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(1862 - 1950) [mit NS-Vergangenheit] Erkenntnistheoretische Auseinandersetzungen 2. Schuppe. Der naive Realismus [2/2]
C. Die Bedeutung der Sinnesorgane und zerebralen Sinnesleitungen und -zentren für die Empfindungen. ν-Empfindungen. Eine wesentliche weitere Differenz zwischen SCHUPPEs Erkenntnistheorie und der meinigen besteht in der erkenntnistheoretischen Auffassung der Bedeutung der sinnesphysiologischen Prozesse. Im Allgemeinen berücksichtigt SCHUPPE die für die Erkenntnistheorie entscheidende Fundamentaltatsache der Sinnesphysiologie zu wenig. Diese Fundamentaltatsache läßt sich kurz folgendermaßen angeben: Die Beschaffenheit (25), räumliche und zeitliche Lage einer Empfindung ist in mannigfacher Weise vom Zustand der Sinnesorgane, Sinnesbahnen und Sinneszentren abhängig. Erkenntnistheoretisch exakter ist folgende Formulierung: Wenn die Empfindungen unserer Sinnesorgane, Sinnesbahnen und Sinneszentren (26) - die ν-Empfindungen - sich ändern, so ändern sich auch die Objektempfindungen. Diese Änderungen habe ich als "Rückwirkungen" bezeichnet. Wenn ich beispielsweise fühle oder im Spiegel sehe, daß ein Freund meinen rechten Augapfel nach links verschiebt, so ändern sich meine Objektempfindungen insofern, als z. B. eine vor mir stehende Stand doppelt gesehen wird. Ebenso bedingt jede Veränderung der Einwirkung der Objekte auf meine Sinnesorgane (27), z. B. das Vorhalten eines grünen Glases vor mein Auge, eine Veränderung vieler Empfindungen. Die älteren Erkenntnistheorien kannten in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten. Beherrscht von der Introjektion nahmen sie fast ausnahmslos an, daß die vom Objekt, dem Reiz, verursachten Erregungen, in das Gehirn gelangt, in diesem oder auch noch jenseits desselben die Empfindungen auslösten; damit wird es natürlich überflüssig von Rückwirkungen zu sprechen. AVENARIUS und SCHUPPE haben nachgewiesen, daß die Introjektionslehre [Lokalisierung der Empfindungen im Gehirn - wp] unzulässig ist. Unabhängig von beiden bin ich zu demselben Ergebnis gekommen. Sowohl AVENARIUS wie auch SCHUPPE haben jedoch versäumt, der oben erwähnten sinnesphysiologischen Tatsache, deren Bedeutung nunmehr gerade durch die Verwerfung der Introjektion rätselhaft scheint und für die Erkenntnistheorie entscheidend ist, genügend Rücksicht zu tragen. Wir fragen, wenn wir die Empfindungen nicht mehr in das Gehirn, sondern an den Ort der sogenannten Objekte verlegen, billigerweise: wie kommt es, daß die Empfindungen ihrer Beschaffenheit nach allenthalben von einem Gehirnzustand, von der Möglichkeit und von der Art und Weise der Einwirkung auf das Gehirn abhängig sind? Im Santoninrausch erscheinen helle Flächen grüngeblich, bei geschlossenen Augen verschwinden die Gesichtsempfindungen, bei einem Aufsetzen einer blauen Brille werden alle Gesichtsempfindungen bläulich usw. Wie erklären sich diese eigentümlichen "Rückwirkungen" unseres Gehirns? Wie kommen gar Halluzinationen zustande, welche wie die normalen Empfindungen an einem bestimmten Ort auftreten und offenbar oft ausschließlich auf krankhaften Prozessen unseres Gehirns beruhen? SCHUPPE hat in seinem Hauptwerk alle diese Fragen nur sehr flüchtig berührt (vgl. z. B. auch Seite 665f). Etwas mehr nähert er sich ihnen in seiner jüngsten im Jahre 1902 erschienenen Schrift "Der Zusammenhang von Leib und Seele" (28). Seite 44 spricht er ausdrücklich von der oben erwähnten Schwierigkeit. Er findet, daß dieselbe "kaum geringer wird, wenn das Gehirn als Empfänger der Einwirkung und Ausüber der Gegenwirkung, welche das Sehen ist, gedacht werden soll"; er will das jedoch nicht als wissenschaftliche Erklärung gelten lassen, sondern "viel lieber bekennen, den eigentlichen Hergang der Sache nicht zu kennen". Nur "einige Hilfe" glaubt SCHUPPE von seinem Standpunkt gewähren zu können. Er setzt zunächst auseinander, daß
