ra-1p-4A. MeinongA. GoedeckemeyerF. MautherW. Jerusalem    
 
LEONID GABRILOWITSCH
Über Bedeutung und Wesen
der Elementarbegriffe

[Versuch einer neuen Inangriffnahme des Universalienproblems]
[1/2]

"Wie das Gedächtnisbild auf Inhalte hinweist, die sozusagen außer ihm liegen (auf gewesene, jetzt nicht mehr gegenwärtige Wahrnehmungen), so weist auch die Begriffsvorstellung auf etwas außer ihr Liegendes - nämlich auf die Eigenschaften von Wahrnehmungen. Nun geht jedoch jede Erinnerung stets auf etwas Einzelnes und Konkretes, dagegen die Begriffsvorstellung - auf etwas nicht nur vielen Gemeinsames, sondern auch dem Wesen nach Allgemeines. Denn es sind die Eigenschaften der Wahrnehmungen keine Konkreta, sondern eher Abstrakta. Für sich, abgesondert vom Inhalt, in welchem sie vorgefunden werden, können sie nicht bestehen. Es gibt kein Rot für sich, es existieren bloß rote Wahrnehmungen, - rote Flächen, rote Einzelfiguren."

§ 1. Die erste Scheidung, welche wir an den Inhalten unserer unmittelbaren Erfahrung vornehmen, ist folgende: es gibt erstens rein-faktische, sozusagen bedeutungslose Inhalte, die auf nichts weiteres hinweisen, sondern einfach in ihrer tatsächlichen, unreduzierten Eigenart unmittelbar erlebt werden; in diese Klasse von Inhalten gehören alle unsere Wahrnehmungen und Gefühle, die nichts bedeuten, d. h. auf nichts weiteres deuten; zweitens gibt es anzeigende Inhalte, die nicht bloß als unmittelbare Erlebnisse, sondern zugleich als Vertreter oder Symbole von etwas außer ihnen Liegendem fungieren; hierher gehören alle psychischen Daten, die außer ihrem psychischen Stoff, d. h. ihrer unmittelbar erlebten Spezifität, noch eine über ihr unmittelbares Vorgefundensein hinausgehende Bedeutung bei sich führen; - also ersten Gedächtnis- und Phantasiebilder, als Vertreter von Wahrnehmungen und Gefühlen, welche sich in der gegenwärtigen Erfahrung nicht vorfinden; zweitens - die Begriffsvorstellungen, als Vertreter von Klassen, Qualitäten und Relationen von Inhalten (generische, qualitative und Relationsbegriffe).

Wir müssen streng zwischen Begriffsvorstellungen und Begriffen scheiden. Eine Begriffsvorstellung ist ein psychisches Etwas, ein Inhalt, ein unmittelbares Erlebnis. Ein Begriff ist überhaupt kein Erlebnis. Er ist das objektive Verhältnis, worauf die Begriffsvorstellung hinweist. Der Begriff ist die Bedeutung (1) der Begriffsvorstellung, jenes X (nennen wir es vorläufig so), das vor ihr angezeigt wird.

Wie kommen wir zu dieser Bedeutung? Wir versuchen die Begriffsvorstellung zu "entwickeln", indem wir sie definieren, also ihre Merkmale aufzählen. Nun sind Merkmale wiederumg Begriffe, vertreten von Begriffsvorstellungen, welche wieder definiert werden wollen. Wir müssen im Prozeß der "Entwicklung" zuletzt auf solche Merkmale stoßen, die nicht weiter definiert werden können. Diese letzten, undefinierbaren Merkmale (wie Farben- oder die Bezeichnung von Tönen, Richtungen, Identität, Zweiheit) nenne ich Elementarbegriffe, im Gegensatz zu komplizierten und abgeleiteten.

§ 2. Auch für Elementarbegriffe bleibt die Scheidung zwischen Begriffsvorstellung und Begriffsbedeutung bestehen. Auch Elementarbegriffe (als psychische Gebilde betrachtet) sind symbolische, anzeigende Inhalte. Meine gegenwärtige Vorstellung von Grün ist nicht die Qualität grün, welche sie symbolisierend vertritt. Die Zahl Π ist keiner Vorstellung adäquat, ebenso die Zahl sieben. Wohl gibt es etwas objektiv Seiendes, was dem Sinn dieser Begriffe entspricht, jedoch ist dieses objektiv Seiende weder die Begriffsvorstellung, noch überhaupt ein psychischer Inhalt, ein einzelnes unmittelbares Erlebnis.

Wenn dem aber so ist, so stehen wir vor der Frage: was zeigt denn der Elementarbegriff an? Wo ist das Objektive zu suchen, welches seinen Sinn ausmacht? Was vertritt er? Als wessen Symbol fungiert er? Was meinen wir, wenn wir "rot" oder "zwei" sagen?

Es ist dies, wenn auch in neuer Fassung, die alte Frage nach dem Wesen der Universalien. Der Nominalismus krankt an einem inneren Widerspruch: denn auch Namen sind ja Universalien und keineswegs einzelne Inhalte. Nicht besser steht es mit dem sogenannten Konzeptualismus. Wenn wir auch Begriffsvorstellungen wirklich erleben - trotz BERKELEYs gegenteiliger Ansicht - so sind es bloß symbolisierende Vorstellungen, die das Allgemeine der Einzelinhalte nur anzeigen, nicht aber es in sich einschließen. Die Konzeptionen sind nicht das Allgemeine, sie können es bloß symbolisch vertreten, als etwas objektiv Seiendes, worauf sie, als auf etwas außer ihnen Liegendes, sozusagen hinweisen oder hindeuten. Die Begriffsvorstellungen, wenn sie also auch existieren, sind doch bloß unausgesprochene Namen, also innere Bezeichnungen eines Seins, das nicht in ihnen selbst liegt.

Gibt es also wirklich ein Allgemeines, worauf unsere Begriffsvorstellungen hinweisen, worauf sie gehen, so muß es nicht im Denken gesucht werden (wenn unter dem Begriff "Denken" - im Gegensatz zum einfachen Wahrnehmen, dem Erleben oder In-sich-vorfinden - die Verknüpfung von symbolisierenden Inhalten, d. h. in erster Linie von Begriffsvorstellungen, gemeint ist). Jedoch, wenn nicht im Denken, wo sonst?

§ 3. Versuchen wir die drei von uns aufgestellten Klassen der Begriffe der Reihe nach, jede für sich, durchzugehen. Wir unterschieden: 1. generische, 2. Qualitäts- und 3. Relationsbegriffe. Fassen wir die ersten ins Auge, so ist leicht einzusehen, daß von besonderen generischen Begriffen nur bei abgeleiteten oder komplizierten Begriffen die Rede sein kann, dagegen bei einer Betrachtung der Elementarbegriffe diese Klasse notwendig mit der folgenden zusammenfallen muß. Ein Genus [Gattung - wp] unterscheidet sich von den anderen durch die und die Merkmale: differentiae specificae. Wo nun der ganze Begriff zu einem einzigen Merkmal zusammenschmilzt, da fällt natürlich der generische Unterschied mit dem elementar-qualitativen zusammen. Ein Mensch unterscheidet sich vom Affen durch Farbe, Form, psychische Eigentümlichkeiten. Das Genus "blau" vom Genus "orange", das Genus "krumm" vom Genus "gerade" einzig und allein durch die spezifische Qualität. Wenn also bei zusammengesetzten Begriffen wie z. B. "Mensch", "tapfer" - zwischen generibus und qualitatibus ein Unterschied gemacht werden kann, so ist diese Teilung auf dem Gebiet der Elementarbegriffe ausgeschlossen. HIer ist Genus soviel wie Qualität.

