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Logische Untersuchungen [ 1 / 4 ]
I. LOGISCHE UNTERSUCHUNGEN Die Absicht logischer Untersuchungen bezeichnen wir zunächst in wenigen Zügen. Es ist das eigentümliche einer philosophischen Betrachtungsweise, aus dem Ganzen das Einzelne zu erkennen und es wird dabei stillschweigend vorausgesetzt, daß das Ganze aus einem Gedanken stammt, der die Teile bestimmt. Indessen hebt dich dieser Gegensatz im Fortschritt der Wissenschaften auf. Denn das Einzelne strebt zum Ganzen und aus dem Ganzen ist nie der Anfang zu erkennen. Es sind die Wissenschaften dadurch groß geworden, daß sich die erforschenden Kräfte auf Einzelnes wandten und nicht unmittelbar auf das Ganze. Die beschränkte Kraft konnte dem beschränkten Gegenstand genügen. So wurden durch die Teilung der Arbeit feste Punkte gewonnen, auf denen die Erkenntnis des umfassenden Ganzen wie auf einer Grundlage ruht. Diesen Weg hat die Philosophie nach ihrer eigentümlichen Richtung verschmäht. Während die Geschichte der übrigen Wissenschaften einzelne Entdeckungen und die glückliche Kombination derselben berichtet, stellt die Geschichte der Philosophie die verschiedenen Weisen dar, in welchen das Ganze der Erkenntnis angeschaut wird. Es erheben sich auch in der neuesten Zeit Systeme neben Systemen; und weil sie alle das Ganze und aus dem Ganzen das Einzelne eigentümlich zu verstehen meinen, teilen sie kaum einige feste Punkte miteinander und haben fast gar keinen gemeinsamen Boden. Jedes fängt mit dem Ganzen von Neuem an und weil es allen Wert in das Ganze setzt, rückt die Erkenntnis des einzelnen Inhalts nicht durch die Philosophie, sondern nur durch den ruhigen Gang der einzelnen Wissenschaften fort. Den philosophischen Systemen wird die gegenseitige Verständigung in demselben Maße schwer, als ie keinen anerkannten Gemeinbesitz haben, wie die übrigen Wissenschaften. Wir versuchen den umgekehrten Weg. Es bleibt immer der Trieb allen menschlichen Erkennens darauf gerichtet, das Wunder der göttlichen Schöpfung durch ein nachschaffendes Denken zu lösen. Wenn die Aufgabe im Einzelnen begonnen wird, so treibt das Einzelne von selbst weiter; denn mit derselben Macht, mit welcher alles aus dem Grund hervorstieg, weisen die Dinge nun rückwärts wieder auf den Grund zurück. Wo das Einzelne scharf beobachtet wird, offenbart es an sich die Züge des Allgemeinen. Hier zeigt es die Fugen, durch die es mit dem Ganzen zusammenhängt; dort die Wege, auf denen es aus dem Ganzen Leben empfängt. Es dient als Glied einem Leib und ist von diesem Leib selbst zum Glied herausgebildet. Darum wird es nur durch die Zweck setzende Seele verstanden, welche den Leib regiert. Auf diese geistige Bestimmung des Ganzen wird daher die Untersuchung des Einzelnen hinführen. Wenn das Einzelne tiefer erforscht eine Selbständigkeit für die Wissenschaft gewinnt - denn es wird zu einer bedeutsamen Tatsache - : so ist zu hoffen, daß dadurch auch die wechselnden Ansichten des Ganzen zu größerem Bestand kommen werden; denn die schweifende Möglichkeit wird durch gewonnene feste Punkte immer mehr eingeengt. Wie in einer unbestimmten algebraischen Aufgabe durch neue Bestimmungsstücke der möglichen Fälle immer weniger werden und die gedachte weite Möglichkeit immer enger wird und der einen Wirklichkeit immer näher rückt: so geschieht es gerade in denjenigen Wissenschaften, die in