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JULIUS GUTTMANN
Kants Begriff der
objektiven Erkenntnis

[6/6]

"Daß nun unsere Sinnesanschauung eine gesetzmäßig bestimmte ist, wird uns ausschließlich durch die Überzeugung verbürgt, daß unsere Raumanschauung apriorische und von allem Wechsel unserer Erfahrung unabhängige Geltung besitzt. Die Gesetzmäßigkeit unserer Anschauungstätigkeit wird aus der vorausgesetzten zeitlosen Geltung unserer Raumerkenntnis erschlossen."

"Eine Erkenntnis anschaulicher Inhalte von objektiver Geltung, die Beziehung unserer individuellen Wahrnehmung auf Objekte einer gemeinsamen Wirklichkeit setzt voraus, daß die anschauliche Verknüpfung der von uns erlebten Inhalte von gemeinsamen allgemeingültigen Regeln der Verknüpfung beherrscht ist. Eine überindividuelle Erkenntnis anschaulicher Inhalte verlangt, daß eine gemeinsame Form der Anorndung für die Anschauungsinhalte aller Individuen gilt. Um von räumlicher Wahrnhemung zur Erfahrung räumlicher Inhalte zu gelangen, müssen wir ihnen einen objektiven Raum zugrunde legen."

"Die Vorstellung eines objektiven Raums ist die Bedingung dafür, daß die räumlichen Anschauungen der verschiedenen vorstellenden Subjekte einer objektiv bestimmten Wirklichkeit angehören können."

"Der Logik gehören ausschließlich die Gesetze an, nach denen aus gegebenen Voraussetzungen geschlossen wird. Sie garantiert nur die innere Folgerichtigkeit der Beweisführung, genau wie dies in allen Wissenschaften der Fall ist; die Voraussetzungen dagegen, aus denen diese Folgerungen abgeleitet werden, besitzen hier so wenig wie in synthetischen Wissenschaften eine rationale Notwendigkeit. Sie sind als bloß konventionelle Voraussetzungen ebenso zufällig wie als wahre Axiome."


VI. Die Formen der Anschauung

Die apriorischen Bedingungen, die unserer Erfahrung zugrunde liegen, wurzeln ihrerseits wieder in einem Prinzip der synthetischen Gesetzmäßigkeit als ihrer obersten Grundlage. Die Gelung dieses Prinzips selbst erweist sich der ferneren Ableitung unzugänglich; alles gegenständliche Erkennen hat in ihm ebenso seinen letzten unableitbaren Grund wie unsere Erkenntnis überhaupt im allgemeinen Begriff der Wahrheit, dessen Geltung, wie sich von selbst versteht, aus keinem ihm überlegenen Prinzip des Erkennens abgeleitet werden kann. So wie wir uns von der Geltung des allgemeinen Wahrheitsbegriffs nur dadurch überzeugen könen, daß wir ihn als die unumgängliche Voraussetzung allen Urteilens aufweisen, beruth auch unsere Einsicht in die Geltung des Prinzips der synthetischen Gesetzmäßigkeit allein auf dem Nachweis, daß es die notwendige Voraussetzung all unserer Urteile über ein sinnlich Gegebenes ist. Von dieser Voraussetzung, daß alle sinnlichen Inhalte unsere Bewußtseins einem objektiven Zusammenhang angehören, geht die Deduktion aller einzelnen Erfahrungsbedingungen aus. Wir deduzieren sie, indem wir zeigen, daß sie die notwendigen Mittel zur Herstellung eines solchen Zusammenhangs sind. Indem sie sich als die Formen erweisen, auf denen die Möglichkeit beruth, ein unserem Bewußtsein gegebenes Mannigfaltiges zu objektiver Einheit zu verknüpfen, begründet sich zugleich ihre Geltung für alle Erfahrung und deren Objekte.

Um diese Notwendigkeit der einzelnen Formgesetze der Erfahrung zu erkennen, genügt das Prinzip der synthetischen Gesetzmäßigkeit allein nicht. Aus diesem, für sich genommen, sind die Gesetze, welche den Gedanken der synthetischen Gesetzmäßigkeit zur Durchführung bringen, nicht ableitbar, ohne daß die Ableitung das Ziel, zu dem sie gelangen will, in versteckter Gestalt schon voraussetzt, wie es allen derartigen Versuchen der nachkantischen Philosophie begegnet ist. Um die Notwendigkeit der einzelnen Erfahrungsbedingungen für den Aufbau der Erfahrung einzusehen, müssen wir vielmehr bestimmte Eigentümlichkeiten des zur Einheit zu bringenden Mannigfaltigen bereits berücksichtigen. Diese Eigenart des zu objektivierenden Mannigfaltigen betrifft nicht die inhaltliche Bestimmtheit seiner Elemente; sie beschränkt sich auf die Tatsache, daß diese in bestimmter Verbundenheit in unserem Bewußtsein auftreten. Wir finden es als eine rein faktische Eigentümlichkeit aller Inhalte unseres Bewußtseins vor, daß sie uns stets in der nicht weiter definierbaren Form des Nacheinander und Miteinander entgegentreten. Diese zunächst nur dem Einzelbewußtsein angehörigen und auch in ihm auf kein einheitliches Gesetz der Verbindung zusammengehaltenen Gruppierungen der gegebenen Bewußtseinsinhalte müssen in einen notwendigen und darum allgemeingültigen Zusammenhang eingeordnet werden können; sie müssen sich auf feste Gesetze der Verbindung zurückführen lassen, damit eine objektive Einheit des uns gegebenen Mannigfaltigen zur Durchführung gelangt. Die einzelnen Bedingungen unserer Erfahrung ergeben sich als die Voraussetzungen, welche die Objektivität des Miteinander und Nacheinander unserer Bewußtseinsinhalte begründen. Damit heben sich zugleich die Formen des Raums und der Zeit in ihrer Sonderstellung gegenüber den anderen Grundlagen der Erfahrung heraus. Denn der erste Schritt, der getan werden muß, um die Koexistenz und Sukzession gegebener Inhalte objektiv bestimmbar zu machen, besteht darin, daß eine allgemeingültige Ordnung des Koexistierens und Sukzedierens [Aufeinanderfolgens - wp] aufgewiesen wird, innerhalb deren erst die zu verbindenden Einzelinhalte ihre Stelle finden können. So muß die Deduktion der unserer Erfahrung zugrunde liegenden Voraussetzungen naturgemäß bei den Formen der Anschauung beginnen, deren Analyse durch diese allgemeinen Gesichtspunkte in ihren Grundlinien festgelegt ist.

Die Beweisführung, welche die transzendentale Ästhetik für die Apriorität des Raums und der Zeit gibt, wird von KANT selbst nicht als eine Deduktion, sondern nur als eine Erörterung der Anschauungsformen bezeichnet. Dieser Differenz der Bezeichnung liegt auch ein wesentlicher sachlicher Unterschied zugrunde. Denn während die eigentliche Deduktion eines Erkenntnisprinzips im Nachweis seiner Bedeutung für unsere Erfahrung besteht, tritt dieser Gesichtspunkt innerhalb der transzendentalen Ästhetik nirgends seiner zentralen Bedeutung gemäß hervor. Hier erscheint es vielmehr, als ob unmittelbar aus den Begriffen des Raums und der Zeit ihrer Apriorität erweisbar wäre. Die Erörterung des Raums und der Zeit, durch die ihre Apriorität begründet wird, stellt sich als eine bloße Analyse des Inhalts unserer Raum- und Zeitvorstellung dar und nimmt somit auch für ihr Ergebnis eine Evidenz in Anspruch, die im Inhalt der Raum- und Zeitvorstellung begründet ist, ohne die Bedeutung von Raum und Zeit innerhalb des Ganzen der Erfahrungslehre heranziehen zu müssen. Diese Evidenz aber kann, da KANT den logischen Ursprung der Anschauungsformen ablehnt, nur intuitiver Art sein. Sie muß daher entweder unserem psychologischen Raumbewußtsein innewohnen und sich somit selbst als psychologische Evidenz darstellen, oder sie muß unserer Raumerkenntnis zukommen, auf deren intuitive Gewißheit wir somit zurückgewiesen werden. Die Apriorität des Raumes und der Zeit muß entweder aus dem psychologisch evidenten Faktum unseres Raumbewußtseins hervorgehen oder durch die unleugbare Gewißheit einer empirisch nicht begründbaren Raumerkenntnis begründbar sein.

Nur an einer Stelle der transzendentalen Ästhetik tritt uns eine Wendung entgegen, die unmittelbar aus den Tatsachen der uns psychologisch gegebenen sinnlichen Anschauung die Apriorität unserer Anschauungsformen erschließt. KANT unterscheidet an der Erscheinung die der Empfindung korrespondierende Materie und die Form, die dem Mannigfaltigen der Erscheinung eine bestimmte Ordnung verleiht, um aus der Unmöglichkeit, daß die Ordnung unserer Empfindungen selbst wieder empfunden werden kann, zu schließen, die Form der Erscheinung müsse auf apriorische Formen der Erkenntnis zurückgehen. Die Unterscheidung von Form und Materie der Erscheinung ist rein phänomenologischer Art. Sie wird unmittelbar an unseren psychologisch gegebenen Raumvorstellungen vollzogen. Ist demnach der Schluß aus der Formalität einer Vorstellung auf ihre Apriorität berechtigt, so genügt das Bestehen unserer Raum- und Zeitvorstellungen, um ihre Abhängigkeit von apriorischen Gesetzen unseres räumlichen und zeitlichen Vorstellens zu erweisen.

Ist aber der Schluß vom formalen Charakter einer Vorstellung auf ihre Apriorität tatsächlich berechtigt? Das wäre nur dann der Fall, wenn die Verschiedenheit einer Vorstellung von der bloßen Empfindung genügen würde, um ihr eine Apriorität im logischen Sinn zuzusprechen. Formale Bestandteile einer Vorstellung in dem von KANZ definierten Sinn sind alle diejenigen Vorstellungsweisen, die über die rein qualitative Bestimmtheit des Einzeleindrucks hinausgehen. Daß wir neben den Einzeleindrücken auch ihren Zusammenhang vorzustellen befähigt sind, beweist, wie früher eingehender entwickelt worden ist, daß unser Bewußtsein kein bloß empfindendes Bewußtsein ist. Es zeigt, daß wir im Besitz psychologischer Auffassungsformen sind, denen wir gegebene Empfindungsinhalte unterordnen. Die Spontaneität des Bewußtseins, die sich in dieser Gruppierung gegebener Einzelinhalte bekundet, ist nun aber weit entfernt, dem Begriff logischer Apriorität äquivalent zu sein. Die wahrnehmbare Anordnung gegebener Eindrücke ist ebensogut etwas empirisch Gegebenes und logisch Zufälliges wie die Beschaffenheit der so verbundenen Eindrücke selbst. Sie bietet uns keine Gewähr dafür, daß dasselbe Gesetz der Anordnung auch in allen weiteren Fällen seine Geltung bewahren wird. Das ist auch dann nicht der Fall, wenn wir die vorgefundene Anordnung unserer Bewußtseinserlebnisse auf die formenden Tätigkeit des Bewußtseins zurückführen. Auch dann bürgt uns nichts dafür, daß die auffassende Tätigkeit des Bewußtseins dauernd die gleiche Gestalt bewahren wird, noch viel weniger aber steht es fest, daß jedes andere Bewußtsein an die gleiche Auffassungsweise gebunden ist. Die allgemeine und notwendige Geltung bestimmter Raumgesetze, die das Merkmal erkenntnistheoretischer Apriorität ist, wird durch die Zurückführung unserer Raumwahrnehmungen auf die spontane Auffassungstätigkeit des Bewußtseins erst dann begründet, wenn wir eine gesetzmäßige Bestimmtheit und überindividuelle Allgemeinheit der Auffassungsform des Bewußtseins voraussetzen. Mit anderen Worten: wenn wir die Annahme der ausnahmslosen Gesetzmäßigkeit unserer Bewußtseinstätigkeit an die Erscheinungen unseres Raumbewußtseins heranbringen. Die Unterscheidung der Anschauungsform von den materialen Elementen unseres sinnlichen Bewußtseins beweist nicht die Apriorität der ersteren; ihre erkenntnistheoretische Bedeutung besteht vielmehr darin, daß sie uns in den Anordnungsformen unserer sinnlichen Erscheinungen die Bestandteile derselben aufweist, deren apriorische Bestimmtheit eine notwendige Voraussetzung möglicher Erfahrung ist.

Die entscheidende Beweisführung, in der die transzendentale Ästhetik die Apriorität von Raum und Zeit begründet, stützt sich dann auch nicht auf die psychologische Existenz unserer Raumvorstellung, sondern geht vom Raumbegriff und entsprechend dem der Zeit aus, der unserem gegenständlichen Erkennen zugrunde liegt. Es hat allerdings an Versuchen nicht gefehlt, auch die kantische Erörterung der Raum- und Zeitvorstellung als eine Analyse unserer Raumwahrnehmung zu verstehen. Man hat demgemäß das erste Raumargument KANTs, das zeigt, daß die Vorstellung des Raums der jeder örtlichen Verschiedenheit zugrunde liegt, dahin erklärt, daß es nachweist, die in unserer Raumwahrnehmung enthaltene Vorstellung des Auseinanderliegens gegebener Eindrücke sei nicht in diesen selbst enthalten, sondern stelle eine selbständig zu ihnen hinzutretende formale Weise ihrer Anordnung dar. So verstanden, fällt das erste Raumargument mit der an der Raumwahrnehmung selbst festgestellten Selbständigkeit der Wahrnehmungsform gegenüber dem Wahrnehmungsinhalt zusammen und beweist demgemäß nichts weiter, als daß in unseren räumlichen Vorstellungen zu der qualitativen Bestimmtheit der Einzeleindrücke bestimmte, über diese selbst hinausgreifende formale Momente enthalten sind. Es führt nur bis zur Erkenntnis der Räumlichkeit als eines selbständigen Bestandteils unseres Bewußtseins, nicht aber bis zum Begriff des einheitlichen Raums, der ja in keiner unserer Raumvorstellungen als ihr wirklicher Bestandteil enthalten ist. Zeigt es sich so schon am ersten der kantischen Argumente, das einer derartigen Deutung noch am ehesten zugänglich ist, daß der Raumbegriff, zu dem es hinführt, nicht aus einer Analyse unserer räumlichen Wahrnehmungen hervorgehen kann, so tritt es in den letzten Raumargumenten KANTs mit voller Evidenz hervor, daß sie es nicht mit unseren psychologischen Raumvorstellungen zu tun haben. Wenn sie die Unendlichkeit und Einheitlichkeit als Merkmale des Raums bezeichnen, so können sie nicht von den Raumwahrnehmungen reden, die unser Bewußtsein erfüllen, sondern nur von dem Raum, auf den wir alle Gegenstände der äußeren Erfahrung beziehen.

