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Über den Begriff der Erfahrung [ 2 / 2 ]
Der "mythologische Zauber" des Apriori übt gegenwärtig nur noch auf Wenige seine Wirkung aus; die "apodiktische Gewißheit der apriorischen Kausalität besteht so lange, als man sich nicht nach ihrer Anwendung in der Erfahrung umsieht. Die Konsequenz der Kantischen Doktrin verlangt die unfehlbare Richtigkeit jedes Urteils, in welchem eine Kategorie enthalten ist; SCHOPENHAUER wagte auch wirklich die Behauptung, daß die Kategorie der Kausalität noch niemals falsch angewandt worden sei, daß noch niemand die bloße zeitliche Aufeinanderfolge mit dem Verhältnis von Ursache und Wirkung verwechselt habe. Um dies glauben zu können, darf man eben nur sehen, was man glaubt; sonst findet man sehr bald das Gegenteil. Ebensowenig wird sich der, welcher weiß, auf welchem Weg Naturgesetze entdeckt werden und zu ihrer stets nur hypothetischen Gültigkeit gelangen, einreden lassen, daß die letztere durch irgendeine Kategorie verbürgt werde. Es haben sich dann auch von beiden Seiten Stimmen erhoben, welche gegen jede Identifizierung des kritizistischen und des naturwissenschaftlichen Standpunktes nachdrücklich protestiert und zum Überfluß auch noch darauf hingewiesen, daß zwischen KANTs großen naturwissenschaftlichen Leistungen und seinem Kritizismus nicht der geringste Zusammenhang besteht. Eine genauere Kenntnis der Schriften KANTs aus seiner kritizistischen Periode wird am sichersten über das Vorurteil hinausführen, als ob ihn ihnen die prinzipielle Begründung der Erfahrungswissenschaften anzutreffen sei; schwieriger werden die Folgen der Kantischen "Revolution" auf erkenntnistheoretischem Gebiet zu überwinden sein, wo sie, statt die vorhandenen Gegensätze zu überwinden, dieselben nur verschoben, außerdem noch einige neue dazu geschaffen hat, um die "Aufhebung des Wissens" desto sicherer zu vollziehen. Diesem Zweck KANTs dient vor allem die Entgegensetzung der Erscheinung und des Dings-ansich, über deren äußere Veranlassung er selbst sich deutlich genug ausgesprochen hat. Die Unterscheidung von Phaenomena und Noumena entbehrt zwar jedes sachlichen Grundes, aber der bloß problematische Begriff eines bloß problematischen Verstandes, der Begriff Noumenon ist "unvermeidlich, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken". Dies zieht nun die Aufstellung des psychologischen Gegensatzes von Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft nach sich, welcher den Dualismus von Phaenomena und Noumena unüberwindlich macht. Die Erkenntnis der Erscheinungen geschieht durch das Zusammenwirken zweier entgegengesetzter Faktoren, der Anschauung und des Begriffs, der Materie und Form, eines aposteriorischen und eines apriorischen Elementes. Die Erscheinung ist Objekt der Erfahrung, welche aber kein Wissen ist, weil sie eben nicht über die Erscheinung hinausgelangt; das Ding ansich ist Objekt des apriorischen Wissens, welches aber der Mensch nicht erreichen kann, da ihm die "intellektuelle Anschauung" versagt ist. So verschwindet die Wirklichkeit des Empirismus und die Notwendigkeit des Dogmatismus, mit ihnen das Wissen beider Standpunkte; übrig bleibt die Möglichkeit des Kritizismus, welche dem Glauben an die Vernunftideen als Grundlage dient. Was über diese Möglichkeit hinaus behauptet wird, ist dogmatisch und transzendent, da es die von KANT gezogenen Grenzen überschreitet. SCHOPENHAUER nannte das Resultat der kantischen Vernunftkritik "Verzweiflung am Wissen"; man kann das gelten lassen, nur muß man hinzufügen: "der Glaubensobjekte". Der von KANT eingeschlagene "Mittelweg", welcher statt der Notwendigkeit die Möglichkeit des Inhaltes der dogmatischen Metaphysik bewies, leistet nun in der Tat ganz dasselbe, wie die letztere; besonders da, wo irgendein Interesse hinzukommt, hält man jede Möglichkeit eo ipso [von Haus aus - wp] für Wirklichkeit und Wahrheit, und wäre sie auch ebenso wahrscheinlich, wie, um mit HUXLEY zu reden, die Annahme, daß der Mond aus grünem Käse besteht. So gab KANT dem Glauben eine Grundlage, welche zwar dem notwendigen Wissen der dogmatischen Demonstrationen an vermeintlicher objektiver Sicherheit nicht gleichgkommt, dafür aber durch das Entgegenkommen der menschlichen "Vernunftanlage" alle rein theoretischen Erkenntnisse in Bezug auf eine subjektive Gewißheit weit hinter sich läßt. Bemerkt zu werden verdient übrigens die allmähliche Wandelung der allgemeinen und notwendigen Vernunftwahrheit, durch welche man vom allerrealsten und absolut notwendigen Wesen schließlich zu einem "möglichen Urwesen" gelangt. Wie das objektive Resultat, so war auch der subjektive Ausgangspunkt des Kritizismus die Möglichkeit. Daß das apriorische Wissen des Dogmatismus dadurch aufgehoben wurde, war ein großer Fortschritt, durch welchen KANT zum Reformator zumindest der deutschen Philosophie wurde; leider aber erforderte es sein praktischer Zweck, daß auch die Wirklichkeit des empiristischen Standpunktes in das Verhältnis der Abhängigkeit von der Möglichkeit gebracht wurde, und hiermit befindet sich der Kritizismus ganz und gar auf echt dogmatischem Boden. Die berühmte Frage: "Wie ist Erfahrung möglich?" ist weit davon entfernt, eine kritische, d. h. eine im Sinne der allgemein wissenschaftlichen Kritik berechtigte zu sein; vielmehr gehört sie zu denjenigen Fragen, welchen KANT selbst das Urteil gesprochen hat. Er wußte sehr wohl, daß mehr gefragt, als vernünftig beantwortet werden kann, und gibt an, wie man allen unmotivierten Fragen zu begegnen hat: man muß die Frage selbst kritisch untersuchen und zusehen, ob sie nicht auf einer grundlosen Voraussetzung beruht, oder die Frage entgegensetzen: woher kommen euch die Ideen, deren Auflösung euch in solche Schwierigkeiten verwickelt? Verfährt man so allen Fragen gegenüber kritisch, so kann man oft nur antworten, "daß die Frage selbst nichts ist". Dieser letzteren Antwort wird für diejenigen unter