ra-2ra-1ra-1SchleiermacherB. CroceTrendelenburgK. Popper     
 
EDUARD von HARTMANN
Über die dialektische Methode
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1. Es wird eine Voraussetzung gemacht, Aufgabe oder Anforderung gestellt, welche der Zuhörer als scheinbar unverfänglich zugibt, welche aber schon einen Widerspruch enthält.

2. Die Identifikation verschiedener oder entgegengesetzter Begriffe wird herbeigeführt durch das Verabsolutieren derselben in den Beziehungen, in welchen sie verschieden oder entgegengesetzt sind.

3. Die Beziehungen, in welchen zwei Begriffe identisch und verschieden sind, werden vertuscht und wird nur daran festgehalten, daß sie  überhaupt zugleich identisch und verschieden sind.

4. Ein Beziehungsbegriff wird mit einem anderen Beziehungsbegriff in Beziehung gesetzt und zwar so, daß der nunmehr von ihnen prädizierte Beziehungsbegriff ihm selbst entgegengesetzt ist, so daß sie ihren eigenen Widerspruch an sich zu haben scheinen.

5. In einer Beziehung, deren beide Seiten nicht vertauschbar und nur nebeneinander denkbar sind, wird das Verhältnis so gedeutet, als ob die eine die andere (ihren Gegensatz an sich hätte und in sich trüge.

6. Dem Begriff der  Einheit wird der Begriff der  Identität untergeschoben und aus diesem Gesichtspunkt die Kopula als Identifikationszeichen der verschiedenen Satzteile gedeutet.


5. Der Widerspruch

Unmöglich können wir im ganzen Verlauf der hegelschen Werke jede Stelle beleuchten, wo ein Widerspruch als existent behauptet wird; die Betrachtung kann sich vielmehr nur darauf beschränken, die Sophismen, welche jenes dartun sollen, zu klassifizieren und durch Beispiele zu erläutern. Da dieses Kapitel nur die Fortsetzung des vorigen ist und die von HEGEL behauptete Existenz der Widersprüche betrifft, insofern sie  der Dialektik und Vernunft erst als Voraussetzung ihres Auftretens  dienen soll, so sind wir auch während dieses ganzen Kapitels noch berechtigt, vom Dialektiker zu fordern, daß er sich bei der Betrachtung auf den Standpunkt des Verstandes stellt und seine göttliche Vernunft schweigen läßt, die offziell noch nicht da ist.

1. Es wird eine Voraussetzung gemacht oder eine Anforderung oder Aufgabe gestellt, welche der Zuhörer als scheinbar unverfänglich zugeben zu dürfen glaubt, indem er nicht bemerkt, daß sie bereits einen Widerspruch enthält. Natürlich ist es dann leicht, aus den Konsequenzen dieses Zugegebenen den Widerspruch explizit zu entwickeln, worauf der Zuhörer natürlich glauben muß, die entwickelten Widersprüche lägen in der Natur der behandelten Begriffe. Dies ist z. B. der Fall bei den von HEGEL gepriesenen eleatischen Sophismen über die Bewegung, wo die widerspruchsvolle Voraussetzung gemacht wird, daß das Kontinuierlich durch das Diskrete ausdrückbar ist, während sie doch heterogener sind als Metzen und Pfunde, die man auch nicht durcheinander ausdrücken kann (vgl. SCHELLING, Werke I, 1, Seite 285-286). Ein anderes Beispiel ist das Absolute. HEGEL erkennt sogar, wie wir oben gesehen haben, an, daß es ein Widerspruch ist, das Absolute im Bewußtsein fassen zu wollen; dennoch wird auf die Widersprüche Wert gelegt, die aus dieser widerspruchsvollen Voraussetzung, aus dem Versuch, das Unmögliche möglich zu machen, abgeleitet sind! Dies ist so wichtig für das Nächstfolgende, daß wir noch einen Augenblick dabei verweilen wollen.

Es ist ein bekannter alter Satz, daß im Absoluten, wenn das Wort im Sinne eines unbestimmt Unendlichen verstanden wird, alle Unterschiede verschwinden. Natürlich, solange eine Bestimmung eine Bestimmtheit behält, in welcher sie besteht, solange ist sie nicht absolut; wenn die Bestimmungen aber wirklich im Absoluten sind, so haben sie ihre Bestimmtheit und die Beziehungen, in welchen sie bestanden, verloren und sind mithin für das Denken zunichte geworden. In dieser Unbestimmtheit des Absoluten sind also alle Bestimmungen verschlungen, als Nichtse sind sie mithin auch  unterschiedslos,  wie in der Nacht (als welche Hegel das Absolute in Werke I, Seite 177 bezeichnet) alle Katzen schwarz sind. "Denn das Unbestimmte ist Nichts für den Verstand und endet im Nichts" (Werke I, Seite 179); "denn wo keine Bestimmtheit ist, ist auch keine Erkenntnis möglich" (Werke VI, Seite 76). Will man sich nun nicht mit JACOBI dabei beruhigen, "als Schwärmer an diesem Anschauen des farblosen Nichts festzuhalten" (Werke I, Seite 251), alle Mannigfaltigkeit fester Bestimmungen zu bekämpfen und "alles Endliche im Unendlichen zu versenken", d. h. eben auf jedes Erkennen zu verzichten, will man trotzdem, daß die Bestimmungen  nur dadurch  im Absoluten sich identifiziert haben, daß sie darin zu Nichtse wurden und das einbüßten, worin sie bestanden, nämlich ihre Bestimmtheit, ich sage, will man trotzdem, wie HEGEL es tut, verlangen, daß in dieser Nacht der absoluten Unbestimmtheit Entgegengesetzte, also Bestimmungen unterschieden werden, daß die Bestimmtheit in ihrer totalen Vernichtung gleichzeitig totaliter aufrecht erhalten wird, will man die Anforderung stellen, daß dieses Absolute, welches als schlechthin Unbestimmtes für das Denken und Erkennen eben schlechthin Nichts ist, dennoch nicht nur Etwas, sondern sogar die Totalität alles Existierenden und als Existierendes unendlich ist, so stellt man lauter unmögliche, sich selbst widersprechende Aufgaben und braucht sich nicht zu wundern, daß alle Versuche, sie zu lösen, sich nur in Widersprüchen bewegen können. Man hat aber vielmehr zu fragen, was zu einem Verabsolutieren der Bestimmungen berechtigt, und da zeigt sich, daß sich kein wissenschaftliches Motiv hierfür anführen läßt, sondern nichts als jene oben erwähnte, sich selbst mißverstehende mystische Gefühlssehnsucht nach dem Absoluten. So berechtigungslos aber für das Denken das Verabsolutieren der Begriffe überhaupt ist, so erfolglos ist es natürlich zur Vermehrung der Erkenntnis, so wertlos ist jener Satz, daß im Absoluten alle Unterschiede verschwinden. HEGEL sieht diesen Mangel im Absoluten seiner Vorgänger vollständig ein, aber anstatt sich dadurch von demselben völlig loszusagen, sucht er dem Wertlosen dadurch einen Wert zu geben, daß er seine Leerheit mit dem Reichtum des Widerspruchs erfüllt, wobei er alle Vorteile des bisherigen Absoluten zu behalten und seine Mängel zu beseitigen wähnt, - nur schade, daß der Widerspruch, der dabei begangen ist, beide Seiten gleich illusorisch macht. (3)

