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Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft
Vorrede Zuerst. Lerne kennen, ehe du entscheidest. Ohne Gegenstände grübelt man in einer hohlen Nuß, und füllt sie mit Spinnweben, oder höhlt sie weiter zu Staub aus. Ich ziehe umher und spähe; deshalb nennt man mich den sinnenden Wanderer HUGO. Zweitens. Verstehe war du hörst. Verstand kommt dir nicht zu; er wohnt in dir. Du kennst ODINs Spruch: "das Herz allein weiß, was im Herzen ist; der Verstand selbst ists, der errät und faßt, was der Verstand sagt." Ohne ihn sprechen zu dir keine Runen, so viel Weisheit sie auch enthalten mögen. Deinen Verstand zu üben, lerne: denn Lernen ist Übung. Vermochte ein anderer zu denken, warum nicht du? Und kannst du einem andern anders nachdenken, als mittels deiner eigenen Gedanken und Worte? Wider ihren Willen sind alle Selbstdenker Despoten; sie drängen was sie dachten, mit Macht auf. Auch das drängen sie auf, was ihre eigenste Gedankenweise, Trümmer der Zeit, in welcher sie zu dieser Gedankenweise strebten, kurz ein Angehänge ist, das dir als dein Eigentum zu tragen nicht ziemt. Wie du dein Gesicht vor fremden Gebärden bewahrst, so halte deinen Mund von nachsprechenden Worten rein. Verstehe, was du hörst. Drittens. Dir selbst lerne, keinem andern. Hörst du um ein Pult, von welchem Jahre hin ein lauter Vortrag geschah, dem niemand einreden durfte, Wortgeister zischen, poltern, ja dem Lehrer selbst gebiten, daß er sagt, was er nicht sagen wollte, bloß weil er sich an diese Wortschälle, die er umherwälzt, gewöhnte; siehst du Schatten, seine alten Jugendfreunde daherschleichen, die er unbesehen aufnimmt und einführt; (leicht erkennst du sie in den Worten, die unversehens wiederkommen, und die er am liebsten braucht;) vor diesen hüte dich am meisten. Ihm mögen sie zulässig sein; was sollen sie aber, wenn du in deine Welt zurückkehrst, Dir? Was würden die Deinigen, was deine Geschäfte sagen, wenn du mit einem Gewand solcher Art bekleidet, begleitet von diesen Larven, vor ihnen erscheinst? Denke, daß du dieses Tal verlassen mußt, daß du dir selbst, deiner künftigen Bestimmung, der Welt lernst. Es ist eine Welt mein Sohn, die du weder erschaffen hast, noch erschaffen kannst und sollst; lerne sie kennen, werde ihr brauchbar." Er legte den Finger an des Jünglings Stirn, blickte ihn väterlich an und wanderte weiter. Im nämlichen Augenblick trat eine Unholdin vor den Schafenden, HÄGSA, (2) die bekannte Zauberin, die sich Weib des sinnenden HUGO nennt, obgleich seine böseste Feindin. Dreimal bezeichnete sie ihn mit schnellen Worten: "dies für die Sinnenwelt! dies für den Verstand! dies für die Verunft!" und sprach weiter: "Folge nicht dem Rat, den dir der Alte gab, munterer Jüngling, am wenigsten seiner Schlußwarnung. Sein Rat fordert Mühe und Aufmerksamkeit, in welcher er selbst rastlos umherwandert; ich fordere nichts, ich bringe dir Geschenke. Hier nimmt dieses kleine Rohr; aus ihm bläst du Formen; Formen der Sinnlichkeit und jedes möglichen Denkens vor allem Denken. Merk' auf! ich blase: Raum und Zeit, Kategorien der absoluten Notwendigkeit, Postulate allen Denkens. Siehe, wie hoch sie steigen, sie transzendieren.. - Hier einen Kasten voll schöner Bilder, den echten kritischen Idealismus. Stelle dein Lichtlein hinein; alle Gegenstände der Welt werden nach deinem Willen erscheinen; (Dann sei rasch und gibt ihnen Namen!) bis sie sich zuletzt in ein angenehm-beruhigendes Nordlicht auflösen. Schau her, ich zünde das Licht an. - "Sofort erschienen Gesichte auf Gesichte; die rasche Gesetzgeberin der Natur nannte und nannte." Nun siehe, sprach sie, das wahre Bild der Vernunft, ein mit sich selbst kämpfendes Nordlicht. Siehst du die Speere, die Spieße, die gegeneinander rennen, verschwinden, und sich neu verwandeln? Sie sind das Regulativ der Vernunft, aus einem Brennpunkt der Imagination entspringend, auf einen Brennpunkt der Imagination jenseits aller Grenzen des menschlichen Wissens, die absolute Vollständigkeit, hinspielend. Erleuchte dieses Kästchen für die Geweihten; ihr Grauen vor der Dunkelheit wird sich zuletzt in ein angenehmes Staunen über den Imaginationsbrennpunkt der absoluten Allheit jenseits aller Grenzen der menschlichen Vernunft sanft verlieren. So weit warf noch niemand Geschoß und Pfeile; seitdem aber der Weg offen ist, (es ist jetzt der einzig offene Weg) schwingt jeder Zaunkönig sich mit allgütiger Vollmacht der absoluten Welt- und Wortallheit entgegen, überfliegend bei weitem den Erfinder des Weges. - Hier in drittes schönes Geschenkt, die vierfachgeflochtene Disziplinargeißel für die reine Vernunft: denn diese ist ohne allen Kanon. Durch sie, (gegen andere, nicht gegen dich geschwungen; denn du magst allgültige Dogmen und Hypothesen vortragen, so viel du willst!) durch sie wirst du furchtbar. - Und dann das prächtigste von allen, den