den modernen Kantianern, welche sich in der Hauptsache an die empiristische Seite des Kritizismus anschließen, die Auffassung eines alten Kantianers zumindest sehr nahe, wo nicht prinzipiell ganz gleich stehen: LUDWIG HEINRICH JAKOB sagt in seinen "Kritischen Versuchen über David Humes Abhandlung" etc. Bd. 1, Seite 596: "Die Frage: Wie ist Erkenntnis überhaupt möglich? ist allein metaphysisch." Diese Bezeichnung läßt dasjenige, worauf es allein ankmmt, deutlich hervortreten: die Frage führt in die Metaphysik, kann daher nur mit den üblichen Mitteln der Metaphysik beantwortet werden, was auch KANTs Antwort zur Genüge zeigt. KANT hatte denselben Hauptzweck wie der Dogmatismus, die Objekte des Glaubens und der Metaphysik, Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, sicher zu stellen; daß er dies in der Form des Glaubens versuchte, begründet seinen Fortschritt über den Dogmatismus hinaus. Das Stichwort des letzteren ist Notwendigkeit der demonstrierten Vernunftwahrheiten; diese verwandelt sich bei KANT in eine bloße Möglichkeit. Wenn dies aus der ganzen Anlage der Vernunftkritik nicht genügend hervorginge, so würde doch KANTs ausdrückliche Erklärung jeden Zweifel daran niederschlagen müssen: "Notwendigkeit ist nichts anderes als die Existenz, die durch die Möglichkeit selbst gegeben ist." (Kr. d. r. V. Seite 99) KANT sah demnach vollkommen richtig hinsichtlich der Notwendigkeit, daß sie eine über die Wirklichkeit hinausgehende Gewißheit nicht in sich schließt; wenn er nun doch wieder eine solche für die Möglichkeit in Anspruch nahm, so erklärt sich dies aus seinem Zweck, das Wissen des Empirismus aufzuheben und ihm in der Möglichkeit eine Grenze zu setzen, durch deren Überschreitung er zum Dogmatismus wird. Daher stammt auch die neuerdings wieder vorgebrachte Rede vom "dogmatischen Empirismus", deren innere Haltlosigkeit am besten dadurch aufgedeckt wird, daß man den Gebrauch des Begriffs der Möglichkeit bei KANT als einen durchaus dogmatischen nachweist. Für den alten Dogmatismus ist Möglichkeit gleichbedeutend mit Denkbarkeit, d. h. Widerspruchslosigkeit; da er über die Wirklichkeit vom Denken aus verfügt, so folgt aus der Möglichkeit einfach die Wirklichkeit, aus dem logischen Begriff eines Objekts dessen Existenz. KANT zerstört nun zwar diesen Wahn, behandelt aber immer noch die abstrakte Möglichkeit als etwas Positives, mit dem man rechnen soll wie mit der Wirklichkeit; daher kann er dem Empirismus zumuten, zu beweisen, daß das Mögliche unmöglich, oder daß das Denkbare undenkbar ist, während doch jener es nur mit dem Wirklichen zu tun hat. Für KANT aber steht es vor aller Kritik der Erkenntnis fest, daß etwas als existierend zumindest der Möglichkeit nach angenommen werden muß, was nicht Objekt der Erfahrung ist; man kann dessen Existenz zwar nicht beweisen, soll aber auch nicht beweisen können, daß es nicht existiert. Das letztere ist nun vom Standpunkt einer konsequenten empiristischen Erkenntnistheorie eine widersinnige Zumutung, was schon SCHOPENHAUER zur Genüge dargelegt hat: affirmanti incumbit probatio [dem Behauptenden obliegt der Beweis - wp]. KANT selbst war in diesen Fragen theoretisch gebildet genug, um nicht über dieses Verhältnis vollkommene Klarheit zu haben, wie aus seinen vorkritischen Schriften deutlich hervorgeht; deshalb macht er die Möglichkeit zur Norm der Erkenntnis: die Behauptung der Notwendigkeit und Unmöglichkeit seitens des Dogmatismus und Empirismus ist ihm daher in gleicher Weise dogmatisch, weil sie über die Möglichkeit hinausgehen. Seine eigene Theorie läßt nun zwar eine Wirklichkeit bestehen, aber nur der Erscheinungen = Vorstellungen, und diese Wirklichkeit ist nur eine unter vielen möglichen. So wird der Empirismus transzendent, indem er lehrt, daß nur die dem Menschen gegebene Wirklichkeit für ihn in Betracht kommt: der menschliche Intellekt ist ja nur einer unter vielen möglichen, und es ist möglich, daß die anderen möglichen Intellekte ganz andere Wirklichkeiten = Vorstellungen haben. Selbst der menschliche Intellekt könnte eine andere, nämlich die Wirklichkeit kat exochen [schlechthin - wp] haben, d. h. die Dinge-ansich, die Noumena erkennen, wenn er eine intellektuelle Anschauung hätte; da er diese aber nicht hat, so erkennt er nur die Möglichkeit der Noumena. Fragen wir nun KANT nach seiner eigenen Anweisung: Woher kommt die Idee der Noumena? so antwortet er: aus der Vernunft. Was ist aber die Vernunft? das Vermögen der Ideen = die Möglichkeit zu den Ideen von möglichen Existenzen. Fragen wir weiter: woher kommt die Trennung von Form und Inhalt der Erkenntnis? so ergibt sich als einzige Antwort die, daß durch die Verselbständigung der Form die Möglichkeit unabhängig von der Wirklichkeit gestellt werden sollte; denn in der letzteren ist kein Inhalt ohne Form, und keine Form ohne Inhalt zu finden. Daraus erklärt sich dann auch, daß die Trennung von Form und Inhalt gänzlich mißlang: Form der Erkenntnis ist bei KANT die sprachliche Einkleidung im Urteil, Inhalt der Stoff der direkten Wahrnehmung. Die Form ist apriorisch; Allgemeinheit und Notwendigkeit sind nicht empirisch, müssen also wohl apriorisch sein, durch die Form entstehen, also wird durch eine Veränderung der Form, d. h. des sprachlichen Ausdrucks ein partikulares und assertorisches Urteil zu einem allgemeinen und apodiktischen Urteil. Fragen wir schließlich nach der Methode, welche zum Kritizismus führte, so hat KANT selbst die Antwort in der Methodenlehre gegeben: er geht nicht von den "zufälligen" Factis aus, sondern von den "notwendigen" Prinzipien. Warum dies? in erster Linie, weil er nur auf dem letzteren Weg zu demjenigen gelangen konnte, was ihm als das Endziel seiner Untersuchung von vornherein feststand; sodann aber mischt sich hier ein Moment ein, welches gegenwärtig oft als das einzig im Kritizismus enthaltene angesehen wird, nämlich der Zweck, zu begreifen oder die "Möglichkeit der Erfahrung zu