2. Die Identität verschiedener oder entgegengesetzter Begriffe wird dadurch herbeigeführt, daß ihre Verschiedenheit oder ihr Gegensatz verabsolutiert wird. Bei diesem und allen folgenden Punkten handelt es sich nämlich wesentlich um den Nachweis der Identität zweier Begriffe, der Verschiedenheit jeder zugibt; denn mit dem Nachweis, daß die verschiedenen Begriffe identisch sind, ist natürlich der gewünschte Widerspruch da. Welchen Wert aber ein Widerspruch haben kann, den die Identifizierung der Begriffe durch eine Verabsolutierung erzeugt hat, ist soeben erörtert; nur dadurch wird der Widerspruch aufgezeigt, daß er begangen wird. Gleichwohl ist in aller Strenge dies die einzige ganz dem Geist der Dialektik entsprechende Art des Nachweises der Identität; denn da der Widerspruch nicht vom Verstand, sondern nur von der Vernunft gefaßt werden kann, die Reflexion aber nur insofern, als sie eine Beziehung auf das Absolute hat (Werke I, Seite 182), und nur durch diese Bezieung "Vernunft" ist (Werke I, Seite 178), so kann auch nur der auf das Absolute bezogene, der ins Absolute versenkte Widerspruch vereinigt und gefaßt werden; "in dieser Vereinigung" (durch die Vernunft) "bestehen zugleich beide" (Entgegengesetzte); "denn das Entgegengesetzte und also Beschränkte ist  hiermit"  (der Vereinigung) "auf das Absolute bezogen. Es besteht aber nicht für sich, nur  insofern  es im Absoluten, d. h. als Identität gesetzt ist" (Werke I, Seite 179). Nicht die Verschiedenheit  überhaupt  ist die Identität, sondern nur die  absolute  Verschiedenheit ist keine mehr (Werke VI, Seite 170-172; IV, Seite 32), ist absolute Identität; nicht als endliche Bestimmungen, sondern als unendliche, unbestimmte Bestimmungen, als unbegreifliche Begriffe (Werke I, Seite 284) sind die Verschiedenen identisch. Dem entspricht ganz der § 85 der "Enzyklopädie" (Werke VI, Seite 163-164), worin alle in der Logik zu durchlaufenden Momente als Prädikate oder Definitionen des Absoluten gesetzt werden. Das Absolute ist das Sein, das Absolute ist das Nichts, das Absolute ist das Werden usw. - Wenn aber dieses Versenken der Bestimmungen ins Absolute in der Tat das  einzige  Mittel ist, dessen die Dialektik sich in Wahrheit zur Identifizierung der Begriffe bedienen dürfte, so wirft dies ein eigentümliches Licht auf die ganze Behauptung, daß in allem Widersprüche sind; denn all diese vorgeblichen Widersprüche kommen ja erst hinein durch die ungerechtfertigte Verabsolutierung in Verbindung mit der unmöglichen Anforderung, die Bestimmtheit und Endlichkeit der Bestimmungen zugleich aufzuheben und zu erhalten. Mit jener Behauptung aber fällt wiederum, wie wir wissen, die einzige Voraussetzung, unter welcher überhaupt die Dialektik es wagen darf, sich in der Wissenschaft einführen zu wollen. Freilich aber ist die Dialektik nicht einmal imstande, dieses ihr Ideal durchzuführen; denn das Verabsolutieren läßt sich bei solchen Bestimmungen, die auf niedriger Abstraktionsstufe und der sinnlichen Anschauung näher, kein Mensch gefallen. Nur bei solchen Begriffen, welche durch ihre hohe Abstraktionsstufe der unmittelbaren Anschauung so entrückt sind, daß das Wort nur mit einem dunklen, schematischen und doch das Resultat der Abstraktion nicht recht deckenden Rest von Anschauung begleitet erscheint, nur da haben solche Kniffe einige Aussicht, zu reüssieren [Anerkennung finden - wp]. Bei den der vollen Anschauung näher stehenden Begriffen aber muß dieses Ideal der Dialektik aufgegeben und durch allerlei andere sogleich zu betrachtende Mittelchen ersetzt werden, welche aber alle umso leichter durchschaut werden, je näher man dem festen Boden der Vorstellung kommt, weshalb auch die dialektische Methode fast nirgends außer in der Logik so recht hat verfangen wollen.

Als  Beispiel  der Identifizierung durch Verabsolutierung kann der Anfang der Logik dienen, der vom reinen Sein und dem Nichts handelt. "Jedes der beiden ist auf gleiche Weise das Unbestimmte" (Absolute) (Werke III, Seite 91), sie sind "schlechthin verschieden" (Werke VI, Seite 172), aber eben weil der Unterschied absolut ist, ist er "nicht anzugeben" (Werke III, Seite 91, "unsagbar" (Werke VI, Seite 172).
    "Wenn wir überhaupt von einem Unterschied sprechen, so haben wir hiermit zwei, deren jedem eine Bestimmung zukommt, die sich im andern nicht findet. Nun aber ist das Sein eben nur das schlechthin Bestimmungslose, und  dieselbe Bestimmungslosigkeit ist auch das Nichts. Der Unterschied dieser beiden ist somit nur ein gemeinter, der ganz abstrakte Unterschied, der kein Unterschied ist" (Werke VI, Seite 170).
Hierauf ist zu erwidern: Nichts berechtigt dazu, Sein und Nichts als Bestimmungslose zu setzen; denn Sein ist eine  ganz  bestimmte Bestimmung, ebenso das Nichts als Negation des Etwas. Angenommen aber, beide wären absolut unbestimmt und ihr Unterschied vom Denken nicht mehr anzugeben, so wären sie dem Denken nicht mehr  zwei  Begriffe, sondern  einer  mit zwei synonymen, überall gleichgültig zu vertauschenden Wortbezeichnungen. Wer die Konsequenz verwirft, muß die Behauptung verwerfen, aus welcher sie unmittelbar hervorgeht.

Bei Begriffen von niedrigerer Abstraktionsstufe genügt es meistens für HEGELs Zwecke, sie in Bezug auf ihre  hauptsächlichste  Seite oder Beziehung zu verabsolutieren oder überhaupt die Schranken der Bestimmung nach irgendeiner Richtung so zu erweitern oder zu überspringen, daß die Bestimmung aufgehört hat,  das  zu sein, was sie ihrer Bestimmung nach sein und bleiben muß. Auf diese Weise sind auch die Werke VI, Seite 155-156 angeführten Sprichwörter aufzufassen, welche allerdings in ihrer allzu konzisen Fassung etwas Paradoxes an sich haben, welche aber das Volk niemals so verstehen wird, als enthielten sie einen Widerspruch. Eben hierher gehört  Lust  und  Schmerz Beide haben im Wachstum eine quantitative Grenze, wo sie qualitativ andere werden, die Lust Schmerz, der Schmerz Anästhesie, wärhend nach abwärts beide zum Nullpunkt der Empfindung führen; aber dieses Verhalten ist  physiologisch  und wahrlich nicht dialektisch zu erklären, zumindest kann es der Dialektik keine Stütze bieten.

Wir gehen nun zu den dialektischen Kniffen untergeordneter Art über, deren sich eigentlich die Dialektik nicht nur vor dem gesunden Verstand, sondern auch vor sich selbst zu schämen hätte, da sie nur dann, wenn sie mit verabsolutierten oder unbegreiflichen Begriffen arbeitet, wahrhafte Vernunft im hegelschen Sinne und über den Verstand erhaben ist.

