ra-1p-4A. MeinongA. GoedeckemeyerF. MautherW. Jerusalem    
 
LEONID GABRILOWITSCH
Über Bedeutung und Wesen
der Elementarbegriffe

[Versuch einer neuen Inangriffnahme des Universalienproblems]
[2/2]

"Wie das Gedächtnisbild auf Inhalte hinweist, die sozusagen außer ihm liegen (auf gewesene, jetzt nicht mehr gegenwärtige Wahrnehmungen), so weist auch die Begriffsvorstellung auf etwas außer ihr Liegendes - nämlich auf die Eigenschaften von Wahrnehmungen. Nun geht jedoch jede Erinnerung stets auf etwas Einzelnes und Konkretes, dagegen die Begriffsvorstellung - auf etwas nicht nur vielen Gemeinsames, sondern auch dem Wesen nach Allgemeines. Denn es sind die Eigenschaften der Wahrnehmungen keine Konkreta, sondern eher Abstrakta. Für sich, abgesondert vom Inhalt, in welchem sie vorgefunden werden, können sie nicht bestehen. Es gibt kein Rot für sich, es existieren bloß rote Wahrnehmungen, - rote Flächen, rote Einzelfiguren."

"Hören wir einen Pfiff, so haben wir eine durchaus einheitliche Wahrnehmung und keineswegs eine komplizierte Zusammensetzung aus Tonhöhe, Klangfarbe und Stärke. Sonst müßten ja diese Elemente des Inhalts ja Inhalte für sich darstellen, was sie aber nicht sind. Es springt in die Augen, daß wir es hier nicht mit Elementen, sondern mit Verhältnissen zu tun haben. Wie könnte von starken Tönen die Rede sein, wenn nicht schwache als Gegenstück dazu da wären? Oder von hohen, wenn keine niedrigen existieren? Und so verhält es sich mit allen Momenten. Dadurch erklärt es sich auch, weshalb qualitative Momente nie für sich, d. h. abgesondert und abgetrennt, anzutreffen sind, sondern immer nur an wirklichen Inhalten: weil sie eben Relationen darstellen."

§ 16. Versuchen wir von der unmittelbaren Erfahrung auszugehen. Dort sehen wir, daß nicht nur einzelne Inhalte sich von anderen Inhalten abheben, sondern auch Gruppen von Inhalten von anderen Gruppen. Erstens scheiden sich alle Bewußtseinsinhalte in drei große, scharf voneinander abgegrenzte Kreise: Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle. Im Kreis der Wahrnehmungen springen uns in die Augen die fünf bekannten, scharf gezeichneten Unterabteilungen: Gesicht-, Gehör-, Tast-, Geruch-, Geschmackswahrnehmungen. Der "Unterkreis" der Gesichtswahrnehmungen zerfällt seinerseits entweder in eine Mehrheit von "Farbenkreisen" (rote, gelbe, grüne usw. Wahrnehmungen), oder in eine Mehrheit von "Formenkreisen" (runde, viereckige, ovale usw. Gesichtswahrnehmungen). Jeder Kreis zeigt scharf umrissene Grenzen, welche uns unmittelbar, zusammen mit den vorgefundenen Inhalten, gegeben sind. Das ganze Feld der Erfahrung gleicht einem Mosaikbild, wo als einzelne Steinchen unsere Bewußtseinsinhalte auftreten, als Figuren und "Muster" - zusammenhängende Gruppen von Inhalten. Doch besteht zwischen einem Mosaikbild und der Erfahrung ein höchst bedeutsamer und wichtiger Unterschied: im Bild bleiben die Steinchen immer dieselben; dagegen in der unmittelbaren Erfahrung wechseln die Inhalte in einem fort; sie kommen und gehen und werden durch andere ersetzt; unverändert erhält sich bloß sozusagen das "Muster", d. h. die Einteilung des Erfahrungsfeldesf. Wie lebendig der Wechsel der Bewußtseinsinhalte auch sein mag, stets sehen wir sie in dieselben Kreise zerfallen; und fallen einige dieser Kreise aus, so werden sie durch Erinnerungsbilder ergänzt. Man wäre versucht, die Einteilung des Erfahrungsfeldes mit einem Regenbogen zu vergleichen, der sich auf einem Wasserfall abzeichnet: die Tropfen wechseln, sie fliegen mit reißender Schnelligkeit, doch die sieben Farben des Bogens stehen so unbeweglich an einem Platz, als ruhten sie auf einem marmornen Postament. Auch ließe sich das Feld des Bewußtseins mit einem Papierstreifen vergleichen, welchen man zwischen die Pole eines starken Magneten gelegt hat: schüttet man auf den Papierstreifen Eisenspäne, so lagern sie sich in der Richtung der magnetischen Kraftlinien. Man kann die Eisenspähne wegfegen und neue auf den Papierstreifen schütten: die Zeichnung, welche sie durch ihre Lagerung bilden, bleibt dieselbe.

Es haben also für die Struktur des Erfahrungsfeldes nicht die einzelnen Inhalte Bedeutung; auch nicht Gruppen und Reihen von bestimmten (wahrgenommenen oder erinnerten) Inhalten, wie HUME und seine Anhänger meinen; sondern - einzig und allein die Lagerung, in welcher wir diese Inhalte vorfinden, - die stets beharrenden Einheiten oder Kreise, in welche die unmittelbare Erfahrung zerfällt.

Dieses stetige Beharren der Struktur des unmittelbaren Bewußtseins bedarf jedoch einer näheren Erläuterung. Nicht als ob in jedem Moment der Erfahrung alle "Kreise" durch entsprechende Inhalte besetzt wären. Im Gegenteil, wir wissen sehr wohl, daß gewöhnlich nur die allerwenigsten ausgefüllt sind. Zum Beispiel im gegenwärtigen Moment habe ich zufällig weder rote Gesichtswahrnehmungen, noch nehme ich Schmerz oder Violintöne wahr. Doch denke ich an diese fehlenden Inhalte, so habe ich ihre Stellen vor Augen, welche sie in der unmittelbaren Erfahrung ausfüllen würden. Keineswegs brauche ich mir durchaus etwas Anschaulich-Rotes, einen konkreten Inhalt vorzustellen. Ich denke bloß an das Rote im allgemeinen, also an diejenige Einheit im Feld des Bewußtseins, welche etwaige rote Inhalte, würde ich sie unmittelbar vorfinden, unabhängig von ihren übrigen individuellen Eigenschaften, ausmachen würden. Ich besinne mich z. B. darauf, daß diese Einheit sich von den gegenwärtig gegebenen "Kreisen" des Grünen und Weißen abheben und zusammen mit diesen und noch anderen "Kreisen" die höhere Einheit der Farbenwahrnehmungen konstituieren würde. Dieses Sich-Vergegenwärtigen des Ortes, welchen die betreffende Einheit im Feld der Erfahrung einnehmen würde, entspricht dem "Sinn" (oder um mit HUSSERL zu reden: "der Bedeutungsintention") der Begriffsvorstellung "rot". Da wir es nicht mit konkreten Einzelwahrnehmungen oder überhaupt mit Einzelinhalten zu tun haben, so ist für das Bestehen der durch die Begriffe angedeuteten Einheiten vollkommen gleichgültig, ob sie momentan durch eine, zwei oder hundert Einzelwahrnehmungen gebildet werden: die Einheit z. B. des "Roten" bleibt immer dieselbe, ob sie durch einen einzigen roten Flecken oder eine Menge von roten Figuren vertreten ist (da es ja auf den "Kreis" als solchen, und nicht auf seine etwaigen wechselnden Bestandteile ankommt; wie die Zuhörerschaft immer Zuhörerschaft bleibt, ob sie durch Hunderte von Studenten oder die tres, qui faciunt collegium [drei bilden ein Kollegium - wp], gebildet wird). Doch sollte auch der letzte Inhalt verschwinden, so bleibt zumindest die von ihm eingenommene Stelle als möglicher Kreis, mögliche Einheit bestehen. "Hier ist ein Platz auszufüllen" - sagt uns unsere Begriffsvorstellung. Jeder Inhalt, der an diesem Platz auftaucht, wird sogleich die ganze Einheit repräsentieren. Denn sollten neue Inhalte hinzukommen, so wird das wohl die innere Zusammensetzung der Einheit, nicht jedoch ihre Natur verändern: es bleibt immer dieselbe Einheit, derselbe Kreis.