Plan und Riß zur Architektonik alles künftigen möglichen Erkennens und Wissens aller Seelenkräfte. Umfang, Grund, Höhe, alles ist gezeichnet; keine Linie, keinen Zoll können sie weiter. Schau auf." Und es erschien die glänzendste Fata Morgana. Zerbrochene Säulen, umgekehrte Häuser, Paläste und Schiffe, zerrissene, schwebende Brücken, Gestalten aus dem Palast Palagonia; der Jüngling fuhr zusammen im Traum, voll widernden Schauers. "Das sind, sprach HÄGSA, die älteren philosophischen Systeme, wie man sie kritisch vorstellt und auch du vorstellen mußt; es macht Eindruck. Nun sieh weiter:" - Und es erschien die ganze neue Architektonik. (Hier fehlen der Chronik Blätter, bis HÄGSA fortfährt:) "Jetzt noch mit meinem Feenkuß ein kleines niedliches Andenken, ein Messer zum Zerspalten, voll magischer Kraft! Was je eine Feder schrieb, nicht etwa nur Worte; Silben, Buchstaben, Spinnengewebe möglich-unmöglicher, unmöglich-möglicher Gedanken kansnt du mit ihm zertrennen, zerschneiden; ja du mußt. Ganz ist jede Sache nur für den gemeinen Verstand; erst muß das philosophische Messer a priori sein Werk tun, damit man aus bloßen Begriffen urteile, wenn dem kritischen Idealisten einerseits das dinglose Ding, andernteils das Alldingvolle Unding erscheinen soll. (3) Doch du begreifst diese Geheimnisse noch nicht, schlafender Jüngling; ich schiede, und bleibe doch bei dir. Meine Jungfrauen werden meine Stelle vertreten." Ein Wink, und sie erscheinen. Ungemut, die stolze, Modesucht, die begeisterte, und ihre jüngste gewandteste Schwester, die Kabale erhoben tanzend sich in die Lüfte. So einen Zaubertanz sah niemand: denn was wir (sagt der Chronikschreiber) seit verschiedenen Jahren lasen, sind nur grobe Stellungen dieses Tanzes. "Schau", sprach HÄGSA, diese Huldinnen; sie werden dich zu einem Haus führen, woher dein Ruhm, der Ruhm selbst deiner ungeborenen Säuglinge, erschallen wird in alle Winde. Es heißt das Buchstabenhaus, von den hohen Asen die Runenburg genannt, wo alle meine Lieblinge absteigen. Gedenke meiner." Hier verschwand HÄGSA. Was der erwachende Jüngling getan hat, wird der Vorrede zur Metakritik der Urteilskraft, d. h. zur Kritik der kritischen Kraft anvertraut werden. Jetzt sind wir nur noch bei einer Vorrede zur Metakritik der Vernunftkritik, d. h. des Kriteriums aller Kritik, ohne Kriterium, ohne Kanon und Regel. Metakritik also; der Name erklärt sich selbst. "Der kritische Weg ist allein noch offen," und vor Ablauf des Jahrhunderts, wo alles beendet sein muß, soll jeder dazu das Seinige beitragen, sagt der Verfasser der Vernunftkritik selbst. (4) Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft; von einem Buch ist also die Rede, von keinem Verfasser. Noch weniger von eines Verfassers Gaben und Absicht; sondern von eines Buches Inhalt und Wirkung. Wer diese Begriffe verwirrt, und den Verfasser zum Buch, das Buch zum Verfasser macht, weiß weder von reiner Vernunft, noch von Kritik und Metakritik etwas. Auch soll und kann, dieser Metakritik wegen, die Kritik der reinen Vernunft, der angenommene Kodex der kritischen Schule, in keiner Zeile geändert werden: denn es ist ein Denkmal der Zeit, ein Muster kunstreicher Buchstabendichtung. Auch der Schreibart nach ist es, (nach mehrerer Erkritiker entscheidendem Ausspruch) das höchste Vorbild philosophischer Ordnung und Kürze, Bündigkeit und Klarheit. Die aus der "Kritik der reinen Vernunft" der Metakritik eingerückten Stellen sind also ihre notdürftige Basis. Mit Schrift unterschieden mußten diese Stellen werden, damit niemand sage, daß man dem Verfasser einen falschen Verstand andichtet oder im seine Gedanken raubt: denn hier spricht er selbst und zwar im Zusammenhang, ohne Zwischenrede. Den Kern seiner Schrift auszuheben, war der Metakritik größte Sorge. Mit den bisherigen Kommentatoren der kritischen Philosophie hat sich die Metakritik ganz unverworren gelassen, und fast keinen davon hat ihr Verfasser gelesen. Seit länger als dreißig Jahren kannte er die Grundsätze, aus denen die Kritik der reinen Vernunft selbst entsprossen ist, in Keim und Blüten; also solus et totus, pendet ab ore Magistri [das Einzelne und Allgemeine wie es der Meister will - wp] "Für wen diese Metakritik sein soll und sein wird?" Für die kritische Schule nicht; sie hat sich, wie sie selbst gesteht, in dieses System hineinstudiert, und muß seinen cant [Gaunersprache - wp] reden. Verbiete dem Raben, der den Imperativ mit Mühe gelernt hat, sein salve und er hat nichts mehr zu sagen. Außer dieser Schule aber gibt es eine Nation; eine Nation unparteiischer Leser. Zu ihnen, Männern und Jünglingen, spricht mit kalter Zuversicht, (denn es wäre eine Beleidigung der Nation an ihrem Menschensinn zu verzagen) zu ihnen spricht der ihnen Innewohnende, ihr helleres Selbst, der Verstand also:
The charm's wound up [Der Reiz des Aufgewickelten - wp]. Zwölf Jahre hat die kritische Philosophie ihre Rolle gespielt, und wir sehen die Früchte. Welcher Vater (jeder frage sich selbst) wünscht, daß sein Sohn ein Autonom kritischer Art, ein Metaphysikus der Natur und Tugend, ein dialektischer oder gar Revolutionsrabulist nach kritischem Schlag werde? Nun seht umher und lest. Welches jüngere Buch, welcher Wissenschaft ist mehr oder minder mit Flecken dieser Art nicht bedeckt, und wie manche edle Talente sind (wir hoffen, nur auf eine Zeit) zugrunde gerichtet; auswärtige Nationen höhnen uns: "seid ihr da, ihr Deutsche, die ihr in manchem so weit wart? Ihr spekuliert, wie es irgendmöglich ist, daß euer Verstand werde? und wie Ihr etwa dazu gelangen möchtet? Ungewordene Nation, an wie andere Dinge solltest du denken." Der Zauber ist vorüber. Daß man dieser Philosophie ein so zutrauendes günstiges Ohr lieh, geschah in großer und guter Erwartung. Sie versprach so viel; anmaßend drängte sie sich auf; was hat sie geleistet? Mit Protesten gegen allen Dogmatismus ist sie die absprechendste Gebieterin in einer Sprache geworden, die sich vorher keine Schule erlaubte. Außer ihr ist kein Heil, kein plus und minus menschlicher Bestrebung. Sie hat den Schatz gefunden, ihre gemeinsten Auswürfe sind Goldstücke der Wahrheit. Was sie nicht gesagt hat, gilt nicht, bis sie es sagte. The charm's wound up. Verlacht werden die Ausflüchte: "man habe den Meister nicht verstanden; wallfahrten müssen man zu ihm, um den authentischen Sinn der Gesetzgeber der Natur, Vernunft und Tugend zu vernehmen." Wer verstanden werden will, schreibe verständlich, und hier hätte man verstehen können seit der ersten Zeile. Jetzt steht der Bau da; Pflicht ist es, und wie zu hoffen ist, heilbringende Pflicht, ihn zu durchgehen und mit strengster Unparteilichkeit zu prüfen. "Nichts kann den Fortschritt des Wissens mehr behindern als die schlechte Arbeit eines berühmten Autors, denn bevor man belehrt wird, muß man sich erst von der Irritation befreien", sagt MONTESQUIEU. "Aber welche Anmaßung!" - Keine Anmaßung! Überzeugt, daß jeder spekulative Begriff verständlich gemacht werden kann und muß, weil ein nebliges Wortgespinst weder Kritik noch Philosophie ist; überzeugt, daß was wir von unserem Verstand wissen, alle wissen und sich deutlich machen können, daß also auch der sogenannten ersten Philosophie, (Metaphysik genannt,) nicht anders zu helfen ist, als daß sie, völlig sektenlos wie die Mathematik, rein von jedem unverständlichen Wortnebel, eine klare Exposition der ersten Begriff unseres Verstandes und unserer Vernunft, mithin wirklich erste und letzte Philosophie, eine reine Sprache des anerkennenden Verstandes werde; überzeugt hiervon, glaubt der Verfasser der Metakritik, nicht nur, daß jeder andere sie hätte schreiben können, sondern bescheidet sich auch, daß mancher andere sie besser, nicht aber redlicher als er, hätte schreiben mögen. Anmaßungen zu widersprechen ist keine Anmaßung; einer eitlen Dialektik, die uns unseres Verstandes entheben, statt desse aber uns ihre Wortschemen als vollendete höchste Resultate allen Denkens aufdrängen will, ihr entgegenzutreten, von ihrem Unrat die mißbrauchte Sprache zu säubern, und den Menschensinn darauf zu führen, was er ohne dialektische Biegung und Winkelhaken, seiner Erfahrung, seinem innersten Bewußtsein nach denkt und sagt; nicht Anmaßung ist dies, sondern Pflicht. Wer einer Nation ihre Sprache verkünstelt, (mit welchem Scharfsinn es auch geschieht,) hat das Werkzeug ihrer Vernunft verderbt und ihn verleidet; einer Menge von Jünglingen hat er ihr edelstes Organ verstümmelt, und den Verstand selbst, dessen Gebiet sich den Spekulationen nie abschließen kann, irregeleitet. Hätten wir aber eine größere Pflicht und Gabe, als den freien innigen Gebrauch unseres Verstandes? Protestantismus ist also die Metakritik; sie protestiert gegen jedes der Vernunft und Sprache ebenso unkritisch als unphilosophisch aufgedrängte Satzungspapsttum; sie protestiert gegen die dialektischen Nebelkünste der HÄGSA. Laudandus PLATO, laudandus ARISTOTELES; prae omnibus veritas colenda urgenda, intime amanda. I. Titel und Einleitung "Kritik der reinen Vernunft;" (5) der Titel befremdet. Ein Vermögen der menschlichen Natur kritisiert man nicht; sondern man untersucht, bestimmt, begrenzt es, zeigt seinen Gebrauch und Mißbrauch. Künste, Wissenschaften, als Werke der Menschen betrachtet, kritisiert man, entweder in ihnen selbst oder in ihren Hervorbringungen; nicht aber Naturvermögen. (6) Den Schülern des großen Mannes, der eine "Kritik der reinen Vernunft, der Urteilskraft" usw. schrieb, ist jedoch dieser Name so lieb geworden, daß sie nicht nur Kritiken über Natur- und Übernatur-Vermögen schrieben, sondern sich unterscheidend kritische Philosophen nannten, und alle, wenigstens die höchste Philosophie zuletzt, in eine Kritik dieser Vermögen setzten. Diese kritische Philosophie, sagt man, sei die