einzelnen Beobachtungen neue Bestimmungsstücke suchen und aus dem festgestellten Einzelnen das Ganze immer treuer zu entwerfen hoffen. Wer den hier bezeichneten Gedanken einzelner Untersuchungen für unphilosophisch erklären will - denn Begriffe, wie Ganzes und Teile, seien ja starre und äußerliche Bestimmungen, welche erst im dialektischen Tiegel umgeschmolzen und in Fluß gebracht werden müßten - : mit dem wollen wir nicht rechten. Die Bedeutung dieser Begriffe wird später sich später erhellen. Der Name gilt uns gleich; wenn nur Philosophisches gewonnen wird, schelte man von mir aus diese Ansicht auch empirisch. Was sich in den einzelnen Untersuchungen ergibt, wird nicht ein Einzelnes bleiben, wie eine eingelegte Episode, sondern soll vielmehr in die Handlung des Ganzen eingreifen. Die Reihe der Untersuchungen soll den Kreis der logischen Fragen durchlaufen und eine Ansicht der ganzen Wissenschaft zu gewinnen streben. Die nächste Erörterung ist bestimmt, die Aufgabe und die Richtung dieser Disziplin zu bezeichnen. als grundlegende Wissenschaft 1. Erst im Gegensatz gegen die besonderen Wissenschaften entsteht das Bewußtsein einer allgemeinen, welche wir Philosophie nennen. In den Anfängen der Erkenntnis umfaße noch ein Blick die entgegengesetzten Richtungen; die besonderen Wissenschaften und eine solche allgemeine schieden sich noch nicht und erst mit den sich im Einzelnen dehnenden Kreisen traten sie auseinander. Die besonderen Wissenschaften führen selbst über sich hinaus. In ihrem Streben sich selbst genug zu sein suchen sie sich zwar als ein selbständiges Gebiet abzuschließen, aber sie müssen die Grenzen doch wiederum öffnen, indem sie einsehen, daß sie blinde Voraussetzungen in sich tragen, unbesehene Grundbegriff, aufgenommene Prinzipien, unerörterte Ursprünge. Wenn ferner die besonderen Wissenschaften miteinander in Streit geraten, so kommt in diesem Widerstreit ein Allgemeines, dem sie alle ingesamt gehorchen müssen, zur Empfindung; die Wissenschaften fassen den Gedanken eines Ganzen, an welchem sie selbst nur ein Teil sind und haben das Verlangen, sich zusammen als dieses Ganze zu denken. Wenn die besonderen Wissenschaften in ihren gebundenen Kreisen beengende Schranken ziehen, so begehrt das Auge nach freierer Aussicht und sucht die Befriedigung eines Überblicks von einer beherrschende Höhe. Indem die einzelnen Wissenschaften den Geist zwar durch eine durchgeführte Betrachtungsweise schärfen, aber ihn durch einseitige Zucht in seiner allgemeinen Empfänglichkeit abstumpfen, wecken sie in jedem höher gestimmten Geist das Bedürfnis einer Belebung, welche nur aus der Ergänzung des Besonderen durch das Allgemeine fließen kann. Aus diesem notwendigen Streben und Gegenstreben entspringt die Philosophie, welche, wenn anders die Idee auf den bestimmten Gedanken des Ganzen in den Teilen und des Allgemeinen im Besonderen geht, Wissenschaft der Idee heißen mag. 2. Wo es noch keine anderen Wissenschaften gibt, da gibt es auch eigentlich noch keine Philosophie. Was unter solchen Verhältnissen, wie im Orient, z. B. in Indien, als Philosophie erscheinen mag, ist eigentlich nur ein Erzeugnis des religiösen Geistes, der in einem durch ihn gebundenen und bestimmten Gedankenkreis sich selbst beschauen und selbst bejahen und den Trieb nach Erweiterung und Fortpflanzung befriedigen will, eine Scholastik der nationalen Religion. Daher hüte