§ 17. Es ist ein Grundgebrechen des Humismus, daß er, zu einer Aufklärung des Erkennens, immer Reihen von konkreten Inhalten (z. B. Gruppen von Erinnerungsbildern) und nicht Kreise oder Einheiten, in die unsere unmittelbare Erfahrung zerfällt, zuzieht. Gerade dadurch verwickelt er sich in die Schwierigkeit, nie mit völliger Genauigkeit und ohne jegliche Zweideutigkeit feststellen zu können, welche Eigenschaft eines gegebenen Inhaltes durch seinen Anschluß an eine bestimmte Wahrnehmungs- oder Erinnerungsreihe zum Ausdruck gelangt: wie wir es oben dargestellt haben (vgl. § 13). Diese Schwierigkeit fällt nun sogleich weg, wenn wir annehmen, daß das Erkennen der Eigenschaften nicht auf die Einreihung in gegebene Gruppen, sondern auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einheit oder zu einem bestimmten Kreis beruth, in welche unser Erfahrungsfeld unmittelbar zerfällt. Durch die Struktur des unmittelbaren Bewußtseins ist jede Einheit unzweideutig bestimmt: die Einheit "rot", welche auf der Zerfällung der Gesichtswahrnehmungen in Farbenkreise beruth, kann nie mit den Einheiten "oval", "hell" usw. verwechselt werden, welche zu völlig anderen Zerfällungssystemen gehören. Zwar kreuzen sich verschiedene Kreise; derselbe Inhalt kann in eine Mehrheit von Kreisen hineingehören; doch da die einzelnen Inhalte mit der Zerfällung oder Einteilung der Erfahrung überhaupt nichts zu schaffen haben; da ferner die Natur jeder Einheit keineswegs durch ihre innere, stets wechselnde Zusammensetzung (wie es bei einer Gruppe oder Reihe der Fall wäre) bedingt ist, sondern einzig und allein durch ihre Stellung im System des Gegebenen; so sind alle "Einheiten" oder "Kreise", trotz allen Kreuzungen, streng voneinander abgegrenzt, und von einer etwaigen Vermengung kann durchaus keine Rede sein. Wenn wir "oval" sagen, haben wir ja nicht eine bestimmte Reihe von anschaulichen Inhalten im Auge, welche zugleich auch "rot", "hell" und dgl. mehr sein könnten; wir denken nicht an die Inhalte A, B oder C, auch nicht an eine Klasse von Inhalten, überhaupt an nichts Einzelnes und Konkretes; wir denken bloß an die gegebene Einteilung der Erfahrung, und zwar an eine völlig bestimmte Zerfällungsart der Gesichtswahrnehmungen: an das Auseinandertreten in der höheren Einheit "Gesichtseindruck" der untergeordneten Einheiten "oval", "eckig" usw.

Zu einer Reihe oder Gruppe von Inhalten können stets neue Glieder hinzukommen; die "Kreise" oder "Einheiten" als solche bleiben gleichgültig gegen jedweden Wechsel in ihrer Zusammensetzung; zu ihnen läßt sich nichts hinzufügen, und von ihnen läßt sich nichts wegnehmen. Die Einheiten "oval", "rot" usw. bleiben dieselben, behalten dieselbe identische Stellung im System des Gegebenen, ob sie durch einen einzigen Inhalt oder durch eine unübersehbare Menge von Inhalten vertreten sind. Deshalb bleiben sie auch scharf abgegrenzt gegeneinander (da sie ja völlig verschiedene Stellungen im System des Gegebenen einnehmen), und irgendeine Vermengung ist im vorliegenden Fall vollkommen ausgeschlossen. Es ist, als ob HUMEs Ähnlichkeitsreihen, deren Hauptgebrechen in ihrer Unendlichkeit bestand, auf einmal einen Abschluß erlangt hätten. Und dieses Resultat ist erreicht, sobald wir nicht die Ähnlichkeitsreihen, als solche, - als Komplexe von konkreten Bewußtseinsinhalten, - sondern einzig und allein ihre Stellung im System der unmittelbaren Erfahrung in Betracht ziehen, also nicht atomistisch-synthetisch, von den einzelnen Daten, sondern analytisch - von der Gesamterfahrung - ausgehen.

§ 18. Um möglichen und naheliegenden Mißdeutungen vorzubeugen, dürfte hier folgende Bemerkung am Platz sein: es ist nicht dasselbe, die Eigenart eines Inhaltes zu erleben, und diese Eigenart zu erkennen. Wenn wir einen Inhalt erleben, so wird er nicht dadurch rot, daß seine Zugehörigkeit zu einer roten Einheit konstatiert wird; das Rot, als seine individuelle Bestimmtheit, steckt sozusagen in ihm selbst; jedoch das Rot, als erkannte Qualität, hat zu seiner Voraussetzung die Einreihung in ein Erfahrungssystem und speziell die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einheit. Sollte diese Zusammengehörigkeit (oder präziser: das Konstatieren derselben) ausbleiben, so könnten wir wohl etwas Rotes erleben, jedoch keineswegs es als etwas Rotes erkennen. Wir würden etwas Spezifisches vorfinden; jedoch nicht wissen, was wir da vor uns haben.

Auch könnten ohne eine Einreihung in eine Erfahrungssystem die verschiedenen qualitativen Momente eines Bewußtseinsinhaltes nicht voneinander unterschieden, noch überhaupt aus dem konkreten Ganzen "hervorgehoben" werden; da schon ihr bloßes Bemerken das Konstatieren von Zugehörigkeiten verschiedener Art zur Voraussetzung hat. Der Inhalt ansich ist etwas vollkommen Gleichartiges, homogenes, wie ein einfacher Körper; hören wir z. B. einen Pfiff, so haben wir eine durchaus einheitliche Wahrnehmung und keineswegs eine komplizierte Zusammensetzung aus Tonhöhe, Klangfarbe und Stärke. Sonst müßten ja diese "Elemente" des Inhalts Inhalte für sich darstellen, was sie aber nicht sind. Es springt in die Augen, daß wir es hier nicht mit Elementen, sondern mit Verhältnissen zu tun haben. Wie könnte von starken Tönen die Rede sein, wenn nicht schwache als Gegenstück dazu da wären? Oder von hohen, wenn keine niedrigen existieren? Und so verhält es sich mit allen "Momenten". Keineswegs stecken sie in den Inhalten, wie die Atome in einem chemischen Molekül. Die Inhalte sind durch und durch homogen, obwohl jedem von ihnen eine spezifische Natur innewohnt, unabhängig davon, ob er erkannt ist oder nicht. Ein starker, hoher, pfeifender Ton ist ein Etwas von spezifischer Art, ein Etwas, welches vollkommen verschieden ist von einem leisen, niedrigen, seufzenden Ton. Jedoch ist dieses spezifische Etwas in jedem etwas durchaus Einheitliches. Seine Merkmale hat es nicht in sich stecken. Sie müssen sozusagen von außen hinzukommen, als Relationen zu anderen Inhalten. Dadurch erklärt es sich auch, weshalb qualitative Momente nie für sich, d. h. abgesondert und abgetrennt, anzutreffen sind, sondern immer nur an wirklichen Inhalten: weil sie eben Relationen darstellen.

Die Einwendung, daß wenn ich "rot" sage, ich an gar keine Relation denke, sondern bloß an den gegebenen Inhalt und an etwas, das in ihm steckt - scheint mir, trotz der feierlichen Versicherung, daß hier auf eine "unmittelbar gegebene Tatsache" auf den "empirischen Tatbestand" hingewiesen wird, nicht allzusehr "empirisch" zu sein: denn hier wird etwas Wichtiges ignoriert, das doch auch eine "empirische Tatsache" darstellt; nämlich der Umstand, daß uns überhaupt niemals ein abgerissener, für sich bestehender Inhalt gegeben wird, sondern stets nur Inhalte als Glieder von einem Erfahrungsganzen, also auch als Glieder von tatsächlich vorgefundenen Einheiten. Also mit dem Inhalt ist auch seine unmittelbar konstatierte Zugehörigkeit zu einem gewissen Einteilungskreis gegeben, und diese Zugehörigkeit kann gewissermaßen als im vorliegenden Inhalt selbst steckend betrachtet werden (sofern im vorliegenden Inhalt selbst steckend betrachtet werden (sofern ja in nicht oder noch nicht erkannten Inhalten schwerlich auch von einer Heraushebung der qualitativen Momente gesprochen werden darf). Dies sei speziell gegen HUSSERLs Ausführungen beigebracht.

