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Über die Beziehungen zwischen Kategorien und Urteilsformen [ 1 / 2 ]
Daß eine derartige Vernachlässigung durch die Bedeutung der Deduktion im System der kantischen Metaphysik keineswegs gerechtfertigt ist, geht einmal daraus hervor, daß das Problem der Kategorien den ganzen Umfang seiner erkenntnistheoretischen Bedeutung an keiner Stelle in ähnlicher Klarheit und Bestimmtheit aufweist, wie hier. Der Begriff der Kategorie muß da am schärfsten präzisiert werden, wo es darauf ankommt, aus dem Chaos der Vorstellungen die vollständige Anzahl seiner Repräsentanten herauszuziehen; daß zum andern aber, wie oben erwähnt, nirgends die Methode der Kritik der reinen Vernunft gleich unverhüllt zutage liegt. Dieses letztere Moment ist sehr zu Ungunsten der wissenschaftlichen Präzision von all denen außer Augen gelassen, die in einem lebhaften, bis in die jüngste Zeit fortgesetzten Streit über die Methode der kantischen theoretischen Philosophie in dem einen oder anderen Sinn Partei ergriffen haben. In der ganzen hierauf bezüglichen, äußerst reichhaltigen Literatur von FRIES und HERBARTs ersten Angriffen bis auf die Forschungen der Jetztzeit fehlt das, worauf es wesentlich, ja allein ankommt, die einfache, sachliche Darlegung des Gedankengangs in irgendeinem bestimmten Fall der Auffindung einer apriorischen Vorstellung: der Streit verliert sich immer ins Allgemeine, er paradiert in vagen, mit ebenso viel Recht zu behauptenden, als zu bestreitenden Thesen, und es ist nicht zu verwundern, daß er hierbei einem definitiven Abschluß nicht hat entgegen geführt werden können. Gewiß ist es die dissolute [zügellose - wp] und ganz aussichtslose Art der Polemik, was COHEN diesen Streit als "unerquicklich" bezeichnen ließ, denn seinem innersten Wesen nach ist er nicht nur für die Auffassung der gesamten kantischen Philosophie, sondern zugleich für die Frage nach der Methode aller Philosophie überhaupt von prinzipieller Bedeutung und damit von jenem Interesse, das die Prinzipienfrage der Philosophie durch alle Kämpfe der Jahrhunderte begleitet hat. Dieser doppelte Gesichtspunkt läßt eine eingehendere Bearbeitung der metaphysischen Deduktion der Kategorien für geboten erscheinen; zugleich erweist er sich für die systematische Anordnung der Untersuchung von wesentlichem Nutzen. Indem er zwei verschiedene Momente aufzeigt, in denen der Schwerpunkt dieses Abschnitts der kantischen Erkenntnistheorie ruht, zwei gesonderte Probleme kennen lehrt, die hier vereinigt erscheinen, trennt er das Prinzip der Deduktion von der Durchführung dieses Prinzips, d. h. ihrer Methode. Unter allen Umständen ist es zweckmäßig, diese Trennung in der Untersuchung selbst festzuhalten. Die Unabhängigkeit des Prinzips von seiner Ausführung ist in diesem besonderen Fall ebenso zweifellos als in dem ganzen kritischen System. Sowenig durch die Annahme des "kopernikanischen", "anthropozentrischen" Grundprinzips der Kritik die speziellen Ausführungen der transzendentalen Ästhetik und Logik mit Notwendigkeit gegeben, ebensowenig weist das Prinzip der metaphysischen Deduktion mit Bestimmtheit auf eine einzige Art der Durchführung hin: ob die Methode der Deduktion psychologisch oder metaphysisch sein muß, darüber läßt sich aufgrund des Prinzips derselben gar nicht entscheiden. Deshalb ist eine scharfe Trennung zwischen Prinzip und Methode der Deduktion so wenig gekünstelt, daß sie vielmehr durch die Natur der Sache wie durch die Rücksicht auf die Klarheit des Gedankens gleichmäßig geboten erscheint. Das Prinzip der Deduktion ist von KANT in diesem Satz gegeben worden:
