tb-1ErdmannGarveSternHamannHerderGarve/FederKant    
 
BENNO ERDMANN
Einleitung zu
Immanuel Kants Prolegomena

[2/2]

"Das Wahrnehmungsurteil ist nach Kants Definition ein solches, das lediglich eine Beziehung der Wahrnehmung auf das empirische Subjekt, und zwar nur auf seinen augenblicklichen Zustand enthält. Es besteht ... aus folgenden Stücken: 1) der bloß den Sinnen angehörenden Wahrnehmung, d. h. den mannigfaltigen Empfindungen und den apriorischen Formen des Raumes und der Zeit; 2) der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen durch Vergleichung des Mannigfaltigen, so wie es in der sinnlichen Anschauung gegeben ist. ... Ein Erfahrungsurteil dagegen ist ein solches, das eine Erkenntnis des Objekts durch die allgemeine und notwendige Verknüpfung der gegebenen Wahrnehmung enthält. Da alle unsere Urteile zuerst bloße Wahrnehmungsurteile sind, so reduziert sich das Problem der Deduktion auf die Frage: Wie ist das Erfahrungsurteil selbst möglich, d. h. welche Bedingung muß zum ursprünglichen Wahrnehmungsurteil hinzutreten, damit die Verknüpfung desselben notwendig und allgemeingültig wird?"

Aus dem vorstehenden Abriß der Entwicklungsgeschichte KANTs in der Zeit von 1780 - 1782 folgt, was bisher ganz unbekannt geblieben ist, daß die Prolegomenen aus zwei ihrem Ursprung und ihrer Tendenz nach sehr verschiedenartigen Bestandteilen zusammengesetzt sind. Eine Trennung derselben ist daher die erste Erfordernis einer richtigen Würdigung des Verhältnisses dieser Schrift zur ersten Auflage der Kr. d. r. V. (1) In der Tat sind nicht wenige Irrtümer daraus entsprungen, daß man eine solche Trennung nicht zu vollziehen wußte.

Glücklicherweise sind hinreichende äußere und innere Gründe vorhanden, dieselbe überall, wo sie förderlich ist, möglich zu machen.

Die sachlichen Gesichtspunkte, denen wir dabei zu folgen haben, werden uns durch den Ursprung der Schrift selbst angezeigt. Den späteren Zusätzen gehören zunächst zweifellos diejenigen Erörterungen an, welche sich unmittelbar auf die Göttinger Rezension beziehen, also der ganze "Anhang von dem, was geschehen kann, um Metaphysik als Wissenschaft wirklich zu machen" (200-222), sowie die Anmerkungen II und III zur ersten Hauptfrage "Wie ist reine Mathematik möglich?" (62-71). Daß auch diese letzteren Abschnitte hierher zu rechnen sind, obgleich die Rezension in ihnen nicht namentlich erwähnt wird, bedarf wohl keiner näheren Begründung. Der Anhang enthält die Polemik, welche gegen den Rezensenten gewendet ist, diese geben den Widerspruch, der aus der Sache selbst folgt. Auch das kann nicht befremden, daß KANT hier einen Einwand in die Erörterung hineinzieht, der vom Rezensenten nicht erhoben wurde. Die Behauptung, daß seine Lehre von Raum und Zeit die ganze Sinnenwelt in lauter Schein verwandelt, gehört zu denen, die KANT sicher zuerst und von den verschiedensten Seiten zu hören bekam. Ebenso direkt wie diese Abschnitte bezieht sich der "Anhang zur reinen Naturwissenschaft von dem System der Kategorien" (§ 39,. Seite 117-124) auf die Rezension. Er enthält die sachliche Widerlegung jener Äußerung FEDERs, daß die Kategorien die gemein bekannten Grundsätze der Logik und Ontologie seien, während die bezügliche persönliche Polemik auch hier dem Anhang zugefallen ist (Seite 209, Anm.). Dasselbe gilt von den kurzen Anmerkungen zu § 46 und § 48, da diese sich gegen die irrtümlichen Auffassungen wenden, die KANT in der Göttinger Rezension betreffs seiner Kritik der rationalen Psychologie teils direkt vorfand, teils aus dem Zusammenhang der Aburteilung daselbst erschließen mußte. Der Grundsatz der Beharrlichkeit erscheint dort, wie wir noch sehen werden, nicht in der Beleuchtung, die er bei KANT hat; der Begriff des Ich aber ist durch die idealistische Interpretation mittelbar ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Auch eine kurze Bemerkung endlich in § 49 (Seite 141), die eine erst durch die Polemik in Anmerkung III verständliche terminologische Änderung enthält, ist hierher zu zählen.

Die bisher besprochenen Zusätze beziehen sich auf die Urteile, welche die Rezension irrigerweise gegeben hatte. Neben ihnen finden sich nun Erörterungen solcher Punkte, welche die Rezension irrigerweise nicht berührt hatte. Zu ihnen gehört zunächst die Anmerkung I zur ersten Hauptfrage (Seit 59-62), welche die Bedeutung der transzendentalen Ästhetik für die Theorie der Mathematik heraushebt. Durch die geflissentliche Betonung KANTs, daß nur durch seine Lehre von Raum und Zeit und
    "auf keine andere Art der Geometer wider alle Schikanen einer seichten Metaphysik wegen der ungezweifelten Realität seiner Sätze gesichert werden könne, so befremdend sie auch dieser, weil sie nicht bis zu den Quellen ihrer Begriffe zurückgeht, scheinen müssen" (Seite 62, man vgl. 68),
bildet sie gleichsam das positive Korrelat zu den negativen Erörterungen der beiden folgenden Anmerkungen. Vor allem aber sind hier alle diejenigen Ausführungen zu nennen, welche gegenüber dem Stillschweigen der Rezension und dem irrtümlichen Urteil HAMANNs die Bedeutung der Deduktion der Kategorien für das Lehrgebäude der Kr. d. r. V., sowie ihr Verhältnis zu der gleichartigen Fragestellung HUMEs darlegen. Es sind dies
    1) die Einleitung zur ganzen Schrift (Seite 3-22)

    2) die Ausführungen eines Absatzes in § 4 (Seite 34-36), welche die Erörterungen der Einleitung an einem wesentlichen Punkt ergänzen;

    3) die Vergleichung des Resultats der Deduktion mit den Lehren Humes in § 27-31 (Seite 97-104);

    4) die zum Teil auf Hume bezüglichen Absätze in § 5 (Seite 43-44).
Alle vier künden sich schon äußerlich als zusammengehörige spätere Einschiebungen an. Bei der ersten und dritten ergibt sich das von selbst. Hinsichtlich der zweiten sei bemerkt, daß dieselbe vielmehr einen Zusatz zum vorhergehenden, als einen Übergang zum folgenden Absatz abgibt, so daß der letztere, wenn man nur den Anfangsworten ein durch die Einschiebung unmöglich gemachtes "ebenfalls" hinzusetzt, die unmittelbare Fortsetzung des ersteren bildet. Auch der Anfangssatz der Einschiebung verrät dem aufmerksamen Leser den späteren Ursprung. Noch offenbarer ist dies bei der an vierter Stelle genannten Ausführung, so daß hier der Hinweis auf den evidenten Zusammenhang der beiden einschließenden Absätze genügt, der durch die Einfügung geradezu unterbrochen wird. Die eigentlich beweiskräftigen sachlichen Gründe bedürfen in keinem Fall einer näheren Erörterung, so deutlich kennzeichnen sich alle diese Ausführungen als spätere Zusätze. Nur hinsichtlich der letztgenannten sei noch angeführt, daß für die Erkenntnis ihres Ursprungs nicht bloß die Berufung auf HUME maßgebend ist, die ohne die stillschweigende Beziehung auf die übrigen Diskussionen von HUMEs Standpunkt nicht verständlich sein würde, sondern auch die etwas großsprecherische Betonung, die KANT der Schwierigkeit seines Unternehmens angedeihen läßt; dieselbe wendet sich direkt gegen die Rezension.

Neben diesen unmittelbar gegen die ersten kritischen Erinnerungen gerichteten Ausführungen finden sich drittens solche, deren mittelbare Beziehung auf dieselben ihren Charakter als spätere Zusätze sichert. Hierher gehört zunächst eine genetische Erläuterung der Eigenartigkeit des Systems, wie solche sich auch in den eben besprochenen Zusätzen besonders hinsichtlich des Ursprungs der Kategorienlehre und der transzendentalen Deduktion finden. Es ist dies die Anmerkung zur allgemeinen Einteilung der Urteile in analytische und synthetische (§ 3, Seite 30-32). Daß dieselbe aus der Absicht KANTs entsprungen ist, ähnlichen historischen Subsumtionen seiner Trennung der Urteile vorzubeugen, wie sie über seine Kategorientafel und anderes ergangen waren, geht besonders daraus hervor, daß er alle diejenigen Namen nennt, an die einer jener Gelehrten, "denen die Geschichte der Philosophie selbst ihre Philosophie ist", irgendwie denken konnte. Wenn er über den tatsächlichen Ursprung dieser folgenschweren Unterscheidung sich hier ausnahmsweise nicht ausspricht, so geschieht dies nur, weil er damit, wollte er nicht unverhältnismäßig ausführlich werden, doch nur denen hätte verständlich werden können, die seine vorkritischen Schriften genau kannten. Der Zusammenhang derselben mit dem Inhalt des "Versuchs, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen" liegen nicht unmittelbar vor Augen. -

Wenn alle genetischen Erklärungen als solche den späteren Zusätzen beigerechnet werden müßten, so würden auch die beiden ersten Absätze von § 43 (Seite 128-129) hierher gehören. Dieselben sind jedoch rein erläuternder Natur. KANT wußte, daß die Zurückführung der Ideen auf die Schlußformen "ein Gedanke ist, der beim ersten Anblick äußerst paradox zu sein scheint" (Kr. d. r. V. A 393); er nahm deshalb hier Gelegenheit, den Ursprung derselben aus der Kategorienlehre anzugeben, der in Wirklichkeit am besten geeignet ist, die Motive dieser eigenartigen Systematisierung bloßzulegen. Er hatte später keinen Anlaß, diese Stelle zu ändern, weil ein solcher Hinweis genügt, alle törichten Beziehungen, etwa auf PLATO, von vornherein unmöglich zu machen (2). -

Jene genetische Erläuterung ist jedoch nicht die einzige, die hierher zu rubrizieren ist. Auch der Abschnitt: "Auflösung der allgemeinen Frage der Prolegomenen: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" ist erst nach dem Erscheinen der Rezension geschrieben. Es geht dies nicht allein aus dem Zusammenhang der Darstellung desselben mit dem Anhang hervor, sondern überdies sowohl aus der darin enthaltenen Polemik gegen den Dogmatismus überhaupt, als auch aus der Abweisung der Berufung auf den gesunden Menschenverstand bei Prüfung der Kritik; die erstere zeigt in ihrem Ton, die letztere schon in ihrer Richtung, die besonders nach Göttingen zielt, den Einfluß der Beurteilung, die KANTs Selbstgefühl nicht wenig herausfordern mußte. Denselben Ursprung verraten endlich die Ausführungen des "Beschlusses von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft" (§ 57-60, Seite 163-168). Ihrem allgemeinen Inhalt nach zwar, der (abgesehen von dem unzweifelhaft spätere § 60) durch eine kritische Auseinandersetzung von KANTs transzendentaler Theologie mit HUMEs "Dialogen über natürliche Religion" gebildet wird, weisen sie, wie wir gesehen haben, auf die Zeit des Abschlusses der Kr. d. r. V. hin; und sehr wahrscheinlich ist, daß KANT von Anfang an den Vorsatz gehegt hat, sie seinem Auszug einzuverleiben; jedoch es sind Gründe genug vorhanden, welche darlegen, daß sie in ihrer vorliegenden Form erst späterhin zugesetzt sind. Einmal nämlich finden sich in ihnen auffallend häufige, sachlich nicht notwendige Anführungen desjenigen Arguments, durch welches KANT in den sicher späteren Erörterungen die Interpretation des Idealismus abzuweisen sucht (Seite 163-164, 169, 171), Anführungen, die in der ursprünglichen Bearbeitung nur an einer Stelle (Seite 105) vorhanden sind, wo der Zusammenhang sie unmittelbar fordert.