3. Es werden die Beziehungen vertuscht, in welchen oder nach welchen zwei Begriffe identisch und verschieden sind. Daß die mit verschiedenen Worten verbundenen Begriffe in gewisser Beziehung verschieden sind, ist leicht genug zu zeigen, daß sie aber auch stets in gewissen Beziehungen gleich sein müssen, geht daraus hervor, daß sich stets eine höhere Gattung angeben lassen muß. der sie als gemeinsame Arten angehören, und sei es letzten Endes die Gattung "Begriff". Verwischt man nun die Beziehungen und stellt die Begriffe nur als überhaupt zugleich identisch und verschieden dar, so erweckt man durch diese Unterschlagung den Schein des Widerspruchs, wo gar keiner vorhanden ist; denn der Satz des Widerspruchs setzt nach der Formulierung des ARISTOTELES ausdrücklich die Position und Negation in derselben Beziehung voraus. Ein Beispiel bieten die Begriffe  gleich  und  ungleich (Werke IV, Seite 42-43):
    "Gerade was der Widerspruch und die Auflösung von ihnen abhalten soll, daß nämlich Etwas einem Anderen in einer Hinsicht gleich, in einer anderen aber ungleich ist, - dieses Auseinanderhalten der Gleichheit und Ungleichheit ist ihre Zerstörung. Denn beide sind Bestimmungen des Unterschiedes" (muß wohl heißen: der Vergleichung); "sie sind Beziehungen aufeinander" (? muß wohl heißen: zwischen Anderen) "das Eine zu sein, was das Andere nicht ist; gleich ist nicht ungleich, und ungleich ist nicht gleich; und beide haben wesentlich (?) diese Beziehung und außer ihr keine Bedeutung (?!?); als Bestimmungen des Unterschiedes ist jedes das, was es ist, als unterschieden von einem andern. Durch ihre Gleichgültigkeit (?) aber gegeneinander ist die Gleichheit nur (?) bezogen auf sich, die Ungleichheit ist ebenso eine eigene Rücksicht und Reflexion für sich; jede ist somit sich selbst gleich; der Unterschied ist verschwunden (?!?), da sie keine Bestimmtheit gegeneinander (?) haben, oder jede ist hiermit nur (?) Gleichheit."
Sehen wir ganz davon ab, daß, während Gleichheit und Ungleichheit Beziehungen zwischen ihnen gleichgültigen Anderen, allgemein  A  und  B,  sind, hier eine künstliche Verwirrung dadurch erzeugt wird, daß plötzlich für  A  und  B  sie selbst, die Begriffe "Gleichheit" und "Ungleichheit" substituiert werden und noch dazu diese willkürliche Substitution als ihnen "wesentlich" behauptet wird, nehmen wir dies ruhig hin und sehen, was HEGEL kurz gefaßt vorbringt:
    "Gleich ist nicht ungleich und ungleich ist nicht gleich, aber gleich ist gleich, und ungleich ist ungleich nach den Sätzen des Widerspruchs und der Identität, d. h. jedes der beiden ist von seinem Anderen oder in Beziehung auf sein Anderes verschieden, aber in Beziehung auf sich selbst gleich."
Wodurch ist nun der Schluß motiviert: "Der Unterschied ist verschwunden, da sie keine Bestimmtheit gegeneinander haben; oder jede ist hiermit nur Gleichheit?" Es steht ja deutlich da, daß jede die Gleichheit nur in Beziehung auf sich selbst an sich hat, es steht ja deutlich da, daß ihre Beziehung oder Bestimmtheit gegeneinander die Verschiedenheit ist, wie kann HEGEL nach wenigen Zeilen Zwischenraum erwarten, daß man sich seine nunmehrige Behauptung gefallen lassen soll, daß sie keine Bestimmtheit gegeneinander hätten, daß der Unterschied verschwunden ist! Nur dann ist er verschwunden, wenn man ihn vergißt, oder, da das nach 5 Zeilen nicht möglich ist, wenn man sich absichtlich gegen die andere Beziehung verblendet, wenn man sie vertuscht. Ist dies nicht die größte nur denkbare Einseitigkeit des Verstandes, von zwei nebeneinander stehenden Beziehungen zweier Begriffe das eine Mal bloß die eine sehen zu wollen und zu tun, als wenn die andere nicht in der Welt existiert, und aus dieser einseitigen Verblendung Schlüsse zu ziehen, und es das andere Mal mit der anderen Beziehung ebenso zu machen? Aber so einseitig ist der die Beziehungen stets zusammen betrachtende gesunde Verstand nicht, sondern nur die Vernunft, welche, gezwungen von ihrer Höhe des Absoluten zur Erde herabzusteigen, um ihre Stimme vernehmlich zu machen, sich zu ihren Zwecken solcher Sophismen bedienen muß, durch welche sie weit unter das Niveau des von ihr verpönten Verstandes hinabsinkt. - Dieses Vertuschen der Beziehungen, in welchen die Begriffe gleich und verschieden sind, sowie das oben erwähnte Zerstören der Relationen, in welchen die Begriffe bestehen, und das Erweitern derselben über ihre Grenzen hinaus, sind einzeln und in Verbindung gebraucht die Hauptmittel der Dialektik zur Erzeugung von Widersprüchen bei den nicht ganz an der letzten Grenze der Abstraktion stehenden Begriffen.

