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FRIEDRICH ADOLF TRENDELENBURG
Logische Untersuchungen
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"In dieser ganzen Erörterung halten wir es für eine außerhalb der Sache gebildete Ansicht, daß Gattung und Exemplar sich feindlich gegenüberstehen und gleichsam auf einander Jagd machen. Vielmehr verwirklicht und erhält sich die Gattung in den Exemplaren und ist nichts außer denselben. Wer gäbe ihr ein selbständiges Dasein?"

"Nehmen wir indessen diese vermeintliche Feindschaft, die zwischen Gattung und Einzelnem gesetzt sein soll, vorläufig an. Es mag nun auf dem bezeichneten Weg die Aufgabe entstehen, den Widerspruch zu lösen. Dies soll dadurch zustande kommen, daß sich das Allgemeine im Einzelne und das Einzelne im Allgemeinen erkenne. Wie schlägt denn hier jene Befehdung des äußeren Daseins (das Exemplar geht an der Gattung unter, indem es sie fortpflanzt) urplötzlich in das Erkennen über?"

III.
DIE DIALEKTISCHE METHODE

1.Nach der metaphysischen Seite hat sich die Logik durch HEGEL umzugestalten unternommen. Seine dialektische Methode verspricht am großartigsten, das zu leisten, was wir in der formalen Logik vermißten. Sie tut kühn den Griff, das Denken und Sein in einer Einheit zu entwickeln und, wie sie sich ausdrückt, die Stufen darzustellen, auf denen sich das Denken zum Sein bestimmt. Wenn die formale Logik in der scharfen Trennung der Formen und des Inhalts ihre Größe sucht, so behauptet die dialektische Methode eine Selbstbewegung des reinen Gedankens, die zugleich die Selbsterzeugung des Seins sei. Wenn es eine solche Dialektik gibt, durch welche das sich selbst entfaltende Denken aus eigener Macht die innerste Natur der Dinge entfaltet: so haben wir daran die Fülle der Wahrheit und Gewißheit auf  einen  Schlag. Es obliegt uns daher, diesen dialektischen Weg zu untersuchen.

1. Es ist der Grundgedanke der hegelschen Dialektik, daß das reine Denken voraussetzungslos aus der eigenen Notwendigkeit die Momente des Seins erzeuge und erkenne. Das auf diesem Weg Gewonnene wird dann vorausgesetzt, und inwiefern es einseitig und beschränkt ist, wird gerade dadurch das Denken genötigt, den nächsten - gleichsam ergänzenden - Begriff zu gebären.

Wir rechten vorläufig mit diesem Standpunkt nicht; möge er durch die Phänomenologie gerechtfertigt sein. (1) Wir fragen zuerst: gibt es einen solchen voraussetzungslosen Anfang der Logik, in welchem das Denken nichts hat als sich selbst und alles Bild und alle Anschauung dergestalt verschmäht, daß es den Namen des reinen Denkens verdient?
    "Logisch  ist der Anfang, indem er im Element des frei für sich seienden Denkens, im reinen Wissen gemacht werden soll." Das Denken fängt nur mit sich selbst an.

    "Das  reine Sein  macht den Anfang, weil es sowohl reiner Gedanke, als das unbestimmte einfache Unmittelbare ist; der erste Anfang aber nichts Vermitteltes und weiter Bestimmtes sein kann."

    "Dieses reine Sein ist nun die reine  Abstraktion damit das  absolut Negative,  welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das  Nichts  ist."

    "Das  Nichts  ist als dieses Unmittelbare, sich selbst Gleiche, ebenso umgekehrt  dasselbe,  was das  Sein  ist. Die Wahrheit des Seins, so wie des Nichts, ist daher die  Einheit  beider; diese Einheit ist das  Werden."  (2)
Ist in diesem ersten Stadium das Denken rein in sich geblieben?

Wir wollen den vermittelnden Begriff der reinen Abstraktion, durch welche das Nichts gewonnen wird, und den vieldeutigen Begriff der Einheit, welcher das Werden ans Licht bringt, vorläufig dem reinen Denken als sein Eigentum zugeben. Vielleicht würden wir sonst auch bei diesen Begriffen etwas im Hintergrund entdecken, das jenseits des reinen Denkens liegt. Denn um zu abstrahieren, muß etwas vorausgesetzt sein, von dem man abstrahiert. Das reine Sein als die reine Abstraktion ist daher nur zu verstehen, inwiefern das Denken schon die Welt in sich besaß und sich aus derselben in sich allein zurückzog.