Andererseits nimmt die Besprechung des Ziels der metaphysischen Naturanlage (§ 60) eine Wendung, die sich durch die inzwischen eingetretene intensivere Beschäftigung KANTs mit den ethischen Problemen allein, wie wir noch sehen werden, nicht zureichend erklären läßt (man vgl. auch Seite 222). Sie bezieht sich vielmehr auf jene religiösen und ethischen Beanstandungen, die jedem neuen, eingreifend zersetzenden Gedanken entgegengehalten werden, gegen den die Wissenschaft einer Zeit keine anderen Waffen besitzt als seine Fremdartigkeit gegenüber den herrschenden Vorstellungsweisen.

Auch zwei Bemerkungen über die Methode der Prolegomenen können nicht dem ursprünglichen Auszug eigen gewesen sein, trotzdem sie auf den ersten Blick weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Beziehung zu einem der KANT bekannten Einwürfe verraten. Es sind dies
    1) die Absätze Seite 38-39 2) der größere Teil des Absatzes auf Seite 41.
Der erstere gibt seinen späteren Ursprung zunächst nicht durch die Titelangabe der Prolegomenen, sondern durch die Aufgabe, welche er denselben zuerteilt, zu erkennen. Daraus würde jedoch nur folgen, daß der zweite Teil desselben später umgearbeitet wurde, während der erste, der von der Methode der Kr. d. r. V. handelt, schon dem ursprünglichen Kontext angehört hat. Aber auch hier offenbart uns KANTs Sorglosigkeit hinsichtlich der äußeren Form den eigentümlichen Umstand, daß der unmittelbar vorhergehende und der unmittelbar folgende Absatz ohne diese Zwischenbemerkung in einem besseren Zusammenhang stehen als mit derselben. Denn das adversative [entgegensetzende - wp] Verhältnis der Anfangsperiode des unmittelbar folgenden Absatzes zum Schlußsatz des unmittelbar vorhergehenden ist ein direktes und scharfes; der Schlußsatz der Zwischenbemerkung gibt dagegen einen nur indirekten und verschwommenen Gegensatz. Ähnlich äußere Gründe sprechen gegen die zweite der angeführten Stellen, die eine sehr auffallende Wiederholung der unmittelbar vorhergehenden Ausführungen des Schlusses von § 8 enthält. Auch sie ist durch den Zusammenhang der einschließenden Erörterungen als Zusatz kenntlich (3). Neben diesen äußeren Gründen findet sich jedoch für beide ein und dasselbe sachliche Argument. Denn außer diesen beiden Hinweisen auf das methodologische Verfahren der Prolegomenen im Gegensatz zur Kritik enthalten auch die sicher den späteren Zusätzen angehörigen Ausführungen auf Seite 20 und Seite 44 solche Winke, während der ursprüngliche Text nur einmal, in einer zu jenen übrigen Hindeutungen charakteristisch beziehungslosen Weise diesen Umstand bespricht (Seite 46f). Diese auffällige Häufung der Hinweise auf einen so einfachen Gedanken setzt deshalb voraus, daß ganz besondere Gründe für KANT vorhanden gewesen sein müssen, diesen methodologischen Gegensatz später hervorzukehren.

Wenn sich daher solche Motive wirklich auffinden lassen, werden sie zugleich zeigen, daß auch die vorliegenden Stellen ihnen ihren Ursprung verdanken. Nun ist es in der Tat nicht schwer, diese Motive zu erkennen. Die Prolegomenen sollten nach KANTs noch näher zu besprechenden wunderlichen Absicht die Grundlage einer stückweisen Untersuchung seiner Kritik werden (Seite 217). Dieser Plan aber mußte es ihm wünschenswert machen, auf das Verhältnis von Voraussetzung, Argumentation und Folgerung in seinen Gedanken nicht bloß durch die sachliche Darstellung, sondern auch mit ausdrücklichen Worten hinzuweisen, damit die Augen der "unparteiischen Prüfer", von deren Sehkraft er keine erfreulichen Proben kennengelernt hatte, möglichst bestimmt auf die fraglichen Objekte hingerichtet werden. In diesem Sinn bemerkt er dann auch in der ersten der vorliegenden Ausführungen,
    "das methodische Verfahren der Prolegomenen, vornehmlich derer, die zu einer künftigen Metaphysik vorbereiten sollen, werde analytisch sein, da sie mehr anzeigen sollen, was man zu tun habe, um eine Wissenschaft wo möglich zur Wirklichkeit zu bringen, als sie selbst vortragen."
Eben diesem Plan einer stückweisen Prüfung der Prolegomenen verdankt auch die Anmerkung zu § 52 b (Seite 146) ihr Entstehen, deren unmittelbarer Zusammenhang mit den Bemerkungen auf Seite 214 ohne weiteres ersichtlich ist. Man vergleiche nur den Ton der Darstellung in § 52 b und § 54 mit dieser Anmerkung. Dort ist lediglich der sachliche, hier ein persönlicher Hinweis vorhanden.

Es bleiben hiernach nur wenige Stellen übrig, deren späterer Ursprung noch in Frage zu ziehen ist; es sind die Anmerkungen zu Seite 41, 89 und 107 der Schrift. Es ist nicht hinreichend bestimmbar, aber auch wenig bedeutsam, ob sie dem Auszug oder den Zusätzen beizurechnen sind. Wahrscheinlich ist jedoch auch hier der spätere Ursprung. Denn sie behandeln ohne Ausnahme terminologische Mißverständnisse, die kaum bei ganz flüchtiger Lektüre möglich sind. Gegen solche sich zu wehren, hatte KANT jedoch schwerlich eher Neigung, als bis er in drastischer Weise, wie durch die Rezension geschehen, auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden war.

Bedürfte es noch einer weiteren Bestätigung dieser doppelten Redakton der Prolegomenen, eine eingehendere Betrachtung des sachlichen Zusammenhangs der Abschnitte, welche nach Abzug der bisher charakterisierten Erörterungen übrig bleiben, würde dieselbe leicht an die Hand geben. So dürfen wir uns mit dem Hinweis begnügen, daß dieselben ein in sich geschlossenes Ganzes bilden, das in jedem seiner Teile auf entsprechende Ausführungen der Kr. d. r. V. hindeutet (4).

Nur zwei Ausnahmen finden statt. Die §§ 36-39 geben eine erläuternde Zusammenfassung der Analytik, die im Hauptwerk fehlt. Diese Erläuterung ist jedoch durch das Bedürfnis des ursprünglichen Auszugs bedingt, den Gedanken, daß der Verstand der Gesetzgeber der Natur ist, seiner scheinbaren Paradoxie zu entkleiden. Eine zweite Abweichung liegt darin, daß sowohl für den "Anhang zur transzendentalen Dialektik" als auch für die "Methodenlehre" in dem Auszug keine Korrelate enthalten sind. Dagegen gibt der Zusatz "Von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft Erörterungen, welche teils den eben genannten Abschnitten der Kritik korrespondieren, teils sich direkt auf dieselben beziehen (Seite 185). Dadurch aber bestätigt sich nur die schon oben ausgesprochene Vermutung, daß KANT mit der Niederschrift seines ursprünglichen Auszugs zur Zeit der Änderung seines Plans nicht weiter als bis zum § 56 der Prolegomenen gekommen war.

Nicht ganz ausgeschlossen ist übrigens, daß auch die §§ 54- 56 erst nach dem Erscheinen der Rezension niedergeschrieben sind. Sie weichen zwar weder in der Darstellung vom vorhergehenden Auszug aus der Dialektik noch im Inhalt von der Kr. d. r. V. ab, aber sie sind so auffallend knapp, daß für ihre Konzeption vielleicht der Wunsch, zwecks eingehenderer kritischer Würdigung der Einwürfe mit dem Auszug schnell fertig zu werden, maßgebend gewesen ist. Man könnte diese Annahme auch auf den Umstand stützen, daß KANT Anfang Januar 1782 nach HAMANNs Äußerung erst Ostern fertig zu werden gedachte. Denn hieraus ließe sich folgern, daß KANT ursprünglich beabsichtigt hatte, auch die theologischen Ideen eingehender darzustellen. Da direkte Hinweise fehlen (denn auch der Inhalt von § 54 enthält solche nicht), und diese indirekten Beziehungen nicht entscheidend sind (denn jene Äußerung HAMANNs läßt hundert andere Erklärungen zu), so ist diese Frage nicht sicher zu beantworten. Ich habe deshalb geglaubt, diese Paragraphen, weil sie keine Erörterungen enthalten, die den Charakter des Auszugs verleugnen, demselben auch einverleiben zu müssen (5).


Erst durch die vorstehenden Erörterungen sind wir in den Stand gesetzt, die Frage nach dem sachlichen Verhältnis der Prolegomenen zur ersten Auflage der Kritik zu beantworten. Es hat sich ergeben, daß diese Frage zwei verschiedenartige Aufgaben in sich birgt. Die inhaltlichen Beziehungen des ursprünglichen Auszugs können nicht dieselben sein, wie die der späteren Zusätze.

Über den Sinn dieser Doppelaufgabe kann kein Zweifel bestehen. Nur daran ist mir gelegen, zu konstatieren, ob der Inhalt sowie die Zusammenordnung der einzelnen Ergebnisse in der Kr. d. r. V. und in den Prolegomenen dieselben sind. Denn daß die einzelnen Argumentationen, welche zu dieser Gesamtauffassung hinführen, in der Schrift, die anderen Zwecken dienen soll als das Hauptwerk, nicht genau dieselben sein können wie die ursprünglichen, ist selbstverständlich und irrelevant. Nur dann wird auch hier die Differenz wichtig, wenn sie durch sachliche Änderungen bedingt ist. Zwei Probleme also sind es, die uns vorliegen. Es ist erstens möglich, daß zwar der Inhalt der einzelnen Theoreme derselbe geblieben ist, daß jedoch ihre Gruppierung eine Änderung erlitten hat, sofern etwa einzelne Ergebnisse für KANTs eigenes Bewußtsein (nicht bloß in der Darstellung) mehr in den Vordergrund getreten sind, als anfänglich der Sache nach der Fall war. Es ist ferner denkbar, daß nicht bloß eine Verschiebung der Anordnung, sondern auch eine Änderung des Inhalts einzelner Theoreme für KANT notwendig geworden ist.

