H. RickertOgden/RichardsH. HerringF. E. O. Schultze | |||
Das Beschreiben [Eine logische Untersuchung zur positivistischen Methodenlehre] [4/4]
III. T E I L Die wissenschaftliche Beschreibung und ihre Hilfsmittel § 1. Vollständigkeit der Beschreibung Wie jedes wissenschaftliche Verfahren gegenüber dem des praktischen Lebens wird auch die wissenschaftliche Beschreibung durch das Bestreben gekennzeichnet sein, alle Bestimmungen jenes bis in die letzten Möglichkeiten zu verfolgen. So muß sie die Analyse des Gegebenen einem Ideal zu nähern suchen, das die vollkommenste Darstellung ihres Gegenstandes ist. Dementsprechend wäre die Aufgabe der Physik, ein möglichst vollkommenes Bild der ganzen unbelebten Natur zu geben, jenes "Weltbild", von dem die Positivisten häufig sprechen (1). Aber schon für die Ansprüche des täglichen Lebens zeigt sich die gewöhnliche Beschreibung ihrer Aufgabe, ein Bild des betreffenden Gegenstandes zu geben, nur sehr unzulänglich gewachsen. Wie blaß, unvollständig und schwerfällig erscheint sie gegen die unmittelbare, lebendige Anschauung! Ähnliche Schwierigkeiten bleiben für die wissenschaftliche Beschreibung bestehen. Das erste Erfordernis zur Erreichung ihres Ziels der Vollkommenheit ist, daß sie absolut vollständig ist. So formuliert auch KIRCHHOFF die Aufgabe der Mechanik, die Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben. Dabei ist die Bedeutung dieser Forderung der Vollständigkeit vollkommen klar: es soll eben keine Frage, die in Bezug auf die Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben. Dabei soll die Bedeutung dieser Forderung nach Vollständigkeit vollkommen klar sein: es soll eben keine Frage, die in Bezug auf die Bewegungen gestellt werden kann, unbeantwortet bleiben (2). Aber eine Erfüllung dieser Forderung zeigt sich in den verschiedensten Richtungen nur sehr beschränkt möglich. Eine vollständige Beschreibung im Sinne des Weltbildes hätte zunächst die Aufgabe, alle Gegenstände in der Welt lückenlos aufzuzählen, einen "Weltkatalog" (siehe oben) zu liefern. Zweierlei Hilfsmittel stehen dafür zur Verfügung: einmal das System der Zahlen und einfachen Rechenoperationen (Addieren und Multiplizieren), das in das Chaos der Einzelerscheinungen bis zu einem weiten Grad Übersicht und Ordnung hineinbringt und so die Aufgabe wesentlich erleichtert. Die tiefgründigen Probleme über das Wesen der Zahl und ihre Anwendung auf reale Gegenstände können hier übergangen werden. Auch möge die Frage, ob sich eine solche arithmetische Behandlung mit den Bedingungen der Beschreibung verträgt, mit der Begründung einfach bejaht werden, daß dieses Verfahren nichts anderes ist als die Weiterbildung des im Bestand der Wahrnehmung Angelegten (3). Außer diesem logischen Hilfsmittel werden praktische angewandt. Den Mängeln der Wahrnehmung an Weite und Schärfe, die sich schon im praktischen Leben bemerkbar machen, soll die Benutzung von Instrumenten abhelfen. So wird mit dem Fernrohr das Himmelsgewölbe erforscht, so mit dem Mikroskop die Mannigfaltigkeit der Strukturverhältnisse scheinbar homogener Körper entdeckt usw. Mit dieser extensiven Vollständigkeit eng verbunden ist die ebenso zu erstrebende intensive (4), welche von jedem einzelnen Ding die vollständige Darstellung seiner Bestimmtheiten, sowohl des isolierten Gegenstandes wie seiner Beziehungen zu allen anderen, geben soll. Auch hier werden die Leistungen der Sinnesorgane gesteigert durch die Einschaltung von Instrumenten. Aber es sollen nicht nur die Inhalte der Wahrnehmung dabei qualitativ bereichert, etwa durch eine geeignete Beleuchtung eine Farbe deutlicher gemacht werden, sondern in erster Linie gilt es, die vagen Bestimmungen über die quantitativen Verhältnisse zu einer größeren Genauigkeit zu bringen. So wird das Messen zum unentbehrlichen Hilfsmittel der exakten