Die Methode der Deduktion ist uns nicht in so einfachen Worten von KANT selbst gezeichnet worden, wir wissen nur, daß sie metaphysisch, d. h. a priori und zwar rein aus Begriffen sein muß: nicht nur an dieser Stelle, sondern in der ganzen Kritik fehlt, abgesehen von der immer wiederkehrenden Versicherung der absoluten Sicherheit und in Sonderheit der apodiktischen [sicheren - wp] Gewißheit, jede ausführliche Auslassung über den Charakter der Methode, ja es fehlt bis auf die Deduktion der Kategorien jede kontrollierbare Ausführung derselben. Daher ist der Gang dieses zweiten Teils unserer Untersuchung uns von KANT selbst nicht vorgeschrieben, wie der des ersten: wir müssen, um uns nicht in Abstrusitäten zu verlieren, die einzelnen Schritte der metaphysischen Deduktion sorgfältig auseinanderlegen und versuchen, den methodischen Gang selbst daraus abzuleiten. Vielleicht ist kein Problem der kantischen Philosophie der Tummelplatz so widersprechender Ansichten, vor allem so verkehrter Auffassungen KANTs geworden, als das Grundproblem der Methode; um so notwendiger ist hier der Versuch, einen ebenen, ruhigen Weg durch das Getümmel des Widerstreits und der Mißverständnisse zu bahnen. ![]()
2. Die Untersuchungen Riemanns, welche die allgemeinen Bedingungen aufstellen, unter denen ein analytischer Ausdruck einer geometrischen Deutung fähig ist, bringen keine Erweiterung des Systems der euklidischen Axiome, sondern haben dieses selbst zu ihrer Voraussetzung. Deshalb sind die von Helmholtz u. a. daraus auf die Entstehung der Raumvorstellung und das Wesen der Geometrie abgeleiteten Schlüsse unbegründet. 3. Die Mechanik ist keine beschreibende Wissenschaft. ![]() I. Das Prinzip der Deduktion Die Kategorie hat im System der kantischen Erkenntnistheorie außer der verbindenden Funktion im Urteil noch eine elementare, aber darum nicht weniger wichtige Funktion: es ist die der Bildung der Einzelvorstellung. Vielleicht eben deshalb, weil diese als präpatorische [unbewußte - wp] überall vorausgesetzt wird, weil sie die Vorbedingung für jede höhere Anwendung der Verstandestätigkeit ist, wird sie seltener und niemals mit derjenigen Ausführlichkeit erwähnt, mit der uns KANT die eminente Bedeutung des reinen Verstandesbegriffs für die Urteilsbildung wieder und wieder vor Augen führt. Es läßt sich auf der einen Seite zweifellos erweisen, daß KANT den Übergang von der rein subjektiven Empfindung zur Vorstellung des einzelnen sinnlichen Gegenstandes als durch den reinen Verstandesbegriff gewirkt ansieht, und es läßt sich, wie ich glaube, auf der anderen Seite mit derselben Evidenz zeigen, daß er bei der Idee seiner metaphysischen Deduktion diese primäre Funktion der Kategorie zugunsten der höheren, ersterwähnten in einem Grad außer Acht gelassen hat, daß das ganze Prinzip einseitig und damit fehlerhaft werden mußte. Die Schwierigkeit jeder Definition der Empfindung, die wesentlich darin liegt, daß nur eine feste metaphysische Anschauung über das Verhältnis zwischen Subjekt und demjenigen, was nicht Subjekt, Objekt, absolut, Ding-ansich ist, dazu befähigt, läßt es wünschenswert erscheinen, den Begriff der Empfindung rein empirisch seinem Umfang nach festzustellen. Denn während man mit Ausnahme einiger streng orthodox auf ein bestimmtes System hin geschulter Köpfe kaum einem Widerspruch entgegen zu sehen braucht, wenn man sagt: Empfindungen sind diejenigen physischen Akte, die den spezifischen Qualitätskreisen der fünf Sinne entsprechen, - und daß diese physiologische, selbst auf Empfindungen ruhende Umschreibung keine Definition, nur eine empirische Grenzbestimmung ist, ist wohl ohne Weiteres offenbar - so läßt sich andererseits keine wahrhafte Definition geben, bei der man hoffen dürfte, auch nur mit einem Philosophen lebender und toter Zeiten in Übereinstimmung zu sein. Wenn es irgendein Problem der Philosophie gibt, auf dem die babylonische Begriffsverwirrung ihre trostlosen Folgen für die Fähigkeit gegenseitiger Verständigung gezeigt hat, so ist es dasjenige des Zusammenhangs des subjektiven mit einem absoluten Sein: hier ist der eigentliche Sitz der Privatsysteme, und doch ist hier zugleich der einzige Punkt, von dem aus die Empfindung als Manifestation eines anders gearteten Seins durch das subjektive begrifflich gesetzt werden könnte. Die Ausbeute, welche die Erfahrung über das Wesen der Empfindung liefern kann, tritt uns in zwei großen Kapiteln zweier rein empirischer Wissenschaften entgegen: in der Empfindungslehre der Physiologie und derjenigen der Psychologie. So verschiedenartig die Richtung ist und sein muß, in der dasselbe Thema in beiden Gebieten gefaßt und bearbeitet wird, so vereinigen sich Physiologe und Psychologe in der