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JOSEPH GEYSER
Beiträge zur logischen und
psychologischen Analyse des Urteil


"Worin darf die Gewißheit gründen, einen objektiven Sachverhalt erfaßt zu haben, um berechtigt zu sein, auf einen bestimmten Gegenstand einen gewissen Sachverhalt zu beziehen? Es handelt sich in dieser Frage nicht unmittelbar um die Beziehung des Urteilsinhaltes zum Gegenstand, sondern um die der Urteilsintention zu ihrer Erfüllung. Sie ist erfüllt, wenn der ausgesagte Sachverhalt mit dem objektiven logisch identisch ist. Wodurch aber kann dies verbürgt sein? Man sieht, daß nicht mehr gefragt wird, wann ein Urteil wahr ist, sondern wie es wahr wird. Wie muß der ausgesagte Sachverhalt gedacht sein, um mit dem objektiven eine logische Identität zu besitzen? Als gedachter ist er notwendig das Werk eines denkenden, eines urteilenden Subjekts. Also muß es von der Weise, wie dieses Subjekt den gedachten Sachverhaltsinhalt bildet, abhängen, ob an demselben die Gewähr für seine Identität mit dem am Gegenstand bestehenden Sachverhalt haftet oder nicht."

Eine Abhandlung über das Urteil, die ich kürzlich las, gewann aus zwei Gründen mein Interesse. Einmal wegen der nicht zu verkennenden Begabung ihres Verfassers für die analytische Betrachtung der Probleme und Begriffe, und zum zweiten wegen der eigenartigen Verschmelzung von LIPPS und HUSSERL, die mir hier entgegentrat. LIPPS gehört zum Kreis der Psychologisten, HUSSERL ist Vorkämpfer des Objektivismus. Beide Forscher sind ausgezeichnet durch die Gabe einer scharfsinnigen Analyse, beide üben durch Schrift und Wort eine äußerst erfolgreiche Lehrtätigkeit aus. Der schönste Lohn einer solchen, der Gewinn zahlreicher und begabter Schüler, in denen ihre Ideen weiterwirken, ist beiden in reichem Maß zuteil geworden. Die eben erwähnte Abhandlung nun stellt den, gewollten oder ungewollten, Versuch einer Synthese der Grundanschauungen und besonders der Methoden beiden Forscher dar. Also eine Art von Ehe zwischen Psychologismus und Objektivismus. Da verlohnt es sich wohl, seine Aufmerksamkeit der Frage zu schenken, welchen Nutzen eine solche Synthese der Theorie des Urteils gebracht hat. Ist diese Synthese gelungen? Ist sie wenigstens lebensfähig? Oder führt der Versuch der "phänomenologischen Methode der Wesenserschauung" zu einer schädlichen Vermengung der logischen und der psychologischen Betrachtung des Urteils und seiner Bestandteile? Diese Erwägung veranlaßt mich, die wichtigsten Lehren der Abhandlung, von der ich Sprach, kurz darzustellen, um sie zum Objekt einer kritischen Untersuchung zu machen (1). Doch ist es mir um die Kritik als solcher nicht zu tun. Sie dient mir lediglich als Mittel zu dem Versuch, eine Reihe bedeutsamer und logischer und psychologischer Probleme, welche die Lehre und besonders die Analyse des Urteils betreffen, positiv zu fördern. In diesem Sinne beginne ich mit der Wiedergabe der Anschauungen, die mich zu dieser Abhandlung veranlaßt haben.


1. Behauptung und Überzeugung

a) Der erste Abschnitt der Arbeit REINACHs bringt in Form einer Polemik gegen die bekannten Lehren BRENTANOs allgemeine theoretische Erörterungen über das Urteil. Sie gipfeln in der Unterscheidung zweier wesentlich verschiedener Formen des Urteils, die Meinung des Verfassers (ständig konfundiert [verwechselt - wp] worden sind". Urteil bedeutet nämlich
    1) dasselbe wie Überzeugung, Gewißheit, Geltungsbewußtsein, und
    2) den Akt des Behauptens oder Setzens, kurz die Behauptung.
Ein Urteil der ersten Art liegt vor, wenn z. B. in jemandem aus dem Anblick einer roten Rose die Überzeugung entsteht: "Diese Rose ist rot"; ein solches der zweiten Art dagegen, wenn derselbe Mensch dieses Urteil einem anderen mitteilt. Hierbei erhält sich nämlich in ihm die Überzeugung von jenem Sachverhalt, hinzu aber kommt die sprachliche Aussage und der Akt, der das durch diese bezeichnete Gegenständlich "meint", und zwar nicht in der Weise der Frage oder sonstwie, sondern in der Weise des Setzens oder Behauptens. Obwohl nun sowohl jene Überzeugung wie auch die Behauptung als Urteil zu bezeichnen sind, so bestehen zwischen ihne doch unüberbrückbare Unterschied. Die Überzeugung besitzt Grade, das Behaupten nicht, sondern existiert oder existiert nicht. Darum stehen neben dem Urteil Vermutung und Zweifel im Sinne von Überzeugung, Frage und Wunsch dagegen im Sinne von Behauptung. Den "eigentlichen Unterschied" beider erkennen wir in der "unmittelbaren Wahrnehmung"; denn diese zeigt uns die Überzeugung als eine "Zuständlichkeit des Bewußtsein", das Behaupten aber als einen "spontanen Akt". Schließlich werden sowohl Überzeugung als auch Behauptung in einem angebbaren Zeitpunkt real. Während aber jene eine beliebige Dauer haben kann, läßt diese ihrem Wesen nach keinen zeitlichen Verlauf zu, hat vielmehr "ein gleichsam punktuelles Sein". Trotz ihrer Wesensverschiedenheit stehen Überzeugung und Behauptung untereinander in bestimmten Beziehungen. Jeder Behauptung nämlich liegt eine Überzeugung zugrunde, und von dieser wird sie auch begleitet. Doch fundiert nicht jede Überzeugung auch eine Behauptung. Dagegen kann eine Überzeugung überhaupt nicht in einer Behauptung fundiert sein.

b) Wenden wir uns zu einer Besprechung dieses ersten Teils der Anschauungen REINACHs vom Urteil, so werden wir zunächst fragen, ob diese "allgemeinen urteilstheoretischen Ausführungen" logischer oder psychologischer Natur sind. Leider hat der Verfasser sich über seine An- und Absicht nirgends klar geäußert; nur aus gewissen Wendungen namentlich zu Anfang seiner Arbeit läßt sich entnehmen, daß er mit seiner Unterscheidung von Überzeugung und Behauptung "zwei ganz verschiedene logische Sphären umgrenzen" will. Was nun diese Unterscheidung selbst betrifft, so ist es gewiß sehr angebracht, sie gegenüber Vermengungen dort, wo sie, wie in der Urteilstheorie BRENTANOs vorliegen, nachdrücklich zu betonen. Das muß und darf aber nicht dahin führen, aus der Unterscheidung von Überzeugung (Gewißheit) und Behauptung ein zweifaches Urteil zu machen. REINACH ist dazu gekommen, weil er findet, es sei etwas wesentlich anderes, ob ich bei der Wahrnehmung eines Sachverhaltes über diesen urteile, oder ob ich denselben Sachverhalt gegenüber einem anderen aussage. In beiden Fällen wird von mir geurteilt, aber im ersten Fall besteht mein Urteil nur in einem Zustand der Überzeugung, im zweiten außerdem in einem Akt des Behauptens. Ganz entsprechend läßt REINACH jede Behauptung in einer Überzeugung fundiert sein und zwar notwendig, bestreitet aber die Möglichkeit der Fundierung einer Überzeugung in einer Behauptung. Zu demselben Resultat führt drittens die Ansicht, zum Behaupten sei als zu einem Akt des Meinens eine sprachliche Stütze erforderlich, wie sie sich ja in der Mitteilung eines Urteils an andere notwendig findet, zur eigenen Überzeugung aber von einem Sachverhalt sei sie entbehrlich. Folgt nun, frage ich, aus diesen Gründen, daß es ein Urteil gibt, welches nur eine Überzeugung und nicht auch eine Behauptung, eine Aussage wäre?

Verstehen wir unsere Frage zunächst psychologisch, so ist die bejahende Antwort des Verfassers mit dem Problem verknüpft, ob jemand urteilen kann, ohne sich einer äußeren und inneren Sprache zu bedienen; denn REINACH erklärt, daß das sprachlich eingekleidete Urteil den Akt des Behauptens enthalten muß. Dieses Problem läßt sich nun aber durch die Berufung auf die "schlichte innere Wahrnehmung" gewiß nicht lösen. Besser steht die Sache bei einer logischen Betrachtung der Verhältnisse. Soll eine bloße Überzeugung ein Urteil bilden, so muß sie als solche das sein, was entweder wahr oder falsch ist. Nun ist das aber unsinnig. Denn nur dasjenige, wovon ich überzeugt bin, kann wahr oder falsch sein. Mein Überzeugtsein aber, daß dies wahr ist, ist begründet und berechtigt, oder ist es nicht. Also ist die Überzeugung nicht selbst ein Urteil, sondern bezieht sich auf ein solches als ihr Objekt. In dem von REINACH gewählten Beispiel ist z. B. das Rotsein der Rose das, von dessen Wahrheit ich überzeugt bin. Nun ist natürlich das beurteilte Rotsein der Rose selbst entweder vorhanden oder nicht, ist aber nicht entweder wahr oder falsch. Also bleibt für das, was allein das Substrat der Wahrheit sein kann, nichts übrig, als mein Gedanke des Rotseins, oder anders ausgedrückt, als diese meine Aussage (2). Ein Urteil, das bloß Überzeugung und nicht auch Behauptung wäre, ist mithin logisch nicht möglich.

Die Behauptung oder Aussage ist nach unserem Ergebnis ein logischer Bestandteil jeden Urteils, und zwar im Vergleich mit der Überzeugung der wesentliche, weil ihm die Eigenschaft des Urteils inhäriert [innewohnt - wp], wahr oder falsch zu sein. Nun behauptet REINACH dasselbe von der Überzeugung. Sie soll jedem Urteil immanent, und in ihr soll die Behauptung, wo sie vorkommt, fundiert sein. Eins ist hier nun zunächst auszuschalten: daß nämlich die Überzeugung von einem Sachverhalt, in der Regel das ist, was jemanden an einer bestimmten Behauptung festhalten und sie vor anderen vertreten läßt. An dieser psychologischen Tatsache will ich nicht zweifeln. Aber um dieses Verhältnis von Überzeugung und Behauptung handelt es sich jetzt nicht, sondern um ihre Beziehung im primären Urteil. Ob nun auch hier, wie der Verfasser erklärt, jeder Behauptung psychologisch eine Überzeugung zugrunde liegt, davon weiß ich nichts, da eine psychologisch hinreichende Prüfung des Verhältnisses von Behauptung und Überzeugung im Urteilsvorgang noch gänzlich aussteht. Logisch aber verhält es sich ganz gewiß anders. Selbst dann nämlich, wenn Behauptung und Überzeugung notwendige Teile eines jeden Urteils sind, ist doch die Behauptung und nicht die Überzeugung der begrifflich frühere Teil; denn ihre Wahrheit bildet ja doch eben das Objekt und Ziel der Überzeugung. Doch ist darum die Überzeugung in ihr nicht "fundiert". Das ist sie vielmehr in dem, worauf sich die Annahme von Wahrheit der Behauptung gründet; zum Beispiel in der Evidenz. Außer den beiden Verhältnissen der "Begleitung" und "Fundierung" wären darum noch die anderen eben erwähnten zu berücksichtigen gewesen, um die Beziehungen zwischen Behauptung und Überzeugung befriedigend zu bestimmen. Überhaupt bedarf es hier einer noch genaueren Analyse, als wir sie bei REINACH antreffen.

