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CHRISTIAN GARVE
Rezension der
"Kritik der reinen Vernunft"

[ungekürzte Fassung]

"Wir suchen die Form der Erscheinungen. Es ist ... denselben etwas gemein, und gerade dieses macht, daß sie uns als äußere Erscheinungen vorkommen. Wir setzen sie nämlich alle in einen gewissen Raum, als Dinge, wir setzen sie in eine gewisse Zeit, als Begebenheiten. Das ist für uns wirklich, was wir uns irgendwo und irgendwann vorstellen."

"Erscheinungen unterscheiden sich ... von anderen Vorstellungen, nur durch die subjektive Bedingung, daß Raum und Zeit damit verbunden sind. Alle unsere Begriffe werden also danach geprüft werden, ob sie mit den Vorstellungen von Raum und Zeit bestehen können."

"Aus diesen Erscheinungen nun bildet der Verstand Objekte. Er selbst bildet sie: denn er ist es, der mehrere sukzessive kleine Veränderungen der Seele in ganze, vollständige Empfindungen vereinigt; er ist es, der diese Ganze wieder so in der Zeit aneinanderhängt, daß sie als Ursache und Wirkung aufeinander folgen; ... indem er in die Anschauungen der Sinne, Ordnung, Regelmäßigkeit der Folge und wechselweisen Einfluß hineinbringt, die Natur im eigentlichen Verstand hervorbringt, schafft und ihre Gesetze nach den seinen bestimmt."

"Aber zuerst scheint der Verfasser nicht bemerkt zu haben, daß diese ganze Theorie bloß auf den Sinn des Gesichts kalkuliert ist; und daß Hören, Schmecken und Fühlen, wobei kein Raum, keine Anschauung a priori vorkommt, auf diese Weise an nichts Wirkliches, an kein Objekt sollte denken lassen."

Herr KANT ist aus den philosophischen Schriften, womit er bisher das Publikum beschenkt hat, als einer der tiefsten und gründlichsten Denker und zugleich als ein Mann bekannt, dem eine schöne und fruchtbrare Einbildungskraft auch für die abgezogensten [abstraktesten - wp] Begriffe oft sehr passende und glückliche Bilder darbietet, wodurch sie auch für den weniger scharfsinnigen Leser faßlich und nicht selten anziehend werden. Die Tiefe seines philosophischen Genies hat er in keinem seiner Werke noch so sehr, wie in dem gegenwärtigen, gezeigt: aber von der anderen Eigenschaft des angenehmen und populären Vortrags hat dieses Werk in seinen meisten Teilen weit weniger; nicht, glauben wir, weil die Schreibart des Verfassers gealtert, sondern weil die meisten Materien, die er hier bearbeitet, ihrer Natur nach, von Sinnlichkeit und Anschauung zu entlegen sind, als daß sie mit aller Bemühung des Schriftstellers ihnen wieder könnten genähert werden. Der eigentliche Zweck dieses Werkes ist, die Grenzen der Vernunft zu bestimmen, und sein Inhalt zu zeigen, daß die Vernunft allemal außerhalb dieser Grenzen ausschweift, so oft sie etwas von der Wirklichkeit eines Dinges behauptet. Indessen, die Aufhebung aller Systeme bringt natürlicherweise ein neues hervor. Es gibt gewisse Grundsätze, deren der Mensch durchaus nicht entbehren, oder deren er sich nicht entschlagen kann. Wenn man also die Ungültigkeit derselben in all den Bedeutungen, in denen sie bisher gebraucht worden sind, gefunden zu haben glaubt; so ist man genötigt, einen neuen Sinn für sie zu suchen, man muß ausdrücklich für sie ein neues Gebäude von Ideen aufführen, nachdem man alle die niedergerissen hat, worin sie bisher waren aufbewahrt worden. -

Der Verfasser, um sein System begreiflich zu machen, hat nötig gefunden, auch eine neue Terminologie einzuführen. Es würde unmöglich sein, sich dieser zu bedienen, um von jenem einen kurzen Begriff zu geben. Es wird aber vielleicht ebenso unmöglich sein, die Gedanken des Verfassers in all ihrer Eigentümlichkeit mit Worten einer mehr populären Philosophie auszudrücken. Die Terminologie ist der Faden der Ariadne, ohne welchen oft auch der scharfsinnigste Kopf seine Leser durch das dunkle Labyrinth abstrakter Spekulationen nicht würde durchführen können. Wenn dieser auch nicht immer deutlich sieht, so fühlt er doch zu seiner Beruhigung, daß er den Faden noch immer in seiner Hand hält, und hofft auf einen Ausgang. Das Tageslicht des gemeinen Menschenverstandes, so viel Mühe man sich auch geben mag, es in diese finsteren einsame Gänge zu bringen, kann sie doch selten hinlänglich erhellen, um den Weg sichtbar zu machen, den man vorher durch eine Art von Gefühl gefunden hat.

Unterdessen alle Kenntnisse dieser Art müssen doch auf die eine oder andere Art mit den bisherigen Vorstellungen zusammenhängen werden können, weil sie doch ganz unfehlbar, aus diesen, wenn auch nur gelegentlich, entstanden sind. Sie müssen sich also auch in eine gewöhnlichere Sprache, wiewohl vielleicht mit einem Verlust ihrer Genauigkeit, übersetzen lassen. Hier ist also das System des Verfassers, so wie es sich im Kopf des Rezensenten eingebildet hat. Er hofft, daß die Veränderungen, die es dadurch erlitten hat, wenigstens nicht größer und nachteiliger sein werden, als die, welche es im Kopf jedes anderen Lesers erleiden muß, wenn es verständlich oder brauchbar sein soll.

Alle unsere Erkenntnisse entspringen aus gewissen Modifikationen unserer selbst, die wir Empfindungen nennen. Worin diese befindlich sind, woher sie rühren, das ist uns im Grunde völlig unbekannt. Wenn es ein wirklich Ding gibt, dem die Vorstellungen inhärieren; wirkliche Dinge, unabhängig von uns, die dieselben hervorbringen: so wissen wir doch von dem einen so wenig wie von dem andern das mindeste Prädikat. Dessenungeachtet nehmen wir Objekte an, wir reden von uns selbst, wir reden von den Körpern als von wirklichen Dingen; wir glauben beide zu kennen, wir urteilen über sie. Durch welches wunderbare Kunststück veranstaltet es die Natur, daß eine Reihe von Veränderungen in uns, sich in eine Reihe von Dingen außerhalb von uns verwandelt? Auf welche Weise geschieht es, daß, bei der gänzlichen Unähnlichkeit die zwischen den Vorstellungen und den Objekten, wenn es deren gibt, obwaltet, doch jene auf diese hinzuführen, uns von jenen Kenntnisse zu verschaffen scheinen? Dieses Geheimnis zu erklären, geht nun Herr KANT also zu Werke.

Die erste Frage ist: was gehört zum Sehen, Hören, mit einem Wort, zum äußeren Empfinden? Die zweite: was gehört dazu, aus den Erscheinungen des Auges, den Eindrücken des Ohrs, Begriffe von Gegenständen zu machen, oder, mit anderen Worten, daraus eine Kenntnis zu formieren, dergleichen wir eine haben. Zu den bloßen Erscheinungen sind nötig gewisse bestimmte Modifikationen der Organe. Aber davon abstrahieren wir hier. Diese sind bei jeder Empfindung einzeln in ihrer Art, wir suchen aber das Allgemeine; sie machen die Materie der Erscheinungen; wir suchen die Form derselben. Es ist jedoch denselben etwas gemein, und gerade dieses macht, daß sie uns als äußere Erscheinungen vorkommen. Wir setzen sie nämlich alle in einen gewissen Raum, als Dinge, wir setzen sie in eine gewisse Zeit, als Begebenheiten. Das ist für uns wirklich, was wir uns irgendwo und irgendwann vorstellen. Raum und Zeit haben unter allen übrigen Vorstellungen etwas ganz eigenes und auszeichnendes. Sie sind nichts wirkliches außerhalb von uns, sonst müßte es ganz unendliche Substanzen geben, die durchaus keine Eigenschaften hätten. Sie sind keine Verhältnisbegriffe: denn Verhältnisse sind später als die Dinge, die sich verhalten, und ohne dieselben nicht zu denken. Raum und Zeit aber gehen vor allen Dingen vorher, weil alle in jenen erst vorgestellt werden können; und sind denkbar, auch wenn die Dinge aufgehoben werden. Es sind nicht abstrahierte Begriffe; denn es gibt nicht mehrere Räume, mehrere Zeiten, deren Ähnlichkeiten gesammelt worden wären. Es gibt einen allgemeinen Raum, eine unendliche Zeit, von welcher die einzelnen Räume der Zeiten, nicht Arten, sondern nur Einschränkungen sind.

