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Über die dialektische Methode [4/5]
5. Der Widerspruch Unmöglich können wir im ganzen Verlauf der hegelschen Werke jede Stelle beleuchten, wo ein Widerspruch als existent behauptet wird; die Betrachtung kann sich vielmehr nur darauf beschränken, die Sophismen, welche jenes dartun sollen, zu klassifizieren und durch Beispiele zu erläutern. Da dieses Kapitel nur die Fortsetzung des vorigen ist und die von HEGEL behauptete Existenz der Widersprüche betrifft, insofern sie der Dialektik und Vernunft erst als Voraussetzung ihres Auftretens dienen soll, so sind wir auch während dieses ganzen Kapitels noch berechtigt, vom Dialektiker zu fordern, daß er sich bei der Betrachtung auf den Standpunkt des Verstandes stellt und seine göttliche Vernunft schweigen läßt, die offziell noch nicht da ist. 1. Es wird eine Voraussetzung gemacht oder eine Anforderung oder Aufgabe gestellt, welche der Zuhörer als scheinbar unverfänglich zugeben zu dürfen glaubt, indem er nicht bemerkt, daß sie bereits einen Widerspruch enthält. Natürlich ist es dann leicht, aus den Konsequenzen dieses Zugegebenen den Widerspruch explizit zu entwickeln, worauf der Zuhörer natürlich glauben muß, die entwickelten Widersprüche lägen in der Natur der behandelten Begriffe. Dies ist z. B. der Fall bei den von HEGEL gepriesenen eleatischen Sophismen über die Bewegung, wo die widerspruchsvolle Voraussetzung gemacht wird, daß das Kontinuierlich durch das Diskrete ausdrückbar ist, während sie doch heterogener sind als Metzen und Pfunde, die man auch nicht durcheinander ausdrücken kann (vgl. SCHELLING, Werke I, 1, Seite 285-286). Ein anderes Beispiel ist das Absolute. HEGEL erkennt sogar, wie wir oben gesehen haben, an, daß es ein Widerspruch ist, das Absolute im Bewußtsein fassen zu wollen; dennoch wird auf die Widersprüche Wert gelegt, die aus dieser widerspruchsvollen Voraussetzung, aus dem Versuch, das Unmögliche möglich zu machen, abgeleitet sind! Dies ist so wichtig für das Nächstfolgende, daß wir noch einen Augenblick dabei verweilen wollen. Es ist ein bekannter alter Satz, daß im Absoluten, wenn das Wort im Sinne eines unbestimmt Unendlichen verstanden wird, alle Unterschiede verschwinden. Natürlich, solange eine Bestimmung eine Bestimmtheit behält, in welcher sie besteht, solange ist sie nicht absolut; wenn die Bestimmungen aber wirklich im Absoluten sind, so haben sie ihre Bestimmtheit und die Beziehungen, in welchen sie bestanden, verloren und sind mithin für das Denken zunichte geworden. In dieser Unbestimmtheit des Absoluten sind also alle Bestimmungen verschlungen, als Nichtse sind sie mithin auch unterschiedslos, wie in der Nacht (als welche Hegel das Absolute in Werke I, Seite 177 bezeichnet) alle Katzen schwarz sind. "Denn das Unbestimmte ist Nichts für den Verstand und endet im Nichts" (Werke I, Seite 179); "denn wo keine Bestimmtheit ist, ist auch keine Erkenntnis möglich" (Werke VI, Seite 76). Will man sich nun nicht mit JACOBI dabei beruhigen, "als Schwärmer an diesem Anschauen des farblosen Nichts festzuhalten" (Werke I, Seite 251), alle Mannigfaltigkeit fester Bestimmungen zu bekämpfen und "alles Endliche im Unendlichen zu versenken", d. h. eben auf jedes Erkennen zu verzichten, will man trotzdem, daß die Bestimmungen nur dadurch im Absoluten sich identifiziert haben, daß sie darin zu Nichtse wurden und das einbüßten, worin sie bestanden, nämlich ihre Bestimmtheit, ich sage, will man trotzdem, wie HEGEL es tut, verlangen, daß in dieser Nacht der absoluten Unbestimmtheit Entgegengesetzte, also Bestimmungen unterschieden werden, daß die Bestimmtheit in ihrer totalen Vernichtung gleichzeitig totaliter aufrecht erhalten wird, will man die Anforderung stellen, daß dieses Absolute, welches als schlechthin Unbestimmtes für das Denken und Erkennen eben schlechthin Nichts ist, dennoch nicht nur Etwas, sondern sogar die Totalität alles Existierenden und als Existierendes unendlich ist, so stellt man lauter unmögliche, sich selbst widersprechende Aufgaben und braucht sich nicht zu wundern, daß alle Versuche, sie zu lösen, sich nur in Widersprüchen bewegen können. Man hat aber vielmehr zu fragen, was zu einem Verabsolutieren der Bestimmungen berechtigt, und da zeigt sich, daß sich kein wissenschaftliches Motiv hierfür anführen läßt, sondern nichts als jene oben erwähnte, sich selbst mißverstehende mystische Gefühlssehnsucht nach dem Absoluten. So berechtigungslos aber für das Denken das Verabsolutieren der Begriffe überhaupt ist, so erfolglos ist es natürlich zur Vermehrung der Erkenntnis, so wertlos ist jener Satz, daß im Absoluten alle