Das methodologische Verhältnis der beiden Bestandteile der Prolegomenen zur Kr. d. r. V., das ich zuerst betrachten will, ist leicht zu bestimmen. Gewiß hat KANT keinen Augenblick daran gedacht, nichts weiter als eine verkürzte Darstellung seiner früheren Ausführungen zu geben, wie eine solche bald nach dem Erscheinen der Prolegomenen von seinem treuesten Schüler, dem Königsberger Hofprediger und Professor für Mathematik JOHANN SCHULZE in wenig beneidenswerter Selbstentäußerung geliefert wurde. Er wußte, daß er seinen Zweck nur erreichen kann, wenn er besonders für die grundlegenden Erörterungen eine andere, einfachere Art der Argumentation wählt. So kam er dazu, statt des mehr synthetischen Verfahrens seines Hauptwerkes seinen Erläuterungen die analytische Methode der Darstellung zugrunde zu legen. Die Voraussetzung seiner Untersuchung bildete demnach hier die Wirklichkeit synthetischer Urteile a priori; die Aufgabe derselben wurde es, den Grund ihrer Möglichkeit zu eruieren (Seite 46f). Für die eigentlich grundlegenden Abschnitte der Einleitung, der transzendentalen Ästhetik und der Deduktion der Kategorien, finden wird dann auch diese Methode streng befolgt. Jedoch nur für diese, denn die übrigen Ausführungen, die auch noch in anderer Hinsicht von den eben genannten verschieden sind, folgen lediglich dem synthetischen Gang der Kritik, offenbar, weil KANT diese Folgerungen auch ohnedem für verständlich genug gehalten hat.

KANT legte anfangs, wie wir gesehen haben, auf diesen methodologischen Gegensatz wenig Gewicht, denn er wußte, daß der synthetische Charakter in der Kritik nichts weniger als streng durchgeführt ist; hätte er doch sonst z. B. offenbar die Dialektik mit der transzendentalen Theologie beginnen und mit der transzendentalen Psychologie beenden müssen, und überdies in allen seinen Ausführungen die Tatsächlichkeit der synthetischen Erkenntnisse a priori nicht von vornherein als selbstverständlich aussprechen dürfen. Erst als der Plan zu einer kritischen Erweiterung gefaßt war, bekam diese methodologische Differenz, wie wir ebenfalls bereits erkannt haben, für ihn ein größeres Gewicht, wenn schon keinen größeren Einfluß auf die Darstellung. Denn in den schon ausgearbeiteten Abschnitten war das Verhältnis des Vorausgesetzten zum Gesuchten bereits hinreichend scharf angegeben, die Zusätze aber konnten bei ihrer kritischen Tendenz nicht rein analytisch ausgeführt werden. Die größere Bedeutung des Beweisganges der Prolegomenen hatte nur zur Folge, daß das synthetische Verfahren der Kritik dem Autor selbst viel ausgeprägter erschienen ist, als es in Wirklichkeit war (Seite 38). Da jedoch dieser Umstand nur für die zweite Auflage der Kritik, nicht für die Prolegomenen von einiger Bedeutung ist, so mag diese Andeutung hier genügen.

Der erste Teil des Auszugs (§§ 1, 2, 4, 5), der der Einleitung zur Kritik korrespondiert, bespricht gemäß dem beabsichtigten Verfahren zuerst die allgemeine Voraussetzung der ganzen kritischen Untersuchung: die Wirklichkeit synthetischer Erkenntnisse a priori. Hieraus folgt als das eigentliche Problem die Frage: Wie sind synthetische Sätze (Urteile) a priori möglich? Diese Frage gliedert sich in vier besondere. Drei Arten von synthetischen Urteilen a priori sind nämlich unbestritten wirklich: die Erkenntnisse der reinen Mathematik, der reinen Naturwissenschaft und dei eigentlich metaphysischen Urteile. Da aber nur die beiden ersten Klassen von Urteilen zu wirklichen Wissenschaften der theoretischen Erkenntnis geführt haben, Metaphysik als Wissenschaft dagegen noch nicht wirklich, sondern nur möglich ist, so muß die auf sie bezügliche Frage in doppelter Form gestellt werden. Es ergeben sich somit die vier Fragen, welche zum Schluß von § 5 aufgezählt werden.

Vergleichen wir nun diese Grundlegung mit der Einleitung zur ersten Auflage, so wird leicht deutlich, daß hier keine Spur einer inhaltlichen Veränderung, vielmehr nur eine nicht bloß leichter verständliche, sondern auch präzisere Fragestellung vorliegt. Das Verhältnis zwischen der gegebenen Tatsache und der notwendigen Erklärung ist hier kein anderes geworden; die beiden Glieder desselben werden nur schärfer getrennt. Auch die Kr. d. r. V. geht von der Wirklichkeit synthetischer Urteile a priori aus. Schon in der Einleitung wird dieselbe als das, was erklärt werden soll, hingestellt (Kr. d. r. V. A, 2, 9, 10). Die allgemeine Frage (Kr. d. r. V. A, Seite 10) hat deshalb, wenn nicht die gleiche präzise Kürze, so doch genau denselben Sinn. Eben dasselbe gilt auch von der Gliederung des Problems; allerdings wird nur auf die Wirklichkeit der reinen Mathematik hingewiesen und auch diese nicht auf die Fragestellung direkt bezogen; jedoch sowohl jene Wirklichkeit der einzelnen Arten der synthetischen Sätze als auch diese Beziehung auf das allgemeine Problem ist dort ebenfalls eine zweifellose Annahme (Kr. d. r. V. A, Seite 2, 10). Der methodologische Gegensatz beider Darstellungen ist deshalb schon hier nicht so große, als es durch KANTs eigenes Urteil bei ungenauer Prüfung wahrscheinlich gemacht wird.

Einen zweiten methodologischen Vorzug besitzt die Einleitung des Auszugs vor der Einführung in die Kritik dadurch, daß sie die Tendenz der Untersuchung klarer hervorhebt, sofern sie sowohl den Punkt des Gegensatzes schärfer bezeichnet als auch auf den Zusammenhang mit gleichartigen Bestrebungen bestimmter hinweist. In jener erklärt KANT zwar ebenfalls, daß das Werk gegen diejenige Metaphysik gerichtet ist, die ihre Systeme der reinen Vernunft aufbaut, ohne die Frage erörtert zu haben,
    "wie denn der Verstand zu allen diesen Erörterungen a priori kommen kann, und welchen Umfang, Gültigkeit und Wert sie haben mögen" (Kr. d. r. V. A, Seite 7)
Die Vorrede zeigt überdies bestimmter noch, daß jener Gegensatz sowohl die dogmatischen wie die skeptischen Systeme betrifft, daß nur LOCKEs "Physiologie des menschlichen Verstandes" einen ähnlichen Schiedsspruch, aber vergeblich, versucht hat. Die Prolegomenen jedoch betonen diese Beziehungen in entschiedenster Weise (§§ 4, 5). "Alle Metaphysiker"; heißt es hier, "sind von ihren Geschäften feierlich und gesetzmäßig so lange suspendiert, bis sie die Frage: wie sind synthetische Urteile a priori möglich, genugtuend werden beantwortet haben." (Seite 44) Wer aber diese Metaphysiker sind, wird ebenso unzweideutig gesagt.
    "Überdrüssig also des Dogmatismus, der uns nichts lehrt, und zugleich des Skeptizismus, der uns gar überall nichts verspricht, ... bleibt uns nur noch eine kritische Frage übrig: Ist überall Metaphysik möglich?" (Seite 38)
Andererseits wird unverkennbarer, als durch jenen Hinweis auf LOCKE geschieht, der Zusammenhang angemerkt, der den Kritizismus, trotz dieses allgemeinen Gegensatzes gegen Dogmatismus und Skeptizismus mit einem bestimmten System des letzteren verbindet. Die gelegentliche Bemerkung:
    "Aber diese Frage muß nicht durch skeptische Einwürfe gegen gewisse Behauptungen einer wirklichen Metaphysik (denn wir lassen jetzt noch keine gelten), sondern aus dem noch problematischen Begriff einer solchen Wissenschaft beantwortet werden" (Seite 38),
geht unverkennbar auf HUMEs Untersuchung des Kausalitätsbegriffs".

Daß auch hinsichtlich dieser letzten Beziehung, die in der Einleitung zur Kritik nicht hervorgehoben wird, keine sachliche Differenz zwischen den beiden Darstellungen vorhanden ist, mag hier, da wir auf diesen Umstand noch ausführlicher einzugehen haben, nur durch den Hinweis auf die ausführlichere Besprechung HUMEs in der ersten Auflage (Kr. d. r. V. A, Seite 792f) angedeutet werden.

Rein methodologischer Natur ferner sind die Unterschiede zwischen der transzendentalen Ästhetik und ihrem Korrelat im Auszug (§ 6 - 13f). Die Ergebnisse derselben: "Raum und Zeit (6) sind reine Anschauungen, also Formen der Sinnlichkeit, d. h. nur Formen der Erscheinungen", sind in der Kritik in demselben Sinn vorhanden. Die "Erläuterungen und Bestätigungen (§§ 12, 13) sind nur konkretere, veranschaulichende Ausführungen der gleichen Gedanken. Selbst der Umstand, daß hier das Verhältnis der reinen Anschauung zur Form der Sinnlichkeit genauer entwickelt wird, sofern sich die letztere als die Bedingung der Möglichkeit der ersteren darstellt, während in der Kritik (in der ersten Auflage) gelegentlich einer ähnlichen Argumentation nur bemerkt wird, die Anschauung a priori sei "der Form nach zugleich die allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Objekt dieser äußeren Anschauung selbst möglich ist" (Kr. d. r. V. A 64f) selbst diese geringe Differenz ist nur methodologischer Natur. Sie gehört zu jenen Präzisierungen der eigenen Gedanken, die weder durch eine Verschiebung des Inhalts bewirkt werden, noch eine solche zur Folge haben.

Nicht einmal der methodologische Unterschied beider Erörterungen ist so groß, als er anfänglich erscheinen mag. Der Beweisgang des Auszugs ist zwar analytisch, jedoch die Argumentation der Kritik ist auch in diesem Fall nicht rein synthetisch. Sie folgert zwar die Wirklichkeit der reinen Mathematik (Kr. d. r. V. A 39 Anm. 3), aber diese Folgerung tritt nicht als das Ergebnis der ganzen Untersuchung, sondern nur des ersten Teils derselben, der Apriorität des Raumes auf, und auch abgesehen davon steht sie nicht im Vordergrund der Erörterung.