man sich vor Erklärungen der Philosophie, welche diese mit der Religion oder der Theologie zu vermengen drohen, wie z. B. vor der Begriffsbestimmung, die Philosophie sei die Erkenntnis des Ewigen, oder vor Erklärungen, welche ihr eine so allgemeine Richtung zuschreiben, daß auch die besonderen Wissenschaften darunter fallen, wie z. B. vor der Begriffsbestimmung, die Philosophie sei das Streben des Geistes nach der Erkenntnis der Wahrheit. Wo bliebe die Würde der anderen Wissenschaften, wenn nicht dasselbe Streben nach Wahrem und Unwandelbaren die ethische Gesinnung aller wäre? Die Wissenschaften bilden sich geschichtlich an zerstreuten Punkten und setzen an entlegenen Orten an. Sie erscheinen insofern nicht wie Glieder eines Ganzen, sondern wie unverbundene Stücke, welche, jedes für sich, ein Ganzes sind. Entsprungen im Menschen, der wie ein beschränkter Teil in die große Welt hineingestellt und nur Teilen derselben zugekehrt ist, können sie zunächst nur auf Teile des Universums oder auf Teile der Teile gehen. Erst wenn das Universum vom erkennenden Geist wieder erzeugt wäre, würde sich in vollem Sinne der Organismus der Wissenschaften darstellen, in welchem die einzelnen Disziplinen Glieder eines Ganzen werden. Ein solches Ganzes, welches erst die Frucht vollendeter Erkenntnis sein kann, liegt wie die letzte Idee in weiter Aussicht, fast wie in unendlicher Entfernung. Es würden sich in ihr die Philosophie und die besonderen Wissenschaften nicht mehr scheiden; die Philosophie würde alle besonderen Wissenschaften in sich aufnehmen und die besonderen Wissenschaften würden die Philosophie aufbauen. Inzwischen ist es auf dem Weg zu dem weit hinausgerückten Ziel das Geschäft der philosophischen Forschung, die Idee des Ganzen in den Teilen, die Idee des Allgemeinen im Besonderen aufzusuchen und darzustellen. In jeder Wissenschaft finden sich zunächst nach zwei Seiten Elemente, welche auf gleiche Weise dem Teil wie dem Ganzen angehören oder im Besonderen die Macht eines Allgemeineren offenbaren. Der besondere Gegenstand jeder Wissenschaft tut sich als die Verzweigung eines allgemeinen Seins und die eigentümliche Methode tut sich als eine besondere Richtung des erkennenden Denkens, des Denkens überhaupt, kund. Jene Beziehung führt von jeder Wissenschaft aus zur Metaphysik und diese Beziehung zur Logik. 3. Zunächst das Erste. Der Gegenstand jeder Wissenschaft ist beschränkt; an der Grenze macht sich das Begrenzende, das Nachbargebiet, geltend; und der Zusammenhang der Objekte offenbart sich zunächst in diesem Nebeneinander. Wenn wir indessen das uns geläufige Bild von wissenschaftlichen Gebieten oder Feldern, welche wie geometrisch nebeneinander liegen, verlassen und anstelle dieses Bildes das eigentliche Verhältnis aufsuchen: so hat das Allgemeine jeder Wissenschaft, welches als solches fähig ist, Besonderes in sich aufzunehmen oder Höheres in sich auszubilden, zum Allgemeinen der übrigen Wissenschaften eine besondere Lage, indem es anderes voraussetzt und von anderem vorausgesetzt wird. Es entsteht in dieser Richtung die Frage, was das allgemeine durch alles durchgehende Seiende sei und es liegt in ihr das Motiv zu einer philosophischen Wissenschaft, welche ARISTOTELES erste Philosophie und die Späteren nach Maßgabe der in den aristotelischen Schriften angenommenen Reihenfolge Metaphysik nannten und welche dahin geht, das Seiende als