Unterschiede verschwinden. HEGEL sieht diesen Mangel im Absoluten seiner Vorgänger vollständig ein, aber anstatt sich dadurch von demselben völlig loszusagen, sucht er dem Wertlosen dadurch einen Wert zu geben, daß er seine Leerheit mit dem Reichtum des Widerspruchs erfüllt, wobei er alle Vorteile des bisherigen Absoluten zu behalten und seine Mängel zu beseitigen wähnt, - nur schade, daß der Widerspruch, der dabei begangen ist, beide Seiten gleich illusorisch macht. (3) 2. Die Identität verschiedener oder entgegengesetzter Begriffe wird dadurch herbeigeführt, daß ihre Verschiedenheit oder ihr Gegensatz verabsolutiert wird. Bei diesem und allen folgenden Punkten handelt es sich nämlich wesentlich um den Nachweis der Identität zweier Begriffe, der Verschiedenheit jeder zugibt; denn mit dem Nachweis, daß die verschiedenen Begriffe identisch sind, ist natürlich der gewünschte Widerspruch da. Welchen Wert aber ein Widerspruch haben kann, den die Identifizierung der Begriffe durch eine Verabsolutierung erzeugt hat, ist soeben erörtert; nur dadurch wird der Widerspruch aufgezeigt, daß er begangen wird. Gleichwohl ist in aller Strenge dies die einzige ganz dem Geist der Dialektik entsprechende Art des Nachweises der Identität; denn da der Widerspruch nicht vom Verstand, sondern nur von der Vernunft gefaßt werden kann, die Reflexion aber nur insofern, als sie eine Beziehung auf das Absolute hat (Werke I, Seite 182), und nur durch diese Bezieung "Vernunft" ist (Werke I, Seite 178), so kann auch nur der auf das Absolute bezogene, der ins Absolute versenkte Widerspruch vereinigt und gefaßt werden; "in dieser Vereinigung" (durch die Vernunft) "bestehen zugleich beide" (Entgegengesetzte); "denn das Entgegengesetzte und also Beschränkte ist hiermit" (der Vereinigung) "auf das Absolute bezogen. Es besteht aber nicht für sich, nur insofern es im Absoluten, d. h. als Identität gesetzt ist" (Werke I, Seite 179). Nicht die Verschiedenheit überhaupt ist die Identität, sondern nur die absolute Verschiedenheit ist keine mehr (Werke VI, Seite 170-172; IV, Seite 32), ist absolute Identität; nicht als endliche Bestimmungen, sondern als unendliche, unbestimmte Bestimmungen, als unbegreifliche Begriffe (Werke I, Seite 284) sind die Verschiedenen identisch. Dem entspricht ganz der § 85 der "Enzyklopädie" (Werke VI, Seite 163-164), worin alle in der Logik zu durchlaufenden Momente als Prädikate oder Definitionen des Absoluten gesetzt werden. Das Absolute ist das Sein, das Absolute ist das Nichts, das Absolute ist das Werden usw. - Wenn aber dieses Versenken der Bestimmungen ins Absolute in der Tat das einzige Mittel ist, dessen die Dialektik sich in Wahrheit zur Identifizierung der Begriffe bedienen dürfte, so wirft dies ein eigentümliches Licht auf die ganze Behauptung, daß in allem Widersprüche sind; denn all diese vorgeblichen Widersprüche kommen ja erst hinein durch die ungerechtfertigte Verabsolutierung in Verbindung mit der unmöglichen Anforderung, die Bestimmtheit und Endlichkeit der Bestimmungen zugleich aufzuheben und zu erhalten. Mit jener Behauptung aber fällt wiederum, wie wir wissen, die einzige Voraussetzung, unter welcher überhaupt die Dialektik es wagen darf, sich in der Wissenschaft einführen zu wollen. Freilich aber ist die Dialektik nicht einmal imstande, dieses ihr Ideal durchzuführen; denn das Verabsolutieren läßt sich bei solchen Bestimmungen, die auf niedriger Abstraktionsstufe und der sinnlichen Anschauung näher, kein Mensch gefallen. Nur bei solchen Begriffen, welche durch ihre hohe Abstraktionsstufe der unmittelbaren Anschauung so entrückt sind, daß das Wort nur mit einem dunklen, schematischen und doch das Resultat der Abstraktion nicht recht deckenden Rest von Anschauung begleitet erscheint, nur da haben solche Kniffe einige Aussicht, zu reüssieren [Anerkennung finden - wp]. Bei den der vollen Anschauung näher stehenden Begriffen aber muß dieses Ideal der Dialektik aufgegeben und durch allerlei andere sogleich zu betrachtende Mittelchen ersetzt werden, welche aber alle umso leichter durchschaut werden, je näher man dem festen Boden der Vorstellung kommt, weshalb auch die dialektische Methode fast nirgends außer in der Logik so recht hat verfangen wollen. Als Beispiel der Identifizierung durch Verabsolutierung kann der Anfang der Logik dienen, der vom reinen Sein und dem Nichts handelt. "Jedes der beiden ist auf gleiche Weise das Unbestimmte" (Absolute) (Werke III, Seite 91), sie sind "schlechthin verschieden" (Werke VI, Seite 172), aber eben weil der Unterschied absolut ist, ist er "nicht anzugeben" (Werke III, Seite 91, "unsagbar" (Werke VI, Seite 172).