Wir fragen für jetzt nur, wie der eigentliche Fortschritt aus dem bloßen Denken geschehen konnte. Ist erst das Werden durch die Anschauung klar, so läßt sich in demselben ein Sein und Nichtsein leicht unterscheiden. Während z. B. der Tag wird, ist er schon und ist auch noch nicht. Wenn wir durch Zergliedern diese Momente im Werden finden, so ist damit keineswegs begriffen, wie sie ineinander sein können. Wer Stamm und Äste und Blätter des Baumes unterscheidet, hat damit das Rätsel noch nicht gelöst, wie die Glieder aus einem Gemeinsamen entstehen und durcheinander leben. Wir gehen daher in die Prämissen näher ein, aus denen das Werden verstanden werden soll.

Das reine Sein, sich selbst gleich, (3) ist Ruhe; das Nichts - das sich selbst Gleiche - ist ebenfalls Ruhe. Wie kommt aus der Einheit zweier ruhenden Vorstellungen das bewegte Werden heraus? Nirgends liegt in den Vorstufen die Bewegung vorgebildet, ohne welche das Werden nur ein Sein wäre. Da sowohl das reine Sein als auch das Nichtsein Ruhe ausdrückt, so kann folgerichtig die nächste Aufgabe des Denkens, wenn die Einheit beider gesetzt werden soll, nur die sein, eine ruhende Vereinigung zu finden. Wenn aber das Denken aus jener Einheit etwas anderes erzeugt, trägt es offenbar dieses Andere hinzu und schiebt die Bewegung stillschweigend unter, um Sein und Nichtsein in den Fluß des Werdens zu bringen. Sonst würde aus Sein und Nichtsein - diesen ruhenden Begriffen - nimmermehr die in sich bewegliche, immer lebendige Anschauung des Werdens. Es könnte das Werden aus dem Sein und Nichtsein gar nicht  werden,  wenn nicht die Vorstellung des Werdens vorausginge. Aus dem reinen Sein, einer zugestandenen Abstraktion, und aus dem Nichts, ebenfalls einer zugestandenen Abstraktion, kann nicht urplötzlich das Werden entstehen, diese konkrete, Leben und Tod beherrschende, Anschauung.

Dementsprechend ist die Bewegung von der Dialektik, die nichts voraussetzen will, unerörtert vorausgesetzt. Es zieht sich die Bewegung durch HEGELs ganze Logik hindurch, und wird doch erst in der Naturphilosophie in die Untersuchung gezogen. Man kann sagen und wird sagen, daß die Bewegung, die die Naturphilosophie zu betrachten habe, eine ganz  andere  Bewegung sei; die Bewegung der  äußeren  Natur unterscheide sich von der Bewegung des inneren Gedankens. Wenn dies behauptet wird, so wäre der Unterschied anzugeben - was nirgends geschehen ist. Wo indessen das Sein und das Nichtsein in ein Werden übergehen soll, da ist es gerade das Schema jener räumlichen Bewegung, durch das die Vorstellung überhaupt erst möglich wird; (4) und diese Bewegung begleitet selbst die Entstehung geistiger Begriffe. Wohin wir uns wenden, es bleibt die Bewegung das vorausgesetzte  Vehikel  des dialektisch erzeugenden Gedankens.

In der dialektischen Logik soll sich das Denken zum Sein bestimmen. An diesem Punkt entschließt sich also das Denken zum Werden. Aber was bestimmt denn das Denken? Das reine Sein ist das leere Sein, es ist nichts in ihm anzuschauen, nichts in ihm zu denken; und Sein und Nichts ist in ihm gleich geworden. Daher, heißt es, bestimmt sich das Denken zu einem Begriff, in welchem das eine in das andere übergeht. Aber dieses folgernde "daher" folgt gar nicht. Das reine Sein ist das leere, und das leere das reine. In dieser völligen Ausgleichung ist jeder Antrieb zum Fortgang oder Übergang erloschen. Die logische Reflexon der Gleichheit wird in eine reale Einheit umgesetzt (5). Wer würde an das Werden glauben, wenn es nur daher stammte?

Der Anfang der Dialektik ist später so aufgefaßt, als entspreche er dem Anfang der euklidischen Geometrie. Es heiße das Postulat der Logik: "denke", wie das Postulat der Geometrie: "ziehe eine gerade Linie." Beide Wissenschaften schreiten durch diese Tätigkeiten fort. Was in dem Gebot: "denke" liege, das werde vorausgesetzt und nichts mehr. Doch der Unterschied zwischen beiden Fällen stellt sich leicht heraus. Die Geometrie fordert etwas Einfaches; ein ebenso Einfaches gedachte die Dialektik zu fordern; darum bezeichnete sie ihre Forderung als  reines  Denken, - aber siehe, was geschieht; dieses reine Denken, das nur sich will, kann als das Einfache nicht fort; es zeigt sich im ersten Schritt mit einer Vorstellung verwachsen, in der man Raum und Zeit als Momente anerkennt; es ist also nicht das reine, vom äußerlichen Sein völlig losgekettete Denken.