einzig-mögliche, die einzig-wahre. Wohlan dann! Eben der ungewohnte Name legt eine größere Pflicht auf. Jeder Richter, er richte Naturvermögen oder Kunstwerke, muß von einem klar Gegebenen aus gehen und nicht ruhen, bis dieses Gegebene deutlich bestimmt ist. Er muß nach einem Gesetz richten, dieses in seinen Urteilsgründen deutlich angeben und genau anwenden. Endlich muß sein Urteil selbst klar, gewiß, aus dem Gegebenen nach der ihm gegebenen Norm entsprungen sein; oder es wird geläutert. Jede Läuterung unterwirft sich denselben Gesetzen; und da der Verfasser der Kritik der reinen Vernunft seine Schrift als das Werk anführt, "welches das reine Vernunftvermögen in seinem ganzen Umfang und Grenzen darstellt," (7) so darf und kann es nicht anders als mit Prüfung, d. h. kritisch gelesen werden. Die Anmerkungen, die daher entspringen, können keinen bescheideneren Namen als Metakritik, d. h. Kritik der Kritik führen. Wenn aber Vernunft kritisiert werden soll; von wem kann sie es werden? Nicht anders als von ihr selbst; mithin ist sie Partei und Richter. Und wonach kann sie gerichtet werden? Nicht anders als nach sich selbst? mithin ist sie auch Gesetz und Zeuge. Sofort erblick man die Schwierigkeit dieses Richteramtes. Um uns diese zu erleichtern, stellen wir fest: Erstens. Von keiner als der menschlichen Vernunft ist hier die Rede. Wir kennen keine andere, besitzen keine andere; in der menschlichen Vernunft eine höhere, allgemeinere als die Menschenvernunft richten, hieße die Vernunft selbst transzendieren. Zweitens. Menschliche Vernunft können wir zwar in Gedanken und Worten zu einem gewissen Zweck von anderen Kräften unserer Natur fordern; nie aber dürfen wir vergessen, daß sie in ihr abgesondert von anderen Kräften nicht existiert. Es ist dieselbe Seele, die denkt und will, die versteht und empfindet, die Vernunft übt und begehrt. Alle diese Kräfte sind nicht nur im Gebrauch, sondern auch in ihrer Entwicklung, vielleicht auch in ihrem Ursprung einander so nah, so mitwirkend und verwickelt ineinander, daß wir nicht glauben dürfen, wir haben ein anderes Subjekt genannt, wenn wir eine andere Verrichtung desselben nannten. Mit Namen zimmern wir keine Fächer in unserer Seele; wir teilen sie nicht ein, sondern bezeichnen ihre Wirkungen, die Anwendung ihrer Kräfte, die empfindende und sich Bilder erschaffende, die denkende und sich Grundsätze erschaffende Seele sind ein lebendiges Vermögen in verschiedener Wirkung. Drittens. Die menschliche Seele denkt mit Worten; sie äußert nicht nur, sondern sie bezeichnet sich selbst auch und ordnet ihre Gedanken mittels der Sprache. Sprache, sagt LEIBNIZ, ist der Spiegel des menschlichen Verstandes, und, wie man kühn hinzusetzen darf, ein Fundbuch seiner Begriffe, ein nicht nur gewohntes, sondern unentbehrliches Werkzeug seiner Vernunft. (8) Mittels der Sprache lernten wir denken, durch sie sondern wir Begriffe ab und knüpfen sie oft haufenweise ineinander. In Sachen der reinen oder unreinen Vernunft also muß dieser alte, allgemeingültige und notwendige Zeuge abgehört werden, und nie dürfen wir uns, wenn von einem Begriff die Rede ist, seines Heroldes und Stellvertreters, des ihn bezeichnenden Wortes, schämen. Oft zeigt uns dieses, wie wir zum Begriff gelangt sind, was er bedeutet - woran es ihm fehlt. Konstruiert der Mathematiker seine Begriffe durch Linien; Zahlen, Buchstaben und andere Zeichen, obgleich er weiß, daß er keinen mathematischen Punkt machen, keine mathematische Linie ziehen kann und eine Reihe anderer Charaktere von ihm gar willkürlich angenommen sind; wie sollte der Vernunftrichter das Mittel übersehen, durch welches die Vernunft eben ihr Werk hervorbringt, festhält, vollendet? Ein großer Teil der Mißverständnisse, Widersprüche und Ungereimtheiten also, die man der Vernunft zuschreibt, wird wahrscheinlich nicht an ihr, sondern am mangelhaften oder von ihr schlecht gebrauchten Werkzeuge der Sprache liegen, wie das Wort Widerspruch selbst sagt. Glaube niemand, daß die hohe Kritik der reinen Vernunft hierdurch erniedrigt, und die feinste Spekulation zur Grammatik werde. Es wäre gut, wenn sie in allem dies werden könnte: worauf auf LEIBNIZ mit seiner Charakteristik ausging. Dem großen Sprachkenner, Sprachenforcher, Sprachenvergleicher war, wie hundert seiner Bemühungen zeigen, die Bezeichnung unserer Begriffe in ihren Ableitungen sowohl als Komplikation die letzte und höchste Philosophie. Auch dem weisen LOCKE, (wie seine Nation ihn ehrenhaft nennt) war das Organon unserer Vernunft, die Sprache, nicht gleichgültig. Nicht nur das dritte Buch seines bescheiden sogenannten Versuchs, den menschlichen Verstand betreffend, handelt von der Natur, dem Gebrauch, der Bedeutsamkeit der Worte; sondern er bekennt selbst das Mangelhafte seines Versuchs auch deshalb, daß er zu spät an dieses unentbehrliche Mittel der menschlichen Erkenntnisse gedacht hat.