erklären". Dies ist nun ganz und gar dogmatisch und hat daher den Begriff der Erfahrung von Grund auf verdorben, weil das Begreifen, als Ableiten der Erfahrung aus irgendwelchen nicht empirischen Elementen notwendig in die willkürlichen Kombinationen der Metaphysik zurückführt, wozu dann auch die kantische Verwendung der Möglichkeit vortrefflich stimmt. Der Gebrauch des Begriffs der Möglichkeit ist ein sehr mannigfaltiger; in der Wissenschaft führt die vorläufige Annahme einer aus dem Zusammenhang der Erfahrungserkenntnisse heraus erschlossenen Möglichkeit oft zur Erkenntnis der Wirklichkeit, der antizipierende Gedanke wird durch die spätere Beobachtung und Rechnung bestätigt. Hierdurch erhält der Begriff der Möglichkeit den Anschein einer positiven Bedeutung, die ihm jedoch durchaus nicht zukommt; als vorläufige Annahme oder Hypothese kann er natürlich nur da angewandt werden, wo kein Wissen stattfindet. Demnach impliziert der Gebrauch der Möglichkeit die Negation des Wissens, und ist dem letzteren gegenüber selbst negativ als sein kontradiktorisches Gegenteil. Deutlicher tritt der negative Charakter des Begriffs der Möglichkeit da hervor, wo es sich um eine Auswahl unter mehreren Annahmen handelt, die alle gleich möglich sind; hier enthält man sich, sofern nicht das praktische Interesse zur Entscheidung drängt, des Urteils über die Wirklichkeit, verzichtet auf das Wissen. Überall, wo die direkte Beobachtung ausgeschlossen ist und nur Schlußfolgerungen gezogen werden können, bleibt hinsichtlich der Wirklichkeit eine Ungewißheit, ein Nichtwissen bestehen, welches im Setzen verschiedener Möglichkeiten einen nur scheinbar positiven Ausdruck findet: das Eine kann so gut der Fall sein, wie das Andere, das Dritte usw. hier hat die Erfahrung bereits gelehrt, daß mehrere Fälle möglich oder vernünftigerweise denkbar sind, von denen natürlich immer nur ein einziger zur Wirklichkeit, Objekt der direkten Erkenntnis werden kann. Hier besteht der entscheidende Unterschied der Möglichkeit von der Wirklichkeit darin, daß die letztere stets nur das Eine ist, die unmittelbar erfahren wird, während der berechtigte Gebrauch der Möglichkeit eine durch Denken zu treffende Auswahl unter mehreren Fällen voraussetzt, welche ihrerseits wiederum durch Erfahrung gegeben sind, irgendwo und wann einmal wirklich waren. Diese bereits vorhandene Wirklichkeit ist es nun allein, was zur Anwendung des Begriffs der Möglickeit berechtigt, sofern man nicht scholastisch-dogmatisch alles Denkbare als möglich setzen will, um die Wirklichkeit von der Möglichkeit abhängig zu machen, durch Denken das Sein, durch die Essenz die Existenz zu garantieren. Diesen Mißbrauch hat KANT aufgedeckt und beseitigt, soweit es sich um die Erkenntnis der Objekte handelt; für die Erkenntnistheorie dagegen hat er ihn durchaus beibehalten, weil er für seinen Zweck, dem Begriff der Möglichkeit positive Bedeutung beilegen, sie als ein Mittelding zwischen dem dogmatischen Wissen und dem HUMEschen Nichtwissen von den Glaubensobjekten behandeln mußte, wie er ja seine "kritische Möglichkeit" ausdrücklich als Mittelweg zwischen jenen beiden Extremen bezeichnete. Nun gibt es aber so wenig ein Mittleres zwischen Wissen und Nichtwissen, wie zwischen Sein und Nichtsein, Wahrnehmen und Nichtwahrnehmen. Man muß daher die Möglichkeit entweder zum Wissen oder zum Nichtwissen rechnen; das erste ist dogmatisch, das zweite empirisch. Nur weil KANT das Wissen aufheben wollte, mußte er den Begriff der Möglichkeit positiv brauchen, um dadurch den Inhalt des dogmatischen Wissens zu retten, während er dessen Form aufgab. Aus demselben Grund konnte KANT verlangen, daß man ihm die Unmöglichkeit seiner möglichen Glaubensobjekte beweisen soll; nur aus dem unberechtigten positiven Gebrauch der Möglichkeit heraus wird diese Zumutung erklärbar. Zuerst muß bewiesen werden, daß mehr als bloße Möglichkeit, mehr als ein bloßer Gedanke vorliegt, nämlich Wirklichkeit; die Unwirklichkeit kann begreiflicherweise überhaupt nicht bewiesen werden, da sie einfach eine Privation der Wirklichkeit ist; was nicht erfahren wird, ist nicht wirklich; einen anderen Beweis für Nichtwirklichkeit als den Mangel der Wirklichkeit wird niemand erbringen können. Natürlich ist damit nicht gesagt, daß das, was gegenwärtig nicht wirklich ist, es überhaupt niemals werden kann, das Nichtwirkliche also in diesem Sinn unmöglich ist; vielmehr sollen nur die Begriffe Möglichkeit und Unmöglichkeit als bloße Verhältnisbegriffe aufgezeigt werden, deren Gültigkeit nur nicht in Bezug auf eine mögliche, sondern nur auf eine wirkliche Erfahrung stattfindet. Indem KANT die wirkliche Erfahrung von der Möglichkeit der Erfahrung abhängig macht, verfährt er ganz im Sinne des Dogmatismus, welcher die Möglichkeit als Erkenntnis- und Realgrund der Wirklichkeit betrachtet und diese aus jener ableitet. KANT überträgt dies von den Objekten der Erkenntnis auf die Erkenntnistheorie, macht die mögliche Erfahrung aus Prinzipien zum Grund der "zufälligen" wirklichen Erfahrung und damit die Wirklichkeit von der Möglichkeit abhängig. Seine Frage: Wie ist Erkenntnis oder Erfahrung überhaupt möglich? ist daher metaphysisch und dogmatisch, indem sie von der Vorausetzung ausgeht, daß man hinter die Erfahrung zurückgehen, seinen Standpunkt außerhalb der Erfahrung nehmen könnte. Dies ist aber nichts anderes, als die alte dogmatische Annahme einer apriorischen Vernunfterkenntnis, welche ihrerseits hervorgerufen wurde durch die phantastische Schöpfung unsinnlicher Wesenheiten mittels willkürlicher Kombination sinnlicher Elemente. Echt dogmatisch ist ferner, daß bei KANT ein ohne Methode oder Erkenntnistheorie aufgenommener Inhalt festgehalten wird und durch die Rücksicht auf ihn die einzelnen Lehren des Kritizismus bestimmt sind; mit anderen Worten, daß die Methode und Theorie nur dazu dient, um nach dem von vornherein feststehenden Ziel auf scheinbar rationale Weise hinzuführen. - Der