Anerkennung dreier jedenfalls in der Erfahrung aufweisbarer, nach der Anschauung der Meisten durch Erfahrung gewonnener fundamentaler Grundsätze, deren die Forschung beider Wissenschaften für die Bestimmung des Gegenstandes ihrer Untersuchungen wie für die Durchführung derselben gleichmäßig benötigt ist. Daß die Empfindung subjektiv ist, d. h. abhängig von der Natur der empfangenden Sinnlichkeit, ist der erste; der zweite, daß sie einen Grad, eine Intensität hat; der dritte, daß es verschiedene Qualitäten der Empfindung gibt, denen nur das spezifische, nicht anders als in der Empfindung selbst demonstrierbare Wesen der Empfindung gemeinsam ist. Diese drei Sätze sind, wenn sie auch meist koordiniert erscheinen, nicht von gleichem erkenntnistheoretischen Wert; doch übergehe ich hier die Frage, wieviel davon als durch Erfahrung erworben, wieviel als nur in der Erfahrung erkannt und erkennbar angesehen werden muß, wie sich insbesondere das Verhältnis des zweiten Satzes zur Antizipation [Vorwegnahme - wp] der Wahrnehmung als einem apriorischen Grundsatz stellt. Der erste und dritte Grundsatz zusammen geben die oben angeführte, namentlich in physiologischen Werken oft wiederkehrende empirische Bestimmung des Umfangs des Begriffs Empfindung. Die Diskussion dieser Grundsätze, von deren Fruchtbarkeit die Sinnesphysiologie ausgezeichnete Beispiele bringt, liegt außerhalb des Bereichs des gestellten Themas; doch sind sie Ursache eines Mißverständnisses geworden, das für die gesamte Erkenntnistheorie in hohem Maße verhängnisvoll zu werden droht und deshalb einer Erwähnung und Aufklärung bedarf. Der Erklärung (1): "Die Empfindung ist ansich nichts als ein Zustand unseres Befindens, eine Art, wie uns zumute ist", wird man seine Zustimmung insofern nicht versagen können, als dieselbe den rein subjektiven Charakter der Empfindung, ihre Freiheit von jeder Beziehung auf ein objektiv Seiendes - wenn sie auch als durch ein solches gewirkt angesehen wird - in großer Bestimmtheit zum Ausdruck bringt. Die Sinnesphysiologie selbst steht mit dieser Anschauung in vollkommenster Übereinstimmung, sofern sie von der Empfindung, die nur Qualität und Intensität hat, die Wahrnehmung abtrennt und den Unterschied der Letzteren von der Ersteren in das Hinzutreten all der Momente legt, welche den einzelnen Gegenstand als solchen bezeichnen. Es ist sehr unzweckmäßig, wenn jüngere Philosophen und Naturforscher sich dieser schon von KANT in großer Präzision gemachten Unterscheidung nicht anschließen und die Bezeichnungen "Empfindung" und "Wahrnehmung" promiskue [wechselweise - wp] durch und für einander gebrauchen: abgesehen von der Schwierigkeit, sich durch ein solches Gedränge verschiedener Bedeutungen desselben Wortes hindurchzuwinden, ist dem Problem selbst beständig Schaden daraus erwachsen, denn mit der Identifizierung der Namen ist die der Sachen nicht selten Hand in Hand gegangen, wovon CLASSENs räumlich ausgedehnte Gesichtsempfindungen ein deutliches Beispiel bringen (CLASSEN, Gesamte Abhandlungen über physiologische Optik und VIRCHOWs "Archiv Bd. 38, Heft 1 und 4) Andererseits entsteht aber durch eben diese in neuester Zeit häufig in mannigfacher Form wiederkehrende Charakteristik der Empfindung als eines Zustands unseres Befindens der Anschein, als ob die Beziehung auf ein Subjekt in ihr als wesentlicher, integrierender Faktor enthalten ist, und diese Anschauung ist nicht weniger irrig als diejenige, welche in jeder Empfindung schon die Beziehung auf ein verursachendes Objekt als ihrer Natur eigentümlich sucht. Die Empfindung als Modifikation eines subjektiven Zustandes zu erklären, ist wohl statthaft; dagegen ist es falsch zu behaupten, daß die Empfindung sich dem Subjekt als eine Modifikation seiner selbst darstellt, daß man in der Empfindung sein eigenes Subjekt alteriert [in veränderter Form - wp] empfindet. Der Sensualismus pflegt von dieser auf keine Weise zu rechtfertigenden Anschauung aus die Versuche anzustellen, die elementaren Vorstellungen als aus Empfindungen entstehend, als aus ihnen durch Konstruktion ableitbar zu erweisen, und ihm sofern das Recht dieser ersten scheinbar unverfänglichen und mit