Damit hängt noch eine andere Schwierigkeit zusammen, welche auch SCHUPPE nicht entgangen ist. Wenn wir auf die Introjektion verzichten und als das Wirkliche die Summe der Empfindungen betrachten, so erhebt sich die Frage: was wird aus dem Baum, wenn ich ihm den Rücken zukehre und - wie wir etwa noch hinzufügen können - auch kein anderes lebendes Wesen ihn gerade sieht? SCHUPPE meint, daß
Aus dem soeben besprochenen Fehler in SCHUPPEs Erkenntnistheorie erklärt sich meines Erachtens auch die Neigung SCHUPPEs, die sekundären Qualitäten LOCKEs nicht zum Subjektiven, sondern zum "objektiv Wirklichen" zu rechnen (36). Der Raum ist für SCHUPPE mit Qualitäten erfüllt (Seite 446 und vielfach öfter). Die Abhängigkeit der Farbe von der Lagerung und Bewegung der Atome soll für die erkenntnistheoretische Logik nicht in Betracht kommen. Alle diese Widersprüche mit den physikalischen Tatsachen fallen bei meiner Deutung weg. Bei meiner "Reduktion" fällt nicht nur das weg, was ein individuelles Subjekt vom anderen unterscheidet, sondern all das, was wir als spezifische Energien bezeichnen. Kausalitätsprinzip Darin, daß ein *Ding-ansich ein Unding, d. h. ein ganz inhaltsloser und noch dazu durch einen falschen Schluß gebildeter Begriff ist, stimme ich mit SCHUPPE völlig überein. Speziell lassen seine Ausführungen im "Grundriß" (Seite 10f) in dieser Richtung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ich habe daher hier nur wenig anzumerken. Zunächst bezüglich der Anwendung des sogenannten Kausalitätsprinzips auf die Erscheinungen (Empfindungen) zum Zweck der Konstruktion eines Ding-ansich. Bekanntlich hat man KANT schon sehr bald vorgeworfen, daß er bei der Annahme eines Dings-ansich vom Kausalitätsbegriff einen unerlaubten transzendenten Gebrauch gemacht hat. Viel wesentlicher scheint mir die fehlerhafte doppelte Anwendung (37) des Kausalitätsprinzips, welche bei dieser Konstruktion des *Dings-ansich unvermeidlich unterläuft. Für einen Erscheinungskomplex b postulieren wir erstens einen ihn verursachenden Erscheinungskomplex a innerhalb einer Erscheinungsreihe und zweitens ein ihm zugrunde liegendes, d. h., wenn wir das Kausalitätsprinzip zum Beweis des Dings-ansich gebrauchen, auch wieder ihn verursachendes "Ding ansich" außerhalb der Erscheinungsreihe. Die Allgemeingültigkeit des Kausalgesetzes ist nur innerhalb der Erscheinungsreihe nachgewiesen; damit verbietet sich geradezu eine zweite Anwendung auf irgendein anderes Gebiet hin. Daß ich endlich dem Kausalitätsgesetz nicht die Apriorität zugestehen kann, welche SCHUPPE ihm namentlich im "menschlichen Denken" (Seite 130f) vindiziert, bedarf nicht der Hervorhebung. Ich hoffe auf diese Frage demnächst bei einer Auseinandersetzung mit erkenntnistheoretischen Anschauungen MACHs ausführlich zurückzukommen. Schuldig bleibt uns SCHUPPE eine erkenntnistheoretische Untersuchung der Umformungsmethoden, welche die Naturwissenschaft an den Erscheinungen ausführt. Darin erblicke ich die Bedeutung meiner Reduktionsvorstellungen bzw. Reduktionsbestandteile. Daß sie im Sinne der naturwissenschaftlichen Beobachtungstatsachen (nicht im Sinne vieler naturwissenschaftlicher