Ein jedes Urteil hat zwei Seiten, die sich aus den beiden ihm wesentlichen Beziehungen ergeben. Einmal ist jedes Urteil auf einen gewissen Gegenstand oder Sachverhalt bezogen, den es durch Prädikat und Kopula zu erfassen intendiert. Zum zweiten steht es in Beziehung zu einem Ich oder geistigen Subjekt, von dem es als Aussage (Behauptung) über den Gegenstand vollzogen wird. Die erste ist die logische, die zweite die psychologische Seite des Urteils. Dort handelt es sich um den Urteilsinhalt oder das Urteil, hier um den Urteilsvorgang oder das Urteilen. Die Behauptung hat nun ihre Stelle im Hinblick auf den Gegenstand des Urteils, also in der logischen Sphäre; denn gerade die Behauptung über einen realen oder idealen Sachverhalt des Gegenstandes ist das, was entweder wahr oder falsch ist. Die Überzeugung aber ist ein Zustand des die Behauptung aufstellenden, d. h. urteilenden Ichs, findet sich also auf der psychologischen Seite des Urteils. Sie ist ein als Gewißheit charakterisiertes Fürwahrhalten. Darf also in der logischen Theorie des Urteils von der Überzeugung überhaupt nicht gehandelt werden? Mit der Bejahung zu zögern gebietet sich schon durch den Umstand, daß auch von der Behauptung außer in der Logik in der Psychologie die Rede sein muß. Dies darum, weil die Behauptung, wenn sie nicht sowohl nach ihrem Sinn und Inhalt, als vielmehr nach ihrer Existenz betrachtet wird, zum Ich in Beziehung steht, da sie durch dasselbe entsteht. Von der Überzeugung nun dürfte ausschließlich in der Psychologie gesprochen werden, wenn es für sie bloß Existenz oder Nichtexistenz gäbe. Allein, tatsächlich steht sie im Fall ihrer Existenz noch unter einer wesentlich anderen Disjunktion, unter der nämlich, daß sie entweder berechtigt oder unberechtigt ist. Zu lehren aber, wann eine Fürwahrhalten berechtigt ist, ist nicht mehr Aufgabe der Psychologie, die eine bloße Tatsachenwissenschaft ist. Hier erhebt sich vielmehr eine Aufgabe für die Logik. Diese wird von derselben dann logisch erfüllt, wenn von ihr gezeigt wird, welche Bedingungen für die Erkenntnis der Wahrheit sich aus dem logischen Wesen des Urteils ergeben. Die Untersuchung und Entscheidung aber, ob nun auch das menschliche Erkennen gemäß seiner Natur diese Bedingungen zu erfüllen vermag und wie weit eventuell, ist eine neue und ganz andere Aufgabe. Sie fällt rechtmäßig wiederum der Psychologie anheim. Versucht man dagegen die erste Aufgabe: eine Feststellung der für die Erkenntnis der Wahrheit (Berechtigung des Fürwahrhaltens) wesentlichen Bedingungen, mittels psychologischer Betrachtungen zu lösen, so ist das nicht mehr Logik, sondern Psychologismus.

Aus dem Gesagten dürfte sich unschwer ein richtiges Bild vom Verhältnis zwischen Behauptung und Überzeugung im Urteil gewinnen lassen. An erster Stelle bedeuten sie sicherlich nicht zwei Urteile, sondern Teile oder Momente des Urteils. Von ihnen ist die Behauptung das urteilbildende Moment, weil sie das Urteil in Beziehung zum Gegenstand setzt, und es dadurch unter die Disjunktion [Unterscheidung - wp] bringt, entweder wahr oder falsch zu sein. Diese Wahrheit der Behauptung ist nun das Objekt der Überzeugung. Diese Überzeugung hat dabei eine psychologische und eine logische Seite. Ihre logische Seite besteht in ihrer Beziehung zu denjenigen Bedingungen des Erkennens in denen die Berechtigung des Fürwahrhaltens fundiert ist, ihre psychologische aber in ihrer Beziehung zu den Akten des Fürwahrhaltens in den denkenden und wollenden Individuen (3).


2. Das "Meinen" und die "Intention"

Überzeugung ist nur ein Punkt der Urteilstheorie. Ein zweiter ergibt sich aus der Erwägung, daß zum Urteilen über etwas notwendig ein Erfassen des Gegenstandes gehört, über den geurteilt wird. Wie ist nun dieses Erfassen näher zu charakterisieren? BRENTANO charakterisiert es als Vorstellen, REINACH unter ausdrücklicher Ablehnung des Vorstellens als "Meinen". Sehen wir uns darum zunächst die Ausführung REINACHs, die diesen Punkt betreffen, etwas näher an.

a) Die Beziehungen zwischen Überzeugung und Behauptung erfahren eine weitere Klärung von einer Untersuchung des Verhältnisses des Urteils zur Vorstellung. BRENTANO lehrt darüber, jedem Urteil müsse die Vorstellung des geurteilten Gegenstandes zugrunde liegen. Hierüber läßt sich nur nach Feststellung des Begriffs der Vorstellung etwas entscheiden. Es ist nun nach REINACH das Vorstellen eine Klasse der "Intentionen auf Gegenständliches" oder der auf Gegenständliches hinzielenden Akte. Diese Klasse umfaßt Wahrnehmung, Erinnerung, Phantasie und anderes. Gemeinsam ist diesen Akten, daß sie alle eine "Vor-Stellung" sind. Darum gehört zur Vorstellung "alles Gegenständliche, welches wir vor uns haben, ... welches uns präsent ist, welches für uns da ist": also nicht nur das sinnlich wahrgenommene Ding, sondern auch die gefühlte Schönheit eines Kunstwerks und die gedachte Zahl. Die Akte, welche diese uns präsenten Gegenstände intendieren, sind das Vorstellen. Neben ihnen besteht eine andere Klasse von Akten, die zwar auch Gegenständliches intendieren, denen dies aber "in keinem Sinn vor-stellig ist". Das sind die Akte des "Meinens".

Die Akte des Meinens [bedeut] begleiten das verständnisvolle Sprechen, und zwar ist für sie im Gegensatz zum Vorstellen die sprachliche Einkleidung wesentlich. Indem wir nun beim verständnisvollen Sprechen oder Lesen das bezeichnete Gegenständliche meinen, ist uns dasselbe in der Regel nicht vorstellig. Doch selbst dann, wenn es uns durch Wahrnehmung, Erinnerung oder Phantasie vorstellig wäre, ist doch der Akt des Meinens ein ganz anderer Akt als der des gleichzeitigen Vorstellens des gemeinten Gegenständlichen. Denn das Vorstellen ist ein "schlichtes rezeptives Haben" und besitzt Dauer, das Meinen dagegen ist ein spontanes Sichrichten und hat "eine zeitlich punktuelle Natur". Ein weiterer Unterschied ist der, daß das Vorstellen sich dem einen Vorgestellten mehr als dem anderen zuwenden kann, während das Meinen den einen Gegenstand nicht vor den anderen zu bevorzugen vermag, außer so, daß zunächst der gemeinte Gegenstand vorstellig gemacht wird, und wir alsdann diesem uns beachtend zuwenden. Ferner sind die Akte des Vorstellens wesentlich verschieden je nach dem Vorgestellten - Farben können nur gesehen, Töne nur gehört, Zahlen nur gedacht werden usw. -, die Akte des Meinens aber ändern sich nicht mit den gemeinten Gegenständen. Dagegen können beide Arten von Akten anschaulich oder unanschaulich sein. Bei der Wahrnehmung eines Dings, z. B. eines Buches, bleibt die Vorstellung dieselbe, während sich der das Ding repräsentierende Anschauungsinhalt je nach unserer Annäherung oder Entfernung ändert. Ja, auch die Rückseite des Buches ist von uns vorgestellt, auch wenn sie in unserem Bewußtsein überhaupt nicht anschaulich vertreten ist; denn würde sich beim Wenden des Buches ein Fehlen des Deckels herausstellen, so wären wir enttäuscht. Beim Meinen sind die unanschaulichen Akte die Regel. Gelegentlich treten aber auch einige Anschauungsbilder des Gemeinten hinzu. Jedoch haben diese Anschauungsbilder hier eine wesentlich andere Funktion als beim Vorstellen. Bei letzterem stellen sie mir den vorgestellten Gegenstand dar, den ich in ihnen erfasse. Beim Meinen fehlt ihnen dagegen jede repräsentierende Funktion. Sie begleiten dasselbe, sind ihm aber nicht immanent.

Wenn wir nunmehr die Frage, ob jedes Urteil in einer Vorstellung fundiert sein muß, beantworten, so ist dies für die Behauptung entschieden zu verneinen. Ihr genügt das Erfassen des Gegenständlichen durch den Akt des Meinens. Das Behauptete ist mir also in der Behauptung als solcher nicht präsent. Doch kann es mir durch einen anderen Akt, der ein Vorstellen ist, präsent werden. Das Behaupten setzt sich wesentlich aus dem Meinen eines bestimmten Sachverhaltes und dem Behaupten desselben zusammen; denn jenes Meinen könnte sich auch mit einer Frage nach dem Sachverhalt verbinden. Dagegen kann die Überzeugung nicht im Meinen fundiert sein. Vielfach ist die dies vielmehr in einer Vorstellung des Gegenstandes. Doch kann sie auch dann bleiben, wenn diese Vorstellung nicht mehr existiert.

b) an den soeben vernommenen Ausführungen ist wiederum der Mangel einer genauen Scheidung der logischen und psychologischen Betrachtung deutlich zu bemerken. Und doch ist es gerade bei diesem Problem besonders wichtig, beides zu trennen. Wir haben schon gesagt, daß man zwischen der Betrachtung des Urteilens und des Urteils unterscheiden muß. So leuchtet es in der Tat bei unserem jetzigen Problem ohne weiteres ein, daß niemand urteilen kann, ohne sich des Gegenstandes, über den er den Urteilsakt fällt, auf irgendeine Weise bewußt zu sein Auch das ist einleuchtend, daß die Beantwortung der Frage, wie dieses Bewußtsein beschaffen ist, der Psychologie obliegt. Nur hat diese psychologische Untersuchung nichts mit der logischen Urteilstheorie zu tun. Vielmehr muß zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob das genannte Problem überhaupt für die letztere besteht. Von einem "Erfassen" des Urteilsgegenstandes im Sinne des Bewußtseins von ihm oder des Wissens um ihn kann jedenfalls hier nicht mehr die Rede sein; denn das Urteil weiß überhaupt nichts, hat kein Bewußtsein. Das sind vielmehr Zustände oder geistige Funktionen des Ich. Dieses ist es, das seine Behauptung und deren Gegenstand auf irgendeine Weise wissen muß. Und doch läßt sich auch on einem im Urteil vorhandenen oder logischen "Erfassen" des Gegenstandes sprechen. Denn das Wesen des Urteils gipfelt darin, eine bestimmte Behauptung über einen bestimmten Gegenstand zu sein. Also steht der Inhalt der Behauptung in der Beziehung der Hinordnung auf einen bestimmten Gegenstand. Diese dem Urteil immanente und wesentliche Beziehung zwischen Behauptung und Gegenstand läßt sich als "Meinen" oder als "Intention" des letzteren durch erstere bezeichnen. Nur ist, wie sofort ersichtlich, dieses "Meinen" selbstverständlich nichts Psychisches, ist kein Akt des Vorstellens, Wissens und dgl., sondern eine rein ideale Beziehung, nämlich die Beziehung der Identität zwischen einem behauptetem und gegenständlich vorhandenen Sachverhalt. Um dieses "Meinen" vom Vorstellen, das ein ganz und gar psychologischer Begriff ist, zu unterscheiden, hätte es deshalb der von REINACH eingeschlagenen Wege mit ihren überdies psychologisch recht anfechtbaren Behauptungen über die Natur der Vorstellung und die "zeitlich punktuelle Natur" des Behauptungsaktes nicht bedurft.