4. Beziehungsbegriffe  werden mit aneren Beziehungsbegriffen in Relation gesetzt, und zwar mit solchen, daß die nunmehr von ihnen zu prädizierenden Beziehungsbegriffe ihnen selbst entgegengesetzt sind, so daß sie ihren eigenen Widerspruch an sich zu haben scheinen. Schon beim vorigen Beispiel (gleich und ungleich) spielte dieses Mittel in untergeordneter Weise mit herein, um die Verwirrung zu vermehren; doch war es dort nicht Hauptsache; in seiner Reinheit hingegen erscheint es im Beispiel der Begriffe "Identität" und "Verschiedenheit". Die verständig Denkenden sagen (Werke IV, Seite 33):
    "Die Identität ist nicht die Verschiedenheit, sondern die Identität und die Verschiedenheit sind verschieden. Sie sehen nicht, daß sie schon hierin selbst sagen,  daß die Identität ein Verschiedenes ist; denn sie sagten, die Identität ist verschieden von der Verschiedenheit; indem dies zugleich als die Natur der Identität zugegeben werden muß, so liegt darin, daß die Identität nicht äußerlich, sondern an ihr selbst, in ihrer Natur dies ist, verschieden zu sein."
Zunächst ist zu bemerken, daß Beziehungsbegriffe nicht wie andere an den Dingen haften (inhärieren), sondern daß sie einzig und allein im beziehenden Denken existieren, allerdings aber in Bezug auf die Anwendbarkeit ihrer Gattung und Art auf die bezogenen Dinge abhängig von einer gewissen Beschaffenheit der letzteren, welche jedoch durchaus noch nicht selbst die Beziehungsbegriffe ausmacht. Für "gleich und ungleich" räumt HEGEL dies ausdrücklich ein (Werke IV, Seite 41):
    "Ob Etwas einem anderen Etwas gleich ist oder nicht, geht weder das eine noch das andere an; jedes derselben ist nur auf sich bezogen" (ist auch nicht einmal der Fall), "ist an und für sich, was es ist; die Identität oder Nichtidentität als Gleichheit oder Ungleichheit ist die Rücksicht eines Dritten, die außerhalb von ihnen fällt."
Ich wüßte nicht, wodurch "Ungleichheit und Verschiedenheit" sich unterscheiden sollten; Gleichheit (im logischen, nicht im mathematischen Sinn) aber und Identität sind nur dann verschieden, wenn von den 3 Arten der Identität, welche ARISTOTELES angibt, nur die letzte gemeint sein wird, welche die Mehrheit der betrachteten Dinge ausschließt und sie zu  Einem  macht, was die Gleichheit nicht tut. Dann ist also der Unterschied der, daß man bei der Gleichheit  zwei  Dinge aufeinander, bei der Identität ein Ding auf sich selbst bezieht; aber das Beziehen bleibt unter allen Umständen die Tätigkeit eines Dritten, die außerhalb von beidem liegt. Außerdem ist zu beachten, daß von dieser letzteren Art (Identität der Zahl nach) da nicht die Rede sein kann, wo es feststeht, daß  zwei  Dinge oder Begriffe vorliegen; in einem solchen Fall - und es ist im vorliegenden Beispiel der unsrige - ist Identität und Gleichheit  schlechthin  gleichbedeutend wie Verschiedenheit und Ungleichheit. Wenn es demnach klar ist, daß Identität und Verschiedenheit hier ebenso wie Gleichheit und Ungleichheit Beziehungen sind, welche erst in einem beziehenden Denken eines außen stehenden Dritten entstehen können, indem dieser sie in Beziehung setzt, daß also diese Beziehungsbegriffe außerhalb des Bezogenen fallen, so kann nicht mehr behauptet werden, daß die Bezogenen die Beziehung  ansich  und nicht äußerlich, sondern wesentlich und in ihrer Natur hätten, da sie vielmehr erst ein Produkt aus passiven Dingen und dem aktiven, sie aufeinander beziehenden Subjekt ist. Ob die Beziehung, wenn das Subjekt einmal die vergleichende Beziehung wählt, Identität  oder  Verschiedenheit ist, dies hängt allerdings nicht mehr von der Willkür des Subjekts ab, sondern von der Beschaffenheit der Bezogenen, ob sie nämlich solche sind, welche sich gleichgültig für die Anschauung des Subjekts miteinander vertauschen lassen oder nicht (was HEGEL bei Gleichheit und Ungleichheit vergessen hat hervorzuheben). Dabei bleibt es aber richtig, daß "jedes an und für sich ist und bleibt, was es ist" und sich seinerseits um das andere nicht im mindesten bekümmert, so daß unter allen Umständen die Beziehung ihm nichts ansich Seiendes und Wesentliches, sondern etwas Äußerliches, nichts in seiner Natur Liegendes, sondern etwas  subjektiv Gesetztes  ist. Hiermit allein fällt schon das hegelsche Sophisma, welches auf der entgegengesetzten Voraussetzung basiert. Es ist aber auch noch folgendes zu berücksichtigen. Wenn von einem  einzelnen  Begriff ein Beziehungsbegriff prädiziert wird, so ist dies allemal eine uneigentliche Redeweise, eine Lizenz des Ausdrucks, die den praktischen Vorzug der Kürze hat und noch niemals einen gesunden Verstand in die Gefahr des Mißverständnisses gebracht hat. In der Strenge aber gehören zu einer Beziehung mindestens  zwei  Begriffe, und die Beziehung gehört weder dem einen noch dem andern ausschließlich an, sondern sie steht zwischen beiden und drückt das  Verhältnis  aus, in welchem das Denken beide betrachtet. Ist nun aber gar die Stellung beider innerhalb der Beziehung gleichgültig, so daß sie beliebig miteinander vertauscht werden können (wie z. B. die Faktoren im Produkt) so verschwindet jede Versuchung zu einem einseitigen Prädizieren. Daher ist der logisch richtige Ausdruck der, den auch HEGEL am Anfang der angeführten Stelle gebraucht:  "A  und  B  sind verschieden", aber nicht  "A ist  verschieden  von B".  Die Beziehung kommt eben nicht dem einen  oder  dem andern zu, sondern sie kommt nur  beiden zugleich als Ganzem  zu, indem sie als ein äußerlich Gesetztes zwischen beiden schwebt und ihr ideales Band bildet. Zum Beispiel  A  und  B  sind zwei; nicht  A  ist zwei mit  B  oder in Bezug auf  B,  nicht  A  hat die Zweiheit ansich in Bezug auf  B,  sondern nur  A  und  B  als Ganzes in Eins gefaßt und in die ihnen äußerliche Beziehung des Gezähltwerdens gesetzt, empfangen die Beziehung zwei. So verkehrt es wäre, darum, weil  A und B  zwei sind, zu behaupten, daß  A  die Zweiheit an sich habe, so verkehrt ist es darum, weil  A  und  B  verschieden sind, zu behaupten, daß  A  die Verschiedenheit an sich hat. So verkehrt es wäre, im ersteren Fall den Widerspruch finden zu wollen, daß  A,  welches doch nur  Eines  ist, die  Zweiheit  an sich habe, so verkehrt ist es, im letzteren Fall, wenn zufällig für das allgemeine Zeichen  A  der Begriff "Identität" gesetzt wird, den Widerspruch zu finden, daß die Identität die Verschiedenheit an sich hat. Auch dieses Sophisma hat seinen letzten Grund wieder in einer weit größeren Einseitigkeit, als deren der Verstand sich jemals schuldig macht; denn der Verstand vergißt nicht, dem Beziehungsbegriff einerseits die Summe der Bezogenen, andererseits als Ganzes gegenüberzustellen, die Dialektik aber trennt die Bezogenen und setzt die freischwebende Beziehung als eine adhärierende [äußerliche - wp] Eigenschaft zur  einen  Seite.

5. Bei solchen Beziehungsbegriffen, in welchen die beiden Bezogenen eine verschiedene Stellung einnehmen und nicht miteinander zu vertauschen sind, wie z. B. Eins und Viele, Ursache und Wirkung, oben und unten (Werke IV, Seite 70), Vater und Sohn (ebd.), in welchen also die Beziehung erst vollständig ist, wenn  beide  Seiten derselben gedacht werden, bei welchen mithein  eine  Seite der Beziehung für sich überhaupt nicht verstanden und begriffen werden kann als in stillschweigender Ergänzung der vollständigen Beziehung durch die andere Seite, bei solchen Beziehungsbegriffen wird von der Dialektik die untrennbare koordinierte Zusammengehörigkeit so gedacht, als ob bei der Betrachtung des Einen ihm das Andere, bei der Betrachtung des Anderen ihm das Eine  subordiniert  (unter ihm begriffen) wäre, und wird die Notwendigkeit, beim Denken der einen Seite der Beziehung dieselbe als Beziehung auf die vorausgesetzte und stillschweigend ergänzte andere Seite zu fassen, so gedeutet, als ob die eine Seite die andere an  sich  hätte oder  in sich  trüge, während sie diese doch bloß außerhalb von sich voraussetzt und nur gleichzeitig mit ihr begriffen werden kann, nur mit ihr zugleich im Denken hervorspringt. Sind nun die beiden Seiten der Beziehung Gegensätze, so wird durch jene Entstellung der Schein erweckt, als ob jede Seite ihren eigenen Gegensatz in sich trägt oder ihren Gegensatz an sich selber hat, was natürlich ein Widerspruch ist. Nehmen wir das Beispiel von Ursache und Wirkung (Werke IV, Seite 226):
    "Die Ursache ist nur Ursache, insofern sie eine Wirkung hervorbringt, und die Ursache ist nichts als diese Bestimmung, eine Wirkung zu haben, und die Wirkung nichts als dies, eine Ursache zu haben. In der Ursache als solcher liegt" (der Ausdruck "liegt" ist zweideutig) "ihre Wirkung und in der Wirkung die Ursache; insofern die Ursache noch nicht wirkte, so wäre sie nicht Ursache; - und die Wirkung, sofern ihre Ursache verschwunden ist" (d. h. aus dem Gedanken), "ist nicht mehr Wirkung, sondern eine gleichgültige Wirkichkeit."
Aus all dem folgt nicht mehr und nicht weniger, als daß die Begriffe "Ursache" und "Wirkung" im Denken nicht zu trennen sind und erst in ihrer untrennbaren Zusammengehörigkeit  eine  vollständige und einheitliche Beziehung (die Kausalität) bilden, aber nimmermehr folgt daraus die Identität von Ursache und Wirkung, sondern dadurch, daß sie die unentbehrlichen Seiten  eines  Verhältnisses sind, und keine an sich selbst genug hat, sondern der andern bedürftig ist und erst an der andern ihre Ergänzung findet, leuchtet nur umso klarer ihre Verschiedenheit hervor; denn wären sie identisch, wäre die eine zugleich auch die andere, so könnte sie deren nicht mehr bedürfen, sondern hätte an sich genug, wie z. B. die Gleichheit.