modernen naturwissenschaftlichen Anschauungen zusammenstimmenden Annahme zugestanden wird, gibt man sich ihm in großer Ausdehnung gefangen. Der Unterschied der Empfindungen, z. B. der Beleuchtungsstärken oder der Innervationsgefühle ist es, was hier zugrunde gelegt wird; das muß nach dem Katechismus eines Sensualisten ohne weiteres zugegeben werden, daß ich zwei Empfindungen als verschieden der Qualität oder der Intensität nach empfinden kann, und sofern diese "Empfindung des Unterschiedes" einerseits als die Quelle aller abgeleiteten Erkenntnisse, andererseits als ein rein sinnliches, nur durch die Empfindung gegebenes Phänomen hingestellt wird, läßt sich mit einigem Schein von logischer Konsequenz die sinnliche Abkunft aller Erkenntnis demonstrieren. Namentlich in England hat dieses Dogma einer ganz unentwickelten Erkenntnistheorie zahlreiche Anhänger; in Deutschland erscheint es in einer anderen, weniger präzisen Gestalt. Hier ist nicht die Empfindung die ursprüngliche Quelle aller Erkenntnis, sondern die Erfahrung: alle die Vorstellungen, welche zur Konstituierung der Erfahrung als unserer höchst entwickelten Erkenntnis notwendig sind, sollen selbst ihren Ursprung in der Erfahrung haben. In dieser Fassung des Prinzips des Sensualismus, der wir namentlich in Kreisen philosophierender Naturforscher häufig begegnen, ist dasselbe in sich widersinnig und bedarf keiner Widerlegung; nur sofern wir von der falschen Ausdrucksweise abstrahieren, tritt es in die Reihe wissenschaftlich diskutierbarer Fragen. Vom Einfluß, den der Sensualismus, vielleicht ohne recht zum philosophischen Bewußtsein zu kommen, auch in Deutschland ausübt, legt ein in psychophysischen Untersuchungen neuester Zeit häufig wiederkehrender Ausdruck Zeugnis ab. Die "Unterschiedsempfindlichkeit" der modernen Psychophysik ist die Wort gewordene Grundanschauung des Sensualismus. Man bezeichnet damit die Fähigkeit, zwei Empfindungen desselben Qualitätenkreises als quantitativ, d. h. der Intensität nach verschieden zu erkennen. Daß diese Fähigkeit sehr mit Unrecht als Empfindlichkeit bezeichnet wird, während sie eine Wahrnehmungsfähigkeit des Unterschiedes von Empfindungen ist, ist vielleicht allein daraus ersichtlich, daß es keines neuen sinnlichen Eindrucks bedarf, um mir den Unterschied der Empfindungen gegenständlich vorzuführen, was doch dann der Fall sein müßte, wenn er in Wahrheit empfunden würde. Trotzdem lesen wir wieder und wieder von der größeren oder geringeren, wachsenden oder abnehmenden Fähigkeit, zwei Eindrücke als verschieden zu empfinden, und ich habe keine Bedenken zu glauben, daß im Allgemeinen die Nachlässigkeit des Ausdrucks Ursache der Nachlässigkeit des Gedankens geworden ist, welche die so mangelhafte erkenntnistheoretische Basis des modernen Sensualismus verschuldet hat. Es ist wahrhaft erstaunlich, daß diese Spekulationen eines metaphysischen Dogmatismus, die an Abenteuerlichkeit und Unkontrollierbarkeit selbst in den ärgsten Systemen deutscher Metaphysik kaum ihres Gleichen finden, sich in naturforschenden Kreisen den Ruhm einer philosophischen "Erfahrungswissenschaft" haben erwerben können, nur weil sie in einem Flitterkram halbverstandener Schlagwörter der modernen Naturwissenschaft einhergehen: von ernsthaften Gelehrten konnte diese "Erfahrungsphilosophie" als *Philosophie der Zukunft, als ein Hinausgehen über KANT gezeichnet werden, und man übersah dabei, daß man mit der denkenden Empfindung, mit der Vermischung der beiden Grundelemente der menschlichen Erkenntniskraft, der Sinnlichkeit und des Verstandes, sich den Zeiten einer intellektuellen Anschauung mit ihrem ganzen monströsen Gefolge nähert. Die Eigenschaften der Empfindung, welche man durch Reflexion über Erfahrungen als ihr eigentümlich erkannt hatte, d. h. ihre Subjektivität einerseits, ihre "Ausdehnung nach zwei Dimensionen", Qualität und Intensität, andererseits selbst zu empfindbaren zu machen, ist durchaus unberechtigt und straft sich im ganzen System einer darauf gegründeten Erkenntnistheorie durch Unklarheit und Widersprüche. Es ist ein anderes behaupten, daß Qualität und Intensität einer bestimmten Farbe nur durch die Empfindung