Ein Einwand liegt nahe. Ist das "Meinen" des Gegenstandes ein notwendiger Bestandteil des Urteils, so muß es auch im konkreten Urteilsakt, den ein Individuum setzt, vorkommen, so daß also doch von ihm nicht nur in der Logik, sondern auch in der Psychologie zu handeln it. Diesem Einwand liegt die selbstverständliche Wahrheit zugrunde, daß niemand urteile, wenn er nicht in seinem Bewußtsein das wirklich macht, was zum Wesen des Urteils gehört. Wer immer "urteilt", ist sich also einer gewissen Behauptung und ferner dessen bewußt, daß sie einen bestimmten Gegenstand "meint". Dieses letztere bedeutet aber, er sei sich bewußt, durch den Inhalt der betreffenden Behauptung einen in einem bestimmten Gegenstand gegebenen Sachverhalt erfassen zu wollen. Dieses eigenartige Wollen ist es, das nicht selten als "Meinen" bezeichnet wird. Aber offenbar muß dieses Meinen, das in einer Absicht des denkenden Subjekts besteht, von dem oben analysierten, dem Urteilsinhalt immanenten Meinen wohl unterschieden werden. Träger nämlich des letzteren ist nicht das Ich, sondern der Behauptungsinhalt und es besteht eben darin, daß diser eine Behauptung über einen bestimmten Gegenstand ist, sich auf einen solchen bezieht. Darum hängt dann auch die Existenz dieses Meinens nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen jener Absicht des Ichs ab, sondern davon, daß im Behauptungsinhalt der betreffende Gegenstand auf eine gewisse Weise, nämlich als logisches Subjekt, vorkommt. Damit nämlich existieren hiermit aber auch erst die beiden Träger der intentionalen Urteilsbeziehung, und konsequent auf die letztere selbst. Wer demnach ein Urteil vollziehen will, muß sich dessen, was er behauptet, und dessen, worüber er es behauptet, bewußt sein. Nur besteht dieses zum Urteilen erforderliche Bewußtsein des Gegenstandes oder Urteilssubjektes nicht im "Meinen". Zunächst nicht in einem Meinen im Sinne von Absicht; denn die Absicht, durch eine gewisse Behauptung einen bestimmten Gegenstand zu erfassen, setzt die Kenntnis beider voraus. Zweitens aber auch nicht in einem Meinen im Sinne einer logischen Intention; denn dieses Meinen bringt ja den Gegenstand nicht in die Behauptung hinein, sondern hat seine Abwesenheit in derselben zur Voraussetzung und Bedingung, und ist überhaupt kein Bewußtsein, sondern eine objektive Beziehung. Danach darf also das Erfassen des Gegenstandes durch das urteilende Ich nicht, wie es REINACH tut, mit dem Akt des Meinens identifiziert werden.

Das von mir Gesagte darf nun aber nicht dahin mißverstanden werden, als ob ich der Ansicht wäre, ein Urteil sei nur dann vollziehbar, wenn vom Urteilenden der Gegenstand außer im Urteilsakt noch sonstwie erkannt wird. Der Gegenstand bildet vielmehr das Subjekt des Urteils, und gehört in dieser Hinsicht mit in den Urteilsvorgang. Dieses Subjekts muß sich nun allerdings der Urteilende bewußt sein. Wie, das ist gleichgültig und kann an und für sich auf mannigfache Weise geschehen. Eine der häufigsten und zugleich logisch bedeutsamsten ist die, daß das Subjekt mittels eines Begriffs gedacht wird; z. B. im Urteil: "Die Menschen sind sterblich". Aber gerade hier taucht wieder das "Meinen" auf, um diese Art des Wissens vom Urteilssubjekt zu erklären. Denn diese Begriffe sind vielfach dem Bewußtsein nur in der Form von Namen präsent. Gleichwohl "meint" der Urteilende, der sich dieser Namen bedient, die Begriffe selbst. Ja, in manchen Fällen "meint" er sogar nicht einmal die Begriffe, sondern reale Dinge, also Gegenstände, die überhaupt nicht im Bewußtsein präsent sein können. Dieses "Meinen" ist also ein wirkliches Wissen, und etwas ganz anderes als die beiden von uns erwähnten Bedeutungen.

Es gibt in der Tat noch eine dritte Verwendung des Begriffswortes "Meinen" und diese ist es offenbar, welche REINACH "meint". Von dem z. B., der aussagen würde: "Das unendliche Wesen ist frei", sagt man, er "meine" beim Gebrauch des Wortes "unendliches Wesen" dieses reale Wesen selbst; und so würden, sagt man, überhaupt im Urteil Worte gesprochen, aber die durch sie bezeichneten Begriffe und Gegenstände "gemeint". Doch, worauf es in den Ausführungen von REINACH eigentlich ankommt, das ist die Behauptung, wer beim verständnisvolen Gebrauch eines Wortes den durch dasselbe bezeichneten Gegenstand meint, dessen Bewußtsein von diesem Gegenstand besteht in eben diesem Akt des Meinens; wenn es aber gelegentlich außerdem in einem Vorstellen besteht, so ist dies ein zweites und andersartiges Bewußtsein vom selben identischen Gegenstand. Nach dieser Lehre können wir uns eines Gegenstandes einfach dadurch bewußt sein, daß wir ihn bei Nennung seines Namens "meinen". Ist uns damit viel gesagt, frage ich? Offenbar solange nicht, als wir uns nicht über die psychologische Natur desjenigen seelischen Tatbestandes klar sind, der hier unter dem Namen des Meinens genannt wir. Was ist also hier mit dem Ausdruck Meinen gemeint?

Ist die Ansicht etwa die, jenes Meinen, dem man die Funktion zuschreibt, uns auf Worte gestützt bestimmte Gegenstände bewußt zu machen, sei ein letzter, elementarer psychischer Tatbestand, den man nur erleben und in der inneren Wahrnehmung konstatieren, aber nicht analysieren und beschreiben kann? In der Tat dürfte dies die Ansicht REINACHs sein. Doch kann ich mich ihr nicht anschließen. Wählen wir zu Untersuchung einen relativ einfach liegenden Fall. Wir gebrauchen irgendwo das Ort oder Zeichen 3, und "meinen" das damit Bezeichnete. Nun dürfte es für jeden evident sein, daß wir sicherlich durch dieses "Meinen" ein Wissen der Drei dann nicht haben würden, wenn wir diesen "gemeinten" Begriff nicht früher einmal auch in sich selbst, d. h. nicht durch Meinen, uns zu Bewußtsein gebracht hätten. Irgendeinmal müssen wir den Sinn des Zeichens 3 in unserem Bewußtsein hergestellt haben, um ihn beim Gebrauch dieses Zeichens meinen zu können (4). Doch genügt das zur Erreichung des Ziels noch nicht. Vielmehr müssen wir außerdem einmal darauf aufmerksam gemacht worden sein, daß dieses Zeichen 3 den vorhin erwähnten Sinn bedeutet und nicht irgendeinen anderen. Dem Verständnis eines Begriffs durch ein mit seinem Namen verknüpftes "Meinen" muß also ein aktuelles Erleben desselben einerseits sowie der zwischen ihm und jener Bezeichnung gesetzten signifikanten Beziehung andererseits vorausgegangen sein. Nun sind dies aber nur Vorbedingungen des "Meinens", nicht dieses selbst. Es selbst kann vielmehr naturgemäß nur in einer gewissen an das Bewußtsein des Wortes oder Zeichens anknüpfenden Erinnerung an den bezeichneten Sinninhalt bestehen. Zu dieser Erinnerung kann noch das Bewußtsein der Absicht treten, nicht das Wort als solches, sondern einen bestimmten Sinn desselben seiner Aussage zugrunde zu legen. In manchen Fällen kommt es aber nicht bis jener Erinnerung an den Sinn. Sondern da bleibt es bei dem allgemeinen Bewußtsein, daß die Worte etwas bezeichnen; und man "meint" nun dieses "Etwas", hat dabei aber kein bestimmtes Wissen, was es ist. Hiernach stellt sich das "Meinen" als eine Form der Erinnerung dar und wohl meist unwillkürlicher Erinnerung. Damit sprechen wir ihm, da wir es auf die Erinnerungsvorgänge zurückführen, die Originalität unter den seelischen Tatbeständen ab, die ihm REINACH mit anderen beilegen möchte. Doch betiteln wir nicht jede Erinnerung an das durch einen Namen Bezeichnete als Wissen desselben durch "Meinen", sondern nur jene Erinnerung, bei der das Erinnerte nicht wiederum in seinem Selbst - als Anschauungsbild oder begriffliches Erlebnis - dem Bewußtsein gegenwärtig ist, und doch bestimmt gewußt wird. Dieses erinnernde Wissen bedarf noch einer eingehenden, womöglich experimentellen psychologischen Untersuchung (5). Das eine aber ist schon vor dieser Untersuchung gewiß, daß die Kenntnis dieser bedeutsamen Art des Wissens uns durch ihre Betitelung als "Meinen" um nichts näher gebracht ist, und daß dies auch nicht durch die diesem Meinen von REINACH beigelegten Eigenschaften der "Spontaneität" und "zeitlichen Punktualität" der Fall ist. Der Grund dafür ist einfach der, daß von diesen beiden Eigenschaften die zweite dem psychischen Akt des Meinens in einem strengen Sinn überhaupt nicht und die erste nicht immer zukommt. Daß ferner dem meinenden Wissen um Gegenstände die Besonderheit zukommen soll, auf den einen Gegenstand nicht lebhafter und nachhaltiger gerichtet sein zu können, als auf einen anderen, so steht meine innere Erinnerung auch mit dieser Behauptung nicht in Harmonie.


