatonismus und ist ohne rechte logische Grundlage, auch sind ihre Quellenschriften von wissenschaftlichem Charakter nicht vollständig erhalten. Wir müssen sie daher meist aus Predigten und erbaulichen Traktaten kennen lernen. Ihren Zielpunkt findet sie mehr in der deutschen Reformation als in der Entwicklung der deutschen Philosophie. Der Schöpfer dieser Richtung ist der Dominikaner Meister ECKHART, dessen unvollkommen erhaltene Schriften doch deutlich genug den Versuch eines Systems bezeugen, in welchem Gott, Welt und Seele aus dem Absoluten abgeleitet und eben dorthin wieder zurückgeführt werden, wie das auch im System PLOTINs, doch ohne den christlichen Geist Meister ECKHARTs entwickelt ist. Aus der Schule ECKHARTs müssen in einer Geschichte der deutschen Theologie in philosophischer Rücksicht auch manche Elemente aus TAULERs Schriften, sowie die von LUTHER herausgegebene deutsche Theologie des Frankfurters Erwähnung finden. Den Schlußpunkt der mittelalterlichen Mystik und den Übergang zur Neuzeit beze. Einerseits überschreitet er den Bannkreis mittelalterlicher Mystik noch nicht durch die kühne, reformatorische Tat, so daß mit ihm keineswegs die Philosophie der Neuzeit beginnt, andererseits verbindet er mit seiner Mystik doch die Elemente des Humanismus, der Naturerkenntnis, der Analyse des Unendlichen, des Kritizismus, so daß er immerhin auf der Übergangsstufe zur Neuzeit steht. Mit ihm endet die deutsche Theologie des Mittelalters, die wir durchaus als eine einleitende vorwissenschaftliche, aber höchst charakteristische und bedeutungsvolle Geisteserscheinung behandeln. Der zweite Abschnitt in der Vorgeschichte der deutschen Philosophie nimmt die Darstellung des deutschen Humanismus ein. Er steht auf dem Standpunkt der neu-europäischen Philosophie in nachreformatorischer Zeit. Die Philosophie hat sich darin der Herrschaft der Theologie entwunden, bildet sich unabhängig und selbständig aus und entwickelt einen Dualismus philosophischer und theologischer Weltansicht. Doch hat sich die Philosophie freilich nur unter eine andere Herrschaft, nämlich die der Philologie, begeben. Die philosophischen Erzeugnisse sind keine Neuschöpfungen aus dem modernen, nationalen Geist, sondern nur Reproduktionen der altklassischen, namentlich griechischen Philosophie, welche vor den Reproduktionen des Mittelalters nur die bessere Kenntnis der griechischen Sprache und die bessere Handhabung der Methode voraushaben. Der deutsche Humanismus übertrifft den italienischen, die eigentliche Stammmutter, von der er abzweigt und abartet, durch die Beziehung zur deutschen Kirchenreformation, in die er schließlich einmündet und der er dienstbar wird, doch nicht, ohne daß der deutsche philosophische Geist sehr erheblich dagegen reagiert. - Zunächst haben wir die deutschen humanistischen Erscheinungen, die Neuzeit darstellend, zu beachten, welche der deutschen Kirchenreformation noch voraufgehen. Hierher gehören die Bestrebungen des rhetorisch-philosophisc schriftstellerisch wirksamen RUDOLF AGRICOLA und die Bestrebungen REUCHLINs, der in seinem wissenschaftlich unreifen Wirken "vom wundertätigen Wort" und "von der kabbalistischen Kunst" Neu-Pythagoreer sein wil und in unklarer Weise christliche, griechische und kabbalistische Vorstellungen mit einander vermengt. - An ihn schließt sich der wunderliche AGRIPPA von Nettesheim an, in dem sich einerseits eine phantastische Mystik, andererseits eine skeptische Richtung zu einem eigentümlichen Bund vereinigt und die Gärung aller Elemente in der vorreformatorischen Zeit bekundet. Bewußtsein, Richtung und Ziel empfangen diese durcheinander wogenden Bestrebungen erst durch die