erkannt werden können, ein anderes, die Vorstellungen der Qualität und Intensität zu Inhalten der Empfindung zu machen. Wie wesentlich es für die prinzipielle Stelllung allen Fragen der Erkenntnistheorie gegenüber ist, sich den Inhalt dessen klar vor Augen zu führen, was die Empfindung allein als solche zum Bau der Erkenntnis liefert, mag noch durch ein Beispiel erhärtet werden. Der Versuch, die Vorstellung des Ich aus den Empfindungen, namentlich aus der gleichzeitigen Existenz von Empfindungen verschiedener Qualität abzuleiten, ist nicht neu und kehrt immer von Zeit zu Zeit wieder. Und doch ruht das ganze Unternehmen auf einem Gedanken, dessen Fehlerhaftigkeit in dem Augenblick klar ist, in dem zugestanden wird, daß zwischen dem bloßen Akt des Empfindens und der Vorstellung einer Empfindung als zum Ich gehörigen eine Kluft liegt, die nicht in der Empfindung selbst überbrückt werden kann. Nur wer schon in jeder einzelnen Empfindung das Ich annimmt, kann es unternehmen, aus der Summe derselben die Totalvorstellung entstehen zu lassen, denn wie aus einer Anzahl homogener Elemente ein Heterogenes entstehen sollte, das in keinem der einzelnen Elemente offen oder versteckt enthalten war, bleibt unerklärt; und wem wiederum in jedem Akt der Empfindung sein Ich als Empfindungsinhalt mitgegeben wurde, der konnte sich die Arbeit sparen, aus Empfindungsreihen das mühsam herzuleiten, was er so wunderbar einfach erhalten hatte. Jede Empfindung existiert an und für sich vor dem Hinzutreten einer spontanen Tätigkeit des Subjekts nur als ein psychisches Faktum spezifischer Art, in dem als solchem für das empfindende Subjekt - nicht für die objektive Reflexion - weder eine Beziehung auf ein Subjekt oder Objekt, noch eine Verschiedenheit der Qualität, noch der Intensität gegeben sind. In dem Chaos bloßer Empfindungen, daß wir ebenso wenig erfahren können, als das der reinen d. h. schlechthin apriorischen Vorstellungen, gibt es für das empfindende Subjekt kein "stärker" oder "schwächer", keine Zahl, keinen Unterschied der Qualitäten, ja es gibt, sofern wir von allen psychischen Tätigkeiten außer der des Empfindens abstrahieren, keine Beziehung der einzelnen Empfindung auf ein empfindendes Subjekt, es gibt folglich keine Verknüpfung aufeinander folgender Empfindungen an demselben, keine Objektivierung der Empfindung zur Eigenschaft des Gegenstandes. Ob ein solches Chaos im ersten Stadium der Kindheit, ob es in niedrigen Tierklassen existiert, ist und bleibt zweifelhaft; es muß von allen denjenigen angenommen werden, die den Besitz der Kategorien auf den Menschen einschränken und die erste Verwertung dieses Besitzes nicht unmittelbar mit dem Erwachen der Empfindungen eintreten lassen. Auch ist die Entscheidung dieser rein psychologischen Frage für die theoretische Untersuchung irrelevant: es genügt, festzustellen, daß in der Empfindung als einem Akt des psychischen Geschehens dem Subjekt die Eigenschaften der Qualität und Intensität nicht gegeben sind, welche doch die charakteristischen Merkmale der durch Abstraktion gewonnenen begrifflichen Vorstellung der Empfindung sind. Damit ist zugleich ausgesprochen, daß der Streit des subjektiven und objektiven Seins in der Empfindung selbst niemals zum Austrag kommen kann, denn nur da, wo Grade, wo Unterschiede existieren, können Gegenstände als verschieden, können Eigenschaften zu Gegenständen gesetzt werden. Daraus folgt, daß aus der Empfindung allein niemals Erkenntnis, niemals Erfahrung entstehen kann, daß alle Versuche, aus einer sogenannten "Theorie der Empfindung" die Vorstellungen abzuleiten, welche mit Empfindungen zusammen Erkenntnis geben können, auf einer falschen Bestimmung der Empfindung beruhen, und zwar in der Art, daß die abzuleitenden und durch die englischen Theorien scheinbar abgeleiteten Vorstellungen in Wahrheit schon als ihr vollkommen heterogene Elemente in die Empfindung hineingesteckt wurden, wodurch dann das ganze Unternehmen illusorisch, ein philosophisches Gaukelspiel wird. Zugleich mit der Einsicht in die Unzulänglichkeit der Empfindung zur Konstituierung einer Erkenntnis tritt das Problem der Kategorien in seiner ganzen Bedeutung