3. Gegenstand und Sachverhalt

a) Im zweiten Abschnitt der Arbeit REINACHs interessieren zunächst die Ausführungen über den Begriff des "Sachverhalts". Sie lehnen sich zwar an die Anschauungen von HUSSERL und MEINONG an, sind aber selbstständig durchgeführt und zum Teil original. Auf den Begriff des Sachverhaltes führt die Frage nach dem "intentionalen Korrelat" der Urteile. Gemeint ist damit die Frage: Was ist dasjenige, worauf sich unsere Behauptung und Überzeugung bezieht? BRENTANO gibt zur Antwort: Das sind die Gegenstände. REINACH erwidert: Dies ist unmöglich; denn Farben, Zahlen usw. lassen sich nicht behaupten, noch läßt sich an sie glauben. Aber auch Relationen, wie meist gelehrt wird, sind nicht das Behauptete und Geglaubte; denn gerade in den schlichten Urteilen von der Form "A ist b" wird keine Relation zwischen A und b ausgesagt. Gewiß läßt sich z. B. zwischen Rose und rot die Relation der Subsistenz und Inhärenz oder der dinglichen Zugehörigkeit aussagen. Doch muß dies in anderen Sätzen geschehen als dem: "Die Rose ist rot." Was vielmehr in diesem Urteil behauptet und geglaubt wird, das "weist nichts von einer Relation auf", sondern ist das Rotsein der Rose. Dies ist also das gesuchte Urteilskorrelat. Es ist dies aber ein Sachverhalt. Darum muß dieser Begriff näher bestimmt werden.

Das Rotsein der Rose ist etwas anderes als die rote Rose selbst; denn die Aussagen, die von der letzteren gültig sind - z. B. daß sie im Garten blüht und welkt -, sind vom ersteren ungültig, sogar unsinnig. Dieses vom Gegenstand selbst verschiedene "b-sein des A" bezeichnen wir als einen "Sachverhalt". Der erste Wesensunterschied dieser Gegenständlichkeit von den realen und ideellen Gegenständen ist, daß sie dasjenige ist, was im Urteil geglaubt bzw. behauptet wird. Ein zweiter ist, daß die Relation von Ursache und Wirkung nur zwischen Gegenständen, die von Grund und Folge nur zwischen Sachverhalten bestehen kann. Drittens können sich zwar Sachverhalte, aber niemals Gegenstände nach der Modalität voneinander unterscheiden. "Neben dem schlichten Sachverhalt b-sein des A gibt es ein wahrscheinlich b-sein des A, ein möglicherweise b-sein des A usw." Gegenstände dagegen sind oder sind nicht. Bei den Sachverhalten finden wir viertens die Kontradiktion [Widerspruch - wp] des positiven und des negativen Sachverhalts, während es negative Gegenstände nicht gibt. Wie nun im Begriff des Gegenstandes nicht eingeschlossen liegt, daß er existiert, so auch im Begriff des Sachverhaltes nicht, daß er besteht. Der Sachverhalt "Rundsein eines Vierecks kann z. B. überhaupt keinen "Bestand" haben. Gleichwohl zeigt sich auch hier der Unterschied, daß, wo der eine Sachverhalt nicht besteht, notwendig der kontradiktorische besteht. Bei den Gegenständen aber findet sich nichts Gleiches.

b) Die im Urteil vorhandene Aussage hat etwas, auf das sie sich bezieht. Was ist das aber ? Der Sachverhalt, antwortet REINACH. Und was ist der Sachverhalt? Er ist das, was geurteilt wird. Diese Antwort ist als solche offenbar ein Zirkel. Also können nur die anderen Bestimmungen, die REINACH bringt, unsere Frage beantworten. Darum nochmals: was ist der Sachverhalt? Er ist nicht der Gegenstand, auch keine Relation des Gegenstandes, sondern ein Drittes, ein Neues. Diese Antwort ist natürlich keine positive Belehrung über das, was der Sachverhalt ist, sondern nur eine Behauptung über das, was er nicht ist. Ist nun dieser Behauptung beizupflichten? Es leuchtet ein, daß es für jemanden, der einen scharfen Unterschied zwischen Gegenstand und Sachverhalt machen will, in erster Linie nötig ist, den Begriff des Gegenstandes genau zu bestimmen. Nach einer solchen Bestimmung sehen wir uns aber bei REINACH vergeblich um; denn die verschiedenen negativen Prädikate: das, was nicht Grund sein kann, keiner Modalität fähig ist, nicht erkannt, sondern vorgestellt wird, bei dem es nicht nötig ist, daß der eine der kontradiktorischen Gegensätze besteht - setzen offenbar die positive Bestimmung des Begriffs "Gegenstand" voraus, um geprüft werden zu können. Gelegentlich ersetzt REINACH den Ausdruck "Gegenstand" durch "dingliche Einheit". Nur läßt sich derselbe z. B. nicht auf die Zahlen anwenden, die doch von REINACH ausdrücklich zu den "ideellen Gegenständen" gerechnet werden. Hier liegt also eine Lücke vor, die wegen ihrer wesentlichen Bedeutung für die beabsichtigte Unterscheidung von Gegenstand und Sachverhalt als eine erhebliche bezeichnet werden muß.

Unsererseits können wir in eine Diskussion des Problems ohne vorherige Umgrenzung des Begriffs Gegenstand nicht eintreten. Das Wort "Gegenstand" bezeichnet im logischen Gebrauch ein jedes Objekt, über das geurteilt wird, oder mit anderen Worten all das, was in Urteilen als Subjekt der Aussage fungiert. Das positive Wesensmerkmal, durch welches die Subjekte der Urteile als Gegenstand charakterisiert sind, liegt in ihrem Verhältnis zum Urteil, darin nämlich, daß sie, um Subjekt eines Urteils sein zu können, dem Urteil als ein identisches und in sich bestimmtes reales oder ideales Etwas vorausgesetzt werden müssen; denn nur dann ist eine inhaltliche Abhängigkeit des Urteils von ihnen logisch möglich. Eine solche inhaltliche Abhängigkeit aber gehört zu Wesen des Urteils, weil nur der Denkinhalt ein Urteil ist, der unter der Disjunktion steht, entweder wahr oder falsch zu sein.

Haben wir nicht durch unsere Definition Gegenstand und Sachverhalt identifiziert? Doch nicht, wenn es auch auf den ersten Blick so scheinen könnte. Vielmehr ist diese Unterscheidung berechtigt. Sie ist nämlich darum logisch nötig, weil über dasselbe identische Urteilssubjekt ganz verschiedene wahre Aussagen möglich sind; z. B. "das Gold ist ein Metall; das Gold ist kostbar; das Gold ist gelb" usw. Der Aussageinhalt eines jeden dieser Urteile ist in seiner Wahrheit abhängig von einem realen oder idealen Tatbestand, den er erfassen will. Dieser Tatbestand ist also gemäß obiger Definition etwas Gegenständliches. Nun setzt er sich aber zusammen aus einem Gegenständlichen, das den verschiedenen genannten Urteilen gemeinsam ist, und einem damit zwar in Beziehung stehenden, im Übrigen aber für jedes Urteil verschiedenen Bestandteil. Das gemeinsame Gegenständliche ist das, worüber in den verschiedenen Aussagen geurteilt wird, oder das Urteilssubjekt, das nicht Gemeinsame aber ist das, was in jedem einzelnen Urteil von diesem Subjekt als etwas an ihm Bestehendes ausgesagt wird. Das erste Gegenständliche ist entsprechend der gegebenen Definition der Gegenstand, das zweite ist der Sachverhalt. Demnach ist unter einem Sachverhalt, auf den die Analyse des Urteils führt, jeder reale oder ideale Tatbestand, der im Urteil von einem Gegenstand ausgesagt wird, zu verstehen.

Der Begriff des Sachverhaltes ist durch das Gesagte noch nicht eindeutig bestimmt. Es ist vielmehr noch eine wichtige Unterscheidung anzubringen, die wir bei REINACH allerdings vermissen. Der Sachverhalt ist nämlich
    1) ein ausgesagter, ein behaupteter und
    2) ein bestehender oder objektiv gegebener.
Der Sinn dieser Unterscheidung ist leicht zu erfassen. In jedem Urteil, ob wahr oder falsch, wird vom Gegenstand ein bestimmter Sachverhalt behauptet. Dieser Sachverhalt aber findet sich am Gegenstand selbst objektiv vor oder nicht. Träger des behaupteten Sachverhalts ist das Urteil, des objektiven der Gegenstand. In wahren, und nur im wahren Urteil ist der behauptete Sachverhalt mit dem objektiven identisch, im falschen Urteil fallen sie auseinander. Jene Identität ist aber richtig zu verstehen. Sie ist keine reale oder numerische, sondern nur eine logische. So wenig nämlich Gegenstand und Urteil identisch sind - sonst könnte es ja von demselben Gegenstand nicht verschiedene Urteile geben -, so wenig sind dies der am Gegenstand selbst gegebene und der im Urteil gesetzte Sachverhalt. Es ist dies besonders einleuchtend für alle die Urteile, die von einem realen Gegenstand einen realen Sachverhalt aussagen. Sobald aber auf beiden Seiten von der Daseinsweise des betreffenden Sachverhaltes abstrahiert wird, kann die Sache so liegen, daß der logische Rest, also der Sachverhaltsinhalt, voneineinander nicht mehr unterscheidbar ist. Dieser Fall tritt im wahren Urteil ein. Darum besteht in ihm zwischen dem ausgesagten und dem objektiven Sachverhalt das Verhältnis logischer Identität, d. h. der durch Abstraktion entstandenen Ununterscheidbarkeit ihres beiderseitigen Inhaltes.

Gegen unsere Behauptung von der bloß logischen Identität zwischen ausgesagtem und objektivem Sachverhalt sprechen einige Fälle von Urteilen, in denen es sich um eine volle Identität zu handeln scheint. Wenn ich z. B. eine bestimmte Blume sehe, dabei ihre blaube Farbe wahrnehme und nunmehr urteile: "Die Blume, die ich sehe, ist blau gefärbt", so scheint der von mir ausgesagte Sachverhalt, "das Blausein der Blume" mit dem objektiven Blausein der Blume, die ich sehe, in jeder Hinsicht identisch zu sein. Es scheint dies darum so, weil ja letzteres in meinem Bewußtsein existiert, und ich nichts anderes aussage als das, was ich wahrnehme. Jedoch übersieht man, daß eine blaue Blume sehen nicht dasselbe ist wie urteilen: diese Blume ist blau. Das Blau wird gesehen, das Blausein gedacht. Denn vom Wahrnehmungsinhalt, "blaue Blume", zu sagen, er sei entweder wahr oder falsch, wäre unsinnig. Er ist einfach im Bewußtsein da. Dieser Wahrnehmungsinhalt ist also kein Urteil. Ein solches gibt es vielmehr erst mit dem Bestehen des Gedankens - ich sage absichtlich nicht "Satzes" -: Diese Blume ist blau. Nun ist aber dieser Gedanke unmöglich, wenn nicht das Blausein der Blume gedacht wird, weil solange nur die Wahrnehmung der blauen Blume besteht, ja noch kein Urteil besteht. Ich urteile: diese Blume ist blau, weil ich diese Blume blau sehe, nicht dadurch, daß ich sie blau sehe. Folglich ist auch in diesem Fall die Identität zwischen dem gedachten und dem objektiven Inhalt nur eine logische. Nicht wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Urteilen wie 7 + 5 = 12. Der hier ausgesagte Sachverhalt ist die Gleichheit der Anzahl der Einheiten in der Summe der Zahlen 7 und 5 mit den Einheiten in der Zahl 12. Auch hier gilt wie vorhin: Die Aussage (der Gedanke) dieses Gleichseins ist wahr, das Gleichsein selbst aber jener beiden Glieder ist nicht wahhr, sondern besteht, so daß also auch diesmal objektiver und ausgesagter Sachverhalt logisch identisch sind.