Seiendes und was dem Seienden als solchem zukommt zu erkennen, während die einzelnen Wissenschaften sich ein Stück vom Seienden, wie die Mathematik die Größe, zur Betrachtung abschneiden. (1) Alle besondere Erkenntnis geschieht in einem Allgemeinen und jede Wissenschaft führt ihren Gegenstand auf allgemeine Gründe zurück, welche sich zwar in den besonderen Objekten eigentümlich gestalten, aber doch einen höheren Ursprung als das Besondere haben. Wird nun das Seiende als solches so aufgefaßt, wie es als das Allgemeine im Besonderen, gleichsam als die Wurzel in den Zweigen, tätig ist: so verwandelt sich die Erkenntnis desselben in die Erkenntnis der ersten Grüne, nämlich der ersten Gründe, wenn wir vom Ursprung des Wesen beginnen oder der letzten, wenn wir von der Erscheinung anheben und zum Wesen zurückgehen. In diesem Sinne mündet jede Wissenschaft in die Metaphysik, wenn sie bis dahin vordringt, wo ihre besonderen Gründe ins Allgemeine übergehen oder vielmehr wo das Allgemeine sich zum Besonderen ausbildet. Inwiefern diese Gestaltung des Allgemeinen zum Besonderen bei den einzelnen Wissenschaften, je nach dem Gegenstand, verschieden sein wird, bald mehr und bald minder vermittelt: so hat jede Wissenschaft ihr eigenes metaphysisches Problem und ihre Metaphysik muß den eigentümlichen Zusammenhang ihres Objekts mit dem Seienden als solchem, ihrer Gründe mit den allgemeinen darstellen, welche, unabhängig von den einzelnen Wissenschaften, gleichsam vor den einzelnen liegen. Die Metaphysik der Mathematik, die Metaphysik der Naturwissenschaften, die Metaphysik der Moral werden verschiedene Seiten oder verschiedene Verzweigungen der Einen auf die letzten Gründe gerichteten Betrachtung darstellen. In den verschiedenen Beleuchtungen, unter welchen die verschiedenen Systeme den Begriff der Metaphysik zeigen, wird man die durchgehende Bedeutung wieder erkennen, nach welcher im Gegensatz gegen alle das Seiende als Besonderes betrachtenden Wissenschaften, seien sie spekulativen oder empirischen Ursprungs, der Metaphysik das Seiende als Seiendes, das allgemeine Sein, das dem Besonderen zugrunde liegt, zur Erörterung zugewiesen wird. Selbst in der neueren deutschen Philosophie, der es nicht an originaler Auffassung fehlt, spielt der ursprüngliche Begriff nur in anderer Farbe. KANT bezeichnet die Prinzipien a priori, ohne welche es keine Erfahrungserkenntnis geben kann, als metaphysisch und schreibt in diesem Sinne metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und eine Metaphysik der Sitten. Es ist zwar in dem eigentümlichen Zusatz des a priori eine Ansicht über den Ursprung der Erkenntnis aufgenommen, welche dem Geiste KANTs eigentümlich angehört; aber es bleibt im übrigen der Metaphysik das Allgemeine und Notwendige, welches die Erkenntnis des Besonderen begründet. Wenn HERBART die Metaphysik als die Wissenschaft von der Begreiflichkeit der Erfahrung erklärt, so gehört die Erfahrung dem Besonderen an und das Begreifen, das bestimmt ist, die Widersprüche aus den Erfahrungsbegriffen wegzuschaffen, geschieht aus einem Allgemeinen und zwar nach HERBART gerade aus dem Begriff des Seienden ansich. Ehe wir der Metaphysik, wie KANT und HERBART auf ihre Weise getan haben, eine besondere Richtung verleihen, eine Richtung, welche schon dem Ertrag der Untersuchungen vorgreifen würde, ist es gut, den Begriff der Metaphysik in jener ursprünglichen