Hypothesen über Materie etc.) anstelle des Dings ansich treten. AVENARIUS hat das Problem, welches in der Tatsache liegt, daß der eine "Umgebungsbestandteil" (z. B. ein bestimmter Baum) seiner Terminologie bei mir und zahlreichen Mitmenschen ebensoviele Empfindungen hervorruft, fast ganz übersehen. Mit der Verwerfung der Introjektion taucht auch dieses Problem auf. Wenn die Empfindungen nicht "in unserer Hirnrinde sind", sondern, wie AVENARIUS, SCHUPPE und ich gemeinschaftlich annehmen, nur da sind, wo sie im Raum von uns gesehen, gehört, gefühlt werden usw., so erhebt sich doch die Frage: wie verhält sich meine Empfindung eines bestimmten Baums zur Empfindung, welche mein Mitmensch M an derselben Stelle von demselben Baum hat? Um so dringlicher wird diese Frage, als unsere beiden Empfindungen je nach unserem Standort nicht vollständig übereinstimmen. SCHUPPE hat zuerst einen wesentlichen Teil dieser Frage gelöst, und hierin erblicke ich - nächst der Beseitigung der Introjektion - seine zweite große erkenntnistheoretische Entdeckung. Schon in der "erkenntnistheoretischen Logik" (Seite 77f) spricht er den Satz aus, daß "ein Teil des Bewußtseinsinhalts den Ich - seiner und ihrer Natur nach - gemeinsam ist" (vgl. auch Seite 658 und 696f). Klarer noch ist die Darstellung im "Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik". Ich kann mir nicht versagen, die Hauptstelle hier wörtlich anzuführen (Seite 30):
In den weiteren Schlüssen und in den folgenden Entwicklungen gehen allerdings unsere Meinungen wieder weit auseinander. SCHUPPE meint,
So wird es auch verständlich, daß SCHUPPE die Grenze zwischen dem gemeinsamen Substrat und den individuellen Zugaben ganz anders zieht als ich. Wenn ich SCHUPPE recht verstehe, ist er geneigt, dem ersteren die sekundären Qualitäten LOCKEs, Farbe etc. nicht völlig abzusprechen, während sie nach meiner Anschauung als solche ganz den "Rückwirkungen" zufallen (siehe oben). Auch die Auffassung der anderen "Ichs" gestaltet sich bei SCHUPPE - vielleicht auch im Zusammenhang mit der soeben besprochenen Differenz, namentlich aber im Zusammenhang mit der verschiedenen Auffassung des eigenen Ich - abweichend SCHUPPE betont: die Existenz anderer Ichs ist zwar erschlossen, aber doch ebenso unzweifelhaft wie z. B. gewisse Aussagen über die Sterne oder das Erdinnere, welche ebenfalls nicht auf tatsächlicher Wahrnehmung beruhen (Seite 77). Ein Transcensus scheint ihm mit diesem Schluß auf andere Ichs nicht verbunden (vgl. auch Seite 699). Da ich schon die Annahme des eigenen Ichs, wenn sie etwas anderes bedeuten soll als die Annahme eines an mein Gehirn gebundenen Komplexes von Rückwirkungen, als eine unzulässige Transzendenz erwiesen zu haben glaube, so gilt dies natürlich auch von einem Analogieschluß auf andere solche transzendente Ichs. Nach meiner Auffassung (Psychophysiologische Erkenntnistheorie, Seite 38) handelt es sich sowohl bei eigenen Ich wie bei den fremden Ichs um Komplexe individueller Rückwirkungen (ebd. Seite 40) oder, was auf dasselbe hinausläuft, die Summe der "Rückwirkungen" der einzelnen Gehirne (streng genommen der Reduktionsbestandteile derselben). Eine spätere Auseinandersetzung mit der Erkenntnistheorie von SCHUBERT-SOLDERN wird mir Gelegenheit geben, die Differenz zwischen dieser Anschauung und den verschiedenen Formen des Solipsismus noch näher zu erörtern. Es ist eines der größten Verdienste SCHUPPEs, die eigenartige Stellung der von ihm sogenannten Reflexionsprädikate aufgedeckt und namentlich auch auf ihre