Wir wenden uns jetzt zur Besprechung der negativen Bestimmungen, die REINACH vom Sachverhalt gegeben hat. Die Sachverhalte sollen keine Relationen sein, zumindest nicht in Urteilen der Form: "A istb"; "die Rose ist rot". Der Sachverhalt, den letzteres Urteil aussagt, ist "das Rotsein der Rose". Ich frage: Was ist damit ausgesagt? REINACH antwortet: "Durchaus nichts" von einer Relation zwischen Rose und rot, sondern "das Rotsein der Rose", d. h. ein "Sachverhalt". Wirklich? Nun, ich denke doch, daß, wer den Sinn der Aussage "Rotsein der Rose" verstehen, oder das Urteil: "Diese Rose ist rot" mit Verständnis fällen will, zunächst einmal den Sinn der Ausdrücke Rose und rot erfassen muß. Der Sinn der beiden Wörter ist aber nicht identisch. Also liegt unserem Urteil evident eine Zweiheit von Gliedern zugrunde, und es wird das Bestehen einer gewissen Beziehung zwischen diesen ausgesagt. Welcher Art diese Relation ist, kommt in der Aussage nicht genauer zum Ausdruck. Diese beschränkt sich auf den Gedanken, daß rot ein Bestandteil jenes Gegenstandes ist, den ich Rose nenne (6). Daß nun von dieser Beziehung als solcher nicht jene Prädikate ausgesagt werden können, die von der Rose gelten, wie das Stehen-im-Garten, das Welken usw., ist selbstverständlich, da ja das Subjekt oder der Gegenstand der Aussage sich geändert hat. Ich wüßte aber nicht, was daraus für die Wesensverschiedenheit von Gegenstand und Sachverhalt folgen soll. Viel eher ergibt sich daraus, daß etwas, was im einen Urteil als Sachverhalt fungiert, in einem anderen Urteil als Gegenstand fungieren kann. Zum Beispiel hier, wo sich das echte Urteil bilden läßt: "Das Rotsein der Rose ist ein Sachverhalt". Subjekt oder Gegenstand dieses Urteils ist "das Rotsein der Rose", also eben dasjenige, was im Urteil "die Rose ist rot" Sachverhalt und nicht Gegenstand ist. Die Unterscheidung von Gegenstand und objektivem Sachverhalt ist also keine absolute, sondern eine relative; denn ob ein Inhalt im Urteil als Sachverhalt oder als Gegenstand fungiert, entscheidet sich dadurch, ob er als das Ausgesagte oder als das fungiert, worüber die Aussage gemacht wird. Im Urteil "Cäsar ist ermordet worden" ist das Ermordetsein Cäsars der Sachverhalt; im Urteil "das Ermordetsein Cäsars ist glaubwürdig überliefert" ist es Gegenstand, während das Überliefertsein dieses Geschehnisses ein Sachverhalt ist.

Schwieriger ist der Nachweis, daß auch in den Existentialurteilen der Sachverhalt in einer bestimmten Relation steht. Es würde uns zu weit führen, das ganze Problem dieser Urteile hier aufzurollen. Darum beschränken wir uns auf eine Skizzierung unserer Anschauung. Der im Urteil "S existiert" ausgesagte Sachverhalt ist "das Existieren des S". S selbst ist der Gegenstand, von dem dieser Sachverhalt "Existieren" ausgesagt wird. Was bedeutet nun das Wort existieren? Vergleichen wir die mannigfaltigen Gegenstände von Urteilen miteinander, so haben sie gemeinsam, daß sie Gegenstände sind, und unterscheiden sich durch das, was in einem jeden Gegenstand ist. Das erste Moment bezeichnen wir als das Sein des Gegenstandes, das zweite als sein Was oder Wesen. Nun können sich die Gegenstände voneinander nicht nur auf Grundlage des zweiten, sondern auch des ersten Momentes unterscheiden. Dies geschieht, insofern ein Gegenstand sich vom andern nicht sowohl durch sein Was, als vielmehr durch die Weise seines Seins unterscheidet. Er ist nämlich entweder dadurch, daß er gedacht wird, oder sein Sein hängt davon, daß er gedacht wird, gar nicht ab. Diese zweite Weise, wie ein Gegenstand ist, bezeichnen wir als existieren. Also liegt im allgemeinen Begriff der Existenz die Relation der Unabhängigkeit des Gegenstandes vom Gedachtwerden. Und da diese Unabhängigkeit am Gegenstand selbst haftet, so ist "existieren" ein nicht nur ausgesagter, sondern auch objektiv gegebener Sachverhalt von Gegenständen.

Werden Gegenstände und Sachverhalt miteinander verglichen, um ihre Verschiedenheiten zu erkennen, so ist naturgemäß die Unterscheidung von gedachtem oder subjektivem und objektivem Sachverhalt von höchster Bedeutung. Zwischen dem objektiven Sachverhalt und dem Gegenstand ist ein prinzipieller Unterschied nicht möglich, weil dieser Sachverhalt nichts ist als ein bestimmtes Sichverhalten der Sache d. h. des Gegenstandes. Darum können z. B. nicht nur reale Gegenstände, sondern auch reale Sachverhalte die Relatioin von Ursache und Wirkung fundieren. Ja, dies ist sogar notwendig, da doch Gegenstände nur aufgrund bestimmter Zustände und Vorgänge Ursache sein können. Dieses Bild ändert sich aber, sobald wir dem Vergleich die gedachten Sachverhalte, und zwar als gedachte, zugrunde legen. Zwischen diesen und den Gegenständen ist der Unterschied ein wesentlicher und prinzipieller. Ihnen nämlich kann niemals Existenz im eigentlichen Sinn dieses Wortes zukommen. Denn daß sie sind und was sie sind, dies verdanken sie gerade dem Denken. Sein Produkt, seine Schöpfung zu sein ist ihnen wesentlich. So eignet ihnen gerade die Seinsweise, in deren Negation der Begriff der Existenz wurzelt. Umgekehrt ist die Existenz für die Gegenstände des Urteils wesentlich, weil es die Unabhängigkeit ihres Seins und Inhalts von dem auf sie gerichteten Denken ist, das sie zu "Gegenständen" desselben macht. Infolgedessen kann es außer Gegenständen von idealer auch solche von realer Existenz geben. Gedachte Sachverhalte können dagegen nie ein Reales sein. Lehrreich ist ein Blick auf den Fall, wo ein gedachter Sachverhalt beurteilt wird. So bedeutet "dieses Urteil ist wahr" soviel wie "der in diesem Urteil gedachte Sachverhalt ist wahr, d. h. ist mit dem objektiven logisch identisch". In diesem zweiten Urteil ist derselbe Denkinhalt, der im ersten ein gedachter Sachverhalt war, Gegenstand geworden. Als solcher hat er (ideale) Existenz; denn in der Tat fungiert er nunmehr, d. h. in diesem neuen Denkakt, nicht als Schöpfung dieses Denkens, sondern als ein ihm Gegebenes und von ihm Unabhängiges. Der gedachte Sachverhaltsinhalt als solcher kann nicht in der Relation von Ursache und Wirkung, sondern nur in der von Grund und Folge stehen, wie er es z. B. bei Schlüssen tut. Aber auch ein objektiver Sachverhalt kann Grund oder Folge sein. So besteht z. B. der Sachverhalt, daß der Begriff homo sich aus den Merkmalen animal und rationale zusammensetzt, und daraus folgt, daß das Urteil "homo est animal" wahr ist. da nun Sachverhalte, wie gezeigt, auch als Gegenstände fungieren können, so existiert folglich die Möglichkeit, daß auch Gegenstände in der Relation von Grund und Folge stehen. Wir urteilen z. B.: "Alles Ausgedehnte ist teilbar", weil die Teilbarkeit aus dem Begriff der Ausdehnung folgt. Die von REINACH betonte Verschiedenheit der Relationen Ursache-Wirkung und Grund-Folge geht also nicht parallel mit der Unterscheidung von Gegenstand und Sachverhalt, sondern nur mit realer und logischer Relation.


4. Das Erkennen der Sachverhalte

a) Mit Recht führt REINACH seine Erörterungen über die Sachverhalte mit der Untersuchung weiter, wie wir uns ihrer bewußt werden, d. h. "sie sie uns zur Gegebenheit kommen". Die Sachverhalte werden uns, um die Anschauungen REINACHs kurz wiederzugeben, als Erlebnisse wirklich gegeben. Doch in wesentlich anderer Weise als die Gegenstände. Diese nämlich "werden gesehen oder geschaut, Sachverhalte dagegen werden erschaut oder erkannt". Es ist dieses "Erkennen" der Sachverhalte eine eigentümliche neue Art der intentionalen Akte. Man darf dasselbe nicht nur nicht mit der sinnlichen, sondern auch mit der "kategorialen Anschauung" nicht verwechseln, die wir z. B. von der Zahl 2 haben, indem unsere anschauliche Vorstellung der 2 zwar nicht sinnlich, aber doch in einer sinnlichen fundiert ist; denn von der Art, wie uns die 2 und 4 gegeben sind, ist die Art, in dern wir das Gleichsein von 2 x 2 = 4 erfassen, wesentlich verschieden. Nur Sachverhalte, und nicht Gegenstände werden auf diese Weise "erkannt". Immer aber und notwendig gründet sich dieses "Erkennen" der Sachverhalte auf eine Wahrnehmung des Gegenstandes. Wenn daher ein Gegenstand nur durch Erinnerung gegenwärtig ist, so wird auch der Sachverhalt bloß vergegenwärtigt, aber nicht erkannt.

Sowenig Erkennen das Vergegenwärtigen eines Sachverhalts ist, ebensowenig ist es das Behaupten desselben; denn im Behaupten ist der Sachverhalt "bloß vermeint", im Erkennen aber ist er "für uns da in einem prägnanten Sinn". Auch von der Überzeugung ist das Erkennen verschieden; denn in ihm ist jene fundiert. Außerdem hat die Überzeugung Grade und Dauer, wohingegen dem Erkennen beides fehlt. Es ist "durchaus punktueller Natur". Da nun das Urteil in der Überzeugung und Behauptung besteht, so müssen wir "Urteilen und Erkennen auf das Schärfste voneinander scheiden".