Beschreibung. Mittels der Längenmaßstäbe fixiert es die sichtbaren Beziehungen des Größer und Kleiner, den Inhalten der Druckempfindung gibt es Bestimmtheit durch die Waage, denen des Temperatursinns durch das Thermometer usw. Wieder können hier die Fragen über die Prinzipien des Messen, die Meßbarkeit der äußeren Dinge und die Anwendung der Zahlen übergangen werden. Wichtig für das Verfahren der Beschreibung ist, daß eine unmittelbare Vergleichung des zu beschreibenden Objekts mit einem - stets durch Konvention willkürlich festgelegten - Maßstabe nur bei der Längenmessung stattfindet. Die Erscheinungen aller anderen Sinnesgebiete werden mittelbar gemessen, indem sie auf räumliche Veränderungen zurückgeführt und diese dann durch den Längenmaßstab bestimmt werden. So wird nicht das Gewicht eines Körpers, oder seine Temperatur "abgelesen", sondern der Ausschlag des Waagebalkens und die Länge des Quecksilberfadens. Und entsprechend bleibt es im ganzen Gebiet der Physik, selbst die kompliziertesten elektrodynamischen Messungen erlangen ihre Resultate aus räumlichen Beobachtungen. Es fragt sich nun, ob die Anwendung der instrumentalen Hilfen innerhalb der Beschreibung zu Recht besteht. Zunächst ist es für das Resultat der Beschreibung ebenso gleichgültig, ob es durch Beobachtung mittels des bewaffneten oder des bloßen Sinnesorgans gewonnen ist, wie es ohne Belang war, ob es auf eigener Wahrnehmung oder auf Mitteilung beruth (siehe oben). In diesem Sinne kann man die Bakterien so gut wie die Ringe des Saturn beschreiben. Auch dem Messen steht prinzipiell kein Bedenken entgegen, insofern die Feststellung der Gleichheit des Gegenstandes mit dem Vielfachen einer bestimmten Maßeinheit nur eine besondere Art derjenigen Urteile ist, welche als Formulierungen des Größer und Kleiner in die Reihe der beschreibenden Relationsurteile gehören (siehe oben). - Aber wieder gilt es, die Voraussetzungen dieses Verfahrens zu prüfen. Für die Längenmessung bleibt allerdings die Gültigkeit in der Beschreibung ohne weiteres bestehen. Denn der Vergleich zweier körperlicher Strecken setzt nichts anderes voraus als die Unveränderlichkeit der räumlichen Verhältnisse, die wir mit umso mehr Recht ebenso annehmen können, da die Möglichkeit eines Beweises der Inhomogenität des Raumes sehr unwahrscheinlich ist. Anders steht es bei allem übrigen Messen, wo die Zurückführung der Erscheinungen verschiedener Sinnesgebiete auf räumliche Veränderungen in bestimmten Voraussetzungen über die Berechtigung einer solchen Übertragung begründet sein muß. Der einfache Fall der Wärmemessung am Thermometer z. B. setzt voraus, daß bei der Berührung zweier Körper die Wärme des einen sich dem anderen mitteilt bis zur Gleichheit der Temperaturen, dann, daß eine Wärme-Zufuhr oder -Entziehung in einem bestimmten Sinn eine Volumenänderung bewirkt, und schließlich, daß diese Veränderungen in jedem einzelnen Fall in gleicher Weise und in quantitativ gleichen, bestimmten Verhältnissen vor sich gehen. Je komplizierter die Messungen weiterhin werden, desto größer wird natürlich die Zahl der vorausgesetzten Sätze. Man sieht also, daß alles Messen, das einen schlechthin unentbehrlichen, wesentlichen Bestandteil des physikalischen Verfahrens ausmacht, auf Bedingungen beruth, die als Naturgesetze zugleich den eigentlichen Inhalt der Physik ausmachen. Von der Deutung, die man ihnen gibt, hängt es also unter diesem Gesichtspunkt ab, ob das Messen noch den Bestimmungen der Beschreibung entspricht oder nicht. So ist von neuem die Abhängigkeit der positivistischen Forderung von der sachlichen Entscheidung gefunden, daß Sinn und Geltung der Naturgesetze als Voraussetzung der Möglichkeit der Möglichkeit des Messens die Rechtmäßigkeit dieser Forderung bestimmen. Was nun das Bestreben nach Vollständigkeit betrifft, das für die Beschreibung