Gegensatz von Wissen und Begreifen ist die Quelle der Trennung von aposteriorischem und apriorischem Wissen, Erfahrung und Spekulation, Wissenschaft und Philosophie geworden; mit seiner Beseitigung fällt daher auch diese Trennung fort. Die Berechtigung zu dieser Beseitigung gibt der Nachweis, daß jener Gegensatz einzig und allein innerhalb des denkenden Subjekts vorhanden, keineswegs aber objektiv begründet ist, d. h. daß Wissen und Begreifen ein und dasselbe Objekt haben. Diesen Nachweis liefert die Darlegung der allmählichen Entwicklung dieses Gegensatzes beim Individuum wie in der Philosophie; daß er weder ursprünglich gegeben, noch durch die Natur der Objekte veranlaßt ist, können wir noch heute durch die Beobachtung unserer selbst wie anderer Personen erkennen und begreifen. Auch für uns gibt es viele Objekte, denen gegenüber Wissen und Begreifen durchaus zusammenfällt, nämlich alle bekannten und gewohnten Wahrnehmungen; diese sind uns vollkommen begreiflich und erregen durchaus nicht die Verwunderung und mit ihr das Kausalitätsbedürfnis, welche nach alten und neuen Philosophen die Quelle des Philosophierens sind. Erst wenn wir uns auf den künstlich geschaffenen metaphysischen Standpunkt der Trennung von Wissen und Begreifen stellen und ihn mit nicht nur berechtigter, sondern dringend gebotener Konsequenz auf alle Objekte ohne Ausnahme anwenden, erst dann gelangen wir dazu, alles unbegreiflich und rätselhaft zu finden, sofern wir nicht einsehen gelernt haben, daß die Ablösung eines objektiv gewandten Begreifens vom Wissen von ganz willkürlichen und falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Der primitive Zustand der Erkenntnis hat kein Wissen im empirischen Sinne, sondern nur Begreifen, d. h. die unerschütterliche Gewißheit, welche aus der Gewohnheit, der regelmäßigen Wiederholung derselben Eindrücke entspringt, läßt es nur höchst selten zur Beobachtung kommen, soweit es sich um praktisch gleichgültige Dinge handelt. Nur das praktische Interesse überwindet die Bequemlichkeit, welche sich am Vertrauen auf die Richtigkeit der unbewußten Ideenassoziation genügen läßt, und führt zur Beobachtung des Zusammenhangs der Erscheinungen und damit zum bewußten Denken. Diese doppelte Buchführung auf erkenntnistheoretischem Gebiet finden wir auch bei den philosophischen Aprioristen immer wieder; überall wo das Denken dem Handeln dient, geben sie das reine Denken auf und bekennen sich zu empiristischen Grundsätzen: "sie handeln wie alle und denken wie niemand", wie J. G. FICHTE in seiner ersten Schriftvon den Idealisten sagte. Wenn so bei den Aprioristen die Rücksicht auf das Interesse die mit Bewußtsein angenommene und festgehaltene Theorie durchbricht, so geschieht dies beim ungebildeten Subjekt natürlich viel leichter, da hier keine Theorie entgegensteht. Die Enge des primitiven Gesichtskreises pflegt nur Bekanntes und Gewohntes aufzuweisen, nebst regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen, welche aber eben infolge der Gewohnheit überhaupt nicht als Veränderungen empfunden, sondern mit zum festen Bestand, dem Sein der Dinge gerechnet werden. Auch neue Objekte oder Veränderungen, die nicht allzusehr von den gewohnten abweichen, werden leicht in den Zusammenhang des vorhandenen Gedankenkreises eingereiht, zumal da ihre Auffassung zu einem guten Teil schon durch diesen bestimmt ist, weshalb nicht allzu stark auffallende Unterschiede gewöhnlich übersehen oder doch ignoriert werden. Sie bleiben daher noch innerhalb des Kreises von gewohnten und damit begriffenen Erscheinungen, und ändern deshalb nichts am Zustand des Subjekts, welches das Verhalten der Objekte seiner Umgebung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vollkommen genau zu kennen glaubt. Hierdurch entsteht einesteils die unfehlbare subjektive Gewißheit, andernteils aber die Meinung von einer ewigen und unveränderlichen Existenz der gewohnten Objekte, und aus diesen beiden Faktoren setzt sich das Produkt der absoluten Erkenntnis zusammen. Diese wird nun die Norm, nach welcher sich die Erscheinungen wie die Gedanken des Subjekts richten, und welche namentlich auch für die Auffassung und das Begreifen von tiefer einwirkenden Veränderungen maßgebend wird. Das Subjekt hat seinen engen Kreis vollkommen abgeschlossen, die Dinge mit allen ihren Eigenschaften und Veränderungen erkannt, und ist fest überzeugt, daß der Umfang seines Wissens mit dem Umfang alles Existierenden identisch ist. Tritt nun etwas ganz Ungewohntes und daher ganz Unerwartetes ein, so entsteht Verwunderung mit dem Bedürfnis zu begreifen, d. h. die neue Erscheinung in den alten Zusammenhang einzuordnen; dem widersetzt sich aber die feststehende Ansicht über die Eigenschaften der bekannten Dinge, also müssen die ungewohnten Veränderungen von unbekannten Dingen ausgehen. So schafft sich das Subjekt für ihm neue Eigenschaften allmählich neue Dinge, Wesen, Substanzen, wie dies oben an der Entstehung des Begriffs Seele gezeigt wurde, und hiermit ist die Trennung zwischen Wissen und Begreifen sachlich vollzogen, wenn sie auch dem Subjekt selbst nicht zu Bewußtsein kommt. Denn es wird mit seinen selbstgeschaffenen Begriffen bald so vertraut, daß es sie mit den Objekten der direkten Wahrnehmung an Erkenntniswert durchaus auf eine Linie stellt und beide in gleicher Weise für Gegenstände der Erfahrung hält. Hierbei bleibt auch die dem Subjekt so nötige Einheit des Erkennens erhalten; die apriorischen Resultate seines Bedürfnisses zu begreifen, wohnen friedlich neben den Produkten seiner Sinneswahrnehmungen. Allerdings vollzieht die unbewußte Ideenassoziation, welcher die dem Begreifen dienenden Objekte entstammen, noch eine andere Leistung, durch welche sie oft mit der direkten Erkenntnis in Widerspruch gerät: sie bestimmt nämlich a priori den Lauf der Dinge, den Eintritt zukünftiger Ereignisse, und zwar, wie natürlich, häufig genug falsch. In solchen Fällen des Irrtums