* Es ist Zeit, vom Titel zum Buch selbst zu kommen, die Einleitung zeigt den Zweck desselben. Wenn gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn, es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich hergibt, welchen Zusatz wir von jenem Grundstoff nicht eher unterscheiden, als bis eine lange Übung uns darauf aufmersam und zur Absonderung desselben bekannt gemacht hat. Bekannt ist es, daß mit gleichen oder ähnlichen Ausdrücken LEIBNIZ dies sagte. "Es frägt sich, heißt es in seinem lesenswerten Werk über LOCKE, ob die Seele an sich selbst eine unbeschriebene Tafel, und ob das, was in sie gezeichnet ist, lediglich von den Sinnen und aus der Erfahrung kommt? Oder ob sie selbst ursprünglich die Prinzipien vieler Notionen und Lehren enthält, welche die äußeren Gegenstände in ihr bloß erweckten? Ob alle Wahrheiten von der Erfahrung abhängen, oder ob es Wahrheiten gibt, die ein anderes Fundament haben? Denn wenn einige Ereignisse vor aller Probe, die man darüber macht, vorausgesehen werden können, so ist offenbar, daß wir dazu etwas unseren Teil beitragen. Die Sinne, so notwendig sie zu allen unseren wirklichen Kenntnissen sind, reichen doch nicht hin, um uns alle Erkenntnisse zu geben; immer geben sie nur Exempel, d. h. besondere oder individuelle Wahrheiten. Alle Exempfel aber, die eine allgemeine Wahrheit bekräftigen, wie zahlreich sie auch sein mögen, reichen nicht hin, um die allgemeine Notwendigkeit dieser Wahrheit zu begründen ..." Da LEIBNIZ in dieser Hinsicht alle von LOCKE vorgeführten Ideen mit seltener Geduld prüfte: so durfte EBERHARD mit Recht sagen, daß die LEIBNIZsche Philosophie eben sowohl eine Vernunftkritik als die neuere enthalte, (sie liegt in diesem Werk der Welt vor Augen,) obgleich daraus noch nicht folgt, daß durch sie alle neuere Kritik entbehrlich gemacht worden ist. (9) Die Vernunft wird sich kritisieren und jede Kritik derselben muß sich gefallen lassen, kritisiert zu werden, solange es Vernunft und Kritik gibt. War ihre Rechnung richtig, warum sollte sie sich scheuen, aufs Neue überrechnet zu werden? Wenn aber eben diese Frage, die auch LEIBNIZ aufwarf, so ausgedrückt werden will: "ob es eine von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängige Erkenntnis gibt?" und diese Erkenntnisse a priori mit der Bestimmung genannt werden, "daß sie schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden, und ihnen gar nichts Empirisches beigemischt ist;" (10) so enthält sie etwas, was in jener Frage nicht war. Dort wurde angenommen, daß sinnliche Eindrücke veranlassen, daß, wie LEIBNIZ sagt, äußere Gegenstände Begriffe erwecken, mithin diese Erkenntnisse und Begriffe, auch wenn sie in der zehnten höheren Potenz erscheinen, von allen Eindrücken der Sinne, von aller vorhergegangenen Erfahrung nicht ganz unabhängig wären; hier sollen sie es schlechterdings sein und nur dann, wenn sie es sind, a priori heißen. Es ist zu zweifeln, daß ein einziger solcher Begriff in unserer Seele stattfindet; wenigstens ist gewiß, daß das Wort a priori in keiner menschlichen Wissenschaft, selbst nicht in der Mathematik, diese Strenge mit sich führt. Sätze und Schlüsse erkenne ich in ihr a priori, d. h. kraft meiner Vernunft erkenne ich die in ihnen liegenden Wahrheiten durch sich selsbt an; obgleich ihr Material, Körper, Flächen, Linien, Figuren, durch welche ich den Begriff forme und in solche allein habe, auch wenn ich sie im Verstand konstruiere, mir nur als ein posterius gegeben waren. Im gemeinen Gebrauch bezieht sich das Wort a priori nur auf das was folgt; bloß in Beziehung hierauf heißt es a priori: denn aus dem Leeren schließt sich nichts. Woher dieses prius ist? ob eine Erfahrung, d. h. ein inneres Datum nach den Regeln meines Verstandes, oder ein äußeres nach Maßgabe meiner Sinne? wird damit nicht ausgemacht. Sich von sich selbst abhängig zu machen, d. h. sich aus aller ursprünglichen, inneren und äußeren Erfahrung hinauszusetzen; von allem Empirischen frei über sich selbst sich hinaus zu denken, vermag niemand. Das wäre ein prius vor allem a priori; damit hörte, ehe sie anfing, die Menschenvernunft auf. und selbst der gemeine Verstand ist niemals ohne solche." (11) Solche Erkenntnisse sind nach diesem Buch zuerst "Sätze, die mit ihrer Notwendigkeit in strenger Allgemeinheit gedacht werden, und auch von notwendigen Sätzen abgeleitet sind; dergleichen sind alle Sätze der Mathematik." Auch aus dem gemeinen Verstandesgebrauch führt es den Satz an, "daß alle Veränderung eine Ursache haben muß. Hier enthält der Begriff einer Ursache so offenbar den Begriff einer Notwendigkeit der Verknüpfung mit einer Wirkung und einer strengen Allgemeinheit der Regel, daß er gänzlich verloren gehen würde, wenn man ihn von einer öfteren Beigesellung dessen, was geschieht, mit dem, was vorhergeht, ableiten wollte." - Dieses Exempel beiseite gelassen, gibt es allerdings unter der Form des Notwendigen und Allgemeinen ausgesprochene gemeine Wahrheiten in der menschlichen Seele und Sätze der Art in der menschlichen Sprache; woher aber ihre Notwendigkeit entspringt? wie weit ihre Allgemeinheit reicht? endlich, da alle allgemeinen Sätze sich zuletzt auf einfache Begriffe müssen zurückführen lassen, woher und welcher Art sind diese? kurz, das primum dieses a priori ist eben die Frage. Außer den Urteilen findet die Kritik auch in Begriffen einen Ursprung a priori, wie z. B. im Begriff des