b) Ein neues Problem ist zu behandeln. Das Wesen des Urteils besteht darin, auf einen bestimmten Gegenstand einen gewissen Sachverhalt in der Intention zu beziehen, durch ihn einen am Gegenstand objektiv bestehenden Sachverhalt zu erfassen. Eine solche Intention nötigt zu der Frage, wie sie erfüllt werden kann. Man beachte nur, daß auch diesmal Frage und Antwort sowohl einer logischen als auch einer davon genau zu unterscheidenden psychologischen Untersuchung bedürftig sind. Beginnen wir mit der logischen. Sie lautet: Worin darf die Gewißheit gründen, den objektiven Sachverhalt erfaßt zu haben, um berechtigt zu sein? Es handelt sich in dieser Frage nicht unmittelbar um die Beziehung des Urteilsinhaltes zum Gegenstand, sondern um die der Urteilsintention zu ihrer Erfüllung. Sie ist erfüllt, wenn der ausgesagte Sachverhalt mit dem objektiven logisch identisch ist. Wodurch aber kann dies verbürgt sein? Man sieht, daß nicht mehr gefragt wird, wann ein Urteil wahr ist, sondern wie es wahr wird. Wie muß der ausgesagte Sachverhalt gedacht sein, um mit dem objektiven eine logische Identität zu besitzen? Als gedachter ist er notwendig das Werk eines denkenden, eines urteilenden Subjekts. Also muß es von der Weise, wie dieses Subjekt den gedachten Sachverhaltsinhalt bildet, abhängen, ob an demselben die Gewähr für seine Identität mit dem am Gegenstand bestehenden Sachverhalt haftet oder nicht. Diese Gewähr ist nun aber dann gegeben, wenn der gedachte Sachverhalt auf der Kenntnis des objektiven beruth. Aus dem Wesen des Urteils folgt somit, daß dem urteilenden Erfassen eines Sachverhalts ein andersartiges Erfassen desselben zugrunde liegen muß, bei dem im Unterschied von ersterem nicht in Frage gestellt werden kann, ob es wahr ist. Diese Bedingung ist nun in der einfachsten und grundlegenden Form dann erfüllt, wenn dieses Erfassen des gegenständlichen Sachverhaltes in einem unmittelbaren, direkten Wahrnehmen desselben besteht. Anders ausgedrückt, wenn der betreffende Sachverhalt in seinem Selbst dem Wissen des Urteilenden gegenwärtig ist. Ein solches Wissen von etwas ist ein Wissen durch Anschauung des Gewußten, oder, logisch gesprochen, durch eine unmittelbare Evidenz des Wissensinhaltes. Somit tritt zum ersten allgemeinen Satz: "Ein Urteil ist wahr, wenn der ausgesagte Sachverhalt mit dem objektiven logisch identisch ist", der zweite Satz hinzu: Ein Urteil ist logisch gewiß, wenn ihm die Evidenz des ausgesagten Sachverhalts zugrunde liegt. Evidenz bedeutet hierbei soviel wie das Wissen eines Sachverhalts durch direktes Wahrnehmen desselben.

Die Logik muß zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Evidenz unterscheiden. Unmittelbar evident ist derjenige Sachverhalt, der in seinem eigenen Selbst dem Urteilenden gegenwärtig ist. Im Falle aber, wo dies nicht zutrifft, kann doch ein anderer Sachverhalt, der mit ihm durch eine bestimmte Beziehung so verknüpft ist, daß er aus jenem logisch folgt, dem Urteilenden gegenwärtig sein. Dieser andere Sachverhalt vermittelt dann die Kenntnis des ersten. Der vermittelnde Sachverhalt ist hierbei unmittelbar, der vermittelte mittelbar evident.

Was wir bisher zum Problem der Gewißheit ausführten, war Logik, nicht Psychologie. Denn unsere Sätze über die Bedingungen der Gewißheit von Urteilen richten sich
    1) nicht speziell an die Menschen, sondern an die urteilenden Subjekte überhaupt und werden von uns

    2) nicht aus der Natur und den Gesetzen bestimmter am Urteil beteiligter seelischer Akte abgeleitet, sondern aus dem Wesen des Urteilsinhaltes und aus der dazu gehörigen allgemeinen Intention des Urteilenden.
Diese Sätze haben also eine logische und keine psychologische Basis. Sie bedürfen aber einer Ergänzung durch die Psychologie, um für die menschliche Wissenschaft eine praktische Brauchbarkeit zu gewinnen. Die psychologische Grundfrage wird lauten müssen: Wie verwirklicht sich in der menschlichen Seele die von der Logik geforderte Evidenz der Urteile? (7) Außerdem liegt hier auch ein wichtiges Objekt für erkenntnistheoretische Untersuchungen vor; denn es ist zu fragen, wie weit unsere evidente Erkenntnis von objektiven Sachverhalten reicht.

Was wir bei REINACH über "Erkennen" lesen, bezieht sich auf die psychologische Frage. Und zwar bildet er ersichtlich den Begriff des Erkennens, um die psychologische Verwirklichung der unmittelbaren Evidenz zu charakterisieren. Die nähere Bestimmung des "Erkennens" ist bei ihm wiederum eine rein negative. Er sagt uns, was "erkennen" alles nicht ist. Seine Unterscheidungen entbehren hierbei zwar zum Teil der hinreichenden Begründung, scheinen mir aber ansich das Richtige zu treffen.

Vor allem besteht die psychische Verwirklichung der unmittelbaren Evidenz nicht in Gefühlszuständen, sondern in einem Akt des Wissens. Dieser Akt ist besonders geartet. Er ist nämlich ein Erkennen des Objekts durch ein unmittelbares Wahrnehmen oder Anschauen desselben. Doch gibt es ein zweifaches unmittelbares Wahrnehmen. Das Objekt des einen sind sinnliche Gegenstände, das des anderen sind die an und mit diesen und anderen Gegenständen bestehenden Sachverhalte. Ein Wahrnehmen der ersten Art besitzen wir in der sinnlichen Perzeption der Empfindungs- und Vorstellungsinhalte. Für das Wahrnehmen der zweiten Art ist spezifisch, daß es in einem beziehenden Akt zustande kommt. Denn Sachverhalte sind, wie wir zeigten, Beziehungen. Wir haben von solchen eine unmittelbare Anschauung; z. B. davon, daß dieses Rot, das ich sehe, eckig ist, oder davon, daß 7 + 5 = 12 ist. Diese unmittelbare Anschauung hat von Seiten der Seele das Aufeinanderbeziehen der beiden Relate zu ihrer Voraussetzung und Basis (8). Für REINACH sind die Sachverhalte nicht wesentlich Beziehungen. Daher kann er auch das "Erkennen" nicht durch seine innere Verbindung mit den beziehenden Akten kennzeichnen, und kommt so dazu, die Eigenart des "Erkennens" zwar zu behaupten, sie aber nicht positiv zu zeigen. Sehr unzweckmäßig erscheint es uns außerdem, den hier gemeinten besonderen Akten des Anschauens ein so viel gebrauchtes Wort wie "erkennen" zum bezeichnenden Titel zu geben. Da wäre noch das Wort "erschauen", das REINACH gelegentlich auch verwendet, entschieden geeigneter. Noch besser charakterisiert man das gemeinte Erkennen durch den Zusatz "anschauendes Erkennen".

Ein neues und schwieriges Problem: Welcher Art ist das Verhältnis der anschauenden Erkenntnis eines Sachverhaltes zum Urteil über ihn? Ist dieses Erschauen ein Urteilen und ist das Erschaute ein Urteil? Nun, der erschaute Sachverhalt hat die Natur der Gegenstände. Wie es für diese nur die Disjunktioin "existieren oder nicht existieren" gibt, so auch für jenen. Und wie diese nicht wahrgenommen würden, wenn sie nicht existierten, so verhält sich dies auch so beim Sachverhalt. Es betrachtet nun jedermann es als unsinnig, den Gegenständen das Prädikat zu geben, sie seien wahr oder falsch. Also ist dies bei den gegenständlichen Sachverhalten auch unsinnig. Sie bestehen oder bestehen nicht, sind aber nicht wahr oder falsch. Folglich ist das anschauende Erkennen, wie REINACH richtig lehrt, kein Urteilen. Allein, hier hemmt uns eine Frage: Gibt es nicht unmittelbar evidente Urteile? Und was sind diese anders als anschaulich erkannte objektive Sachverhalte? Vor der Beantwortung dieser Fragen gebe ich zu bedenken, daß das Ich erst dann urteilt, wenn es einen Sachverhalt nicht rezeptiv erlebt, sondern setzt; denn nur von einem solchen, d. h. nur von einem Sachverhalt, der eben darum, weil er vom Ich gesetzt ist, dem Gegenstand und seinen Sachverhalten gegenübertritt, läßt sich mit Sinn aussagen, er seit entweder wahr oder falsch. Ein solches Gegenübertreten hat aber einen intentionalen Akt zur Voraussetzung, der erst die Beziehung eines gedachten Sachverhaltes auf einen bestehenden ermöglicht. Im bloßen Erschauen eines Sachverhaltes existiert noch keine intentionale Beziehung desselben; denn er ist ja für sich allein da. Betrachten wir nun als Beispiel eines unmittelbar evidenten Urteils wiederum die Gleichung "7 + 5 = 12". Dieser Satz drückt aus, daß der vom Denken gesetzte Sachverhalt "Gleichheit der Summe 7 + 5 mit der Zahl 12" identisch ist mit der zwischen diesen Zahlen bestehenden Relation. Nun bezeichnen wir dieses Urteil als ein "unmittelbar evidentes". Warum? Darum, weil das urteilende Subjekt dadurch, daß es diesen Sachverhalt nicht nur urteilend, d. h. in der Weise eines intentionalen Aussageaktes zu denken, sondern auch anschauend zu erkennen vermag, befähigt ist, die Wahrheit seines Urteils, nämlich die Identität des in diesem ausgesagten Sachverhaltes mit dem objektiven, direkt zu wissen. Aus diesem anschauenden Erkennen ergibt sich darauf im Urteilenden der Zustand der "Überzeugung". Da aber diese Überzeugung nichts anderes als die Gewißheit ist, daß der gedachte Sachverhalt objektiv vorhanden, d. h. wahr ist, so kann sie erst und nur entstehen, wenn vom Ich zur unmittelbaren Anschauung des objektiven Sachverhaltes ein Urteilsakt oder eine intentionale Aussage desselben Sachverhaltes hinzugesetzt worden ist. Von einem objektiven Sachverhalt selbst können wir ebensowenig überzeugt sein wie von einem Gegenstand, den wir wahrnehmen. Nur vom gedachten, d. h. intentional gerichteten Sachverhalt ist ein Überzeugtsein möglich. Auch in diesem Punkt kann ich daher die Analyse REINACHs nicht für hinreichend eindringend halten.


5. Das negative Urteil und
das Urteil überhaupt

Zweifellos ist das negative Urteil von gewissen Schwierigkeiten umgeben, die das positive nicht zeigt. Das positive Urteil sagt über einen bestimmten Gegenstand einen bestimmten Sachverhalt aus. Da dieser Sachverhalt gleich dem Gegenstand etwas Positives ist, so versteht man ohne weiteres, wie das vom positiven Urteil Gemeinte im Gegenstand selbst gegeben sein kann. Im negativen Urteil handelt es sich nun aber um eine Negation, um einen, sagen wir, negativen Sachverhalt. Negatives aber existiert doch nicht. Also scheint dem negativen Urteil kein am Gegenstand selbst vorhandener Sachverhalt zu entsprechen. Deshalb liegt es nahe, das negative Urteile nicht dem positiven nebenzuordnen, sondern es vielmehr als die Leugnung der Wahrheit des entgegengesetzten positiven Urteils aufzufassen. Vernehmen wir zunächst, wie REINACH hierüber denkt.

a) Mit der Abgrenzung des Sachverhalts von Gegenstand und Relation sowie des Erkennens von den Akten des Vorstellens, Vergegenwärtigens, Meinens, Behauptens, Glaubens und Urteilens verfolgt REINACH den Zweck, das negative Urteil logisch und psychologisch zu analysieren. Dabei nimmt er im zweiten Abschnitt das Urteil im Sinne von Überzeugung oder Glauben und unterscheidet vier Arten:
    1) Positive Überzeugung von positiven Sachverhalten; ich glaube, daß A b ist;

    2) negative Überzeugung von positiven Sachverhalten; ich glaube nicht, daß A b ist;

    3) positive Überzeugung von negativen Sachverhalten; ich glaube, daß A nicht b ist;

    4) negative Überzeugung von negativen Sachverhalten; ich glaube nicht, daß A nicht b ist. (9)
Hiervon sind es die negativen Urteile, welche der traditionellen Logik Schwierigkeiten machen. Da diese nämlich die intentionalen Korrelate entweder in Gegenständen und Relationen sucht, es aber negatvie Gegenstände und Relationen nicht gibt, so verlegt sie die Negation irrigerweise ganz auf die Bewußtseinsseite des Urteils. Nun sind aber die Sachverhalte das intentionale Korrelat des Urteils, und es bestehen "die negativen Sachverhalte genau in demselben Sinne und genau mit derselben Objektivität wie die positiven Sachverhalte". Das negative Urteil ist daher dem positiven koordiniert.