eine Bereicherung und exaktere Bestimmung des Wahrnehmungsinhaltes forderte, so zeigt sich, daß trotz der mannigfachen Instrumentierung eine wirkliche Vollständigkeit nie erreicht werden kann. Nicht nur sind auch den feinsten Instrumenten Schranken gesetzt, jenseits derer sich das Gegebene der Wahrnehmung entzieht, sondern auch für die intensive Vollständigkeit bleibt jeder Fortschritt doch nur eine asymptotische Annäherung an ein unerreichbares Ideal. Denn wie die Aufzählung aller Gegenstände in der - praktisch jedenfalls so zu nennenden - unendlichen Welt, so ist auch die vollständige Angabe aller Merkmale einerseits und die völlig exakte Bestimmung eines Maßverhältnisses andererseits infolge der unvermeidlichen Beobachtungsfehler und der Inkommensurabilität [prinzipielle Unvergleichbarkeit - wp] der verglichenen Strecken unmöglich. In diesem Sinne ist eine vollständige Beschreibung von vornherein eine unendliche, darum unlösbare Aufgabe. Doch braucht diese Erkenntnis keineswegs zum Verzicht auf eine Lösung zu führen. Es ist in keiner Wissenschaft anders, als daß sie ein Annäherungsverfahren an ein Ideal der nie zu erreichenden Vollkommenheit darstellt, und jedes ihrer methodologischen Prinzipien nur soweit wie irgendmöglich durchgeführt wird. So muß das Streben nach Vollständigkeit die wissenschaftliche Beschreibung auch in seiner eingeschränkten Gültigkeit weiter beherrschen. Es fragt sich aber nun, auf welche Weise am Besten dieser prinzipielle Mangel an Vollständigkeit für die Beschreibung ausgeglichen wird. Wenn das gegebene Mannigfaltige nicht vollzählig in die Beschreibung eingehen kann, so muß aus seiner Fülle eine Auswahl getroffen werden, deren Prinzipien nunmehr untersucht werden sollen. Ein erster Gesichtspunkt für die Wahl innerhalb der unendlichen Mannigfaltigkeit des Gegebenen liegt in dem Ziel, durch diese Wahl das Komplizierte zu vereinfachen. Auch KIRCHHOFF fordert, die Mechanik solle die Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise beschreiben und weist darauf hin, daß diese Bestimmung nicht ganz klar und einer mehrdeutigen Auslegung fähig ist. (5) Das kommt daher, daß die Forderung der Einfachheit selbst relativ ist und eines Maßstabes bedarf, nach dem bestimmt wird, wieviel zur einfachen Darstellung nötig, was entbehrlich ist. Wenn in der Beschreibung eines Tintenfasses ein Spritzfleckchen auf dem Gestell fortgelassen, bei einem Blütenblatt aber ein winziges, andersgefärbtes Pünktchen hervorgehoben wird, so pflegt das mit dem Argument begründet zu werden, daß dieses Pünktchen "wesentlich" ist, jener Fleck aber nicht. Jedoch auch der Gesichtspunkt des Wesentlichen gibt keine selbständige Norm, da er selbst an einem bestimmten Prinzip orientiert sein muß. So sind z. B. am selben Wahrnehmungsinhalt ganz verschiedene Bestimmungen wesentlich, je nachdem ob er als Gegenstand der Psychologie, der Physik oder der Chemie usw. betrachtet wird. Dem formalen Prinzip der Auswahl, der Vereinfachung, der Hervorhebung des Wesentlichen muß also eine materiale Bestimmtheit gegeben werden. Prinzipiell sind dafür nun wieder unendlich viele Möglichkeiten vorhanden, denn es können in willkürlichster Forderung etwa in der Sinnenwelt alle Körper von bestimmter Farbe oder Gewicht usw. von allen anderen ausgesondert werden und dgl. mehr (6). Die völlig Sinnlosigkeit eines solchen Verfahrens läßt diese Möglichkeit auf sich beruhen. Fruchtbar ist eine Auswahl innerhalb des Gegebenen nur, wenn in diesem selbst die Aufforderung (7) gefunden wird, gewisse Seiten auf Kosten anderer zu bevorzugen. Was die Wissenschaft leistet, ist wieder die Fortbildung des im praktischen Leben unwillkürlich Geübten. Drei Gesichtspunkte sind es hauptsächlich, die hier in Betracht kommen, und nach deren Anwendung sich die verschiedenen Zweige der allgemeinen Naturwissenschaft