Bei Begriffen von niedrigerer Abstraktionsstufe genügt es meistens für HEGELs Zwecke, sie in Bezug auf ihre hauptsächlichste Seite oder Beziehung zu verabsolutieren oder überhaupt die Schranken der Bestimmung nach irgendeiner Richtung so zu erweitern oder zu überspringen, daß die Bestimmung aufgehört hat, das zu sein, was sie ihrer Bestimmung nach sein und bleiben muß. Auf diese Weise sind auch die Werke VI, Seite 155-156 angeführten Sprichwörter aufzufassen, welche allerdings in ihrer allzu konzisen Fassung etwas Paradoxes an sich haben, welche aber das Volk niemals so verstehen wird, als enthielten sie einen Widerspruch. Eben hierher gehört Lust und Schmerz. Beide haben im Wachstum eine quantitative Grenze, wo sie qualitativ andere werden, die Lust Schmerz, der Schmerz Anästhesie, wärhend nach abwärts beide zum Nullpunkt der Empfindung führen; aber dieses Verhalten ist physiologisch und wahrlich nicht dialektisch zu erklären, zumindest kann es der Dialektik keine Stütze bieten. Wir gehen nun zu den dialektischen Kniffen untergeordneter Art über, deren sich eigentlich die Dialektik nicht nur vor dem gesunden Verstand, sondern auch vor sich selbst zu schämen hätte, da sie nur dann, wenn sie mit verabsolutierten oder unbegreiflichen Begriffen arbeitet, wahrhafte Vernunft im hegelschen Sinne und über den Verstand erhaben ist. 3. Es werden die Beziehungen vertuscht, in welchen oder nach welchen zwei Begriffe identisch und verschieden sind. Daß die mit verschiedenen Worten verbundenen Begriffe in gewisser Beziehung verschieden sind, ist leicht genug zu zeigen, daß sie aber auch stets in gewissen Beziehungen gleich sein müssen, geht daraus hervor, daß sich stets eine höhere Gattung angeben lassen muß. der sie als gemeinsame Arten angehören, und sei es letzten Endes die Gattung "Begriff". Verwischt man nun die Beziehungen und stellt die Begriffe nur als überhaupt zugleich identisch und verschieden dar, so erweckt man durch diese Unterschlagung den Schein des Widerspruchs, wo gar keiner vorhanden ist; denn der Satz des Widerspruchs setzt nach der Formulierung des ARISTOTELES ausdrücklich die Position und Negation in derselben Beziehung voraus. Ein Beispiel bieten die Begriffe gleich und ungleich (Werke IV, Seite 42-43):
4. Beziehungsbegriffe werden mit aneren Beziehungsbegriffen in Relation gesetzt, und zwar mit solchen, daß die nunmehr von ihnen zu prädizierenden Beziehungsbegriffe ihnen selbst entgegengesetzt sind, so daß sie ihren eigenen Widerspruch an sich zu haben scheinen. Schon beim vorigen Beispiel (gleich und ungleich) spielte dieses Mittel in untergeordneter Weise mit herein, um die Verwirrung zu vermehren; doch war es dort nicht Hauptsache; in seiner Reinheit hingegen erscheint es im Beispiel der Begriffe "Identität" und "Verschiedenheit". Die verständig Denkenden sagen (Werke IV, Seite 33):
5. Bei solchen Beziehungsbegriffen, in welchen die beiden Bezogenen eine verschiedene Stellung einnehmen und nicht miteinander zu vertauschen sind, wie z. B. Eins und Viele, Ursache und Wirkung, oben und unten (Werke IV, Seite 70), Vater und Sohn (ebd.), in welchen also die Beziehung erst vollständig ist, wenn beide Seiten derselben gedacht werden, bei welchen mithein eine Seite der Beziehung für sich überhaupt nicht verstanden und begriffen werden kann als in stillschweigender Ergänzung der vollständigen Beziehung durch die andere Seite, bei solchen Beziehungsbegriffen wird von der Dialektik die untrennbare koordinierte Zusammengehörigkeit so gedacht, als ob bei der Betrachtung des Einen ihm das Andere, bei der Betrachtung des Anderen ihm das Eine subordiniert (unter ihm begriffen) wäre, und wird die Notwendigkeit, beim Denken der einen Seite der Beziehung dieselbe als Beziehung auf die vorausgesetzte und stillschweigend ergänzte andere Seite zu fassen, so gedeutet, als ob die eine Seite die andere an sich hätte oder in sich trüge, während sie diese doch bloß außerhalb von sich voraussetzt und nur gleichzeitig mit ihr begriffen werden kann, nur mit ihr zugleich im Denken hervorspringt. Sind nun die beiden Seiten der Beziehung Gegensätze, so wird durch jene Entstellung der Schein erweckt, als ob jede Seite ihren eigenen Gegensatz in sich trägt oder ihren Gegensatz an sich selber hat, was natürlich ein Widerspruch ist. Nehmen wir das Beispiel von Ursache und Wirkung (Werke IV, Seite 226):