Die Zergliederung dieses Raumbegriffs, den wir als die Grundlage unseres Erfahrungsbewußtseins und seines wissenschaftlichen Ausdrucks, der Erfahrungswissenschaften, antreffen, zeigt nun mit Evidenz, daß er nicht der Erfahrung entlehnt sein kann. Der empirische Vorstellungsraum, der uns sinnlich gegeben ist, ist stets, wie weit er sich auch dehnen mag, von endlicher Größe. Die Räume, die wir zu sehen oder zu tasten vermögen, sind ausnahmslos begrenzte Raumgebilde. Der Raum dagegen, den die mathematische Naturwissenschaft als die Grundlage der äußeren Wirklichkeit betrachtet, gilt ihr als unendlich. Sie kennt nicht eine Mehrheit von Einzelräumen, wie sie in unserer Raumwahrnehmung einander ablösen, sondern betrachtet die verschiedenen wahrgenommenen Räume als umschlossen von seinem einheitlichen Raumganzen, dessen ursprüngliche Einheit allen Sonderräumen gleichmäßig zugrunde liegt. Die Berechtigung dieser Raumvorstellung kann durch keine räumliche Erfahrung begründet werden. Daß wir ein Recht haben, einen unendlichen und in allen seinen Teilen gleichartigen Raum anzunehmen, läßt sich durch die Raumwahrnehmung, die uns stets nur begrenzte Einzelräume darbietet, nicht erweisen. Vollends entscheidet die Ausnahmslosigkeit, mit der wir die Geltung dieser Raumvorstellung von aller menschlichen Erfahrung behaupten, gegen jeden Versuch, sie aus der Erfahrung abzuleiten.

Während ich bisher den Nachdruck darauf legte, daß die Beschaffenheit unserer wissenschaftlichen Raumvorstellung ihre Ableitung aus der Erfahrung ausschließt, haben wir nunmehr zu beachten, daß der so gedachte Raum allen besonderen räumlichen Erfahrungen bereits zugrunde liegt. Wir bedürfen der Raumvorstellung, um einen außerhalb von uns selbst befindlichen Gegenstand vorzustellen. Rede ich von einem außerhalb von mir befindlichen Gegenstand, so versetze ich damit ihn wie mich selbst in den Raum, der uns gemeinsam umfaßt. In aller gegenständlichen Raumerfahrung ist die Vorstellung eines die Einzelobjekte umschließenden und von ihnen unabhängigen Raumes enthalten. Erst diese Vorstellung ermöglicht und begründet den Übergang von der Raumwahrnehmung, der Vorstellung eines nur meinem Bewußtsein angehörigen räumlich ausgebreiteten Empfindungskomplexes, zur Raumerfahrung, der Vorstellung und Erkenntnis von Gegenständen im Raum. Solange ich lediglich die Vorstellung einer räumlich geordneten Empfindungsgruppe in meinem Bewußtsein habe, ist es möglich, die Räumlichkeit als ein ihr anhaftendes Merkmal anzusehen. Schreite ich dagegen zur Vorstellung eines räumlichen Gegenstandes fort, so tritt an die Stelle der bloßen Ausgedehntheit als einer Beschaffenheit des Einzelgegenstandes die Lage im Raum und damit die Vorstellung der Abhängigkeit des Raumobjekts von der Einheit des Raums. Jede einzelne räumliche Erfahrung weist so über ihren sinnlich vorfindbaren Inhalt hinaus. Sie enthält in sich stets den Hinweis auf die Einheitsform des Raumes, die wir somit an den sinnlich gegebenen Wahrnehmungsinhalt heranbringen müssen, um zur Setzung eines räumlichen Objekts zu gelangen. Die Einheitsform des Raumes ist, statt ein Niederschlag unserer räumlichen Erfahrungen zu sein, eine gedankliche Voraussetzung, die uns erst die Möglichkeit eines räumlichen Erfahrens gewährt.

An eine Ableitung der Vorstellung des objektiven Raumes aus unseren empirischen Erlebnissen kann nach dieser Beweisführung KANTs nicht länger gedacht werden. Sofern sie aber über dieses negative Ergebnis hinaus zugleich eine Begründung der apriorischen Geltung dieser Vorstellung bedeuten will, hängt ihre Beweiskraft von der Berechtigung der Annahmen ab, aus denen sie die apriorische Geltung unseres Raumbegriffs erschließt. Die Einsicht, daß die Vorstellung des einigen unendlichen homogenen Raums nicht der Erfahrung entstammen kann, reicht für sich nicht aus, um der Vorstellung dieses Raums eine apriorische Geltung zuzusprechen, solange wir nicht wissen, ob unsere Überzeugung von jenen Eigenschaften des Raums berechtigt ist. Woher aber schöpfen wir die Gewißheit, daß unser Raum unendlich ist, woher wissen wir, daß alle Objekte unserer äußeren Erfahrung von der Einheit des Raumes unschlossen sind? Eine logische Notwendigkeit besitzt, wie KANT ständig hervorhebt, unsere Raumvorstellung nicht, es ist nicht durch Gründe beweisbar, daß die Raumvorstellung, deren Merkmale wir entwickelt haben, von jedem als die richtige anerkannt werden muß. Wenn wir gleichwohl Aussagen über den Raum machen, die weit über die Kompetenz bloßer Erfahrung hinausgehen, so kann uns von ihrer Berechtigung nur eine intuitive Gewißheit überzeugen. Sie können nur auf eine unmittelbare Evidenz gegründet sein, mit der wir die formalen Bedingungen unserer räumlichen Vorstellungen erfassen. (1)

Eine solche Evidenz ist nun tatsächlich unserem Raumbewußtsein eigen. Wir sind innerlich genötigt, den Urteilen zuzustimmen, welche die mehrfach erwähnten Eigenschaften des Raumes zum Ausdruck bringen. Der Gedanke einer absoluten Raumgrenze ist uns schlechterdings unvorstellbar; wir können den Gedanken an einen endlichen Raum nicht bilden, ohne in unserem Denken über ihn hinauszugehen und ihn als Teil eines umfassenderen Raums zu denken, der jenseits der vorgestellten Grenze liegt. MIt der gleichen Notwendigkeit stellen wir uns den Raum in allen seinen Teilen als gleichartig vor. Wir übertragen die an einem bestimmten Raumgebilde gewonnene Einsicht auf alle gleichartigen Raumgestalten, an welchem Teil des Raumes sie sich auch immer befinden mögen. Statt von den Objekten unserer Erfahrung die Antwort zu erwarten, ob sie den Gesetzen unseres Raumbewußtseins entsprechen, setzen wir voraus, daß unsere gegenwärtige wie unsere künftige Erfahrung jenen Gesetzen entsprechen muß.

Das Vertrauen auf diese intuitive Evidenz unseres Raumbewußtseins ist die unentbehrliche Grundlage der kantischen Beweisführung. Sie gilt nur für den, der dieses Vertrauen teilt, vermag aber niemanden zu überzeugen, der gegen die Sicherheit so eines intuitiven Wissens mißtrauisch ist. Sie bietet, anders ausgedrückt, keine Gewähr dafür, daß es mehr ist als eine psychologische Nötigung, was uns bestimmt, alle unsere räumlichen Erfahrungen von identischen Raumgesetzen abhängig zu denken. Nur eine gefühlsmäßige Sicherheit bürgt uns dafür, daß die Vorstellung des absoluten Raums mehr ist als eine Phantasievorstellung, die wir an die Inhalte unserer Wahrnehmung heranbringen. Es ist nicht beweisbar, daß alle unsere räumlichen Wahrnehmungen den Bedingungen dieses Raumbegriffs genügen müssen, noch, daß dieser von überindividueller Gültigkeit ist. In der Anerkennung seiner objektiven Geltung aufgrund seiner unmittelbaren Evidenz liegt daher ebensogut ein Zurückgreifen auf eine letzte unbeweisbare Voraussetzung, wie sie bei der Deduktion des Raums aus dem Grundsatz der synthetischen Gesetzlichkeit der Fall ist. Während aber diese Abhängigkeit unserer Raumerkenntnis von einer letzten Grundvoraussetzung bei der Deduktion des Raumbegriffs aus dem Gedanken der Erfahrungseinheit zu klarem Bewußtsein gelangt, während hier die Einsicht in die logische Bedeutung der Raumeinheit ihrer Anerkennung zugrunde liegt, verhüllt die Berufung auf die anschauliche Evidenz unserer Raumvorstellung die Notwendigkeit, unsere Raumerkenntnis auf eine solche letzte Voraussetzung zu gründen. Sie macht statt der logischen Funktion des Raumbegriffs die psychologische Energie, mit der er sich uns instinktiv aufdrängt, zum Motiv seiner Anerkennung. Das sich so bekundende Zutrauen zur psychologischen Evidenz unserer Raumvorstellung führt dann weiterhin dazu, daß gleich der allgemeinen Voraussetzung einer konstanten Raumgesetzlichkeit überhaupt auch die spezielle Beschaffenheit unserer Raumgesetzlichkeit durch die sinnliche Gewißheit unseres Raumbewußtseins für ausreichend verbürgt gilt, während die Deduktion des Raums aus dem Prinzip der Erfahrungseinheit zugleich den Nachweis verlangt, wie wir von ihr aus zur Annahme eines bestimmten Raumsystems gelangen.

Die Beweisführung KANTs, von der ich nachgewiesen habe, daß sie die Anerkennung der intuitiven Gewißheit unserer Raumvorstellung als legitimer Erkenntnisinstanz voraussetzt, ist in der metaphysischen Erörterung des Raums enthalten. Vielfach aber wird der eigentliche Beweis für die objektive Geltung des Raums erst in der ihr folgenden transzendentalen Raumerörterung gesucht. Die metaphysische Erörterung des Raums beweist dieser Auffassung nach nur die Apriorität unserer Raumvorstellung, während deren Objektivität, ihre Geltung von den Gegenständen unserer Erfahrung erst in der transzendentalen Erörterung begründet wird. Sehen wir, ob diese Auffassung des kantischen Gedankengangs die Anerkennung der intuitiven Gewißheit unserer Raumvorstellung entbehrlich macht. Als das Ergebnis der metaphysischen Raumerörterung steht die Tatsache fest, daß wir eine Raumvorstellung besitzen, die nicht aus der Erfahrung abgeleitet sein kann. Sowohl der apodiktische Charakter unserer Raumurteile wie ihr in keiner räumlichen Wahrnehmung vorfindbarer Inhalt schließt diese Ableitung aus. Die Existenz einer solchen Raumvorstellung ist nur dann erklärbar, wenn sie die Form unserer Anschauung, der bewußte Ausdruck der Gesetze unserer eigenen Anschauungstätigkeit ist. Diese allein sind unabhängig von allen Gegenständen der Anschauung für uns erkennbar. Ihnen aber müssen alle von uns angeschauten Gegenstände entsprechen, weil sie nur durch sie unserer Anschauung gegeben werden können. Indem wir den Raum als Form unserer Anschauung erkannt haben, haben wir zugleich seine Geltung von allen Gegenständen unseres Anschauens nachgewiesen.

Der Schluß, der in diesem Gedankengang aus der Apriorität unserer Raumanschauung gezogen wird, ist offenbar nur dann berechtigt, wenn dieser eine mehr als bloß psychologische Bedeutung zuerkannt wird. Ist dies nicht der Fall und entnehmen wir der metaphysischen Raumerörterung nur die Tatsache, daß wir mit dem Anspruch auf apriorische Geltung über den Raum urteilen, so sind wir nicht genötigt, in ihm die Form unserer Anschauung zu erblicken. Das Faktum, daß wir eine Raumerkenntnis besitzen, die mit dem Anspruch auf apriorische Geltung auftritt, läßt ebenso die Erklärung zu, daß nur eine psychologische Jllusion uns zur Bildung dieser Raumurteile veranlaßt. Nicht der Anspruch auf apriorische Geltung, der unseren Raumurteilen innewohnt, sondern die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs macht die Annahme notwendig, daß er die Form unserer Anschauung ist. Die transzendentale Erörterung des Raums beweist nicht aus seiner Apriorität seine objektive Geltung, sondern gibt nur die Erklärung dafür, wie seine vorausgesetzte apriorische Geltung möglich ist.