Weit eingreifender sind, wie wir erwarten dürfen, die Abweichungen von der Kr. d. r. V. in dem Abschnitt, welcher der transzendentalen Deduktion der Kategorien entspricht (§ 14-23). Hier war die Erläuterung durch eine einfache Umkehr des Beweisganges nicht zu erreichen, denn durch eine solche hätten die von KANT so wohl empfundenden Mängel desselben nicht aufgehoben werden können. Nur die Voraussetzung der neuen Argumentation war durch die Ergebnisse der früheren gegeben, die Wirklichkeit nämlich synthetischer Erkenntnisse a priori der allgemeinen Naturwissenschaft. Schon die Problemstellung selbst ist durch den Zweck des Auszugs verändert. Die beabsichtigte Kürze desselben erforderte, die beiden in der Kritik getrennten Untersuchungen, daß sich Begriffe a priori in unserem Verstand vorfinden, und wie sich diese Kategorien auf Gegenstände beziehen können, in eine einzige zusammen zu ziehen. KANTs Frage lautet daher jetzt (§ 17): "Wie ist die notwendige Gesetzmäßigkeit der Erfahrung selbst in Anbetracht aller ihrer Gegenstände überhaupt a priori zu erkennen möglich?" Die Art ihrer Beantwortung war durch die Unzulänglichkeit der früheren bedingt; denn diese war es, die dem kritischen Nachdenken KANTs sowohl den Anstoß als auch die Richtung für die Neubildung gegeben hatte. Solcher allgemeinen Mängel nun waren mehrere vorhanden.

Der eine und trotz seiner methodologischen Natur nicht der geringste lag im Charakter der Beweisführung selbst. Der erste, "subjektive" Teil der Deduktion nämlich, d. h. "die Betrachung des reinen Verstandes nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruth" (Kr. d. r. V. B, Seite X) war, wie KANT wohl von Anfang an selbst erkannte (7), rein psychologischer Natur. Dadurch aber trat derselbe nach dem eigenen Geständnis des Autors nicht unwesentlich und sehr störend aus dem Wesen der sonstigen "transzendentalen", d. h., wie ich jetzt sagen würde, erkenntnistheoretischen Argumentation heraus. Überdies aber hatte er eine verhängnisvolle Ablenkung der Auffassung des eigentlichen Zwecks der Deduktion im Gefolge. Er war es vor allen, der den Sinn dieser wichtigen Ausführungen den ersten Kritikern verdeckt hatte. Denn die eklektische Popularphilosophie hatte damals die ursprünglich besonders durch CRUSIUS' stets unterschätzte Polemik gegen WOLFF erregte erkenntnistheoretische Strömung in Deutschland so abgeschwächt und abgelenkt, daß man nur noch empirisch psychologische Untersuchungen zu würdigen wußte. Von diesem Gesichtspunkts aus aber war die Deduktion unverständlich. Deshalb hatte KANT es sich zum großen Teil selbst zuzuschreiben, daß man zunächst gar nicht wußte, was denn diese mühselige Beweisführung eines nirgendwo mehr ernsthaft bezweifelten Ergebnisses, der Beschränkung nämlich unseres Wissens auf mögliche Erfahrung zu bedeuten hat.

Weniger irreleitend, aber für KANTs Bewußtsein kaum weniger störend war ein zweiter, ebenfalls mehr methodologischer Mangel der ersten Bearbeitung. Dieselbe hatte eine andere Gliederung der Erkenntnisvermögen zugrunde gelegt, als diejenige ist, die sonst überall den systematischen Aufbau der Kr. d. r. V. bedingt. Während die letztere nämlich im allgemeinen nach Sinnlichkeit, Verstand (Urteilskraft) und Vernunft gegliedert ist, werden hier von KANT Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Apperzeption einander koordiniert (Kr. d. r. V. A, Seite 128; B 112). Diese methodologische Differenz deutet auf nicht geringe sachliche Unterschiede; denn die erste Formulierung gehört dem Gesichtskreis der Metaphysik BAUMGARTENs an, der KANT, wie bekannt, nicht wenige systematische und terminologische Einzelheiten verdankt, die letztere dagegen entspricht der Fortbildung, die KANT der seit WOLFF herrschenden Auffassung des Verstandes gegeben hat. Mich interessieren hier jedoch nur zwei besondere Punkte, welche die Stellung der Deduktion im System betreffen. In jener Koordination nach Sinn, Einbildungskraft und Apperzeption liegt nämlich zunächst eine Verkürzung der Ansprüche der Vernunft. Denn aus derselben folgt, daß der Verstand definiert werden muß als "die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft" (Kr. d. r. V., B 119).

Dadurch aber wird die Vernunft gleichsam zu einer Art des Verstandes. Denn da der transzendentale Vernunftgebrauch jederzeit nur auf die absolute Totalität der Synthesis der Bedingungen geht (Kr. d. r. V. A 382), die Einheit der Apperzeption dagegen gleicherweise zugrunde legen muß, so ergibt sich für die Vernunft die Definition: Vernunft ist die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die bis zum Unbedingten fortgesetzte Synthesis der Einbildungskraft. Daraus folgt jedoch eine Subordination der Vernunft unter den Verstand,m welche die Ideen zu nichts als erweiterten Kategorien macht, und damit den selbständigen Ursprung derselben aufhebt. Nun zeigt der Tatbestand von KANTs Lehre in der Kr. d. r. V. allerdings, daß eine solche Bestimmung des Verhältnisses beider Vermögen im Sinne der Analytik ist; aber derselbe lehrt doch zugleich, daß KANT in der Dialektik fast überall bemüht ist diesen Zusammenhang aufzuheben (8), der Vernunft als transzendentalem Vermögen eine selbständige Stellung neben dem Verstand zu wahren. Die Erörterungen der Deduktion über Einbildungskraft und Apperzeption sind daher in der Dialektik nirgends verwertet. Dieselben veranlassen demnach andere Erwartungen, als erfüllt werden. Zu diesem Mangel in der Stellung der Vernunft, der vielleicht nur dann richtig gewürdigt werden kann, wenn er durch die Entwicklungsgeschichte der Kritik intensiver beleuchtet ist, gesellt sich ein zweiter, der die Stellung des Verstandes betrifft. Aus jener ben mitgeteilten Beziehung des Verstandes zu Apperzeption und Einbildungskraft ergibt sich nämlich, daß der Verstand nicht als ein ursprüngliches Vermögen neben der Sinnlichkeit zu betrachten ist, sondern nur ein Name ist für die durch die transzendentale Einbildungskraft vermittelte notwendige Beziehung aller Vorstellungen auf die Einheit der Apperzeption. Jedoch die ganze Einleitung in die Analytik, sowie auch alle gelegentlichen Beziehungen auf den Verstand fassen denselben im ersteren Sinn auf; in eben diesem Sinn liegt er ferner dem architektonischen Aufbau des Systems zugrunde, so daß auch an dieser Stelle die Deduktion der ersten Auflage in charakteristischer, für die Entwicklungsgeschichte KANTs nicht wenig bedeutsamer Weise aus dem Gefüge der sonstigen Erörterungen der Kr. d. r. V. heraustritt.

Auch hiermit aber ist das Sündenregister dieser ersten Bearbeitung der Deduktion nicht geschlossen. Ihr wesentlichster Mangel liegt darin, daß in ihr das eigentlich zu Beweisende nicht im Vordergrund der Beweisführung steht. Ihre Aufgabe ist, die objektive Gültigkeit der Kategorien zu erklären; den Hebel des Beweisapparates aber bildet die Darlegung, daß alles sinnlich gegebene Mannigfaltige zu den verschiedenen Arten der Synthesis und dadurch zur transzendentalen Einheit der Apperzeption in einer notwendigen Beziehung steht. Alle Erkenntnisse nämlich, so ist der Gang der Erörterung, sind als Vorstellungen Bestimmungen des inneren Sinns, als Vorstellungen von empirischen Objekten aber sind sie hinsichtlich ihres Mannigfaltigen den Gesetzen der synthetischen Funktionen, d. h. der Apprehension, der Assoziation bzw. Reproduktion und der Rekognition unterworfen. Ihre Verbindung beruth daher, sofern sie notwendig und allgemeingültig ist, auf der transzendentalen Affinität, welche das assoziierte Mannigfaltige notwendig assoziabel macht und dadurch der objektive Grund der Assoziation wird. Diese Affinität aber ist nur möglich durch die notwendige synthetischen Beziehung alles Mannigfaltigen auf die transzendentale Apperzeption, d. h. durch die Kategorien, welche eine synthetische Einheit des Verknüpften a priori notwendig machen. Hierdurch nun werden einerseits die Kategorien selbst weniger in den Mittelpunkt der Argumentation gerückt als die Funktionen, aus denen sie bestehen, d. h. die transzendentale Synthesis und die Einheit der Apperzeption, andererseits aber wird, was wesentlicher ist, die Beziehung derselben zu den Urteilsfunktionen, welche der Untersuchung ihres Ursprungs zum Fundament diente, fast völlig verdeckt.

Dazu kommen endlich manche störende Einzelheiten. So vor allem der Umstand, daß KANT sich veranlaßt findet, den eben angedeuteten Beweisgang im Ganzen viermal von verschiedenen Seiten aus darzulegen und überdies einzelne Teile desselben nicht immer gleichmäßig zu betonen. Selbst an gelegentlichen Widersprüchen fehlt es nicht. So wird weder der Begriff der Reproduktion noch das Verhältnis desselben zur Assoziation noch endlich auch die Beziehung beider zur Affinität klar (9).

Es ist kaum zweifelhaft, daß KANT alle diese Mängel bald nach dem Erscheinen seiner Kritik, zum Teil schon vorher, sicher erkannte. Denn sie alle finden sich in den Prolegomenen vermieden, einige sogar so, daß man deutlich bemerkt, das Bewußtsein derselben habe den Ansatzpunkt für KANTs kritische Reflexion gebildet.

Die Tatsache, welche KANT hier seiner Untersuchung zugrunde legt, besteht in dem auch für die Kritik selbstverständlichen, in der ersten Auflage jedoch kaum erwähnten Unterschied der bloß subjektiven Wahrnehmungsurteile, welche die Voraussetzung der Kritik bilden, und der notwendigen und allgemeingültigen Erfahrungsurteile, welche die Konsequenz der Analytik ausmachen. Das Wahrnehmungsurteil ist nach KANTs Definition ein solches, das lediglich eine Beziehung der Wahrnehmung auf das empirische Subjekt, und zwar nur auf seinen augenblicklichen Zustand enthält. Es besteht daher aus folgenden Stücken:
    1) der bloß den Sinnen angehörenden Wahrnehmung, d. h. den mannigfaltigen Empfindungen und den apriorischen Formen des Raumes und der Zeit;

    2) der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen durch Vergleichung des Mannigfaltigen, so wie es in der sinnlichen Anschauung gegeben ist. Ein Beispiel bietet der Satz: Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm.
Ein Erfahrungsurteil dagegen ist ein solches, das eine Erkenntnis des Objekts durch die allgemeine und notwendige Verknüpfung der gegebenen Wahrnehmung enthält. Da alle unsere Urteile zuerst bloße Wahrnehmungsurteile sind, so reduziert sich das Problem der Deduktion auf die Frage: Wie ist das Erfahrungsurteil selbst möglich, d. h. welche Bedingung muß zum ursprünglichen Wahrnehmungsurteil hinzutreten, damit die Verknüpfung desselben notwendig und allgemeingültig wird? Diese Bedingung nun liegt, wie KANT in eingehender Erörterung ausführt, im Hinzutritt eines reinen Verstandesbegriffs, der die Anschauung in Anbetracht einer Form des Urteils vielmehr als der anderen als ansich bestimmt vorstellt. Dieser reine Verstandesbegriff ist die Kategorie. Damit aber eine solche Subsumtion der Anschauung unter eine Kategorie möglich ist, ist erforderlich, daß gewisse Urteile vorhergehen, welche die Erscheinungen nach der verschiedenen Form ihrer Anschauung in Anbetracht der Form des Urteilens überhaupt bestimmen. Diese Urteile sind die Grundsätze des reinen Verstandes.