Was bleibt übrig, als daß Raum und Zeit subjektive Gesetze unseres Vorstellungsvermögens, Formen der Ermpfindungen, Einrichtungen unserer Natur sind, die alten Eindrücken, wodurch sie modifiziert wird, hinwiederum diese beiden ihre eigenen allgemeinen Formen, als ihren Stempel aufdrückt. - Mit all diesen Worten ist etwas zu Bekanntes verbunden; und deswegen so ausgedrückt, scheint diese Meinung immer noch befremdlich. Der Verfasser sagt: Raum und Zeit sind subjektive Bedingungen der sinnlichen Anschauung: und in der Tat verschwindet das Schwierige, wenn fremde Ideen, durch unbekanntere Wörter ausgedrückt werden.

Dies ist einer von den Grundpfeilern des kantischen Systems. Durch Erscheinungen werden uns die Data zu den Objekten geliefert. Erscheinungen unterscheiden sich aber von anderen Vorstellungen, nur durch die subjektive Bedingung, daß Raum und Zeit damit verbunden sind. Alle unsere Begriffe werden also danach geprüft werden, ob sie mit den Vorstellungen von Raum und Zeit bestehen können.

Aus diesen Erscheinungen nun bildet der Verstand Objekte. Er selbst bildet sie: denn er ist es, der mehrere sukzessive kleine Veränderungen der Seele in ganze, vollständige Empfindungen vereinigt; er ist es, der diese Ganze wieder so in der Zeit aneinanderhängt, daß sie als Ursache und Wirkung aufeinander folgen; wodurch jedes seinen bestimmten Platz in der unendlichen Zeit, und alle zusammen die Haltung und Festigkeit wirklicher Dinge bekommen; er ist es endlich, der durch einen neuen Zusatz von Verknüpfung, die zugleichseiende Gegenstände von den sukzessiven unterscheidet, und auf diese Weise, indem er in die Anschauungen der Sinne, Ordnung, Regelmäßigkeit der Folge und wechselweisen Einfluß hineinbringt, die Natur im eigentlichen Verstand hervorbringt, schafft und ihre Gesetze nach den seinen bestimmt. -

Sinnliche Anschauungen allein geben bloße Träumereien. Verstandesbegriffe allein geben bloß eine Regel der Ordnung, ohne Sachen, die geordnet werden sollen; sinnliche Anschauungen mit Begriffen verbunden, geben Objekte, scheinbare Wirklichkeiten. Diese Gesetze des Verstandes sind älter als die Erscheinungen, bei welchen sie angewandt werden: es gibt also Verstandesbegriff a priori. Herr KANT setzt vier allgemeine Funktionen des Verstandes fest, und leitet daraus vier allgemeine, auf Erscheinungen anwendbare Begriffe, d. h. Kategorien her, Qualität, Quantität, Relation und Modalität. Unter dem ersten steht die Realität, die Negation und die Einschränkung; unter dem zweiten das Allgemeine, das Besondere, und das Einzelne; unter dem dritten die Inhärenz, die Kausalität und die wechselseitige Influenz; unter dem vierten die Möglichkeit, die Existenz und die Notwendigkeit. (Aber auf welchem Grund beruth diese Erscheinung? Was beweist ihre Vollständigkeit? Wenn dies Verstandesbegriffe a priori, und nicht bloß logische Klassifikationen der Prädikate a posteriori sind: so müssen sie aus der Natur des Verstandes hergeleitet werden. Scheint es nicht, daß oft auch in dem tiefsinnigen System, die Grundbegriffe bloß durch Assoziation entstehen, und der Scharfsinn nur beschäftigt ist, sie durch unerwartete Anwendungen, die er davon zu machen weiß, zu rechtfertigen?)

Der Verstand hat bei der Verwandlung sinnlicher Bilder in Erfahrungskenntnisse, ein doppeltes Geschäft; er formiert Begriffe, indem er die Erscheinungen nach den Kategorien ordnet; und er macht Grundsätze, die nichts anderes als Ausdrücke seiner eigenen Gesetze, und der Regel des sinnlichen Anschauens sind. Um Begriffe von Objekten zustande zu bringen, ist dreierlei nötig, die sukzessiven Eindrücke müssen in eine Empfindung von dem Sinn selbst vereinigt werden; mehrere vollständige Empfindungen müssen durch Hilfe der Einbildungskraft zu einer Wahrnehmung verbunden werden; indem diese die vergangene Anschauung erneuert, während daß sich eine neue darstellt. Mehrere Wahrnehmungen müssen durch das Bewußtsein unserer selbst vereinigt sein, als gehörit zu ein und demselben Ich. Um Grundsätze zu bilden, müssen nach einem neuen Ausdruck des Verfassers, die Kategorien schematisiert, d. h. anschaulicher, unmittelbar auf Erscheinungen anwendbarer gemacht werden: und dieses geschieht durch die Verbindung derselben mit den Vorstellungen von Raum und Zeit, als den Bedingungen der Anschauung.

Analytische Grundsätze sind, welche bloß den schon vorhandenen Begriff des Subjekts enthalten; synthetische, welche ihm ein neues Prädikat zusetzen. Die letzteren können nur gemacht werden, wenn das Subjekt zur Anschauung gebracht wird; (Etwas Neues an einem Ding zu entdecken, muß man es vor sich sehen.) und von den Kategorien finden also keine statt, als wenn sie schematisiert werden. Der erste analytische Grundsatz ist der des Widerspruchs. Er sagt nichts weiter, als daß, wo ich eine Funktion des Verstandes durch die andere aufhebe, ich keine vornehme. Der allgemeine synthetische Grundsatz ist der, welcher aussagt, daß alle Erkenntnisse a priori, die zur Formierung einer Erklärung notwendig, alle Begriffe, ohne welche die Erscheinungen sich nicht in Gegenstände geben, oder die Gegenstände nicht in ein zusammenhängendes Ganzes verbinden lassen, als objektiv gültig angesehen werden müssen.

Wenn nun die Kategorie der Quantität kombiniert wird mit Raum und Zeit; so entsteht das Axiom: daß alles was ist, (nämlich in der Erscheinung) extensio [äußerlich - wp] ist in Raum und Zeit. Nichts kann als da seiend vorgestellt werden, wenn es nicht einen gewissen Raum und eine Dauer ausfüllt. - Aus der Verknüpfung des Begriffs der Qualität mit der Zeit- und Ortsbestimmungen, entsteht der Grundsatz: jedes empfundene Ding (jedes in der Erscheinung wirkliche) muß eine innere Größe, einen Grad von Realität haben. - Durch eine Anwendung dieses Grundsatzes kann man zeigen, daß die Verschiedenheit der spezifischen Schwere, nicht aus mehr oder minderen leeren Zwischenräumen in den Körpern allein erklärt werden darf; sondern aus dem ungleichen Grad der Realität ihrer Grundteile herkommen kann. Würde die dritte Kategorie, die der Verhältnisse, Substantialität, Inhärenz, und wechselseitige Verknüpfung, verglichen mit den drei Hauptbestimmungen der Zeit, Beharrlichkeit, Folge, und Zugleichsein: so entstehen drei Grundsätze, die der Verfasser Analogien der Entfernung nennt.
    1) In allen Erscheinungen ist das Substantielle nichts anderes als das Beharrliche, neben welchem andere Vorstellungen abwechseln, die die Akzidenzien [Merkmale, Eigenschaften - wp] ausmachen. Die Folge des Veränderlichen, also die Zeit, wird erst durch das Beharrliche merklich, woran es ist, wie vorübergehende Schattenbilder einen Grund haben müssen, auf dem ihre Bewegung gesehen wird. So wie also der Begriff der Zeit zu jeder Existenz notwendig ist: so ist es auch die Beharrlichkeit der Substanzen. Der Begriff von Schöpfung, von Vernichtung wäre für uns eine Aufhebung allen Denkens; und also eine Ungereimtheit.