Sie gibt diese Erklärung, indem sie den Raum als Form unserer Anschauung bezeichnet, indem sie ihn zur Bedingung unseres Anschauens macht. Es ist evident, daß mit dieser alle Gegenstände unserer Anschauung übereinstimmen müssen,
    "man kann a priori wissen, wie und unter welcher Form die Gegenstände der Sinne werden angeschaut werden, nämlich so, wie es die subjektive Form der Sinnlichkeit, d. h. der Empfänglichkeit des Subjekts für die Anschauung jener Objekte mit sich bringt."
Vorausgesetzt aber ist dabei, daß die Anschauungsweise des vorstellenden Subjekts sich unveränderlich gleichbleibt. Ist unsere Anschauungstätigkeit nicht von konstanten Gesetzen beherrscht, ist unsere Art, sinnliche Eindrücke aufzufassen, nicht gesetzlich bestimmt, so schwindet auch die Sicherheit, daß die Objekte unserer Anschauung stets den gleichen Gesetzen entsprechen müssen. Daß nun unsere Sinnesanschauung eine gesetzmäßig bestimmte ist, wird uns ausschließlich durch die Überzeugung verbürgt, daß unsere Raumanschauung apriorische und von allem Wechsel unserer Erfahrung unabhängige Geltung besitzt. Die Gesetzmäßigkeit unserer Anschauungstätigkeit wird aus der vorausgesetzten zeitlosen Geltung unserer Raumerkenntnis erschlossen. Auch die transzendentale Erörterung des Raums bleibt an die Anerkennung dieser Voraussetzung gebunden (2).

So ergibt sich für KANT, wie wir jetzt abschließend behaupten dürfen, die Apriorität des Raums daraus, daß er, ohne selbst Gegenstand empirischer Anschauung sein zu können, all unserer äußeren Erfahrung zugrunde liegt, deren Objekte wir mit intuitiver Gewißheit von der Einheit des objektiven Raums umfaßt denken. Unser tatsächliches Erfahrungsbewußtsein beweist, daß ihm die Vorstellung eines objektiven Raumes als einer Bedingung aller Erfahrungsobjekte angehört. Eine Deduktion des Raumes aus dem Begriff der Erfahrung dagegen hat zu zeigen, welche Beziehung unserer Wahrnehmungen auf einen objektiven Raum erforderlich ist, um eine Erfahrung von ihnen möglich zu machen. Sie hat nachzuweisen, daß wir die in unserem wirklichen Erfahrungsbewußtsein enthaltene Annahme eines objektiven Raumes machen müssen, wenn wir am Begriff der Erfahrung festhalten wollen. Kehren wir mit diesem Gesichtspunkt zur metaphysischen Erörterung des Raums zurück, so zeigt es sich, daß in ihr der Weg einer solchen Deduktion deutlich vorgezeichnet ist. Ihr wesentlicher Gehalt bleibt in dieser vollkommen bestehen und es bedarf nur der bewußten Beziehung ihrer Gedanken auf den Erfahrungsbegriff, um zur geforderten Raumdeduktion zu gelangen.

Auch diese muß von der Tatsache ausgehen, daß sich unsere Wahrnehmungen uns in räumlicher Verknüpfung darstellen. Sie findet in unserem individuellen Bewußtsein einen räumlichen Zusammenhang der uns gegebenen Empfindungen vor. Der so vorgefundende Raum ist lediglich die subjektive Einheitsform, welche die Wahrnehmungen des Einzelsubjekts umschließt. Wäre diese Form von Subjekt zu Subjekt verschieden, wäre die Verknüpfung unserer Wahrnehmungen das bloße Werk des individuellen Vorstellungsprozesses, so blieben wir dauernd in den Kreis unserer persönlichen Vorstellungen eingeschlossen. Eine Erkenntnis anschaulicher Inhalte von objektiver Geltung, die Beziehung unserer individuellen Wahrnehmung auf Objekte einer gemeinsamen Wirklichkeit setzt voraus, daß die anschauliche Verknüpfung der von uns erlebten Inhalte von gemeinsamen allgemeingültigen Regeln der Verknüpfung beherrscht ist. Eine überindividuelle Erkenntnis anschaulicher Inhalte verlangt, daß eine gemeinsame Form der Anorndung für die Anschauungsinhalte aller Individuen gilt. Um von räumlicher Wahrnhemung zur Erfahrung räumlicher Inhalte zu gelangen, müssen wir ihnen einen objektiven Raum zugrunde legen. Die Vorstellung einer solchen objektiven Raumeinheit ist in den sinnlichen Gegebenheiten unseres Bewußtseins nicht enthalten, sie kann
    "nicht aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst nur durch eine gedachte Vorstellung allererst möglich." (Kr. d. r. V. Seite 51)
Die Vorstellung eines objektiven Raums ist die Bedingung dafür, daß die räumlichen Anschauungen der verschiedenen vorstellenden Subjekte einer objektiv bestimmten Wirklichkeit angehören können.

Die räumliche Anordnungsform der Erscheinungen hat unter diesen einen Zusammenhang zu begründen, der sie objektiver Bestimmung zugämglich macht. Das ist nur möglich, wenn das Gesetz der räumlichen Anordnung unabhängig von der Zufälligkeit der empirischen Inhalte ist, die ihm gemäß verknüpft werden. Die Anordnungsform wahrnehmbarer Inhalte, die es ermöglichen soll, sie eindeutig zu fixieren, muß für sich allein begrifflich erfaßbar sein. Sie muß ein Stellensystem ergeben, in dem jedes Einzelglied bloß durch seinen Zusammenhang mit beliebigen anderen Gliedern bestimmbar ist. Der Raum als Einheitsform der Erscheinungen ist, auch entblößt von allen in ihm bedindlichen Objekten logisch bestimmt. Ohne ihn dagegen ist keine Bestimmtheit äußerer Erscheinungen mehr denkbar. Als Bedingung der Möglichkeit äußerer Erscheinungen ist er "eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise äußeren Erscheinungen zugrunde liegt."

Der Begriff einer Ordnungsform der Erscheinungen erfordert, daß diese in sich vollkommen einheitlich ist. Sie kann nur dann die Gesamtheit aller möglichen Anschauungsinhalte in einen durchgreifenden Zusammenhang bringen, wenn sie selbst durchaus einheitlich ist. Die Einheit unserer Erfahrung wäre aufgehoben, wenn ihre einzelnen Bestandteile verschiedenen Räumen angehören würden, die unter sich in keiner notwendigen Beziehung ständen. Erst die Einheit des räumlichen Beziehungsgesetzes begründet die Einheit der ihm unterstehenden Wirklichkeit. Wenn wir von einer Mehrheit einzelner Räume reden, so verstehen wir unter ihnen nur verschiedene Teile desselben einheitlichen Raumes. Dieser ist nicht wie ein abstrakter Allgemeinbegriff aus einer Mehrheit selbständiger Einzelinhalte ableitbar, sondern ist das ursprüngliche Einheitsgesetz unserer Anschauung, das in aller Mannigfaltigkeit der in ihm begründeten Einzelinhalte identisch bleibt.

Von einer solchen Einheitsform der Erscheinungen ist endlich jede Begrenzung ausgeschlossen. Das rein formale Gesetz der Beziehung von Glied zu Glied bietet die Möglichkeit unbegrenzten Fortschreitens. Es steht nach jeder erfolgten Verknüpfung immer aufs Neue zur Verfügung und ermöglicht so die Überschreitung jeder denkbaren Grenze. Der Raum, als Einheitsform der Erfahrung gedacht, geht daher notwendig über alle empirisch vorstellbaren Einzelräume hinaus und gestattet so eine nie abbrechende Verknüpfung der empirischen Erscheinungen. (3)

Dieselben Merkmale des Raums, die gleiche ihm eigene Beziehung zu unserer Erfahrung, die KANT am Faktum der gegebenen Erfahrung nachgewiesen hat, treten nun in ihrer Bedeutung für die Möglichkeit der Erfahrung hervor. Diese bedarf als objektive Einheit räumlicher Inhalte eines reinen Gesetzes räumlicher Anordnung des objektiven Raumes als der allen Gegenständen unserer äußeren Anschauung zugrunde liegenden apriorischen Anschauungsform. Während es aber von KANT als eine intuitive Gewißheit angesehen wird, daß dieser unserer Erfahrung zugrunde liegende Raum mit dem euklidischen identisch ist, gestattet die Begründung des Raumes als einer notwendigen Voraussetzung unserer Erfahrung es nicht, die reine Anschauungsform, deren unsere äußere Erfahrung bedarf, ohne weitere Beweisführung mit dem euklidischen Raum zu identifizieren. Sie stellt uns vielmehr vor die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit dieser Identifizierung nachzuweisen.

Von der Möglichkeit eines solchen Nachweises wird daher auch das Urteil über den logischen Charakter der die Gesetze des euklidischen Raums entwickelnden Wissenschaft, der euklidischen Geometrie, abhängig sein. Die Existenz dieser Wissenschaft ist für KANT eines der entscheidenden Motive, die Apriorität unserer Raumanschauung anzunehmen. Sie fordert deren Apriorität, auch wenn wir ihre Beziehung zu unserer Erfahrung unberücksichtigt lassen, weil sie selbst eine apriorische und zugleich synthetische Wissenschaft ist. Ihre Grundlage in der Erfahrung zu suchen, verbietet der apodiktische Charakter unserer geometrischen Erkenntnis, die Allgemeinheit und Notwendigkeit, die allen geometrischen Urteilen eigen ist. Wir machen die Geltung unserer geometrischen Sätze nicht, wie es der geometrische Empirismus tun müßte, vom Ergebnis empirischer Beobachtung abhängig. Statt zu behaupten, daß alle bisher von uns gemessenen Geraden sich kürzer gezeigt haben als die anderen ihre Endpunkte verbindenden Linien, mit denen wir sie verglichen haben, erklären wir die Gerade schlechthin für die kürzeste Verbindung zweier Punkte. Ebensowenig wie auf empirischem Weg ist aber die Geometrie auf rein logischem Weg begründbar. Das gilt selbstverständlich nicht von den Beweisen, die sie für ihre Sätze erbringt und die, wie alle Beweise, streng "nach dem Satz des Widerspruchs fortgehen". Folgen wir aber diesen Beweisen bis zu ihren letzten Ursprüngen, so treten uns als die begründenden Prinzipien aller geometrischen Erkenntnis eine Reihe letzter Grundsätze entgegen, die sich aller ferneren logischen Ableitung entziehen. Die Logik vermittelt uns ausschließlich den Zusammenhang der geometrischen Lehrsätze mit ihren axiomatischen Grundlagen. Deren eigene Geltung kann nicht logisch eingesehen werden, ihre Negation schließt keinen Widersinn in sich. Ihre Wahrheit kann uns nur durch intuitive Gewißheit verbürgt werden, sie verlangt als ihren Erkenntnisgrund die unmittelbare Evidenz der reinen Anschauung. Mit der Aufhebung der letzteren wird den axiomatischen Grundlagen, auf denen unsere geometrische Erkenntnis ruht, aller Wert der Wahrheit genommen.

Diese Konsequenz wird von einer Reihe neuerer Mathematiker und Logiker bereitwillig zugegeben, ohne daß sie sich durch sie bestimmen lassen, die geometrischen Axiome auf reine Anschauung zu gründen. Sie halten eine derartige Begründung für entbehrlich, weil ihrer Meinung nach die Geometrie eines Wahrheitswertes ihrer axiomatischen Grundlagen nicht bedarf. Ihre wissenschaftliche Leistung besteht vielmehr ausschließlich in der Erkenntnis des logischen Zusammenhangs, der aus den vorausgesetzten Grundlagen eines geometrischen Systems dessen ganzen Inhalt hervorgehen läßt. Die apodiktische Gewißheit unserer geometrischen Erkenntnis bleibt durchaus bestehen, auch wenn deren Grundlagen rein hypothetische Satzungen sind. Denn apodiktisch gewiß bleibt die Geltung der geometrischen Sätze unter der Zugrundelegung der gegebenen Voraussetzungen. In einem Raum, von dem die euklidischen Axiome gelten, besitzen auch die aus ihnen abgeleiteten Lehrsätze apodiktische Geltung. Mag daher der euklidische Raum eine Existenz irgendeiner Art besitzen oder eine rein willkürliche Setzung sein, mögen seine Axiome als kategorische Urteile gelten oder als rein hypothetische Voraussetzungen dem Beweisverfahren zugrunde gelegt werden, der wissenschaftliche Charakter der euklidischen Geometrie bleibt in beiden Fällen der gleiche; sie hat kein Interesse daran, welcher Wahrheitswert ihren Axiomen zukommt. (4)

Sie steht als reine mathematischen Wissenschaft dieser Frage genau in der gleichen Weise gegenüber wie die nichteuklidischen Geometrien, die in ihren axiomatischen Grundlagen von der unseren abweichen. Diese erheben von vornherein keinen Anspruch darauf, ihre Axiome als assertorische [behauptend - wp] geltende Sätze anerkantt zu sehen. Sie nehmen für sie nichts anderes in Anspruch, als daß sie in sich widerspruchslos und logisch bestimmt sind, ohne darum an wissenschaftlicher Strenge die geringste Einbuße zu erleiden. Die in jeder dieser Geometrien bewiesenen Sätze gelten innerhalb des Raumes, der durch ihre Axiome definiert ist, mit derselben Allgemeingültigkeit, wie die der euklidischen Geometrie innerhalb "unseres" Raumes. Auch diese kann sich daher, ohne ihren logischen Charakter zu ändern, damit begnügen, die Wissenschaft von einem möglichen Raum zu sein, sie braucht für ihre Urteile keine andere Geltung als die, welche ihr Zusammenhang mit den diesen Raum bestimmenden Voraussetzungen ihr sichert.