Auf diese Weise wird das empirische Bewußtsein der Wahrnehmungsurteile in einem Bewußtsein überhaupt verknüpft, und dadurch denselben Notwendigkeit und Allgemeinheit verschafft. Da nun die Natur nichts Anderes ist als der Inbegriff der Erscheinungen, d. h. der Vorstellungen in uns, so sind die Grundsätze des reinen Verstandes als Grundsätze möglicher Erfahrung zugleich auch die allgemeinsten Naturgesetze selbst. die oberste Gesetzgebung der Natur liegt also in unserem Verstand. Damit aber ist die Frage: wie ist reine Naturwissenschaft möglich, hinreichend beantwortet.

Charakteristisch an dieser Erörterung ist zunächst ihr rein transzendentaler Charakter. Von empirischer Psychologie enthält sie nichts als die Tatsachen, welche derselben zugrunde liegen. Die Analyse dieser Tatsachen aber geht einen ganz anderen Gang. Ausdrücklich wird dieser Gegensatz auch von KANT betont. Nicht vom Entstehen der Erfahrung, sondern nur von dem, was in ihr liegt, soll die Rede Sein; es handelt sich nur darum, Erfahrung überhaupt zu zergliedern, um zu sehen, woraus sie besteht. So weit sogar geht diese Abweisung der empirischen Psychologie, daß vo nden besonderen empirischen Bedingungen, welche in jedem einzelnen Fall den Hinzutritt einer bestimmten Kategorie veranlassen, nirgendwo gehandelt wird. Wir erfahren durchaus nicht, wie wir uns den psychologischen Prozeß zu denken haben, durch den wir bestimmt werden, eine solche Subsumtion der Anschauung unter die Kategorie zu vollziehen. Nur gelegentliche Andeutungen weisen auf die Richtung des kantischen Denkens in diesem Punkt hin. So soll die Beziehung auf das Objekt erst "hinten nach" den Wahrnehmungsurteilen gegeben werden, "nachdem die logische Verknüpfung derselben durch Vergleichung allgemein gemacht worden ist". Diese Andeutungen sind überdies sogar so unvollständig, und lassen sich so wenig an irgendeinem Punkt der Analytik KANTs anfügen, daß die ganze Theorie den kritischen Leser zu den schwerwiegendsten Bedenken führt. Jedoch nicht diese Bedenken sind es, die uns hier angehen, sondern der Umstand, daß durch diesen Beweisgang der psychologische Charakter des früheren allerdings vollständig aufgehoben, der zuerst gerügte Mangel derselben also beseitigt ist.

Ähnliches gilt hinsichtlich der Stellung des Verstandes. Nicht auf Einbildungskraft und Apperzeption, sondern nur auf den Verstand wird rekurriert. Ihm werden sowohl die Wahrnehmungs- als auch die Erfahrungsurteile untergeordnet. Denn der Verstand, heißt es, ist das Vermögen zu denken. Denken aber ist: Vorstellungen in einem Bewußtsein vereinigen. Die Vereinigung der Vorstelluhngen in einem Bewußtsein ist das Urteil. Also ist denken soviel als urteilen oder Vorstellungen auf Urteile überhaupt beziehen. Je nachdem nun jene Vereinigung der Vorstellungen bloß relativ auf das Subjekt oder schlechthin stattfindet, ist das Urteil subjektiv oder objektiv. Der Verstand also tritt hier durchaus in die Rechte einer ursprünglichen Fähigkeit.

Dadurch aber ist für KANT zugleich die Möglichkeit gegeben, nicht bloß den Ursprung der Kategorien aus den Urteilsfunktionen darzulegen, sondern auch die Gültigkeit derselben durch ihre Beziehung zum Urteil zu erklären, und so die Deduktion auf denjenigen Beweis zu stützen, der durch die Genesis der Kategorien der nächstliegende ist. Damit aber ist auch der schwerwiegendste Fehler der ursprünglichen Bearbeitung beseitigt.

Die Deduktion der Kategorien in den Erläuterungen der Prolegomenen bekundet demnach im Vergleich zur ersten Auflage offenbare Fortschritte in der Klarheit der Argumentation. Sachliche Differenzen dagegen, sei es im Inhalt oder der Art der Verknüpfung der Ergebnisse, liegen auch hier nirgends vor. Der Zweck der Deduktion bleibt der transzendentale Nachweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien. Die Konsequenzen dieses Satzes, daß die Kategorien nur Formen möglicher Erfahrung sind, daß sie demnach für die Dinge-ansich keine Gültigkeit haben, d. h. keinen transzendentalen Gebrauch zulassen, werden auch hier nicht in die Untersuchung hineingezogen, sondern späteren Abschnitten vorbehalten.

Die Argumentation dieser letzten Abschnitte des Auszugs aber weicht charakteristisch von den eben besprochenen Ausführungen ab. Bisher hatten wir es überall, selbst in der Einleitung und dem Korrelat der transzendentalen Ästhetik, mit eingehenden, bis auf wenige gelegentliche Ausnahmen (10) für sich selbst verständlichen Erläuterungen der Kr. d. r. V. zu tun, die in wohlüberlegtem methodologischen Gegensatz zum Hauptwerk standen. Die nunmehr folgenden Abschnitte der Analytik dagegen sind erstens so kurz, daß sie ohne Kenntnis der entsprechenden Teile des Hauptwerkes, auf die ausdrücklich hingewiesen wird, gar nicht verstanden werden können; überdies enthalten sie nichts als Auszüge aus dem synthetischen Beweisgang desselben und gelegentliche Reflexionen über die hauptsächlichen Argumente dieses Beweisgangs, bei denen von einem analytischen Verfahren nicht mehr die Rede sein kann. Sowohl die Untersuchungen über die Grundsätze des reinen Verstandes als auch die Abschnitte, welche sich auf die Lehre vom Schematismus und von der Untersuchung der Phänomena und Noumena beziehen, geben nichts als solche Auszüge und Zusätze.

Inhaltliche Differenzen, auch nur solche, die einem immanenten Klärungstrieb der ursprünglich entwickelten Gedanken zuzuschreiben wären, liegen in beiden Fällen nicht vor. Es ist deshalb kaum zweifelhaft, daß KANT alle diese Erörterungen, die nur Konsequenzen der Deduktion enthalten, schon in ihrer ursprünglichen Ausführung, noch mehr nach den vorhergehenden Erläuterungen der Prolegomenen für verständlich genug hielt, um sich hier die Mühe einer sorgfältigeren Umarbeitung sparen zu können. Stattdessen hob er, wie schon erwähnt, in den letzten Paragraphen dieses Abschnitts die anscheinend paradoxen Ergebnisse der schwerer verständlichen Deduktion noch einmal in erläuternder Zusammenfassung hervor.

Diese selben Motive zu einem kurzen, das Allgemeine zusammenfassenden Auszug vielmehr als zu einer selbständigen Erörterung zeigen sich in dem ganzen dritten Teil wirksam, welcher der Dialektik entspricht. Das analytische Verfahren ist hier, soweit es nicht schon in der Kritik selbst eingeschlagen war, ganz aufgegeben. Man ist versucht anzunehmen, daß KANT es müde geworden ist, so sich selbst auszuschreiben. Denn in Wirklichkeit wird in diesen letzten Abschnitten, am meisten im letzten, nicht bloß die Verständlichkeit der Erläuterung geopfert, sondern eine Kürze der Darstellung gewählt, die es zuletzt zweifelhaft macht, wozu denn überhaupt ein solcher Auszug dienen könnte. Die Schlußparagraphen desselben (§ 55 und 56) sind im Grunde nichts mehr als dürftige, eilig und unlustig hingeschriebene Inhaltsanzeigen, die denjenigen, der die Kritik selbst kennt, nicht belehren, den aber, der sie noch nicht kennt, auch nicht vorbereiten können.

Die relativ ausführlichste Untersuchung, die einzige, die annähernd für sich verständlich sein möchte, ist der Kritik der Paralogismen der rationalen Psychologie gewidmet. Dieselbe ist jedoch mehr als alle anderen nichts als ein Auszug aus den Erörterungen des Hauptwerks. Sie enthält keinen Gedanken, ja kaum eine Wendung, die nicht aus der früheren Bearbeitung herstammt. (11) Umso überraschender muß es erscheinen, daß KANT in den späteren Zusätzen gelegentlich erwähnt (Seite 219), daß er mit diesem Teil seiner ursprünglichen Darstellung ebenso wie mit der Deduktion "dem Vortrag nach nicht völlig zufrieden sei, weil eine gewisse Weitläufigkeit in beiden die Deutlichkeit hindert." Bei genauerer Prüfung zeigt sich jedoch, daß aus diesem Umstand nur eine neue, ebenso interessante wie sichere Bestätigung meiner Auffassung der Prolegomenen folgt. Dieselbe kann jedoch erst angestellt werden, wenn wir über die Tendenz und die Ausführung jener Zusätze hinreichend orientiert sind (12).

Es erübrigt deshalb nur noch, die Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchung in ein Gesamturteil zusammenzufassen. Wir müssen demnach anerkennen, daß der ursprüngliche Auszug die Absicht einer erläuternden Darstellung der Kr. d. r. V. nicht überall in der gleichen Weise verfolgt. Der § 23 bezeichnet hier, sehen wir ab von den späteren §§ 36-38, die Grenze beider Arten der Ausführung. Alles, was vor demselben steht, ist eine ausführliche Umarbeitung nach analytischer Methode; alles, was auf denselben folgt, ist (mit Ausnahme der §§ 36-38 kurzer, nur teilweise mit erläuternden Zusätzen versehener Auszug. In diesen letztgenannten Ausführungen findet sich keine Veränderung, sei es der Argumentation sei es des Inhalts oder der Anordnung der Ergebnisse. In den ersten ist Inhalt und Anordnung der Ergebnise ebenfalls gewahrt, die Argumentation dagegen teils methodisch umgekehrt (§ 1, 2, 4, 5, 6-13), teils überdies neu entworfen und dadurch wesentlich verbessert. So weit also Abweichungen vorkommen, sind diese in der Tat nur Veränderungen der Darstellungsart, die allerdings in der Deduktion eine methodische Klärung der früheren Ausarbeitung anzeigen.

Es bedarf kaum des Hinweises, daß dieses Ergebnis genau den Motiven entspricht, deren Wirksamkeit für den Zweck des Auszugs wir oben schon erkannt haben.