HEGEL sucht nur die konstanten Bedingungen in der Ursache, verschließt aber seine Augen gegen die variablen. Er sieht demgemäß die als Ursache und Wirkung aufeinander Bezogenen nur in diskreten Dingen oder Sachen (Werke IV, Seite 227-228), nicht in deren variablen kontinuierlichen Zuständen oder Aktionen, welche doch allein in der Zeitbeziehung des "Vor und Nach" zueinander stehen können, die der Kausalität wesentlich ist. Er erklärt ferner, "die Anwendung des Kausalitätsverhältnisses auf Verhältnisse des physisch organischen und des geistigen Lebens" für "unstatthaft" (Werke IV, Seite 229) und sieht auf dem somit allein übrig bleibenden Gebiet der anorganischen Natur die Kausalität in der Erhaltung der lebendigen Kraft oder in einem Sichselbstgleichbleiben des Quantums der Bewegung (Werke IV, Seite 228). Aber selbst unter diesen Voraussetzungen wird doch noch HEGELs Behauptung falsch sein, daß der Inhalt in Ursache und Wirkung identisch ist (Werke IV, Seite 226 und 227); denn gerade die durch die Kausalität in jedem Moment gesetzte Formveränderung der als Quantum sich gleichbleibenden lebendigen Kraft (in Stoß, Wärme, Elektrizität, Chemismus usw.) ist der eigentliche Inhalt der als Ursache und Wirkung aufeinanderbezogenen, zeitlich aneinandergrenzenden Abschnitte des Naturprozesses, und dieser ist eben in der Wirkung ein anderer als in der Ursache. Der Vollständigkeit halber konnte diese Bemerkung bei dem gewählten Beispiel nicht unterlassen werden, so wie ich schließlich noch darauf hinweisen will, daß die ungerechtfertigte Kategorie der Wechselwirkung (nicht zu verwechseln mit dem aus der Relativität der Bewegung entspringenden mechanischen Begriff der Gegenwirkung), welche HEGEL für den höchsten Ausdruck der Kausalität erklärt, von SCHOPENHAUER (Welt als Wille und Vorstellung, dritte Auflage, Bd. I, Seite 544-549) richtig kritisiert ist, wenngleich er KANT bei dieser Kritik Ansichten unterstellt, die dieser gar nicht gehabt hat. Was von der Wechselwirkung bestehen bleibt, ist weder eine besondere Kategorie, noch auch nur eine Anwendung der vollständigen Kausalitätskategorie, sondern abstrakt herausgelöste kausale Teilbeziehungen. Auch dieses Sophisma beruth letzten Endes auf einer willkürlichen Einseitigkeit, die sich selbst mit dem Irrtum straft. Der Verstand nämlich faßt beide Seiten der Beziehung als Ganzes nebeneinander, die Dialektiv aber will jede Seite für sich betrachten und so lange die Augen für die andere verschließen; indem aber bei dem Wahn, daß dies möglich ist, unwillkürlich auch die andere Seite wieder vor dem Blick auftaucht, entsteht der Irrtum, daß diese andere Seite in der betrachteten enthalten ist. 6. Es wird der Einheit, die aus der Vereinigung, Verknüpfung oder Verbindung von Teilen zu einem Ganzen entspringt, die Identität, welche aus der Vergleichung entspringt, untergeschoben. Die Verwechselung von Identität und Einheit ist allerdings ein Mißbrauch, der schon bei SCHELLING anfängt; diese Vermischung von Begriffen, welche durch nicht mißzudeutende verschiedene Worte bezeichnet sind, ist aber auf keine Weise zu entschuldigen. Identität auf Deutsch "Dieselbigkeit" oder "Dasselbigkeit" ist seiner Wurzel nach mit dem aristotelischen Begriff tanton dasselbe. Schließt man das arithmo tanton aus, was aber gerade die strengste Bedeutung ist (wie in "Identität der Person"), so erhält man die deutschen Worte "Einerleiheit" und "Gleichheit" als entsprechende. Dies alles sind logische