gliedern lassen. Zunächst wird allgemein anerkannt, daß sich in der Mannigfaltigkeit des Gegebenen gewisse Komplexe unwillkürlich für das wahrnehmende Subjekt aussondern, weil sie in wiederholter Wahrnehmung regelmäßig wiederkehren. Dieser Konstanten gibt es zwei ganz verschiedene Arten: diejenigen des simultanen räumlichen Beieinander, der Koexistenz, und die der zeitlichen Aufeinanderfolge, der Sukzession. Die ersteren bilden das Auswahlprinzip für die systematischen Naturwissenschaften, Botanik, Zoologie usw., während die Konstanten der Sukzesson das sind, was die physikalischen Disziplinen aufzusuchen bestrebt sind. Daß auch hier, wie bei jeder Typen-Einteilung (8) die Grenzen nicht reinlich zu ziehen sind, versteht sich von selbst. So kreuzt sich mit diesen beiden Einteilungen auch der dritte Gesichtspunkt, zugleich aber ein selbständiges Prinzip darstellend. Es ist die Wahl nach bestimmten Größenverhältnissen, wie sie am deutlichsten in der kartographischen Geographie geübt wird. Je nachdem, welches dieser Prinzipien und in welchem Grad der Genauigkeit es angewandt wird, entstehen für ein und denselben Wahrnehmungsbestand die verschiedensten Formen der Beschreibung. Hier liegt der Grund für die von JOHN STUART MILL bemerkte Möglichkeit, daß von einem Ding verschiedene Beschreibungen richtig sein können (9), die mit Unrecht bestritten worden ist. Dieses Auswahlverfahren ist nun mit den Bedingungen der Beschreibung zu vergleichen. Zunächst fragt es sich, ob das Heranbringen solcher Gesichtspunkte, die doch eine besondere logische Funktion an den Wahrnehmungsinhalten ausüben, überhaupt mit einer Beschreibung vereinbar ist. Das scheint aber zweifellos der Fall zu sein, da sich aus der Unmöglichkeit einer vollständigen Beschreibung die Notwendigkeit einer Auswahl und damit auch eines Prinzips für dieselbe, ergeben hatte, eine Beschreibung aber ohne das gar nicht möglich ist. Aber das ist andererseits gewiß, daß nur solche Maßstäbe angelegt werden dürfen, die den Bestimmungen der Beschreibung entsprechen. Nun ist das Auswählen gewisser und das Vernachlässigen anderer Bestandteile eines gegebenen Inhalts das, was von altersher als Abstraktion bezeichnet wird. Auch die genannten Prinzipien der Auswahl entsprechen denen der traditionellen Abstraktionslehre, denn das verschiedenen Gegenständen Gemeinsame ist stets eine Konstante im obigen Sinn. Wir haben aber gesehen, daß die Produkte einer solchen Abstraktion aus dem Gebiet der Beschreibung mit Nachdruck auszuschließen waren (10). Hier zeigt sich ein Mangel der Abstraktionstheorie, der erst in neuester Zeit behoben worden ist. Das gleiche Verfahren der Auswahl, nach den gleichen materialen Prinzipien, kann nämlich zu ganz verschiedenen Resultaten kommen, je nachdem der individuell-anschauliche Charakter des ursprünglich Gegebenen, von dem in jedem Fall auszugehen ist, beibehalten oder zu einer idealen, unanschaulichen Bedeutung verflüchtigt ist. Nur die erstere, die anschauliche Abstraktion vom Mond (10), welche die Bedingung erfüllt, dem Gegenstand seine Singularität zu bewahren, kann selbstverständlich in der Beschreibung angewandt werden, während die begriffliche Abstraktion eben jene abgewiesenen Resultate zeitigt. (11) Wenn so die anschauliche Abstraktion als wesentliche Funktion der Beschreibung aufgewiesen ist, gilt es, im Einzelnen ihre Bedingungen zu untersuchen. Von den genannten materialen Prinzipien erfüllt das der Größenverhältnisse am deutlichsten die Forderung, daß der beschriebene Gegenstand ein individueller bleiben muß. In der Geographie wird die einzelne Fluß-, Gebirgs- usw. -Bildung dargestellt unter Vernachlässigung aller Modifikationen, die unter einer gegebenen Maßgröße bleiben. Die Mannigfaltigkeit geographischer Karten, die auf der gleichen Fläche einmal die ganze Oberfläche der