    2) Alles, was geschieht, muß auf etwas anderes folgen, woraus es regelmäßig fließt. Denn wo ein Zeitpunkt ist, da ist auch ein vorhergehender. Dieser kann nicht leer sein. Die Folge aber zwischen Vorhergehenden und Nachfolgendem muß regelmäßig sein, weil die Zeit eine kontinuierliche Größe ist.

    3) Alles, was zugleich ist, muß in einer wechselseitigen Gemeinschaft sein. - Auch gleichzeitige Dinge machen sukzessive Eindrücke. Wodurch unterscheidet sie also der Verstand von sukzessiven? durch eine andere Art von Verknüpfung. - Und welcher Unterschied kann stattfinden, als daß, da bei den skukzessiven die Einwirkung einseitig ist, nur vorwärts von Ursache zur Wirkung, sie bei den simultanen doppelt und gegenseitig wird.
Endlich wende man die Kategorie der Modalität, Existenz, Möglichkeit und Notwendigkeit, auf die Bestimmungen an, die dem Anschauen zugrunde liegen: und man wird finden, daß jene Wörter ebenfalls nur gewisse Verschiedenheiten in unseren Vorstellungen bezeichnen, und auf Dinge-ansich in dieser Bedeutung nicht anwendbar sind. Möglich für uns ist, was erfahren werden kann, was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinstimmt. Wirklich, was mit den materiellen Bedingungen der Erfahrung übereinstimmt, d. h. was unmittelbar angeschaut wird, oder das, wovon man deutlich einsieht, daß an einen anderen Platz, in einen anderen Zeitpunkt gestellt, man es erfahren würde. Notwendig endlich ist, was mit dem Wirklichen nach dem allgemeinen Gesetzen, worauf alle Erfahrung beruth, verknüpft ist. Diesem zufolge gibt es nichts notwendiges als die Wirkungen, die aus den Ursachen folgen: folglich sind es immer nur Zustände, Veränderungen, Begebenheiten, deren Notwendigkeit wir einsehen, nie Substanzen. Diese sind nie Wirkungen; sie sind das Beharrliche Immerwährende, an welchem die Abwechslung von Ursachen und Folgen erst merklich wird. Alles also, was wir als Gegenstände betrachten und benennen, sind nur Erscheinungen, die aber durch den Verstand nach seinen eigenen Gesetzen, vermöge der in der Kategorien ausgedrückten Funktionen, zusammengefügt, nach Raum und Zeit durchgängig verknüpft werden; und alle Begriffe von Existenz und Substanz, nebst allen daran klebenden, entstehen, wenn die Gesetze des reinen Verstandes, der in die Erscheinungen, Einheit und System bringt, mit den Gesetzen der Anschauung gleichsam gemeinschaftlich operieren, wobei letztere die Zeit- und Ortbestimmungen fordern. Ob es außer diesen Objekten, die nur durch Regeln des Verstandes und der Anschauung modifizierte Eindrücke sind, noch andere gibt, die man Dinge für sich nennen könnte, weil ihre Existenz unabhängig von unserer Vorstellungswelt wäre: das ist uns zwar völlig unbekannt; und diese Dinge, wenn es deren gibt, sind für uns ohne alle Prädikate, also nichts. Jedoch sind wir durch ein anderes Gesetz unseres Verstandes gleichsam gezwungen, sie problematisch anzunehmen. Und dies ist es eben, was zum Unterschied zwischen phaenomena und noumena, in der alten echten Bedeutung Anlaß gegeben hat: Wörter, die eine unausweichliche und doch nie zu beantwortende Frage anzeigen. -

Die bisherigen Grundsätze zogen wir aus den Kategorien, indem wir sie in den Erscheinungen gleichsam substanzialisieren. Die reinen Vorstellungen des Verstandes können aber auch ohne Rücksicht auf Objekte miteinander verglichen werden. Dies ist eigentlich was Reflexion heißt; und die Verhältnisse, die alsdann unter ihnen gefunden werden, sind keine anderen als die der Einerleiheit und der Verschiedenheit, die des Innern und Äußern, die der Einstimmung und des Widerspruchs, die endlich des Bestimmbaren und Bestimmten, oder der Materie und der Form. Da aber die Vorstellungen einen doppelten Charakter haben: einen, wenn sie nur im reinen Verstand, als Ausdrücke seiner Funktionen vorhanden sind; und einen andern, insofern sie auf Erscheinungen angewandt werden; und in den Empfindungen gleichsam eingewickelt liegen: so bekommen auch die oben bezeichneten Verhältnissse einen doppelten Sinn.
    1) Die Verschiedenheit in den Begriffen vom reinen Verstand gedacht, kann nur in der Verschiedenheit der Merkmale liegen; denn außer diesen enthält ein Begriff nichts. Die Verschiedenheit in den Anschauungen liegt im Unterschied des Orts und der Zeit, weil dies die Bedingungen der sinnlichen Anschauung sind. -

    2) Wenn der Verstand das Innere der Dinge ohne Rücksicht auf sinnliche Erscheinungen sucht, so findet er nichts als seine eigenen Dünkel, was er mit diesem Namen belegen könnte. Das Innere der Dinge, wie sie uns in der Anschauung vorkommen, bedeutet die ersten und allgemeinsten ihrer Verhältnisse, dergleichen die anziehende und zurückstoßende Kraft ist.

    3) Einstimmung in den bloßen Begriffen ist Abwesenheit des Widerspruchs, und dieser besteht in der Bejahung und Verneinung desselben Prädikats. Einstimmung in den Erscheinungsobjekten ist mögliche Vereinigung der Kräfte; ohne gegenseitige Aufhebung ihrer Wirkungen; und Widerspruch ist die direkte Entgegensetzung der Kräfte.

    4) Materie sowohl für den Verstand wie die Anschauung, sind die Data der Empfindungen, die einzelnen Modfikationen unserer selbst. Die Form für den Verstand besteht in den allgemeinen Begriffen a priori, oder den Kategorien, für die Phaenomena in Raum und Zeit.
Aus der Vermischung dieser beiden Vorstellungsarten der nämlichen Verhältnisse, sind LEIBNIZens berühmte metaphysischen Grundsätze herzuleiten und zu widerlegen. Weil er in den Begriffen der Dinge nicht zwei zählen konnte, wenn er nicht in dem einen ein Prädikat antraf, das dem andern fehlte: so schloß er, daß auch der Objekte der Sinnlichkeit nicht zwei gedacht werden könnten, wo nicht Unterschiede der Eigenschaften wären. Er merkte nicht, daß hier Verschiedenheiten hinzukämen, die den Begriffen fehlten, die von Raum und Zeit, den Bestimmungen, die eigentlich Objekte konstituieren. Weil er durch den Verstand nichts Inneres an den Dingen denken konnte, als eben das Denken: so gab er allen seinen Substanzen Vorstellungskraft, und bildete die Monaden, ohne gewahr zu werden, daß in den Objekten der Sinnlichkeit, die nichts als Vorstellungen sind, und also ganz aus Verhältnissen bestehen, ein wahres Inneres nicht stattfindet. Indem er alle Begriffe denkbar fand, die sich nicht widersprechen: so schloß er, daß alle Realitäten notwendig zusammenstimmen, und bewies daraus die Möglichkeit eines vollkommensten Wesens; bedachte aber nicht, daß Realitäten, die sich nicht widersprechen, in der Wirklichkeit einander aufheben können, wie zwei entgegengesetzte Bewegungen.