weicht sofort die apriorische Annahme der wahrgenommenen Tatsache, ohne daß jedoch auch eine häufige Wiederholung dieser Korrektur wesentlich auf das Verhalten des Subjekts einwirkte und ihm den Unterschied zwischen den Resultaten der unbewußten Ideenassoziation und der direkten wahrnehmung nebst dem bewußten Denken klar machte. Da es von logischen Bestimmungen nichts weiß, so ahnt es nicht, daß hier ein kontradiktorischer Gegensatz vorliegt, dessen eines Glied neben dem anderen nicht bestehen kann. Über diese Schwierigkeit führt nun die philosophische Spekulation hinweg, indem sie aus dem kontradiktorischen einen konträren Gegensatz macht und einen Dualismus der Existenzen wie der Erkenntnis derselben schafft. Das Nichtsinnliche wird zum positiven Übersinnlichen, die nichtempirische Erkenntnis zur Vernunfterkenntnis: Diesseits und Jenseits, a posteriori und a priori sind damit in ihrem ursprünglichen Inhalt gegeben, wodurch zugleich die spätere Trennung von Wissenschaft des Diesseitigen und Metaphysik des Jenseitigen prinzipiell begründet ist. Diese erhält sich so lange mit einigem Schein des zu Recht Bestehens, als man die Produkte des Begreifens noch für das hält, was sie ursprünglich sein sollten, nämlich für konkrete, wirkliche Wesen; denn hierbei liegt kein Gegensatz, sondern nur ein Unterschied vor. Sobald aber der naive Glaube an die Existenz dieser Wesenheiten fällt und trotzdem die Erkenntnistheorie, welche von derselben ihren Ausgangspunkte genommen hat, beibehalten wird, tritt wieder das alte Verhältnis des kontradiktorischen Gegensatzes ein, zu dessen Beseitigung es nur einen konsequenezen Weg gibt: die Beseitigung eines Gliedes dieses Gegensatzes. Diese kann nun in verschiedener Weise vollzogen werden, etwa durch die Aufhebung allen Wissens bei KANT oder durch die Aufhebung des empirischen Wissens in der HEGELschen Philosophie oder schließlich durch die Eliminierung des Begreifens und seiner Objekte durch den Empirismus. Mit der völligen Durchführung des letzteren würde die reine Erfahrung hergestellt sein; doch stehen ihr gegenwärtig noch verschiedene Hindernisse entgegen. Die transzendenten Objekte, welche früher dem Zweck des Begreifens dienten, sind im Ganzen glücklich beseitigt; die Tendenz aber, in der alten Weise zu begreifen, hat sich erhalten, und erhebe sogar vielfach den Anspruch, allein den definitiven Abschluß der Erkenntnis der Wirklichkeit begründen zu können. Mehrere neuere Philosophen und Naturforscher suchen als besonderes Objekt des Begreifens die Veränderung zu erweisen oder präziser formuliert, die ansich für unbegreiflich gehaltene Veränderung auf irgendeine Weise zu erklären; wäre dies sachlich begründet, so würde damit eine Art von Berechtigung zur Einführung irgendeines nichtempirischen Faktors der Erkenntnis gegeben sein; dies ist jedoch nicht der Fall. Um zu einem allgemeinen und notwendigen Apriori zu gelangen, stellt man die Veränderung als ansich schlechthin unbegreiflich dar und läßt bei jedem Bewußtwerden einer Veränderung das Bedürfnis nach einer Erklärung dieser Tatsache entstehen - das bekannte Kausalitätsbedürfnis. Leider war auch hier das Apriori früher vorhanden und nur um es um jeden Preis zu retten, konstruierte man die angeblich tatsächliche Begründung desselben. Daß durchaus nicht alle Veränderungen ohne Ausnahme, sondern vielmehr nur ein kleiner Teil derselben, nämlich die ungewohnten, den Trieb zu begreifen erwecken, wurde schon hervorgehoben, und läßt sich täglich konstatieren. Hieraus ergibt sich nun aber, daß die Veranlassung zum Begreifenwollen nicht in der objektiven Tatsache der Veränderung als solcher, sondern ausschließich in der Stimmung des Subjekts der eingetretenen Veränderung gegenüber zu suchen ist. Wurde diese schon vorausgesehen und erwartet, so ist ihr Eintreten eo ipso vollkommen begreiflich und regt zu keinerlei Erklärungsversuchen an; dies würde schon genügen, um die Annahme eines apriorischen, allgemeinen und notwendigen Kausalitätsbedürfnisses als durch die Tatsachen widerlegt erscheinen zu lassen. Noch deutlicher zeigt sich aber, daß nicht die Veränderung die Unbegreiflichkeit mit sich führt, in allen denjenigen Fällen, wo wir eine Veränderung erwarten, diese aber nicht eintritt, sondern der gegebene Zustand unverändert bleibt; dann ist uns dies ganz ebenso unbegreiflich, wie wenn eine nicht erwartete Veränderung eintritt. Demnach entscheidet über Begreiflichkeit und Nichtbegreiflichkeit lediglich die Erwartung des Subjektes und über diese dessen Voraussetzungen aufgrund früherer Erkenntnisse [appzep]. Den stärksten Einfluß übt nun die ebenso gewöhnliche wie ganz unberechtigte Voraussetzung, daß nur das Erwartete eintreten wird, da das primitive Denken alle Objekte seines engen Kreises nebst ihren Veränderungen vollkommenen genau zu kennen glaubt. es hat den Kreis des Wissens und damit den des Seins und Geschehens abgeschlossen und weiß daher alles auch das Zukünftige, mit der größten Sicherheit, wie es ja überhaupt seine Gedanken zum alleinigen Maßstab der Dinge macht. Häufig genug erweisen sich nun diese Gedanken als irrtümlich; es geschieht etwas ganz anderes, als erwartet wurde, das Erwartete tritt nicht ein. Hierdurch entsteht die Negation als Zurücknahme einer falschen Voraussetzung; leider aber macht diese Korrektur der unbewußten Ideenassoziation zu schnell Halt vor der Gesamtheit der gewohnten Meinungen über die Natur und Eigenschaften der vermeintlich ganz und gar gekannten Objekte, und führt daher nicht zu der sachlich gebotenen Umgestaltung des ganzen Ideenkreises, sondern im Gegenteil zu neuen prinzipiellen Irrtümern. Die direkte Wahrnehmung lehrt neue Eigenschaften kennen, ungewohnte Veränderungen, welche außerhalb des abgeschlossenen Wissensgebietes liegen; sie werden nun nicht für Eigenschaften der gewohnten Objekte gehalten, mithin auch diese nicht für die Träger der neuen Eigenschaften. Daher schafft man sich zum Begreifen