Erde, das andere Mal den Grundriß einer Stadt abbilden können, erläutert die Funktion dieses anschaulichen Abstrahierens nach den verschiedenen Größen-Maßstäben. Bei den systematischen und physikalischen Naturwissenschaften liegt die Sache anders. Zwar richtet sich die einzelne Beobachtung auch hier stets auf den individuellen Fall, aber die Bestimmungen, die sie beschreibend von ihm aussagt, sind gewählt, weil sie ihm mit vielen anderen gemeinsam, weil es Konstanten irgendeiner Art sind. Als Exemplar der begrifflich festgelegten Gattung, als Fall eines Naturgesetzes, wird so der einzelne Gegenstand zum Typus. Aber wir haben gesehen (siehe oben), daß er auch dann noch als Objekt der Beschreibung bestehen kann. So kommt es nur darauf an, welchen Sinn diese Auswahlprinzipien haben. Sie sind zunächst Hypothesen, welche durch den einzelnen Fall verifiziert und dadurch zu größerer Wahrscheinlichkeit gebracht werden. Das Streben nach größtmöglicher Exaktheit macht dem so schematisierten Verfahren in der Praxis das Experiment und die wissenschaftliche Beobachtung dienstbar. Die experimentelle Anordnung ist die ins Äußerste fortgeführte, vereinfachende Auswahl und will mit der größten Annäherung an die Wahrheit sowohl die inhaltlichen wie die quantitativen Bestimmtheiten der Konstanten feststellen. Ihre allgemeine Voraussetzung ist, daß es solche Konstanten gibt und im einzelnen Fall, daß diese Konstanz zwischen den bestimmten einzelnen Erscheinungen besteht. Im Prinzip ist es bei der Beobachtung der systematischen Naturwissenschaften ebenso: nur brauchen sie wegen der gleichzeitigen und beharrenden Existenz der Beziehungsglieder keine experimentelle Hilfe. In beiden Fällen bleibt der Sinn des Auswahlprinzips der gleiche: es sind Naturgesetze, Induktionen, die in fortgesetzter Korrektur am einzelnen Fall zu immer weiterer Gültigkeit und Exaktheit gebracht werden. Wiederum ist zu fragen, wieweit diese Naturgesetze den Bestimmungen der Beschreibung entsprechen. Zwei Seiten dieses Problems hatten wir schon früher berührt: der Sinn der Abhängigkeit der Glieder und die Deutung der Gesetzlichkeit des Geschehens als bloßer Regelmäßigkeit waren als sachliche Bedingungen festgelegt (siehe oben). Eine letzte Frage kommt hinzu: der Sinn der Induktion. Die induktiv allgemeinen Gegenstände als solche hatten wir als Objekt möglicher Beschreibung erkannt. Aber wie steht es mit dem Sinn des ganzen Verfahrens? Wie ist es möglich, innerhalb der Grenzen der Beschreibung, von den beobachteten Fällen auf die nicht beobachteten, die zukünftigen, zu schließen? Die Bedingungen für diesen Schluß liegen im Prinzip der Induktion. Kann dieses selbst wiederum als allgemeinste empirische Regel eines gleichförmigen Geschehens gedeutet werden, und nicht vielmehr als eine Anwendung des Kausalgesetzes, dann und nur dann kann eine Physik bestehen, die beschreibend sein und zugleich mit der tatsächlichen Forschung in einer praktischen Übereinstimmung bleiben will. - Die Bestimmungen der wissenschaftlichen Beschreibung sind aber mit dem Bisherigen noch nicht erschöpft. Schon im täglichen Leben bestehen große Unterschiede zwischen einer guten und schlechten Beschreibung. Diese beruhen nicht nur auf einer geübten Auswahl - je mehr die für das Ziel der Beschreibung wesentlichen Bestandteile ausgewählt sind, desto besser ist sie natürlich -, sondern auch darauf, wie die so ausgewählten Bestandteile angeordnet werden. Eine nach beiden Gesichtspunkten schlechte Beschreibung, wie sie von Kindern meist gebracht wird, wäre die, etwa von einem Automobil so anzufangen: vorne sind zwei Laternen, usw. Dagegen erscheint es für eine gute Beschreibung selbstverständlich, daß innerhalb der ausgewählten Bestandteile wiederum ein Prinzip angewandt werden muß, um eine sinnvolle und übersichtliche Reihenfolge ihrer Darstellung