Es ist unzweifelhaft, daß die hier wiedergegebene Auffassung vollkommen imstande ist, den methodologischen Charakter der geometrischen Erkenntnis verständlich zu machen. Für die Würdigung des mathematischen Beweisverfahrens bleibt es sicherlich gleichgültig, ob es von assertorisch gültigen Urteilen oder von völlig willkürlich gewählten Prämissen ausgeht. Wenn sich aber eine bloß methodologische Betrachtung der geometrischen Erkenntnis mit der Feststellung begnügen kann, daß die apodiktische [sichere - wp] Geltung der mathematischen Beweise vom Wahrheitswert ihrer Prämissen unabhängig ist, so kann eine prinzipielle logische Würdigung der Geometrie hier nicht Halt machen. Sie hat vielmehr darauf hinzuweisen, daß der Wahrheitswert der geometrischen Axiome über den Erkenntniswert der geometrischen Wissenschaft selbst entscheidet.

Beschränkt diese sich darauf, aus willkürlich gesetzten Voraussetzungen Konsequenzen abzuleiten, besteht ihr Wahrheitsgehalt lediglich im Nachweis des Zusammenhangs der gewählten Prämissen mit den aus ihnen abgeleiteten Sätzen, so hat sie genau die gleiche Geltung wie jede andere widerspruchslose Gedankenverknüpfung. Sie ist dann lediglich eine Entfaltung rein konventioneller Begriffe, ein "Hirngespinst" ohne allen Erkenntniswert (5). So wenig wie ihre Voraussetzungen haben ihre Ergebnisse den Wert wahrer Urteile. Sie bilden vielmehr ein System analytischer Urteile und hören damit wie alle analytischen Urteile auf, Urteile im Sinne der Wissenschaft zu sein, von denen der Anspruch auf Wahrheit unabtrennbar ist. Die Ausspinnung bloßer Denkmöglichkeiten ist so wenig in der Geometrie wie in irgendeiner anderen Wissenschaft als wirkliche Erkenntnisleistung anzuerkennen. Der Verzicht auf einen Wahrheitswert ihrer Ergebnisse, der die notwendige Folge der Preisgabe des Wahrheitswertes ihrer Voraussetzungen ist, würde die Geometrie des Anspruchs auf den Namen einer Wissenschaft berauben (6).

Diese Bedenken wären gegenstandslos, wenn die Entfernung aller Axiome von eigenem Wahrheitswert aus der Geometrie eine vollkommene Rationalisierung dieser Wissenschaft bedeuten würde, wenn COUTURAT im Recht damit wäre, daß deren Verwandlung in "verkleidete Definitionen" die Geometrie zu einem Zweig der Logik macht. Das aber ist nicht der Fall, so gewiß die Aufstellung eines in sich geschlossenen Systems analytischer Urteile keine Sache der logischen Wissenschaft ist. Der Logik gehören hier ausschließlich die Gesetze an, nach denen aus gegebenen Voraussetzungen geschlossen wird. Sie garantiert nur die innere Folgerichtigkeit der Beweisführung, genau wie dies in allen Wissenschaften der Fall ist; die Voraussetzungen dagegen, aus denen diese Folgerungen abgeleitet werden, besitzen hier so wenig wie in synthetischen Wissenschaften eine rationale Notwendigkeit. Sie sind als bloß konventionelle Voraussetzungen ebenso zufällig wie als wahre Axiome. Vom Standpunkt logischer Rationalität aus macht es keinen Unterschied, ob aus den einen oder den anderen logische Folgerungen gezogen werden. Die Entwicklung dieser Folgerungen steht in beiden Fällen außerhalb der logischen Wissenschaft, der nur die Erkenntnisse angehören, die sich als rational notwendig einsehen lassen.

Logisch zufällig aber sind die Voraussetzungen, von denen irgendein geometrisches System ausgeht, nicht nur, solange seine Grundbegriffe und Grundbedingungen einen anschaulich räumlichen Sinn behalten. Sie bleiben es auch dann, wenn sie dieses Sinnes völlig entkleidet werden und einen rein begrifflichen Gehalt gewinnen. Auch in einem geometrischen System, in dem statt von räumlichen Punkten nur noch von begrifflichen Elementen die Rede ist, die lediglich dadurch definiert sind, daß die in den Axiomen formulierten Voraussetzungen von ihnen gelten, und in dem auch die Beziehungen, die zwischen diesen Elementen vorausgesetzt werden, rein begrifflich-formaler Natur sind, bleibt die logische Zufälligkeit seiner Voraussetzungen bestehen. Die Darstellung, die COUTURAT im Anschluß an RUSSELL von verschiedenen Arten der Geometrie gibt, zeigt deutlich, wie sich ihre Voraussetzungen mit Hilfe der Logik der Relationen vollkommen definieren lassen, wie sie sich alle darauf zurückführen lassen, das bestimmte, rein formale Relationen zwischen allen Elementen angenommen werden. Allein die Möglichkeit, die Bedingungen, denen die Elemente eines solchen geometrischen Systems genügen müssen, die formalen Eigentümlichkeiten der zwischen ihnen angenommenen Relationen begrifflich zu definieren, beweist noch nichts für die logische Notwendigkeit der so definierten Bedingungen. Die verschiedenen Relationssysteme lassen sich aufgrund der allgemeinen logischen Relationsformen definieren, aber eben darum bleibt jedes von ihnen eine bloße logische Möglichkeit, ist es fraglich, ob irgendeines unter ihnen logisch gefordert ist (7). Es bleibt völlig unbestimmt, ob es irgendwelche Elemente gibt, welche den in den Axiomen ausgesprochenen Bedingungen genügen. Dabei ist selbstverständlich nicht an die Frage gedacht, ob diese Bedingungen in irgendeiner empirischen Wirklichkeit erfüllt werden. Es handelt sich vielmehr um die rein logische Frage, ob sich aus den allgemeinen Bedingungen der Denkbarkeit eines Elementes nachweisen läßt, daß es auch den hier vorausgesetzten Bedingungen genügen muß. Die allgemeinen Formen logischer Gesetzlichkeit sind eben dadurch definiert, daß kein ihnen widersprechender Denkinhalt möglich ist; sie gelten, weil zum Begriff der Wahrheit gehörig, von allen Objekten möglicher Erkenntnis. Legen wir diesen Maßstab an die axiomatischen Voraussetzungen der verschiedenen geometrischen Systeme, so beweist schon die Möglichkeit, Systeme, die auf divergierender Grundlage ruhen, widerspruchslos durchzuführen, daß keinem von ihnen die Notwendigkeit im Sinn der Logik zukommt.

Eine derartige Notwendigkeit versuchen dann auch die Existenzialbeweise, die der Rechtfertigung solcher geometrischer Systeme dienen, niemals für sie in Anspruch zu nehmen. Sie zeigen nicht, daß jeder Denkinhalt den vorausgesetzten Bedingungen genügen muß, sondern begnügen sich mit dem Nachweis, daß bestimmte Zahlengruppen, die sich mit Hilfe rein logischer Gesetzlichkeit entwickeln lassen, tatsächlich die vorausgesetzten Relationsgesetze verwirklichen. Sofern aber, wie COUTURAT energisch betont, die geometrischen Systeme nicht von Zahlengruppen, sondern von anderen logischen Mannigfaltigkeiten handeln, ist für diese nur die Widerspruchslosigkeit und logische Möglichkeit, nicht aber die logische Notwendigkeit der entsprechenden Voraussetzungen auf diesem Weg erweisbar. Es bleibt stets eine willkürliche Annahme, daß auch Elemente, die nicht den eigentümlichen Bildungsgesetzen der Zahlenreihe unterstehen, den gleichen Bedingungen entsprechen müssenj. Wenn etwa die Glieder der Zahlenreihe, unter denen jedes folgende aus den vorhergehenden durch die Hinzufügung von Einheiten gewonnen werden kann, aufgrund dieser Bildungsweise eine bestimmte Ordnung aufweisen, so bleibt es eine bloße Möglichkeit, daß auch andere Elemente, die nicht auf einem solchen Weg gebildet sind, die gleiche Ordnung verwirklichen, ja, daß sie überhaupt irgendwelchen festen Ordnungsgesetzen unterstehen. Die logische Zufälligkeit, die so schon den Ordnungsgesetzen anhaftet, von denen selbst die in der Geometrie auftretenden eindimensionalen Folgen beherrscht werden, tritt noch deutlicher hervor, sobald sich diese Wissenschaft der Erforschung mehrdimensionaler Folgen zuwendet, die nach der Definition RUSSELLs und COUTURATs ihre spezielle Aufgabe bildet. Denn schon die Möglichkeit einer Dimensionsmehrheit ist, wie JONAS COHN einleuchtend nachgewiesen hat (8), nicht aufgrund rein logischer Voraussetzungen deduzierbar. Vom Standpunkt der allgemeinen Logik aus ist ein jedes auf dieser Voraussetzung aufgebaute System nur die Entwicklung einer Denkmöglichkeit. Wir haben kein Recht, eine solche Entwicklung als einen Zweig der Logik selbst zu betrachten, und damit bleiben auch die Bedenken gegen ihren Erkenntniswert unbeschwichtigt. Wenn KANT die Möglichkeit geometrischer Erkenntnis daran geknüpft sieht, daß ihr synthetische Urteile a priori zugrunde liegen, so ist nur der formale Aufbau der geometrischen Wissenschaft von dieser Voraussetzung unabhängig; für ihre logische Bedeutung dagegen ist sie von entscheidender Wichtigkeit.

Über die synthetische Geltung der geometrischen Erkenntnis kann nur ihre Beziehung zur Erfahrung entscheiden, da ihre intuitive Evidenz als Kriterium ihrer synthetischen Geltung für uns in Fortfall kommt. Sehen wir ein, daß das Gefühl der Evidenz, das für die apodiktische Geltung bestimmter geometrischer Axiome spricht, kein zulässiges Erkenntniskriterium ist, so kann die Geltung eines geometrischen Systems nur durch den Nachweis begründet werden, daß es eine Bedingung unserer Erfahrung ist.
    "Da also Erfahrung, als eine empirische Synthesis, in ihrer Möglichkeit die einzige Erkenntnisart ist, welche aller anderen Synthesis Realität gibt, so hat diese als Erkenntnis a priori auch nur dadurch Wahrheit (Übereinstimmung mit dem Objekt), daß sie nichts weiter enthält, als was zur synthetischen Einheit der Erfahrung überhaupt notwendig ist." (Kr. d. r. V., Seite 154/55)
Der allgemeine Begriff der Erfahrung aber führt uns, wie wir oben feststellten, nur zur Anerkennung einer Raumgesetzlichkeit überhaupt, die von den Objekten unserer Erfahrung gilt. Er beweist, daß eine der verschiedenen möglichen Geometrien objektive Geltung besitzt, sagt uns aber nicht, welche unter ihnen dies ist. Denn die Objektivität der Erfahrung verlangt nur, daß das uns gegebene Mannigfaltige in seiner räumlichen Koexistenz, und das Gleiche gilt von seiner zeitlichen Sukzession [Aufeinanderfolge - wp], einer gesetzmäßigen allgemeingültigen Ordnung unterworfen ist. Sie fordert den Raum nur als "die Vorstellung einer bloßen Möglichkeit des Beisammenseins" (Kr. d. r. V., Seite 317) und entsprechend die Zeitform als die Vorstellung der Möglichkeit eines (objektiven) Nacheinander (9). Die Möglichkeit einer objektiven Koexistenz aber ist bei den verschiedenen logisch möglichen Räumen gleichmäßig gegeben. Sie ist nur daran gebunden, daß irgendeine Raumgesetzlichkeit unserer Erfahrung zugrunde liegt. Dagegen läßt sie die Frage unentschieden, mit welchem Recht wir gerade den euklidischen Raum zur Grundlage unserer Erfahrung machen (10).

Eine Entscheidung dieser Frage auf empirischem Weg ist ebenso unmöglich wie eine empirische Begründung der Raumgesetzlichkeit überhaupt. Von mathematischer Seite ist neuerdings besonders durch POINCARÉ einleuchtend gezeigt, daß die gegenständliche Geltung des euklidischen Raums auf empirischem Weg weder widerlegt, noch bewiesen werden kann. Die physikalische Beobachtung, die man zur Prüfung der euklidischen Beschaffenheit unseres Erfahrungsraums heranziehen wollte, kann nie zu einer Entscheidung führen, weil sie ihr Ergebnis stets unter Zugrundelegung bestimmter physikalischer Gesetze gewinnt. Würde ihr Resultat also der euklidischen Geometrie widersprechen, so ließe sich dieser Widerspruch statt durch eine Veränderung der geometrischen Grundlage unserer Erfahrung jederzeit durch eine Umgestaltung der empirisch-physikalischen Gesetze beheben, die der Beobachtung zugrunde lagen (11). Demnach aber ist auch eine Begründung der gegenständlichen Geltung des euklidischen Raums der Empirie versagt. Denn sie erforderte den Nachweis, daß bestimmte naturwissenschaftliche Beobachtungen ausschließlich auf der Grundlage eines euklidischen Raums möglich sein sollen. Dieser Nachweis ist jedoch unmöglich, weil auch ein Widerspruch empirischer Resultate mit den Sätzen einer nicht euklidischen Geometrie sich jederzeit in der angegebenen Weise beheben läßt.