Alle diese und ähnliche metaphysischen Täuschungen entstehen daher, weil man nicht untersucht, in welchem Geistesvermögen die Vorstellungen miteinander verglichen wurden. Verhältnisse, die in Begriffen des reinen Verstandes wahr sind, dürfen auf das Wirkliche; d. h. die Gegenstände der Anschauung nicht angewandt werden, ohne den Zusatz der besonderen Bestimmungen, die vom räumlichen und zeitigen Dasein abhängen.

Hier also ersteigen wir die Spitze metaphysischer Höhe, zu untersuchen: was ist Etwas. Wenn von einem Objekt, einem Ding geredet wird, was wird gemeint? Nichts als eine durch sinnliche Anschauung gegebene, vom Verstand bearbeitete und unter Begriffe gebrachte Vorstellung. Das Nichts wird also den Mangel einer von diesen beiden Bedingungen des Reellen anzeigen. Dieser Mangel kann entstehen, entweder wenn diese Bedingungen gänzlich fehlen, oder wenn sie von uns nur weggelassen werden. Wenn der Verstandesbegriff gänzlich aufgehoben wird durch einen Widerspruch, oder die sinnliche Anschauung völlig wegfällt, weil kein Eindruck vorhanden ist; so ist jenes das nihil negativum [etwas, das unmöglich existieren kann - wp] dieses das nihil privativum [Nichtexistentes, dessen Existenz aber möglich ist - wp]. Wenn wir hingegen selbst beide voneinander trennen, so entstehen Begriffe ohne sinnliche Anschauung, entia rationis, oder Anschauungen ohne Begriffe, entia imaginaria, dergleichen der leere Raum ist.

Hieraus ist klar, daß der rechte Gebrauch des reinen Verstandes darin besteht, seine Begriffe auf sinnliche Erscheinungen anzuwenden, und durch Verbindung beider Erfahrungen zu formieren; und daß es ein Mißbrauch derselben, und ein nie gelingendes Geschäft sein wird, aus Begriffen das Dasein und die Eigenschaften von Objekten zu schließen, die wir nie erfahren können. Dieser Mißbrauch heißt bei unserem Verfasser Dialektik, oder der transzendentale Gebrauch der Vernunft: und diesen zu prüfen, ist der zweite Teil dieses Werks bestimmt.

Es tritt nun nämlich eine neue Kraft, eine weitere Bearbeitung der Vorstellungen hinzu, deren Quelle in der Vernunft liegt. Diese bezieht sich auf die gesammelten Verstandesbegriffe, wie der Verstand auf die Erscheinungen. So wie der Verstand die Regeln enthält, nach welchen die einzelnen Phänomene in Reihen einer zusammenhängenden Erfahrung gebracht werden: so sucht die Vernunft nach den obersten Prinzipien, durch welche diese Reihen in ein vollständiges Weltganzes vereinigt werden können, so wie der Verstand aus den Empfindungen eine Kette von Objekten macht, die aneinander hängen, wie die Teile der Zeit und des Raums; wovon aber das letzte Glied immer noch auf frühere oder entferntere zurückweist: so will die Vernunft diese Kette bis zu ihrem ersten oder äußersten Glied verlängern; sie sucht den Anfang und die Grenze der Dinge.)

Hier kommt nun dem Verfasser das Wort Bedingungen, das er gewählt hat, sehr wohl zustatten; ein Wort, unter welchem er alles zusammenfaßt, was bei irgendeinem Ding oder Vorstellung vorausgesetzt werden muß, um sie begreifen zu können. So ist die vorhergehende Zeit Bedingung der künftigen, Ursache von der Wirkung, der Teil vom Ganzen. Der Verstand angewandt auf die Erscheinungen, führt uns allenthalben vom Bedingten zu Bedingungen, die hinwiederum bedingt sind, und bleibt bei solchen stehen. Das erste Gesetz der Vernunft ist, daß, wo es etwas Bedingtes gibt, die Reihe der Bedingungen vollständig gegeben sein, oder bis zu etwas Unbedingtem hinaufsteigen muß. Die Notwendigkeit dieses Naturgesetzes empfinden wir: aber ist dasselbe eben sowohl ein Gesetz der Dinge ansich betrachtet, als eine subjektive Regel unseres Verstandes? Die Vernunft geht auf eine zweifache Art über die Erfahrung hinaus: erstens, sie will die Reihe der Dinge, die wir erfahren, viel weiter hinaus verlängern, als die Erfahrung selbst reicht, weil sie bis zur Vollendung der Reihen gelangen will. Zweitens, sie will uns auch auf Dinge führen, deren ähnliche wir nie erfahren haben, auf das Unbedingte, das absolut Notwendige, Uneingeschränkte.

Diese Totalität der Bedingungen nun sucht sie, in Absicht
    1) des denkenden Subjekts selbst,

    2) der Erscheinungen oder der Objekte der Sinnlichkeit

    3) in Absicht der Dinge ansich oder der transzendentalen Objekte, die der Verstand voraussetzt, aber nicht kennt.
Daraus entstehen die Vernunftuntersuchungen über die Seele, die Welt und Gott.

Der Verfasser findet, wir wissen nicht, welchen Zusammenhang, zwischen den logischen Regeln der Vernunftschluß und diesen metaphysischen Untersuchungen besteht. Daß der major [Obersatz - wp] universell sein muß, ist ihm ein Grund, warum die Vernunft Universalität, die gesamte Vollendung der Weltreihen suchen will. Der kategorische Schluß führt ihn auf die Psychologie, der hypothetische auf die Kosmologie, der disjunktive auf die Theologie. Der Rezensent gesteht, daß er ihm auf diesem Weg nicht zu folgen weiß.

Das allgemeine Resultat dieser Untersuchungen ist: die Grundsätze der Vernunft führen auf Schein oder auf Widersprüche, wenn sie ausgedehnt werden, wirkliche Dinge und ihre Beschaffenheiten zu zeigen; sie sind aber von Nutzen und unentbehrlich, wenn sie dem Verstand zur Regel dienen, in der Erforschung der Natur ohne Ende fortzugehen. Bei der Seelenlehre entstehen die Trugschlüsse, wenn Bestimmungen, die bloß den Gedanken als Gedanken zukommen, für Eigenschaften des denkenden Wesens angesehen werden. Ich denke, das ist die einzige Quelle der ganzen psychologischen Rationalität. Dieser Satz enthält kein Prädikat vom Ich, vom Wesen selbst. Er sagt bloß eine gewisse Bestimmung der Gedanken, nämlich den Zusammenhang derselben durch das Bewußtsein aus. Es läßt sich also aus demselben nichts von den reellen Eigenschaften des Wesens, das unter dem Ich vorgestellt werden soll, schließen.
    1) Daraus, daß der Begriff von Mir, das Subjekt vieler Sätze ist, und nie das Prädikat irgendeines werden kann, wird geschlossen, daß Ich, das denkende Wesen, eine Substanz bin; da doch dieses Wort bloß das Beharrliche in der äußeren Anschauung anzuzeigen bestimmt ist.

    2) Daraus, daß in meinen Gedanken sich nicht Teile außerhalb von Teilen finden, wird auf die Einfachheit der Seele geschlossen: aber keine Einfachheit kann in dem, was als wirklich, d. h. als ein Objekt äußerer Anschauung betrachtet werden soll, stattfinden; weil die Bedingung davon ist, daß es im Raum ist, einen Raum erfüllt.

    3) Aus der Identität des Bewußtseins wird auf die Personalität der Seele geschlossen. Aber konnte nicht eine Reihe Substanzen einander ihr Bewußtsein und ihre Gedanken übertragen, wie sie einander ihre Bewegungen mitteilen. (Diese einzige Metapher erhellt die Gedanken des Verfassers mehr, als alle allgemeinen Erklärungen.)