§ 19. Die Frage nach der Natur der Universalien beginnt sich für uns etwas zu klären. Allgemein sind eigentlich schon die qualitativen Momente, welche an den einzelnen Inhalten herausgehoben werden. Da es sich hier um eine Zugehörigkeit zu gewissen Einteilungskreisen des Gegebenen oder zu gewissen Einheiten handelt (um eine Zugehörigkeit, welche unmittelbar konstatiert wird) und da diese Kreise oder Einheiten einen von ihrer Zusammensetzung unabhängigen, stets identischen Erkenntniswert haben, so ist jedes qualitative Moment seiner Natur nach ein allgemeines Merkmal: es wird an einem Inhalt herausgehoben (an dem momentan vorliegenden), doch kann es an unzähligen anderen, als stets dasselbe, identische wiedergefunden werden, sofern jene anderen Inhalte sich zu derselben Einheit als zugehörig erweisen. Es ist dieselbe Qualität Rot, die ich heute an einer Blutlache und morgen an einem Tuchlappen heraushebe, da beide Wahrnehmungen zu derselben Einheit gehören. Sofern die Qualität selbst, d. h. die Tatsache der Zugehörigkeit, ins Auge gefaßt wird, ist jedes qualitative Moment allgemein; individuell wird es dadurch, daß wir nicht bloß die Tatsache der Zugehörigkeit, sondern die Zugehörigkeit dieses bestimmten, individuellen Inhalts ins Auge fassen. Was wir in diesem Fall vor uns haben, ist natürlich ein individuelles Moment, die Qualität selbst jedoch bleibt allgemein.

Nun besitzen wir spezielle symbolische Inhalte, welche nicht auf die Zugehörigkeit dieses oder jenes einzelnen Inhaltes, sondern auf die Zugehörigkeit selbst, auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einheit hinweisen: es sind dies unsere Begriffsvorstellungen. Durch sie werden nicht mehr individuelle Momente, sondern allgemeine Eigenschaften angezeigt. So besagt die Begriffsvorstellung "rot" nicht das Rot dieser oder jener Wahrnehmung, sondern das Rot allgemein. Also nicht die Zugehörigkeit zum "roten Einteilungskreis", zur "roten Einheit" von "diesem oder jenem Bewußtseinsinhalt", sondern die Zugehörigkeit zur roten Einheit als solcher, unabhängig davon, an welchem Datum diese Zugehörigkeit konstatiert werden wird. Die Frage, wie sich solche Begriffsvorstellungen bilden, wie überhaupt "anzeigende" oder symbolische Inhalte sich im Bewußtsein entwickeln, gehört nicht in die Erkenntnistheorie, welche sich bloß mit der Beschreibung des Vorgefundenen und nicht mit seinem Entwicklungsprozeß abgibt; genug,, daß diese "anzeigenden" Inhalte unzweifelhaft da sind; genug,, daß sie auf einen faktischen Tatbestand hinweisen, nämlich auf Zugehörigkeitsverhältnisse.

So kehren wir dann in gewissem Sinn zum logischen Realismus zurück. Wir haben es wieder mit einer Ideenwelt und mit einer "Teilnahme" an den Ideen zu tun. Nur daß anstelle der Ideen - die Einheiten oder Einteilungskreise treten, welche in der unmittelbaren Erfahrung ebenso unmittelbar vorgefunden werden; und anstelle der platonischen methexis [Teilhabe - wp], welche schon ARISTOTELES mysteriös und unbegreiflich erschien (man vgl. Metaphysik I, 7), - ein ganz einfaches Zugehörigkeitsverhältnis.

Und noch ein anderer, äußerst wichtiger Umstand scheidet uns vom historischen Realismus (nicht nur in platonischer, sondern auch in der ultra-modernsten, z. B. der Fassung HUSSERLs): Es ist ein stehender Zug bei den Realisten, daß sie ihre "Spezies", "Arten", "allgemeine Gegenstände" als ebensoviele für sich seiende Einzelsubstanzen oder -Dinge auffassen, deren jedes einzelne Exemplar abgesondert von allen übrigen bestehen könnte; trotzdem schon PLATO einen Anlauf dazu genommen hatte, die Ideenwelt als System der Ideen darzustellen und sogar dieses als die vornehmste (wenn nicht überhaupt einzige) Aufgabe der Dialektik ansah (man vergleiche die betreffenden Ausführungen in der "Republik"). Die "Einteilungskreise" nun, in welche unsere unmittelbare Erfahrung zerfällt, sind nichts weniger als solche für sich bestehende Wesen. Ihr ganzer Erkenntniswert liegt in ihren gegenseitigen Relationen, in einem System der unmittelbaren Erfahrung, als dessen Glieder sie auftreten. Dieser Punkt bedarf einer eingehenderen Erörterung.

§ 20. Das Erkanntwerden von Inhalten beruth auf de Konstatieren ihrer Zugehörigkeit zu gewissen Einheiten oder Kreisen, in die unsere unmittelbare Erfahrung zerfällt. Wenn ich sage: "Dieser Inhalt ist rot", so heißt das: "Er gehört zum roten Kreis". Trotzdem nun diese Einheiten oder Kreise keineswegs Reihen oder Gruppen von Inhalten darstellen, sondern bloß unmittelbar gegebene Einteilungen des Erfahrungsfeldes, so ist es doch nicht genug, daß sie einfach ohne weiteres erlebt oder vorgefunden werden; es muß eine Möglichkeit geben, auch sie in jedem einzelnen Fall zu erkennen, d. h. festzustellen, welchen von den unzähligen Kreisen, in die unsere Gesamterfahrung zerfällt, wir gegenwärtig vor uns haben. Sonst könnten wir ja auch in den Inhalten nicht streng bestimmte Eigenschaften erkennen, sondern nur unbestimmt sagen: "Dieser Inhalt hat irgendeine Eigenschaft X, da ich seine Zugehörigkeit zu irgendeinem Kreis X konstatiere."

Wie bringen wir es nun zustande, daß wir nicht nur die anschaulichen Inhalte, sondern auch die Kreise und Einheiten, d. h. die Einteilungen des Erfahrungsfeldes, erkennen?

Es ist von vornherein klar, daß uns Erinnerungen in diesem Fall nichts nützen können, da ja, wie wir oben gesehen haben, nicht das Erkennen auf Erinnerung, sondern im Gegenteil "Erinnerung" auf "Erkennen" beruth. (um als Erinnerungen zu fungieren, müssen Erinnerungsvorstellungen erst in allen ihren Eigenschaften, als so und so qualitativ-bestimmte, erkannt werden).

Also, wenn ich einen Einteilungskreis des Erfahrungsfeldes vor mir habe, so kann sein Erkanntwerden nicht einfach in der Behauptung bestehen: "Es ist derselbe Einteilungskreis, den ich schon früher einmal vor mir gehabt habe". Was früher einmal gewesen war, muß durch Erinnerungen ermittelt werden; und Erinnerungsbilder wollen selbst noch vorerst erkannt werden.

Auch läßt sich das Erkennen eines Einteilungskreises nicht auf seine bloße "Zusammenstimmung" mit einer Begriffsvorstellung zurückführen; also z. B. das Erkennen eines "roten Kreises" darauf, daß wir unmittelbar seine Übereinstimmung mit der Begriffsvorstellung "rot" konstatieren. Erstens müßte ja die Begriffsvorstellung selbst noch von Fall zu Fall erkannt werden; und zweitens - was das Wichtigste ist - haben wir durchaus keine Garantie, daß stets dieselbe Begriffsvorstellung mit demselben Einteilungskreis assoziiert ist.

Also weder die Übereinstimmung mit Erinnerungen, noch Übereinstimmung mit Begriffsvorstellungen bildet die logische Charakteristik der Einteilungskreise. Diese Charakteristik muß in etwas ganz anderem gesucht werden, und hier, glaube ich, ist gerade der Punkt, wo wir uns in einem größtmöglichen Gegensatz zum logischen Realismus befinden.

Also weder Übereinstimmung mit Erinnerungen, noch Übereinstimmung mit Begriffsvorstellungen bildet die logische Charakteristik der Einteilungskreise. Diese Charakteristik muß in etwas ganz anderem gesucht werden, und hier, glaube ich, ist gerade der Punkt, wo wir uns in einem größtmöglichen Gegensatz zum logischen Realismus befinden.