Beziehungen; ganz etwas anderes aber ist das reale Verhältnis der Einheit, Vereinigung, Verbundenheit, Zusammengehörigkeit, gleichviel ob es sich bei den zusammengehörigen Stücken umd Dinge oder Begriffe handelt. Es ist klar, daß, wenn man "Identität" bald in seinem wahren, bald in diesem ihm nicht zukommenden Sinn gebraucht, heillose Fehler in den Schlüssen zutage kommen müssen. - Als Beispiel kann die Verbindung von Subjekt und Prädikat im Urteil dienen. HEGEL erklärt das Verhältnis beider in Werke VI, Seite 331, § 170 richtig als das Verhältnis des Konkreten und Abstrakten, indem das Subjekt reicher ist und das Prädikat nur als eine seiner vielen Bestimmtheiten enthält, das Prädikat aber weiter und allgemeiner ist, zumindest nach der einen Beziehung seiner Bestimmtheit, und außer dem gegebenen Subjekt noch viele andere unter sich subsumiert. Dieses Verhältnis, daß das Subjekt eine solche Vorstellung ist, von der die Bestimmtheit, welche das Prädikat enthält, abstrahiert werden kann, dieses Verhältnis wird durch die Kopula in Verbindung mit der Stellung der Satzteile ausgedrückt und weiter nichts. Wenn von etwas die Rede sein soll, worin Subjekt und Prädikat identisch sind, so gibt HEGEL richtig an, daß "der bestimmte Inhalt des Prädikats allein die Identität beider ausmacht", wenn man unter Subjekt nicht bloß den allgemeinen Inhalt des als Subjekt fungierenden Wortes versteht, sondern das ganze Subjekt, wie es in dem durch das Urteil dargestellten objektiven Sachverhalt des besonderen Falles enthalten ist (z. B. in dem Satz: "der Teller ist zerbrochen" das Subjekt "Teller" als schon zerbrochener gedacht). Also nur in einem bestimmten Inhalt des Prädikats sind sie identisch, aber in nichts anderem. Nun fährt aber HEGEL in § 171 fort:
Wir haben somit folgende Mittel zur Erzeugung des Scheins des Widerspruchs kennengelernt:
2. Die Identifikation verschiedener oder entgegengesetzter Begriffe wird herbeigeführt durch das Verabsolutieren derselben in den Beziehungen, in welchen sie verschieden oder entgegengesetzt sind. 3. Die Beziehungen, in welchen zwei Begriffe identisch und verschieden sind, werden vertuscht und wird nur daran festgehalten, daß sie überhaupt zugleich identisch und verschieden sind. 4. Ein Beziehungsbegriff wird mit einem anderen Beziehungsbegriff in Beziehung gesetzt und zwar so, daß der nunmehr von ihnen prädizierte Beziehungsbegriff ihm selbst entgegengesetzt ist, so daß sie ihren eigenen Widerspruch an sich zu haben scheinen. 5. In einer Beziehung, deren beide Seiten nicht vertauschbar und nur nebeneinander denkbar sind, wird das Verhältnis so gedeutet, als ob die eine die andere (ihren Gegensatz an sich hätte und in sich trüge. 6. Dem Begriff der Einheit wird der Begriff der Identität untergeschoben und aus diesem Gesichtspunkt die Kopula als Identifikationszeichen der verschiedenen Satzteile gedeutet. Die hegelsche Schule hat sich längst davon überzeugen müssen, daß die Zumutung, den Widerspruch als etwas Wirkliches und Notwendiges sowohl im Sein als auch im Denken anzuerkennen, ein geradezu unüberwindliches Hindernis für die Annahme und Verbreitung der hegelschen Dialektik bildet. Sie hat deshalb ihr Augenmerk darauf gerichtet, zwei Arten des Widerspruchs zu unterscheiden, die eine Art, welche der Verstand mit Recht als absurd verwirft und als Merkmal der Unwahrheit behandelt, und eine andere Art, welche von dieser Absurdität frei sein und sowohl die vernünftige Form des Denkens als auch des Seins darstellen soll. Man kann kaum eine Schrift der hegelschen Schule aus dem zweiten Menschenalter nach HEGELs Tod in die Hand nehmen, ohne einem emphatischen Ausdruck für die notwendige Unterscheidung dieser zwei Arten des Widerspruchs zu begegnen. Da sollte man doch nun meinen, daß solchen Verteidigern der hegelschen Dialektik nichts dringlicher erscheinen müßte als die genaue Abgrenzung dieser zwei Arten des Widerspruchs gegeneinander