    4) Endlich wird aus dem Unterschied zwischen dem Bewußtsein unsrer selbst, mit der Anschauung der äußeren Dinge, ein Trugschluß auf die Idealität der letzteren gemacht. Es gehört allerdings aller Scharfsinn des Verfassers dazu, nur einigermaßen begreiflich zu machen, wie der Idealismus in Absicht der Körperwelt, den er den empirischen nennt, widerlegt werden könnte durch den transzendentalen Idealismus. Alles, was dem Rezensenten davon klar geworden ist, vereinigt sich in Folgendem: Der Idealist unterscheidet die Empfindungen des inneren und äußeren Sinnes dergestalt, daß er sich einbildet: jene stellen ihm wirkliche Dinge, diese nur Wirkungen von Dingen vor, deren Ursachen ungewiß sind.
Der transzendentale Idealist kennt keinen solchen Unterschied: er sieht ein, daß unser innerer Sinn uns ebensowenig absolute Prädikate von uns selbst als der äußere von den Körpern angibt, insofern beide als Dinge-ansich betrachtet werden sollen; ihm zufolge gleichen unsere Empfindungen einer Reihe abwechselnder Gemälde auch darin, daß sie uns ebensowenig die wahren Eigenschaften des Malers als der gemalten Gegenstände lehren. Mit einem Wort: der transzendentale Idealismus beweist nicht die Existenz der Körper, sondern er hebt nur den Vorzug auf, den die Überzeugung von unserer eigenen Existenz vor jener haben soll.

In der Psychologie ist der Vernunftschein nur einseitig; in der Kosmologie ist er ebenso notwendig auf zwei Seiten und einander entgegengesetzt: er erregt also Widersprüche, die nie gehoben werden können. Die Vernunft sucht nämlich die Vollständigkeit der Reihen von allen in der Welt verknüpften Objekten.
    1) Die Vollständigkeit in Absicht der Dauer und der Ausdehnung; sie frägt nach dem Anfang und der Grenze der Welt;

    2) Die Vollständigkeit in Absicht der Zusammensetzung; sie frägt: ob die Materie unendlich teilbar ist oder aus einfachen Elementen besteht?

    3) Die Vollständigkeit in Absicht der Kausalität; sie frägt: ob es freie Ursachen gibt oder ob die Veränderungen selbst, immer eine durch die andere ins Unendliche bestimmt sind?

    4) Die Vollständigkeit in Absicht der absoluten Existenz der Dinge; sie sucht ein absolut Notwendiges.
Bei allen diesen Fragen entsteht Widerspruch ganz unausbleiblich, weil die Vernunft und der Verstand ganz entgegengesetzte Bedürfnisse haben, ganz verschiedene Forderungen machen.

Wenn man diese Reihen irgendwo schließt, und ein erstes Glied annimmt, so findet die Vernunft den Stillstand zu plötzlich, die Reihe zu kurz und sucht nach höheren Gliedern, und will man die Reihen ins Unendliche fortgehen lassen: so scheinen sie dem Verstand zu lang unbegreiflich und also ungereimt. Eine Welt ohne Anfang und Grenze, ein Zusammengesetztes ohne Elemente, Wirkungen ohne freie Ursachen, zufällige Dinge ohne ein Notwendiges beleidigen den Verstand, weil er den Ruhepunkt nicht findet, den er sucht: und doch beleidigt es die Vernunft, wenn man irgendein Ding als das erste, das einfache, als frei oder notwendig betrachtet, weil sie keinen Grund entdeckt, warum man bei diesem mehr als bei jedem andern stehen bleiben müßte.

Diese Widersprüche werden gehoben, wenn man den wahren Gebrauch der Vernunft kennt: wenn sie nur bestimmt ist, dem Verstand in der Bildung und dem Gebrauch seiner Erfahrungskenntnisse vorzuleuchten, so werden ihre Grundsätze nicht aussagen, wie die Dinge sind, sondern nur dem Verstand vorschreiben, wie er sie behandeln soll: und diese Behandlung kann oft gegenseitig, und auf jeder Seite notwendig sein.

Es widerspricht sich nicht, daß die Vernunft dem Verstand von der einen Seite anweist, Ursachen von Ursachen, Teile von Teilen, ohne Ende aufzusuchen, in der vorgesteckten Absicht, die Vollständigkeit des Systems der Dinge zu erreichen; und von der andern ihn doch warnt, keine Ursache, keinen Teil, den er ja durch Erfahrung findet, für den letzten und ersten anzunehmen. Es ist das Gesetzt der Approximation [Annäherung - wp], das Unerreichbarkeit und beständige Annäherung zugleich in sich schließt. Sobald aber diese regulative Grundsätze für Behauptungen von den Dingen selbst angesehen werden: so müssen sie notwendig auf Widersprüche führen. Durch jene Entdeckung werde diese nun folgendergestalt gehoben. Die zwei ersten Antinomien, welche bloß die Grenze der Größe betreffen, den Anfang der Welt und die Teilbarkeit der Materie, werden gehoben, indem man zeigt, daß beide Opposita falsch sind. Es gibt keine solche Welt, keine solche Teilung, wie sie in beiden angenommen wird. Es gibt nur Erscheinungen , durch welche der Regressus in der Tat immer fortgesetzt werden kann, und doch nicht vollendet wird. Welt ist nur ein anderes Wort, für die durch Erfahrung dem Menschen gegebene Reihe von Vorstellungen. Diese kann für ihn weder ins Unendliche fortgehen, noch jeweils vollständig sich schließen. Die beiden anderen Antinomien, in Absicht der Freiheit und des Urwesens, betreffen die Grenze, das Äußerste der Dinge, nicht in Absicht der Größe, sondern der Kausalität; und diese können beide zugleich wahr sein. Die Reihen von Veränderungen können aus Handlungen entstehen, die einen doppelten Charakter haben; einen sinnlichen, insofern sie selbst als Erscheinungen zu den Weltbegebenheiten gehören, und notwendig als solche auf andere vorhergehende zurückführen; und einen intellektuellen, insofern sie vom Unbekannten Etwas, das wir das transzendentale, das Ding-ansich nennen, herkommen, und vermöge dieses Charakters können sie frei sein. Eine Spur von dieser eigenen Art der Kausalität findet man im Begriff des Sollens, im Befehlenden der Vernunft; einer Art der Notwendigkeit, welche von jeder andern so unterschieden ist, daß sie bei einer Handlung auch dann noch deutlich eingesehen wird, wenngleich das Gegenteil derselben, vermöge der Notwendigkeit der natürlichen Ursachen, wirklich geschehen ist. So wie es einen intellektuellen Charakter der Substanzen in der Welt geben kann, in Absicht auf welchen ihre Handlungen frei sind, die in anderer Absicht, als Phänomene natürlich notwendig waren: so kann es eine ganze intellektuelle Substanz außer der Reihe der Zufälligen geben, die diese gründet, ohne sie zu begrenzen. (Es ist unmöglich, die Vereinigung, die hier Herr KANT stiften will, deutlich mit kurzen Worten vorzustellen; unmöglich, glaube ich, sie deutlich einzusehen. Aber das ist deutlich, daß der Verfasser gewisse Sätze für höher und heiliger hält, als seine Systeme; und daß er bei gewissen Entscheidungen mehr Rücksicht auf die Folgen genommen hat, die er durchaus stehen lassen wollte, als auf die Prinzipien, welche er festgesetzt hatte.) Die letztere Kompletion [Vervollständigung - wp] der Reihen, die die Vernunft verlangt, die, welche sie am höchsten, und am weitesten von der Sinnenwelt abführt, ist die von den Dingen absolut oder ansich betrachtet; und dieses gibt den Grund zur natürlichen Theologie.