Bedeutsame Unterschiede der beiden negativen Urteilsarten vom positiven Urteil ergeben sich bei der Betrachtung der Voraussetzungen ihres Zustandekommens. Beim positiven Urteil liegt die Sache so: Auf die Wahrnehmung eines Dings baut sich auf das Erkennen eines ihm zugeordneten Sachverhalts, der in diesem Erkennen evident wird, und auf dieses Erkennen baut sich die positive Überzeugung auf. Soll aber eine negative Überzeugung von einem positiven Sachverhalt, ein Unglaube an ihn, entstehen, so muß zunächst mit jenem in Form einer Frage, einer Vermutung, eines Zweifels oder dgl. an den bestehenden Sachverhalt herangetreten, darauf muß dieser erkannt und alsdann der Widerstreit des ersteren mit ihm erfaßt werden. Dann erwächst hieraus und besonders aus der Evidenz des letzteren Sachverhalts ein eigentümliches Aussehen des ersten Sachverhalts, das sich am besten als "negative Evidenz" bezeichnen läßt. Anders liegt wieder das Verhältnis beim Zustandekommen der positiven Überzeugung von einem negativen Sachverhalt, z. B. davon, daß 3 nicht kleiner ist als 2. Auch hier besteht der erste Schritt in einer Frage oder dgl. nach dem negativen Sachverhalt. Der zweite Schritt besteht ebenfalls im Erkennen eines anderen Sachverhalts. Nur widerstreitet derselbe diesmal nicht dem ersten Sachverhalt, sondern steht mit ihm in einer notwendigen Verknüpfung, wie das "Nichtkleinersein der 3" mit dem "Größersein der 3". Darum ist der negative Sachverhalt diesmal positiv evident. REINACH fügt noch hinzu, daß es sich bei diesen Vorgängen "nicht um empirische Zufälligkeiten, sondern um apriorische Wesenszusammenhänge" handelt.

b) Die Schwierigkeit, die das negative Urteil bereitet, hat ihre Wurzel in der Frage der Existenz des Negativen. REINACH sucht sie dadurch zu umgehen, daß er die Sachverhalte als ein Drittes neben Gegenständen und Relationen ansieht, und von den ersteren behauptet, sie bestünden als positive und negative, von den beiden letzteren aber, sie bestünden nur als positive. Nun können wir aber REINACH auf diesem Weg nicht folgen, weil wir die Sachverhalte in Relationen der Gegenstände suchen zu müssen glauben. Und so erhebt sich für uns die Frage: Gibt es negative Relationen? Die Beantwortung erfordert, daß zuvor der Begriff der "negativen Relationen" klargestellt wird. Benutzen wir zu diesem Zweck ein Beispiel. "Der Punkt ist nicht identisch mit der Linie." In diesem negativen Urteil sagen wir von einem Punkt die Nichtidentität mit der Linie aus. Hier hätten wir also eine negative Relation: Nichtidentität. Wir können sie nun an und für sich durch zwei Sätze wiedergeben, nämlich
    1) "die Nichtidentität von Punkt und Linie besteht", oder
    2) "Identität zwischen Punkt und Linie besteht nicht."
Welcher der beiden Sätze die Verhältnisse richtig bezeichnet, kann nicht zweifelhaft sein. Denn offenbar darf es nicht heißen "Nichtidentität besteht", sondern "Identität besteht nicht". Danach ist eine negative Relation" eine Relation, die zwischen bestimmten Relaten nicht besteht. Daraus ergibt sich sofort auch der Sinn des "negativen Sachverhaltes", oder besser: des im negativen Urteil ausgesagten Sachverhaltes. Es ist dies eben der Sachverhalt, daß eine gewisse Relation an einem bestimmten Gegenstand nicht besteht, oder kurz: der Sachverhalt des Nichtbestehens einer Relation (10).

Unser Ergebnis führt zu einer weiteren Fragestellung. Eine Relation, die besteht, ist etwas Objektives, mit den Gegenständen Gegebenes, zwischen ihnen Vorhandenes; z. B. die Gleichheit der Summe 2 + 2 mit dem Produkt 2 x 2. Wie verhält es sich aber mit der Relation, die nicht besteht? Ist auch dieses Nichtbestehen etwas Objektives, oder ist es vielmehr etwas rein Subjektives, etwas nur im und durch das Denken Vorhandenes? Im letzteren Fall wäre positives und negatives Urteil einander nicht koordiniert. Nun ist klar, daß es dem Denken ebenso freisteht, auszusagen, daß Relationen bestehen, wie, daß sie nicht bestehen. Das Denken kann Punkt und Linie ebensogut für identisch wie für nichtidentisch erklären. Das ist sein subjektives Vermögen. Der Punkt aber, wo dieses subjektive Vermögen des Denkens endet, der ist, daß seine Aussage, eine gewisse Relation bestehe nicht, nun auch aufgrund dieser seiner Setzung wahr sei. Wie vielmehr die Aussage des Bestehens, so findet ganz genau ebenso auch die des Nichtbestehens einer Relation ihre Norm am Gegenstand der Aussage. Punkt und Linie sind nicht darum nicht identisch, weil wir dies denken und aussagen, sondern darum, weil sie selbst diese Relation fundieren. Also, weil sie nicht identisch sind, darum denken und sagen wir dies von ihnen; genau so, wie wir umgekehrt darum von 7 + 5 und 12 aussagen, daß sie gleich sind, weil diese Relation zwischen ihnen besteht. Somit ist der "negative Sachverhalt" etwas ebenso Objektives wie der positive. Die einen Relationen bestehen, die anderen bestehen nicht. Jener Sachverhalt wird im positiven, dieser im negativen Urteil ausgesagt. Beide Urteile sind daher logisch koordiniert.

Wenn positives und negatives Urteil logisch koordiniert sind, so verhalten sie sich zum Urteil überhaupt wie zwei Arten zu ihrer gemeinsamen Gattung. Deshalb muß das gattungsmäßige Merkmal beider Urteilsarten bestimmt werden. Es besteht aber dasselbe darin, daß in ihrem Inhalt von einem Gegenstand ein gewisser Sachverhalt ausgesagt ist, an dem die Intention haftet, mit dem objektiven Sachverhalt des Gegenstandes logisch identisch zu sein. Dementsprechend läßt sich das Urteil überhaupt definieren als das intentionale Erfassen eines objektiven Sachverhaltes durch einen ausgesagten, oder kürzer: als eine Aussage über objektive Sachverhalte. Der Ausdruck "Aussage" soll hierbei nicht andeuten, daß zum Urteilen ein äußeres oder inneres Sprechen unerläßlich ist. Er soll vielmehr in dem Sinne genommen werden, wie man von einem Zeugen sagt, daß er vor Gericht unter Eid seine "Aussage" macht. Aussage bedeutet hier die Absicht, den wahren Sachverhalt getreu darzustellen. In diesem Sinn ist jedes Urteil eine Aussage über einen objektiven Sachverhalt. Je nachdem nun der ausgesagte Sachverhalt einen positiven oder negativen Inhalt hat, ist das Urteil ein positives oder ein negatives. Die Wahrheit beider Urteile besteht in der logischen Identität des ausgesagten (positiven oder negativen) Sachverhaltes mit dem objektiven.

Aus unseren Ausführungen über negative Sachverhalte ist zu entnehmen, daß man den Ausdruck "bestehen" in zweifacher Bedeutung verwendet. Eine negative Relation, so sagten wir, ist eine Relation, die nicht besteht. Wir sagten ferner, dieses Nichtbestehen sei etwas Objektives, im Gegenstand selbst Fundiertes. Diese Eigenschaft können wir aber auch dadurch ausdrücken, daß wir sagen, der im Urteil ausgesagte Sachverhalt "besteht". Denn ein Urteil ist wahr, wenn der Sachverhalt "besteht", den es aussagt, und es ist falsch, wenn derselbe "nicht besteht". Wenden wir dies auf ein wahres negatives Urteil an, so bekommen wir den Satz: "Das behauptete Nichtbestehen der betreffenden Relation besteht"; es besteht z. B., daß zwischen Punkt und Linie Identität nicht besteht. Hier tritt die zweifache Verwendung des Wortes "bestehen" deutlich zutage. Aber auch positive Urteile können wir so bilden. Es bedeutet nun "bestehen" dann, wenn wir von einer Relation sagen, daß sie nicht besteht, soviel wie existieren, vorhanden sein. In der anderen Wendung aber bedeutet "bestehen" soviel wie "vom Gegenstand dem Denken auferlegt sein" oder "wahr sein". Hier ist das Wort die Bezeichnung für die Objektivität eines Aussageinhaltes. Infolge dieses Doppelsinnes ist es zweckmäßiger, als das Ziel des Urteils und der Wahrheit nicht den "bestehenden Sachverhalt", sondern den objektiven Sachverhalt zu bezeichnen. Denn gerade der Ausdruck, das Urteil soll die "bestehenden" Sachverhalte erfassen, läßt einen beim negativen Urteil Schwerigkeiten finden, weil man nämlich unwillkürlich dieses "bestehend" im Sinne von existieren, und nicht in einem allgemeineren Sinn von "objektiv" versteht, und nun sich sagt, Negationen könnten doch nicht "bestehen", d. h. existieren, so daß die negativen Urteile nicht gleich den positiven auf einen gegenständlichen Sachverhalt zu zielen scheinen.


6. Subjekt, Prädikat und Kopula

Um unsere Ausführungen über das Urteil zu einem gewissen Abschluß zu bringen, versuchen wir aufgrund des Gesagten eine genaue Bestimmung der herkömmlicherweise im Urteil unterschiedenen drei Glieder: Subjekt, Prädikat und Kopula. Wir müssen zum Zweck einiges vom Ausgeführten kurz rekapitulieren.