Wir müssen also bei den Qualitätsbegriffen beginnen. Wir müssen fragen: worauf deuten sie hin, welches objektiv Seiende wird von ihnen vertreten?

Worauf deutet der Begriff "rot"? Doch wohl auf eine Eigenschaft von Erlebnissen. Wie das Gedächtnisbild auf Inhalte hinweist, die sozusagen außer ihm liegen (auf gewesene, jetzt nicht mehr gegenwärtige Wahrnehmungen), so weist auch die Begriffsvorstellung auf etwas außer ihr Liegendes - nämlich auf die Eigenschaften von Wahrnehmungen. Nun geht jedoch jede Erinnerung stets auf etwas Einzelnes und Konkretes, dagegen die Begriffsvorstellung - auf etwas nicht nur vielen Gemeinsames, sondern auch dem Wesen nach Allgemeines. Denn es sind die Eigenschaften der Wahrnehmungen keine Konkreta, sondern eher Abstrakta. Für sich, abgesondert vom Inhalt, in welchem sie vorgefunden werden, können sie nicht bestehen. Es gibt kein Rot für sich, es existieren bloß rote Wahrnehmungen, - rote Flächen, rote Einzelfiguren.

Was ist nun dieses allgemeine Objekt? Wo ist es zu suchen? Die am nächsten liegende, sozusagen selbstverständlichste Antwort würde lauten: im Zusammen der konkreten Erlebnisse, auf die der allgemeine Sinn geht. Die Begriffsvorstellung "Rot" würde also nach dieser Ansicht einfach auf die Summe aller roten Objekte (oder allgemeiner gesprochen - Erlebnisse) hindeuten und die Bedeutung von "Rot" vollkommen mit der Bedeutung des Ausdrucks "die Klasse der roten Objekte" zusammenfallen. Nun ist aber die Bezeichnung einer Qualität nicht dasselbe wie die Bezeichnung einer Klasse. Wenn wir eine Qualität anzeigen (also "rot", "blau", "krumm", "wohlriechend" sagen), so meinen wir nicht Vielheiten oder Klassen, sondern etwas durchaus Einzelnes, und zwar ein einzelnes Merkmal. Dieses Merkmal ist in vielen Objekten anzutreffen, immer als sich selbst gleiches, als ein identisches Merkmal. Deshalb ist es allgemeiner Natur. Nicht jedoch kann dieses Merkmal durch eine Reihe von es in sich einschließenden Objekten ersetzt werden. Schon aus dem Grund nicht, da diese Reihe nie als abgeschlossen gedacht werden kann. Es sind unendlich viele Objekte möglich, in welchen "Rot" als Qualität vorkommt. Sollte also die Bedeutung der Qualität in der Summe all dieser Objekte bestehen, so wäre das Erfassen dieser Bedeutung ein für uns stets unerfüllbarer Akt. Auch könnten neue, nie früher dagewesene Erlebnisse nicht unter den Begriff subsumiert und als "die und die Qualität habend" erkannt werden, da sie, als neue, nicht schon Glieder einer bekannten qualitativen Reihe sein könnten.

§ 4. Unlängst ist der Versuch gemacht worden als "Erfüllung" unserer qualitativen Elementarbegriffe, als ihre objektive Bedeutung - einerseits die in den konkreten Erlebnissen vorgefundenen einzelnen Merkmale, andererseits ein gewisses Bewußtsein der Allgemeinheit, der "Idealität", welche sich über das konkret Einzelne erhebt - anzusehen. So wäre z. B. die Erfüllung des Begriffs "Rot" einerseits das Anschauen eines roten Objekts, andererseits das spezifische Bewußtsein, daß der Sinn des Begriffs nicht an diesem Einzelfall haftet, daß er in jeder anderen, der Qualität nach identischen, Anschauung realisiert werden kann. Um die Bedeutung des Begriffs zu erfassen, wäre es also genügend, eine ihm entsprechende Einzelanschauung zu erleben und zugleich innezuwerden, daß nicht diese Einzelanschauung (nebst dem in hr hervortretenden qualitativen Moment) den echten Sinn des Begriffes ausmacht, daß dieser Sinn vielmehr in einem Hinweisen auf alle analogen Einzelanschauungen gesucht werden muß. Diese neuerdings oft vertretene Ansicht ist auf den ersten Blick durchaus ansprechend. Die Bedeutung des Begriffs träte hervor - wie es uns ja auch von der Psychologie nahegelegt wird - im Erfassen des qualitativen Moments eines eben gegenwärtigen Einzelobjekts - "dieses roten Flecks" zum Beispiel; und dazu gesellt sich dann das Bewußtsein, daß nicht dieses individuell vorgefundene Rot, sondern - ideell! - jedes Rot, jedes diesem Merkmal Identische gemeint ist. Jeder weiß, daß wenn qualitative Elementarbegriffe (von denen keine Definition möglich ist) expliziert werden, es stets durch das Anzeigen einer individuellen Anschauung geschieht. Zum Beispiel: "dieses hier nennt man oder heißt rot". Und zugleich wird dem betreffenden eingeschärft, daß es sich hier nicht um die gegenwärtige individuelle Anschauung handelt, sondern um das an ihr hervortretende, jedoch seiner Natur nach durchaus allgemeine Moment handelt. So zeigt man dem Kind zuerst einen roten Papierstreifen, dann aber einen roten Ball, oder einen roten Tuchfetzen und sagt "dies ist auch rot".

Um also den Elementarbegriff zu verstehen, brauchen wir bloß eine ihm entsprechende Anschauung - oder genauer: das in ihr enthaltene qualitative Moment - zu erleben und in Gedanken noch die Klausel hinzuzusetzen: "und alles diesem Einzelnen Analoge". Die "Erfüllung" des Begriffs "rot" läßt sich demnach so formulieren: "dieses individuelle Rot hier und alles, was ihm analog ist". Nun müßten wir, wenn wir folgerichtig verfahren würden, in jedem Fall, wo rot ausgesagt wird, einen Vergleich zwischen Einzelanschauungen anstellen: wir müßten Fragen, ob die gegenwärtige Qualität mit jener Qualität analog ist, die zum erstenmal unserem Elementarbegriff seine spezifische Bedeutung verliehen hatte. Denn liegt "Erfüllung" in der Deckung mit einem Einzelnen, in einem Hinweisen auf ein gegenwärtig hervortretendes Moment, plus eine gedankliche Ausdehnung auf alles diesem Einzelnen Analoge, - so muß doch bei jeder Anwendung des Begriffs die Zulässigkeit der Subsumption noch geprüft werden; es muß zuerst noch konstatiert werden, daß wirkliche eine Analogie vorliegt. Und so müßten wir bei der Anwendung des Begriffs auf die ursprüngliche Einzelanschauung zurückgreifen und eine Vergleichung mit derselben anstellen. Es wäre also die Bedeutung des Elementarbegriffs - "alles Wirkliche, was diesem da ähnlich ist".