zu bestimmen. Das trifft sowohl die Beschreibung des einzelnen Gegenstandes wie das wissenschaftliche Ganze beschreibender Urteile. Am einfachsten liegt die Sache, wenn die räumliche oder zeitlich Ordnung des Gegebenen ein solches Prinzip unmittelbar an die Hand geben. Von der räumlichen Anordnung des Neben- und Übereinander, zugleich unvermeidlich auch vom zeitlichen Verlauf geleitet ist z. B. die Beschreibung, welche der Geograph gibt, wenn er auf der Forschungsreise seine Beobachtungen notiert und kartographische Aufnahmen macht. Aber bei einer späteren objektiven Darstellung wird er anders verfahren. So unterscheidet sich in jeder Wissenschaft die genetische von der systematischen Darstellung; nur die letztere, die sich von den Zufälligkeiten der subjektiven Forschung nach Möglichkeit zu befreien sucht, kommt hier in Betracht. Sie würde in der Geographie z. B. völlig verfehlt sein, wenn die Schilderung eines Landes etwa von Osten nach Westen jede politische und wirtschaftliche Grenze, jeden Fluß, Hügelrücken usw. in der Reihenfolge ihres räumlichen Nebeneinanders aufzählen wollte. Vielmehr wird der Geograph einerseits Gleichartiges zusammenfassend die physischen, anthropologischen usw. Gesichtspunkte getrennt behandeln, andererseits nach dem Prinzip der Größenmaßstäbe zuerst die Gesamtrichtlinien, dann die speziellen Formationen der Flüsse, Gebirge, Grenzen usw. angeben. Ist so schon bei der am ausgesprochenst beschreibenden Wissenschaft der Geographie das Prinzip der Anordnung nur durch den Gegenstand seiner Anwendung, nicht durch seinen Inhalt von dem der Begriffsbildung verschieden, so zeigt sich die Verwandtschaft zwischen Beschreibung und Begriffsbildung noch mehr bei den eigentlichen Naturwissenschaften, wo der Gegenstand nicht mehr in einem solchen Maß wie in der Geographie ein individueller bleibt. Was hier die Beschreibung des Einzeldings betrifft, so wird mit Selbstverständlichkeit die Methode geübt, in die allgemeinen Umrisse (12), die "Leitvorstellung", die speziellen Züge einzutragen. Logisch stellen sich diese Bestimmungen als nichts anderes dar als die Angabe der Gattung und der unterscheidenden Merkmale. So zeigt sich wieder die Notwendigkeit, gemäß dem Sinn und Zusammenhang den Inhalt wörtlich ein und desselben Urteils einmal als Klassifikation, das andere Mal als Beschreibung zu deuten (siehe oben). Die Grenze zwischen beiden Auffassungen wird dadurch noch schwieriger zu finden, weil die Beschreibung des Gegenstandes häufig dem Zweck dient, ihn als Exemplar der Gattung, als "Fall" des Gesetzes zu erkennen. Im Allgemeinen jedoch spielt die Beschreibung des einzelnen Dings nur eine nebensächliche Rolle im Ganzen der Naturwissenschaft, so daß die eigentliche Frage der Anordnung sich auf das System der Wissenschaft richten muß. Die Parallelität zwischen den systematischen und physikalischen Wissenschaften bleibt auch hier bestehen. Beider System ist zuerst eingeteilt in große Abteilungen, wie Kryptogamen [Vermehrung ohne Blüte - wp] und Phanerogamen [Vermehrung mit Staub- und Blütenblättern | wp], - Mechanik, Optik usw., welche entsprechend den allgemeinsten Begriffen ihrer Gegenstände gebildet sind. Wenn man weiter die Anordnung innerhalb dieser Abteilungen als die vom Allgemeinsten zu allmählich immer Speziellerem angibt, so ist damit sowohl für die Gegenstände der Botanik und Zoologie, wie für die physikalischen Vorgänge ein Anordnungssystem gegeben, das in seiner Vollendung das Ideal der betreffenden Wissenschaft ausmacht. Aber mit einem Schlag ist auch der Kontrast beleuchtet zwischen der ursprünglich abgeleiteten Aufgabe der Beschreibung, einen Katalog zu geben, und diesem systematischen Gefüge. Denn ist dieses Ein-, Über- und Unterordnen von Begriffen und Gesetzen überhaupt noch ein Beschreiben zu nennen? Zweifellos läßt sich ein