Die kritischen Zusätze, zu deren Untersuchung wir nunmehr fortschreiten dürfen, sind, wie wir gesehen haben, zunächst und zumeist durch die Göttingische Rezension bedingt. Es ist deshalb notwendig, daß wir dieselbe näher kennenlernen. Schon oben zeigte sich, an welchen Punkten und in welcher Weise KANT sich mißverstanden sah, weshalb er ferner durch dieses Mißverständnis zu einer Entgegnung gedrängt wurde. Noch einmal sei daran erinnert, daß dieselbe nicht, wie für KANT selbstverständlich war, die empiristische, gegen die Grenzüberschreitung der Erfahrung durch die rationalistische Metaphysik gerichtete Tendenz der Deduktion, sondern die idealistische Konsequenz, die KANT aus seiner Ästhetik gezogen hat, zum Hauptpunkt des Systems gemacht hatte. Diese Auffassung tritt schon in den ersten Worten der Rezension zutage, welche lauten:
    "Dieses Werk ... ist ein System des höheren oder, wie der Verfasser es nennt, des transzendentellen Idealismus, eines Idealismus, der Geist und Materie gleicherweise umfaßt, die Welt und uns selbst in Vorstellungen verwandelt, und alle Objekte aus Erscheinungen dadurch entstehen läßt, daß sie der Verstand zu einer Erfahrungsreihe verknüpft. ... Die Ursache dieser Vorstellungen ist uns unbekannt und unerkennbar."
Diesem Eingang (13) folgt wenig später die schon oben zitierte Bemerkung:
    "Auf diesen Begriffen von den Empfindungen als bloßen Modifikationen in uns selbst, vom Raum und von der Zeit als nur subjektiven Bedingungen unserer Sinnlichkeit (worauf auch Berkeley seinen Idealismus hauptsächlich baut) beruth der eine Grundpfeiler des kantischen Systems."
Dieselbe Tendenz bekundet die Auffassung von KANTs viertem Paralogismus.
    "Endlich wird (wie Kant dargelegt hat) aus dem Unterschied zwischen dem Bewußtsein unserer selbst und der Anschauung äußerer Dinge ein Trugschluß auf die Idealität der letzteren gemacht; da doch die inneren Empfindungen uns so wenig absolute Prädikate von uns selbst, als die äußeren von den Körpern angeben. So wäre also der gemeine, oder, wie der Verfasser ihn nennt, empirische Idealismus entkräftet, nicht durch die bewiesene Existenz der Körper, sondern durch den verschwundenen Vorzug, den die Überzeugung von unserer eigenen Existenz vor jenen haben sollte."
Alle diese Bemerkungen sind ohne direkt polemische Wendung. Erst zum Schluß kommt eine solche hinzu. Hier heißt es:
    "Unser Verfasser verkennt (wie der Skeptiker) die Rechte der inneren Empfindung, indem er die Begriffe von der Substanz und der Wirklichkeit als der äußeren Empfindung allein angehörig angesehen wissen will, aber sein Idealismus streitet noch mehr gegen die Gesetze der äußeren Empfindung und die daher entstehende, unserer Natur gemäße Vorstellungsart und Sprache. Wenn, wie der Verfasser selbst behauptet, der Verstand nur die Empfindungen bearbeitet, nicht neue Kenntnisse uns liefert, so handelt er seinen ersten Gesetzen gemäß, wenn er in allem, was Wirklichkeit betrifft, sich mehr von den Empfindungen leiten läßt, als sie leitet. Und wenn, das Äußerste angenommen, was der Idealismus behaupten will, alles, wovon wir etwas wissen und sagen können, alles nur Vorstellung und Denkgesetz ist; wenn die Vorstellungen in uns, modifiziert und geordnet nach gewissen Gesetzen, just das sind, was wir Objekte und Welt nennen, wozu dann der Streit gegen diese gemein angenommene Sprache? wozu und woher die idealistische Unterscheidung?"
Nicht einmal genannt dagegen ist die Deduktion. Sie fehlt selbst in der ausführlichen Anzeige GARVEs, dessen eingehende Besprechung der Analytik überall zeigt, wie sehr seine Auffassung der transzendentalen Untersuchungen KANTs unter dem Bann des psychologischen Vorurteils der Zeit steht. Es kann daher nicht überraschen, daß FEDER die Analytik am meisten obenhin behandelt, in den Kategorien nur die gemein bekannten Grundsätze der Logik und Ontologie sieht.

Den Plan, den KANT gegenüber diesen schiefen Auffassungen der Rezension (und auch HAMANNs) bei seinen Zusätzen vor Augen hatte, habe ich schon früher andeuten können. Es waren teils persönliche, teils sachliche Motive, die ihn geleitet haben. Der nicht unberechtigte Zorn, den er über Inhalt und Form der Rezension empfunden hat, bestimmte ihn, dem unbekannten (14) Urheber derselben eine derbe Abfertigung zuteil werden zu lassen. Die Einsicht aber, daß er diese Mißverständnisse zum Teil selbst verschuldet hat, veranlaßte ihn zu einer ausführlichen, auf alle Teile seines Hauptwerks bezüglichen Aufhellung seiner eigentlichen Meinung. Da jene persönlichen Motive für uns nur so weit in Betracht kommen, als sie die sachlichen affiziert haben, so bedürfen dieselben keiner besonderen Diskussion.

Was aber diese sachliche Entgegnung betrifft, so ist charakteristisch, daß dieselbe trotz des scheinbaren Durcheinander der Einfügung ihrer Bestandteile inhaltlich ein ebenso zusammenhängendes Ganzes bildet, wie der ursprüngliche Auszug. An die Spitze der Erörterung tritt die Abwehr der idealistischen Interpretation des Rezensenten. Diese geschieht in doppelter Weise. Denn KANT zeigt nicht allein, weshalb eine solche Auffassung seinen Gedanken widerspricht, sondern auch, welchen Punkt er für den eigentlichen Kern seiner Überzeugung hält. In eingehendster Untersuchung weist er dies an der Tendenz seiner Analytik, speziell der Deduktion nach. Und auch hier nimmt er nicht allein Gelegenheit, die eigenartige Absicht derselben auf das nachdrücklichste zu betonen, sondern er bemüht sich auch, durch die Angabe sowohl des Ursprungs als auch der einzelnen Entwicklungsphasen seiner kritischen Reflexionen jedes weitere Mißverständnis auszuschließen. Mit derselben Bestimmtheit, wenn auch mit geringerer Ausführlichkeit weist er sodann auf die eigentliche Absicht der beiden anderen Hauptstücke seines Systems, der transzendentalen Ästhetik und der transzendentalen Dialektik hin, damit so der verschobene Zusammenhang seiner Gedanken wieder geordnet wird. Zur Unterstützung dieses Plans und zugleich zur Abwehr weiterer historischer Subsumtionen, als ihm bereits widerfahren waren, wird ferner sowohl der Ursprung seiner grundlegenden Einteilung der Urteile in analytische und synthetische als auch Ursprung und Bedeutung der Kategorientafel aufgedeckt.

Hieran schließen sich die verschiedenartigen Bemerkungen, welche der Berichtigung einzelner, weniger bedeutsamer Mißverständnisse dienen. Damit aber die wissenschaftliche Kritik künftighin in die richtigen Bahnen gelenkt wird, wird die ganze Abwehr durch jenen sonderbaren Vorschlag einer stückweisen Prüfung des Lehrgebäudes der Kr. d. r. V. im Anschluß an den Gang der Prolegomenen abgeschlossen, deren methodologischer Charkater deshalb eindringlich hervorgehoben wird.

Da diese Ausführungen wie wenige geeignet sind, den Gedankengang KANTs bloßzulegen, zugleich aber wie wenige andere zur Stütze der verschiedenartigsten Auffassungsweisen und historischen Ableitungen jenes Gedankenganges benutzt worden sind, so ist es notwendig und nicht undankbar, auf dieselben näher einzugehen.

Es ist schon oben angedeutet worden, daß die idealistische Auffassung der Rezension eine zwar von KANT selbst zum Teil provozierte, jedoch eine seine wesentlichen Absichten durchaus verkennende ist. Die Erhärtung dieser Behauptung erfordert eine eingehendere Darstellung der bezüglichen Untersuchungen der ersten Auflage.

Den Ausgangspunkt für unsere Betrachtung bietet der auffällige Umstand, daß KANT sich erst in der transzendentalen Dialektik über die Idealismus seines Lehrbegriffs erklärt (Kr. d. r. V. A 518f; B 366f.) Weder in der Ästhetik noch in der Analytik findet sich ein Wort der Erwähnung. Der Grund dafür kann ein doppelter sein. Es ist einerseits möglich, daß der Gedanke, der durch den Begriff des transzendentalen Idealismus ausgedrückt wird, erst durch die Argumentation der Dialektik gegeben ist; es ist andererseits denkbar, daß derselbe, obgleich schon früher gegeben, erst für die Probleme dieses letzten Abschnitts von Bedeutung wird. Die Definition des transzendentalen Idealismus zeigt, daß das letztere der Fall ist. Wir erfahren nämlich (Kr. d. r. V. A 518). der transzendentale Idealismus behauptet,
    "daß alles, was im Raum oder in der Zeit angeschaut wird, folglich alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen, d. h. bloße Vorstellungen sind, die so, wie wie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen oder Reihen von Veränderungen, außer unseren Gedanken keine ansich gegründete Existenz haben."
Diese Erklärung aber enthält, wie KANT selbst hervorhebt, nichts Anderes als das Resultat der transzendentalen Ästhetik. Da KANT sich hier nicht auf einen besonderen Teil dieses Resultats, sondern auf das ganze bezieht, jedoch bei der Besprechung desselben zum Schluß der Ästhetik (Kr. d. r. V. A 59f) den darin enthaltenen Idealismus gar nicht berührt, so bleibt nur anzunehmen, daß dasselbe mindestens zwei verschiedene Wendungen zuläßt, von denen diejenige, welche den transzendentalen Idealismus darstellt, weder für die Beweisführung und die Konsequenz der Ästhetik noch für die Argumentation und das Ergebnis der Analytik nutzbar gemacht wird.

Es wird Aufgabe der nachfolgenden Erörterung sein, diese Vermutungen näher zu bestimmen und zu begründen.