deutsche Kirchenreformation, auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Unter den Reformatoren zeigt LUTHER zunächst dem ARISTOTELES, doch wohl in mittelalterlicher Lehrform, abgeneigt und verrät lebhafte Sympathien für die deutsche Mystik, doch mehr für ihre praktische, als für ihre theoretische Seite. Der wissenschaftlich hochbegagte MELANCHTHON wählt aber gerade das System des ARISTOTELES um seiner Wissenschaftlichkeit willen als das eigentliche Schulsystem der reformierten Kirche und bearbeitet dieses System in didaktisch wertvollen Lehrbüchern unter besonderer Rücksicht auf die theologische Lehre der neuen Kirche, der er in Fällen der Abweichung die alte aristotelische Lehre durch willkürliche Änderung anpaßt. Seine Bücher gaben Vorbild und Form für den Schulbetrieb der Philosophie auf den deutschen protestantischen Universitäten, an denen bis in die Jugendzeit von LEIBNIZ her ARISTOTELES und sein System der herrschende philosophische Meister in Deutschland blieb. Reaktionen gegen dieses Schulsystem blieben nicht aus. Die eine ging aus der deutschen Mystik hervor und entwickelte eine eigentümliche protestantische Theosophie als Gegnerin des herrschenden aristotelischen Schulsystems. Bei unentschiedener konfessioneller Stellung ist der Arzt und Naturphilosoph PARACELSUS mit seiner Lehre vom Organismus und der Lebensentwicklung entschieden Theosoph, freilich mit entschiedenen Sympathien für den Empirismus. - Näher dem Protestantismus stehen VALENTIN WEIGEL und JAKOB BÖHME, in dessen wissenschaftlich unreifen theosophischen Schriften manche vergeblich die Offenbarung einer vollkommenen deutschen Philosophie gesucht haben. Eine andere Richtung setzte sich dadurch der Schule entgegen, daß sie fremdländische Richtungen nach Deutschland verpflanzte. So fand der Ramismus, die Lehren des CARTESIUS und seiner Schüler, die Lehren BACONs in Deutschland Anhänger. Schließlich kam es zu eigenen zaghaften Anfängen einer eigentümlichen deutschen Wissenschaftsbildung durch TAURELLUS, HIRNHAYM, JUNGIUS und andere. Damit schließt zugleich die Vorgeschichte der deutschen Philosophie und der eigentlich wissenschaftlichen Philosophie in Deutschland sind die Wege bereitet. Die erste Hauptperiode der wissenschaftlichen Philosophie in Deutschland ist die Periode der deutschen Metaphysik, die von LEIBNIZ bis KANT reicht. Sie gibt die deutsche Antwort auf die Probleme der sich in Gegensätzen entwickelnden zweiten Periode der neu-europäischen Philosophie. Neben der Philologie entwickeln sich die Mathematik und die Naturwissenschaften und beginnen durch eine Ausbildung des Rationalismus und der Konstruktion und des Empirismus und der Indukton die Philosophie zu beherrschen. Die deutsche Philosophie wendet sich kritisch und vermittelnd gegen beide. Sie bildet den Substanzbegriff des CARTESIUS um und lehnt LOCKEs Empirismus ab, doch nicht ohne den Begriff der angeborenen Ideen zu modifizieren. Im Allgemeinen lehnt sich aber an den Rationalismus und die durch Konstruktion ableitenden Methoden an. Wesentlich charakteristisch für die deutsche Philosophie bleibt aber die Schöpfung jener Metaphysik, welche auf theoretischem Gebiet die humanistischen und christlichen Grundideen mit den Resultaten der modernen Naturphilosophie auszugleich bestrebt ist. Zugleich beginnt sich die deutsche Philosophie als ein Zweig der deutschen Nationalliteratur zu entwickeln. Wir gliedern die ganze Periode in fünf Unterabteilungen:
2. Neben ihm haben Christian Thomasius, Tschirnhausen und Pufendorf für die eigentliche Ausbildung ganzer Disziplinen der deutschen Philosophie gewirkt. Thomasius lehrte die Philosophie deutsch sprechen und führte sie somit als Zweig der deutschen Nationalliteratur ein, im Übrigen ist er mehr Aufklärer als tiefdenkender Philosoph, Tschirnhausen förderte die Ausbildung der Logik, Pufendorf die des Naturrechts. 3. Das eigentlich erste System deutscher Philosophie schuf aber Christian Wolff, zunächst in genießbarer Form in deutscher Sprache, dann in lateinischer Ausführung. Wolff war Eklektiker und hat bei der Bildung seines Systems mannigfache verhängnisvolle Irrtümer begangen. Seine Logik sah von der Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre ab und war eine rein formale. Als zweiten Teil des Systems schuf er eine unverträgliche Doppelgestalt, er bildete sie als Metaphysik und Physik aus. Die Metaphysik beruhte auf einer dogmatischen Voraussetzung und nicht auf erkenntnistheoretischer grundlegender Untersuchung über ihre Möglichkeit und ihre Grenzen. Ihrem Inhalt nach war seine Metaphysik eine Sammlung sehr disparater und an andere Stellen des Systems gehöriger Stücke. Der erste Teil "die Ontologie" gehört als Teil in die erkenntnistheoretische Logik, die Kosmologie gehört in die Physik, in der Psychologie findet sich eine äußerliche Nebeneinanderstellung der metaphysisch-rationalen und der empirischen Psychologie, die gar nicht in die Metaphysik hineingehört, die Probleme der Theologie können nicht ohne Hilfe praktischer Ideen gelöst werden. - Was die Aufstellung der Wolffschen Physik und Metaphysik angeht, so setzt Wolff weder das Verhältnis von Physik und Metaphysik grenzbestimmend fest, noch unterscheidet er hinreichend zwischen den Aufgaben der philosophischen Physik und der Physik als mathematisch-naturwissenschaftlicher Disziplin. - In der praktischen Philosophie leidet Wolffs System am Dualismus von Sittenlehre und Naturrecht. Er betrachtet zu wenig das gesellschaftliche Leben vom Standpunkt seiner ethischen Grundlagen aus. Die Pädagogik, Ästhetik und Religionsphilosophie auf praktischen Grundlagen aufgebaut, fehlen bei ihm noch fast gänzlich. Ein solches System mußte als System seiner Zeit von seltenem wissenschaftlichen Erfolg sein, war aber auch überaus verhängnisvoll in seiner Wirkung auf die positiven Wissenschaften, die Theologie und schließlich auf das Geschick der Philosophie selbst. 4. Wolff sammelte eine zahlreiche Schule um sich, die seine Lehre in Deutschland verbreitete. Wir haben nach ihm zunächst seine Anhänger ins Auge zu fassen. Andere, bei welchen der Eklektizismus ein anderes Resultat zuwege gebracht hatte, standen ihm als Gegner gegenüber, so Buddeus, Gundling, Rüdiger, Crusius u. a. m. Noch andere suchten zu vermitteln, Wolffs System zu ergänzen und fortzubilden. Unter diesen namhaften Geistern entsteht eine Entwicklungsreihe, die von Wolff bis Kant hinüberreicht [ Baumgarten, Lambert, Reimarus u. a. m.] 5. Schließlich lenkte die deutsche Philosophie mehr und mehr in das breite Fahrwasser der Popularphilosophie ein. Einerseits machte sich ein Eklektizismus geltend, der auch dem Empirismus, Skeptizismus, Sensualismus und Naturalismus seinen Eingang in das allgemeinen Bewußtsein eröffnete, die Einseitigkeiten des Wolffschen Systems aufdeckte, zugleich aber auch ein skeptisches Schwanken zwischen den entgegengesetzten Weltanschauungen hervorrief. Andererseits wurde die Sache der Philosophie zur allgemein nationalen Angelegenheit erhoben. Die Heroen unserer Nationalliteratur wurden als Philosophen für die Welt auch die Hauptvertreter des damaligen philosophischen Bewußtseins (Lessing).