Anordnen von Sätzen und Begriffen nach dem Prinzip der größeren und geringeren Allgemeinheit mit den Bedingungen der Beschreibung eigentliche nicht vereinigen. Denn innerhalb des Gebietes möglicher Wahrnehmung sind nur Gesichtspunkte äußerlicher Art für die Anordnung zu gewinnen, wie die der Größe oder sinnlicher Qualitäten. Trotzdem wäre es wieder verfehlt und dem Sinn der Wissenschaft nicht gerecht werdend, wenn man mit diesem Argument die Frage der Beschreibungsforderung entscheiden wollte. Denn wie schon einmal das unvermeidliche Hineinfließen begrifflicher Funktionen in den Verlauf der Beschreibung gezeigt wurde (siehe oben), so ist auch hier das Walten der Begriffe als eine Eigentümlichkeit anzusehen, die jedem Verfahren notwendig zukommt, wenn es wissenschaftlich sein will. Die Anwendung der Gesichtspunkte logischer Allgemeinheit und Einordnung kann also hier so wenig wie irgendwo anders eine Entscheidung über das spezielle Verfahren einer Wissenschaft abgeben. Schluß Unsere Untersuchung des Begriffs der Beschreibung ist damit beendet. Stets im Hinblick auf die Forderung einer beschreibenden Physik geführt, hat sie die Berechtigung dieser Forderung von sachlichen Problemen abhängig gezeigt: nur wenn unter völliger Ausschaltung des Kausalbegriffs alle vorkommenden Beziehungen als "funktionale" in einem weiteren Sinn gedeutet werden können, wenn das Wesen des induktiven Schließens mit empirischer Verallgemeinerung erschöpft ist, wenn dementsprechend Sinn und Geltung der Naturgesetze auf die Bedeutung von Regeln ohne die Voraussetzung irgendeiner Notwendigkeit beschränkt bleiben, nur dann ist es möglich, von einer beschreibenden Physik oder überhaupt von Naturwissenschaft zu reden. Wie erfüllt nun dieses Ergebnis unsere Aufgabe, zur Lösung der Streitfrage, ob eine beschreibende Physik möglich ist, beizutragen? Ihre Entscheidung ist mit der Reduktion auf sachliche Probleme naturgemäß nicht gewonnen, sondern erst der Weg dazu gewiesen. Aber durch die Feststellung der Voraussetzungen ist das Recht, die Beschreibungsforderung zu vertreten, in der Weise eingeschränkt, daß es nur noch dem strengsten Positivismus zusteht. Und damit ist eine ordnende Abgrenzung vollzogen innerhalb der Mannigfaltigkeit der erkenntnistheoretischen Standpunkte, von denen aus, wie anfangs erwähnt, die Forderung gestellt zu werden pflegt: wer immer die Geltung "überempirischer" Faktoren innerhalb der wissenschaftlichen Physik anerkennt, darf die Forderung nicht mehr streng aufrechtheralten, und damit scheiden eben alle aus, die nicht mit dem äußersten Positivismus Ernst machen. Diesem darf auch keine Art der Betrachtung zugeordnet werden, welche auf den ersten Anschein die Bedingungen der Beschreibung zu erfüllen scheint: die statistische. Sie ist eine Methode, um aus der Unzahl von Beobachtungen auch dann ein übersichtliches Ganzes zu schaffen, wenn man noch keine Einsicht in einen kausalen Zusammenhang hat, noch einen solchen vermuten kann. Ihrem logischen Charakter nach ist die Statistik nahe verwandt und auf der gleichen Stufe stehend mit dem Katalogisieren, das wir als adäquates Verfahren der beschreibenden Methode kennengelernt haben. So scheint es ein starkes Entgegenkommen zum Positivismus zu bedeuten, wenn die neueste physikalische Forschung betont, aus einem großen Gebiet von Erscheinungen, dem der irreversiblen Prozesse, vorläufig nur "statistische Gesetze" ableiten zu können (13). Doch darf nicht übersehen werden, daß alle Statistik nur unter der Voraussetzung einen Sinn hat, daß die Regelmäßigkeit auf dem Gebiet großer Zahlen auf einer zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit beruth, ebenso wie ihr methodisches Hilfsmittel, die Wahrscheinlichkeitsrechnung, dieser Voraussetzung bedarf. Ferner bedarf auch die statistische Rubrizierung eines Prinzips, nach