und die präzise Angabe der Merkmale, durch welche jede dieser Arten von der andern zu unterscheiden ist. Eine solche Abgrenzung und Definition würde man jedoch vergebens in der gesamten Literatur der hegelschen Literatur suchen. Sowie es sich darum handelt, den behaupteten Unterschied der beiden Arten von Widerspruch genauer zu bestimmen, ziehen sich die Herren hinter unbestimmte Redensarten zurück, die aus der hegelschen Phraseologie von Verstand und Vernunft entlehnt sind. Natürlich genug ist das; denn es gibt ja nur eine Definition des Widerspruchs, nicht zwei, und noch niemand hat versucht zu zeigen, daß und wie diese eine Definition sich in zwei Variationen spaltet, und wie es zugeht, daß deren eine das Absurde, die andere die höchste Wahrheit darstellen soll. Sieht man sich die angeführten Beispiele näher an, so läuft es immer wieder darauf hinaus, daß nur die eine Art des Widerspruchs, nämlich die absurde, der Definition des Widerspruchs gemäß ist, während die zweite Art des Widerspruchs, welche den innersten Kern der Wirklichkeit ausmachen soll, lediglich Gegensätze, Konflikte oder Kollisionen darstellt, bei denen die wesentlichsten Merkmale der Definition des Widerspruchs fehlen. Was HEGEL die Auflösung des Widerspruchs nennt, ist nichts weniger als eine wirkliche Auflösung, welche in der Zerstörung des den Widerspruch erzeugenden Scheins besteht, sondern eine Sanktionierung und eine Einschachtelung des angeblich in seiner Einheit gedachten Widerspruchs in einen neuen Begriff, der zugleich seine Vernichtung und sein Fortbestehen repräsentieren soll. Durch dieses Wort "Auflösung" darf man sich also nicht täuschen lassen. Gewiß kommt es häufig genug vor, daß man auch ohne die Voreingenommenheit des Dialektikers, dem der Widerspruch das Manna in der Wüste des Verständigen ist, auf Widersprüche in den Dingen oder in den Begriffen zu stoßen glaubt, weil eben der Mensch dem Irrtum unterworfen ist, und aus irrtümlichen Voraussetzungen sehr leicht widerspruchsvolle Konsequenzen fließen, dann wird sich aber auch stets der hervorgetretene Widerspruch als der sichere Wegweise des falschen Weges darstellen, der zur Umkehr und zur erneuten Untersuchung und Berichtigung der Voraussetzungen und Konklusionen auffordert und hilft. Wenn die geforderte Verbindung zweier Begriffe unvollziehbar wird, weil einer ganz oder teilweise denselben Inhalt wie der andere, aber als negierten, enthält, so läßt dies erkennen, daß einer der beiden Begriffe (oder beide) entweder zu weit oder zu eng oder gleichzeitig nach einer Seite zu weit und nach der andern zu eng ist. Bleibt z. B. der eine Begriff unverändert, wird aber der anderer erweitert, so verhalten sie sich nunmehr wie Konkretes zu Abstraktem oder wie Spezies zum Genus, und die Negation der einen Spezies bedeutet nur noch die Position einer anderen Spezies desselben Genus (z. B. "unbewußte Vorstellung" ist ein Widerspruch, wenn "vorstellen" und "bewußt werden" identisch ist, wenn aber ersteres weiter ist als letzteres, so ist unbewußte Vorstellung nur diejenige Art von Vorstellung, welche kein Bewußtwerden ist. Vgl. KANTs Anthropologie § 5). Die Berichtigung der Begriffe kann entweder durch ein geschicktes Probieren erfolgen, wo man sich bei der neuen Annahme vorläufig beruhigt, bis man auf neue Widersprüche stößt, oder sie besteht systematisch in einer Kontrolle der Gewinnung der Begriffe. Wie HEGEL auch von der Natur des Begriffs denken mag, so räumt er doch ein, daß wir zu demselben nur durch eine Abstraktion von der sinnlichen Vorstellung gelangen (Werke VI, § 1), die Kontrolle der Gewinnung des Begriffs muß also eine Berichtigung entweder des Abstraktions- und Induktionsverfahrens oder der Erfahrungsbasis sein, aus welcher der Begriff entwickelt ist; letztere wiederum kann entweder in einer Erweiterung und Vervollständigung der Erfahrungsbasis durch neue Erfahrungen oder in einer Elimination falscher