Daß bei Kant die Geistesentwicklung und seine Schriften untersucht werden müssen, ist selbstverständlich. In der ersten Periode seiner schriftstellerischen Tätigkeit erscheint er als selbständiger Eklektiker der Wolffschen Schule mit naturwissenschaftlichen und ästhetischen Neigungen. Im Hauptwerk seines Lebens, der "Kritik der reinen Vernunft" warf er die damalige Logik und Metaphysik in die neue Disziplin psychologisch-erkenntnistheoretischer Untersuchung hinein, entdeckte die Ontologie als integrierenden Bestandteil der Logik und beseitigte die alte Metaphysik für immer. Er begann nun das System der Philosophie wieder aufzubauen. Dabei modifizierte er aber in der Kritik der praktischen Vernunft und der Urteilskraft immer wieder den Unterbau. Er schuf nicht das neue System der erkenntnistheoretischen Logik als allgemeine Wissenschaftslehre, sondern blieb im Dualismus der formalen und metaphysischen Logik hängen. Die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften vollendete er nicht; in der Ethik schuf er die Grundlage zur Umbildung der bis dahin meist naturalistischen praktischen Disziplinen in ethische, aber er selbst vollendete den Ausbau dieser Wissenschaften nicht. Seine Laufbahn war vollendet, als er die alte Philosophie beseitigt und Prinzipien und Hinweisungen auf ihren Neubau gegeben hatte. 2. Zunächst folgten ihm die Philosophen, deren Tätigkeit man unter dem Namen der kantischen Schule zusammenzufassen pflegt. Sie sondern sich in Anhänger, welche seine Philosophie ausbreiteten;
- in Fortbildner der kantischen Philosophie, von denen Reinhold, Schulze, Maimon und Beck den deutschen Idealismus vorbereiteten, Schiller die richtigen Grundlagen der Ästhetik schuf. Zu ihm gesellen sich Goethe und Wilhelm von Humboldt, noch andere mit ihren halbkantischen Systemen, die im Zeitstrom in das Meer der Vergessenheit gezogen wurden. 3. Wir stehen an der Schwelle der wichtigsten und folgenreichsten Entwicklung des deutschen philosophischen Geistes im 19. Jahrhundert, welche nur an Wirkung dem Wolffschen System im 18. Jahrhundert zu vergleichen ist, der Schöpfung des großen Gedankensystems des deutschen Idealismus, den man villeicht auch eine Gedankendichtung nennen kann. Bekann ist, daß die Vertreter dieser Richtungen, Fichte, Schelling und Hegel und ihre Schüler sind, daß sie Spinoza und zum Teil Leibniz mit kantischen Prinzipien verknüpfen und bald als Schöpfer des subjektiven, objektiven und absoluten Idealismus, bald als die Schöpfer des ethischen, physischen und logischen Idealismus bezeichnet und voneinander unterschieden werden. Im Allgemeinen ist dieser Idealismus als Gesamtsystem der Philosophie und der Wissenschaft gescheitert und vielleicht nur in der Ethik, zum Teil auch in der Wissenschaftslehre als integrierendes Element im System der Weltansicht zu konservieren. - Theoretische ist er daran gescheitert, daß er nicht nur die Form, sondern auch die Materie aller Wissenschaften und nicht nur der Philosophie aus reiner Vernunft glaubt ableiten und konstruieren zu können. Er übersieht, daß die Materie der Natur-, Sprach- und Geschichtswissenschaften nur aus der Erfahrung stammt. - Diese Wissenschaften freilich nicht ebenso Mathematik und Philosophie, operieren nur mit dem Gegebenen. - Er irrt darin, wenn er die Bewegung der Gedanken und der Dinge für identisch hält und die Tatsachen der Geschichte, wie die Realität der Natur in ihrer Entwicklung a priori konstruiert. Er stellt, Fichte an der Spitze, das Ideal der Wissenschaftslehre auf, behauptet aber fälschlich die Identität von Sein und Denken, stellt das Verhältnis der Philosophie zu den positiven Wissenschaften falsch dar, tyrannisiert die letzteren durch Philosophie. Auf theoretischem Gebiet ist er daher an dem sich entwickelnden Konflikt mit den positiven Wissenschaften gescheitert. In