erkenntnistheoretische Bedeutung hingewiesen zu haben. Bei diesen Reflexionsprädikaten soll es sich um eine Prädikation handeln, "welche das Prädikat einem anderen der drei von SCHUPPE abgegrenzten Gebiete entnimmt, als dem das Subjekt angehört" (Seite 155). Das als Objekt fungierende Ding, auf welches sich die inneren Zustände und Tätigkeiten der Seele beziehen, kann auch zum Subjekt gemacht und von ihm ausgesagt werden, was die Tätigkeit der Seele an ihm getan hat, z. B. daß es gesehen, gedacht, geliebt, gewollt wird usw., daß es existiert usw. Weitere Ergänzungen zu dieser Lehre von den Reflexionsprädikaten finden sich im Hauptwerk namentlich Seite 269, 276, 428, 456, 506, 522f, 564 und schließlich widmet ihnen SCHUPPE eine besonderes Kapitel Seite 622f. Das erkenntnistheoretische Interesse an diesen Reflexionsprädikaten liegt klar zutage; beziehen sich doch alle die hierhergehörigen Urteile direkt oder indirekt gerade auf dasjenige Verhältnis, welches für die Erkenntnistheorie ein Hauptproblem ist, auf die Beziehung zwischen "Ich" und *Objekt. So sehr ich nun das Verdienst SCHUPPEs anerkenne bezüglich der Hervorhebung dieser "Reflexionsprädikate", so kann ich doch seiner Auffassung derselben in manchen Punkten nicht beipflichten. Vor allem glaube ich nicht, daß SCHUPPEs Reflexionsprädikate, sofern man von der logischen Form absieht und ihren psychologischen Inhalt berücksichtigt, getrennt werden können von den Prädikationen über das Ich. SCHUPPE sagt, daß das Ich in seiner besonderen Form der Prädikation sich selbst zum Objekt macht und von sich Bestimmungen aussagt, die so in ihm als Teil oder Bestandteil erkannt werden können, wie in den Objekten ihre Eigenschaften (Seite 154), und unterscheidet davon noch Prädikationen, in welchen die Denkarbeit als solche zum Gegenstand des Bewußtseins gemacht wird (Seite 155). Ich kann nun zwischen diesen beiden Prädikationen und den Reflexionsprädikaten keinen inhaltlichen Unterschied finden. Inhaltlich kommt es doch auf dasselbe hinaus, ob ich sage: "ich sehe eine Rose" und "ich denke eine Rose" oder ob ich sage: "eine Rose wird von mir gesehen" und "eine Rose wird von mir gedacht". Auch in den Prädikationen über mein Ich muß ich ein Objekt, ein spezielles oder im Allgemeinen ein Objekt, hinzudenken; Prädikat und Subjekt liegen schließlich also doch auch auf verschiedenen "Gebieten". Bei den Prädikationen über mein Ich in der Aktivform ("ich sehe die Rose") wird diese Tatsache nur dann verschleiert, wenn es sich um allgemeine Prädikationen handelt ("ich sehe" ohne spezielles Objekt). Dann könnte man glauben, daß das Sehen noch auf dem Gebiet des Ichs liegt und daß sich demnach die ganze Prädikation auf einem einzigen "Gebiet" im Sinne SCHUPPEs abspielt. Eine nähere Überlegung ergibt jedoch sofort, daß auch hier das Objekt nicht verschwunden, sondern nur verallgemeinert bzw. unbestimmt gelassen ist (40). Ein *Sehen ohne Sehobjekt ist ein Unding. Gerade, wer wie SCHUPPE mit Recht die Introjektion und Projektion verwirft, darf nicht zwei Gebiete (41) unterscheiden und nun das Sehen, Denken, Wollen etc. als Verbindungsstraße zwischen beiden behandeln. Auch als Abstraktion ist das nicht zulässig. Auch wenn SCHUPPE etwa die Ich-Prädikationen auf Willens-, Gefühls- (42) und Denkprozesse sensu stricto [im engeren Sinne - wp] einschränken wollte, würde ich eine Trennung dieser Ich-Prädikationen im engeren Sinn von den "Reflexions-Prädikatioinen" nicht für zulässig halten. Auch bei den Ich-Prädikationen sensu stricto ist das Hinzudenken