§ 5. Mit welchen Schwierigkeiten diese Ansicht zu kämpfen hat, die doch im Grunde genommen auf einen versteckten Nominalismus hinausläuft, werden wir späterhin erörtern. Fürs erstere möchte ich noch auf eine Modifikation dieser Ansicht eingehen, welche sich geradezu als eine Erneuerung des mittelalterlichen Realismus aufspielt (2). Es wird uns gesagt, daß indem wir an einer Einzelanschauung ein bestimmtes qualitatives Moment erfassen, uns zugleich "in ideierender Abstraktion" dieses qualitative Moment nicht bloß als ein einzelnes und individuelles, sondern zugleich als allgemeiner Gegenstand, als die und die spezifische Art, unmittelbar gegeben wird. Also in dem ich dieses Rot hier betrachte, kann ich zugleich eine "ideierende Abstraktion" vollziehen, und dann habe ich es nicht mehr mit "diesem Rot hier", sondern mit der Art Rot, mit dem Rot als allgemeinem Objekt, und zwar als mit einem unmittelbar Gegebenen, zu tun. Wenn ich späterhin ein Objekt anschaue und seine Qualität präzidiere, so ist es keineswegs nötig, daß ich diese Einzelanschauung mit früher erlebten Einzelanschauungen vergleiche, um die Analogie der hier und da hervortretenden qualitativen Momente zu prüfen: es genügt, daß ich wieder einen Akt "ideierender Abstraktion" vollziehe, also statt des Einzelobjekts mit seinem einzelnen qualitativen Moment die "allgemeine Art" anschaue (denn sie wird mir ja unmittelbar gegeben), und es wird dieses Anschauen der Art - die "Erfüllung" für die symbolischen Begriffsvorstellungen abgeben. Also wenn ich "rot" sage, meine ich die Art "rot", und zwar "Art" nicht im Sinn von Klasse, auch nicht im Sinn von Qualität, so wie sie einzeln im individuellen Objekt angeschaut wird, sondern Art im Sinne eines allgemeinen Gegenstandes, der zwar nicht sinnlich, jedoch in der "ideierenden Abstraktion" uns unmittelbar gegeben ist. So wäre die Frage nach der Natur der Universalien (wenigstens ür Elementarbegriffe) endgültig gelöst, und es erwiese sich, daß diese Universalien nicht bloß - konzeptualistisch - durch Begriffsvorstellungen angezeigt werden, sondern - streng realistisch -etwas unmittelbar Gegebenes (wenn auch nicht sinnlich Gegebenes) darstellen.

§ 6. Ich sagte oben, diese realistische Auffassung müsse im Grunde als eine bloße Modifikation der oben entwickelten nominalistischen aufgefaßt werden. In beiden Fällen haben wir es ja eigentlich mit einem unmittelbaren Erfassen eines qualitativen Moments, d. h. allgemeinen Gegenstandes, zu tun. Nach der ersten, nominalistischen Auffassung, kommt zu der einfachen Ausscheidung eines individuellen qualitativen Moments an einem individuellen Erlebnis das spezifische "Allgemeinheitsbewußtsein" hinzu, d. h. die Erkenntnis, daß wir es hier nicht mit einem individuellen, an dieses vorliegende individuelle Erlebnis gehefteten Merkmal zu tun haben, sondern mit einem allgemeinen Merkmal, welches auch an unzähligen anderen "analogen" Erlebnissen vorgefunden werden kann; nach der zweiten, realistischen Auffassung, kommt zum einfachen Erleben einer Qualität die "ideierende Abstraktion" hinzu und leistet genau dasselbe, was im ersten Fall das "Allgemeinheitsbewußtsein" geleistet hatte. In Rußland ist der Versuch gemacht worden, dieses "Allgemeinheitsbewußtsein" genauer als ein Urteil über die Allgemeinheit zu definieren. Der Autor dieses Versuchs, Professor ALEX WWEDENSKI, schreibt darüber in seiner "Psychologie" wie folgt:
    "Nach Berkeley ... vertritt eine einzelne Vorstellung (im Original "Obras" = Bild) alle ihr gleichartigen dadurch, daß unsere Aufmerksamkeit sich auf ihren allgemeinen Merkmalen konzentriert. Doch hat Berkeley folgendes übersehen: wenn wir z. B. bei einer Beweisführung von einer beliebigen einzelnen Vorstellung Gebrauch machen, so wissen wir, daß alle diejenigen Merkmale, worauf wir unsere Aufmerksamkeit konzentrieren, sich allgemein an allen gleichartigen Objekten vorfinden, sogar an solchen, deren Vorstellungen momentan gar nicht in unserem Bewußtsein anzutreffen sind. Daraus erhellt sich, daß die Beschreibung der Konzeption bei Berkeley folgendermaßen ergänzt werden muß: Die Konzentration der Aufmerksamkeit auf den allgemeinen Merkmalen wird von einem Wissen begleitet, daß diese Merkmale - allgemeiner Natur sind, und dieses Wissen ist nicht sinnlicher Natur, d. h. kann nicht auf Empfindungen und ihre Reproduktionen reduziert werden. Deshalb kann hier statt des Wortes Wissen der Terminus reiner Gedanke gebraucht werden; wir können sagen, die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Merkmale einer Einzelvorstellung wird vom reinen Gedanken von ihrer Allgemeinheit begleitet . . . Was ist nun der reine Gedanke von seiner positiven Seite? Bisher ist er nur negativ charakterisiert, als etwas, was sich nicht auf Empfindungen und Vorstellungen reduzieren läßt. Doch worauf läßt er sich reduzieren? Die Selbstbetrachtung lehrt, daß er als Urteil über die Allgemeinheit gewisser Merkmale definiert werden muß, - als Urteil, daß die und die Merkmale nicht individuell, sondern allgemein sind."
Professor WWEDENSKI glaubt durch diese Feststellung den kantischen kritischen Apriorismus neubegründet zu haben: denn erweist es sich wirklich, daß jeder Begriff, jedes Wissen um ein Allgemeines - Urteile zu seiner Voraussetzung hat, so müßte es absolut-unbeweisbare, absolut-apriorische Urteile geben, worauf sich unser ganzes Erkennen stützt. Hier fällt der russische, als durchaus orthodox auftretender Kritizismus vollkommen mit dem WINDELBAND-RICKERTschen Normativismus zusammen (vgl. meine Abhandlung "Über zwei wissenschaftliche Begriffe des Denkens", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 15, 1909).

§ 7. Professor WWEDENSKIs Ansicht ist hier deshalb angeführt worden, weil in ihr, meiner Ansicht nach, das Grundgebrechen der nominalistischen Auffassung (welche die allgemeinen Merkmale bloß zu einem "Allgemeinheitsbewußtsein" reduzieren will) mit einer besonderen Schärfe an den Tag tritt. WWEDENSKI setzt den Punkt auf das i. Was ist ein allgemeines Merkmal? frägt die moderne nominalistische Auffassung und antwortet: das Erleben eines individuellen Merkmals in Begleitung von einem "Allgemeinheitsbewußtsein". Weiter nichts? "Weiter nichts." "Was ist das Allgemeinheitsbewußtsein?" frägt seinerseits WWEDENSKI und antwortet ganz folgerichtig: "Ein Urteil." Also sind allgemeine Merkmale bloße Urteile? Also drücken sie bloß unsere Meinung, unsere wenn auch apriorische, so doch subjektive Vermutung aus und keineswegs ein objektives Verhältnis? So erweist es sich nach der nominalistischen Auffassung.

Nun sind Urteile ihrer Natur nach durchaus symbolische, anzeigende Erlebnisse. Außer ihrem "psychischen Stoff" (dem "Urteil" als Erlebnis, als Datum), führen sie noch eine Bedeutung bei sich; wie wir es schon bei den Begriffen gesehen haben. Das Urteil "dieses Merkmals ist ein allgemeines", reduziert sich, als Erlebnis, auf eine gewisse Bejahung, ein gewisses Glaubensgefühl, eine gewisse Evidenz. Dasselbe Urteil, vom logischen Standpunkt betrachtet, weist auf ein objektives Verhältnis des gegenwärtig vorgefundenen Merkmals zu einer unzähligen Reihe von Bewußtseinsinhalten hin, welche sich momentan im Bewußtsein keineswegs vorzufinden brauchen, meistens sich auch faktisch nicht vorfinden; nämlich zu all den Inhalten, welche dasselbe identische Merkmal bei sich führen. Wenn also gesagt wird: "Der Elementarbegriff ist ein Urteil", "Der Elementarbegriff ist ein individuelles Merkmal, begleitet von einem Allgemeinheitsbewußtseins", so ist dadurch die Frage nach der Natur der Elementarbegriffe keineswegs gelöst; man ist um keinen Schritt weiter gekommen. Wir fragten: "Worauf deutet der Elementarbegriff hin?" Es wird geantwortet: "Auf ein Urteil". Und nun beginnt die ganze Geschichte von neuem; denn auch ein Urteil ist ja ein symbolisches Erlebnis. Auch hier muß also die Frage erneuert werden: "Was ist jenes X, jenes Etwas, welches von unserem Symbol angezeigt wird?" Will man sich nicht im Kreis drehen, so muß eine andere Ausflucht gesucht werden.