praktischer Hinsicht hat er nicht geleistet, was er versprach, nämlich die christlich religiösen und ethischen Ideen wissenschaftlich zu entwickeln und zu rechtfertigen, vielmehr ist er in den Pantheismus verfallen. Er lehrt einen Pantheismus der Entwicklung Gottes, wonach Gott nicht ansich absolut ist, sondern erst durch seine Entwicklung durch logische, physische und ethische Prozesse hindurch, denen sein Wesen identisch ist, zum Absoluten wird. - Ein Prozeß der Selbstauflösung folgte auf die kurze Tyrannenherrschaft dieses Systems. Im Einzelnen ist Fichte durch seine ethische Richtung, durch seine national-patriotische Gesinnunge, durch sein energisches wissenschaflich-systematisches Streben, durch das Ideal der Wissenschaftslehre von heilsamem Einfluß auf die deutsche Geistesbildung geworden, aber er schwebt zu sehr im Äther realitätsloser Abstraktion und ist zu willkürlich und gewaltsam in der Realisierung seiner vermeintlich haltbaren und richtigen Ideale. - Schelling war in steter zu unruhiger Bewegung, war frühreif und ehrgeizig, hat viel entworfen und angeregt, ohne die Stetigkeit zu finden, seinen Gedankenbau wissenschaftlich zu vollenden. Er schwankt vom Standpunkt Fichtes zur Naturphilosophie, von da zur Identitätsphilosophie, um in Theosophie und Mystik, d. h. in wahren Gedankenträumen zu enden. Hegel verfuhr regelrecht, pedantisch und fleißig im Ausbau seines Systems und errang mit demselben große Erfolge, aber seine Logik, Naturphilosophie und Geistesphilosophie war auf unkritischer Grundlage erbaut und erwies sich der Kritik der positiven Wissenschaften gegenüber nicht haltbar. Schließlich konstruierte er theoretisch ebenso willkürlich und gewaltsam wie Fichte und träumte wie Schelling im Größenwahr absoluter Philosophie den Traum des Theosophen. Man darf daher nicht sagen, die deutsche Philosophie bewegt sich seit Kant in einer Linie nur auf Hegel hin, der die deutsche Philosophie zum Abschluß gebracht hat. Vielmehr geht die deutsche Philosophie seit Kant strahlenförmig, wie ein Fächer auseinander, und wir haben historisch-kritisch auch die andern Richtungen zu beachten, die erst nach Hegels Tod zur Geltung kamen. 4. Unter ihnen sind zunächst drei Philosophen zu beachten, die von einigen als Philosophen der Zukunft proklamiert werden, während andere die Verdienste bestreiten. Es sind Schleiermacher, Franz von Baader und Krause. Schleichermacher ist neben Fichte, von Baader neben Schelling, Krause neben Hegel zu stellen. Alle drei suchen den rationalen wie den empirischen Elementen, dem Idealismus wie dem Realismus der kantischen Philosophie gerecht zu werden und insofern liegt etwas Zukunftsvolles in ihren Schöpfungen. Alle drei sind christliche Philosophen, doch nur Schleiermacher allein auch Humanist. Baader bleibt unter dem Niveau der Wissenschaftlichkeit zurück, er ist wesentlich Theosoph. Krause verschloß sich die Einwirkung auf die deutsche Nation durch seine verkehrte, grillenhafte Schreibweise, und Schleiermacher schließlich ist doch im Wesentlichen Theologe und nicht eigentlich Philosoph. Das größte Maß der Anerkennung haben wir für ihn auf dem Gebiet der Ethik, der Religionsphilosophie und der Geschichte der Philosophie, seine Logik (Dialektik) ist zu sehr Entwurf geblieben, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß er den richtigen Begriff der Wissenschaft darin aufzustellen versucht und das Verhältnis der Philosophie zu den positiven Wissenschaften richtig ordnet. Die philosophische Bearbeitung der Grundlage der Naturwissenschaften fehlt bei ihm ganz. Eine andere Gruppe von Philosophen, die sich dem deutschen Idealismus entgegengestellt hat, legt