eines speziellen oder allgemeinen Objekts unerläßlich. Meines Erachtens fallen also die Reflexionsprädikationen SCHUPPEs, soweit sie überhaupt eine besondere Stellung beanspruchen, mit den Ich-Prädikationen zusammen. Beide gemeinschaftlich verdienen jedoch in der Tat psychologisch und erkenntnistheoretisch die größte Beachtung. Es frägt sich nämlich, ob wir nun wirklich mit diesen Reflexionsprädikaten im weiteren Sinn - unter diesem Namen möchte ich SCHUPPEs Reflexionsprädikate sensu stricto und die Ich-Prädikate zusammenfassen - neue Inhalte denken oder ob es sich um bequeme verallgemeinernde Zusammenfassungen häufig vorkommender psychologischer Situationen ("Sehen" etc.) durch die *Sprache handelt. Ich entscheide mich durchaus für die letztere Alternative und verweise auf die Beweisführung in meiner "physiologischen Psychologie" (sechste Auflage, Seite 148). Ich will hier nur hinzufügen, daß z. B. auch SIGWART (43) die Schwierigkeit dieser Reflexionsprädikate im weiteren Sinn nicht entgangen ist und daß er, um die Existenz solcher Reflexionspräparate zu retten, sich genötigt sieht, z. B. für alles Sehen
Im "Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik" findet sich Seite 164f eine eingehende Behandlung der Reflexionsprädikate. Wenn ich SCHUPPE recht verstehe, ist hier der Begriff des Reflexionsprädikats wesentlich modifiziert. Hier äußert SCHUPPE z. B.:
Man könnte im Hinblick auf die soeben hervorgehobene Verschiedenheit der Darstellung geradezu zweifeln, ob SCHUPPE vom Standpunkt des "Grundrisses" (1894) noch das Urteil: die Rose wird gesehen, uneingeschränkt als Reflexionsprädikation gelten lassen würde. In der "Erkenntnistheoretischen Logik" schien das Wesentliche der Reflexionsprädikationen die Aussage einer Tätigkeit der Seele zu sein, und als solche Seelentätigkeit schien z. B. auch die "einfach-räumliche Wahrnehmung" zu genügen. Im "Grundriß" scheint SCHUPPE die Aussage einer durch unsere Seelentätigkeit und zwar speziell durch logische Reflexion herausfindbaren mehr als räumlichen Beziehung für die Reflexionsprädikationen zu verlangen. Gerade, weil ich auch anderweitig gehört habe, daß die Lehre SCHUPPEs von den Reflexionsprädikaten, so wie sie vorliegt, unklar und widerspruchsvoll ist oder zumindest so erscheint, wollte ich diesen Zweifeln im Vorstehenden kurz Ausdruck geben. Ein näheres Eingehen wird sich erst dann empfehlen, wenn über die eigentliche Meinung SCHUPPEs kein Zweifel mehr besteht. Verschiedenheit. Die erste Verarbeitung des erkenntnistheoretischen Fundamentalbestandes. Oben wurde bereits in einem ablehenden Sinn die erkenntnistheoretische Bewertung der Allgemeinbegriffe bei SCHUPPE besprochen. Aber wenn man von dieser absieht, bleibt eine nicht unwesentliche Differenz zwischen SCHUPPEs und meiner Darstellung der ersten Verarbeitung des erkenntnistheoretischen Fundamentalbestandes, eine Differenz, welche wohl zum guten Teil mit der logischen Tendenz und Grundlage von SCHUPPEs Erkenntnistheorie zusammenhängt (44). Schon im "Menschlichen Denken" spricht SCHUPPE davon, daß durch die besondere Tat ("erste Bewegung") die "noch nicht zum Gedanken erhobene Nervenaffektion oder Empfindung erst in das Bewußtsein gehoben wird und zum "Gedanken" (45) wird. Mit ULRICI erblickt er in diesem Vorgang ein "Werk des Identitätsprinzips", aber - abweichend von ULRICI - nimmt er an, daß das Identitätsprinzip, welches später in allen unseren Urteilen wirksam ist, hier schon unbewußt, gewissermaßen "vorhistorisch" als wirksam vorausgesetzt werden muß.