§ 8. Jetzt kommt die realistische Auffassung mit ihrer scheinbar so zufriedenstellenden Lösung: "Es wird nach etwas Objektivem gesucht - sagt der von HUSSERL modernisierte Realismus; nun, damit kann ich leicht dienen. Was mag es Objektiveres geben, als der "allgemeine Gegenstand" in natura? Die Begriffsvorstellung ist bloß ein Symbol. Damit stimme ich vollkommen überein. Das X nun worauf dieses Symbol hinweist, - seine "Erfüllung" nach meiner Terminologie - ist die allgemeine Qualität selbst, die Spezies, welche in allen gleichartigen Erlebnissen enthalten ist. Indem wir irgendeines betrachten und an ihm ein qualitatives Moment herausheben, erfassen wir in "ideirender Abstraktion" sozusagen das leibhaftige Allgemeine, finden es unmittelbar vor. Hier gibt es kein Symbol mehr; das Allgemeine wird nicht bloß angedeutet; nein, wir fassen es unmittelbar an, wir vermögen es sozusagen zu betasten, wenn auch nicht mit sinnlichen Mitteln.

Das würde schon ganz hübsch klingen, doch fehlt uns eine Kleinigkeit: wir möchten doch genauer erfahren - was wir da "in ideirender Abstraktion" auffassen.

Man sagt uns, es sei das allgemeine Moment, die allgemeine Spezies selbst. Nun möchten wir wissen, woran wir jene Allgemeinheit erkennen? Allgemein sein heißt doch soviel wie in einer Reihe von Einzelfällen sich als dasselbe, Identische vorfinden. Nun haben wir, - um ein früheres Beispiel zu benutzen, - irgendeinen roten Fleck vor uns. An ihm fassen wir sein individuelles Rot auf. Indem wir dieses "ideierend" betrachten, dringen wir - nach HUSSERLs Beschreibung zum allgemeinen Gegenstand vor, also zur "Spezies" Rot. Nun ist diese Spezies ja nichts anderes, als das in allem Roten Identische; alles was sich in allen roten Flecken als dasselbe vorfindet. Es fragt sich: woraus läßt sich denn ersehen, daß die von uns aufgefaßte Spezies - zugestanden, daß wir etwas derartiges wirklich auffassen - daß also dieses vor uns in einer ideierenden Abstraktion vorgefundene Etwas -
    1. wirklich in allem Roten anzutreffen ist,
    2. in allem Roten dasselbe, sich selbst gleiche Identische bleibt.
Eine unmittelbare Verifikation sind wir ja nicht imstande vorzunehmen. Wir haben ja bloß einen roten Fleck vor unseren Augen, keineswegs die ganze unerschöpfliche Mannigfaltigkeit von gewesenen, zukünftigen und sogar bloß möglichen roten Wahrnehmungen. Was gibt uns nun das logische Recht zu behaupten, daß die von uns vorgefundene Spezies, als dieselbe, identische, in jeder roten Empfindung vorzufinden sein wird? Oder sollen wir es auf Treu und Glauben hinnehmen? Nun, so würde die realistische Auffassung nicht um ein Haar von der eben vorgebrachten nominalistischen abweichen: alle beide brächten uns zu nichts Objektivem, zu keinem unmittelbar zu konstatierenden Tatbestand, sondern zu bloßen Vermutungen. Die "Spezies" bei HUSSERL, deren Antreffen und Identität in allen gleichartigen Erlebnissen schlechthin unverifizierbar ist, wäre ja im Grunde genommen dasselbe, wie das Allgemeinheitsbewußtsein der Nominalistsen, wie WWEDENSKIs "reine Gedanken". Es handelte sich auch hier um ein bloß symbolisches, anzeigendes Erlebnis, um eine "Erfüllung", welche ihrerseits noch einer ferneren "Erfüllung" bedürfte.

§ 9. Nun kann ja HUSSERL einwenden (und, ich meine, das würde er auch nicht versäumen): eine Verifizierung, von welcher wir oben gesprochen haben, wäre gegebenenfalls nicht nur unnötig, sondern sogar widersinnig. Sobald wir Rot als Rot auffassen, es als solches erkennen, geschieht es dadurch und aus dem Grund, daß wir darin das Allgemeine, also die identische, stets sich selbst gleichbleibende Spezies schon vorgefunden haben. Geschieht das nicht: nun dann haben wir eben nicths Rotes vor uns. Wir nehmen es nicht als Rot wahr; wir erkennen es nicht als Rot. Bloß durch das Auffinden der identischen Spezies kommen überhaupt Qualitäten in unsere Wahrnehmungen hinein.

Das wäre schon eine entscheidende Veränderung des Standpunktes; ein entschiedenes Abschwenken vom Nominalismus. Doch glaube ich nicht, daß diese Modifizierung imstande ist, HUSSERLs Ansicht zu einer haltbaren zu machen.

Nehmen wir an, ich erkenne das Rotmoment eines gegebenen Flecks dadurch, daß ich in ihm die identische Spezies "Rot" vorfinde. Lassen wir es dahingestellt sein, wie dieses Vorfinden eines "allgemeinen Gegenstandes" zu denken ist. Richten wir unser Augenmerk nur auf die logische Seite des postulierten Erkenntnisaktes. Wir haben es mit drei Datis zu tun: mit der Begriffsvorstellung "Rot", mit der vorgefundenen Spezies "Rot" und mit der gegebenen Wahrnehmung eines farbigen Flecks. Aus der Wahrnehmung scheidet sich in "ideierender Abstraktion" die Spezies; die Begriffsvorstellung, welche hinzutritt, - findet in dieser Spezies ihre Erfüllung. Wir erleben ein gewisses Geühl, das sich ungefähr folgendermaßen formulieren läßt: dieses hier (die Spezies) stimmt zu jenem da (der Begriffsvorstellung). Und nun sagen wir: diese Wahrnehmung ist rot; dieser farbige Fleck ist ein roter. Scheinbar ist die Frage erledigt; die Allgemeinheit der Spezies wohlbegründet; denn ihr Verhältnis zur Begriffsvorstellung ist ein spezifisch-bestimmtes; also nur in den Fällen, wo die Spezies vorzufinden sein wird, wird auch die Begriffsvorstellung "rot" eine "Erfüllung", also auch eine Anwendung finden können. Alles "Rote", wo und wann es nur vorkommt, wird dieselbe, ewig sich selbst gleich bleibende Spezies in sich einschließen.

Jedoch stellt sich dieser einfachen Auffassung ein schwerwiegendes Bedenken in den Weg. Es frägt sich: welche Garantie haben wir, daß überall, wo wir etwas Rotes wahrgenommen haben oder noch wahrnehmen werden, wirklich dieselbe identische Spezies, welche wir momentan sozusagen vor Augen haben, als "Qualitätsbestimmerin" auftritt?