Schon oben sahen wir, daß die Natur der Einteilungskreise keineswegs auf ihrer Zusammensetzung beruth, sondern einzig und allein auf ihrem Gegensatz, oder - allgemeiner ausgedrückt - auf ihrem Verhältnis gegeneinander. Die einzelnen Inhalte kommen und gehen; was sich gleich bleibt, ist die Struktur des Erfahrungsfeldes. Nun fragt es sich, was bedeutet diese Struktur? Doch nichts anderes, als eine gewisse Neben- und Überordnung von Kreisen. Die Inhalte mögen wechseln wie sie wollen, stetig bleibt z. B. die Einteilung des ganzen Erfahrungsfeldes in Ich und Nicht-Ich (Selbstbewußtsein und Objektbewußtsein - vielleicht Wille und Vorstellung?) Der Kreis des Nicht-Ich scheidet sich wiederum in die stehenden Kreise der sogenannten 5 Sinne: also in die "Einheiten" der Gesichtswahrnehmung, Geruchswahrnehmungen, Gehörswahrnehmungen usw. Weiterhin zerfällt z. B. die "Einheit" der Gesichtswahrnehmungen in die sieben untergeordneten Farbkreise. Und so fort.

Es ist nicht schwer einzusehen, daß jeder dieser "stehenden" Kreise eine bestimmte Zerfällung des gesamten Erfahrungsfeldes zur Voraussetzung hat. So wäre es z. B. unmöglich, von einem roten Kreis zu sprechen, würde er sich nicht von den nebengeordneten Kreisen, also von den übrigen Farbenarten, abheben. Hätten wir bloß rote Gesichtswahrnehmungen, so fiele für uns "Rot" und "Gesichtseindruck" zusammen. Nur der Gegensatz zu angrenzenden Kreisen stempelt das Rot zu einer besonderen Farbenart. Natürlich soll dadurch nicht gesagt werden, die Empfindung habe überhaupt keine Eigenart und sei in ihrer Qualität relativ; also wenn ich etwas Rotes empfinde, es nur dadurch zustande gebracht wird, daß ich zugleich, zum Kontrast, auch etwas Nicht-Rotes empfinde. Wir müssen wieder mit allem Nachdruck betonen, daß es durchaus nicht dasselbe ist, die Eigenart eines Eindrucks zu erleben und diese Eigenart, als die und die, zu erkennen. Wir vermögen sehr wohl Rotes, Grünes usw. zu erleben, ohne zu wissen, was wir da vor uns haben. Wissen wir aber, daß es etwas Rotes ist: so kennen wir ganz bestimmt seinen Gegensatz zu anderen Farbenarten.

Es steckt also in der Bestimmtheit des "Kreises" erstens einmal sein Gegensatz zu den "angrenzenden", nebengeordneten Kreisen. Doch dieser Gegensatz allein macht's noch nicht. Es kommt noch die höhere Einheit hinzu, in welche sich die konstrastierenden Kreise zusammenschließen. Wir sprechen ja von der Struktur der Erfahrung, wie sie uns unmittelbar gegeben ist. Und in dieser unmittelbaren Zerfällung kennen wir z. B. das Rot - bloß als untergeordnete Einheit in der höheren Einheit der Gesichtswahrnehmungen. Hier ist sozusagen ein rechtmäßiger Platz. Sollten auch alle roten Wahrnehmungen verschwinden, so bleibt dennoch die Tatsache bestehen, daß sie in die "Gesichtseinheit" hineingehören, also mit den übrigen Gesichtswahrnehmungen sich als besondere, streng abgegrenzte Einheit von den Geschmacks- usw. Wahrnehmungen abheben.

So hat jeder einzelne Kreis die Einteilung des gesamten Erfahrungsfeldes zu seiner Voraussetzung; und die logische Charakteristik des Kreises fällt vollkommen mit seiner Position in diesem Zerfällungssystem zusammen. Es ist nicht genug, daß wir etwas Rotes erleben, um es als rot zu erkennen; wir müssen zuvor seinen Gegensatz zu den übrigen Farbenarten im Auge gehabt haben; wir müssen ferner seine Zugehörigkeit zur Einheit der Gesichtseindrücke konstatiert haben, also auch den Gegensatz dieser Einheit zu den Einheiten der anderen Sinne; daraufhin die Gehörigkeit dieser zu einer noch umfassenderen Einheit, - sagen wir des Nicht-Ich (in ihrem Gegensatz zur Ich-Einheit). Und erst wenn wir zur höchsten Einheit gelangen, d. h. zur abschließenden Einheit des Erfahrungsganzen, findet auch der Prozeß des Erkennens seinen Abschluß.

Ich möchte hier das Mißverständnis vermeiden, als spräche ich von einem psychologischen Gang des Erkennens. Psychologisch mag sich ja dieser Prozeß abspielen, wie er will, mag sich sogar auf Ahnungen und Gefühle reduzieren. Ich spreche von der objektiven Bedeutung, welche ein Begriff bei sich führt. Denn Etwas in einem logischen Sinn erkennen, heißt es unter einen Begriff bringen. Und diese objektive Bedeutung - wenn es sich um Elementarbegriffe handelt - erfordert eine Präzisierung der Stellung, welche die gegebene Einheit in unserem Erfahrungssystem innehat, also auch das abschließende Zurückgehen auf die höchste Einheit dieses System durch die Kette der vermittelnden Einheiten. Wenn es sich nicht um Wissenschaft handelt, so ersparen wir uns ja praktisch diesen Weg. Wir nehmen mit einem á peu prés [Stück für Stück - wp] vorlieb. Das können wir, da wir ja Begriffsvorstellungen besitzen, die ungefähr, im Großen und Ganzen, die Struktur des Erfahrungssystems wiedergeben. Dunkle Ahnungen, welche Relationen betreffen, ersetzen das einsichtige Sich-Vergegenwärtigen dieser Relationen. Und das heißt dann in der Sprache der Psychologie "Erkennen". Das ist aber auch der Grund, weshalb unsere Begriffsvorstellungen nicht so ohne weiteres als Bausteine der Wissenschaft benutzt werden können. (Man vergleiche das Verfahren der Mathematiker!)

Kehren wir nun zum System des Gegebenen zurück. Da haben wir kein bloßes Gewirr, kein bloßes Durcheinander von Daten (wie es die Marburger und Freiburger Schulen sich ausmalen). Das ist ja der tiefgehende Irrtum dieser Richtungen (ein Irrtum, den schon HEGEL begangen hatte), daß sie glauben, es liege im Gegebenen keine Spur von gegebener Formung. Das Gegebene sei einfach irrational. Da sehe man, wie man vom Irrationalen (d. z. von den Erfahrungsbestandteilen) zum Rationalen (d. h. zur Begriffswelt) gelangt, - was doch in der Wissenschaft vorliegt und auch in der alltäglichen "Erfahrung". Demgegenüber muß auf das schärfste betont werden, daß im Gegebenen eine Formung liegt; wenn auch keine gedankliche. Denn die Inhalte, die den Stoff der Erfahrung ausmachen, sind nicht regellos durcheinandergewürfelt, sondern schließen sich schon als Gegebenes, in scharf umgrenzte Einheiten oder Kreise zusammen. Und ehe noch Gedanken ins Feld treten, ist schon ein System da, welches nicht erst einer gedanklichen Formung, sondern bloß einer gedanklichen Reproduktion bedarf. Die Relationen der Begriffe zueinander, welche ihr logisches Wesen ausmachen, sind in diesem System vorgezeichnet.