Das Resultat von der Kritik derselben ist dem vorigen äußerste ähnlich. Sätze, die Wirklichkeiten auszusagen scheinen, werden in Regeln verwandelt, die nur dem Verstand ein gewisses Verfahren vorschreiben. Alles, was der Verfasser hier neues hinzusetzt, ist, daß er das praktische Interesse zu Hilfe ruft, und moralische Ideen endlich den Ausschlag geben läßt wo die Spekulation beide Schalen gleich schwer, oder vielmehr gleich leer gelassen hatte. Was diese letzte herausbringt, ist Folgendes: Aller Gedanken von einem eingeschränkten Reellen ist dem von einem eingschränkten Raum ähnlich. So wie dieser nicht möglich sein würde, wenn nicht ein unendlicher Allgemeiner Raum wäre, in welchem die Figur Grenzen setzt; so wäre kein Bestimmtes endliches Reelles möglich, wenn es nicht ein allgemein unendliches Reales gibt, das den Bestimmungen, d. h. den Einschränkungen der einzelnen Dinge zum Grunde läge. -

Beides aber ist nur wahr von unseren Begriffen, beides zeigt nur ein Gesetz unseres Verstandes an, inwiefern eine Vorstellung die andere voraussetzt. - Alle anderen Beweise, die mehr dartun sollten, werden bei der Prüfung unzulänglich gefunden. Der erste, der ontologische, der a priori, schließt das notwendige Dasein eines Gottes, aus dem Begriff der höchsten Vollkommenheit, die alle Realitäten, und also auch das Dasein in sich schließt. Bei diesem Beweis finden sich zwei Mängel. Erstens, daß wir von diesem allervollkommensten Wesen die innere Möglichkeit, d. h. ob und wie alle Realitäten in einer Substanz beisammensein können, nicht einsehen. Zweitens, daß wir von keinem einzigen Wesen, es habe Prädikate, welche es wolle, die Notwendigkeit in seiner Existenz begreifen. Einen Widerspruch finden wir nur, wo unter den Prädikaten eines Subjekts, eines das andere aufhebt, aber nie, wo das Subjekt samt den Prädikaten aufgehoben wird. Die Existenz ist kein neues Prädikat, kein Zusatz zum Begriff des Dinges; sie kann also mit demselben weder als einstimmig noch widersprechend angesehen werden.

Der kosmologische Beweis, der aus der Existenz irgendeiner Reihe von zufälligen Dingen auf das Dasein eines Gottes schließt, erweitert erstens den Grundsatz der Kausalität über die Welterscheinungen hinaus, aus denen allein er geschlossen, und für welche allein er wahr ist; und zweitens fällt er zuletzt mit dem ontologischen zusammen, und setzt ihn voraus; indem am Ende doch immer der Zusammenhang zwischen Notwendigkeit und höchster Vollkommenheit bei der nämlichen Substanz gezeigt werden muß; - ein Zusammenhang, der nicht gezeigt werden kann, weil wir überhaupt notwendige Existenz an den Begriffen keines Dings knüpfen, und weil wir die höchste Vollkommenheit als innerlich möglich nicht dartun können. Der physikotheologische Beweis, der aus der Vollkommenheit dieser unserer Welt schließt, macht
    1) ihren Urheber nicht zu Gott, sondern nur vollkommen oder unvollkommen nach Maßgebung der Güter und Übel, die in der Welt sind, und

    2) nimmt er, um das zu ergänzen, was aus den Beschaffenheiten dieser Welt nicht geschlossen werden kann, jene ersten kosmologischen und ontologischen Beweise von Neuem zuhilfe.
Was bleibt also von all dieser spekulativen Theologie übrig: nichts als die Regel für den Verstand: suche unaufhörlich die Quelle aller Realitäten, das Unbedingte Wesen, indem du von Bedingung zu Bedingung hinaufsteigst; aber glaube nie es in irgendeinem wirklich erfahrenen Ding gefunden zu haben.

Diesen Spekulationen kommen nun die moralischen Begriff zu Hilfe, die ganz notwendig und a priori wahr sind; sie zeigen uns eine gewisse Art zu handeln als Recht; - und stellen sie uns zugleich vor, als Anspruch auf Glückseligkeit. Durch diese beiden Ideen führen sie uns auf einen Zusammenhang der Dinge, wo Glückseligkeit und Würdigkeit ausgeteilt sein müssen; und dieses System, das man das Reich der Gnade nennen könnte, hat Gott an seiner Spitze.

Wie weise und glücklich ist die Natur des Menschen eingerichtet, rief der Rezensent aus, da er auf diesen Teil des Buches kam! Nachdem er vorher über jeden kleinen Stein des Anstoßes gestrauchelt ist, den er auf dem Weg der Spekulation gefunden hat, springt er über ganze Felsenstücke und Klüfte hinüber, sobald ihm das stärkere Interesse der Tugend zu dem gebahnten Weg des gemeinen Menschenverstandes zurückruft. Sehr wahr ist es, daß nur das moralische Gefühl uns den Gedanken von Gott wichtig macht; nur die Vervollkommnung des ersteren unserer Theologie verbessert. Aber daß es möglich ist, dieses Gefühl und die darauf gegründeten Wahrheiten festzuhalten, nachdem man alle übrigen Empfindungen, die sich auf das Dasein der Dinge beziehen; und die daraus gezogene Theorie aufgehoben hat; daß man im Reich der Gnaden wohnen und leben kann, nachdem vorher das Reich der Natur vor unseren Augen verschwunden ist; das glaube ich, wird in den Kopf und das Herz nur sehr weniger Menschen Eingang finden.

Der Verfasser zeigt noch in dieser Kritik aller spekulativen Theologie, an einigen Beispielen, wie der Verstand aus seinen eigenen Gesetzen, Gesetze der Natur macht; wie selbst der größere Hand des Verstandes zu dem einen oder anderen seiner Prinzipien, ihn veranlaßt, auch die Natur von verschiedenen Seiten anzusehen. Daß wir die Anzahl der Geschlechter nicht ohne Not vervielfältigen müssen; daß wir in allen Arten Ähnlichkeiten voraussetzen, durch die sie unter gemeinschaftliche genera gebracht werden können; in allen Eigenschaften mögliche Modifikationen, wodurch sie neue Unterarten geben; das alles entsteht aus einem doppelten Gesetz unserer Natur, wovon das eine uns diese Regeln zur systematischen Anordnung unserer Vorstellungen vorschreibt; das andere uns nötigt, in der Natur der Dinge dieselbe systematische Einheit vorauszusetzen, die unsere Natur in den Begriffen derselben fordert.

Begriffe also, geschöpft aus Erscheinungen, verknüpft in Erfahrungen vom Verstand, in ein komplexes System zwar nie völlig gebracht, aber doch zu demselben unaufhörlich bearbeitet von der Vernunft, das ist unsere Welt: dies zu unserem Geschäft zu machen, ist das Resultat unserer ganzen Kosmologie und Theologie.

Der letzte Teil des Werks, der die Methodenlehre enthält, zeigt zuerst, wovor die reine Vernunft sich hüten muß; das ist die Disziplin; zweitens die Regeln, wonach sie sich richten muß. Das ist der Kanon der reinen Vernunft. Die Untersuchung des dogmatischen Gebrauchs derselben führt auf eine Vergleichung der mathematischen und philosophischen Methode, die lehrreich auch für diejenigen ist, die nicht das ganze System des Verfassers ergründen können. Die Mathematik ist die einzige Wissenschaft, die ihre allgemeinen Begriffe anschaulich machen kann, ohne ihrer Allgemeinheit das Geringste zu benehmen. Die Philosophie kann ihre Begriffe nicht anders anschaulich machen, als durch Beispiele aus der Erfahrung, die immer die Einschränkungen des besonderen Falls mit sich führen. Das gemalte Dreieck bildet den allgemeinen Begriff des Dreiecks so vollständig, und außer demselben so wenig vor, daß es als eine reine Anschauung des Begriffs selbst anzusehen ist. Der Begriff von Kraft oder Ursache in einem Beispiel dargestellt, mischt so viel fremdes und einzelnes dem Allgemeinen bei, daß es schwer ist, auf dieses allein seine Aufmerksamkeit zu erhalten. In der Mathematik macht die Definition den Begriff, weil er eine Zusammensetzung unseres eigenen Verstandes ist, und ist deswegen notwendig: in der Philosophie soll sie nur einen Begriff, der schon in der Seele liegt, aufklären; und ist deswegen entbehrlich; auch findet eine wahre Definition weder von Erfahrungen noch von Ideen des reinen Verstandes statt. In der Mathematik gibt es Axiomata, weil die Begiffe in ihrer Allgemeinheit, d. h. a priori angeschaut werden können, wodurch gewisse Sätze unmittelbar evident werden. Solche Axiome hat die Philosophie nicht, die ihren Ideen keine Anschaulichkeit zu geben weiß, als a posteriori durch Erfahrungen. - Endlich die Mathematik allein hat Demonstrationen, wo jedem Schritt des Räsonnements [Argument - wp] die Anschauung zur Seite geht.