Erfahrungen bestehen, d. h. solcher Urteile, welche irrtümlicherweise für Erfahrungen gehalten wurden, ohne es zu sein. Dieses Verfahren hat nicht nur die Wissenschaft bisher mit dem segensreichsten Erfolg innegehalten, sondern das ist es auch, was das Tun und Lassen des Menschen in allen Lagen des Lebens in jedem Augenblick bestimmt. Die Prinzipien der Dialektik heben dieses Verfahren auf; denn wenn dem Widerspruch nirgends und auf keine Weise zu entgehen ist, so sind alle unsere Versuche, ihn zu eliminieren, sinnlos und die Bemühungen um eine Begriffsberichtigung zu diesem Zweck nutzlos und töricht in jeder Beziehung und für jeden Standpunkt. Die Dialektik erscheint demnach als eine Art der faulen Vernunft, die es vorzieht, den Widerspruch mit Haut und Haar zu verschlingen, als daß sie sich der Mühe unterzieht, ihn allmählich zu zersetzen und seine Existenz als falschen Schein nachzuweisen. Die Bequemlichkeit dieser Manier ist für den, welcher vor den ihm aufgestoßenen Widersprüchen einen Schreck bekommen hat, gewiß ein starker Impuls, sich der Dialektik in die Arme zu werfen, und wer weiß, ob nicht schon PLATO gelegentlich ein geheimens Lüstchen dazu verspürt hat. Es wirkt dieser Impuls der Trägheit und Bequemlichkeit sicherlich mit den oben betrachteten Impulsen (Sehnsucht nach dem Absoluten, Flucht vor dem Skeptizismus aus Schwäche und Eitelkeit) zusammen, um die Stärke des Wunsches und damit die Gefahr der Einbildung zu erhöhen, daß man das Denken - Wollen des Widerspruchs für das Denken - als Können nimmt. Wenn aber der Satz vom Widerspruch durch die Behauptung, daß der Widerspruch in allem und jedem stekct und jegliches erst zu dem macht, was es ist, ein- für allemal und für jeden Standpunkt (also auch für den des Verstandes) seiner Geltung als Kennzeichen des Irrtums beraubt worden ist, so fällt damit die Möglichkeit von Wissenschaft und menschlichem Verkehr überhaupt. Es fällt z. B. die Methode der Mathematik, welche bisher zu allen Zeiten als das Unerschütterlichste gegolten hat, mit einem Schlag, als nur auf dem Satz des Widerspruchs beruhend, zusammen, und die Dialektik hätte erst die Möglichkeit zu zeigen, eine neue Mathematik nach ihrer Methode zu schaffen, die gleichwohl dieselben Resultate ergibt. Man denke sich als anderes Beispiel einen Dialektiker als Angeklagten im Kriminalprozeß, der sich nur in Widersprüchen verteidigt; welche Jury möchte ihn wohl freisprechen? Wenn ich im Gespräch das Wort "Hektor" höre und frage: "ist Hektor ein Mensch oder ein Hund", - vorausgesetzt nämlich, daß er eins von beiden sein muß, - und ich bekomme vom Dialektiker die Antwort: "Hektor ist nicht sowohl Mensch oder Hund, da er ebensowohl Mensch wie Hund, als auch weder Mensch noch Hund ist." Würde nicht jeder den Antwortenden für verrückt erklären, und wäre diese Antwort nicht ebenso rein formal und inhaltsleer wie die Antwort: "Hektor ist Hektor"? Wenn der Dialektiker über eine Planke oder über das Eis gehen will und erwägt, ob Planke oder Eis ihn tragen wird oder nicht, ob es halten wird oder brechen, wird er sich wirklich mit einer dialektischen Synthese dieser Alternative antworten, oder wird er nicht vielmehr innerlich dem verachteten Satz vom Widerspruch getreu denken: "Halten ist nicht brechen, und brechen ist nicht halten; hält es da, geh ich, bricht es da, bleib ich?" Mit einem Wort, der Dialektiker kann nicht leben, er muß am ersten Tag Hals und Beine brechen, oder wenn das Glück ihm wohl will, in ein Tollhaus gesperrt werden und dort verhungern, - wenn er nicht aufhört Dialektiker zu sein und praktisch das anerkennt und sich danach richtet, was er theoretisch verpönt. Wie inkonsequent es wäre, wenn der Dialektiker sich gegen diese Konsequenzen etwa damit auszureden suchen wollte, daß er die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch nur auf gewisse Gebiete beschränkt, ist bereits oben gezeigt worden; es ist daran festzuhalten, daß der Geist der Dialektik den Widerspruch auf allen Gebieten des Denkens und Seins als wesentlich und notwendig fordert, und daß neben diser notwendigen Voraussetzung, mit welcher die Dialektik selbst steht und fällt, die gegenteilige Versicherung, daß der Satz des Widerspruchs ebensowohl überall Geltung behalten soll, als einfach unmöglich und widersinnig unberücksichtigt bleiben muß. Auf allen Gebieten der Wissenschaft und des Lebens steht also fest:
2. widerspruchsvolle Behauptungen können wahr, aber auch falsch sein, jedenfalls erfüllen sie das rein formale Kriterium der Wahrheit. Wodurch, frage ich den Dialektiker, unterscheidet sich die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch von einer pathologischen fixen Idee? Der Arzt erkennt letztere daran, daß der Kranke eine widerspruchsvolle Behauptung, welche in seinem Interesse den ersten Platz einnimmt, festhält und, wenn er Verstand und Bildung genug hat, sie gegen die Einwendungen der geistig Gesunden mit dem höchsten Aufgebot an Scharfsinn und allen sophistischen Künsten verteidigt. Trifft dies beim Dialektiker nicht alles zu? Kann ein Psychiater darüber zweifelhaft sein, wo er diese eigentümliche historische Erscheinung unterzubringen hat? So sind wir am Schluß dieses Kapitels wieder mit dem Anfang des vorigen zusammengekommen in der Aufhebung des Satzes vom Widerspruch, die dort mehr nach ihrer inneren Berechtigung, hier nach ihrer äußeren Stellung und ihren Folgen betrachtet wurde. Fassen wir die Resultate dieser beiden Kapitel zusammen, so lauten sie folgendermaßen: Die Legitimation der dialektischen Methode schwankt zwischen dem Versuch, sich vor dem Verstand zu rechtfertigen, und der Inanspruchnahme einer unbedingten Voraussetzungslosigkeit. Was man als Voraussetzungen der Dialektik fassen könnte, sind
2. das Durchdrungensein alles Existierenden vom Widerspruch. (Wer die hegelsche Dialektik mit dem Bestreben vortragen will, sie populär und verständlich zu machen, der wird von der starren Voraussetzungslosigkeit des Vernunftstandpunktes absehen und sich an den Verstand wenden müssen mit dem Bemühen, diesem plausibel zu werden. Je strenger diese Richtung durchgeführt wird, desto flacher und flauer wird das Räsonnement [Argument - wp], desto wertloser die Resultate, die immer mehr jener mystischen Tiefe und Kraft entbehren. Gleichwohl kann die Dialektik den Vernunftstandpunkt, zu dem vom Verstand einmal schlechterdings kein Weg hinführt, nicht ganz fallen lassen, wenn sie noch irgendetwas Eigentümliches als Methode behalten will; sie kommt also dennoch aus dem Widerspruch, der im Begriff dieser Methode liegt, nicht heraus, außer wenn sie offen und ehrlich sich selbst aufgibt und zur Deduktion und Induktion zurückkehrt, was aber nicht damit geschehen ist, wenn man, wie KUNO FISCHER, das Wort "dialektische Methode" mit dem Wort "Methode der Entwicklung" vertauscht.) ![]()
3) Der richtige Begriff des Absoluten ist der des Allumfassenden, nichts außer sich Habenden, Nichtrelativen, Unbedingten. Dieser Begriff des Absoluten schließt jedoch ein bloß potentielle Unendlichkeit des Vermögens und der Möglichkeit in sich, eine quantitative oder qualitative Unendlichkeit im aktuellen Sinn aus, weil er über Quantität und Qualität gleichmäßig erhaben ist. Er ist auch nichts weniger als unbestimmt, sondern sin seiner Substanz und Essenz durch und durch bestimmt, obwohl er mit Vollkommenheit in keinem Sinn des Wortes etwas zu tun hat ("Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus", zweite Auflage, Seite 310-312; "Kategorienlehre", Seite 178; "Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus", dritte Auflage, Seite 316-325). Von diesem richtigen Begriff des Absoluten kann man überhaupt nicht sagen, daß endliche Bestimmungen durch eine Steigerung und durch die Ablösung von ihnen in Beziehungen ihm irgendwie näher gebracht oder gar in ihm aufgehoben und versenkt werden. |