Das Verfahren, das man als eine empirische Prüfung der Raumgrundlage unserer Erfahrung angesehen hat, leistet daher etwas wesentlich anderes als das ursprünglich Beabsichtigte. Es zeigt, wie sich die uns gegebenen räumlichen Wahrnehmungen aufgrund eines bestimmten Raumsystems zur Einheit bringen lasen, welche Gestalt die physikalische Gesetzlichkeit annehmen muß, wenn wir einem bestimmten Raum gegenständliche Geltung zuschreiben. Auf diesem Weg muß es sich ergeben, welche der hypothetisch als Erfahrungsgrundlage verwendeten Geometrien die einfachste Gestaltung der physikalischen Annahmen ermöglicht, welche unter ihnen die einfachste Form darbietet, um unsere Wahrnehmungen zur Einheit zu bringen. Wenn diese Entscheidung, wie es von POINCARÉ ausgeführt ist, zugunsten der euklidischen Geometrie ausfällt, so ist zwar nicht die strenge Notwendigkeit, wohl aber die Zweckmäßigkeit nachgewiesen, sie zur Grundlage unserer Erfahrung zu machen. (12)

Auf Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit führen auch die logischen Momente hin, die man zugunsten der euklidischen Geometrie angeführt hat. Der euklidische Raum besitzt, wie COUTURAT hervorhebt, eine Reihe von Eigentümlichkeiten, die ihm eine besondere rationale Vollkommenheit verleihen. Während er mit anderen homogenen Räumen die Eigenschaft teilt, daß räumliche Figuren unverändert aus ihrer Lage entfernt werden können, daß also die Beschaffenheit jedes Raumgebildes von seiner Lage unabhängig ist, ist er der einzige Raum, in dem ähnliche Figuren möglich sind, in dem somit die Gestalt auch von der Größe unabhängig ist. (13). In der gleichen Richtung liegt es, daß er Gerade besitzt die durch zwei beliebige Punkte eindeutig bestimmt sind, im Gegensatz zu den "Geradesten" sphärischer Räume, die zwei Punkte miteinander gemeinsam haben können, so daß sie erst durch Hinzutritt eines dritten festgelegt sind. Die Beziehung zweier beliebiger Elemente in ihm ist die denkbar einfachste; er gestattet es, nach demselben Beziehungsgesetz in strenger Identität bis ins Unendliche fortzuschreiten. Diese intellektuelle Vollkommenheit, die ihm in sich eigen ist, macht ihn zugleich zur idealen Ordnungsform einer möglichen Erfahrung, zwischen deren Elementen er stets eine eindeutige Beziehung ermöglicht und in der er dabei zufolge der Unabhängigkeit von Gestalt und Größe die höchste Mannigfaltigkeit der Beziehungformen offen läßt (14).

Diese Eigenschaften der euklidischen Raumform machen es zu einem Gebot logischer Zweckmäßigkeit, sie unserer Erfahrung zugrunde zu legen. Dieses Motiv der Zweckmäßigkeit darf freilich nicht dahin verstanden werden, daß es einen strikten Beweis der gegenständlichen Geltung des euklidischen Raums bietet. Es ist nicht die allein mögliche, sondern die günstigste Bedingung räumlicher Erfahrung, die auch unter Zugrundelegung anderer Raumbedingungen möglich bleibt. Wir wären daher berechtigt, ihn durch eine andere Raumform zu ersetzen, wenn die uns empirisch gegebenen Daten sich so einfacher gesetzlich erfassen lassen würden. Es ist nur ein glückliches und nicht deduzierbares Faktum, daß die intellektuell vollkommenste Raumform mit derjenigen identisch ist, unter der sich die uns in der Wahrnehmung gegebenen Rauminhalte am einfachsten zur Einheit bringen lassen, daß rationale und physikalische Zweckmäßigkeit übereinstimmend für den euklidischen Raum sprechen.

Ein Merkmal unseres Raumes jedoch scheint unmittelbar der Erfahrung entlehnt zu werden, die Dreiheit seiner Dimensionen, für die kein rationaler Grund, sondern lediglich die erlebte Beschaffenheit unserer räumlichen Anschauung spricht. Dennoch darf auch hier von einem Ursprung aus der Erfahrung im gewöhnlichen Sinn nicht geredet werden. Wir stellen die Dreidimensionalität unseres Raums nicht durch physikalische Beobachtung fest, an die wir vielmehr in jedem Einzelfall mit der Voraussetzung des dreidimensionalen Raums herantreten. Die Vorstellung des dreidimensionalen Raums wird uns zunächst durch unsere rein subjektiven Wahrnehmungsinhalte gegeben. Wir entnehmen das Merkmal der Dreidimensionalität dem subjektiven Wahrnehmungsraum, den wir als Inhalt unseres Bewußtseins vorfinden. Alle unsere Raumanschauungen weisen dieses Merkmal auf. Wenn wir ein- oder zweidimensionale Raumgebilde, Linien oder Flächen vorstellen, vermögen wir sie uns nur in gedanklicher Abstraktion zu isolieren, anschaulich sind uns nur als Begrenzungen von Körpern vorstellbar. Bei jedem Versuch aber, Raumgestalten von höherer Dimensionenzahl vorzustellen, läßt uns unsere Anschauung im Stich, die hier bei einer unübersteigbaren Grenze ihres Vermögens angelangt. Diese tatsächliche Eigenschaft aller unserer Raumwahrnehmungen übertragen wir nun auf den objektiven Raum, den wir unseren Erfahrungen zugrunde legen. Wir denken diesen als einen Raum, innerhalb dessen wir anzuschauen vermögen, und setzen somit voraus, daß die Dreidimensionalität eine in aller Zukunft konstante und für alle erkennenden Subjekte gültige Eigenschaft des Raums ist (15). Wir bilden den Begriff des objektiven Raums demnach derart, daß die in ihm vorgestellte Welt für uns sinnlich erlebbar ist. Der gedachte Raum unserer Erfahrung muß derart sein, daß wir die anschaulich gegebenen Inhalte unseres Bewußtseins in ihm vorzustellen vermögen. Diese Rücksicht auf die tatsächliche Beschaffenheit unserer Wahrnehmungen ist auch in anderer Beziehung für die Bildung des objektiven Raumbegriffs maßgebend. Da wir eine Gekrümmtheit des Raums anschaulich nicht vorzustellen vermögen, so schließt sie vom Raum, dessen Objekte für uns sinnlich erlebbar sein sollen, jedes Krümmungsmaß aus, das in die Grenzen des psychologisch Wahrnehmbaren fallen müßte. Der Raum muß so gedacht werden, daß unsere psychologisch-wirklichen Raumvorstellungen in ihm Platz finden können. Während indessen die tatsächliche Beschaffenheit unserer räumlichen Wahrnehmungen uns bei der Bildung des objektiven Raumbegriffs nur soweit bindet, daß sie dem möglichen Maß seiner Krümmung eine bestimmte Grenze vorschreibt, werden wir durch die Gesichtspunkte empirischer und rationaler Zweckmäßigkeit zur Annahme der strengen Ebenheit des Raums fortgeführt.

Die gegenständliche Geltung des euklidischen Raumbegriffs, die in aller geschichtlich vorliegenden Wissenschaft vorausgesetzt wird, findet, wie sich jetzt im Zusammenhang übersehen läßt, in einer eigenartigen Durchdringung rationaler und faktischer Momente ihre Begründung. Schon der erste Schritt, der eine objektive Raumform überhaupt als Bedingung möglicher Erfahrung erreicht, ist nur dadurch möglich, daß wir von der erlebten Tatsache einer räumlichen Anordnung sinnlich gegebener koexistierender Eindrücke ausgehen, die ein allgemeingültiges Gesetz der Raumordnung, eine reine Raumform erfordert. Deren Merkmale bestimmen sich wiederum durch die doppelte Erwägung, daß sie einmal die Grundlage einer für uns sinnlich erlebbaren Wirklichkeit sein soll und daß sie uns auf der anderen Seite von dieser Wirklichkeit eine objektive Erkenntnis zu ermöglichen hat. Damit die objektive Einheit unserer Wahrnehmungen eine für uns anschaubare Wirklichkeit ergibt, müssen wir den Raum unserer Erfahrung in Übereinstimmung mit den gegebenen Eigentümlichkeiten unserer räumlichen Wahrnehmung denken. Wir apriorisieren in ihm die gegebenen Bestimmungen unserer räumlichen Wahrnehmungen, in dem wir deren subjektiv vorgefundene Dreidimensionalität und Annäherung an die Ebenheit auf den Raum unserer Erfahrung übertragen. Um diesen aber als Grundlage einer objektiven Erfahrung denken zu können, müssen wir die empirisch vorfindbaren Merkmale unserer Raumanschauungen "idealisieren", genauer gesprochen: ihnen eine logische Bestimmtheit verleihen, die aus den sinnlich gegebenen Daten niemals abgeleitet werden kann. Wir tun dies schon, wenn wir den Raum unserer Erfahrung als homogen denken, wenn wir ihm in allen seinen Teilen ein identisches Krümmungsmaß zuschreiben, das unterhalb wie oberhalb der aller sinnlichen Wahrnehmung gesteckten Grenzen in bedingungsloser Gleichmäßigkeit erhalten bleibt. Wie die Homogenität des Raums nur aus der Forderung logischer Bestimmtheit aller Raumbeziehungen ableitbar ist, so führt die gleiche Forderung weiter zu der Annahme seiner Ebenheit, welche die einfachste und zugleich in unbeschränkter Allgemeinheit fortsetzbare Beziehung immer neuer Rauminhalte ermöglicht. Eine glückliche Beschaffenheit unserer Raumwahrnehmungen fügt es nun so, daß sie sich am leichtesten dieser idealen Raumform einordnen. Die Rücksicht auf die gegebene Eigentümlichkeit unserer räumlichen Anschauungen und die logische Bewertung der verschiedenen Raumformen führen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß wir den Raum EUKLIDs als die Norm unserer Erfahrung anzusehen haben. Seine gegenständliche Geltung ist keine notwendige Voraussetzung möglicher Erfahrung überhaupt; er gilt von unserer Erfahrung, weil in ihm die Idealisierung unserer gegebenen Raumanschauung mit der Idealform eines dreidimensionalen Raums überhaupt zusammenfällt.

Das alles überträgt sich von selbst auf die einfacheren Verhältnisse unseres Zeitbewußtseins. Auch die objektive Ordnung der Aufeinanderfolge erweist sich als eine Bedingung der Erfahrungseinheit, weil wir in unserem individuellen Bewußtsein eine Sukzession gegebener Elemente vorfinden, die nur dann einer objektiven Erkenntnis zugänglich sind, wenn die Form der Sukzession von überindividueller Gültigkeit ist. Gleich dem Raum muß auch die Zeit Einheit, Kontinuität und Unbegrenztheit besitzen. Wir haben diesen im Begriff einer Sukzessionsform enthaltenen Merkmalen nur die "Gradlinigkeit" der Zeitfolge hinzuzufügen, um zu unserer tatsächlichen Zeitform zu gelangen. Unter dieser Gradlinigkeit ist zu verstehen, daß Vergangenheit und Zukunft unvertauschbar sind, daß kein vergangener Zeitabschnitt zugleich der Zukunft angehören kann, was in einer geschlossenen Zeit notwendig der Fall sein müßte. Eine derartige Geschlossenheit der Zeit widerstrebt unserem anschaulichen Zeitbewußtsein, das den Gedanken einer Wiederkehr desselben Zeitpunktes nicht vollziehen kann. Sie steht ebenso aber zu der logischen Funktion der Zeitordnung in Widerspruch, weil nur in einer gradlinigen Zeit das Verhältnis von zwei Zeitpunkten stets ein vollkommen bestimmtes ist, während in einer geschlossenen jeder von ihnen zugleich der frühere und der spätere wäre. Unmittelbarer noch als beim Raum fallen so bei der Zeit ihre anschaulich gegebenen und ihre logisch geforderten Merkmale zusammen.

So wird es zu einer bloß terminologischen Frage, ob man Raum und Zeit mit KANT als Anschauungsformen betrachten oder sie zu den Kategorien zählen will. Soweit die kantische Bezeichnung eine intuitive Notwendigkeit für sie in Anspruch nehmen soll, ist ihre Berechtigung nicht zu halten. KANTs eigener Nachweis für die apriorische Geltung der sinnlichen Einheitsformen hat uns auf den obersten Grundsatz der Erfahrungseinheit, den Grundsatz der Einheit der Apperzeption zurückgeführt, der auch die Kategorien beglaubigt. So nahe sie diesen dadurch gerückt werden, bewahren indessen Raum und Zeit eine Sonderstellung, die der kantischen Bezeichnung ihr gutes Recht beläßt. Sie stehen in einer unmittelbaren Beziehung zur Anschauung, nicht nur weil sie die Erscheinung schon der bloßen Möglichkeit ihrer Anschauung nach bedingen, weil sie unmittelbar mit den Gebilden unserer Anschauung verflochten sind. Sie selbst sind vielmehr nur mit Rücksicht auf die gegebene Beschaffenheit unserer räumlichen und zeitlichen Anschauungen ableitbar. Von der allgemeinsten Forderung einer Raum- und Zeitgesetzlichkeit überhaupt, bis zur Ableitung unserer bestimmten Raum- und Zeitformen mußten wir stets auf diese Rücksicht nehmen. Weil also die wesentlichsten Merkmale unserer Raum- und Zeitvorstellung nur der tatsächlichen Beschaffenheit der uns in der Anschauung gegebenen Erscheinungen wegen in ihren Begriff aufgenommen werden, so läßt sich dieser komplizierte logische Ursprung der Raum- und Zeitgesetzlichkeit durchaus treffend durch ihre kantische Bezeichnung charakterisieren. Kategorialen Charakter verleiht ihr ihr Ursprung aus dem Prinzip der synthetischen Einheit, Anschauungscharakter die logisch nicht deduzierbare Eigentümlichkeit, zu der sich jenes Prinzip in ihr determiniert. Je nach dem Nachdruck, den man auf das eine oder andere dieser Momente legt, wird man Raum und Zeit mit gleichem Recht als Kategorien oder als Anschauungsformen bezeichnen können.