Nehmen wir an, wir hätten gestern ein Objekt angeschaut, dessen Erinnerungsbild wir uns momentan nicht vergegenwärtigen können, von dem wir jedoch bestimmt wissen, daß wir es rot fanden, d. h. rot von ihm prädizierten. Da wir das Erinnerungsbild nicht mehr vor uns haben, so läßt sich nicht unmittelbar feststellen, ob die in ihm eingeschlossene Spezies identisch ist mit der gegenwärtig vorgefundenen. "Aber sie stimmt doch zu derselben Begriffsvorstellung." Nun, woher wissen wir denn, daß die Begriffsvorstellung dieselbe ist? "Sie hat doch denselben Namen." Nun das wäre die Rückkehr zum reinsten (extremen) Nominalismus, der ja eben daran gescheitert ist, daß auch Namen nicht Einzelvorstellungen, sondern allgemeine Gegenstände sind: es müßte also noch erwiesen werden, daß auch der Name derselbe geblieben ist; abgesehen davon, daß er nirgends geschrieben steht, daß derselbe Name sich stets und durchaus mit derselben Begriffsvorstellung assoziieren muß. Also, wenn kein Erinnerungsbild vorliegt, so habe ich durchaus keine Garantie, daß im heutigen und Gestrigen "Roten" dieselbe identische Spezies vorlag. Und nehmen wir an, ich vergesse die heutige Wahrnehmung, und morgen tritt vor mich eine neue, welche wieder dieselbe Spezies bei sich führt; wo soll ich nun ein Anzeichen suchen, daß es wirklich dieselbe, identische Spezies ist? Woran soll ich es erkennen, daß an mich keine neue Spezies herantritt, sondern eine alte, bekannte? Was verbindet ihr heutiges und morgiges Auftreten in meinem Bewußtsein? "Dieselbe" Begriffsvorstellung? Aber es muß doch vorerst erwiesen werden, daß auch hier Identität vorliegt.

§ 10. Hier stehen wir vor einer großen und prinzipiellen Schwierigkeit in HUSSERLs Auffassung. Sie liegt darin, daß auch die Spezies, der allgemeine Gegenstand, nicht bloß vorgefunden, in "ideirender Abstraktion" aufgefaßt, sondern auch - erkannt werden will. Es ist nicht genug, irgendeine Spezies zu erfassen: wir müssen auch genau wissen, welche es ist. Die Beschaffenheit, das Spezifische allein machen es noch nicht. Es muß ein Erkanntwerden als diese und jene Spezies hinzukommen. Sonst würde ja die ganze Frage nach der Natur der Universalien gar nicht auftauchen: wir könnten z. B. sagen, wo Rot empfunden oder wahrgenommen wird, wird stets dasselbe identische Element wahrgenommen (wie es die MACHs Schule und einige Jünger der immanenten Philosophie wirklich behaupten). Dieses stets identische Element machte uns von Zeit zu Zeit seine Visite; und da es immer dieselbe Person ist, welche in gewissen Unterbrechungen vorspricht, so hat es absolut keinen Sinn, von etwas Allgemeinem zu reden: es sind ja nicht X, Y, Z, die hier abwechselnd erscheinen und alle zusammen nur in gewissem Sinn eins sind; es ist immer derselbe gute alte Bekannte A, welcher wirklich in einem buchstäblichen Sinn bloße Einer ist. Diese Ansicht übersieht vollkommen (wie leicht zu sehen ist), daß obwohl das kommende und gehende Element an und für sich durchaus dasselbe, eine, identische bleiben mag, - seine Erscheinungen in unserer Erfahrung eine Anzahl von vollkommen disparaten Einzelfällen darstellen; daß sie numerisch verschieden sind und deshalb ihre qualitative Identität keineswegs so ohne weiteres gegeben ist, sondern erst erkannt werden muß.

Was nun den Wahrnehmungen gut, muß auch den Spezies billig sein. Sie mögen noch so sehr auf ihre absolute Identität pochen; aber da sie in unserer Erfahrung mit Unterbrechungen, also sporadisch erscheinen, so müssen sie sich erst noch als identisch ausweisen, d. h. als ein und dieselbe Spezies erkannt werden. Denn daß die Spezies, die heute erscheint, und diejenige, welche morgen erscheinen wird, an und für sich etwas Identisches, ein und dasselbe Allgemeine darstellen - erklärt und rechtfertigt noch nicht, daß auch wir sie als etwas Identisches, als ein- und dasselbe auffassen. Metaphysisch mag es schon stimmen. Logisch und erkenntnistheoretisch bringt uns die postulierte Identität dieser Spezies um keinen Schritt weiter.

Im Grund genommen bleiben wir mit HUSSERLs Realismus auf demselben Fleckt, auf welchem uns die anfängliche Betrachtung des Problems der Universalien antraf. Dort fragte es sich: was gibt uns das Recht und Möglichkeit, die verschiedenen, in verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten auftretenden Erscheinungen einer Qualität (wollen wir sagen das Rot) als ein und dasselbe, als dieselbe eine Qualität aufzufassen? Hier lautet die Frage: was gibt uns das Recht, die verschiedenen, in verschiedenen Zeitpunkten unserer Erfahrung auftretenden Erscheinungen oder "Vorfindungen" einer Spezies (sagen wir der Spezies "Rot") als dieselbe eine Spezies, als dasselbe Rot aufzufassen? In beiden Fällen bleibt eine befriedigende Antwort aus. Es läßt sich nur sagen, daß da, wo Wahrnehmung und Erinnerung zugleich gegenwärtig sind, die Identitt durch direkten Vergleich festgestellt werden kann. Wo bleiben aber die unzähligen Fälle, welche durch keine gegenwärtige Erinnerung oder sonstige Vorstellung vertreten werden? Wo bleibt die so stolz verkündete Allgemeinheit?

Offenbar ist das Problem der Universalien entweder unlösbar, oder es ist nicht von der rechten Seite angefaßt worden.

§ 11. Zwei Wege haben uns in die Irre geführt: erstens der Glaube, daß die Qualität eines Inhalts nichts weiter bedeutet als eine Reihe oder Klassen von Inhalten, denen der gegenwärtige zuzuzählen ist; so daß z. B. die Qualität "rot" einfach dasselbe bedeutet wie "die Gesamtheit aller roten Wahrnehmungen oder Objekte"; zweitens die Annahme, es sei die Qualität eines Inhalts ein Wissen um die allgemeine Natur eines seiner individuellen qualitativen Momente; wobei es sich gleich bleibt, ob dieses Wissen um die allgemeine Natur, dieses Allgemeinheitsbewußtsein nominalistisch als Gedanke oder Urteil über die Allgemeinheit, oder realistisch, als allgemeiner Gegenstand, als Spezies in natura betrachtet wird. Beide Auffassungen führen zu keiner Lösung des Universalienproblems.

Die Qualität als bloße Klasse zu deuten, war von jeher die Tendenz des Nominalismus: von ROSCELLINUS bis auf HUME und CORNELIUS. Dagegen die Qualität als gedankliche oder gar objektiv-subsistierende Spezies aufzufassen, ist die Tendenz des Konzeptualismus und Realismus. Es möchte aus der Geschichte des Problems scheinen, als ob in diesen drei Richtungen alle Möglichkeiten schon erschöpft sind; als ob, wie in kontradiktorischen Gegensätzen tertium non datur [ein Drittes gibt es nicht - wp], hier quartum non datur [ein Viertes gibt es nicht - wp]. Was für eine vierte Gedankenrichtung, außer der nominalistischen, konzeptualistischen und realistischen, ließe sich noch einschlagen?

Das Problem lautet: was bedeuten unsere qualitativen Elementarbegriffe; worauf weisen sie hin? Was meinen Eigenschaftswörter, wie z. B. "rot", "krumm", "schrill"? Es läßt sich leicht einsehen, daß sie stets Eigenschaften im Auge haben; Eigenschaften allgemeiner Natur, welche sich in verschiedenen Objekten, in verschiedenen Bewußtseinsinhalten vorfinden. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als diese Eigenschaften einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.