derselben neue Wesenheiten, die sich anfangs wenig, allmählich immer mehr von den direkt wahrgenommenen Objekten unterscheiden. So entstehen durch Negation der gewohnten Vorstellungen die nichtsinnlichen Gebildet als Verneinungen der für bekannt gehaltenen Wirklichkeit; der letzte Grund des "Apriori" ist somit die Negation der Erfahrung, und diese Negation entsteht durch falsche Voraussetzungen dies sich voreilig abschließenden Denkens. Hierdurch wird daran nichts geändert, daß man später den Sachverhalt umkehrt und mit großer Zuversicht die Positivität des Apriori behauptet. Die traditionelle Anmaßung des Dogmatismus sucht jede sachliche Kritik seiner willkürlichen Annahmen und Behauptungen auf bequeme Weise von vornherein dadurch in Mißkredit zu bringen, daß die außer den oben zusammengestellten Beiwörtern des Empirismus noch Schlagwörter wie "Skepsis", "bloße Negation" etc. ertönen läßt, welche ihre Wirkung auf Dilettanten und Laien nie ganz verfehlen. Dem gegenüber legt die historische und psychologische Zergliederung des Apriori seinen negativen Ursprung klar an den Tag; die Beseitigung desselben entspringt daher einseits wohl dem Zweifel, jedoch nur dem an der Unfehlbarkeit der gewohnten unbewußten Ideenassoziationen, andererseits aber der Ausdehnung der positiven Erfahrungserkenntnis auf diejenigen Gebiete, auf welchen früher das spekulative Scheinwissen unter dem Namen des Erklärens oder Begreifens herrschte. Jeder Fortschritt des positiven Wissens füllt eine Lücke aus, die bisher von einer spekulativen Negation der Erfahrung in Beschlag genommen war; so wird der Apriorismus aus einer Position nach der anderen verdrängt und kommt zuletzt wieder da an, von wo er seinen Ausgang genommen hatte, bei der bloßen Negation der Erfahrungserkenntnis. Dieser Zersetzungsprozeß des Apriorismus nähert sich allmählich seinem Ende; der Inhalt des Apriori ist geschwunden, das Wort ist geblieben. Vollendet wird der Prozeß sein, wenn man auch das Wort fallen läßt. Dann werden Viele zu ihrem großen Erstaunen bemerken, daß der positive Inhalt ihrer Erkenntnisse genau derselbe geblieben ist, und daraus den Schluß ziehen müssen, daß doch wohl nur inhaltsleere Worte gefallen sind. Wenn die vorstehende Erörterung sachlich begründet ist, und daraus den Schluß ziehen müssen, daß doch wohl nur inhaltsleere Worte gefallen sind. Wenn die vorstehende Erörterung sachlich begründet ist, so ist damit ein Hindernis der Herstellung der reinen Erfahrung beseitigt, soweit es sich um die konkreten Fälle einzelner Erfahrungen handelt. Nunmehr haben wir noch mit einem Einwand abzurechnen, welcher gegen den Empirismus überhaupt als in sich geschlossene Theorie gerichtet wird, nämlich mit der Behauptung, daß der Empirismus nicht von sich aus die "Möglichkeit" der Erfahrung beweisen, daher sich als Theorie nicht abschließen kann. Die einzige Begründung, welche für diese Forderung beigebracht werden kann, wird aus dem Standpunkt des absoluten Nichtwissens, des konsequenten Skeptizismus hergenommen, welcher sich überall mit bloßen Möglichkeiten begnügt, um nicht dogmatisch zu werden: es ist möglich, daß es keine Erfahrung, kein Wissen gibt, daß alles bloß Schein, Täuschung, Traum etc. ist. Lehrreicht für den Dogmatismus jeder Art ist hier die Verwendung der Möglichkeit zum Zweck der Negation allen Wissens, was sachlich allein gerechtfertigt ist: nur, die persönliche Neigung wird von jenen "Möglichkeiten" die eine oder andere auswählen und so für den Skeptiker wie für den Empiriker dem Dogmatismus verfallen, dessen charakteristisches Merkmal gerade darin besteht, daß er von seinen Möglichkeiten einen positiven, die Erfahrung transzendierenden Gebrauch macht. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, scheinen allerdings Dogmatismus und Skeptizismus nicht das Geringste miteinander gemein zu haben, der letztere seinen Standpunkt außerhalb aller Erfahrung zu nehmen und mit dem dogmatischen auch das empirische Wissen aufzuheben oder jedenfalls in Frage zu stellen. Aber auch dieser moderne Skeptizismus, welcher sich ganz folgerecht aus dem Kantianismus entwickelt hat, bestätigt nur den oben aufgestellten Satz, daß man mit allen möglichen Gedanken zwar leicht über die Wahrheit, niemals aber über die Erfahrung hinauskommen kann. Sobald der Skeptizismus aus der unbestimmten Negation in bloßen Worten heraustritt und letzteren einen begründenden Inhalt beizugeben versucht, indem er die Möglichkeit des Scheins, der Täuschung, des Traums etc. als Gründe für die skeptische epoche [Zurückhaltung - wp] heranzieht, verfährt er echt dogmatisch, indem er einfach "das Sinnliche noch einmal setzt." Er verabsolutiert die relativen Erfahrungen, welche jener Möglichkeit zugrunde liegen, zieht sie aus ihrem objektiven Zusammenhang heraus, läßt ihre spezifischen Unterschiede von anderen Erfahrungserkenntnissen einfach beiseite und gelangt so zu jener unberechtigten Verallgemeiner: "Es ist möglich, daß alles nur ein Traum ist." Mit demselben Recht würde der Dogmatiker behaupten: "Es ist möglich, daß alles wahr ist." Über diese entgegengesetzten, gleich willkürlichen Behauptungen führt einzig und allein der Empirismus hinaus, welcher lehrt und beweist, daß Einiges Schein und Traum, Einiges Wirklichkeit und Erfahrung, welche über aller Möglichkeit und Notwendigkeit steht, gewisser als das zu Beweisende ist und daher ihrerseits nicht wieder von außerhalb ihrer selbst liegenden Beweisen abhängig gemacht werden kann. Denn allen anderen vermeintlichen "Beweisen" gegenüber behalten im Kollisionsfall die Tatsachen der Erfahrung Recht, zumindest für jeden, der aus der Geschichte der philosophischen und wissenschaftlichen Entwicklung etwas gelernt hat. Jeder Beweis muß daher die Erfahrung als Grundlage haben, weshalb die berechtigte Frage die nach der Möglichkeit des Beweises ist; auf diese Frage lautet die Antwort: ein Beweis ist überall da möglich, wo Erfahrung als seine