Der zweite Gebrauch der Vernunft, zu bestreiten und zu polemisieren ist nützlich, wenn die Entdeckung der notwendigen und unauflöslichen Widersprüche, in ihren Behauptungen sie endlich auf die Entdeckung der Grenzen führt, in denen sie sich halten muß. - Ihr dritter Gebrauch, die Hypothesen zu bilden, erstreckt sich nur so weit, daß sie bekannte Natursachen auf neue Phänomene anwenden, nicht, daß sie neue Ursachen erdenken darf; er ist alsdann zweckmäßig, wenn die Hypothese das Phänomen ganz erklärt, und nicht wieder neue Hypothesen zu Hilfe nehmen muß, um von Teilen desselben Rechenschaft zu geben, der jene erste kein Genüge getan oder gar widersprochen hat. Die Wirklichkeit eines höchsten Wesens als Hypothese zur Erklärung der Welt hat beide Mängel. Es ist ein Wesen anderer Art als alles, was wir erfahren haben; und es erklärt nicht alles; die Unvollkommenheiten und Unordnungen in der Welt verlangen wieder neue Redehypothesen.

Dies führt dann endlich auf den Kanon des reinen Verstandes; der aus ihrem höchsten Zweck, nämlich Moralität oder Würdigkeit zur Glückseligkeit besteht.

Daß wir ein gewisses Verhalten, als der Glückseligkeit absolut würdig erkennen; und daß diese Würdigkeit mehr als die Glückseligkeit selbst, der letzte Zweck der Natur ist, beides wird vielen Lesern weniger evident scheinen, als manchen von den Sätzen, die die Kritik des Verfassers verworfen hat.

Das, was wir nicht wissen können, aus spekulativen Gründen, das verbindet uns die Vernunft zu glauben, weil sie uns a priori gewisse notwendige Regeln unseres Verhaltens zu erkennen gibt, die doch nicht wahr sind, oder wenigstens nicht Triebefedern für unseren Willen werden konnten, wenn nicht ein Gott und ein künftiges Leben; d. h. wenn nich ein verständiger Urheber der Welt, und ein Zustand wäre, wo Glückseligkeit und Würdigkeit immer bei einander sind.

Es ist nicht nötig, dem Leser, der uns bis hierher gefolgt ist, in seinem Urteil über dieses System vorzugreifen. Es entdeckt unstreitig Schwierigkeiten, die nie ganz gehoben worden, nie gehoben werden können; und verhilft uns also zu deutlichen Einsichten von den Grenzen unseres Verstandes. Von dieser Seite ist das Buch sehr wichtig. Es leistet in einigen Artikeln vollkommen, was der Rezensent sich längst gewünscht hat, durch Vergleichung der miteinander streitenden Systeme darzutun, daß es unmöglich ist, bei irgendeinem die Vernunft völlig zu befriedigen. - Aber der Verfasser will noch mehr tun! er versucht diese Schwierigkeiten durch eine neue künstliche Wendung aufzulösen, indem er alles, was wir Gegenstände nennen, zu Arten von Vorstellungen macht, und die Gesetze der Dinge, in subjektive Regeln unserer Denkungskraft verwandelt. Und diese Methode, so wie sie nie zur vollen Evidenz gebracht und also brauchbar in Untersuchungen oder im Leben werden kann: so kann sie noch weniger von ebenso großen oder noch größeren Schwierigkeiten befreit zu werden, als diejenigen sind, denen sie hat abhelfen sollen.

Die erste Basis des ganzen Systems ist der neue Gesichtspunkt, in welchem die Begriffe von Raum und Zeit, vom Verfasser gesttellt werden. Als subjektive Bedingungen der sinnlichen Erscheinungen, wie er sie ansieht, - liegen sie erstens in uns, sind Formen, Gesetze unseres Empfindungsvermögens; und zweitens sind sie das, was die Vorstellungen, welche uns etwas als wirklich, als ein Objekt außerhalb von uns darstellen, von den übrigen unterscheidet. Da er einmal das Eigentümliche, was unserer idee von Existenzen anklebt, und wodurch dieselbe gleichsam gegründet wird, glaubte gefunden zu haben: so ging er von diesem Prinzip aus, um alle allgemeine ontologischen und kosmologischen Grundsätze, die von wirklichen Dingen etwas aussagen, und die andere für Abstraktionen aus der Erfahrung ansehen, aus den eigentümlichen Bestimmungen des Raums und der Zeit herzuleiten. Wenn wir etwas Substanzielles in den äußeren Erscheinungen annehmen; wenn wir von allen Veränderungen Ursachen voraussetzen, alle zugleigseienden Dinge in welchselweisem Einfluß glauben: so kommt dies uns selbst unbewußt, daher, weil Zeit und Raum, ohne die nichts als ein Objekt der Sinne erscheinen kann, alle diese Begriffe in sich schließen. Nie sind Zeit und Raum für philosophische Wahrheiten so fruchtbar gemacht worden, als bei unserem Verfasser.

In der Tat gibt es kaum in dem ganzen Umfang unserer Erkenntnis, zwei so außerordentliche Ideen. Keine von den Theorien, die man bisher darüber angenommen hat befriedigt. Sie als Dinge anzusehen, ist unserem Verstand, sie als Verhältnisse anzusehen, ist unserer Imagination unmöglich. Sie scheinen unabhängig von den äußeren Empfindungen und Früher als dieselben zu sein, und lassen sich auch von den inneren Empfindungen nicht ableiten. Diese Schwierigkeiten sind vorhanden: aber werden sie gehoben, wenn man Raum und Zeit zu einem Gesetz oder einer Bedingung der Anschauung gemacht? Ist es begreiflicher, wie eine subjektive Form unseres Denkens sich als ein Objekt außerhalb unserer selbst präsentiert, denn so scheint doch der Imagination der Raum, selbst der leere Raum zu sein. Zeigt das Wort: Gesetz, subjektivische Form, Bedingung der Anschauung, wenn es nicht von einer Modifikation unserer Vorstellungen, sondern von einer besonderen Art derselben gebraucht wird, etwas mehr an, als daß diese Vorstellung sich in uns findet, ohne daß wir ihren Ursprung aus den Empfindungen, so wie bei den übrigen, zu entdecken wissen? Ist es also nicht im Grunde ein Geständnis unserer Unwissen; die Einsicht der Unmöglichkeit die Schwierigkeiten zu heben; ein Geständnis, das dem Philosophen Ehre macht; eine Einsicht, die ein wahrer Gewinn für ihn ist; aber die unmöglich der Grund zu so vielen Folgerungen werden kann.