Wenn ich recht sehen, ist SCHUPPE dieser Lehre auch in der "Erkenntnistheoretischen Logik" im Wesentlichen treu geblieben. Seite 145 heißt es:
Zunächst muß ich im geraden Gegensatz zu SCHUPPE behaupten, daß in erster Linie eine psychologische und psychophysiologische quaestio facti vorliegt. Wir haben einfach empirisch festzustellen: Was geschieht tatsächlich? Meine Antwort lautet so: Alle unsere Empfindungen sind als solche bewußt. Unbewußte Empfindungen sind erst durch ungenügend begründete Hypothesen eingeschmuggelt worden. Die Empfindung weckt durch Assoziation ein Erinnerungsbild einer gleichen oder mehr oder weniger ähnlichen Empfindung. Diesen Ähnlichkeitsassoziationen, welche man sich natürlich nicht als disparaten, d. h. springenden Prozeß, sondern ebenso wie den zugrunde liegenden materiellen Vorgang als kontinuierlich im Sinne einer "Verschmelzung" oder partiellen Koinzidenz vorzustellen hat, entspricht das Wiedererkennen im Sinn der sogenannten Bekanntheitsqualität. Nur zuweilen schließt sich daran weiter ein Wiedererkennungsurteil, d. h. das Urteil: dieser Gegenstand ist derselbe, den ich früher schon gesehen etc. habe. Woher weiß SCHUPPE, daß "eine noch nicht zum Gedanken erhobene Nervenaffektioin oder Empfindung" existiert? Und vor allem, was fügt SCHUPPEs "Auffassen des Eindrucks in seiner positiven Bestimmtheit", welches SCHUPPE vom Wiedererkennen trennen will, zur Empfindung hinzu? Die Empfindung ist doch als solche qualitativ bestimmt und positiv und bewußt. Was soll noch dieses Auffassen? Ich kann es mir nicht anders denken, als daß SCHUPPE hier durch den Einfluß (48) des kantischen Apprehensionsbegriffs und dieser oder jener Variante des Apperzeptionsbegriffs von der durch seine eigenen erkenntnistheoretischen Sätze gewiesenen Bahn abgedrängt worden ist. Der Begriff "dasselbe" und "der Begriff dieses Bestimmten" sind gewiß zu unterscheiden, aber nicht, wie SCHUPPE will, durch das Auffassen des Eindrucks in seiner positiven Bestimmtheit, sondern dadurch, daß der Begriff "dasselbe" ein Wiedererkennungsurteil (Wiedererkennen in Urteilsform) involviert, während der "Begriff dieses Bestimmten" nichts anderes ist als das von jeder Empfindung zurückbleibende Erinnerungsbild. Ich betrachte das "Auffassen" als einen durch nichts belegten, hypothetischen Akt, der, wie so viele andere hypothetische Seelentätigkeiten, nichts erklärt und nichts zu erklären hat. Damit ist auch das Identitätsprinzip der etwas mystischen Rolle entkleidet, welche es nach SCHUPPE bei allen Bewußtseinsvorgängen spielen soll. Bei der bewußten Empfindung als solcher hat es überhaupt nichts zu tun und ist vielmehr nichts anderes als eine der wichtigsten Beziehungsvorstellungen, welche nicht nur beim Wiedererkennen, sondern auch beim Aufbau unserer zusammengesetzten Vorstellungen und unserer Urteile als Hauptfaktor wirksam ist und die Verarbeitung des erkenntnistheoretischen Fundamentalbestandes zusammen mit der Kausalitätsvorstellung und der von mir hinzugefügten Rückwirkungsvorstellung vollständig beherrscht. Insofern habe ich sie als Kategorialvorstellung bezeichnet. Man darf jedoch nicht vergessen, daß der