auf. Da wo neben dem Empfinden das Denken als integrierender Bestandteil der Erkenntnis angenommen wurde, wo die Unmöglichkeit einer Zurückführung des letzteren auf das erstere eingesehen, wo damit die Trennung zweier ursprünglicher Erkenntniskräfte vollzogen ist, da erhebt sich die Frage nach den Formen des Denkens, nach der Anzahl und Art der elementaren Denkmomente, durch deren Zusammenwirken mit Empfindungen der Bau der Erkenntnis ersteht. Der Theorie der Erkenntnis ist damit ihr Weg vorgezeichnet: sie hat die geringstemögliche Anzahl einfachster Erkenntniselemente aufzusuchen und zu erklären, wie aus dem Ineinandergreifen derselben eine Erfahrung werden kann, sie hat analytisch das Gefüge der Erfahrung auseinanderzunehmen bis auf die einfachen, nicht weiter teilbaren Bestandstücke, sie hat durch eine Synthesis derselben das Prinzip ihrer Zusammensetzung zu zeigen und damit zugleich die Vollständigkeit ihres analytischen Verfahrens zu erweisen, sie hat, um einen hier oft gebrauchten Vergleich zu wiederholen, auf dem Gebiet der Erkenntnis die Aufgabe des analytischen wie des synthetischen Chemikers zu vollziehen, sie steht ihrem Problem gegenüber ganz so wie die Theorie der physischen Kräfte: die "notwendige und hinreichende" Anzahl elementarer Bedingungen und die Gesetze ihrer vereinigten Wirkung zu finden, ist hier wir dort das Losungswort. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie, ihre Bedeutung un damit insbesondere die Bedeutung des Kategorienproblems dem modernen philosophischen Bewußtsein vorstellig gemacht zu haben, ist das ausschließliche Verdienst KANTs, und die nachkantische, von der heutigen in philosophischer Hinsicht denkwürdig unproduktiven Zeit mit Unrecht geschmähte Philosophie hat sich trotz aller Verirrungen in der Lösung desselben die elementare Bedeutung des Problems der Kategorien in der Reihe der philosophischen Probleme überhaupt stets gegenwärtig gehalten. Noch am Ende der vierziger Jahre dieses Jahrhunderts konnte im Hinblick auf TRENDELENBURGs, WEISSEs und seine eigenen Arbeiten ULRICI (2) den Ernst und Eifer, mit dem man sich der Bearbeitung des Kategorienproblems hingab, mit Recht als ein erfreuliches Zeichen des tiefen philosophischen Zeitgeistes begrüßen. Fast alle nachkantischen Systeme setzen hier mit ihrer ganzen spekulativen Kraft ein: die reine Denkbewegung HEGELs, FICHTEs Unterschiedssetzung zwischen Ich und Nicht-Ich, SCHOPENHAUERs Kausalität, TRENDELENBURGs Bewegung, ULRICIs unterscheidende Denktätigkeit sind vereinzelte Beispiele von Lösungsversuchen des Kategorienproblems aus jener Zeit. Heutzutage sind die Stimmen verstummt, die früher in so großer Anzahl und in so stürmischer Weise zur Diskussion des Problems riefen, es ist in höchstem Grad "unzeitgemäß" geworden, und außer in den Werken über KANTs Philosophie erhält man kaum noch von diesem Problem Kunde, das durch mehr als ein halbes Jahrhundert die philosophischen Geister in seinem Dienst unterjocht hielt. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe dieser Erscheinung aufzusuchen, noch weniger die Schlüsse zu ziehen, welche sich aus derselben auf den philosophischen Gehalt des Zeitgeistes ableiten lassen (3) Nur mußte die Tatsache denjenigen gegenüber erwähnt werden, welche nach der "Überwindung Kants durch die moderne Naturwissenschaft" geneigt sind, das rein "scholastische" Problem für erledigt zu erklären. Im Verlauf der Untersuchung bietet sich bald Gelegenheit, die Argumentationen dieser Gegner der Kategorienlehre an einem Beispiel zu erörtern. Bei KANT liegt nun die erste Leistung der Kategorie in der Erhebung der Empfindung zur Anschauung, d. h. in der Verbindung des Empfindungsinhaltes mit der Vorstellung des Gegenstandes. Den Kennern der Kritik der reinen Vernunft wird diese Auffassung aus unzähligen Stellen seines Werkes geläufig sein. Ich setze hier nur einige derselben als Belege her:
II, 126: "Realität ist im reinen Verstandesbegriff das, was einer Empfindung überhaupt korrespondiert; dasjenige also, dessen Begriff ein Sein an sich selbst anzeigt." II, 101. "Da nun diese Einheit als a priori notwendig angesehen werden muß (weil die Erkenntnis sonst ohne Gegenstand sein würde), so wird die Beziehung auf einen transzendentalen Gegenstand, d. h. die objektive Realität unserer empirischen Erkenntnis auf dem transzendentalen Gesetz beruhen, daß alle Erscheinungen, sofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit derselben stehen müssen, nach welchen ihr Verhältnis in der empirischen Anschauung allein möglich ist ... etc." II, 714: ". . . Durch die Empfindungen der Farben, Töne und Wärme, die aber, weil sie bloß Empfindungen und nicht Anschauungen sind, ansich kein Objekt erkennen lassen." Wenn auch alle Erkenntnis und alles erkennende Denken in Urteilen fortschreitet, so bedarf es doch, ehe Vorstellungen überhaupt für Urteile verwendbar werden, einer präparatorischen Fassung derselben, die man als "Objektivierung" der Empfindung nicht unpassend bezeichnet hat. LOTZE bedient sich, um die Notwendigkeit einer solchen gedanklichen Vorbereitung anschaulich zu machen, eines treffenden Vergleichs:
Da also, wo zum ersten Mal in das Bewußtsein eines empfindenden Subjekts die Vorstellung irgendeiner Art des Seins, sei es als Modifikation im Zustand des Subjekts, eingetreten ist, da hat die Berührung der Empfindung mit der Kategorie stattgefunden. Ich betone schon hier, daß es vollkommen gleichgültig ist, ob die Existenz der Empfindung subjektiv oder objektiv gedacht, ob sie an das perzipierende Subjekt oder an den vom Subjekt als von ihm verschieden gesetzten Gegenstand gehängt wird: in beiden Fällen ist die Kategorie im gleichen Maße, wenn auch in verschiedener Weise wirksam. LOTZE macht darauf aufmerksam, daß auf der ersten Stufe der Objektivierung der sinnliche Eindruck noch nicht mit dem Anspruch auf eine reale, metaphysische, vom Subjekt abtrennbare Existenz hingestellt wird. "Logik", Seite 16:
Der Widerspruch, dem diese Anschauung entgegen sieht, ist erklärlich aus der doppelten Bedeutung des Wortes "Subjekt" in der theoretischen Philosophie, läßt sich wohl aber in einer festen Erörterung dieses Begriffs beseitigen. In der Welt des empirischen Seins, in der Welt, in der ich atme, lebe, einen Namen führe, in die ich durch Geburt eingetreten bin und aus der der Tod hinausführt, in dieser Welt entscheidet sich mein Subjekt von der unendlichen Fülle der Objekte durch eine Reihe empirischer Vorstellungen, durch räumlich und zeitlich geordnete Empfindungen. Dasselbe, was das einzelne empirische Objekt von jedem anderen trennt, der Unterschied der empirischen Merkmale, scheidet auch das empirische Subjekt von der Menge dessen, was sonst als empirisch real die Welt des sinnlich Vorstellbaren ausfüllt. Gewiß ist es ein Problem von unabsehbarer Tiefe und Schwierigkeit, auf welche Art und nach welchen Gesetzen die Trennung der Einzelobjekte erfolgt, wie es kommt, daß nicht jede Empfindung ihr gesondertes Objekt erhält, daß bestimmte Empfindungsgruppen einem gemeinsamen Gegenstand als Eigenschaften angehängt werden, welche Art der Verknüpfung zwischen Empfindungen in ihrer Entstehung oder in ihrem Wesen gedacht werden muß, um diese scheinbar unerklärliche Willkürlichkeit durch Gesetze begreiflich zu machen. Aber dieses Problem wird weder vertieft noch erschwert durch die Bemerkung, daß sich von der Menge der gesonderten empirischen Objekte das empirische Subjekt in einem gewissen Gegensatz abhebt. Dieser Gegensatz ist nicht größer als der zwischen irgendwelchen Existenzen, die nie ineinander übergeführt werden können, also als der Gegensatz aller Einzelwesen; zugleich existiert er aber nur innerhalb der Welt empirischer Objekte, in der das empirische Subjekt eine koordinierte Stelle neben den einzelnen Gliedern hat, aus denen sie sich zusammensetzt. - Dagegen hebt sich die Welt der empirischen Objekte in ihrer Totalität, zu der mein empirisches Subjekt als Teil gehört, in einem schreienden Kontrast ab gegen den Begriff des seienden Subjekts, zu dem alle objektivierten Empfindungen, alle einzelnen empirischen Objekte nur als Prädikate gehören, demgegenüber aber auch mein ganzes empirisches Subjekt, all das, was gemeinhin mein "Ich" heißt und als diesem "Ich" spezifisch eigentümlich angesehen wird, nur Objekt ist. Hier ist der physische Gesichtspunkt