Um gleich von vorn anzufangen: allgemein heißen diejenigen Merkmale und Eigenschaften der Wahrnehmungen, welche sich nicht bloß in einer einzelnen Wahrnehmung (als deren individuelles Moment), sondern in einer Reihe oder einer Mehrzahl gleichartiger Wahrnehmungen vorfinden. Betrachte ich z. B. ein Veilchen und merke auf seine Farbnuance, so ist diese von mir unterschiedene Nuance nichts Allgemeines; wohl ist sie in gewissem Sinn abstrakt, denn eine Nuance für sich, ohne Form, Ausdehnung usw. kann weder wahrgenommen, noch vorgestellt werden; doch ist dieses "abstrakte", d. h. untrennbare Moment einer Wahrnehmung zugleich auch etwas durchaus Individuelles: es ist "diese, gegenwärtig unterschiedene Farbnuance dieses Veilchens hier". Abstrahieren wir dagegen von der gegenwärtigen Wahrnehmung und von der gegenwärtigen, sozusagen sinnlichen Heraushebung der Nuance; betrachten wir die Eigenschaft ansich, die Eigenschaft als Eigenschaft, bloß ihrer Spezifität nach - so haben wir es sogleich mit etwas Allgemeinem zu tun.

Alle Universalientheorien (mit Ausnahme der von HUME und der in ihre Fußstapfen tretenden von CORNELIUS) betrachteten bloß den Prozeß der Umbildung von individuellen qualitativen Momenten in allgemeine; dagegen die Frage, was denn die individuellen qualitativen Momente selbst vorstellen, blieb sozusagen vollkommen unerörtert. Und doch liegen in diesem Problem große Schwierigkeiten. Man kann die Farbe einer gesehenen Figur, die Höhe eines gehörten Tons und dgl. nicht ohne weiteres als einfache Teile der gegebenen Wahrnehmung betrachten. Teile lassen sich aus dem Ganzen herausheben und können abgesondert bestehen. Das ist nun bei elementaren Eigenschaften, d. h. bei qualitativen Momenten, nicht der Fall. Eine Tonhöhe oder Klangfarbe kann nicht abgesondert vom gehörten Ton, eine Form oder Farbnuance abgesondert von der gesehenen farbigen Figur bestehen. Wohl kann man diese "Momente" der Wahrnehmungen mittels der Abstraktion abgesondert denken, doch in einer solchen Absonderung weder wahrnehmen noch vorstellen. Also Wahrnehmungen und Vorstellungen sind sie nicht; diese sind ja konkrete, für sich bestehende, voneinander abtrennbare Data. Gedanken sind sie auch nicht; denn ein Begriff von einer Eigenschaft, ein Urteil über eine Eigenschaft läßt sich ja leicht von der betreffenden Eigenschaft selbst unterscheiden. Was sind nun jene mysteriösen Erlebnisse?

§ 12. Wie gesagt, dieses schwere Problem ist einzig und allein von HUME ins Auge gefaßt worden. Die einschlägige Stelle befindet sich im "Treatise" (Seite 332-33, Green and Grose, Bd. I). Die allbekannte Theorie HUMEs zu referieren oder gar durch Zitate zu belegen, ist hier durchaus nicht der Ort. Es möge genügen, wenn wir den Leser daran erinnern, daß im Sinn von HUMEs Auffassung "Merkmale, innere Beschaffenheiten" - nichts den Gegenständen, die sie "haben", im wahrsten Sinne Einwohnendes sind. Die verschiedenen, voneinander unabtrennbaren Seiten oder Momente eines anschaulichen Inhalts, wie die Färbung, Form usw., sind in Wahrheit gar nichts in ihm (HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. II, Seite 192). Was sind sie dann? Bloße Ähnlichkeiten, die zwischen dem gegebenen Inhalt und anderweitigen Inhalten bestehen. Also ist z. B. die rote Farbe nichts weiter als eine Ähnlichkeit zwischen allen roten Wahrnehmungen.
    "Nicht ist die Farbe im Farbigen, die Form im Geformten, sondern es gibt in Wahrheit nur jene Ähnlichkeitskreise,, denen sich das betreffende Objekt einreiht." (Husserl, a. a. O., Seite 192-93).
Merken wir auf die Farbnuance, Tonhöhe, Klangfarbe, Form usw. einer beliebigen Wahrnehmung, so heißt das,, daß wir uns die Ähnlichkeit dieser Wahrnehmung mit gewissen anderen Wahrnehmungen vergegenwärtigen. Demnach wären die individuellen qualitativen Momente - unmittelbar konstatierte Zugehörigkeiten zu gewissen Ähnlichkeitsreihen; und die "allgemeinen Objekte", worauf unsere Elementarbegriffe hinweisen, - ebensolche Zugehörigkeiten, nur nicht auf ein einzelnes momentan vorliegendes Objekt beschränkt, sondern auf alle möglichen Glieder der betreffenden Ähnlichkeitsreihe ausgedehnt. "Rot" heißt dann soviel wie: "zur roten Gruppe gehörig".

Es läßt sich wohl schwerlich bestreiten, daß beim Erkennen von Eigenschaften eine gewisse Statuierung von Ähnlichkeiten wirklich im Spiel ist. Wenn wir die vorliegende Farbe als Rot, den vorliegenden Ton als Pfif oder Zischen erkennen, die vorliegende Linie als krumme oder gerade, so wird unzweifelhaft eine Ähnlichkeit oder eine Übereinstimmung zwischen dem gegenwärtigen Erlebnis und etwas von früher her Bekanntem unmittelbar konstatiert. Wer keinerlei Kenntnis von Rot, Zischen, gerade usw. hätte, könnte auch nicht die vorliegenden Wahrnehmungen als "Rot, Zischen usw." erkennen. Andererseits läßt es sich auch nicht leugnen, daß beim gleichzeitigen Erleben von Inhalten (z. B. Wahrnehmungen) uns unmittelbar auch gewisse Ähnlichkeiten oder Zusammengehörigkeiten dieser Inhalte gegeben sind. Betrachten wir z. B. ein Mosaikbild, so schließen sich unmittelbar alle gleichfarbigen Flecken in ein einheitliches, abgeschlossenes Ganzes zusammen. Die Ähnlichkeit, qualitative Identität, Zusammengehörigkeit all dieser Flecken ist uns sozusagen mit ihnen selbst gegeben und wir brauchen nicht erst Vergleiche, Prüfungen und dgl. mehr vorzunehmen. Wie ich dies schon früher Gelegenheit hatte zu betonen, (siehe meine Abhandlung: "Über zwei wissenschaftliche Begriffe des Denkens"), - werden uns Wahrnehmungen, überhaupt Inhalte stets in Gruppen gegeben, die sich scharf voneinander abheben, ebenso wie die einzelnen Inhalte voneinander. Dies lehrt uns die unmittelbare Erfahrung, in welcher wir stets größere Gruppen - wie z. B. die Gruppen der Gesichtswahrnehmungen, der Gehörswahrnehmungen, der Tastwahrnehmungen usw. vorfinden, dann aber auch kleinere Gruppen von engerem Umfang wie z. B. rote Wahrnehmungen, zischende Töne, warme Tastempfindungen usw. Man könnte hier von unmittelbar konstatierten Ähnlichkeiten reden, doch da Ähnlichkeit - wie wir bald die Gelegenheit haben werden zu sehen - ein sehr zweideutiger Ausdruck ist, so ziehe ich es vor, diese Gruppenbildung auf unmittelbar konstatierte Zusammengehörigkeiten zurückzuführen.