Grundlage vorhanden ist. Unberechtigt ist dagegen die Frage: "Ist Erfahrung möglich?" mit ihrer von vornherein feststehenden und daher auch erst die Frage veranlassenden Antwort: "Erfahrung ist überall da möglich, wo ein Beweis für sie möglich ist." Denn die Frage wie Antwort beruhen in diesem Fall auf der Voraussetzung, daß man noch eine höhere Instanz als die Wirklichkeit der Erfahrung heranziehen könnte; diese Voraussetzung ist aber "grundlos", daher auch, um weiter mit KANT zu reden, "die Frage selbst nichts." Deshalb kann weder die Notwendigkeit des metaphysischen Dogmatismus, noch die positive Möglichkeit der kantischen Vernunftkritik und schließlich auch nicht die negative Möglichkeit des absoluten Skeptizismus mit Grund gegen die Wirklichkeit der Erfahrung ins Feld geführt werden, daher auch vom Empirismus nicht insofern berücksichtigt werden, daß er irgendwelche fremde Elemente in die Theorie der Erfahrung aufnähme und diese dadurch von vornherein unbrauchbar macht. Denn alle Versuche, die sich kontradiktorisch widersprechenden Sätze empirischer und nicht-empirischer Erkenntnis miteinander zu verbinden, sind bisher gescheitert und werden weiterhin scheitern an der Aufnahme von Widersprüchen, welche das sicherste Kriterium des Irrtums sind. Es bleibt daher zur Herstellung einer in sich geschlossenen und dadurch widerspruchsfreien Theorie, formal logisch betrachtet, nur der konsequente Empirismus und der konsequente Apriorismus übrig. Der HEGELschen Philosophie, welche nach der völligen Aufhebung des empirischen Wissens sich lediglich durch apriorische Erkenntnisse zu vollenden suchte, ist der Ursprung ihres "reinen" Denkens aus Materialien der Erfahrung genügend nachgewiesen worden, und die Resultate der empirischen Psychologie werden hoffentlich vor der Wiederholung ähnlicher Versuche schützen, wenn je wieder die äußeren Verhältnisse sich ihnen günstig erweisen sollten. Demnach erscheint es an der Zeit, nachdem durch Eliminierung alles nicht-empirischen Scheinwissens die unbewußt oder künstlich zur Aufhebung der Erfahrungserkenntnis geschaffenen Gegensätze und Widersprüche beseitigt sind und damit den logischen Anforderungen an formale Wahrheit Genüge getan ist, die Bedingungen zu untersuchen; aufgrund deren sich der Begriff der Erfahrung in einem wissenschaftlichen Sinn konstituiert. Sehr beachtenswert ist die allmählich fortschreitende Entwicklung und Annäherung des populären Begriffs der Erfahrung an die wissenschaftliche Auffassung desselben. Das primitive Denken hält alle seine Wahrnehmungen, Gedanken und Phantasiegebilde in gleicher Weise für Erfahrungen und schreibt ihnen daher auch gleichen Erkenntniswert zu; der gegenwärtig herrschende Sprachgebrauch dagegen steht nicht mehr auf diesem naiven Standpunkt, sondern hat sich, freilich vorwiegend aufgrund des praktischen Interesses, zur Reflexion über die Verschiedenheit der Erkenntnisquellen erhoben. Er stellt die Erfahrung in einen Gegensatz zum "bloßen Denken", welches durch jene korrigiert wird. Durch ihre verschiedenen Beziehungen zum Interesse wird Erfahrung zugleich ein Gegenstand der Neigung und der Abneigung; ein "erfahrener" Mann, dem ein "reicher Schatz von Erfahrungen" zu Gebote steht, wird darum beneidet, weil er sich in den verschiedenen Lebenslagen besser zurecht findet und seine Zwecke leichter erreicht als der Unerfahrene. Andererseits findet die Korrektur des naiven Denkens, welches sich ausschließlich in der Richtung des Interesses bewegt, nicht ohne Zerstörung vieler Jllusionen statt, woher die zahlreichen Beiwörter der Erfahrung in malam partem [als Mißbiligung - wp] stammen. Hierin sind nun verschiedene Merkmale der Erfahrung enthalten: sie ist vom Denken und Wollen des Subjekts unabhängig, drängt sich ihm auch gegen Erwartung und Interesse auf, sie so oft getäuscht werden, und verbürgt deshalb in jedem Fall die volle Wahrheit; sie ist die letzte Instanz, soweit es sich um Gegenstände des Wissens handelt, und lehrt nicht nur das Vergangene und Gegenwärtige, sondern auch das Zukünftige kennen. Neben diesen entgegengesetzten Beziehungen zum Interesse vereinigt auch erkenntnistheoretisch der Sprachgebrauch im Wort Erfahrung, wie immer bei häufig gebrachten abstrakten Begriffen, sehr Verschiedenartiges, weil der ungenügenden Beobachtung einzelne hervorstechende Züge genügen, um zu identifizieren, was durch Merkmale, die nicht auf der Oberfläche liegen und deshalb übersehen werden, scharf genug unterschieden ist. Die verschiedenen Bedeutungen unseres Begriffs haben ein zwar gemeinsames, aber rein negatives Merkmal, indem alles Erfahrung heißt, was nicht "bloßes Denken" ist; sie soll immer den Gegensatz der Realität des tatsächlichen Verhaltens gegenüber bloßen Gedanken, Ideen oder Phantasiegebilden ausdrücken. Wie natürlich, steht hier in erster Linie die sich am stärksten aufdrängende Wirklichkeit des eigenen unmittelbaren Erlebnisses: "ich spreche aus eigener Erfahrung", "ich habe es selbst erfahren müssen", sind Wendungen, welche besagen sollen, daß hier der denkbar höhcste Grad von Gewißheit erreicht ist. Der direkte Eindruck ist so tief und nachhaltig, daß auch seine Reproduktionen den nötigen Stärkegrad besitzen, um sich gegen die sonst vorherrschende "antecipatio mentis" [appzep] zu behaupten und deren Irrtümer durch "Erfahrung" zu berichtigen. Hierdurch kommt das zustand, was man Belehrung durch Erfahrung nennt, die sich freilich oft genug nicht sonderlich von "bloßen Gedanken" unterscheidet. Denn die Lehren, welche so häufig aus der Erfahrung gezogen werden, pflegen einfache Verallgemeinerungen des Einen erlebten Falles zu sein. Diese Erfahrung des naiven Standpunktes ist nun nichts anderes als Wahrnehmung und zwar die ganze Wahrnehmung, welche sich dem Bewußtsein aufdrängt; in ihr sind außer dem objektiv gegebenen Inhalt mancherlei bloß subjektive, d. h. individuelle Zutaten, welche aber ebenfalls als objektiv, als Erfahrung betrachtet