Betrachten wir nun dieses System der Erfahrung, so haben wir in erster Linie eine umfassende Einheit vor uns: das Ganze der unmittelbaren Erfahrung. Dieses Ganze ist ein Zusammen von Einheiten, und zwar ein streng-bestimmtes Zusammen, eine feste systematische Ordnung. Die erste Scheidung, die wir da antreffen, ist die Scheidung in die zweithöchsten Einheiten, d. h. in solche, welche über sich, als noch umfassendere oder höhere Einheit, nur das Ganze des Gegebenen haben. Man wird fragen: welche Einheiten sind es? Darauf läßt sich schwer antworten. Wir bewegen uns in unserem alltäglichen Erkennen in verschwommenen Begriffsvorstellungen, also in symbolischen Inhalten. Ein Vordringen aus diesem symbolischen Reich in die Sphäre der unmittelbaren Anschauung ist mit den größten Schwierigkeiten verbunden. Räsonnieren, d. h. mit Begriffsvorstellungen herumwürfeln, kann jederman. Dagegen zu einer Anschauung vordringen, ist ein seltenes Privilegium des Talents. Wir begnügen uns beim alltäglichen Erkennen mit dem Innewerden (es wäre sogar richtiger zu sagen, mit dem instinktmäßigen Ahnen) von Relationen, welche zwischen den Begriffsvorstellungen bestehen. Dieses Ahnen von symbolischen Relationen ersetzt uns für unsere praktischen Ziele das (schwierige und für die meisten unvollziehbare) Zurückgehen auf die Fülle des Anschaulichen. Kaum, daß Künstler, Philosophen und Mathematiker sich von Zeit zu Zeit einen Schritt näher an die Anschauung heranwagen. Und dann haben wir Meisterwerke vor uns - begriffschaffende und begriffklärende Werke, die von einem ganz eigenartigen Hauch von Frische, Originalität und Klarheit umweht sind. Denn erst hier, beim Zurückgehen auf die Anschauung, tritt uns deutlicher und präziser entgegen, was eigentlich ein "Begriff" meint, worauf eigentlich die Begriffsvorstellung hinweist.

So steht also dem System der Erfahrung ein System der Begriffsvorstellungen gegenüber, und wir leben mit unseren Gedanken und Worten zum größten Teil in diesem zweiten System. Wir wissen wohl oder ohnen es zumindest, daß wir es mit Symbolen zu tun haben, welche aus sich selber hinausdeuten. Das was es ist, was hier angedeutet und angezeigt wird, das läßt sich nicht so ohne weiteres ermitteln. Denn so leicht es ist, sich in einem fertigen System von Begriffsvorstellungen zurechtzufinden, so schwierig ist es, einen Vergleich oder eine Konfrontierung zwischen diesem symbolischen Reich und dem Reich der unmittelbaren Erfahrung zu bewerkstelligen. Sind die anzeigenden Inhalte einmal da und haben sie sich systematisch geordnet, so führen sie ein ganz selbständiges, unabhängiges Dasein und kümmern sich wenig um das System des Gegebenen, welches ihnen doch ihren einzig möglichen Sinn verleiht. Es geht ihnen wie den mathematischen Termini (denen der Logistik zum Beispiel), mit welchen, wenn sie bloß da sind und wenn Regeln ihrer Zusammenfassung bestehen, die verschiedensten rechnerischen Operationen durchgeführt werden können und die seltsamsten Resultate erlangt, ohne daß man etwas versteht, das heißt den Sinn des Geschehenen sich vergegenwärtigt. So rechnen wir auch mit unseren Begriffsvorstellungen, befolgen, getrieben von unseren logischen Instinkten, die verschiedensten Rechenregeln und kommen so zu brauchbaren Resultaten. Jedoch der Sinn all dieser Operationen bleibt uns meistenteils dunkel.

Das wäre also die Antwort auf die Frage: in welche zweithöchsten Einheiten zerfällt das Erfahrungsganze? Wir müssen frank und frei bekennen: wir wissen es nicht. Oder - wir wissen es noch nicht. Beim Rechnen mit unseren Begriffsvorstellungen erhalten wir, dank unserem logischen Ahnen, annähernd richtige und brauchbare Resultate. Denn instinktmäßig, unbewußt, "psychologisch" fühlen wir die Relationen heraus, auf die jene oder diese Begriffsvorstellung hinweist. Jedoch tasten wir sozusagen im Dunkeln, solange diese logische Ahnung nicht durch eine Anschauung verifiziert ist. Und dazu ist eine geniale Einbildungskraft und geniale Intuitionsfähigkeit erforderlich.

Wir wollen uns mit einem bescheideneren Ergebnis begnügen. Wir wollen bloß als feststehend ansehen, daß die Einheit der gesamten Erfahrung sich wiederum in Einheiten scheidet, deren jede als höchste, umfassendste (in ihrer Art) zu betrachten ist. Diese Einheiten charakterisieren sich dadurch, daß zwischen ihnen und dem Ganzen der Anschauung es kein vermittelndes Zwischenglied gibt. Ferner wohnt jeder von diesen zweithöchsten Einheiten eine spezifische Eigenart inne. Sie heben sich voneinander ab wie zwei verschiedene anschauliche Inhalte, so daß ein bloßes Hinweisen genügt, um zu wissen, welche von ihnen gegebenenfalls gemeint ist.

Was nun die weiteren Scheidungen betrifft, so wird jede hervortretende Einheit charakterisiert:
    1. durch ihre Zugehörigkeit zur nächsthöheren Einheit

    2. durch ihren Gegensatz zu den nebengeordneten Einheiten,

    3. durch ihre Eigenart, welche unmittelbar erlebt wird.
Die Bedeutung der zwei ersten Charakterisierungsmerkmale kennen wir schon. Es bleibt noch, das dritte zu betrachten.

Sagen wir, wir hätten eine Einheit A vor uns. Wir wüßten wohl, daß sie zu dem "Gesichtskreis" gehört und sich von den nebengeordneten Kreisen a, b, c abhebt. Es fragt sich nun, welche von den Gesichtseinheiten haben wir vor uns? Rot? Gelb? Blau? Grün? Violett? Der Kontrast mit den Kreisen a, b, c bringt uns keinen Schritt weiter, denn diese wollen doch auch vorerst erkannt werden. Hier greift also die Eigenart der vorliegenden Einheit ein. Und zwar geschieht es dadurch, daß wir neben dem System der Erfahrung, wie es uns fragmentarisch und stückweise in unseren jeweiligen Wahrnehmungen gegeben ist, ein zweites, weit vollständigeres (ja potentiell durchaus vollständiges) Exemplar dieses Systems besitzen, nämlich in unseren Vorstellungen. Erscheint nun irgendein Kreis in der Wahrnehmung, so wird sogleich seines Zusammenstimmung oder Zusammengehörigkeit mit der betreffenden Einheit des Vorstellungssystems konstatiert, und da mit den einzelnen Kreisen dieses letzteren Systems auch entsprechende Wortbezeichnungen verknüpft sind - auch sogleich als "rot", "blau" usw. bezeichnet.

Man könnte uns vielleicht einwenden, daß wenn die Eigenart, die individuelle Bestimmtheit der Inhalte und Kreise durch die Zusammenstimmung mit Vorstellungen, das Erkennen in gewisser Weise bestimmen, es gar nicht eines Systems der Erfahrung bedürfte, um Inhalte zu erkennen. Es wäre genügend, daß überhaupt Kreise existieren; und diese einzelnen Kreise könnten ganz einfach durch das Konstatieren ihrer Zusammenstimmung mit entsprechenden Vorstellungen erkannt werden. Also würden wir z. B. gar nicht genötigt sein, beim Erkennen des Kreises "Rot" erst noch seine Gehörigkeit zur Einheit der Gesichtseindrücke zu konstatieren, dann den Gegensatz dieser Einheit zu anderen ins Auge zu fassen usw. Es würde vollkommen genügen, wenn wir bloß konstatieren, daß der gegebene Kreis mit einer gewissen Vorstellung zusammenstimmt, und die Sache wäre erledigt.

Das wäre jedoch eine zu einfache Auffassung. Ein bloßes Zusammenstimmen von Inhalten oder Kreisen führt noch lange nicht zu einem Erkennen. Es muß zuerst noch ausgemacht werden, in welcher Hinsicht diese Inhalte oder Kreise zusammenstimmen. Töne mit Farben können ja auch zusammenhängende Einheiten bilden. Sie können z. B. hinsichtlich ihrer Schärfe, Voilierung und dgl. übereinstimmen. RIMBAUD könnte nie sein berühmte Vokalsonett geschrieben haben, existierten nicht gewisse Ähnlichkeiten, Zusammengehörigkeiten zwischen Farbe und Laut. Und nun gar Farben oder Laute einerseits, Gefühle andererseits. Da hat man gleich zusammenhängende Reihen. Oder nehmen wir an, wir hätten die Einheit "blau" vor uns und die Einheit "rund" schwebte uns in Gedanken vor. Sogleich würde sich das teilweise eine Übereinstimmung einfinden. Es sei nochmals mit allem Nachdruck hervorgehoben, daß nicht die bloße Zustimmung oder Zusammengehörigkeit, sondern Zusammengehörigkeit in einer streng bestimmten Hinsicht das Erkennen von Qualitäten ausmacht.