Insofern hat also HUME unzweifelhaft recht. Das Erkennen von Eigenschaften beruth auf dem Innewerden einer Zusammenstimmung; und Zusammenstimmungen, Zusammengehörigkeiten finden sich auch unmittelbar zwischen gleichzeitig erlebten anschaulichen Bewußtseinsinhalten vor. Es fragt sich nur, mit was für einer Zusammenstimmung wir es beim Erkennen der Eigenschaften zu tun haben? HUME spricht von einer Einreihung in einen Ähnlichkeitskreis, d. h. von einer unmittelbar konstatierten Zugehörigkeit zu einer gewissen Reihe oder Gruppe von Vorstellungen. Also bestände das Erkennen von Eigenschaften in einem Defilé [Parade - wp] von anschaulichen Erinnerungsbildern, denen ähnlich die gegenwärtige Wahrnehmung befunden würde. Daß es nach HUMEs Auffassung ein potentielles Defilé ist, ändert nicht viel an der Sache. Der Hauptstandpunkt bleibt jedenfalls bestehen: Erkennen ist Einreihen eines gegebenen Inhalts in eine Mehrheit von bestimmten, anschaulichen Vorstellungen: a, b, c, d ... x. Auch CORNELIUS bleibt prinzipiel bei derselben Formel bei HUME.

§ 13. Dieser Theorie treten nun zwei Bedenken entgegen. Das erste ist schon von HUSSERL formuliert worden. Es handelt sich um einen regressus infinitum [Teufelskreis - wp], der in der Auffassung HUMEs steckt. Unterscheide ich an einem anschaulichen Inhalt (es sei dies - an einem farbigen Fleck) irgendein qualitatives Moment (es sei dies seine Farbnuance), so betrachte ich, nach HUMEs Ansicht, die Ähnlicheit des gegenwärtigen Inhalts mit einem anderweitigen Inhalt, oder mit einer Reihe von Inhalten (z. B. mit anderen roten Flecken). Nun steht jeder beliebige Inhalt in unzähligen Ähnlichkeitsrelationen mit anderweitigen anschaulichen Inhalten. Mit einigen hat er die Form gemein, mit anderen - die Farbe, mit wieder anderen - anderweitige Eigenschaften. Es fragt sich: wie bringe ich es zustande, daß ich von diesen unzähligen Ähnlichkeitsrelationen stets nur eine einzelne, bestimmte, und zwar eine in verschiedenen Fällen durchaus identische ins Auge fasse? Woher weiß ich es, wenn ich eine Ähnlichkeit von zwei oder mehreren Inhalten vor mit habe, daß es eine Ähnlichkeit in der und der bestimmten Beziehung, sagen wir eine Ähnlichkeit hinsichtlich der Farbe ist? Es könnten doch die vorliegenden Inhalte durch eine ganz andere Ähnlichkeitsrelation zu einem Ganzen, einer "Ähnlichkeitsreihe", verbunden sein. Ich betrachte z. B. eine Reihe von Flecken und konstatiere ein gewisses Zusammenstimmen. Nun kann dieses gewisse Zusammenstimmen in der Gemeinschaft der Form bestehen; doch auch in der Gemeinschaft der Farbe; schließlich in der Gemeinschaft irgendeines Detailmerkmals, z. B. der Geradlinigkeit einer von ihren Grenzen, dem gleichen Sättigungsgrad usw. Welches Merkmal es ist, worauf sich die Gemeinschaft der Gruppe gründet, könnten wir nur in dem Fall erkennen, wenn wir es in unserer Erfahrung mit einer endlichen, abgeschlossenen Anzahl von Inhalten und Gruppen zu tun hätten. Dann würde jede Gruppe von Inhalten eine streng bestimmte Eigenschaft ausdrücken. Da aber in der wirklichen Erfahrung die Zahl der Inhalte eine unerschöpfliche ist, so bleibt es in jedem einzelnen Fall durchaus unausgemacht, auf welche Eigenschaft die eben vorgefundene Ähnlichkeit hinweist. Wir haben z. B. eine Ähnlichkeitsreihe:

A B C D E F G

Es tritt ein neuer Inhalt hinzu. Er wird allen Gliedern der Reihe als ähnlich empfunden. Doch ist diese Ähnlichkeit eine höchst rätselhafte und zweideutige. Es kann sein, daß zwischen dem neuen Inhalt X und den Gliedern der Reihe dasselbe Ähnlichkeitsverhältnis besteht, wie z. B. zwischen A und B. Es könnte aber auch sein, daß dieses Verhältnis durchaus anderer Natur ist. Es seien A B C D E F G gleichfarbige Flecke it einer ähnlichen Einsenkung im Kontur [Umriß - wp] und demselben Helligkeitsgrad. Nun kann die "Ähnlichkeit" des neuen Inhalts:
    1. auf der Gleichheit der Farbe,
    2. auf einer ähnlichen Einsenkung,
    3. auf der Gleichheit des Helligkeitsgrades
beruhen. Und es ist in jedem Fall unergründbar, welches von diesen Merkmalen die neu vorgefundene Ähnlichkeit meint. Also der Anschluß an die Reihe A B C D E F G (und ebenso an jede beliebige Reihe) könnte keineswegs auf eine bestimmte Eigenschaft des vorliegenden Inhalts schließen lassen, da zwei Inhalte, die sich an dieselbe Reihe anschließen, durch diesen Anschluß durchaus verschiedene Eigenschaften an den Tag fördern könnten. Wir sehen, daß in HUMEs Theorie jedwedes Erkennen von Eigenschaften durchaus rätselhaft bleibt.

§ 14. CORNELIUS (in seiner "Psychologie als Erfahrungswissenschaft") gibt sich Mühe, diese Schwierigkeit zu beseitigen. Er behauptet, daß uns nicht bloß Ähnlichkeit, sondern Ähnlichkeiten verschiedener Art gegeben werden, daß also das "Gefühl" der Ähnlichkeit (der Zusammengehörigkeit) verschiedene Modifikationen aufweist. Nach dem jeweiligen Charakter dieses Ähnlichkeitsgefühls sei es uns möglich, zu erkennen, um welche Art gemeinsames Merkmal es sich gegebenenfalls handelt. Nehmen wir an, es seien uns zwei Inhalte (z. B. farbige Flecke) gegeben und ein sie begleitendes spezifisches Ähnlichkeitsgefühl M. Indem wir den Charakter dieses Gefühls erkennen, erkennen wir zugleich, daß die Ähnlichkeit zwischen A und B ihre Farbe (und nicht ihre Form, oder irgendein anderes Merkmal) betrifft.

Dadurch wäre ein Erkennen der Eigenschaften, welches nach HUMEs ursprünglicher Theorie gar nicht zustande gebracht werden kann, prinzipiell ermöglicht. Wir haben z. B. eine Reihe A B C D E F G vor uns, deren Glieder durch ein spezifisches Ähnlichkeitsgefühl M verbunden sind. Jedes Element nun, welches sich an diese Reihe anschließt, weist eo ipso eine bestimmte Eigenschaft auf, und zwar jene, als deren Charakteristik das mit A B C D E F G usw. verbundene spezifische Ähnlichkeitsgefühl M auftritt.

Doch krankt die Theorie des CORNELIUS an einem offenen regressus ad infinitum. Wenn verschiedene Ähnlichkeitsgefühle, noch mehr - verschiedene Klassen von Ähnlichkeitsgefühlen existieren, so muß in jedem einzelnen Fall das gegebene Ähnlichkeitsgefühl nicht bloß erlebt, sondern als dieses bestimmte, so und so geartete Ähnlichkeitsgefühl erkannt werden. Nun beruth Erkennen auf Ähnlichkeit. Also müßten zwischen Ähnlichkeitsgefühlen Ähnlichkeiten zweiter Ordnung bestehen, zwischen diesen - Ähnlichkeiten dritter Ordnung usw. ins Unendliche. HUSSERL und meine Wenigkeit (in meiner in der Moskauer "Voprossy filosofi i psichologii" veröffentlichten Abhandlung "Problema Abstrakzii") haben unabhängig voneinander auf diesen Grundfehler des modernen Humismus hingewiesen.