Wenn demnach gleich anfangs die Bewegung samt Raum und Zeit von der dialektischen Methode stillschweigend vorweggenommen wird, so treten sie im Fortgang dem unbefangenen Beobachter noch deutlicher hervor und zwar in dem Abschnitt von der Quantität. (6) Da behauptet die Dialektik aus dem reinen Denken Begriffe zu erzeugen, wie die diskontinuierliche und diskrete, die extensive und intensive Größe; sie betrachtet ohne Anschauung des Raumes das Extensive, ohne Voraussetzung der Zeit das Intensive und die Zahl, ohne Bewegung das Verhältnis beider zueinander. Wer diese Begriffe rein logisch zu denken glaubt, der beachtet nur nicht die Anschauungen, von denen sie getragen werden. Die Spuren der Bewegung und des Raumes und der Zeit sind diesen Begriffen noch in den kleinsten Teilen eingedrückt. Ohne diese haben sie keine Klarheit. Alle Beispiele HEGELs führen darauf, und darunter selbst diejenigen, worin das Extensive und Intensive mehr eine übertragene Bedeutung hat. Wenn man diese Beispiele alle für Einzelheiten erklärt, die als solche dem logischen Begriff nicht rein entsprechen und schon mit fremder Zutat versetzt sind: so ehrt man dadurch freilich den dialektisch gebildeten Begriff als einzig in seiner Art, aber man vergißt, daß doch billig dasjenige, was allen Einzelheiten gemeinsame ist, auch im Begriff begründet sein muß; denn sonst ist der Begriff nichts als die über allen Dingen schwebende Wolke, die Klarheit nehmend, nicht gebend. Die Sprache bestätigt unsere Ansicht. Sie bewahrt in den Ursprüngen der Wörter ein Bewußtsein über die Vorstellung auf. Wie die Begriffe von allen, die den Namen bildeten oder annehmen, angeschaut wurden, das deutet der Name selbst an. Wenn nun die Sprache im Kontinuierlichen den fortlaufenden Zusammenhang, im Extensiven die sich verbreitende Ausdehnung, im Intensiven die sich in sich zusammenziehende Spannung der Teile bezeichnet: so legt sie offenbar die Anschauung des Raumes und der Bewegung zugrunde. Wer aufrichtig versucht, jene angeblich rein logischen Begriffe ohne die Anschauung der Bewegung und des Raumes und der Zeit zu denken, wird die Unmöglichkeit bald einsehen. (7)

Die räumliche Bewegung erscheint noch an anderen Stellen der Logik für den, der sie sehen will, deutlich genug. Oder kann man die Repulsion [Abstoßung - wp], durch die das Eine sich in Viele unterscheidet, und die Attraktion [Anziehung - wp], durch die sich das Eine in den Vielen auf sich selbst bezieht (8), kann man diese  Arten  der Bewegung, in denen sich nur noch der Gegensatz der Richtung ausgeprägt hat, ohne die allgemeine räumliche Bewegung verstehen? Dieselbe Attraktion und Repulsion kehrt, jedoch in den Worten verschleiert, im Kausalitätsverhältnis wieder. (9) In der objektiven Logik (10) tritt zwar der Mechanismus als eine zeitlose Kategorie auf. Druck und Stoß, (11) die Bewegung um ein Zentrum (12) sollen offenbar nur als abstrakte Beziehung des reinen Gedankens verstanden werden. Aber es wäre ein Kunststück, den Mechanismus (Stoß und Druck, Fall, Gravitation usw.) ruhend zu begreifen. Ohne die stille Hilfe der Vorstellung, die die räumliche Bewegung unterschiebt, wäre die Kategorie des Mechanismus nichts als ein regungsloses Wort. Wenn in der Idee der Prozeß des Lebens dargestellt wird (13), die Tätigkeit des Subjekts, die durch die Glieder durchgeht, die Aneignung einer gegenüberstehenden organischen Natur: so kennen wir den nicht, der diese Vorgänge ohne das Bild der räumlichen Bewegung auch nur ahnen könnte.

Diese räumliche Bewegung ist hiernach zunächst die Voraussetzung der voraussetzungslosen Logik. es ist nicht zu sagen, wieviel dadurch heimlich eingebracht ist - der ganze Reichtum der entwerfenden mathematischen Anschauung, die Klarheit eines begleitenden sinnlichen Bildes. Diese Voraussetzung ist in ihren Folgen unübersehbar. Denn die Bewegung erzeugt, sowie sie sich nur regt, ein Bild und führt dadurch unmittelbar in die Anschauung. Dadurch verfügt das reine Denken über ein Bild, das es braucht, wenn es seiner bedarf, und nach seinem Prinzip von sich stößt, wenn es sich in die stolze Abstraktion zurückzieht. 2. Wir haben bis hierher gegen die ausdrückliche Erklärung in der voraussetzungslosen Dialektik die Voraussetzung einer bedeutsamen Anschauung nachgewiesen, die sich mit ihren weit greifenden Folgen in die Erzeugung aller Begriffe still verwebt.