Raums, der Substanz usw. Ob und wiefern dies wohl von aller Erfahrung unabhängige Begriffe sind? bleibt gleichermaßen die Frage. die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori, bestimmt." (12) Allerdings bedarf sie solche, und solange es Philosophie gab, hat man sich darum bemüht. Nicht als ob die Frage selbst, wie nämlich "Erkenntnisse a priori möglich sind? auf welchen Prinzipien sie beruhen? und von welchem Umfang sie sein können?" so hoch über uns hinaus läge: denn wirhaben ja uns selbst und dürfen unsere Erkenntnisse nur prüfen; sondern weil allgemeine Behauptungen hierüber wenig helfen, wenn nicht zugleich die Erkenntnisse gesondert und geordnet, in Reihen auf ihren Ursprung zurück- durch Stufen und Arten durchgeführt, in Symbolen, welcherlei diese auch sein mögen, gezeigt, und sodann aus der Natur des menschlichen Verstandes klar gemacht werde, was in ihnen ein prius oder posterius ist. Da nun derselbe eine menschliche Verstand in mancherlei Sprachen seine Begriffe anders konstruiert, d. h. bindet, trennt und andeutet, da mit den Zeiten sich die Bedeutung des Symbols ändert und jetzt diesem, jetzt jenem Nebenbegriff Raum gibt, da endlich gerade mit abgezogenen, allgemeinen Begriffen der Leersinn der Menschen am meisten spielt, so wird jene leichte Wissenschaft, welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimmt, erschwert. Da auf diesen Unterschied, als auf den Schlüssel zum großen Geheimnis der transzendentalen Philosophie, alles ankommt (14), so läßt uns die Kritik darüber ausführlich hören. Analytische Urteile sind diejenigen, in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, diejenigen aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen. Die erstere könnte man auch Erläuterungs-, die anderen Erweiterungsurteile heißen, weil je durch das Prädikat nichts zum Begriff des Subjekts hinzutun; sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Teilbegriffe zerfällen, die in selbigem schon, obgleich verworren, gedacht waren; dagegen die letztere zum Begriff des Subjekts ein Prädikat hinzutun, welches in jenem gar nicht gedacht war, und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden. Zum Beispiel wenn ich sage: alle Körper sind ausgedehnt, so ist das ein analytisches, dagegen wenn ich sage: alle Körper sind schwer, ein synthetisches Urteil. Erfahrungsurteile als solche sind insgesamt synthetisch. Es ist die Erfahrung, worauf sich die Möglichkeit der Synthesis des Prädikats der Schwere mit dem Begriff des Körpers gründet, weil beide Begriffe, obwohl einer nicht im andern enthalten ist, dennoch als Teile eines Ganzen, nämlich der Erfahrung, die selbst eine synthetische Verbindung der Anschauungen ist, zueinander, wiewohl nur zufälligerweise gehören. Aber bei synthetischen Urteilen a priori fehlt dieses Hilfsmittel ganz und gar. Man nehme den Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache. Der Begriff einer Ursache liegt ganz außer jenem Begriff und jetzt zeigt etwas von dem was geschieht Verschiedenes an, ist also in dieser letzteren Vorstellung gar nicht enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem was überhaupt geschieht, etwas davon ganz Verschiedenes zu sagen, und den Begriff der Ursache, obwohl in jenem nicht enthalten, dennoch als dazu und sogar notwendig gehörig zu erkennen? Was ist hier das Unbekannte = X, worauf sich der Verstand stützt wenn er außer dem Begriff von A ein demselben Prädikat B aufzufinden glaubt, welches er gleichwohl damit verknüpft zu sein erachtet? Erfahrung kann es nicht sein, weil der angeführte Grundsatz nicht allein mit größerer Allgemeinheit, sondern auch mit dem Ausdruck der Notwendigkeit, mithin gänzlich a priori und aus bloßen Begriffen, diese zweite Vorstellung zur ersteren hinzufügt. Nun beruth auf solchen synthetischen, d. h. Erweiterungsgrundsätzen die ganze Endabsicht unserer spekulativen Erkenntnis a prior: denn die analytischen sind zwar höchst wichtig und nötig, aber nur um zu derjenigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausgebreiteten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Erwerb erforderlich ist. sind synthetische Urteile a priori als Prinzipien vorhanden." 1. Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch. Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zergliederer der menschlichen Vernunft bisher entgangen, ja allen ihren Vermutungen gerade entgegengesetzt zu sein, ob er gleich unwiderstehlich gewiß und in der Folge sehr wichtig ist. Denn weil man fand, daß die Schlüsse der Mathematiker, alle nach dem Satz des Widerspruchs angesehen werden, aber nur so, daß ein anderer synthetischer Satz vorausgesetzt wird, aus dem er gefolgert werden kann, niemals aber ansich. Zuerst muß bemerkt werden, daß eigentliche mathematische Sätze jederzeit Urteile a priori und nicht empirisch sind, weil sie Notwendigkeit bei sich führen, welche aus Erfahrung nicht abgenommen werden kann. Will man aber dies nicht einräumen, wohlan, so schränke ich meinen Satz auf die reine Mathematik ein, deren Begriff es schon mit sich bringt, daß sie nicht empirische, sondern bloß reine Erkenntnis a priori enthält. Der Satz 7 + 5 = 12 scheint analytisch und ist synthetisch. Ebensowenig ist irgendein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch. Daß die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz. Denn mein Begriff von Geraden enthält nichts von