Unsere erste Aufgabe liegt demnach in der Frage, ob das Resultat der Ästhetik eine doppelte Wendung zuläßt, und welche dies ist. Der Beweisgang nun der Ästhetik stützt sich auf zwei Gedankenreihen, auf die Lehre vom empirischen Ursprung der Empfindungen, und auf die Theorie des apriorischen Ursprungs von Raum und Zeit. Beide aber gründen sich auf ein und dieselbe Voraussetzung, auf die Existenz einer Vielheit wirkender Dinge-ansich, deren jedes eine bestimmten Erscheinung entspricht. Diese Voraussetzung wird als solche nicht ausgesprochen, sie ist jedoch in einem Doppelbegriff des Gegenstandes der Sinne enthalten, von dem KANT ausgeht. So heißt es in den ersten Worten der Ästhetik:
    "der Gegenstand der (empirischen) Anschauung wird uns dadurch gegeben, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziert."
Wir kennen diesen Gegenstand also nur durch die Empfindungen, die er in uns wirkt. Diese Empfindungen aber sind, obgleich von der Art der Einwirkung des Gegenstandes abhängig, doch bloß subjektiv. Ebenso subjektiv, wenngleich von dieser Einwirkung schlechterdings unabhängig, d. h. a priori sind die Anschauungsformen Raum und Zeit. Unsere Vorstellung des Gegenstandes in Raum und Zeit ist also nicht der Gegenstand selbst, sondern nur die Erscheinung jenes Dings ansich. Eben dies erklärt KANT selbst, wenn er ausführt (Kr. d. r. V. A 55):
    "Die Erscheinung hat jederzeit zwei Seiten, die eine, da das Objekt ansich betrachtet wird (unangesehen der Art dasselbe anzuschauen ...), die andere, da auf die Form (und die Materie) der Anschauung dieses Gegenstandes gesehen wird, welche nicht im Gegenstand ansich, sondern im Subjekt, dem derselbe erscheint, gesucht werden muß."
Die Voraussetzung der Ästhetik ist demnach die als selbstverständlich geltende und deshalb gar nicht ausdrücklich ausgesprochene, im Doppelbegriff des Gegenstandes der Sinne liegene Annahme wirkender Dinge ansich. Das Ergebnis der Ästhetik aber, das durch den kurz angedeuteten Beweis der empirischen Subjektivität der Empfindungen und den eingehend begründeten Beweis der apriorischen Subjektivität von Raum und Zeit gewonnen wird, lautet in KANTs eigener Zusammenfassung:
    "Wir haben also sagen wollen, daß alle unsere Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung ist; daß die Dinge, die wir anschauen, nicht das ansich sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so ansich beschaffen sind, als sie uns erscheinen, und daß, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht ansich, sondern nur in uns existieren können."
Dieses Ergebnis nun enthält in der Tat denselben Gedanken in doppelter Wendung. Denn es besagt einerseits: Unsere sinnlichen Vorstellungen geben nur die Erscheinungen der Dinge ansich, und behauptet andererseits: die Gegenstände in Raum und Zeit existieren lediglich als Vorstellungen in uns. Beide Male also haben wir den gleichen Gedanken vor uns, das Resultat nämlich der Ästhetik: die Dinge, die wir anschauen, sind nicht das ansich, wofür wir sie anschauen. Dieser Gedanke aber ist im ersten Fall bezogen auf die Grenzen unserer sinnlichen Erkenntnis, im zweiten dagegen auf die Existenz der Gegenstände derselben. Nur die zweite dieser Wendungen jedoch, die wir kurz als die idealistische bezeichnen können, wird für die Definition des transzendenten Idealismus verwandt. Da nun dieser Begriff, wie wir bereits wissen, für KANT erst in der Dialektik wichtig wird, in der Ästhetik deshalb gar nicht zu einem selbständigen Ausdruck gelangt, so folgt, daß in der Analytik nur die erste Wendung zur Verwertung kommen kann.

Eben dies nun ist in Wirklichkeit der Fall. Schon in der Ästhetik weist uns ein auffallender Umstand darauf hin. KANT fügt nämlich im Schlußabschnitt derselben dem oben angeführten Resultat auffallenderweise die Bemerkung bei:
    "Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen ansich und abgesondert von all dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt."
Diese Behauptung aber enthält offenbar mehr, als die Ästhetik bewiesen hat. Denn daraus, daß wir von den Dingen nichts kennen als unsere Art sie wahrzunehmen, folgt doch nur das eine, daß wir kein Prädikat der sinnlichen Wahrnehmung, weder ihrer Materie noch ihrer Form nach, auf die Dinge selbst übertragen können. KANT durfte also nur schließen: Was es für eine Bewandtnis mit den Dingen-ansich haben möge, davon können uns unsere sinnlichen Vorstellungen nichts lehren.

Wenn nun KANT jenen allgemeineren Schluß trotz seiner offenbaren Unzulänglichkeit aus dem Resultat der Ästhetik dennoch zu diesem beifügt, so kann dies nur im Hinblick darauf geschehen sein, daß spätere Betrachtungen seines Werks dieses Resultat zu einem solchen Ergebnis weiterführen. Es handelt sich hier also um eine Antizipation [Vorwegnahme - wp] späterer Ergebnisse. Andererseits aber ist deutlich, daß diese Vorwegnahme sich nur auf die erste Wendung des Resultats der Ästhetik bezieht. Jenes hat behauptet: alle unsere sinnlichen Vorstellungen geben nur die Erscheinungen der Dinge-ansich. Hier wird gesagt: alle unsere Vorstellungen geben lediglich diese Erscheinungen.

KANT hat also am Schluß seiner Ästhetik unmittelbar diese Wendung allein vor Augen. Bezeichnen wir dieselbe nun, sofern sie den Umfang unserer sinnlichen Erkenntnisse ausschließlich auf mögliche Erscheinungen, d. h. auf mögliche Erfahrung beschränkt, als eine empiristische, so können wir unser Ergebnis bestimmter aussprechen: Da KANT bei der Zusammenfassung des Resultats der Ästhetik die idealistische Wendung desselben kaum andeutet, die empiristische dagegen in ihrer möglich größten Erweiterung ausspricht, so ist letztere es allein, die ihm für die unmittelbar folgende Fortbildung seiner Gedanken in der Analytik wesentlich ist.

Es fragt sich weiter, ob die tatsächlichen Ausführungen dieses Abschnitts meinen Schluß bestätigen. Einen negativen Beweisgrund für die Bejahung dieser Frage kennen wir schon: vom transzendentalen Idealismus ist an keiner Stelle der Analytik die Rede. Aber auch positive Argumente bieten sich in Fülle an. Jene empiristische Wendung nämlich ist nichts weniger als die Grundlage der ganzen Argumentation dieses Abschnitts, denn sie bildet die Voraussetzung für der Ergebnis der transzendentalen Deduktion der Kategorien. Das Problem dieser bedeutungsvollsten aller Untersuchungen der Kr. d. r. V. liegt, wie wir gesehen haben, in der Frage: Wie ist es möglich, daß sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen? Die Lösung desselben lautet: diese Beziehung ist dann notwendig, wenn die Kategorien lediglich die Bedingungen möglicher Erfahrung sind. Die Voraussetzung dieser Lösung aber ist, daß die Gegenstände unserer Erkenntnis nicht die Dinge-ansich, sondern nur ihre Erscheinungen sind. Denn wären sie die Dinge-ansich, so würden wir von ihnen keine Begriffe a priori haben können;
    "dagegen wenn wir es überall nur mit Erscheinungen zu tun haben, so ist es nicht allein möglich, sondern auch notwendig, daß gewisse Begriffe a priori vor der empirischen Erkenntnis der Gegenstände vorhergehen." (Kr. d. r. V. B 129)
Die empiristische Wendung der Ästhetik bildet demnach den Ausgangspunkt für diese ganze Argumentation, damit aber auch die Grundlage aller späteren Ausführungen der Analytik, die das Ergebnis der Deduktion lediglich in seine Konsequenzen verfolgen. Es ist deshalb überflüssig, dies noch im Einzelnen nachzuweisen. Man mag jeden beliebigen Abschnitt in Betracht ziehen: überall ist die Möglichkeit der Erfahrung das, was unseren Begriffen a priori objektive Realität gibt; überall beruth diese Möglichkeit darauf, daß unsere sinnliche Erkenntnis uns nur die Erscheinungen der Dinge gibt; überall also bildet die empiristische Wendung des Resultats der Ästhetik die Voraussetzung der Beweisführung.

Die unmittelbare Konsequenz der Deduktion ist nun, daß die Kategorien, da sie sich lediglich auf mögliche Erscheinungen beziehen, von den Dingen-ansich nicht prädiziert werden können, also nur von empirischem, nich transzendentalen Gebrauch sind. Dieses Ergebnis bildet daher zugleich eine mittelbare Konsequenz der Ästhetik. Dasselbe ist es also, das uns jene Antizipation verständlich macht, die KANT bei der Besprechung des Resultats der Ästhetik ausgesprochen hat. Denn nunmehr wird jene empiristische Wendung, daß unsere sinnlichen Vorstellungen nur die Erscheinungen der Dinge-ansich geben, ergänzt durch die Behauptung, daß auch die Verstandesvorstellungen sich lediglich auf Erscheinungen beziehen. Hieraus aber folgt, daß es uns allerdings "gänzlich unbekannt bleibt, was es mit den Dingen ansich für eine Bewandtnis hat." (15)

Dürfen wir nun aber annehmen, daß das Resultat der Ästhetik (in seiner empiristischen Wendung) die Voraussetzung ist für das Ergebnis der Deduktion, so folgt ferner, daß die Voraussetzung jenes ersten Resultates zugleich auch die notwendige Grundlage bildet für die ganze Analytik. Diese Voraussetzung aber lag in der durch den Doppelbegriff des Gegenstandes der Sinne angezeigten, als selbstverständlich geltenden Annahme der Existenz einer Mehrheit wirkender Dinge-ansich. Daraus folgt, daß auch die Analytik diese Grundlage überall voraussetzen muß. Sie würde ohne dieselbe ebenso sinnlos sein, wie die Ästhetik.