Und ist denn wirklich der Abstand zwischen den Begriffen von Raum und Zeit, und allen anderen Begriffen des reinen Verstandes so große, als der Verfasser annimmt? Es scheint dem Rezensenten, daß er den Weg gewahr wird, auf welchem der Verfasser zu dieser Absonderung gelangt ist. Er sah das apoktisch [mit Notwendigkeit gewiß - wp] gewisse der Mathematik, das ihr unter allen menschlichen Kenntnissen allein eigen ist. Er sah, daß sie die einzige Wissenschaft ist, wo allgemeine Begriffe in all ihrer Reinheit anschaulich gemacht werden können. Indem er tiefer in diesen Unterschied eindrang, glaubte er eine besondere Art des Anschaulichen bei ihr zu entdecken, die er die Anschauung a priori nannte, weil durch sie, ohne Hilfe der Erfahrung, doch allgemeine Begriffe so dargestellt werden, wie sonst nur Objekte der Sinnlichkeit dargestellt werden können. Dieses Eigentümliche nun der Mathematik und besonders der Geometrie, schloß er, könne aus nichts anderem herkommen, als aus der besonderen Natur ihres Gegenstandes, des Raums; und da Raum und Zeit völlig analoge Begriffe sind, so muß diese Anschauung a priori beiden, und ihnen allein eigen sein. Nun schien sich ihm auf einmal ein Licht über die Ideen des reinen Verstandes, und über die Erscheinungen der Sinne zu verbreiten, weil er glaubte, das Medium gefunden zu haben, wodurch beide miteinander vereinigt werden. Die Begriffe von Raum und Zeit gehören zu keinem von beiden; aber indem sie und alle ihre Folgerungen zu den ersten hinzugesetzt werden: so entstehen die Grundsätze, die hinwiederum auf die zweiten angewandt werden, und sie in wahre Erkenntnisse verwandeln können. Aber zuerst scheint der Verfasser nicht bemerkt zu haben, daß diese ganze Theorie bloß auf den Sinn des Gesichts kalkuliert ist; und daß Hören, Schmecken und Fühlen, wobei kein Raum, keine Anschauung a priori vorkommt, auf diese Weise an nichts Wirkliches, an kein Objekt sollte denken lassen. Ferner so ähnlich Zeit und Raum einander sein sollen, und obgleich beide, wie der Verfasser sagt, a priori angeschaut werden: wie kommt es, daß das Anschauliche der Zeit uns kaum zu dem einen oder anderen Satz, das des Raums aber zu einer ganzen Wissenschaft, der Geometrie, verholfen hat?

Ist vielleicht die dem Verfasser eigentümliche, bei ihm so fruchtbare Anschauung a priori, nichts anderes, als eine sinnliche Abbildung eines Verstandesbegriffs, die aber so simpel ist, daß das Besondere, das Individuelle des Bildes das Gemüt wenig frappiert [auffällt - wp], und also von der Betrachtung des Allgemeinen nicht abzieht? - Sind dann die Anschauung eines gemalten Triangels in der Geometrie, und die eines Faktums in der Philosophie so wesentlich voneinander unterschieden? - Mich dünkt nein! es sind beides Erfahrungsbeispiele. Nur jenes Beispiel enthält so wenig Fremdes, so wenig interessante Nebenumstände und Bestimmungen, daß es uns äußerst leicht wird, beim Anblick desselben von allem zu abstrahieren, was nicht zum allgemeinen Begriff gehört. Dahingegen bei den philosophischen Beispielen der fremden Zusätze so viel sind und die besonderen Umstände des Fakts frappieren oft so sehr, daß die Aufmerksamkeit von den allgemeinen Merkmalen des Begriffs ganz abgelenkt, und nur mit größter Mühe die Vermischung von beiden verhütet wird.

Endlich, wenn wir alle Unterscheidungen des Verfassers zugeben, so scheint er uns doch noch nicht (seiner Absicht gemäßt) hinlänglich erklärt zu haben, wie wir durch Gesetze unserer eigenen Natur zur Vorstellung oder zur Überredung von etwas Existierendem gelangen. Denn weder die Begriffe von Raum und Zeit, noch die mit denselben verbundenen Kategorien sind dem Zustand des Wachens und der Empfindung, in welchem allein wir existierende Objekte annehmen, ausschließlich eigen: sie sind auch den Romanen, Hirngespinsten und Träumereien gemein, sie finden sich sogar in den Phantasien der Wahnsinnigen. So oft wir träumen, sehen wir das Vorgestellte so gut in Zeit und Raum, infolge, in gegenseitige Wirkung, kurz; nach den Gesetzen unseres Geistes: und doch erkennen wir es am Ende nicht für wirklich. - Der Unterschied dieser beiden Zustände, der Empfindung, und der herrschenden Phantasie, auf den der Verfasser keine Rücksicht genommen hat, scheint auch den Verstand von jeher am deutlichsten auf die Wirklichkeit gewisser Objekte geführt zu haben; weil er einsah, daß subjektive Gesetze allein die Art und die Folge derjenigen Vorstellungen nicht erklären können, die mit dem meisten Grund, von allen Menschen als wirkliche Objekte betrachtet werden.

Der Satz, der im System des Verfassers ausgeführt wurde, ist in der Tat, der alte bekannte Satz: daß unsere Empfindungen uns nichts von den Qualitäten der Dinge lehren, sondern nur Veränderungen unserer selbst sind, hervorgebracht durch gewisse uns unbekannte Qualitäten der Dinge. Nichtsdestoweniger erscheinen (besonders beim Gesichtssinn) diese Modifikationen unserer selbst, als Objekte außerhalb von uns. Hier ist also der erste und größte Widerspruch zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Jene sagt: es gibt Dinge, und wir wissen ihre Eigenschaften; diese zeigt deutlich, daß wir von diesen Eigenschaften nichts wissen; und macht uns daher auch die Existenz der Dinge selbst zweifelhaft. - Bis hierher ist diese Untersuchung von der Wirklichkeit der Dinge zugleich eine Erforschung unserer Natur, und wir stoßen sehr bald an die Grenze, über die wir nicht hinauskommen können.

Aber welcher Vorteil daraus entspringen kann, wenn jene Vernunftidee weiter verfolgt und ausgebildet wird; da doch der Widerspruch zwischen ihr und der Sinnlichkeit, die sie immer begleitet, nie aufgehoben werden kann, ist schwerlich abzusehen. Zu einer wahren Kenntnis unserer selbst und der Dinge würden wir alsdann gelangt sein, wenn wir beide vereinigen könnten. Nach der eigenen Behauptung des Verfassers ist das Geschäft des Verstandes, nicht, daß er uns neue Erkenntnisse verschafft, sondern daß er die ihm überlieferten Empfindungen bearbeitet: und so scheint es, daß der Verstand wohltun wird, in Rücksicht aller wirklichen Dinge sich der Empfindung anzuvertrauen. Wenn, wie der Verfasser selbst behauptet, der Verstand nur die Empfindungen bearbeitet, nicht neue Kenntnisse liefert: so handelt er seinen ersten Gesetzen gemäß, wenn er in allem, was Wirklichkeit betrifft, sich mehr von den Empfindungen leiten läßt, als sie leitet. Überdies, wenn zwei Sachen wie zwei Expressionen in der Alegebra, vollkommen gleiche correlata sind: so ist es einerlei, welche von beiden ich brauche, von welcher ich als von der Definition ausgehe, um die andere daraus zu erklären. Es werden alsdenn nur zwei Wörter für einerlei Objekt sein; und man bedient sich mit Grund des geläufigen. Wenn also die Vorstellungen in uns, modifiziert und geordnet und zusammen verknüpft nach diesen und diesen Gesetzen, vollkommen identisch sind, mit dem, was wir Objekte nennen, wovon wir reden, und womit sich unsere ganze Klugheit und Wissenschaft beschäftigt: so ist es auch für uns ganz gleichgültig, ob wie die Dinge reduzieren auf die Ideen, oder die Ideen verwandeln in Dinge. Das letztere ist den Gesetzen unserer Natur gemäßer; - und ist auch unserer Sprache schon so eingewebt, daß wir uns anders nicht ausdrücken können.

Es würde unmöglich sein, alle Teile des Werks mit denjenigen Reflexionen zu begleiten, die sie beim Rezensenten veranlaßt haben. Die kosmologischen und theologischen Untersuchungen sind ansich deutlicher, und die Schwierigkeiten, die der Verfasser gemacht, oder in größeres Licht gesetzt hat, sind auch von ihm selbst aufzulösen versucht worden.

LITERATUR: Christian Garve - Rezension der "Kritik der reinen Vernunft" [ungekürzte Fassung], Anhang zum 37. bis 52. Band der allgemeinen deutschen Bibliothek, enthaltend die Anzeigen der neuen Bücher von 1778 bis 1781, welche in dem 37. bis 52. Band übergangen worden, Berlin und Stettin 1785.