Name Identitätsprinzip sehr unglücklich gewählt ist. Es handelt sich erstens nicht um ein Prinzip, sondern um eine Beziehungsvorstellung, und zweitens ist die Identität ein relativ seltener Spezialfall. Verschiedenheit und Ähnlichkeit, Veränderung und Ähnlichbleiben sind die Hauptfälle, welche das Prinzip umfaßt (vgl. auch meine Erkenntnistheorie, Seite 7f). Dabei verkenne ich durchaus nicht, daß das Wiedererkennen selbst erkenntnistheoretisch noch große Schwierigkeiten darbietet. Die Beziehung des Erinnerungsbildes auf die Grundempfindung und die Identifikation beider im Wiedererkennen bleibt ein Problem, zu dessen Lösung ich nur auf die tatsächliche Übereinstimmung der an die Grundempfindung und der an das Erinnerungsbild assoziierten Vorstellungen hinweisen kann; aber das Problem wird durch SCHUPPEs Hypothese der Lösung keinen Schritt näher geführt. Schließlich kann ich nicht umhin zu betonen, daß SCHUPPE zu seiner hypothetischen Zerlegung der Empfindung in ein Objekt und in ein Ergreifen des Objekts, jedenfalls auch durch seine früher bereits besprochene und von mir bekämpfte Ich-Hypothese gedrängt worden ist. Nachdem er ein Ich als Urtatsache aufgestellt hatte, muß natürlich dieses Ich die Empfindung erst "ergreifen" (Seite 145). Es scheint mir auch gar nichts zu helfen, daß SCHUPPE ausdrücklich selbst erklärt, daß
![]() Selbstverständlich habe ich mit diesen Auseinandersetzungen die Lehren SCHUPPEs nicht erschöpft. Eine erschöpfende Darstellung war auch in keiner Weise mein Zweck, ich beabsichtigte vielmehr nur einen Vergleich einiger Hauptpunkt der Erkenntnistheorie SCHUPPEs und der meinigen zu versuchen und die meinige gegenüber der SCHUPPEs zu verteidigen und in einzelnen Punkten weiter zu entwickeln. Die Erkenntnistheorie SCHUPPEs hat nach meiner Überzeugung noch nicht die verdiente Beachtung gefunden. Ich halte sie für eine der bedeutendsten des vergangenen Jahrhunderts. Auch die Begründung dieser Ansicht ist ein Zweck der vorausgegangenen Erörterungen gewesen. ![]()
25) Unter Beschaffenheit will ich hier Qualität, räumliche und zeitliche Anordnung, Form und Ausdehnung kurz zusammenfassen. 26) Genitivus objectivus! 27) Die exaktere erkenntnistheoretische Formulierung ergibt sich auch hier ohne weiteres. 28) Dieselbe ist mir erst zur Kenntnis gekommen, als dieses Manuskript bereits im Wesentlichen abgeschlossen war. Sie erschien mir jedoch wichtig genug, um einzelne Erörterungen über die in ihr niedergelegten Erörterungen nachträglich in das Manuskript einzuschieben. 29) Damit hängt auch die Lehre SCHUPPEs zusammen, daß das konkrete Ich "das sich als seinen Leib wissende Ich" ist. Vgl. auch "Natürliche Weltansicht", a. a. O., Seite 10: "unmittelbar findet sich das Ich ein Stück Raum erfüllend". SCHUPPE übersieht hier die Rolle der Organ- und Bewegungsempfindungen. 30) Die Unterschiede beider Gesetzlichkeiten habe ich hier nicht nochmals auseinanderzusetzen. Ich hebe nur nochmals hervor, daß die Zeit als unabhängige Variable nur bei der Kausalgesetzlichkeit eine Rolle spielt; nur die Kausalvorgänge laufen in der Zeit ab, mit der bestimmten Rindenerregung ist hingegen gleichzeitig die parallele psychische Qualität im Sinne der Rückwirkungen gegeben. Von den "Wirkungen" im gewöhnlichen Sinn ist also bei letzteren nicht die Rede. 31) "Grundriß", a. a. O., Seite 30. Die Sperrung in den letzten Worten habe ich hinzugefügt. 