HEGEL sucht nur die konstanten Bedingungen in der Ursache, verschließt aber seine Augen gegen die variablen. Er sieht demgemäß die als Ursache und Wirkung aufeinander Bezogenen nur in  diskreten  Dingen oder Sachen (Werke IV, Seite 227-228), nicht in deren variablen kontinuierlichen Zuständen oder Aktionen, welche doch allein in der Zeitbeziehung des "Vor und Nach" zueinander stehen können, die der Kausalität wesentlich ist. Er erklärt ferner, "die Anwendung des Kausalitätsverhältnisses auf Verhältnisse des physisch organischen und des geistigen Lebens" für "unstatthaft" (Werke IV, Seite 229) und sieht auf dem somit allein übrig bleibenden Gebiet der anorganischen Natur die Kausalität in der Erhaltung der lebendigen Kraft oder in einem Sichselbstgleichbleiben des Quantums der Bewegung (Werke IV, Seite 228). Aber selbst unter diesen Voraussetzungen wird doch noch HEGELs Behauptung falsch sein, daß der Inhalt in Ursache und Wirkung identisch ist (Werke IV, Seite 226 und 227); denn gerade die durch die Kausalität in jedem Moment gesetzte Formveränderung der als Quantum sich gleichbleibenden lebendigen Kraft (in Stoß, Wärme, Elektrizität, Chemismus usw.) ist der eigentliche Inhalt der als Ursache und Wirkung aufeinanderbezogenen, zeitlich aneinandergrenzenden Abschnitte des Naturprozesses, und dieser ist eben in der Wirkung ein anderer als in der Ursache. Der Vollständigkeit halber konnte diese Bemerkung bei dem gewählten Beispiel nicht unterlassen werden, so wie ich schließlich noch darauf hinweisen will, daß die ungerechtfertigte Kategorie der Wechselwirkung (nicht zu verwechseln mit dem aus der Relativität der Bewegung entspringenden mechanischen Begriff der Gegenwirkung), welche HEGEL für den höchsten Ausdruck der Kausalität erklärt, von SCHOPENHAUER (Welt als Wille und Vorstellung, dritte Auflage, Bd. I, Seite 544-549) richtig kritisiert ist, wenngleich er KANT bei dieser Kritik Ansichten unterstellt, die dieser gar nicht gehabt hat. Was von der Wechselwirkung bestehen bleibt, ist weder eine besondere Kategorie, noch auch nur eine Anwendung der vollständigen Kausalitätskategorie, sondern abstrakt herausgelöste kausale Teilbeziehungen.

Auch dieses Sophisma beruth letzten Endes auf einer willkürlichen Einseitigkeit, die sich selbst mit dem Irrtum straft. Der Verstand nämlich faßt beide Seiten der Beziehung als Ganzes nebeneinander, die Dialektiv aber will jede Seite für sich betrachten und so lange die Augen für die andere verschließen; indem aber bei dem  Wahn,  daß dies möglich ist, unwillkürlich auch die andere Seite wieder vor dem Blick auftaucht, entsteht der Irrtum, daß diese andere Seite in der betrachteten enthalten ist.

6. Es wird der  Einheit die aus der Vereinigung, Verknüpfung oder Verbindung von Teilen zu einem Ganzen entspringt, die  Identität,  welche aus der Vergleichung entspringt, untergeschoben. Die Verwechselung von Identität und Einheit ist allerdings ein Mißbrauch, der schon bei SCHELLING anfängt; diese Vermischung von Begriffen, welche durch nicht mißzudeutende verschiedene Worte bezeichnet sind, ist aber auf keine Weise zu entschuldigen. Identität auf Deutsch "Dieselbigkeit" oder "Dasselbigkeit" ist seiner Wurzel nach mit dem aristotelischen Begriff  tanton  dasselbe. Schließt man das  arithmo tanton  aus, was aber gerade die strengste Bedeutung ist (wie in "Identität der Person"), so erhält man die deutschen Worte "Einerleiheit" und "Gleichheit" als entsprechende. Dies alles sind logische Beziehungen; ganz etwas anderes aber ist das reale Verhältnis der Einheit, Vereinigung, Verbundenheit, Zusammengehörigkeit, gleichviel ob es sich bei den zusammengehörigen Stücken umd Dinge oder Begriffe handelt. Es ist klar, daß, wenn man "Identität" bald in seinem wahren, bald in diesem ihm nicht zukommenden Sinn gebraucht, heillose Fehler in den Schlüssen zutage kommen müssen. -

Als Beispiel kann die Verbindung von Subjekt und Prädikat im Urteil dienen. HEGEL erklärt das Verhältnis beider in Werke VI, Seite 331, § 170 richtig als das Verhältnis des Konkreten und Abstrakten, indem das Subjekt reicher ist und das Prädikat nur als eine seiner vielen Bestimmtheiten enthält, das Prädikat aber weiter und allgemeiner ist, zumindest nach der einen Beziehung seiner Bestimmtheit, und außer dem gegebenen Subjekt noch viele andere unter sich subsumiert. Dieses Verhältnis, daß das Subjekt eine solche Vorstellung ist, von der die Bestimmtheit, welche das Prädikat enthält, abstrahiert werden kann,  dieses  Verhältnis wird durch die  Kopula  in Verbindung mit der Stellung der Satzteile ausgedrückt und weiter nichts. Wenn von etwas die Rede sein soll, worin Subjekt und Prädikat identisch sind, so gibt HEGEL richtig an, daß "der  bestimmte  Inhalt des Prädikats  allein  die Identität beider ausmacht", wenn man unter  Subjekt  nicht bloß den  allgemeinen  Inhalt des als Subjekt fungierenden Wortes versteht, sondern das ganze Subjekt, wie es in dem durch das Urteil dargestellten objektiven Sachverhalt des besonderen Falles enthalten ist (z. B. in dem Satz: "der Teller ist zerbrochen" das Subjekt "Teller" als schon zerbrochener gedacht). Also nur in einem bestimmten Inhalt des Prädikats sind sie identisch, aber in nichts anderem. Nun fährt aber HEGEL in § 171 fort:
    "Subjekt, Prädikat  und der bestimmte Inhalt oder die Identität sind  zunächst im Urteil in ihrer Beziehung selbst als  verschieden" (ja!) "auseinanderfallend" (nein!) "gesetzt". (Hier fängt schon die Verwirrung zwischen Verschiedenheit und Trennung, Identität und Einheit an.)  "Ansich, d. h. dem Begriff nach aber sind sie identisch, indem" (nun erwartet man doch wohl eine Begründung dieser neuen, der vorigen widersprechenden Behauptung) "die konkrete Totaltität des Subjekts dies ist, nicht irgendeine unbestimmte Mannigfaltigkeit zu sein, sondern allein Einzelheit, das Besondere und Allgemeine in einer Identität, und eben diese Einheit ist das Prädikat".
In diesem Satz tritt statt der erwarteten Begründung und Erklärung für jene sonderbare Behauptung nichts als die Wiederholung derselben ein, aber in solcher Weise, daß die Verwechslung des Wortes "Identität" mit "Einheit" nicht nur dem Zusammenhang nach unzweifelhaft ist, sondern sogar in den nächsten Worten unverhohlen ausgesprochen wird. Nun sind aber Subjekt und Prädikat durchaus keine unverträglichen Gegensätze, da sie ja teilweise identisch sind und das Subjekt nur insofern vom Prädikat verschieden ist, als es reicher ist als jenes und Bestimmungen enthält, die dem Prädikat fehlen; beide können also sehr wohl und ohne Widerspruch zur Einheit verbunden werden, und ein Widerspruch ist nur dann in ihnen zu finden, wenn man den Widerspruch begangen hat, sie auch in demjenigen identisch zu setzen, worin sie nicht identisch, sondern verschieden sind. Dieser Widerspruch wird aber begangen, wenn für ihre Einheit, in die natürlich als totale eingehen, der Begriff der Identität untergeschoben wird. Aus der Kopula "ist" wäre HEGEL weder durch eine Untersuchung des Begriffs "Sein" noch durch eine Untersuchung des Begriffs "Kopula" imstande gewesen, einen Scheingrund für die totale Identität von Subjekt und Prädikat zu entwickeln; denn beide haben mit dem Begriff "identisch Setzen" gar nichts zu tun. Ohne das eben aufgedeckte Sophisma wäre es also HEGEL nicht gelungen, einen genügenden Scheingrund aufzutreiben, warum das Urteil als solches seiner allgemeinen Form nach ein Widerspruch sein soll (Werke V, Seite 74). Der Vollständigkeit halber will ich noch einen Punkt erwähnen, den HEGEL zur Verstärkung des Scheins von einer anderen Seite her geschickt benutzte. Es läßt sich näämlich der Fall denken, daß die ganze Anzahl der von diesem Prädikat subsumierten Subjekte sich auf  Eins  reduziert, welches dann natürlich  das Gegebene  sein muß. In diesem Fall stehen Subjekt und Prädikat auf gleicher Abstraktionsstufe, das letztere ist in keiner Beziehung mehr weiter und allgemeiner als das Subjekt, vielmehr ist der einzige Gegenstand, der diesem Prädikat entspricht, derselbe Gegenstand, der diesem Subjekt entspricht; beide sind identisch, weil sie zur Bezeichnung  eines  Gegenstandes dienen, und können folglich beliebig miteinander in ihrer Stellung vertausch werden. In diesem Fall, der sich äußerlich durch die Probe, ob die Vertauschung von Subjekt und Prädikat zulässig ist, kennzeichnet, ist also allerdings die Kopula gleichbedeutend mit der Identifikation, aber ihrerseits nur zufällig. Ein ferneres Kennzeichen dieses Falles besteht darin, daß das Prädikat als Unikum in der Regel ein Substantivum mit einem  bestimmten  Artikel ist, so daß man, wenn man einem Satz begegnet, in welchem das Prädikat den bestimmten Artike an sich hat, mit Recht gewöhnt ist, diesen Stz als eine Identifikation des Subjekts mit dem Prädikat zu fassen. Dies benutzt HEGEL, indem er die allgemeine Form des Satzes so ausdrückt: "Das Einzelne ist das Allgemeine, oder das Subjekt ist das Prädikat". Diese Ausdrucksweise aber ist, wenn sie zu solchen Erschleichungen dienen soll, unstatthaft, es muß heißen: "das Einzelne ist allgemein (hat ein Allgemeines, etwas, das auch noch mehreren gemeinsam ist, an sich) oder das Subjekt ist ... (folgt Prädikat)"; denn das gewöhnliche Urteil heißt nicht: "die Rose ist - das Rote", sondern: "die Rose ist - rot". In dieser berichtigten Fassung verschwindet der Punkt, welcher den Schein erweckte, als ob mit diesem Satz eine Identifikation seiner Teile gegeben wäre. Für HEGEL aber ist es sehr bequem, die Kopula als Identifikation zu fassen (Werke VI, Seite 327), was sie gar nicht ist, sondern nur durch zufällige Umstände werden kann; denn er hat nun stets ein letztes, nie versagendes, wenn auch schwächstes Mittel bei der Hand, um in jeder Behauptung, jedem Satz den Widerspruch aufzuzeigen, daß das Verschiedene (der Inhalt des Subjekts und der des Prädikats) identisch gesetzt ist.