Zu einem Urteil gehört in erster Linie ein Etwas, über das geurteilt wird. Ein jedes derartiges Etwas bezeichnen wir als den Gegenstand des Urteils, wie immer es beschaffen sein mag, ob es real oder ideal existiert. Nur das eine Merkmal ist ihm wesentlich, daß es dem urteilenden Denken als ein von ihm unabhängiges, in sich selbst bestimmtes Objekt gegenübersteht. Der Gegenstand ist das, was man das Subjekt des Urteils nennt. Man erkennt ihn, wenn man frägt: Über welches Objekt macht dieses Urteil eine Aussage? Zum Urteil gehört zweitens ein bestimmter Begriff und die Intention, das Verhältnis auszusagen, welches zwischen dem Gegenstand und dem Inhalt dieses Begriffs objektiv vorhanden ist. Hierin stecken demnach 3 Momente:
    1) der zum Träger der Intention erhobene Begriff; er gehört zum Prädikat;

    2) die genannte Intention; sie heißt Kopula; und

    3) das Verhältnis zwischen dem Gegenstand und dem Inhalt des Prädikatsbegriffs; dies ist der Sachverhalt.
Unter einem Sachverhalt ist dasjenige zu verstehen, was im Urteil vom Gegenstand ausgesagt wird. Daher ist der Sachverhalt das Prädikat des Urteils, während der vorhin erwähnte Prädikatsbegriff nur Bestandteil des Prädikats ist. Im Urteil "die Kornblume ist blau" ist nicht "blau", sondern das "Blausein" Prädikat; im Urteil "A liegt links von B" ist nicht "links", sondern das "Links-von-B-gelegen-sein" Prädikat. Der Sachverhalt ist immer notwendig irgendeine Relation des Gegenstandes, und zwar entweder eine solche, die besteht, oder eine solche, die nicht besteht. Ein Urteil, welches als Sachverhalt das Bestehen einer gewissen Relation des Gegenstandes aussagt, ist ein positives Urteil, ein solches, welches das Nichtbestehen einer bestimmten Relation aussagt, ein negatives. Beide Urteile sind logisch koordiniert, und haben das allgemeine Wesen des Urteils als gattungsmäßiges Merkmal gemeinsam. Der Sachverhalt ist in erster Linie ein am Gegenstand objektiv gegebener, also gegenständlicher. Ihm steht gegenüber der vom Denken in Bezug auf den Gegenstand gesetzte oder ausgesagte Sachverhalt: das Prädikat des Urteils. Dieser ausgesagte Sachverhalt ist der eigentliche Träger der Wahrheit oder Falschheit. Daß er unter dieser Disjunktion steht, rührt von seiner Intention her, mit dem objektiven Sachverhalt identisch zu sein. Ist diese Identität vorhanden, so ist das Urteil wahr, im andern Fall falsch. Die Identität des vom Denken gesetzten mit dem am Gegenstand objektiv vorhandenen Sachverhalt ist keine numerische, sondern eine logische, nämlich eine durch gedankliche Abstraktion von den beiderseitigen Existenzialbeziehungen gewonnene Ununterscheidbarkeit des hüben und drüben vorhandenen Inhaltes.

Ein weiteres zum Urteil gehöriges Moment ist die Gewißheit oder "Übeeeerzeugung". Sie bezieht sich auf die vom Urteilsinhalt angestrebte logische Identität des ausgesagten Sachverhalts mit dem objetiven und ist die Gewißheit, daß diese Identität besteht, d. h. daß das Urteil wahr ist. Für die Logik ist die Gewißheit berechtigt oder nicht berechtigt. Sie ist logisch dann berechtigt, wenn sie auf Evidenz beruth. Die Evidenz aber besteht in der anschauenden Erkenntnis des objektiven Sachverhalts selbst oder eines anderen mit ihm so verbundenen Sachverhalts, daß jener aus diesem logisch folgt. Die erste ist die unmittelbare, die zweite die mittelbare Evidenz.

Es ist wichtig zu sehen, warum und inwiefern die Überzeugung ein Bestandteil des Urteils ist. Ein Urteil nämlich ist zweifellos mit der bloßen Absicht (Intention), einen gewissen objektiven Sachverhalt zu erfassen, noch nicht gegeben. Denn der Ausdruck dieser Absicht besteht nicht in der Aussage: "A ist b", sondern in der Aussage: "A soll durch b bestimmt werden"; oder "Ich beabsichtige, den zwischen A und b vorhandenen Sachverhalt zu erfassen." Daher entsteht ein Urteil erst mit der Ausführung dieser Absicht. Zu dieser Ausführung gehört das faktische Setzen eines bestimmten Sachverhaltes durch das Denken - also die gedankliche Bildung es bestimmten Prädikats - und die Annahme der Identität desselben mit dem objektiven Sachverhalt des Gegenstandes. Nun ist aber die reine Annahme dieser Identität gar keine wirkliche Ausführung jener Intention, weil sie als solche ganz subjektiv ist, und daher in sich auch nicht irgendeinen Ansatz zu der Gewähr enthält, daß der vom Denken gesetzte Sachverhalt mit dem objektiven übereinstimmt. Aus diesem Grund ist ein Urteil erst dann ein volles Urteil, wenn er zur gedanklichen Setzung eines Sachverhaltes und zur Annahme seiner Identität mit dem objektiven Sachverhalt als Drittes noch die Überzeugung vom Vorhandensein dieser Identität hinzukommt. Im Falle aber, daß die volle Überzeugung nicht logisch berechtigt ist, weil sich der objektive Sachverhalt nicht mit Evidenz erkennen läßt, muß an ihre Stelle der Ausdruck der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit oder schließlich des Zweifels treten.

Mit Hilfe der zuletzt gewonnenen Unterscheidung läßt sich nunmehr die Kopula des Urteils genau bestimmen. Sie setzt sich nämlich von den drei genannten Momenten aus dem ersten und dritten zusammen, also aus
    1) der Urteilsintention und
    2) der Überzeugung von der Identität der ausgeführten Intention.
Die ausgeführte Intention als solche ist das Prädikat des Urteils. Die beiden logischen Momente der Kopula pflegen im Urteilssatz ihren gemeinschaftlichen Ausdruck in der Satzkopula zu finden, nämlich im "ist" oder "sind" oder der Indikativendung eines etwa gebrauchten Prädikatsverbums. Seinen Grund hat dies darin, daß die Urteile in der Regel solche der Überzeugung oder Gewißheit sind. Sobald dies nicht der Fall ist, empfängt das zweite Moment der Kopula seinen besonderen sprachlichen Ausdruck; z. B. "es ist wahrscheinlich, unsicher usw."

Hieraus ergibt sich evident, daß im positiven und negativen Urteil die Kopula ganz die gleiche ist; denn in beiden Urteilen besteht die Intention, den objektiven Sachverhalt zu erfassen und die Überzeugung, daß dies erfüllt sei. Im negativen Urteil wird demnach die Kopula durchaus nicht verneint. Die Verneinung hat vielmehr ihre Stelle im Prädikat, d. h. in einem prädizierten Sachverhalt. Das Axiom: In propositione negativa negatio afficere debet copulam, besteht also nicht zu Recht. Diese Regel war und ist nur möglich, solange unter dem Einfluß der Betrachtung der Satzteile der eigentliche Sinn der Kopula und das eigentliche Prädikat des Urteils nicht erkannt sind. Vor allem pflegt der Prädikatsbegriff, der doch nur ein Teil des Prädikates ist, mit dem Prädikat verwechselt zu werden. Wenn wir etwa das Beispiel zugrunde legen "der Punkt ist nicht identisch mit der Linie", so schließt man, dieser Satz bedeute nicht "der Punkt ist nicht-identisch mit der Linie", und darum affiziert die Negation nicht das Prädikat, sondern das "ist", d. h. die Kopula. Allein, der Begriff "Linie" ist nur ein Prädikatsbestandteil, nicht das Prädikat des erwähnten Urteils; denn Prädikat ist der vom Subjekt - dem Punkt - ausgesagte Sachverhalt: also, "das Nichtbestehen der Identität mit der Linie". Die Negation findet sich mithin in der Tat im Prädikat, und nicht in der Kopula. Ihr Platz ist in der Ausführung der Kopula, und, wenn man will, insofern auch in der Kopula: denn daß Kopula und Prädikat zueinander gehören, indem die Kopula ohne Prädikat leer, das Prädikat ohne Kopula blind wäre, ist selbstverständlich. Das Prädikat führt aus, was die Kopula intendiert, die Kopula andererseits gibt dem Prädikat die urteilsmäßige Richtung auf das Subjekt, und macht es dadurch eben zum Prädikat.

LITERATUR: Joseph Geyser, Beiträge zur logischen und psychologischen Analyse des Urteil, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 26, Leipzig 1913
    Anmerkungen
    1) ADOLF REINACH, Zur Theorie des negativen Urteils, Münchener philosophische Abhandlungen, Theodor Lipps gewidmet von früheren Schülern, Leipzig 1911, Seite 196-254
    2) Es ließe sich einwenden, das Objekt meiner Überzeugung und Substrat der Wahrheit sei der in der Wahrnehmung evident erkannte Sachverhalt selbst. Dieser Punkt wird später geklärt werden.
    3) Weiteres über das Verhältnis von Aussage und Überzeugung im Urteil folgt am Schluß dieser Abhandlung.
    4) Eine genauere Analyse des psychologischen Erlebens von Begriffen ist natürlich nicht nur ansich, sondern auch für die Erkenntnis des in den weiteren Ausführungen des Textes zur Sprache kommenden "Meinens" unentbehrlich. Doch gehe ich hier auf diese Analyse nicht näher ein. Meine Anschauung der Sache habe ich in meinem "Lehrbuch der allgemeinen Psychologie", zweite Auflage, Münster 1912, Kapitel 17 dargelegt.
    5) Auf dasselbe weise ich in meinem vorhin erwähnten Lehrbuch hin in Nr. 38-40.
    6) Stattdessen ließe sich der Sinn von "Diese Rose ist rot" auch wiedergeben durch "Zum Komplex, den ich diese Rose nenne, gehört rot". REINACH wendet in einer Anmerkung dagegen ein, daß dieses ein anderes Urteil ist, weil ersteres Urteil nicht umkehrbar, letzteres es sehr wohl ist. Aber diese Umkehrbarkeit ist einfach zu leugnen. REINACH gelangt zu ihr durch eine Zugrundelegung der gänzlich unhaltbaren Interpretaton "Die Rose ist dem Rot zugehörig". Natürlich kann es nur heißen: "Das Rot gehört zur Rose".
    7) Die naturgemäße Beantwortung einer solchen psychologischen Frage besteht in der Beschreibung der inneren Erlebnisse, die ein Urteilender bei - womöglich experimentell herbeigeführten - bestimmten Urteilsvorgängen in sich beobachtet. Doch müssen die Ergebnisse notwendig lückenhaft sein, weil 1) viele Vorgänge infolge Gewöhnung in abgekürzter Form verlaufen, und 2) die Aufmerksamkeit vieles nicht bemerkt. Darum sind Untersuchungen wie die oben folgenden, die aus dem Wesen eines Objekts die zu seiner seelischen Verwirklichung erforderlichen Momente abzuleiten suchen, meines Erachtens unentbehrlich, um die innere Beobachtung teils zu ergänzen, teils zielweisend vorzubereiten.
    8) Die genaueren Ausführungen findet man in meinem "Lehrbuch der allgemeinen Psychologie", a. a. O., Nr. 36f und Kap. 16. Ferner in meinen "Grundlagen der Logik und Erkenntnistheorie", Münster 1909, Nr. 17f und 49f.
    9) Im dritten Abschnitt werden die Verhältnisse für das Urteil als Behauptung ausgesprochen. Ich werde auf diese Ausführungen im Einzelnen nicht eingehen, weil das wesentliche in dem, was ich zu den Ausführungen des zweiten Abschnittes zu sagen habe, zur Sprache kommen wird.
    10) Ein "negativer Sachverhalt" ist also nicht dasselbe wie ein "negierter Sachverhalt", wie es REINACH will. Sondern er ist ein Sachverhalt mit negativem Inhalt und dieser Sachverhalt wird gesetzt, nicht verneint.