Dementsprechend findet sich dann auch diese Annahme in der Analytik von den verschiedensten Gesichtspunkten aus dargelegt und näher begründet. Den ersten dieser Beziehungspunkte bieten die Äußerungen KANTs über das transzendentale Objekt. Wie nämlich die Ästhetik den Gegenstand der sinnlichen Vorstellung als Erscheinung vom Ding-ansich als dem sinnlich unbekannten Grund dieser Erscheinung trennt, so scheidet die Analytik das empirische Objekt als Produkt der Synthesis des Verstandes aus dem Mannigfaltigen der Sinnlichkeit, vom transzendentalen Objekt als dem durch keine Kategorie bestimmbaren Grund der Erscheinungen. Dementsprechend erfahren wir dann (Kr. d. r. V. A 344):
    "Der Verstand ..., indem er die Sinnlichkeit warnt, daß sie sich nicht anmaße, auf Dinge-ansich zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, denkt sich einen Gegenstand ansich, aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung (folglich selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz usw. gedacht werden kann",
also völlig unbekannt ist. Zu derselben Voraussetzung führt KANTs Lehre vom Noumenon, d. h. "dem transzendentalen Objekt, sofern die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist" (Kr. d. r. V. A 345), sofern die Vorstellung desselben also trotz des lediglich empirischen Gebrauchs der Kategorien als eine Verstandesvorstellung zu denken ist (Kr. d. r. V. A 310). Daß wir eine solche Vorstellung besitzen, ist für KANT unzweifelhat. Denn
    "es folgt natürlicherweise aus dem Begriff einer Erscheinung überhaupt, daß ihr etwas entsprechen muß, was ansich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich selbst und außerhalb unserer Vorstellungsart sein kann, folglich, wo nicht ein beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber ansich, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit, etwas, d. h. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß." (Kr. d. r. V. A 308 Anm.).
Der Verstand begrenzt demnach die Sinnlichkeit (Kr. d. r. V. A 344), d. h. er schränkt sie dahin ein, daß0 sie nicht auf Dinge ansich, sondern nur auf die Art geht, wie uns vermöge unserer subjektiven Beschaffenheit Dinge erscheinen (Kr. d. r. V. A 308 Anm.). "Hieraus entspringt nun der Begriff von einem Noumenon" (a. a. O.). Es entsteht daher die Frage für KANT, wie dieser Begriff zu denken ist, da die Kategorien einen transzendentalen Gebrauch nicht zulassen. Diese Frage aber wird sowohl in der Deduktion (in der ersten Auflage) als auch im Abschnitt über die Phänomena und Noumena eingehend beantwortet (Kr. d. r. V. A 305f; B 104f). Es ist nämlich zunächst deutlich, daß dieser Begriff eines Noumenon durchaus nicht positiv sein, d. h. eine bestimmte Erkenntnis von einem Ding geben kann (Kr. d. r. V. A 309 Anm.), daß er vielmehr, da wir keine Anschauung von ihm haben können und also auch die Kategorien von ihm nicht gelten, nur ein Etwas ist = X, von dem wir gar nichts wissen noch überhaupt wissen können (Kr. d. r. V. A 308 Anm.). Wir müssen sogar sagen: weil dieses Etwas = X von allen unseren Vorstellungen verschieden sein soll, so ist es für uns nichts, denn wir haben außer unserer Erkenntnis doch nichts, was wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegenüber setzen können (Kr. d. r. V. B 104). Dennoch aber führt gerade
    "unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnisse auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich, sofern dieselben nämlich, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, auch notwendigerweise in Beziehung auf diesen übereinstimmen müssen." (a. a. o.)
Es kommt also darauf an, unsere absolute Unkenntnis des Gegenstandes mit dieser Forderung zu vereinigen. Dazu aber führt uns die Wahrnehmung, daß aller Notwendigkeit jederzeit eine Bedingung a priori zugrunde liegt (Kr. d. r. V. B 106; man vgl. 115). Der Gegenstand, in Beziehung auf den unsere Erkenntnisse notwendigerweise übereinstimmen,
    "muß also als dasjenige angesehen werden, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl und beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt sein." (Kr. d. r. V. B 104)
Der Begriff des Gegenstandes also macht lediglich eine (apriorische) Einheit unserer Erkenntnisse notwendig (a. a. O.) Diese Einheit kann jedoch keine andere sein
    "als die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen", denn "dann sagen wir: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir im Mannigfaltigen der Anschauung eine synthetische Einheit bewirkt haben." (a. a. O.)
Daraus ergibt sich, daß das Noumenon (transzendentale Objekt), eben weil wir von demselben nichts wissen können,
    "nur als eine Korrelat der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen kann, mittels deren der Versetand dasselbe in den Begriff eines Gegenstandes vereinigt." (Kr. d. r. V. A 307 Anm.)
Das Noumenon (transzendentale Objekt) ist daher
    "kein Gegenstand der Erkenntnis ansich, sondern nur die Vorstellung der Erscheinungen unter dem Begriff eines Gegenstandes überhaupt." (a. a. O.)
Dieser Begriff des Dings überhaupt nun befriedigt in der Tat nicht bloß jene Forderung, der das Noumenon gerecht werden soll, sondern er hebt auch die Schwierigkeit auf, wie der Verstand dasselbe zwar durch keine Kategorie denken, aber doch zur Begrenzung der Sinnlichkeit annehmen kann. Er erfüllt jene Forderung, so fern er sich "gar nicht von den sinnlichen datis absondern läßt", deren Einheit er notwendig macht, "weil alsdann nichts übrig bleibt, wodurch er gedacht würde"; er muß also "durch das Mannigfaltige der Erscheinungen bestimmbar sein."

Das Ding überhaupt besagt zweitens nichts anderes als das Ding-ansich, bzw. das transzendentale Objekt, denn auch bei ihm nehmen wir "keine Rücksicht auf die Art, wie wir dasselbe anschauen mögen (Kr. d. r. V. A 303); ist aber "die Art der Anschauung auf keine Weise gegeben, so ist der Gegenstand bloß transzendental" (Kr. d. r. V. A 304). Endlich aber liegt in diesem Begriff des Dings überhaupt eine Begrenzung der Sinnlichkeit durch den Verstand. Denn
    "lasse ich aus einer empirischen Erkenntnis alle Anschauung weg, so bleibt doch noch die Form des Denkens, d. h. die Art, dem Mannigfaltigen einer möglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken sich Kategorien so fern weiter als die sinnliche Anschauung, weil sie Objekte überhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art (der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben werden mögen." (Kr. d. r. V. A 309)
Noch auf eine andere Weise stellt KANT den ganz eigenartigen Zusammenhang dieser drei Gedankenreihen im Begriff des Noumenon dar (Kr. d. r. V. A 310). Dasselbe ist nämlich in der ersten Hinsicht notwendig, denn es schränkt die sinnliche Erkenntnis ein auf Erscheinungen (und erklärt deren Einheit). Andererseits aber ist dasselbe logisch unmöglich, d. h. nicht widersprechend, denn es wird gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding überhaupt (vgl. Kr. d. r. V. A 298) gedacht, d. h. lediglich durch einen reinen Verstand. Endlich aber ist seine objektive Realität von uns gar nicht einzusehen, weil es als Ding-ansich, d. h. abgesehen von all unserer Anschauung gedacht werden soll. Ein Begriff aber, der diese drei Forderungen erfüllt, ist problematisch. Der Begriff des Noumenen ist also ein problematischer Grenzbegriff.

Diese Darstellung beweist zunächst, daß die Voraussetzung einer Mehrheit von wirkenden Dingen ansich, wie sie das Fundament der Ästhetik ist, so auch die unentbehrliche Voraussetzung der Analytik bleibt. Sie zeigt zweitens, daß KANT sich sehr eingehend damit beschäftigt hat, die Konsequenzen seiner Analytik mit dieser Voraussetzung zusammenzudenken, daß er sich also sehr wohl bewußt war, daß hier eine Schwierigkeit liegt, die er aufzuheben hat. Nehmen wir hinzu, daß diese Beweise KANTs zu den schwerstverständlichen Partien des Werks gehören, daß wir denselben Gedankengang im Ganzen in dreifacher Wiederholung antreffen (Kr. d. r. V. A 305 Anm.; B 104, 108), so dürfen wir schließen, daß wir es hier mit einer mühsam erarbeiteten Argumentation zu tun haben. Dennoch findet sich keine Andeutung, daß KANT sich bewußt gewesen wäre, er habe hier eine Schwierigkeit nicht völlig überwunden. Denn obgleich zwei dieser Beweise in den ersten Abschnitt der Deduktion hineingehören, dessen Unzulänglichkeit KANT, wie wir wissen, schon 1781 wohl kannte, so liegen doch die Gründe dieser Unzulänglichkeit nach dem oben Besprochenen auf ganz anderem Gebiet.

LITERATUR: Benno Erdmann, Einleitung zu Immanuel Kants Prolegomena zu einer jeder künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Leipzig 1878
    1) Über die Beziehungen der Prolegomenen zur zweiten Auflage der Kr. d. r. V. muß ich auf die Einleitung zu meiner Ausgabe der letzteren verweisen, da dieselben ohne die Kenntnis von Kants Entwicklung in der Zeit von 1782-1787 nicht verständlich sind.
    2) Solche Beziehungen wurden erst möglich, als die nachfolgende philosophische Bewegung den kantischen Gegensatz zwischen Erscheinung und Ding-ansich umgewandelt hatte in das Verhältnis des eigentlich Wesenhaften zu der wechselnden sinnlichen Daseinsform. So kam Schopenhauer zu seiner Verbindung der kantischen Erkenntnistheorie mit Platons Ideenlehre, die auf einen "Schülergedanken" zurückzuführen etwas sonderbar ist.
    3) Kant bemerkt zum Schluß des ersten Absatzes von § 5: "Es bleiben uns also nur synthetische Sätze a priori übrig, deren Möglichkeit gesucht oder untersucht werden muß." Unmittelbar darauf, zu Anfang der Einfügung, fährt er fort: "Wir dürfen aber die Möglichkeit solcher Sätze hier nicht zuerst suchen, d. h. fragen, ob sie möglich seien." Dieser überaus schiefe Ausdruck eines richtigen Gedankens würde für sich allein ausreichen, den gleichzeitigen Ursprung beider Sätze sehr unwahrscheinlich zu machen.
    4) Es entsprechen die §§ 1, 2, 4, 5 der Einleitung in die Kr. d. r. V.; die §§ 6 - 13 der transzendentalen Ästhetik; die §§ 14 -22 der Analytik der Begriffe; die §§ 23-26 den ersten drei Hauptstücken der Analytik der Grundsätze; die §§ 32 - 35 dem letzten Hauptstück desselben Buchs; die §§ 40 - 56 der transzendentalen Dialektik.
    5) Der Umfang des ursprünglichen Auszugs beträgt hiernach in Wirklichkeit nur einige Bogen, wie Kant dies von vornherein geplant hatte.
    6) Die Auslassung der kurzen Bemerkungen der ersten Auflage über den inneren Sinn geschieht offenbar nur im Interesse der Popularität.
    7) In der zweiten Auflage hat Kant dies hinsichtlich eines einzelnen Punktes selbst ausgesprochen. In dieser (Kr. d. r. V. 152) bemerkt er, daß "die reproduktive Einbildungskraft", welche in der Deduktion der ersten Auflage keine geringe Rolle spielt, "weil die Synthesis derselben lediglich empirischen Gesetzen unterworfen ist, zur Möglichkeit der Erkenntnis a priori nichts beiträgt, und um deswillen nicht in die Transzendentalphilosophie, sondern in die Psychologie gehört."
    8) Am wenigstens ist dies für die kosmologischen Ideen möglich. In der Besprechung derselben tritt deshalb durch den Zwang der Sache ein solcher Zusammenhang direkt hervor.
    9) Diese Inkongruenzen [Abweichungen - wp] werden ziemlich gering, wenn man die Reproduktion als den Gattungsbegriff faßt, dem die Assoziation als die empirische, die Affinität als die transzendentale Synthesis untergeordnet sind. Die Erklärung (Kr. d. r. V. B 121), daß das reproduktive Vermögen der Einbildungskraft nur empirisch ist, verliert ihre Bestimmtheit, wenn man hinzunimmt, daß Kant auch bemerkt (Kr. d. r. V. B 100): "es ist ein bloß empirisches Gesetz, nach welchem sich Vorstellungen ... vergesellschaften", dann aber nachweist, diese reproduktive Synthesis gehöre ebenfalls zu den transzendentalen Handlungen des Gemüts. (Man vgl. jedoch Kr. d. r. V. A 152.)
    10) Man vgl. die §§ 1, 24 der Prolegomenen.
    11) Abgesehen natürlich von den späteren Zusätzen.
    12) Man vgl. Seite CIV
    13) Es sei schon hier erwähnt, daß dieser Eingang in der später veröffentlichten vollständigeren Rezension Garves umgearbeitet ist. Von Feder rührt er sicher nicht her.
    14) Man vgl. Prolegomena, Seite 215 und diese Einleitung weiter oben.
    15) Nach dem Buchstaben der Lehre Kants würde dieses Ergebnis erst nach der Deduktion der Ideen gesichert sein. Aber Kant weiß selbst sehr wohl, daß diese nur eine notwendige Konsequenz der Analytik ist. Deshalb ist er dem Sinn nach seiner Lehre nach berechtigt, jene Konsequenzen schon hier auszusprechen.