aristotelischen Einfachheit zu denken. Auf solche Weise führt jede Wissenschaft auf die Metaphysik, welche das Seiende als solches, das Allgemeine als Grund des besonderen Gegenstandes aufzufassen bemüht ist. 4. Die Methode ist das Zweite, dem Objekt gegenüberstehend. Jede Wissenschaft enthält ein eigentümliches Verfahren, durch welches sie ihren Gegenstand und zuletzt den Grund des Gegenstandes in den Besitz des Geistes bringt. Bemüht die bloße Meinung auszuschließen, welche flüchtigen Fußes kommt und geht und ohne Kraft des Widerstandes schon dem ersten Anlauf unterliegt, welche die Dinge nicht erreicht und den Geist verwirrt, schlagen die Wissenschaften verschiedene Wege ein, um die Vorstellung zu befestigen und mit dem Gesetz der Sache zu erfüllen. Die mathematischen Wissenschaften z. B., welche ihren Gegenstand von innen bilden und die Einsicht in denselben aus dem Einfachen ins Zusammengesetzte erweitern, verfahren anders als die Naturwissenschaften, welche ihre Objekte als das Erzeugnis verwickelter Vorgänge und vielfach verschlungener Bedingungen in die einfachen Elemente und deren Beziehungen zurückführen. Im Sinne der verschiedenen Methode spricht man wohl von der eigentümlichen Methode einzelner Wissenschaften, von der Logik der Mathematik, der Naturwissenschaft, der Jurisprudenz. Auf den verschiedenen Wegen äußert sich indessen nur das eine Denken, welches vielgestaltig sich immer dem Gegenstand anschmiegt, um ihn zu erfassen. In den Wissenschaften wird dem einen Denken nur ein verschiedener Antrieb gegeben, immer neue Künste zu erfinden, welchen sich der Gegenstand wie gefangen ergeben muß. Aber durch alle geht nur eine Kunst hindurch und in allen offenbart das Denken sein mit sich selbst einiges, sein durch wenige Mittel mächtiges Wesen. In allen sucht es das Notwendige; nirgends erträgt es den Widerspruch, aber auf Umwegen verwendet es selbst den Widerspruch, um Notwendiges zu bestimmen. Wenn wir den Weg Notwendigkeit zu erzeugen oder den Weg die Erkenntnis dem Notwendigen anzunähern und den Grad der Annäherung an die Notwendigkeit zu ermessen Methode nennen, so macht die Methode die Wissenschaft zur Wissenschaft. Und wenn die Methoden zwar am Gegenständ der Wissenschaften erscheinen, aber in ihm nicht gegeben sind, sondern in dem den Gegenstand durcharbeitenden Denken ihren allgemeinen Grund haben: so führt dies auf die Aufgabe, ihren Ursprung im Wesen des Denkens zu suchen. Auf solche Weise führt der Metaphysik gegenüber jede Wissenschaft auf die Logik, auf die Untersuchung des Denkens, das erkennend Wissenschaften erzeugt. 5. Wenn die Wissenschaften sich vollenden wollen, so bedürfen sie gerade dessen, worauf sie, über sich selbst hinaus, hinführen. Logik und Metaphysik sind insofern ihre eigene Forderung, die Konsequenz ihres wissenschaftlichen Triebes. Nach derselben Seite weisen Fragen, welche in der Entwicklung jedes regsamen Geistes entspringen. Gemeiniglich wächst zwar der Mensch, zunächst von den umgebenden Dingen unterrichtet und von der überlegenen Vernunft der Reiferen gewöhnt, in einer unbewußten Einheit seiner Vorstellungen mit den Dingen, in unbefangenem Glauben an ihre Wahrheit und Gewißheit auf. Aber wenn er sich zu besinnen und wenn er selbst zu denken beginnt, wenn er durch verfehlte Hoffnungen, durch verfehlte Erfolge Mißtrauen gegen seine Vorstellungen und gegen die Dinge lernt, so