Wir haben somit folgende Mittel zur Erzeugung des Scheins des Widerspruchs kennengelernt:
    1. Es wird eine Voraussetzung gemacht, Aufgabe oder Anforderung gestellt, welche der Zuhörer als scheinbar unverfänglich zugibt, welche aber schon einen Widerspruch enthält.

    2. Die Identifikation verschiedener oder entgegengesetzter Begriffe wird herbeigeführt durch das Verabsolutieren derselben in den Beziehungen, in welchen sie verschieden oder entgegengesetzt sind.

    3. Die Beziehungen, in welchen zwei Begriffe identisch und verschieden sind, werden vertuscht und wird nur daran festgehalten, daß sie  überhaupt zugleich identisch und verschieden sind.

    4. Ein Beziehungsbegriff wird mit einem anderen Beziehungsbegriff in Beziehung gesetzt und zwar so, daß der nunmehr von ihnen prädizierte Beziehungsbegriff ihm selbst entgegengesetzt ist, so daß sie ihren eigenen Widerspruch an sich zu haben scheinen.

    5. In einer Beziehung, deren beide Seiten nicht vertauschbar und nur nebeneinander denkbar sind, wird das Verhältnis so gedeutet, als ob die eine die andere (ihren Gegensatz an sich hätte und in sich trüge.

    6. Dem Begriff der  Einheit wird der Begriff der  Identität untergeschoben und aus diesem Gesichtspunkt die Kopula als Identifikationszeichen der verschiedenen Satzteile gedeutet.
Hiermit sind die hauptsächlichsten Arten von Sophismen, deren sich HEGEL bedient, um künstlich Widersprüche hervorzurufen, wo keine sind, aufgeführt, ohne behaupten zu wollen, daß sie hiermit erschöpft sind. Im Großen und Ganze bemühen sich diese Sophismen nur um den Nachweis von Widersprüchen in gewissen Begriffen oder Begriffsverknüpfungen und setzen dabei stillschweigend voraus, daß die Wirklichkeit diesen Begriffen konform sein muß. Diese Voraussetzung ist aber nur zulässig unter dem Gesichtspunt, daß sowohl das logische Denken als auch die Wirklichkeit widerspruchsfrei ist und unter den gleichen logischen Gesetzen steht; dagegen ist sie unzulässig, wenn das vernünftige Denken in sich notwendig Widersprüche erzeugt, wie HEGEL annimmt. Denn wenn das Denen in sich widerspruchsvoll wäre, so wären wir ganz außerstande, darüber ins Klare zu kommen, ob die Wirklichkeit widerspruchsfrei oder widerspruchslos ist, weil auch eine widerspruchsfreie Wirklichkeit von unserem widerspruchsvollen Denken sofort mit Widersprüchen durchtränkt werden müßte, und wir niemals wissen könnten, ob die bemerkten Widersprüche aus der Wirklichkeit oder aus unserem Denken herrühren. Nur wenn wir uns auf den Standpunkt eines verstandesmäßigen, widerspruchsfreien Denkens stellen, können wir den Versuch für nicht ganz erfolglos halten, Widersprüche in der Wirklichkeit aufzusuchen und zu konstatieren. Dieses Verfahren ist dann auch von verschiedenen Hegelianern eingeschlagen worden (z. B. von KARL ROSENKRANZ in seiner "Wissenschaft der logischen Idee", Bd. I, Seite 300-315; Bd. II, Seite 306-352), außerdem von dem Realdialektiker JULIUS BAHNSEN (vgl. meine "Philosophische Fragen der Gegenwart", Nr. XII). Diese Versuche bewegen sich ausnahmslos in den vergeblichen Bemühungen, reale Gegensätze, Konflikte oder Kollisionen, die nichts Widerspruchsvolles an sich haben, gewaltsam zu Widersprüchen aufzubauschen (vgl. weiter unten Abschnitt 7: "Der dialektische Fortschritt").

Die hegelsche Schule hat sich längst davon überzeugen müssen, daß die Zumutung, den Widerspruch als etwas Wirkliches und Notwendiges sowohl im Sein als auch im Denken anzuerkennen, ein geradezu unüberwindliches Hindernis für die Annahme und Verbreitung der hegelschen Dialektik bildet. Sie hat deshalb ihr Augenmerk darauf gerichtet, zwei Arten des Widerspruchs zu unterscheiden, die eine Art, welche der Verstand mit Recht als absurd verwirft und als Merkmal der Unwahrheit behandelt, und eine andere Art, welche von dieser Absurdität frei sein und sowohl die vernünftige Form des Denkens als auch des Seins darstellen soll. Man kann kaum eine Schrift der hegelschen Schule aus dem zweiten Menschenalter nach HEGELs Tod in die Hand nehmen, ohne einem emphatischen Ausdruck für die notwendige Unterscheidung dieser zwei Arten des Widerspruchs zu begegnen. Da sollte man doch nun meinen, daß solchen Verteidigern der hegelschen Dialektik nichts dringlicher erscheinen müßte als die genaue Abgrenzung dieser zwei Arten des Widerspruchs gegeneinander und die präzise Angabe der Merkmale, durch welche jede dieser Arten von der andern zu unterscheiden ist. Eine solche Abgrenzung und Definition würde man jedoch vergebens in der gesamten Literatur der hegelschen Literatur suchen. Sowie es sich darum handelt, den behaupteten Unterschied der beiden Arten von Widerspruch genauer zu bestimmen, ziehen sich die Herren hinter unbestimmte Redensarten zurück, die aus der hegelschen Phraseologie von Verstand und Vernunft entlehnt sind. Natürlich genug ist das; denn es gibt ja nur  eine  Definition des Widerspruchs, nicht zwei, und noch niemand hat versucht zu zeigen, daß und wie diese eine Definition sich in zwei Variationen spaltet, und wie es zugeht, daß deren eine das Absurde, die andere die höchste Wahrheit darstellen soll. Sieht man sich die angeführten Beispiele näher an, so läuft es immer wieder darauf hinaus, daß nur die eine Art des Widerspruchs, nämlich die absurde, der Definition des Widerspruchs gemäß ist, während die zweite Art des Widerspruchs, welche den innersten Kern der Wirklichkeit ausmachen soll, lediglich Gegensätze, Konflikte oder Kollisionen darstellt, bei denen die wesentlichsten Merkmale der Definition des Widerspruchs fehlen.