Die enge Beziehung des Raums und der Zeit zum Prinzip der synthetischen Einheit wird auch bei KANT nachdrücklich hervorgehoben. Wenn es in der transzendentalen Ästhetik scheint, als hätte die Raumvorstellung ihren alleinigen Ursprung in unserer sinnlichen Anschauungsweise, so tritt es in der transzendentalen Logik deutlich hervor, daß erst die Verstandesfunktion der Synthesis die Einheit der Raumvorstellung erzeugt. Die beiden Momente, die in unserer Ableitung der Raumgesetzlichkeit hervorgetreten sind, machen sich so auch in der kantischen Darstellung selbst geltend. Die einheitliche Gesetzmäßigkeit, die alles räumliche Vorstellen beherrscht, weist auf den letzten Ursprung aller Gesetzmäßigkeit, das Prinzip der synthetischen Einheit zurück. Die besondere Gestalt dagegen, die diese Gesetzmäßigkeit in unserer Raum- und Zeitanschauung annimmt, bleibt auch jetzt für KANT aus dem logischen Prinzip der synthetischen Einheit unableitbar und fordert deshalb ihre Ableitung aus dem Faktor der reinen Sinnlichkeit, deren Funktionsweise nicht begrifflich deduziert, sondern nur anschaulich erfaßt werden kann. Diese beiden Momente, die im Raumbegriff logisch zu unterscheiden sind, um die Art der Gewißheit unserer Raumerkenntnis zu bezeichnen, werden nun bei KANT als selbständige Faktoren des Bewußtseins gefaßt, die in ihrem Zusammenwirken die Raumanschauung erzeugen. Das Prinzip der synthetischen Einheit ist nicht bloß die logische Voraussetzung der Raumgesetzlichkeit, das logische Grundprinzip, das sich im Raum zu einer besonderen Art der Gesetzmäßigkeit determiniert, sondern die Funktion, welche die Einheit des Raums und der Zeit erzeugt. Raum und Zeit selbst sind nicht sowohl Formen und Gesetze der synthetischen Einheit, die deren allgemeinstes Prinzip zu konkreter Anwendung bringen, als vielmehr Produkte derselben, nicht sowohl Einheitsbedingungen des Bewußtseins als Erzeugnisse der Bewußtseinseinheit, die das Mannigfaltige der Anschauung in ihnen zusammenfaßt. Der Sinnlichkeit gehört nur die apriorische Bestimmtheit alles sinnlichen Mannigfaltigen an, das für unser Bewußtsein erfaßbar ist. Die Zusammenfassung dieses Mannigfaltigen zur Einheit der Raum- und Zeitanschauung indessen gehört, wie alle Zusammenfassung, der Tätigkeit des Verstandes an.
    "Der Raum und die Zeit und alle Teile derselben sind Anschauungen, folglich einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten, folglich nicht bloße Begriffe, durch die dasselbe Bewußtsein als in vielen Vorstellungen, sondern viel Vorstellungen als in einer, und deren Bewußtsein, enthalten, mithin als zusammengesetzt, folglich die Einheit des Bewußtseins als synthetisch aber doch ursprünglich angetroffen wird." (Kr. d. r. V., Seite 662, Anm.)
So verleiht erst die Synthesis des Verstandes dem Raum und der Zeit die Einheit, durch die sie für uns als Vorstellungen vollziehbar werden und die wir aus ihnen nicht fortdenken können, ohne sie als Vorstellungen aufzuheben und allein die Vorstellungsbedingung zurückzubehalten, von der wir nur durch die nachträgliche Zerlegung unserer Raum- und Zeitvorstellung etwas wissen können. Die Einheit der Vorstellung, durch die das der bloßen Form der Sinnlichkeit, der "Form der Anschauung", angehörige Mannigfaltige zur anschaulichen Vorstellung, zur "formalen Anschauung" wird, beruth auf einer "Synthesis, die nicht den Sinnen angehört, durch welche aber alle Begriffe von Raum und Zeit zuerst möglich" und "der Raum oder die Zeit als Anschauungen zuerst gegeben werden." (Kr. d. r. V., Seite 678, Anm.; vgl. auch "Werke", Bd. 1, Seite 508).

Diese und die ihnen verwandten Ausführungen KANTs dulden die ihnen mehrfach gegebene Deutung nicht, die in ihnen eine Aufhebung des Unterschieds der reinen Anschauung und der Verstandesfunktion der Synthesis erblickt. Sie gehen keineswegs, wie diese Deutung es will, dahin, daß Raum und Zeit zu den Gesetzen des synthetischen Denkens gehören oder aus ihnen ableitbar sind. Der Unterschied von Sinnlichkeit und Denken wird in ihnen durchaus festgehalten, und die eigentümlichen Verhältnisse des Neben- und Nacheinander bleiben hier, was sie in der transzendentalen Ästhetik waren, die begrifflich nicht ableitbaren Formen, in denen unsere Anschauung die ihr gegebenen Inhalte ordnet. Der Anteil, den KANT der Synthesis des Verstandes an Raum und Zeit zuschreibt, beschränkt sich darauf, daß sie die durch unsere Sinnlichkeit gegebene Möglichkeit der Verbindung zur Wirklichkeit bringt, daß sie das den Gesetzen unseres sinnlichen Vorstellens gemäß bestimmte Mannigfaltige zur Einheit zusammenfaßt.

Das so gedachte Zusammenwirken der synthetischen Funktion des Verstandes mit den sinnlichen Formen unseres Anschauens läßt kaum ein anderes Verständnis zu, als daß auf solche Weise die Anschauung des Raumes und der Zeit in unserem Bewußtsein psychologisch erzeugt wird. Die sinnliche Grundlage unserer Raum- und Zeitvorstellung stellt sich bei dieser Auffassung als eine Anlage unseres Bewußtseins dar, durch die allen ihm angehörigen Erscheinungen gewisse Bestimmtheiten ihrer Auffassung auferlegt werden. Erst das Eingreifen der Synthesis aber vermag diese Anlage des Bewußtseins zur Entfaltung zu bringen und die durch sie gegebene Möglichkeit der Verbindung zu realisieren indem sie gemäß den Bedingungen unserer Sinnlichkeit die Einheit der räumlichen und zeitlichen Anschauungen erzeugt. Die nähere Ausführung dieses Gedankens enthält die subjektive Deduktion der Kategorien, die in den Akten der Apprehension, der Reproduktion und Rekognition die einzelnen Bedingungen auszeichnet, auf denen die einheitliche Auffassung eines sinnlichen Mannigfaltigen beruth. Vom gleichen Prozeß redet auch die zweite Bearbeitung der Deduktion, die so oft auf die sukzessive Zusammenfassung des Mannigfaltigen durch die Einheitsfunktion des Bewußtseins hinweist.

Es ist leicht einzusehen, daß auf diese Weise vielleicht die Bildung der Raum- und Zeitanschauung im Einzelsubjekt psychologisch erklärt werden kann, daß aber die objektive Einheit des Raumes und der Zeit bei dieser Erklärung schon vorausgesetzt ist. Um durch die Tätigkeit des Zusammensetzens die Anschauung des Raumes und der Zeit erzeugen zu können, müssen wir bereits über eine ursprüngliche Raum- und Zeiteinheit verfügen, in der sich diese Zusammensetzung vollzieht. Die an und für sich bestimmungslose Tätigkeit des Zusammensetzens fordert, um eine ins Unbegrenzte fortsetzbare identische Ordnung zu ergeben, ein Ordnungsgesetz, das in strenger Identität jeden Schritt des Verfahrens leitet und einer unbegrenzten Anwendung fähig ist. Das allgemeine Gesetz der synthetischen Einheit aber reicht nicht aus, um das Verfahren, nach dem die Elemente der zu verbindenden Mannigfaltigkeit geordnet werden sollen, zu bestimmen. Denn es läßt die Eigenart der zu erzeugenden Ordnung völlig unbestimmt. Dann aber kann diese nur durch die Bestimmtheit der zu verbindenden Elemente selbst vorgeschrieben werden, in denen die Möglichkeit einer bestimmten Ordnung bereits vorgezeichnet ist, die durch das Verfahren der Synthesis nur verwirklicht wird. Diese Vorstellung, die der Auffassung KANTs einigermaßen nahe kommen dürfte, verlegt die zu erzeugende Ordnung indessen bereits in die zu verbindenden Elemente hinein. Wenn diese nur in bestimmter Weise verbindbar sind, so ist in ihnen das Gesetz ihrer Verbindung schon mitgedacht und die Abschwächung dieses in ihnen enthaltenen Gesetzes zu einer bloßen Verbindungsmöglichkeit kann daran nichts ändern, daß dem Verfahren der Synthesis das Gesetz der räumlichen und zeitlichen Ordnung und damit die Einheit des Raumes und der Zeit schon zugrunde liegt. Die Leistung der Synthesis besteht bei dieser Auffassung allein darin, daß in dem sinnlich gegebenen Mannigfaltigen, oder genauer in der es erzeugenden Funktion unseres Anschauens, enthaltene Gesetz der Verbindung psychologisch zu aktualisieren, aus der Anlage des sinnlichen Anschauuens die anschauliche Vorstellung selbst zu gestalten. Für den Raum als Bedingung der gegenständlichen Erkenntnis ist dieser Prozeß ohne jede Bedeutung. Er ist mit der so erzeugten Raumanschauung nicht identisch, sondern ist das Gesetz der Verbindung, das den Elementen jeder unserem Bewußtsein gegebenen sinnlichen Mannigfaltigkeit ihre Ordnung vorzeichnet und das hier in der psychologischen Verhüllung einer Bewußtseinsanlage schon vorausgesetzt wird.

So erweist es sich als undurchführbar, den Raum als Ergebnis der Synthesis aufzufassen. Er ist, statt ihr Ergebnis zu sein, das Gesetz unserer Bewußtseinssynthesis, das Einheitsgesetz, das den Zusammenhang aller Objekte unserer Anschauung begründet. Das allgemeine Prinzip der synthetischen Einheit ist seine letzte logische Grundlage, ohne daß darum von einem Verfahren der Synthesis geredet werden könnte, in dem sich die Erzeugung des Raumes vollzieht. Der logische und der sinnliche Faktor unserer Raumanschauung treten nicht als selbständige Bewußtseinsfaktoren auseinander; nur in der Abstraktion läßt sich das logische Grundgesetz, dessen Besonderung der Raum ist, von der durch die Eigenart unserer sinnlichen Anschauung geforderten Gestalt unterscheiden, die es im Raum annimmt.

Ebenso wie KANT den Raum selbst in die unsere Sinnlichkeit angehörige Form der Anschauung und das Verstandesgesetz der Synthesis auflösen will, setzt er auch im Verfahren der geometrischen Konstruktion ein Zusammenwirken dieser beiden Faktoren voraus. Er führt den Akt der Konstruktion, der die Einheit einer bestimmten Raumgestalt erzeugt, auf die Synthesis des Verstandes zurück, der die einzelnen räumlichen Elemente unter einen bestimmten Gesichtspunkt zusammenfaßt. Diesen Gedanken, der die zweite Bearbeitung der Deduktion der Kategorien überall durchzieht, führen die Prolegomena am Beispiel des Kreises eingehend durch. Alle von dieser geometrischen Figur geltenden Gesetze haben ihren Grund in der
    "Bedingung, die der Verstand der Konstruktion dieser Figur zugrunde legt, nämlich der Gleichheit der Halbmesser."
Der Raum ist nur das allgemeine Schema, innerhalb dessen sich die Erzeugung der besonderen Raumgestalt vollzieht. Damit aus diesem für sich bestimmungslosen Substrat unserer räumlichen Anschauungen die individuelle Bestimmtheit einer räumlichen Figur hervorgeht, müssen die räumlichen Elemente unter einen bestimmten Gesichtspunkt vereinigt werden, der nur dem Verstand entstammen kann. So ist
    "das, was den Raum zur Zirkelgestalt, der Figur des Kegels und der Kugel bestimmt, der Verstand, sofern er den Grund der Einheit der Konstruktion derselben enthält." (Prolegomena § 38)
Hier bleibt indessen die Frage zurück, woher der Verstand die seiner Konstruktion zugrunde gelegte Bedingung entnimmt, und sie läßt nur die eine Antwort zu, daß er sie den allgemeinen Gesetzen des Raums entlehnt. Im kantischen Beispiel beruth die Möglichkeit der Konstruktion des Kreises auf den axiomatischen Voraussetzungen, die den Begriff der Ebene bestimmen. In ihnen ist es begründet, daß jeder Punkt der Ebene eine Kreismittelpunkt ist, da alle von ihm ausgehenden Geraden Punkte besitzen, deren Abstand von ihm einer beliebig gewählten Länge gleich ist und die in ihrer Gesamtheit den zu erzeugenden Kreis ergeben. Die Konstruktion des Kreises ist erst dadurch gerechtfertigt, daß ihre Möglichkeit aus den allgemeinen Gesetzen der Ebene abgeleitet wird. Dann aber ist, wie COUTURAT einleuchtend hervorhebt, die zu erzeugende Figur ideell bereits vorhanden. Der Akt der Konstruktion ist seinem logischen Sinn nach nur die Ableitung des Einzelgebildes aus den allgemeinen Bedingungen des Raums. Dieser ist nicht das unbestimmte Schema, als das er nur deshalb erscheint, weil er eine schlechthin unübersehbare Mannigfaltigkeit von Einzelgebilden in sich befaßt, die aus seinen allgemeinen Relationsgesetzen mit Notwendigkeit hervorgehen. Die Ableitung dieser Einzelgebilde aus den den Raum definierenden Gesetzen, auf die sich die logische Bedeutung der Konstruktion reduziert, erfordert keine selbständige synthetische Verstandesfunktion, sondern nur den formalen Verstandesgebrauch, der die in der Raumform enthaltene synthetische Gesetzmäßigkeit in ihre Konsequenzen entwickelt.