32) Beiläufig gesagt, erinnern dieselben an die Upâdhis der Vedântalehre. 33) Mit dem Wort bewußt kann man entweder einfach alle tatsächlich gegebenen psychischen Prozesse bezeichnen und dies ist der übliche Sprachgebrauch, oder man kann als bewußt diejenigen psychischen Prozesse bezeichnen, deren Ablauf ausdrücklich und tatsächlich mit der Vorstellung der Beziehung auf mein Ich verbunden ist. Vom letzteren Sinn des Wortes, welcher besser durch die Bezeichnung "selbstbewußt" oder "ichbewußt" wiedergegeben wird, sehe ich hier wie auch in meinen früheren Schriften ganz ab. Die Reduktionsbestandteile sind schlechthin psychisch oder bewußt (im ersten Sinn) oder, wenn man die Eliminierung der individuellen Rückwirkungen besonders betonen will, "allgemeinbewußt. Letzteres bedeutet also nicht etwa: "im Bewußtsein eines allgemeinen Ichs oder eines allgemeinen Selbstbewußtseins gegeben", sondern bedeutet eben nur schlechthin, daß die individuellen Parallelrückwirkungen eliminiert sind. 34) Ich sage geflissentlich "zur Vorstellung einer Existenz" und nicht "zu einer Existenz" und bitte dies meinem skeptischen Standpunkt (Psychophysische Erkenntnistheorie, Seite 97) zugute zu halten. 35) Vgl. meine Erkenntnistheorie Seite 33, 35 usw. 36) Vgl. z. B. "Grundriß", Seite 33. Siehe auch "Normen des Denkens", a. a. O., Seite 394. 37) Ich wage nicht, bestimmt zu entscheiden, ob SCHUPPE im "Menschlichen Denken" Seite 9 auch an diese doppelte Anwendung gedacht und sie schon damals verworfen hat. 38) SCHUPPE gebraucht meist den Plural "die Iche", wie man ihn z. B. bei FICHTE findet. Dem jetzt herrschenden Sprachgebrauch, welcher übrigens auch früher überwog, scheint mir die Form "die Ichs" mehr zu entsprechen. 39) Man täte wohl besser in der Logik die Allgemeinbegriffe eines Gemeinsamen, welches in den Individuen numerisch ein und dasselbe ist, als Substratbegriffe besonders abzuscheiden. 40) In der Tat kann ich auch sehr gut die entsprechenden allgemeinen Reflexionsprädikate bilden: "etwas wird gesehen" oder "es wird gesehen". 41) Daher halte ich auch den von SCHUPPE vielfach gebrauchten Vergleich (Ich-Mittelpunkt und Peripherie der Objekte) nicht für zweckmäßig. 42) vgl. Seite 526 und 623f. 43) SIGWART, Logik, zweite Auflage, Bd. 2, Seite 189f, 1893. 44) Auch der Einfluß ULRICI dürfte beteiligt sein. (vgl. "Das menschliche Denken", a. a. O., Seite 46) 45) Dabei ist zu beachten, daß SCHUPPE stets geneigt ist, das Wort "Denken" im Sinne von "im Bewußtsein haben" zu gebrauchen. Das Bewußtsein ist ihm stets lebendige Tätigkeit, während ich es nur als eine allgemeine Eigenschaft der psychischen Prozesse kenne (vgl. z. B. auch "Natürliche Weltansicht", Seite 9f. 46) Das menschliche Denken, Seite 49 47) Demgegenüber bitte ich zu bedenken, daß uns diese "Hirnaffektionen" doch auch nur als bewußte Empfindungen gegeben sind. 48) vgl. auch "Erkenntnistheoretische Logik", Seite 36, Anm. 1 |