Was HEGEL die  Auflösung  des Widerspruchs nennt, ist nichts weniger als eine wirkliche Auflösung, welche in der Zerstörung des den Widerspruch erzeugenden Scheins besteht, sondern eine Sanktionierung und eine Einschachtelung des angeblich in seiner Einheit gedachten Widerspruchs in einen neuen Begriff, der zugleich seine Vernichtung und sein Fortbestehen repräsentieren soll. Durch dieses Wort "Auflösung" darf man sich also nicht täuschen lassen. Gewiß kommt es häufig genug vor, daß man auch ohne die Voreingenommenheit des Dialektikers, dem der Widerspruch das Manna in der Wüste des Verständigen ist, auf Widersprüche in den Dingen oder in den Begriffen zu stoßen glaubt, weil eben der Mensch dem Irrtum unterworfen ist, und aus irrtümlichen Voraussetzungen sehr leicht widerspruchsvolle Konsequenzen fließen, dann wird sich aber auch stets der hervorgetretene Widerspruch als der sichere Wegweise des falschen Weges darstellen, der zur Umkehr und zur erneuten Untersuchung und Berichtigung der Voraussetzungen und Konklusionen auffordert und hilft. Wenn die geforderte Verbindung zweier Begriffe unvollziehbar wird, weil einer ganz oder teilweise denselben Inhalt wie der andere, aber als negierten, enthält, so läßt dies erkennen, daß einer der beiden Begriffe (oder beide) entweder zu weit oder zu eng oder gleichzeitig nach einer Seite zu weit und nach der andern zu eng ist. Bleibt z. B. der eine Begriff unverändert, wird aber der anderer erweitert, so verhalten sie sich nunmehr wie Konkretes zu Abstraktem oder wie Spezies zum Genus, und die Negation der einen Spezies bedeutet nur noch die Position einer anderen Spezies desselben Genus (z. B. "unbewußte Vorstellung" ist ein Widerspruch, wenn "vorstellen" und "bewußt werden" identisch ist, wenn aber ersteres weiter ist als letzteres, so ist  unbewußte Vorstellung  nur diejenige Art von Vorstellung, welche kein Bewußtwerden ist. Vgl. KANTs Anthropologie § 5). Die Berichtigung der Begriffe kann entweder durch ein geschicktes Probieren erfolgen, wo man sich bei der neuen Annahme vorläufig beruhigt, bis man auf neue Widersprüche stößt, oder sie besteht systematisch in einer Kontrolle der Gewinnung der Begriffe. Wie HEGEL auch von der Natur des Begriffs denken mag, so räumt er doch ein, daß wir zu demselben nur durch eine Abstraktion von der sinnlichen Vorstellung gelangen (Werke VI, § 1), die Kontrolle der Gewinnung des Begriffs muß also eine Berichtigung entweder des Abstraktions- und Induktionsverfahrens oder der Erfahrungsbasis sein, aus welcher der Begriff entwickelt ist; letztere wiederum kann entweder in einer Erweiterung und Vervollständigung der Erfahrungsbasis durch neue Erfahrungen oder in einer Elimination falscher Erfahrungen bestehen, d. h. solcher Urteile, welche irrtümlicherweise für Erfahrungen gehalten wurden, ohne es zu sein. Dieses Verfahren hat nicht nur die Wissenschaft bisher mit dem segensreichsten Erfolg innegehalten, sondern das ist es auch, was das Tun und Lassen des Menschen in allen Lagen des Lebens in jedem Augenblick bestimmt. Die Prinzipien der Dialektik heben dieses Verfahren auf; denn wenn dem Widerspruch nirgends und auf keine Weise zu entgehen ist, so sind alle unsere Versuche, ihn zu eliminieren, sinnlos und die Bemühungen um eine Begriffsberichtigung zu diesem Zweck nutzlos und töricht in jeder Beziehung und für jeden Standpunkt. Die Dialektik erscheint demnach als eine Art der  faulen Vernunft,  die es vorzieht, den Widerspruch mit Haut und Haar zu verschlingen, als daß sie sich der Mühe unterzieht, ihn allmählich zu zersetzen und seine Existenz als falschen Schein nachzuweisen. Die Bequemlichkeit dieser Manier ist für den, welcher vor den ihm aufgestoßenen Widersprüchen einen Schreck bekommen hat, gewiß ein starker Impuls, sich der Dialektik in die Arme zu werfen, und wer weiß, ob nicht schon PLATO gelegentlich ein geheimens Lüstchen dazu verspürt hat. Es wirkt dieser Impuls der Trägheit und Bequemlichkeit sicherlich mit den oben betrachteten Impulsen (Sehnsucht nach dem Absoluten, Flucht vor dem Skeptizismus aus Schwäche und Eitelkeit) zusammen, um die Stärke des Wunsches und damit die Gefahr der Einbildung zu erhöhen, daß man das Denken - Wollen  des Widerspruchs für das Denken - als  Können  nimmt. Wenn aber der Satz vom Widerspruch durch die Behauptung, daß der Widerspruch in allem und jedem stekct und jegliches erst zu dem macht, was es ist, ein- für allemal und für  jeden  Standpunkt (also auch für den des Verstandes) seiner Geltung als Kennzeichen des Irrtums beraubt worden ist, so fällt damit die Möglichkeit von Wissenschaft und menschlichem Verkehr überhaupt. Es fällt z. B. die Methode der Mathematik, welche bisher zu allen Zeiten als das Unerschütterlichste gegolten hat, mit einem Schlag, als nur auf dem Satz des Widerspruchs beruhend, zusammen, und die Dialektik hätte erst die Möglichkeit zu zeigen, eine  neue  Mathematik nach ihrer Methode zu schaffen, die gleichwohl dieselben Resultate ergibt. Man denke sich als anderes Beispiel einen Dialektiker als Angeklagten im Kriminalprozeß, der sich nur in Widersprüchen verteidigt; welche Jury möchte ihn wohl freisprechen? Wenn ich im Gespräch das Wort "Hektor" höre und frage: "ist Hektor ein Mensch oder ein Hund", - vorausgesetzt nämlich, daß er eins von beiden sein muß, - und ich bekomme vom Dialektiker die Antwort: "Hektor ist nicht sowohl Mensch  oder  Hund, da er ebensowohl Mensch wie Hund, als auch weder Mensch noch Hund ist." Würde nicht jeder den Antwortenden für verrückt erklären, und wäre diese Antwort nicht ebenso rein formal und inhaltsleer wie die Antwort: "Hektor ist Hektor"? Wenn der Dialektiker über eine Planke oder über das Eis gehen will und erwägt, ob Planke oder Eis ihn tragen wird oder nicht, ob es halten wird oder brechen, wird er sich wirklich mit einer dialektischen Synthese dieser Alternative antworten, oder wird er nicht vielmehr innerlich dem verachteten Satz vom Widerspruch getreu denken: "Halten ist nicht brechen, und brechen ist nicht halten; hält es da, geh ich, bricht es da, bleib ich?" Mit einem Wort, der Dialektiker kann nicht leben, er muß am ersten Tag Hals und Beine brechen, oder wenn das Glück ihm wohl will, in ein Tollhaus gesperrt werden und dort verhungern, - wenn er nicht aufhört Dialektiker zu sein und praktisch das anerkennt und sich danach richtet, was er theoretisch verpönt. Wie inkonsequent es wäre, wenn der Dialektiker sich gegen diese Konsequenzen etwa damit auszureden suchen wollte, daß er die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch nur auf gewisse Gebiete beschränkt, ist bereits oben gezeigt worden; es ist daran festzuhalten, daß der Geist der Dialektik den Widerspruch auf allen Gebieten des Denkens und Seins als wesentlich und notwendig fordert, und daß neben diser notwendigen Voraussetzung, mit welcher die Dialektik selbst steht und fällt, die gegenteilige Versicherung, daß der Satz des Widerspruchs ebensowohl überall Geltung behalten soll, als einfach unmöglich und widersinnig unberücksichtigt bleiben muß.