verfällt er dem Zweifel; und wenn wir im Zweifel nur wissen, daß wir nicht wissen, und dennoch vom Trieb zum Wissen erregt sind, werden wir kritisch; und die Fragen über die Grenzen unseres Erkennens, welche in dieser Stimmung des Geistes entstehen, greifen bald in die Logik, bald in die Metaphysik hinüber. Wenn der Widerspruch Gedanken, die man zusammenbringen möchte, unerbittlich auseinander hält, wenn er Gedanken, welche sich einig glaubten, entzweit und das Sichere unsicher macht: so fühlt man hinter der Gewalt des Widerspruchs die Macht des Denkens und zugleich den Zwang der Sache, welche dem Denken Gesetze gibt. Man empfindet im Grund des Widerspruchs die Notwendigkeit, welche das gemeinsame Rätsel der Logik und Metaphysik ist. Wo der Widerspruch fern bleibt, ist noch keine Gewißheit. Erst das Bewußtsein der Notwendigkeit ist das Gegenteil des den Geist hin- und herziehenden Zweifels. Wo der Zweifel, der im Einzelnen, wenn er das Wissen sichern will, heilsam ist, sich unterfängt, allgemein gelten zu wollen und wo er Gesinnung der Wissenschaft überhaupt sein will, so daß die Wissenschaft nur ein Wissen sein soll, daß sie nicht weiß: da wird er zum Skeptizismus, der den Nerv des forschenden Geistes lähmt. Es ist nicht genug, im Allgemeinen zu erkennen, daß ein solcher Skeptizismus sich selbst widerspricht, indem er lehrt, man könne nichts lehren und doch dieses lehrt, indem er wissen will, daß man nicht weiß und doch dieses zu wissen behauptet. Es ist nicht genug, im Allgemeinen zu zeigen, daß schon dieses negative Lehren und Wissen, obwohl ein geringes Maß von Wissen, feste Punkte voraussetzt, welche in der Konsequenz entwickelt unter der Hand zu einem positiven Wissen werden. Die theoretische Widerlegung des Skeptizismus liegt stillschweigend in der Logik, welche eine Einsicht in das Wesen der Notwendigkeit und in den Vorgang, wie die Erkenntnis derselben wird, zu eröffnen strebt. 6. Wenn alle Wissenschaften ingesamt hier auf die Logik, dort auf die Metaphysik hinweisen, als auf die Erkenntnis eines Allgemeinen, das sie voraussetzen: so wird diejenige Erkenntnis, welche die Wissenschaft in ihrem Wesen begreifen und Theorie der Wissenschaft sein will, die Metaphysik und die Logik gemeinsam umfassen müssen. Erst aus beiden Beziehungen läßt sich die innere Möglichkeit des Wissens verstehen und das Denken in seinem Streben zum Wissen begreifen. Man hat die Wissenschaft, welche die Betrachtung des Denkens und Seienden als solchen einigt, mit PLATO Dialektik genannt; wir nennen sie lieber, um einen Nebenbegriff zu vermeiden, Logik im weiteren Sinne und richten auf eine solche Logik unsere "logischen Untersuchungen". Um in einem Vorblick die Einheit der Logik und Metaphysik aufzufassen, erwägen wir vorläufig Folgendes. Der Anfang der Wissenschaften pflegt im scheinbar Zufälligen zu liegen, meistens im nächsten Besten, oft in dem, was gerade auffällt; aber sie vollenden sich erst im Notwendigen. Ihr Gang ist die Bewegung vom Zufälligen zum Notwendigen und ihre Arbeit die Darstellung eines Zusammenhangs, der das Zufällige in Notwendiges einreiht. Wenn sich z. B. die empirischen Wissenschaften zunächst die Dinge besehen, wenn sie dann die Erscheinungen beobachten, wenn sie Zerstreutes sammeln, das Gesammelte ordnen, in der Ordnung ein Ganzes zur Übersicht bringen: so macht sich schon in der Beobachtung das Beständige geltend und im