Nun kann aber diese bestimmte Richtung der Zusammengehörigkeit nur dadurch definiert werden, daß wir die Stellung der betreffenden Einheit im gesamten Zerfällungssystem der Erfahrung anzeigen. Wird auf eine Einheit bloß hingewiesen, als auf etwas unmittelbar Vorliegendes, so hat dieser Hinweis überhaupt keinen logischen Wert. Was kann sich nicht alles nach allen Seiten hin an eine Gruppe von Inhalten anschließen! Sagen wir aber "diese vorliegende Einheit, sofern sie einen integrierenden Teil z. B. von einem Gesichtswahrnehmungskreis ausmacht", oder genauer "die und die Stellung im System der Erfahrung einnimmt", so ist kein Mißverständnis mehr möglich. Und ebenso ist ein Mißverständnis ausgeschlossen, wenn wir auf die höchsten Einheiten hinweisen, welche das gesamte Erfahrungsfeld in die ursprünglichen Kreise zerfällen.

Wollte man also das Rein-Logische vom Anschaulichen in einem Erkenntnisakt scheiden, so würde es sich erweisen, daß der Sinn eines jeden Elementarbegriffs neben einer logischen Seite auch eine anschauliche bei sich führt. Als logisches Element können wir die Stellung der vom Begriff angezeigten Einheit im System der unmittelbaren Erfahrungen ansehen; als anschauliches - die Eigenart dieser Einheit, welche schon nicht weiter bestimmt, sondern bloß angezeigt werden kann.

Die Bedeutung des Begriffs "Rot" - sofern wir bloß die logische Seite betrachten - fällt demnach etwa mit folgender Definition zusammen: "eine dem Kreis der Gesichtwahrnehmungen unmittelbar untergeordnete Einheit". Welche es jedoch vo den möglichen Farbeinheiten ist, muß durch ein bloßes Hinweisen statuiert werden.

Es muß also ein streng bestimmtes System vorliegen, an dem die Natur eines jeden Einteilungskreises sozusagen gemessen werden kann; und es bildet die Existenz dieses Systems das unumgängliche Prius zu jedwedem Erkenntnisakt.

Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß ein solches System wirklich existiert. Wir sind imstande, es unmittelbar anzuzeigen. Es handelt sich um nichts anderes, als um die rein faktische Zerfällung unseres Erfahrungsfeldes, oder um die Gruppierung unserer Bewußtseinsinhalte. Zwar ist diese Zerfällung nie vollständig gegeben. Nicht alle Kreise sind in jedem Moment durch anwesende Inhalte vertreten; jedoch einerseits haben wir jederzeit eine gewisse tatsächliche, wenn auch lückenhafte Zerfällung vor uns; und andererseits, haben wir Begriffsvorstellungen, welche auf die Lücken der tatsächlichen Zerfällung hinweisen, also zumindest symbolisch, "intentional" die fehlenden Teile des architektonischen Ganzen ersetzen.

§ 21. Es erweist sich also, daß die Bedeutung der Begriffsvorstellungen auf einen faktischen Tatbestand, nämlich auf die tatsächlich gegebene Zerfällung unserer unmittelbaren Erfahrung geht. Es erweist sich auch, daß diese Bedeutung zu ihrem Prius das Vorhandensein eines bestimmten "Systems der unmittelbaren Erfahrung" hat, indem eine jede Begriffsvorstellung weder Inhalte noch Gruppen von Inhalten, sondern einzig und allein ein gewisses Glied dieses Systems anzeigt; wobei die Natur dieses Gliedes mit seiner Stellung im System, also mit seinen Verhältnissen zu den übrigen Gliedern, zusammenfällt.

Es hat also jede Begriffsvorstellung zu ihrer Voraussetzung das ganze System des Gegebenen und zwar ein streng bestimmtes System, worin sie einen Ort anzeigt. So erfordert z. B. die Begriffsvorstellung "rot" das Vorhandenseins eines Systems, in welchem nicht bloß die Einteilungskreise "Wahrnehmungen" und "Gesichtswahrnehmungen" vorkommen, sondern auch die Einteilungskreise "orange", "grün", "gelb". Denn "rot" ist das, was sich von "grün" und "gelb" abhebt (mit welchen es jedoch eine Einheit höherer Ordnung bildet). Nehmen wir nun an, es fallen in einem gegebenen System die Einheiten "gelb", "grün", "blau" aus, so verliert auch die Begriffsvorstellung "rot" ihren früheren Sinn. Zwar würden wir nach wie vor eigenartige Daten von der spezifischen "roten" Bestimmtheit erleben; doch da sie sich weder von grün, noch von gelb, noch von blau abheben kann, würde ein Teil der Bedeutung der Begriffsvorstellung von "rot" verloren sein; wir würden rot bloß als Gegensatz, wollen wir sagen, zu weiß oder schwarz kennen, was doch durchaus nicht mit der jetzigen Bedeutung der Begriffsvorstellung "rot" zusammenfällt.

Noch schlimmer würde die Sache stehen, änderte sich Etwas in der allgemeinen Zerfällung des Erfahrungsfeldes, verschwände z. B. der Unterschied zwischen Farben und Tönen. Dann würden unsere Begriffsvorstellungen überhaupt jeden Sinn verlieren. Denn rot z. B. heißt ja nichts anderes, als eine bestimmte untergeordnete Einheit im Kreis der Gesichtswahrnehmungen, die als solche nur als Gegenstück zu Gehör-, Geruch- usw. Wahrnehmungen eine Einheit für sich bilden. Entfiele nun dieser Gegensatz, so hätten wir im System der unmittelbaren Erfahrung überhaupt keinen Ort, welcher von der Begriffsvorstellung "rot" angezeigt werden würde. Dieser Begriff hätte also überhaupt jeden Sinn verloren, wäre sinnlos geworden. Solange also unsere Begriffe überhaupt noch einen Sinn haben, hat sich in der Struktur der unmittelbaren Erfahrung nichts verändert: das System ist dasselbe geblieben.

Mit anderen Worten: Solange unsere Begriffe überhaupt einen Sinn haben, ist dieser Sinn absolut eindeutig, denn er hat ein absolut-eindeutiges System zu seiner Voraussetzung und weist auf ein absolut eindeutiges Glied dieses Systems hin. Sollten andere derartige Systeme existieren (was ja prinzipiell nicht ausgeschlossen scheint), so hätten unsere Begriffe gegenüber diesen Systemen nicht etwa eine irgendwie veränderte Geltung, sondern überhaupt keine Geltung. Sie wären ganz und gar sinnlos. Damit ist aber jeder Relativismus aus der Erkenntnistheorie ausgeschieden: die Verhältnisse unserer Elementarbegriffe gegeneinander werden zu absoluten Verhältnissen. Wo auch immer ein Begriff auftritt, da tritt zugleich, als notwendiger Hintergrund, auch das ganze Erfahrungssystem auf, mit allen seinen unendlichen Relationen, die ein für allemal da sind. Wir können sagen, das System der Erfahrung ist nicht nur absolut-eindeutig, sondern auch absolut-einzig: es ist in einem Exemplar da. Denn da es sich nicht um die immerfort wechselnden Inhalte handelt, sondern einzig und allein um die sich stets gleichbleibende Art der Zerfällung, und da die Art dieser systematischen Ordnung sich auch nicht um ein Jota verändern darf, sollen alle unsere Begriffe nicht zu einem sinnlosen Kauderwelsch werden, - so ist es stets dasselbe System, d. h. der selbe Gang der Zerfällung, dieselbe Gruppierung des Gegebenen, auf welche unser Denken gerichtet ist. Verändert sich dieses System: nun so könnten wir nichts mehr erkennen. Nichts - sogar nicht die einfachsten Eindrücke: denn rot wäre für uns nicht mehr rot, krumm nicht mehr krumm und mehrfach nicht mehrfach. Alle Denkkontinuitäten und damit alle Möglichkeit auch der Ich-Kontinuität wäre aufgehoben (4). Es wären einfach nicht wir, es wären ganz andere mit uns inkommensurable [unvergleichbare - wp] Wesen, die vor diesem neuen System der Erfahrung stünden. Womit freilich nicht gesagt sein soll, daß es solche Wesen nicht geben kann.