Auf allen Gebieten der Wissenschaft und des Lebens steht also fest:
    1. widerspruchslose Behauptungen sind falsch und

    2. widerspruchsvolle Behauptungen können wahr, aber auch falsch sein, jedenfalls erfüllen sie das rein formale Kriterium der Wahrheit.
Ob sie aber ihrem Inhalt nach wahr oder falsch sind, dafür hat die Dialektik überhaupt kein allgemeingültiges Kriterium mehr (wie die Verstandeslogik es für die inhaltliche Falschheit am Widerspruch gegen die Erfahrung besitzt), sondern nur noch die subjektive Versicherung, ob  ich  finde, daß der Gang der objektiven Vernunft, welchem ich in meinem Gehirn zuschaue, mit jenen Behauptungen übereinstimmt oder nicht, ohne daß ich weiter angeben kann, wieso und warum die objektive Vernunft, von der ich besessen bin, diesen Gang einschlägt oder nicht. Ob also der größte  nonsens,  den ein Spaßvogel auftreiben kann, oder die tollste Idee, die je einen Wahnsinnigen besessen hat, Wahrheit sind oder nicht, dafür hat, da beide widerspruchsvoll sind, und beide vorgeben, die Einheit dieses Widerspruchs erfaßt zu haben, der Dialektiker kein Kriterium, sondern er muß zusehen, ob sie mit seinem subjektiven Finden übereinstimmt oder nicht. Dagegen beruth alles bisherige Denken und Tun der Menschen, welches, was HEGEL auch dagegen einwenden mag, allein auf der Aufrechterhaltung des Satzes vom Widerspruch und steht und fällt auch mit diesem. All das ist aber mit einem Schlag durch das formale Kriterium des Dialektikers zur Unwahrheit erklärt.

Wodurch, frage ich den Dialektiker, unterscheidet sich die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch von einer pathologischen fixen Idee? Der Arzt erkennt letztere daran, daß der Kranke eine widerspruchsvolle Behauptung, welche in seinem Interesse den ersten Platz einnimmt, festhält und, wenn er Verstand und Bildung genug hat, sie gegen die Einwendungen der geistig Gesunden mit dem höchsten Aufgebot an Scharfsinn und allen sophistischen Künsten verteidigt. Trifft dies beim Dialektiker nicht alles zu? Kann ein Psychiater darüber zweifelhaft sein, wo er diese eigentümliche historische Erscheinung unterzubringen hat?

So sind wir am Schluß dieses Kapitels wieder mit dem Anfang des vorigen zusammengekommen in der Aufhebung des Satzes vom Widerspruch, die dort mehr nach ihrer inneren Berechtigung, hier nach ihrer äußeren Stellung und ihren Folgen betrachtet wurde.

Fassen wir die Resultate dieser beiden Kapitel zusammen, so lauten sie folgendermaßen: Die Legitimation der dialektischen Methode schwankt zwischen dem Versuch, sich vor dem Verstand zu rechtfertigen, und der Inanspruchnahme einer unbedingten Voraussetzungslosigkeit. Was man als Voraussetzungen der Dialektik fassen könnte, sind
    1. das Absolute und
    2. das Durchdrungensein alles Existierenden vom Widerspruch.
Gesetzt, diese Voraussetzungen wären in sich wahr, so würden sie doch keineswegs zur Dialektik, sondern nur zum Skeptizismus und der Verzweiflung des Denkens an sich selber führen. Sie sind aber beide in sich unwahr. Das Absolute im hegelschen Sinn ist für das Denken nicht nur Nichts, sondern ein Unmögliches; nur eine mystische Gefühlssehnsucht kann sich mit ihm abquälen, die nimmermehr eine Voraussetzung für wissenschaftliche Prinzipien werden kann. Die Existenz der Widersprüche wird teils durch der Vernunft unwürdige, an Einseitigkeit unter dem Niveau des Verstandes stehende Sophismen bewiesen, teils durch Identifizierung verschiedener und entgegengesetzter Begriffe durch eine unberechtigte Verabsolutierung, in welcher sie zugleich verschwinden und bestehen sollen; kurz: der Widerspruch wird nur da gefunden, wor er zuvor begangen wurde. Die angeblichen Voraussetzungen, welche dazu dienen sollen, die Dialektik dem Verstand mundgerecht zu machen, erweisen sich also nicht nur als hierzu völlig ungeeignet und nichts begründend, sondern als unwahr in sich. Die Dialektik muß sie fallen lassen und sich ganz und offen zu der Voraussetzungslosigkeit bekennen, in der sie, als allein auf ihrer eigenen subjektiven Versicherung beruhend, ihre Haltlosigkeit und objektive Berechtigungslosigkeit anerkennt, so daß sie, von der Wissenschaft verstoßen und ausgeschlossen, mit ihren alle Grundlagen des Erkennens in Wissenschaft und Leben aufhebenden Prinzipien nur noch eine merkwürdige historische Erscheinung mit dem Charakter einer krankhaften fixen Idee bleibt.

(Wer die hegelsche Dialektik mit dem Bestreben vortragen will, sie populär und verständlich zu machen, der wird von der starren Voraussetzungslosigkeit des Vernunftstandpunktes absehen und sich an den Verstand wenden müssen mit dem Bemühen, diesem plausibel zu werden. Je strenger diese Richtung durchgeführt wird, desto flacher und flauer wird das Räsonnement [Argument - wp], desto wertloser die Resultate, die immer mehr jener mystischen Tiefe und Kraft entbehren. Gleichwohl kann die Dialektik den Vernunftstandpunkt, zu dem vom Verstand einmal schlechterdings kein Weg hinführt, nicht ganz fallen lassen, wenn sie noch irgendetwas Eigentümliches als Methode behalten will; sie kommt also dennoch aus dem Widerspruch, der im Begriff dieser Methode liegt, nicht heraus, außer wenn sie offen und ehrlich sich selbst aufgibt und zur Deduktion und Induktion zurückkehrt, was aber nicht damit geschehen ist, wenn man, wie KUNO FISCHER, das Wort "dialektische Methode" mit dem Wort "Methode der Entwicklung" vertauscht.)
LITERATUR - Eduard von Hartmann, Über die dialektische Methode, Bad Sachsa 1910
    Anmerkungen
    3) Der richtige Begriff des Absoluten ist der des Allumfassenden, nichts außer sich Habenden, Nichtrelativen, Unbedingten. Dieser Begriff des Absoluten schließt jedoch ein bloß potentielle Unendlichkeit des Vermögens und der Möglichkeit in sich, eine quantitative oder qualitative Unendlichkeit im aktuellen Sinn aus, weil er über Quantität und Qualität gleichmäßig erhaben ist. Er ist auch nichts weniger als unbestimmt, sondern sin seiner Substanz und Essenz durch und durch bestimmt, obwohl er mit Vollkommenheit in keinem Sinn des Wortes etwas zu tun hat ("Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus", zweite Auflage, Seite 310-312; "Kategorienlehre", Seite 178; "Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus", dritte Auflage, Seite 316-325). Von diesem richtigen Begriff des Absoluten kann man überhaupt nicht sagen, daß endliche Bestimmungen durch eine Steigerung und durch die Ablösung von ihnen in Beziehungen ihm irgendwie näher gebracht oder gar in ihm aufgehoben und versenkt werden.