werden. Dazu kommt, daß eine Trennung des Wichtigen vom Gleichgültigen, der Haupt- und Nebenumstände nicht stattfindet. Diese Art der Erfahrung geht völlig im einzelnen Akt des Bewußtseins auf, welcher nur auf das unmittelbar Gegenwärtige gerichtet ist. Daneben kennt der Sprachgebrauch andere Erfahrungen, die über den Inhalt des unmittelbaren Bewußtseins hinausgehen; die einfachsten Fälle dieser Art sind diejenigen, wo man etwas durch die Mitteilung Anderer "erfährt". Hier tritt nun durch die Natur der Sprache, die außer den Eigennamen nur allgemeine Begriffe" hat, die Notwendigkeit ein, "begrifflich" zu denken, d. h. zunächst von einem Komplex der einzelnen im Wort enthaltenen Wahrnehmungen eine Auswahl zu treffen in mehr oder weniger ähnlicher Weise, wie die logische Begriffsbildung vollzogen wird: die Nebenumstände und zufälligen Merkmale bleiben weg, nur das Wesentliche, Allgemeine "erfährt" man durch die Mitteilung Anderer, vermag es freilich oft genug nur in individueller Färbung sich geistig zu assimilieren und drückt dadurch den Erkenntniswert der Erfahrung auf den der bloßen Einzelwahrnehmung herab. Den höchsten Erkenntniswert unter den nicht streng methodisch gewonnenen Erfahrungen hat eine dritte Spezies derselben, welche ihrem wissenschaftlichen Begriff sehr nahe kommt; sie vermeidet die Fehler des naiven Standpunktes, indem sie statt der flüchtigen Wahrnehmung die Beobachtung anwendet und die Verallgemeinerung der Erfahrung nicht nach der Gewohnheit der unbewußten Ideenassoziation aufgrund des einzelnen Falls vollzieht. So enthalten z. B. die Sätze: "Ich habe die Erfahrung gemacht, daß andauerndes Nachdenken ermüdet", oder "Die Erfahrung lehrt, daß Moralität und Immoralität sich bei jedem religiönse Bekenntnis und Standpunkt finden", eine Reihe von Beobachtungen, in welchen die nebensächlichen Umstände des Wahrnehmungskomplexes weggelassen und nur die für die Konstituierung der Erfahrung in Betracht kommenden Momente zusammengefaßt sind. Das Rohmaterial der einzelnen Wahrnehmungen wird hier mehr oder weniger methodisch bearbeitet; mit dem unmittelbaren Bewußtsein vereinigen sich Erinnerung und bewußtes Denken, um die vereinzelt gegebenen Wahrnehmungen zur Einheit der Erfahrung zu erheben. Allen diesen sehr verschiedenen Arten von Erfahrung, welche der Sprachgebrauch kennt, ist es gemeinsam, daß sie den Anspruch erheben, im Gegensatz zum bloßen Schließen, Glauben, Meinen, Vermuten etc. für sicheres Wissen zu gelten. Natürlich führt dieser Anspruch nicht schon durch sich selbst seine Realisierung herbei; mancherlei will für Erfahrung und Wissen gehalten sein, was von der Kritik sofort als Phantasiegebilde erkannt wird. Die Reflexion über den verschiedenen Erkenntniswert der gewöhnlichen, wie auch der philosophischen Meinungen führte daher neben den allgemein erkenntnistheoretischen Erörterungen auch zu Versuchen, für die einzelnen Sinneseindrücke und Gedanken direkte Kriterien der Wahrheit aufzustellen. Die Frage nach denselben ist für den Empirismus gleichbedeutend mit der, ob er ein Mittel besitzt, um über Wahrheit und Irrtum der Wahrnehmungen und Gedanken zu entscheiden. Daß die einzelnen Wahrnehmungen ebenso wie die einzelnen Gedanken der Möglichkeit des Irrtums ausgesetzt sind, braucht man gegenwärtig nicht weitläufig zu beweisen. Hiermit sind die alten Kriterien der Wahrheit hinfällig geworden, welche, ob sensualistisch oder rationalistisch, darin übereinkommen, daß sie die unmittelbare Gewißheit und Wahrheit des einzelnen Eindrucks oder Gedankens behaupten. Ob man mit den Epikureern das deutlich und lebhaft Empfundene, oder mit CARTESIUS und seinen Nachfolgern das klar und deutlich Eingesehene als wahr gelten läßt, macht der Erfahrung gegenüber keinen Unterschied; denn diese erweist beides als gleich falsch. Gerade die am wenigsten objektiv begründeten Eindrücke und Gedanken führen erfahrungsmäßig die größte subjektive Gewißheit, weil die größte Stärke, mit sich, und verführen eben deshalb so sehr zum hartnäckigen Festhalten am Irrtum, weil sie durch ihre Stärke das Denken in einer einzigen bestimmten Richtung fixieren und dadurch die erforderliche Überlegung des gesamten subjektiven wie objektiven Zusammenhangs ausschließen, durch welche allein die Entscheidung über Wahrheit und Irrtum gesichert erscheint, soweit nicht bereits der letztere durch den Nachweis von Widersprüchen direkt konstatiert worden ist. Indem das empfindende und denkende Subjekt sich die Gesamtheit seiner Empfindungen, die übereinstimmende Aussage der Sinnesorgane ebenso wie die Reproduktionen früherer Eindrücke nacheinander vergegenwärtigt, gelangt es durch diese Akte des vergleichenden, trennenden und zusammenfassenden Denkens über das unmittelbare Bewußtsein der Wahrnehmung hinaus zu einem mittelbar festgestellten Wissen der Erfahrung. Vergleicht man das Verfahren, welches zur wissenschaftlichen Erfahrung führt, mit dem des naiven und des spekulativen Denkens, so ergibt sich, daß das erstere die Mängel der beiden letzteren beseitigt, ihre Vorzüge vereinigt: Beobachtung und bewußtes Denken in einer unzertrennlichen Verbindung sind die Organe der Erfahrung. Dazu bedient sich die Wissenschaft noch anderer Hilfsmittel: durch Experiment, Maß, Zahl und Gewicht wird die höchste Sicherheit der Erfahrung, die des exakten Wissens erreicht, soweit die Natur der Objekte die Anwendung derselben zuläßt. So enthält die Erfahrung, formal betrachtet, ein plus, welches sich in der Wahrnehmung nicht findet: in Bezug auf den Inhalt dagegen kann man die einzelne Erfahrung schwerlich von der zuverlässigen Wahrnehmung unterscheiden. Der Begriff der Erfahrung wird gewonnen wie alle Begriffe, und enthält wie diese die Zusammenfassung des allen einzelnen Erfahrungen Gemeinsamen, "Wesentlichen"; alle Produkte der Wahrnehmung und des Denkens, welche diese wesentlichen Merkmale nicht aufweisen, fallen daher nicht unter den Begriff der Erfahrung. ![]() |