§ 22. HEGEL und der Marburger Schule gehört das große, nicht hoch genug einzuschätzende Verdienst, nachgewiesen zu haben, daß alles apriorische Wissen ein System von gedanklichen Elementen zum Fundament haben muß. Es ist ein alter platonischer Gedanke, der hier wieder zum Durchbruch gelangt ist. Das Reich der ideellen Bestimmungen ist nur möglich als System der Ideen. HEGELs absolute Idee vertritt hier die Stelle des platonischen anhypotheton [wahrhaft Unbedingtes - wp]. Dasselbe leistet in der Marburger Schule der vielumstrittene Gedanke des Ursprungs. Doch worauf es uns ankommt: weder HEGEL noch die Marburger Denker kommen aus dem Bannkreis des bloß Symbolischen, Anzeigenden heraus; nirgends stoßen sie auf etwas Reales. Gedanken werden für sie bloß durch andere Gedanken bestimmt, immer wieder ein Symbol durch ein anderes, es gibt hier nirgendwo Halt. Für die Anschauung bleibt kein Platz übrig. Diese stetige Selbstbestimmung des Denkens verherrlicht HEGEL als "Unendlichkeit des Gedankens"; und dasselbe sagt in anderen Worten auch NATORP, indem er, unter Bezugnahme auf PLATO, in feierlichem Ton versichert:
    "Verstehen heißt fortan nicht: mit dem Gedanken zum Stillstand kommen, sondern im Gegenteil: jeden scheinbaren Stillstand wieder in Bewegung aufheben."
Diese Ansicht ist insofern begründet, als wirklich jede gedankliche Bestimmung auf einer Korrelation fußt, und ein Begriff nur dann Sinn hat, wenn er als Glied eines Begriffssystems auftritt. An und für sich ist er gleich Null, was ja HEGEL gleich am Eingang seiner Logik am berüchtigten Seinsbegriff demonstriert hat. Löst man das System auf: so hat man statt des Seins - Nichtsein. Doch kommt bei HEGEL etwas Zweites hinzu: er behauptet, eine jede Bestimmung habe ihren Ursprung im Denken. Und dasselbe wiederholt auch COHEN. Das Gegebene kann wohl erlebt werden, d. h. in seiner Eigenart vorgefunden werden. Doch wollen wir es irgendwie schildern, so bringen wir Kategorien hinein. Denn Schilderung beruth auf Bestimmungen; und Bestimmungen sind Sache des Denkens. Wir müssen ja mit Worten beschreiben; also mit Begriffen und Urteilen. Man kann - so wird hier weiter argumentiert - das Denken nicht auf Anschauung gründen; denn um Anschauung auch nur rezeptiv aufzufassen, als etwas so und so Seiendes, muß schon ein Denken im Spiel sein. So ist das Denken auch früher als die Anschauung. Es ist das proteron [Frühere - wp] und die Anschauung das hysteron [Spätere - wp]. Daß wir hiermit in einen Regressus gelangen, der dem Denken jede Grundlage raubt und eigentliche die Möglichkeit aufhebt, auch nur etwas bis auf den Grund zu verstehen, - das beängstigt weder HEGEL noch COHEN; ganz im Gegenteil, - das erfreut sie gerade. Diese Unmöglichkeit der endgültigen Abschließung, dieses stete Immer-weiter-gedrängt-werden garantiert ja den Fortschritt im Denken und zwar einen unendlichen Fortschritt. Nun ist Fortschritt ein verlockendes Dingf und erst recht ein unendlicher Fortschritt. Bloß muß es eine Möglichkeit geben, irgendwie und irgendwo zu beginnen. Und wenn Denken immer wieder auf ein Denken zurückläuft, Begriffe auf Begriffe verweisen, so steht es um diesen Anfangspunkt schlimm. Denn wenn das ganze Wesen des Denkens bloß in Korrelationen besteht, so fragt es sich, wo soll man es anfassen, nicht um mit dem Verstehen zu Ende zu kommen, sondern um mit ihm anzufangen? Da braucht man nicht zuerst abzuwarten, bis einem der Verstand still steht. Er kann sich ja von Anfang an nicht regen. Sind Begriffe gar nichts anderes, als Relationen, und zwar Relationen zueinander, so stehen wir ja nicht vor der Frage, wie wir einen von ihnen zu Ende denken, sondern wie wir ihn anfangen zu denken. Um ein X, wenn auch nur als Funktion, zu bestimmen, muß man es zuerst festhalten. Es muß irgendwie im Verstand fixiert werden können. Und hier hat auch der plumpeste Psychologismus, der die die Begriffe bloß als eine Abart von gegebenen Vorstellungen ansieht, unzweifelhaft einen Vorsprung vor den tiefen panlogistischen [der Logos als allgemeines Merkmal der Wirklichkeit - wp] Auffassungen. Denn hier ist wenigstens ein X da: man sieht es, man hat es vor sich. Dagegen, was bedeutet denn dieses X in einer panlogistischen Theorie?

Es ist ein unbestimmtes Verhältnis zwischen unbestimmten Verhältnisgliedern, deren keines festgehalten werden kann, da ihm keine Eigenart innewohnt. Keine Eigenart - das ist das schlimmste: weder eine psychologische Eigenart, denn Begriffe sollen ja nicht Bewußtseinsinhalte sein; noch die Eigenart einer objektiven Bedeutung, denn Begriffe sollen ja nur auf Begriffe und nicht auf einen Tatbestand gehen. Sie sind nichts und sie bedeuten nichts und sollen dennoch aufeinander bezogen sein. Also ein Verhältnis von Nullen, und zwar ein Null-Verhältnis von Nullen - das wäre die korrelative Beziehung der Begriffe zueinander, - des "reinen" Denkens allerreinstes Ergebnis. Da wäre am Ende doch der ehrlich-plumpe Konzeptualismus vorzuziehen!

So rächt sich also die Verachtung der Anschauung. Befindet sich der Psychologismus im Irrtum und liegt der Sinn der Begriffe nicht im Erleben von Begriffsvorstellungen, so muß man diesen Sinn nicht in einer Korrelation der Begriffe untereinander suchen, sondern in ihrer anzeigenden Beziehung zu einem anschaulichen System des Gegebenen, wo nicht bloß ein Verhältnis der Glieder zueinander, sondern auch ihre Eigenart mitspielt. Es ist sonderbar, wie der überspannteste Panlogismus so nahe an den hausbackensten Konzeptualismus heranreicht. Beide vernachlässigen vollkommen den objektiven Sinn der Gedanken und haben nur ein Auge für ihre gegenseitigen Verhältnisse zueinander. Wobei es keinen großen Unterschied macht, daß Konzeptualisten, als reine Psychologisten, in den Gedanken nur Begriffsvorstellungen erblicken, die Marburger und HEGEL dagegen von den Begriffsvorstellungen ganz absehen (oder richtiger - abzusehen glauben) und nur den Inhalt der Gedanken im Auge haben. Es läuft aber auf dasselbe hinaus: denn ignoriert man die objektive Bedeutung (also das System der Erfahrung), so bleibt eigentlich nur die rein psychologische Korrelation der Begriffsvorstellungen zueinander bestehen. Und man ist bei der Psychologie oder beim Null-Denken angelangt.