der Trennung von Objekt und Subjekt durch den metaphysischen überwunden, anstelle des empirischen Subjekts ist das transzendentale getreten. Man mag sich mit dieser kantischen Terminologie einverstanden erklären oder nicht, immerhin wird zugestanden werden müssen, daß die Erkenntnistheorie, welche alle sinnlichen Vorstellungen äußerer Objekte auflöst in Empfindungen und Elemente einer Verstandestätigkeit, diesen selben Zersetzungsprozeß durchzuführen hat an demjenigen Komplex von Vorstellungen, der in seiner Zusammengehörigkeit die physische und psychische Seite meiner empirischen Existenz ausmacht; und wenn mit dem ganzen Reichtum äußerer Objekte sich auch dasjenige in einer Reihe von Vorgestelltem auflöst, was von einem naiven Bewußtsein als unveräußerlich verbunden mit dem vorstellenden Subjekt gedacht wird, dann erhebt sich die Vorstellung des Subjekts in jener geläuterten Gestalt, in der sie die Grundlage aller Erkenntnistheorie wie aller Erkenntnis ist, als Vereinigung einer empfangenden und einer gestaltenden, einer empfindenden und denkenden Kraft, einer Rezeptivivät und einer Spontaneität. Und wenn dieses Subjekt gedacht wird als das letzte Prinzip aller Vorstellungen, als dasjenige, zu dem als Vorstellendem alle Vorstellungen als seine Produkte gehören, so ist alles dasjenige, was aus einer Äußerung der beiden an einer "gemeinsamen Wurzel" hängenden Grundkräfte entsteht, Objekt der Vorstellung. Dieses transzendentale Subjekt ist schlechterdings eines und in allen Vorstellungen dasselbe; da also, wo eine Empfindung hingestellt wird als Modifikation eines subjektiven Zustandes, da ist man schon über das transzendentale zum empirischen Subjekt hinausgegangen, da ist das letztere als erstes Glied in einer neuen Welt der Objekte aufgetreten. ![]()
1) LOTZE, Logik, Seite 15. Diese Erklärung ist fast gleichlautend mit der als Definition ganz ungenügenden KANTs: "Eine Perzeption, die sich lediglich auf das Subjekt als die Modifikation seines Zustandes bezieht, ist Empfindung." (II, 258). Die Definitionen der Empfindung in der Kr. d. r. V. sind ausnahmslos von geringem Wert für die Erkenntnistheore, namentlich diese: "Empfindung ist die Materie der Erscheinung." Bei Weitem die Beste ist die, welche in der Kr. d. r. V. als erste gegeben wird: "Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungstätigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung"; nur muß hier "Gegenstand" in einem richtigen Sinn verstanden werden. Das Wort "Gegenstand" hat in der Kr. d. r. V. eine dreifache (nicht wie HÖLDER, Darstellung der kantischen Erkenntnistheorie, meint, eine doppelte Bedeutung: es steht erstens für Ding-ansich, ferner für die einzelne sinnliche Anschauung, drittens für dasjenige in der Letzteren, was die Kategorie darin setzt, d. h. dasjenige, was übrig bleibt, wenn der Anteil der Empfindung und der reinen Anschauung aus der Einzelvorstellung fortgelassen wird. Sofern in der obigen Erklärung der Empfindung der Gegenstand in der letzten Bedeutung gefaßt wird, haben wir darin einen vortrefflichen präzisen Ausdruck für das Verhältnis, in dem Empfindung, Substanz und Kausalität in der Anschauung vereinigt erscheinen, damit ist die Stelle aber mehr zu einer Definition der Anschauung als der Empfindung geworden. 2) FICHTE und ULRICI, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. XIX, Seite 91. 3) Die grundlegende Bedeutung des Problems und seine Unumgänglichkeit in jeder Theorie der Erkenntnis hat diese Zeit seiner Vernachlässigung recht schlagend vor Augen gestellt, denn, abgesehen von den Forschungen der Kantianer, wie in erster Linie LOTZEs, ferner RIEHLs, COHENs, hat die deutsche Erkenntnistheorie jüngster Zeit nur Produkte trostlosester Art und außer einigen auf einem Mißverständnis ruhenden Imitationen englischer Versuche auch nichts Neues gebracht. Umso dringender ist ein erneutes Studium des Problems in Deutschland notwendig, und die in Aussicht stehenden Werke von LOTZE und RIEHL lassen hoffen, daß hier dem nur zu lange vernachlässigten Problem Gerechtigkeit widerfahren wird. 4) LOTZE, Logik, Seite 14 5) HELMHOLTZ, Populäre Vorträge, Heft III, Seite 27 und 28. |