welchem die zu ordnenden Erscheinungen ausgewählt werden, und dies kann für die physikalische Statistik kein anderes sein als das allgemein in der Physik angewandte der Naturgesetzlichkeit. Schließlich wird meistens das statistische Verfahren nur als vorläufiges Mittel betrachtet, um einer kausalen Deutung der Erscheinungen näher zu kommen. Aber selbst wenn man die prinzipielle Möglichkeit einräumt, daß ein solches statistisches Verfahren als Selbstzweck möglich ist, daß man sich bei der Anordnung der Tatsachen in Form von statistischen Tabellen begnügen kann, so weist trotdem das ganze Verfahren in seinen Voraussetzungen auf die gleichen Probleme wie die Beschreibung überhaupt, so daß es für die positivistische Forderung keine begünstigte Rolle spielt. Ein weiteres Resultat muß kurz erwähnt werden: Ebensowenig wie die Statistik sind die sogenannten beschreibenden Naturwissenschaften unabhängig von den hier abgeleiteten Bedingungen der beschreibenden Physik. Die mehrfach angedeutete Parallelität zwischen den systematischen und den physikalischen Naturwissenschaften ist eine durchgreifende. Die Bildung der Gattungsbegriffe gründet sich genauso wie die der Naturgesetze auf die Voraussetzung einer in der Struktur der Erscheinungen gelegene Regelmäßigkeit, welche der Nicht-Positivist als Gesetzlichkeit bezeichnen würde. Die Inhärenz der Merkmale im Gegenstand soll damit nicht auf ein kausales oder funktionales Verhältnis der Sukzession zurückgeführt werden, sondern neben diesem koordiniert bestehen. So tritt die "Substanzinduktion" neben die Kausalinduktion (14). Und das charakterisierende Beiwort "beschreibend", das aus einer Zeit stammt, wo mehr die äußerlichen Merkmale der organischen Wesen als die zugrundeliegenden Bedingungen für die Beobachtung maßgebend waren, wird für die systematischen Naturwissenschaften ebensosehr in Zweifel gezogen wie für die Physik. Was nun schließich die sachliche Entscheidung betrifft, so soll diese hier nicht mehr gegeben werden. Einerseits bedeutet sie eine Analyse der grundlegenden Prinzipien der Naturwissenschaft und überschreitet damit den Rahmen der vorliegenden Arbeit, andererseits sind alle Argumente nicht imstande, Meinungen zu widerlegen, die letztenendes in der persönlichen Weltanschauung wurzeln, so daß sowohl der Positivismus wie auch die entgegengesetzten Ansichten weiter nebeneinander bestehen werden und die Einzeluntersuchung sich begnügen muß, wenn sie, soweit die gemeinsamen Voraussetzungen und Begriffe reichen, zur Klarheit beizusteuern vermag.
1) MACH, Wärmelehre, Seite 366 und öfter 2) KIRCHHOFF, Mechanik, Seite 1 3) vgl. SIGWART, Logik II, Seite 410 4) Über den verschiedenen Sinn und die Relativität der Unterscheidung intensiver und extensiver Vollständigkeit vgl. RICKERT, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 34. 5) KIRCHHOFF, Mechanik, Seite 1 6) RICKERT, Grenzen a. a. O., Seite 59 7) vgl. HEINRICH MAIER, Logik und Erkenntnistheorie, Philosophische Abhandlungen, Sigwart gewidmet, Tübingen 1900. 8) vgl. BENNO ERDMANN, Theorie der Typeneinteilungen, Philosophische Monatshefte, Bd. 30, 1894 9) MILL, Logik I, Seite 374. 10) HEINRICH MAIER, Das geschichtliche Erkennen, Göttingen 1914, Seite 21f. 11) Absichtlich ist hier die Frage der mathematischen [wbmat] Abstraktion übergangen: die Sprache der Mathematik soll als symbolische Ausdrucksweise jeder Interpretation fähig sein. Sonst ließe sich als kräftiges Argument die Frage aufstellen, ob nicht schon die Konstruktion des Massenpunktes in ihrer begrifflichen Abstraktheit die Bezeichnung als beschreibende Wissenschaft für die mathematische Physik unmöglich macht. 12) vgl. LOTZE, Logik, Seite 197f. 13) MAX PLANCK, Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit, Berliner Rektoratsrede vom 3. August 1914. 14) CARL STUMPF, Kolleg über Logik. |