Größe, sondern nur eine Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriff der geraden Linie gezogen werden. Anschauung muß also hier zu Hilfe genommen werden, mittels deren allein die Synthesis möglich ist. 2. Naturwissenschaft (Physica) enthält synthetische Begriffe a priori als Prinzipien in sich. Zum Beispiel der Satz: daß in allen Veränderungen der körperlichen Welt die Quantität der Materie unverändert bleibt, oder daß in aller Mitteilung der Bewegung, Wirkung und Gegenwirkung einander jederzeit gleich sein müssen. An beiden ist nicht allein die Notwendigkeit, mithin ihr Ursprung a priori, sondern auch daß sie synthetische Sätze sind, klar. Denn im Begriff der Materie denke ich mir nicht die Beharrlichkeit, sondern bloß ihre Gegenwart im Raum durch die Erfüllung desselben. Also gehe ich wirklich über den Begriff der Materie hinaus, um etwas a priori zu ihm hineinzudenken, was ich in ihm nicht dachte. Der Satz ist also nicht analytisch, sondern synthetisch und dennoch a priori gedacht; und so in den übrigen Sätzen des reinen Teils der Naturwissenschaft. 3. In der Metaphysik sollen synthetische Erkenntnisse a priori enthalten sein, und es ist ihr gar nicht darum zu tun, Begriffe, die wir uns a priori von Dingen machen, bloß zu zergliedern und dadurch analytisch zu erläutern, sondern wir wollen unsere Erkenntnis a priori erweitern, wozu wir uns solcher Grundsätze bedienen müssen, die über den gegebenen Begriff etwas hinzutun, was in ihm nicht enthalten war und durch synthetische Urteile a priori wohl gar so weit hinaus gehen, daß uns die Erfahrung selbst nicht so weit folgen kann, z. B. in dem Satz: die Welt muß einen Anfang haben und dgl. Und so besteht Metaphysik wenigstens ihrem Zweck nach aus lauter synthetischen Sätzen a priori. Die eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft ist in der Frage enthalten: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" Daß die Metaphysik bisher in einem so schwankenden Zustand der Ungewißheit und Widersprüche geblieben, ist lediglich der Ursache zuzuschreiben, daß man sich diese Aufgabe und vielleicht sogar den Unterschied der analytischen und synthetischen Urteile nicht früher in Gedanken kommen ließ. Auf der Auflösung dieser Aufgabe oder einem genugtuenden Beweis, daß die Möglichkeit, die sie erklärt zu wissen verlangt, in der Tag gar nicht stattfindet, beruth nun das Stehen und Fallen der Metaphysik. DAVID HUME, der dieser Aufgabe unter allen Philosophen noch am nächsten trat, sie aber sich bei weitem nicht bestimmt genug und in ihrer Allgemeinheit dachte, sondern bloß beim synthetischen Satz der Verknüpfung der Wirkung mit ihren Ursachen (Principium causalitatis) stehen blieb, glaubte herauszubringen, daß ein solcher Satz a priori gänzlich unmöglich ist, und nach seinen Schlüsse würde alles, was wir Metaphysik nennen, auf einen bloßen Wahn von vermeintlicher Vernunft = Einsicht hinauslaufen, was in der Tat bloß aus der Erfahrung erborgt und durch Gewohnheit den Schein der Notwendigkeit bekommen hat; auf welche, alle reine Philosophie zerstörend Behauptung er nie gefallen wäre, wenn er unsere Aufgabe in ihrer Allgemeinheit vor Augen gehabt hätte, da er dann auch eingesehen haben würde, daß nach seinem Argument es auch keine reine Mathematik geben könnte, weil diese gewiß synthetische Sätze a priori enthält, vor welcher Behauptung ihn alsdann sein guter Verstand wohl würde bewahrt haben. In der Auflösung obiger Aufgabe ist zugleich die Möglichkeit des reinen Vernunftgebrauchs in Gründung und Ausführung aller Wissenschaften, die eine theoretische Erkenntnis a priori von Gegenständen enthalten, mitbegriffen, d. h. die Beantwortung der Fragen:
"Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?" Nun ist aber diese Art von Erkenntnis in gewissem Sinn doch auch als gegeben anzusehen und Metaphysik ist, wenngleich nicht als Wissenschaft, doch als Naturanlage, (metaphysica naturalis) wirklich. Denn die menschliche Vernunft geht unaufhaltsam, ohne daß bloße Eitelkeit des Vielwissens sie dazu bewegt, durch eigenes Bedürfnis getrieben, bis zu solchen Fragen fort, die durch keinen Erfahrungsgebrauch der Vernunft und daher entlehnte Prinzipien beantwortet werden können, und so ist wirklich in allen Menschen, sobald sich in ihnen Vernunft bis zur Spekulation erweitert, irgendeine Metaphysik zu aller Zeit gewesen und wird auch immer darin bleiben. Und nun ist auch von dieser die Frage:
Da sich aber bei allen bisherigen Versuchen, diese natürlichen Fragen, z. B. ob die Welt einen Anfang habe, oder von Ewigkeit her sei? usw. zu beantworten, jederzeit unvermeidliche Widersprüche gefunden haben, so kann man es nicht bei der bloßen Naturanlage zur Metaphysik, d. h. dem reinen Vernunftvermögen selbst, woraus zwar immer irgendeine Metaphysik (es sei welche es wolle) erwächst, bewenden lassen, sondern es muß möglich sein, mit ihr es zur Gewißheit zu bringen, entweder im Wissen oder Nichtwissen der Gegenstände, d. h. entweder der Entscheidung über die Gegenstände ihrer Fragen, oder über das Vermögen und Unvermögen der Vernunft in Anbetracht ihrer etwas zu urteilen, also entweder unsere reine Vernunft mit Zuverlässigkeit zu erweitern, oder ihr bestimmte und sichere Schranken zu setzen. Diese letzte Frage, die aus der obigen allgemeinen Aufgabe fließt, würde mit Recht diese sein:
Auch kann diese Wissenschaft nicht von größer abschreckender Weitläufigkeit sein, weil sie es nicht mit Objekten der Vernunft, sondern bloß mit sich selbst, mit Aufgaben, die ganz aus ihrem Schoß entspringen und ihr nicht durch die Natur der Dinge, die von ihr unterschieden sind, sondern durch ihre eigene vorgelegt sind, zu tun hat; da es dann, wenn sie zuvor ihr eigen Vermögen in Anbetracht der Gegenstände, die ihr in der Erfahrung vorkommen mögen, vollständig hat kennen lernen, leicht werden muß, den Anfang und die Grenzen ihres über alle Erfahrungsgrenzen versuchten Gebrauchs vollständig und sicher zu bestimmen. Man kann also und muß alle bisher gemachten Versuche, eine Metaphysik dogmatisch zustande zu bringen, als ungeschehen ansehen; denn was in der einen oder der anderen Analytisches, nämlich eine bloße Zergliederung der Begriffe ist, die unserer Vernunft a priori beiwohnen, ist noch gar nicht der Zweck, sondern nur eine Veranstaltung zur eigentlichen Metaphysik, nämlich seine Erkenntnis a priori synthetisch zu erweitern, und ist zu diesem untauglich, weil sie bloß zeigt, was in diesen Begriffen enthalten ist, nicht aber wie wir a priori zu solchen Begriffen gelangen, um danach auch ihren gültigen Gebrauch in Anbetracht der Gegenstände aller Erkenntnis überhaupt bestimmen zu können. Es gehört auch nur wenig Selbstverleugnung dazu, alle diese Ansprüche aufzugeben, da die nicht abzuleugnende und im dogmatischen Verfahren auch unvermeidliche Widersprüche der Vernunft mit sich selbst jede bisherige Metaphysik schon längst um ihr Ansehen gebracht haben. Mehr Standhaftigkeit wird dazu nötig sein, sich durch die Schwierigkeit innerlich und den Widerstand äußerlich nicht abhalten zu lassen, eine der menschlichen Vernunft unentbehrliche Wissenschaft, von der man wohl jeden hervorgeschossenen Stamm abbauen, die Wurzel aber nicht ausrotten kann, durch eine andere der bisherigen ganz entgegengesetzte Behandlung endlich einmal zu einem gedeihlichen und fruchtbaren Wuchs zu befördern. ![]()
1) Hug, Hugo, Hugr hieß in der nordischen Sprache der Gedanke, der innere Sinn, die Neigung. Er zog umher allenthalben spähend, leicht wie ein Gedanke. Hugsa, Hägsa heißt denken, geheim aussinnen, im Schild führen. 2) Schwerlich hat das Wort Hexe den Ursprung, den ihr die kritische Philosophie (Anthropologie, Seite 42) anweist: "das jetzt deutschgewordene Wort Hexe kommt von den Anfangsworten der Meßformel bei der Einweihung der Hostie her, welche der Gläubige mit leiblichen Augen als eine kleine Scheibe Brot sieht, nach Aussprechung derselben aber mit geistigen Augen als den Leib eines Menschen zu sehen verbunden wird." Nach mehreren Dialekten der nordischen Sprache kommt der zum Scheuwort gestaltete Name wie der edelgebliebene HUGH, HUGO, wahrscheinlich von hegen her, d. h. im Sinn führen, in Gedanken hegen. Bösen Gedanken, einem bösen Blick und Wort schrieb man die Inkarnation zu, die die Macht im Stillen zu behexen, d. h. durch bösen Sinn heimlich zu schaden, so wie die Hexerei auch jeher Gehege, d. h. umschlossenen Kreis, Zauberzirkel mit einer geheimen Sinnesversendung liebte. Oder es kommt von der Schnelligkeit her, die man diesen Künstlerinnen zuschrieb: denn Hag, Häg, Hägr heißt ein gewandter, in Ausrichtung seines Werkes geschickter Künstler. Der wahrscheinliche Ursprung des Hokuspokus (eines viel neueren Wortes) ist seit TILLOTSON bekannt. Siehe seinen Discourse against Transsubstantiation, Glossarium. 3) "Meißel und Schlegel können ganz wohl dazu dienen, ein Stück Zimmerholz zu bearbeiten, aber zum Kupferstechen muß man die Radiernadel brauchen. So sind gesunder Verstand sowohl als spekulativer, beide, aber jeder in seiner Art brauchbar; jener wenn es auf Urteile ankommt, die in der Erfahrung ihre unmittelbare Anwendung finden; dieser aber wo im Allgemeinen aus bloßen Begriffen geurteilt werden soll." Siehe Prolegomena, Seite 12 und 13. Und gegen wen wird dies gesagt? Gegen REID und BEATTIE; sie sollen den Meißel und Schlegel gebraucht haben; hoffentlich ist in der nachfolgenden Metakritik auch die Radiernadel angewandt und kann noch schärfer gebraucht werden. 4) Kritik der reinen Vernunft, Seite 884, zweite Auflage. 5) Zweite verbesserte Auflage, 1787. 6) LOCKE, LEIBNIZ, HUME, REID u. a. folgten dem Sprachgebrauch, da sie ihre Werke Essay concerning human understandig, Nouveaux Essais sur l'entendement humain, Treatise of human nature usw. nannten. In anderen bestimmten Sprachen würde der Titel Critica intellectus humani, Critique de la pure raison, Critic on human understandig sogleich einen widrigen Begriff erwecken, da man nur von einem critqueur sagt: il critique la raison humaine. 7) Prolog zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Vorrede Seite 14, Riga 1783. 8) GEORG SULZERs Zergliederung des Begriffs der Vernunft: seine Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Sprache in die Vernunft, der Vernunft in die Sprache (Vermischte philosophische Schriften, Teil 1, Seite 246; Teil 2, Seite 168. Siehe auch LAMBERTs Semiotik. 9) Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, von IMMANUELL KANT, Königsberg 1790. 10) Kritik der reinen Vernunft, Seite 2 und 3 11) Kritik der reinen Vernunft, Seite 3 12) Kritik der reinen Vernunft, Seite 12 13) Kritik der reinen Vernunft, Seite 13 14) "Diese Einteilung ist in Anbetracht der Kritik des menschlichen Verstandes unentbehrlich und verdient daher klassisch zu sein. Prolegomena, Seite 30, 31. |