Gewicht auf die empirischen Elemente im Wissen und auf den Realismus der Weltansicht. Wir ordnen zusammen Fries, Herbart, Beneke. Fries ist infolge seines Streites mit Hegel und den Hegelianern in der Geschichte der Philosophie zu kurz gekommen. Man brachte ihn in die Geschichte der kantischen Philosophie unter, um ihn zu beseitigen. Er hat aber in vollständiges System der Philosophie auf kantischer Philosophie ausgebildet und auch eine Geschichte der Philosophie geschrieben. Er bringt darin wichtige Elemente der Philosophie zur Geltung, nämlich die empirische Psychologie oder Anthropologie und die Jacobischen Gedanken über die Realität des Empirischen und die Ergänzung der Erkenntnis der rational nicht rein aufzulösenden Probleme durch den Glauben. Hierbei treten wichtige Elemente des abschließenden Systems der Philosophie auf. - Herbart und Beneke haben sich durch ihre Ausbildung der wissenschaftlichen Pädagogik Anhänger und Anerkennung erworben. - In seiner Philosophie ist es wohl irrig, wenn Herbart den Begriff der Philosophie nur formal bestimmt, wenn er eine nur formale Logik ausbildet, wenn er am alten Traum der Metaphysik hängt und noch dazu eine so grillenhafte Metaphysik voller Hirngespinste und eine mechanische Psychologie ausbildet, wenn seine Ethik schließlich in die Ästhetik aufgeht. Mit den christlichen Grundideen ist seine Metaphysik nur durch Inkonsequenz vereinbar. Die Geschichte der Philosophie hat er, obwohl Eklektiker, nicht vollständig ausgearbeitet. Seine Schule ist nach Hegel die verbreitetste, doch bleiben nicht viele Herbartianer übrig, wenn wir die Pädagogen abziehen. Beneke scheitert als Philosoph an der Annahme, daß auch die formalen Elemente des Wissens empirisch sind. - Unter den Hauptgegnern Hegels und des deutschen Idealismus bleibt der Einsiedler der kantischen Philosophie Arthur Schopenhauer noch übrig, ein Sonderling und übler Tröster für Verstimmte. In theoretischer Hinsicht ist er Sensualist und Idealist, dessen Erkenntnisansicht auf Kants transzendentaler Ästhetik beruth. Als Realist lehrt er eine mystische Theorie vom Willen, die er naturalistisch als Trieb auffaßt. In ethischer Hinsicht ist er Pessimist und Quietist und nur seine Ästhetik gewährt durch ihre platonisierende Wendung einige Befriedigung. Es ist wohl ein Abweg, in seinem System das Heil der deutschen Philosophie zu suchen. 5. Schließlich ist der deutsche Geist auch in der Gegenwart wie in der letzten Vergangenheit noch in neuer Systembildung tätig. Nacheinander lösten sich im Interesse des deutschen Volkes ab: die sogenannten Theisten, Trendelenburg, Lotze und die Neukantianer. Die Theisten, Immanuel Hermann Fichte, Weisse, Ulrici reproduzierten in der nachkantischen Zeit die deutsche Theologie, Trendelenburg den deutschen Humanismus, Lotze die Metaphysik von Leibniz. So erneuerten sich in der Gegenwart alle Standpunkte, die in der Geschichte der deutschen Philosophie nacheinander hervortraten, wohl um einer Höherbildung der deutschen Philosophie vorzuarbeiten. Bedeutungsvoll ist der Neukantianismus, weil sich in ihm die neueste deutsche Philosophie wieder auf ihr Prinzip besann, um daraus neue Kraft zur Weiterentwicklung zu schöpfen. Freilich darf der Neukantianismus dabei nicht zur bloßen Kantphilologie werden und sich nur auf die Reproduktion der Kr. d. r. V. beschränken. Er muß den ganzen Kant, alle drei Kritiken, namentlich aber die Kritik der Urteilskraft ins Auge fassen und ein kritisches Resultat aller drei Kritiker zur Grundlage nehmen. - Hauptsächlich kommt es aber darauf an, daß er Kants systematische Aufgabe nicht vergißt und deren Durchführung in Angriff nimmt. ![]() |