Die wichtigste Anwendung, die KANT vom Gedanken einer Einheit des Raums und der Zeit erzeugenden Verstandessynthese macht, ist in den mathematischen Grundsätzen der Erfahrung enthalten. In diesen wird indessen nicht die Einheit des Raums und der Zeit selbst, sondern die der ihnen angehörigen empirischen Erscheinungen auf eine kategoriale Synthesis zurückgeführt. Aus ihr wird die Geltung des Größenbegriffs in extensiver und intensiver Bedeutung von den Objekten unserer Erfahrung abgeleitet. Auch hier erhebt sich indessen die Frage, ob nicht das, was KANT als Ergebnis einer kategorialen Synthesis ansieht, schon in der räumlichen und zeitlichen Grundlage unserer Erfahrung enthalten ist.

Der erste dieser Grundsätze, den KANT als Prinzip der Axiome der Anschauung bezeichnet, lehrt, daß alle Erscheinungen ihrer Anschauung nach oder, nach der Formulierung der zweiten Auflage, alle Anschauungen extensive Größen sind. Sein Beweis geht davon aus, daß allen Erscheinungen die Anschauung des Raums und der Zeit zugrunde liegt und daß deshalb ihre Aufnahme in das Bewußtsein die Erzeugung der "Vorstellungen eines bestimmten Raums oder der Zeit" erfordert. Sie müssen "als Anschauungen im Raum oder der Zeit durch dieselbe Synthesis vorgestellt werden", durch die "Raum und Zeit überhaupt bestimmt werden."

Schon an dieser Stelle des Beweisgangs ist es deutlich, daß er seinem Grundgedanken nach nichts anderes besagt, als daß die Eigenschaften des Raums und der Zeit auch von den ihnen angehörigen Objekten gelten. Weil jeder Teil des Raums, so klein er auch sein mag, wiederum eine Mehrheit von Teilen in sich enthält, gilt das Gleiche von allen räumlichen Erscheinungen. Nur weil KANT die Einheit des Raumes selbst aus einer dem Verstand angehörigen Synthesis seiner Elemente hervorgehen läßt, führt er auch die Einheit der Erscheinung als Anschauung auf die gleiche Synthesis zurück. Demnach aber gilt auch hier dasselbe, was sich für die Erzeugung der Raumeinheit aus einer solchen Synthesis ergeben hat. Auch wenn man die räumliche oder zeitliche Einheit der Erscheinung durch eine solche Synthesis erzeugt denkt, ist dieser ihr Gesetz durch die Gesetzmäßigkeit des Raums und der Zeit vorgezeichnet. Sowie es auf dieser beruth, daß jede räumliche oder zeitliche Anschauung eine Mehrheit von Teilen in sich enthält, ist es auch in ihr begründet, daß die Elemente jeder räumlichen oder zeitlichen Mannigfaltigkeit zur Einheit verbindbar sind, und ist durch sie das Gesetz vorgezeichnet, nach dem diese Verbindung erfolgt.

Um zu dem Ergebnis zu gelangen, daß alle räumlichen und zeitlichen Erscheinungen extensive Größen sind, braucht KANT nur noch den Begriff der Größe klarzulegen.
    "Nun ist das Bewußtsein des Mannigfaltigen Gleichartigen in der Anschauung überhaupt, sofern dadurch die Vorstellung eines Objekts zuerst möglich wird, der Begriff einer Größe." (Kr. d. r. V. Seite 159)
Ein solches Bewußtsein der Einheit eines gleichartigen Mannigfaltigen ist in jeder räumlichen oder zeitlichen Anschauung enthalten, die sich so als Größe erweist. Daß alle räumlichen und zeitlichen Anschauungen dem Größenbegriff genügen, folgt demnach unmittelbar aus der Tatsache, daß jedes räumliche Gebilde eine Mannigfaltigkeit räumlicher, also gleichartiger Elemente in sich vereint. Die Synthesis eines räumlichen Mannigfaltigen führt nur darum zur Erzeugung einer Raumgröße, weil der Raum, dem jedes solche Mannigfaltige angehört, seinem Begriff nach dazu nötigt, jede ihm angehörige Anschauung als Größe zu denken.

Das Ergebnis bestätigt sich noch deutlicher, wenn wir die kantische Vorstellung vom kategorischen Ursprung des Größenbegriffs näher ins Auge fassen. Um den Verstandesursprung der Synthese, welche die extensive Größe erzeugt, klarzustellen, bezeichnet KANT die Kategorie der Quantität im logischen Sinn als den logischen Ursprung des mathematischen Größenbegriffs. Die Kategorien der Einheit, Vielheit und Allheit aber, welche die logische Quantität vertreten, sind numerischer Art (16) und erstrecken sich gleichmäßig auf alle zählbaren Objekte. Sie ergeben in ihrer Anwendung auf die Elemente irgendeiner Mannigfaltigkeit eine Anzahlsbestimmung, eine numerisch bestimmte Summe dieser Elemente. So gewiß aber der Begriff der Zahl dem des Raums und der Zeit wie dem der räumlichen und zeitlichen Größe zugrunde liegt, so ist er gerade nach der Auffassung KANTs außerstande, den Begriff der extensiven Größe aus sich zu erzeugen. Daß jede, auch die kleinste, Raumgröße aus Teilen besteht, die wiederum Raumgrößen sind, daß räumliche Gebilde, wie Strecken, Winkel und Figuren sich nicht nur zusammenzählen, sondern zusammensetzen lassen, daß sie also diejenigen Eigenschaften besitzen, die sie zu extensiven Größen machen, läßt sich nicht aus den Gesetzen der bloß numerischen Synthesis ableiten. KANT zumindest macht nirgends den Versuch, diese Eigenschaften der Größe aus dem kategorialen Verfahren der numerischen Synthesis abzuleiten, und kann ihn nicht machen, ohne seinen Grundbegriff der reinen Anschauung aufzugeben. Selbst wenn man aber, über ihn hinausgehend, eine derartige Ableitung unternimmt, so wird durch sie für den Raumbegriff selbst die Gesetzmäßigkeit der Größe logisch deduziert. Die räumlichen Erscheinungen verdanken ihren Charakter als extensive Größen auch bei dieser Auffassung der eigenen Gesetzmäßigkeit des Raumes, nicht aber einer am Raum ausgeübten die Einheit seiner Elemente erzeugenden Synthesis.

Während somit auch innerhalb der kantischen Beweisführung der Grundsatz der extensiven Größe im letzten Grund doch aus den Gesetzen unserer räumlichen Anschauung angeleitet wird, wird der der intensiven Größe unabhängig von ihnen abgeleitet; denn er betrifft die empirischen Erscheinungen nicht in ihrer Eigenschaft als räumliche (oder zeitliche) Anschauungen, sondern gerade in ihrer Inhaltlichkeit, die aus ihrer Zugehörigkeit an Raum und Zeit nicht ableitbar ist. Die Beweisführung für diesen Grundsatz geht eben davon aus, daß jede empirische Erscheinung als Gegenstand der Wahrnehmung einen Inhalt fordert, der in Raum und Zeit hineinversetzt wird. Diese sind bloße Stellenordnungen, die ihre Anwendung nur finden können, sofern ein bestimmter Inhalt seine Stelle in ihnen erhält. Der so in ihrer Notwendigkeit einzusehenden Forderung nach einem räumlichen und zeitlichen Inhalt entspricht die Empfindung, die den Gegenstand unserer Wahrnehmung bezeichnet. Damit ist indessen nichts weiter ausgesprochen, als daß ein durch die Empfindung bezeichneter Inhalt in die Erkenntnis eines jeden Objekts eingehen muß, ohne daß die Größenbestimmtheit des so geforderten Erfahrungsinhalts aus diesen Erwägungen folgt.

Die graduelle Bestimmtheit des Realen, das in Raum und Zeit existiert, wird damit begründet, daß vom empirischen zum reinen Bewußtsein eine stufenweise Veränderung möglich ist,
    "da das Reale desselben ganz verschwindet und ein bloß formales Bewußtsein (a priori) des Mannigfaltigen in Raum und Zeit übrig bleibt; also auch eine Synthesis der Größenerzeugung einer Empfindung, von ihrem Anfang, der reinen Anschauung = 0, an, bis zu einer beliebigen Größe derselben." (Kr. d. r. V., Seite 163)
Statt daß hier die graduelle Bestimmtheit des Realen begründet wird, wird sie als eine Eigenschaft der Empfindung bereits vorausgesetzt. Der Begriff des inhaltlich bestimmten Realen schließt in sich den Gegensatz der inhaltslos gedachten Anschauung zur inhaltlich bestimmten Erscheinung. Dieser Gegensatz ist jedoch keiner graduellen Abstufung fähig; der Inhalt kann nur sein oder fehlen. Um die Möglichkeit einer stufenweisen Erzeugung des Realen behaupten zu können, muß ich bereits wissen, daß dieses seiner Beschaffenheit nach gradueller Unterschiede fähig ist. Daß dies der Fall ist, wird in der Tat lediglich empirisch als Eigenschaft der Empfindung behauptet, statt a priori deduziert zu werden (17). Selbst als empirisches Faktum aber ist damit die graduelle Bestimmtheit nur für die Empfindung festgestellt. Der Grundsatz der Antizipationen behauptet jedoch nicht für den subjektiven Zustand der Empfindung, sondern für das dieser am Objekt entsprechende Reale die graduelle Bestimmtheit, ohne daß die Berechtigung einer solchen Übertragung der Eigenschaften der Empfindung auf ihr objektives Korrelat nachgewiesen würde.

So suchen wir vergebens in der Beweisführung KANTs nach einer apriorischen Begründung dafür, daß die Objekte der Natur auch ihrer empirischen Beschaffenheit nach als Größen gedacht werden müssen, und auch die von COHEN nachgewiesene Beziehung des Begriffs der intensiven Größe zu dem des Unendlichkleinen kann diese Lücke nicht völlig schließen, denn sie kann ihre Fruchtbarkeit erst entfalten, wenn es feststeht, daß die Objekte unserer Erfahrung ihrem Inhalt nach als Größen zu denken sind. Daß dies aber der Fall ist, kann aus dieser Vertiefung des Begriffs der intensiven Größe nicht erschlossen werden. Auch die Berufung auf die durch die quantitative Naturerkenntnis ermöglichte Exaktheit des naturwissenschaftlichen Verfahrens zeigt nur die methodologische Bedeutung, nicht aber die erkenntnistheoretische Notwendigkeit des Grundsatzes der intensiven Größe. So gewiß es ist, daß erst die mathematische Erkenntnis der Naturobjekte und Naturprozesse die Subjektivität überwindet, die aller bloß qualitativen Bestimmung anhaftet, ist es doch nur eine methodologische Forderung, keine erkenntnistheoretische Notwendigkeit, daß diese Überwindung möglich ist. Erkenntnistheoretisch notwendig sind nur die Voraussetzungen, die den Begriff eines allgemeingültig bestimmten Objekts ermöglichen. Der Grundsatz der intensiven Größe aber begründet nicht sowohl die Möglichkeit des Naturobjekts selbst als die des empirischen Verfahrens, das zu seiner Bestimmung führt. Seine Aufhebung würde nicht den Begriff einer objektiven Wirklichkeit in Frage stellen, sondern nur die Erkenntnis dieser Wirklichkeit auf die unvollkommenen Mittel einschränken, auf die etwa die psychologische und historische Forschung angewiesen sind.

Nur insofern kann die quantitative Bestimmtheit des Realen, das den Gegenstand der Erfahrung konstituiert, mit apriorischer Notwendigkeit eingesehen werden, als sie sich durch seine Beziehung zu den extensiven Größen in Raum und Zeit ergibt. Die extensive Größe aller Naturerscheinungen, sowie die räumliche und zeitliche Bestimmtheit aller Naturprozesse überträgt auch auf diese die quantitative Bestimmtheit aller räumlichen und zeitlichen Größen. Das tritt mit unmittelbarer Deutlichkeit bei allen Bewegungsvorgängen hervor, die als das Durchmessen eines bestimmten Raumes in bestimmter Zeit notwendig quantitativ bestimmt sind, und so auch für ihre Ursache die gleiche quantitative Bestimmtheit fordern. Wenn es gelingt, alle Vorgänge der Natur auf Bewegungsvorgänge zurückzuführen, ist damit die Größenbestimmtheit allen Naturgeschehens von selbst gegeben. Aber auch ohne daß dieses Ideal der mechanischen Naturerkenntnis verwirklicht ist, zeigt sich auf den verschiedensten Gebieten des Naturgeschehens, wie die intensive Größe der Naturerscheinungen aus ihrem Zusammenhang mit den extensiven Größen des Raums und der Zeit hervorgeht. Wenn die Wärme mit Hilfe ihrer ausdehnenden Wirkung, die Stärke einer Lichtquelle durch die Enfernung, in der sie eine bestimmte Helligkeit erzeugt, gemessen wird, so weist dieses technische Verfahren der Messung auf den logischen Zusammenhang hin, der zwischen der extensiven Quantität der empirischen Erscheinungen und ihrer intensiven Größe besteht. Wie dieser Zusammenhang im Einzelnen herzustellen ist, und ob durch ihn der Grundsatz der intensiven Größe in seiner vollen Allgemeinheit begründbar ist, mag dahingestellt bleiben. Nur so weit jedenfalls diese Begründung gelingt, verwandelt sich der Grundsatz der intensiven Größe aus einem methodologischen Prinzipi der Naturwissenschaft in eine konstitutive Bedingung des Naturobjekts. Die Selbständigkeit der intensiven gegenüber der extensiven Größe ist damit in keiner Weise angetastet. Nur die Legitimation des Grundsatzes der intensiven Größe kann allein von der quantitativen Bestimmtheit aller Anschauungen in Raum und Zeit ausgehen, deren Gesetzlichkeit sich damit als die erschöpfende Grundlage der mathematischen Grundsätze der Erfahrung erweist.