Ganzen will der Grund durchbrechen und im Grunde die Notwendigkeit erscheinen. Im Anfang nicht frei von Neugierde gelangte der Geist in den Wissenschaften der Erfahrung von selbst zu dem Ernst, den das Gesetz einflößt. Die Gesetze, welche die Empirie sucht, sind Ausfluß der Notwendigkeit des Ganzen, welches, wenn auch in der letzten Einheit noch verborgen, sich darin doch offenbart. Wenn die spekulativen Wissenschaften, wie z. B. die reine Mathematik, mit einem losgelösten Spiel von Gedanken, mit freier Kombination von Elementen beginnen mögen: so fesselt in diesem Spiel doch der Ernst der Regel und des Gesetzes den Geist und gerade in diesen Wissenschaften leuchtet ihm zuerst die theoretische Notwendigkeit ein. Die vorrückende Wissenschaft verwandelt die unbestimmten Vorstellungen in notwendig begrenzte, das als wirklich Empfundene in notwendig Gedachtes. Demnach ist das Ziel und Maß aller Wissenschaft die Notwendigkeit und auf die Notwendigkeit zielt die Methode, das Motiv, das in jeder Wissenschaft zur Logik liegt und auf die Notwendigkeit der Zusammenhang mit den ersten Gründen, der das Motiv jeder Wissenschaft zur Metaphysik enthält. Diese Notwendigkeit, nirgends als gegeben vorgefunden, sondern vom Geist erworben, erscheint als ein gemeinsames Produkt des Logischen und Metaphysischen. Denn Denken und Sein sind darin beide in ihren allgemeinsten Zügen erkennbar und darin eigentümlich verwachsen. Im Notwendigen ist zunächst die Kraft des Denkens ersichtlich. Ohne Denken gäbe es weder Mögliches noch Notwendiges, sondern nur Wirkliches. Es gäbe kein Mögliches, inwiefern das Mögliche erst da erscheint, wo der Gedanke das Wirkliche löst und lockert und mit den abgehobenen Elementen desselben für sich operiert; es gäbe kein Notwendiges, inwiefern das Notwendige das Sein als vom Gedanken durcharbeitet und durchdrungen darstellt. Nur das Denken vermag zu erproben, daß etwas nicht anders sein kann, als es ist, d. h. das Wirkliche zum Notwendigen zu erheben. Aber im Notwendigen gibt sich ebenso das Seiende kund. Ohne Sein gäbe es ebensowenig ein Notwendiges; denn der Gedanke muß sich, um Notwendiges hervorzubringen, allenthalben von der Natur der Sache bestimmen und binden lassen; er muß zur Sache werden und aus der Sache heraus das Gesetz entwerfen. An der Notwendigkeit jeder Wissenschaft läßt sich wie an einem Beispiel dieses doppelte Element zeigen. Wenn man nun beide Beziehungen, die Beziehungen des Denkens und des Seienden, zusammendenkt: so ergibt sich, daß in der Notwendigkeit, durch welche die Wissenschaft zur Wissenschaft erhoben wird, das Seiende in das Denken und das Denken in das Seiende eigentümlich aufgenommen ist. Aus diesem Verhältnis der Sache geht in einer vorläufigen Betrachtung hervor, daß nur diejenige Erkenntnis Theorie der Wissenschaft sein wird, welche in denselben Sinne, wie die einzelnen Disziplinen ihre besonderen Methoden und ihr besonderes Objekt innig vereinigen, auch die Logik und Metaphysik in der Einheit als dem Grund dieses Besonderen auffaßt. Weil alle Disziplinen auf dem Grund einer solchen Wissenschaft stehen und sich stillschweigend auf Voraussetzungen aufbauen, welche sie allein zu erkennen bestrebt ist: so ist eine solche Theorie der Wissenschaft (die Logik im bezeichneten weiteren Sinne) grundlegende Wissenschaft, "philosophia fundamentalis".
1) ARISTOTELES, Metaphysik IV, 1. p. 1003 a 21 |