Wir erklären uns den Irrtum der Panlogisten in folgender Weise. Sie scheiden alle Faktoren des Erkennens in anschauliche und unanschauliche und nennen die ersten Gegebenes, die zweiten Denken. Die üblichen Termini dieser Scheidung sind, wie bekannt, Inhalt und Form. Also Inhalt ist für sie psychologisch (oder allgemeiner: empirisch), Form - logisch (transzendental, a priori). Nun liegen aber in der gegebenen Anschauung nicht bloß anschauliche, d. h. einzelne, individuelle Inhalte, sondern auch formale Momente. Denn wir sahen, daß die unmittelbare Erfahrung kein Gewirr von Einzelinhalten darstellt, sondern ein System von Gruppierungen, ein Ordnung von feststehenden Einheiten. Diese Einheiten und diese Gruppierungen sind nun ein formales Moment, welches im Gegebenen steckt. Man könnte es ja auch "Denken" nennen, - Synthese oder synthetische Einheit; nur muß man, wenn man diese Nomenklatur anwendet, dieses "ursprüngliche" oder "gegebene" Denken, welches auf nichts anderes hinweist und keine Bedeutung oder Sinn bei sich führt, streng von einem anderen Denken unterscheiden, welches ein symbolisches ist, also immer aus sich selber hinausdeutet. Das ursprüngliche oder gegebene Denken ist natürlich kein symbolisches mehr: es ist ja nichts als ein Ausdruck der Tatsache, daß die Erfahrung als eine geordnete vorliegt, daß wir es nicht mit einem bunten Gewirr, sondern mit geordneten Gruppen, die zusammen ein System bilden, im Gegebenen zu tun haben. Nun wird die Grenze zwischen beiden Arten von Denken von allen Panlogisten verwischt. Und so stehen sie einerseits vor einer ungeformten Erfahrung, andererseits vor einem formenden Denken. Und da zwischen Erfahrung und Denken in dieser Fassung keinerlei Überbrückung möglich ist, so muß das Denken schon zusehen, wie es selbständig zur Erkenntnis gelangt. Das tut es auch durch eine luftige Dialektik. Denn eine reelle Dialektik des Denkens muß zur Grundlage die Anschauung haben, die ja auch Korrelationen beherbergt, also sich dialektisch aufbaut. Nur daß diese durch die Anschauung berichtigte und anhand der Anschauung einhergehende Dialektik ein ehrlicheres Gesicht aufweist und zu gründlicheren Resultaten gelangt als ihre stolze überempirische Schwester, die sich "rein" und unabhängig gebärdet, und das Gegebene wie einen Bettler behandelt oder einen armen Verwandten, und so tut, als wäre sie nie mit ihm zusammengekommen, es wäre auch eine zu beschämende Bekanntschaft, und dabei ihr all die blinkenden Sächelchen, die aus der Truhe des Gegebenen stammen, nur so aus allen Taschen hervorgucken. Denn die reinste und ätherischste Dialektik, mag sie noch so naserümpfend einherschreiten, hat doch immer mit Begriffsvorstellungen zu tun, deren Relationen sie nachgeht; und wenn sie sich auch von der Anschauung abwendet und glaubt im reinen Denken zu weben, so ist es ein psychologisches Denken, also Ahnen von gewissen Verhältnissen, auf welche die Begriffsvorstellungen hindeuten. Je dunkler und verschwommener diese Ahnung, je weiter vom einfachen Schauen entfernt, desto quälender, verworrener, mühsamer schleßßt sich die selbstherrliche Dialektik [croce]. Und blitzt es da von Zeit zu Zeit auf, so sei man sicher, es ist kein Räsonnieren; es wurde an die Anschauung gestreift. So bei HEGEL; so nur allzu oft bei den Marburgern. Denn wo Talent ist - da ist Anschauung, man mag noch so panlogistisch gesinnt sein.

§ 23. Bei HEGEL ist der absolute Gedanke die alleinige und einzige Wirklichkeit. Und da heißt es nur dialektisch verfahren, d. h. Korrelationen entwickeln, und man spinnt sich das Objekt aus, ohne daß eine Erfahrung dazu kommt. Denn Objekte sind ja nichts Anschauliches; nichts, was man als Fertiges vorfindet; Objekt, in einem panlogistischen Sinn, heißt nichts anderes, als ein System von Bestimmungen, welche im Denken entwickelt werden. So enthält also die Dialektik HEGELs keinen Raum für die empirische Forschung. Dem a priori [vorher - wp] (wenn man scharf hinsieht) steht hier gar kein a posteriori [nachher - wp] entgegen. Alles stammt aus einer dialektischen Deduktion. Es sind nicht bloß Grundformen da, auf welche, soll sich ein Erkennen einfinden, jede mögliche, noch so entlegene Erfahrung notwendig bezogen sein muß (das würde ja auch für uns stimmen und gleichfalls für den orthodoxen Kantianismus); nein - alles ist im Voraus geformt, und zwar bis in die kleinsten Details. So z. B. wäre es nicht genug zu behaupten, daß Körper dem Dingbegriff entsprechen. Es ließe sich auch dialektisch ermitteln, ohne zur Erfahrung zu greifen, ob dieser Dingbegriff sich als Atom, als Kraftzentrum oder kontinuierliche Materie in den Naturdingen ausprägt. Das Fiasko von HEGELs Naturphilosophie hat (zumindest historisch) bewiesen, daß etwas in der Rechnung nicht stimmt. Doch an welcher Grundverirrung es liegt, ist auch zurzeit noch nicht genug klargelegt.

HEGELs absolutem Idealismus fehlt es am empirischen Inhalt, aus welchem sich seine Welt aufbaut; es fehlt ihm die Natur und die Psyche. Denn obgleich auch unsere Körper- und Seelenwelt mit zum "erkannten" gehören, also zum System der Erfahrung, so ist es doch ein eitler Versuch, sie auf dialektischem Weg, aus Prinzipien heraus, zu entwickeln. Die zahllosen, unendlich verschlungenen, unendlich komplizierten Gruppierungen, aus denen diese Welten bestehen, können nicht aus höheren Einheiten deduziert, sie müssen einfach angeschaut werden - also erfahren und erlebt sein. Aber dieses einfache Anschauen, dieses reine unmittelbare Erleben ist ja für den Panlogismus ein Nichts. Und so schwindet ihm die Natur und die Seele.

Doch auch eine Mystik ist dem Panlogismus verschlossen. HEGEL war persönlich ein Mystiker, doch sein System des absoluten Gedankens, wo alles, trotz des "schaffenden Widerspruchs", am Faden von Korrelationen einherläuft (also dennoch sehr verständig zusammenhängt), dieses Reich einer allumfassenden Logik hat einfach keinen Platz für die Mystik. Ein Namenloses, Unergründliches, Transzendentes, - wie soll es überhaupt da sein, wenn alles im Gedanken begriffen ist, wenn sich Welt und Gott, Diesseits und Jenseits lichtvoll in Gedanken auflösen? Nicht ganz so unrecht hatte vielleicht der alte JACOBI, wenn ihn alle diese neuen Systeme immer wieder an SPINOZA erinnerten. Dort waren Gott und Welt eins, also gab es überhaupt keine Gottheit, hier werden Gott und das System eins - ob das nicht noch bedenklicher klingen mag? Denn wenn man auch die Welt oder das System anbetet - und wer zweifelt an der Frömmigkeit HEGELs, wer kann zweifeln am Glauben SPINOZAs? - so bleibt es doch durchaus fraglich, ob hier das religiöse Gefühl einem würdigen Objekt zustrebt. Es könnte ja auch eine Jllusion vorliegen.

Nun, wir dürfen nicht und wollen nicht feststellen, ob es Religion ist. Jedenfalls keine mystische Religion. Denn es fehlt das Transzendente, Unsagbare, was doch zu aller Mystik gehört. Hinter dem System der Idee liegt kein unergründlicher Hintergrund. Denn das All ist in Gedanken erschöpft; nichts bleibt übrig, auch das Nichts nicht. Denn das Nichts ist nur ein Glied des Systems. Von Nichts zu Etwas gleitet die Dialektik und dann wieder vom Etwas zum Nichts.

Wie steht es nun bei uns mit der Mystik? Für uns ist das System der Erfahrung keineswegs das allumfassende Absolutum. Solange ich mein Ich beibehalte, also kontinuierlich erkenne, bleibe ich im System der Erfahrung. Für mein Wissen ist es eine stete Bedingung, man kann sagen: absolute Bedingung. Doch ist damit durchaus nicht gesagt, daß hinter dem System der Erfahrung nicht auch etwas anderes da wäre, etwas absolut Anderes, etwas aller Logik Heterogenes [Ungleichartiges - wp]. Man nenne es getrost Transzendentes. Wißbar ist es jedenfalls nicht. Nicht einmal unsere logischen Denkgesetze können wir in diesem Fall anwenden. Also nichts beweisen und widerlegen. Es ist genug, daß wir es nur einräumen: eine Möglichkeit für das Transzendente besteht.


Mit diesem Rückblick auf die philosophischen Ahnen möchte ich meine Schrift beenden. Nur die Skizze einer möglichen Theorie habe ich zu entwerfen versucht. Die qualitativen Elementarbegriffe, von welchen im vorliegenden Artikel die Rede war, bilden die einfachste, aber nicht die wichtigste Klasse der Elementarbegriffe. Das ganze apriorische Wissen (so hauptsächlich die mathematische Analysis) fußt auf einer anderen Klasse, welche einer besonderen Untersuchung bedarf: es sind dies die Relationsbegriffe.
LITERATUR - Leonid Gabrilowitsch, Über Bedeutung und Wesen der Elementarbegriffe, Archiv für systematische Philosophie, Bd. 16, Berlin 1910
    Anmerkungen
    4) Man beachte die Analogie zwischen dem System der Erfahrung und KANTs transzendentaler Apperzeption.