LITERATUR - Julius Guttmann, Kants Begriff der objektiven Erkenntnis, Breslau 1911
    Anmerkungen
    1) Nur um dieser anschaulichen Gewißheit willen, von der unsere Aussagen über den Raum getragen sind, bezeichnet Kant ihn als reine Anschauung. Diese Bezeichnung darf nicht zu der Meinung verleiten, Kant lasse neben unserer empirischen Raumvorstellung noch eine andere sinnlich erlebbare Vorstellung des Raumes in unserem Bewußtsein einhergehen. Psychologisch sind uns nur empirisch bestimmte Raumanschauungen gegeben. Die apriorische Vorstellung des Raumes ist nur in wissenschaftlicher Abstraktion, durch eine isolierende Betrachtung der formalen Elemente und Voraussetzungen unserer empirischen Raumanschauungen selbständig erkennbar. Wir besitzen von ihr nur ein begriffliches Wissen. Wenn Kant sie gleichwohl als reine Anschauung charakterisiert, so trifft diese Bezeichnung nur die unmittelbare, also anschauliche Gewißheit, mit der wir die apriorischen Gesetze des Raums erfassen. (siehe Cohen, "Kants Theorie der Erfahrung", Seite 212f, 217f, sowie Riehl, "Der philosophische Kritizismus I", Seite 457f.
    2) Fraglich kann es nur erscheinen, welcher Art die Geltung unserer Raumerkenntnis ist, die schon als Ergebnis der metaphysischen Raumerörterung anzunehmen ist, um den Schluß zu rechtfertigen, der den Raum zur Form unserer Anschauung macht. In der Feststellung seiner Apriorität braucht seine gegenständliche Geltung, seine Gültigkeit für die Gegenstände unserer Erfahrung nicht unmittelbar enthalten zu sein, sie schließt dann nur eine rein ideale Geltung, die Allgemeinheit und Notwendigkeit unserer Raumerkenntnis in sich, während deren Anwendbarkeit auf empirische Objekte erst in der transzendentalen Erörterung nachgewiesen wird. Der Begriff einer solchen idealen Geltung ist Kant nicht fremd, wie sich gerade an seiner Stellung zur Geometrie zeigt, die ihm auch unabhängig von ihrer Beziehung zur Erfahrung als eine synthetische und dabei apriorische Wissenschaft gilt.k Der Gedankengang der metaphysischen Erörterung, in deren Mittelpunkt gerade die Abhängigkeit unserer Erfahrung von der reinen Raumanschauung steht, legt jedoch die Auffassung näher, daß die Apriorität des Raums hier seine gegenständliche Gültigkeit in sich schließt, sodaß die transzendentale Erörterung zur Tatsache seiner Geltung nur deren Grund hinzufügt, indem sie ihn zur Form unserer Anschauung macht. Sofern übrigens diese Begründung der objektiven Geltung unseres Raums wirklich über die Feststellung ihres tatsächlichen Vorhandenseins hinausführt, werden wir in ihr die Wendung zu einer transzendental-psychologischen Auffassung nicht verkennen dürfen. Denn sie erklärt die gegenständliche Geltung des Raums daraus, daß er das Formgesetz unseres Anschauens ist, das allen Gegenständen unserer Anschauung ihr Verhalten vorschreibt. Er wird damit zum Gesetz unserer Anschauungstätigkeit, demgemäß wir bei der Bildung aller unserer Anschauungen verfahren müssen. Es gilt deshalb von allen Gegenständen unserer Erfahrung, weil "die Rezeptivität des Subjekts, von Gegenständen affiziert zu werden, notwendigerweise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht" (Kr. d. r. V. Seite 54). Weil der Raum die gemeinsame Auffassungsform aller menschlichen Subjektivität ist, darum müssen alle für unser Bewußtsein vorstellbaren Anschauungsinhalte ihm entsprechen.
    3) Siehe hierzu Jonas Cohn, "Voraussetzungen und Ziele des Erkennens", Seite 234f, mit dessen Ausführungen sich auch das Folgende mehrfach berührt.
    4) Eine eingehende Entwicklung dieser Auffassung gibt Couturat "Les Principes des Mathématiques", besonders Seite 204f.
    5) Für Kant, der in der Geometrie auch unabhängig von ihrer Beziehung zur Erfahrung eine synthetische Wissenschaft erblickt, gilt sie als ein solches trotz ihres synthetischen Charakters, wenn ihr die Geltung für unsere Erfahrung versagt bleibt. Das kann als Willkür erscheinen, wenn man daran festhält, daß auch die reine Geometrie für sich allein als synthetische Wissenschaft bestehen bleibt, selbst ohne für unsere Erfahrung Geltung zu besitzen. Einer reinen Geometrie gegenüber, die auf jene synthetische Geltung verzichtet, ist dagegen die kantische Bezeichnung schwer anfechtbar.
    6) Durch diese Feststellung maßt sich die Erkenntnistheorie keineswegs das Recht an, in den inneren Betrieb der mathematischen Forschung einzugreifen, wie dies gegenüber den Anfängen der meta-geometrischen Forschung mehrfach geschah, indem man ihren Ausbau aus erkenntnistheoretischen Gründen für unzulässig erklärte. Das Gebiet der Forschung hat sich die mathemtische Wissenschaft selbst zu bestimmen, während die Erkenntnistheorie nur deren logische Bedeutung aufzuklären hat. Die der meta-geometrischen Forschung tritt unmittelbar darin zutage, daß sie den Zusammenhang der euklidischen Axiome und die Bedeutung, die jedes unter ihnen für das euklidische System hat, erkennbar macht, indem sie zeigt, welche Konsequenzen deren Variation nach sich zieht.
    7) Übrigens ist auch die Notwendigkeit der verschiedenen Relationsformen, die im logischen Relationskalkül entwickelt werden, nicht eigentlich streng aufgewiesen. Sie treten uns dort als verschiedene Möglichkeiten entgegen, die durch den Begriff der Relation dargeboten werden, ohne daß irgendeine von ihnen als logisch notwendig deduziert wird. Notwendigkeit besitzen sie nur insofern, als sich vom Relationsbegriff her zeigen läßt, daß sie nach verschiedenen Richtungen hin eine erschöpfende Disjunktion [Unterscheidung - wp] aller Relationsmöglichkeiten enthalten, so daß jede mögliche Relation unter irgendeine dieser Formen fallen muß.
    8) a. a. O., Seite 214f.
    9) vgl. Cohen, "Kants Theorie der Erfahrung", Seite 213f.
    10) Diese Frage darf nicht mit der metaphysischen Frage verwechselt werden, woher es kommt, daß wir gerade unter den Bedingungen des euklidischen Raums erkennen. So gestellt, ist die Frage ebenso unbeantwortbar wie die andere, warum gerade diese und keine anderen logischen Gesetze gültig sind (vgl. Kr. d. r. V. Seite 668). Logisch notwendig dagegen ist die Frage, die sich nicht auf das "Warum", sondern auf das "Daß" der Geltung der euklidischen Geometrie richtet, die Frage nach dem Kriterium für deren Objektivität. Ein Beweis für diese ist nicht etwa, wie Bauch ("Erfahrung und Geometrie in ihrem erkenntnistheoretischen Verhältnis", Kant- Studien, Bd. XII, Seite 228f) mit Recht hervorhebt, durch die gleiche logische Möglichkeit verschiedener Geometrien gefordert. Mit dieser ist es sehr wohl verträglich, daß nur eine unter ihnen eine erfahrungsstiftende Funktion hat. Aber gerade, weil jede unter ihnen die Grundlage einer möglichen Erfahrung, nach seinem treffenden Ausdruck, ist, bedarf es des Beweises, mit welchem Recht wir eine bestimmte unter ihnen zur Grundlage unserer wirklichen Erfahrung machen.
    11) Henri Poincaré, "Wissenschaft und Hypothese" (deutsche Ausgabe) Seite 50f und 73f.
    12) Daß ausschließlich die euklidische Geometrie als Grundlage unserer Erfahrung verwendbar ist, läßt sich, wie noch hinzugefügt werden mag, schon darum nicht empirisch entscheiden, weil es unter den nicht euklidischen Räumen eine Reihe gibt, die von einem euklidischen empirisch nicht unterscheidbar sind. Ob wir den Raum unserer Erfahrung als eben oder als unendlich wenig gekrümmt denken, macht für alle Beobachtungen an endlichen Objekten keinen Unterschied. Die Empirie könnte daher stets nur ein bestimmtes Krümmungsmaß des Raumes ausschließen, ohne je zur Feststellung seiner strengen Ebenheit zu gelangen (vgl. Medicus, "Kants transzendentale Ästhetik und die nichteuklidische Geometrie", Kant-Studien, Bd. III, Seite 287f).
    13) Couturat, a. a. O., Seite 229f.
    14) siehe Jonas Cohn, a. a. O., Seite 242f und besonders 247f.
    15) Es tritt hier deutlich hervor, daß von einer intuitiven Erkenntnis der Dreidimensionalitätk des Raums nicht die Rede ist. Wir besitzen keine intuitive Gewißheit, daß der Raum stets dreidimensional bleiben muß, sondern setzen voraus, daß diese unserer subjektiven Raumanschauung anhaftende Eigenschaft den Wert einer objektiven Erkenntnistatsache hat.
    16) Die Gleichsetzung der logischen Quantität mit der Gesetzmäßigkeit der Zahl stimmt allerdings mit dem Wortlaut der kantischen Lehre nicht genau überein, der vielmehr den Begriff der Zeit als logische Voraussetzung des Zahlbegriffs ansetzt. Dadurch aber ist nur umsomehr die Möglichkeit verschlossen, von den Kategorien der Quantität aus zu einem mathematischen Größenbegriff zu gelangen. - In der Beweisführung für den Grundsatz der extensiven Größe gibt Kant einige prinzipiell wichtige Hinweise auf das Verfahren der Arithmetik, die für das Verständnis seiner Auffassung dieser Wissenschaft von grundlegender Bedeutung sind. Er leugnet die Existenz arithmetischer Axiome und erkennt nur einzelne Zahlformeln, wie 7 + 5 = 12 als arithmetische Sätze an. Auf diese bezieht sich sein Urteil, daß alle Sätze der Arithmetik synthetische Urteile sind. Als ein solches gilt ihm z. B. die oben angeführte Gleichung, weil in der Vorstellung der beiden zusammenzusetzenden Zahlen das Resultat nicht analytisch enthalten, sondern erst durch den Vollzug der Addition zu gewinnen ist. Dagegen ist häufig eingewendet worden, daß sich in Wirklichkeit jeder derartige Satz aufgrund der allgemeinen Definition des Additionsverfahrens analytisch ergibt. Definiere ich etwa die Operation x + (a + 1) durch die Gleichung x + (a + 1) = (x + a) + 1, so ergibt sich der Satz 7 + 5 = 12 rein analytisch wenn ich Schritt für Schritt dieser Definition gemäß die Additionen 7 + 1 = 8 (Definition der Zahl 8) 7 + 2 = (7 + 1) + 1 = + 1 = 9 (Definition der Zahl 9) usf. vollziehe. Eine solche Definition der Addition muß aber vorausgesetzt werden, um der Aufgabe, die Addition 7 + 5 zu vollziehen, einen festen Sinn zu verleihen. Daß aus solchen Definitionen der arithmetischen Grundoperationen die Einzelergebnisse der Arithmetik mit analytischer Notwendigkeit folgen, ist unbestreitbar. Damit ist jedoch das Urteil über den logischen Charakter der Arithmetik keineswegs entschieden. Dieser hängt vielmehr vom Charakter jener Grunddefinitionen selbst ab. Werden diese als rein willkürliche Nominaldefinitionen verstanden, so bleibt freilich der analytische Charakter der arithmetischen Sätze gewahrt, jedoch um den Preis, daß das Recht, die definierten Operationen auf irgendwelche Denkinhalte anzuwenden, die logische Notwendigkeit des ganzen Verfahrens in Frage gestellt wird, ja daß die durch das Pluszeichen bezeichnete Operation, die in allen das Additionsverfahren bestimmenden Definitionen als selbst undefinierbare Voraussetzung enthalten ist, der Möglichkeit des Begreifens entzogen wird. Das Verfahren der Arithmetik ist nur dann ein notwendiges, wenn die arithmetischen Grundoperationen selbst als notwendig eingesehen werden könenn, wenn es, mit anderen Worten, statt auf Definitionen, auf objektiven Prinzipien beruth. Diese können nun selbstverständlich nicht wieder als analytische Urteile in einem gewöhnlichen Sinn angesehen werden, daß sie nur die Bedeutung gegebener Begriffe explizieren [verdeutlichen - wp], so wenig wie dies für die Gesetze der formalen Logik selbst möglich ist. Wohl aber bedarf es der Untersuchung, ob sie mit diesen, den Grundprinzipien des Denkens überhaupt, identisch sind oder ob sie in diesen fremdes Moment enthalten. Im ersteren Fall ist die Arithmetik nur eine Entfaltung der letzten logischen Grundgesetzlichkeit, während ihr im andern Fall diese höchste logische Notwendigkeit versagt bleibt und sie sich mit einer Evidenz geringeren Grades begnügen muß. So ist die von Kant aufgeworfene Frage nach dem logischen Charakter der Arithmetik davon abhängig, in welchem Verhältnis die Gesetze der arithmetischen Synthesis zu denen einer logischen Einheit überhaupt stehen.
    17) vgl. August Stadler, "Die Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie", Seite 145.