An dieses Hauptargument gegen die Theorie HUMEs ließe sich noch folgendes anschließen:

Lassen wir das Grundprinzip gelten, es bestehe das Erkennen einer Eigenschaft im Innewerden einer "Ähnlichkeit" zwischen dem gegenwärtigen Inhalt einer Gruppe oder Reihe von anderen. Es fragt sich nun: ist - vom logischen Standpunkt - genug, daß wir diese "eigenschaftsbestimmende" Reihe so einfach ohne weiteres erleben, ohne zu wissen, welche es ist? Muß nicht vielmehr diese Reihe dem erkennenden Bewußtsein bekannt sein? Nur durch die Ähnlichkeit mit etwas Bekanntem läßt sich ja überhaupt etwas bestimmen. Was heißt nun, daß Vorstellungen uns bekannt sind? Daß sie früher einmal als Wahrnehmungen oder Erinnerungsbilder schon in unserem Bewußtsein aufgetreten waren? Dieser Umstand allein kann doch im gegenwärtigen Moment, wenn sie ganz von Neuem, als wären sie nie dagewesen, erscheinen, - nichts zu ihrem Bekanntsein beitragen. Auf der Vorstellung steht es doch nicht geschrieben: "Ich spreche schon zum zweitenmal vor", oder einfach. "Du kennst mich". Jede Vorstellung ist für uns etwas durchaus Unbekanntes und Neues - bis sie nicht erkannt wird. Nun sehe man, wie die Sache sich kompliziert: einerseits muß eine eintretende Wahrnehmung, um als so = und so qualitativ = beschaffene erkannt zu werden, einer Vorstellung oder einer Vorstellungsreihe ähnlich befunden werden; andererseits muß diese Vorstellung oder Vorstellungsreihe selbst, als die und die eindeutig bestimmte, ihrerseits erkannt werden. Es ist, als ob die eintretenden Inhalte in eine fremde Gesellschaft geraten. Durch etwaige zufällig vorgefundene Freunde hoffen sie dem Herrn des Hauses vorgestellt zu werden. Doch nun erweist sich, daß die Freunde nichts helfen, da sie selbst noch einer Präsentation bedürfen! Und wieder stehen wir vor einem regressus ad infinitum.

§ 15. Wir sahen, daß in allen Versuchen die Universalienfrage zu lösen, es das Problem des Erkennens istt, welches störend in den Weg tritt. Ob wir die Sache realistisch oder nominalistisch auffassen: überall ersehen wir, daß das bloße Sichvorfinden, das bloße Eintreten in das sinnliche oder "ideirende" Bewußtsein von anschaulichen Inhalten oder nicht-anschaulichen Spezies - noch nicht ihr Erkanntwerden ausmacht. Um jedoch als "Erfüllung" für unser symbolischen Begriffsvorstellungen zu fungieren, um den "objektiven Tatbestand" abzugeben, auf den unsere "bedeutungserfüllten", intentionalen Erlebnisse hinweisen, müssen Reihen, Inhalte und Spezies in erster Linie erkannt sein. Wo bleibt sonst die Identität der Begriffe, ihre stets-sich-selbst-gleich-bleibende Bedeutung? Was die konzeptualistische Ansicht betrifft, mag sie in ihrer ursprünglichen, naiven Form auftreten, oder in der neueren, kritizistischen ("Allgemeine Gegenstände sind Urteile") - so enthält sie überhaupt keine Lösung, sondern eine Umgehung der Frage. Die "Erfüllung" der Begriffe in Urteilen, oder in einem "Allgemeinheitsbewußtsein" zu suchen - ist es nicht dasselbe, als überhaupt nach keiner Erfüllung zu fragen, sondern wie es der Normativismus z. B. auch wirklich tut, offen und ehrlich auszusprechen, die Begriffe hätten überhaupt keine Erfüllung, d. h. deuteten auf nichts Objektives hin. "Es gibt kein objektives Verhältnis, auf welches der Begriff hinweist" - das ist der langen konzeptualistischen Lehren äußerst kurzer Sinn. Mit anderen Worten: es gibt überhaupt keine objektive Wahrheit, sondern nur subjektiv-psychologische Evidenz. Der Normativist sträubt sich gegen diese skeptisch-relativistische Folgerung: jedoch im Grunde des Herzens huldigt er ihr, trotz seines hochfliegenden Idealismus.

Gibt es also wirklich keinen Ausweg zwischen Skeptizismus und Widersinn? Läßt sich wirklich nichts Objektives aufweisen, was unseren Elementarbegriffen entspräche? Wir sahen, was uns bei der realistischen Antwort fehlte: das Erkanntwerden der betreffenden Spezies. Ließe sich dieses Hindernis nicht vielleicht am Ende doch beseitigen?

Fassen wir die Spezies als etwas Für-sich-seiendes, Unabhängiges, von allem anderem (und besonders von allen anderen Spezies) Abgetrenntes auf, - so stehen wir vor einer unüberwindlichen Schwierigkeit. Ich betrachte einen anschaulichen Inhalt; scheide aus ihm sein individuelles Rotmoment aus; dringe "in ideierender Abstraktion" zur Spezies "Rot" vor. Woher soll ich nun erfahren, woran erkennen, daß dieser, gegenwärtig von mir angeschaute, allgemeine Gegenstand gerade die Spezies Rot und keine andere Spezies ist? Wie soll ich dieses vorgefundene Allgemeine mit einem früher einmal vorgefundenen identifizieren? Durch Erinnerung? Aber Erinnerung ist ja selbst nur durch (ein logisch vorhergehendes) Erkennen möglich, da ja Erinnerungsbilder ihrerseits erkannt werden wollen. Das war ja der Hauptfehler von HUMEs Nominalismus, daß er das Erkennen auf Erinnerung zurückführen wollte, wohingegen das Umgekehrt das Richtige ist. Also: die Eigenart der Spezies muß (nicht nur erlebt, sondern auch) erkannt werden, ohne jede Zuhilfenahme der Erinnerung, wenn wir nicht einem Skeptizismus verfallen wollen. Wenn wir aber die Erinnerung streichen, was bleibt uns dann noch anderes übrig, als ein gewisses Verhältnis der gegenwärtig vorliegenden Spezies zu anderen Spezies, also die Annahme, daß es ein System der "allgemeinen Gegenstände" gibt und daß die logische Eigenart eines jeden durch seines Stellung in diesem System bedingt ist (3). Dadurch lösen sich aber die Spezies in lauter Verhältnisse auf. Ihr unabhängiges Sein schwindet. Losgelöst vom System, welches sie zu dem stempelt, was sie sind, werden sie zu bloßen Fiktionen. Es fragt sich nun, ob es ein solches System überhaupt gibt und wie es zu denken ist.
LITERATUR - Leonid Gabrilowitsch, Über Bedeutung und Wesen der Elementarbegriffe, Archiv für systematische Philosophie, Bd. 16, Berlin 1910
    Anmerkungen
    1) Wenn wir, nach dem scholastischen Muster, "Bedeutung" [ansich - wp] von Bedeutungsintention scheiden.
    2) Diese Ansicht wird von HUSSERL im zweiten Band seiner ausgezeichneten "Logischen Untersuchungen" vertreten.
    3) Insofern behalten HEGEL und COHENs Schule recht.