Der Anfang der Logik macht den Geist völlig zur leeren Tafel, aber nicht damit die zufällige Erfahrung sie mit allerhand Zügen beschreibe, sondern damit er darauf aus sich selbst die Züge ewiger Begriffe verzeichne. Welche  logische  Mittel hat denn die Dialektik, wenn wir von der vorausgesetzten Bewegung absehen, um aus dem leeren Sein durch die Mittelglieder der zwischenliegenden Geschlechter hindurch die absolute Idee zu erzeugen? Es müssen große Mittel sein, die den Gedanken aus der Leere schlechthin bis zur Fülle des Begriffs bringen, der die Welt in sich trägt. Zunächst bieten sich auf diese Frage zwei logische Wörter an, deren Geschicklichkeit am meisten mitwirkt, erstens die Negation oder Negativität, zweitens die Identität.

Der Begriff, der die Dialektik als der angeborene Trieb von Stufe zu Stufe fortzieht, ist die sich allenthalben herausstellende  Negation.  Inwiefern der eben erworbene Begriff durch seine eigene Natur in seine Negation umschlägt, inwiefern also die notwendige Aufgabe entspringt, das Positive mit dessen Negation zusammen zu denken: soll dieser entstandene Widerspruch durch einen dritten Begriff, den die Dialektik hervorbringt, gelöst werden. Bei einer tieferen Untersuchung verkehrt sich dieser positive Begriff wiederum in sein negatives Gegenteil, und dadurch wiederholt sich der beschriebene Vorgang einer neuen Geburt. Demnach ist die Verneinung der treibende Stachel der ganzen Bewegung.

Was ist aber das Wesen dieser dialektischen Negation? Sie kann eine doppelte Natur haben. Entweder sie ist rein logisch gefaßt, so daß sie schlechthin verneint, was der erste Begriff bejaht, ohne etwas Neues an die Stelle zu setzen, (14) oder sie ist real gefaßt, so daß der bejahende Begriff durch einen neuen bejahenden Begriff verneint wird, inwiefern beide aufeinander bezogen werden müssen. (15) Wir nennen jenen ersten Fall die logische Negation, diesen zweiten die reale Opposition.

Kann nun die logische Negation, fragt sich weiter, einen solchen Fortschritt des Gedankens bedingen, daß ein neuer Begriff entsteht, der die sich rein ausschließende Bejahung und Verneinung in sich positiv verbindet? Dies kann nicht gedacht werden. Weder zwischen, noch über beiden Gliedern des Gegensatzes gibt es ein Drittes. Die Bejahung schlechthin und die Verneinung desselben Satzes schlechthin können keinen Frieden schließen, weil sie die Möglichkeit einer Verständigung nicht in sich tragen. Die logische Negation wurzelt dergestalt im Denken allein, daß sie sich rein und ohne Träger nirgends in der Natur finden kann. Weil der bejahende Begriff Anspruch auf Wirklichkeit macht und der schlechthin verneinende nur in der entgegenstemmenden Gewalt des die Anerkennung versagenden Gedankens liegt: so ist es weder denkbar, daß sich der bejahende reale Begriff bis zu dieser absoluten Vernichtung selbst verwandeln sollte, noch irgendwie erklärlich, wie eine Vereinigung zustande kommen könnte. (16) Daher ist es dann auch mehrfach für ein Mißverständnis erklärt, wenn man die dialektische Negation zur kontradiktorischen gemacht hat. (17)

Wir haben demnach unter der den dialektischen Fortschritt bedingenden Verneinung die reale Opposition zu verstehen, die Position ansich ist und nur Negation in Bezug auf den ersten, entgegenstehenden Begriff. Hier tritt nun eine andere Schwierigkeit ein. Läßt sich die reale Opposition auf bloß logischem Weg gewinnen? Inwiefern in ihr etwas Neues gesetzt wird, schiebt sich immer die setzende Anschauung unter. Wir haben bereits oben gezeigt (18), daß sich logisch nicht einmal ein Merkmal auffinden läßt, woran man den konträren Begriff erkennen könnte. Zur Beseitigung oder Bestätigung dieses Zweifels fragen wir näher nach dem Faktum. Wie gelangt die dialektische Methode zum negativ entgegenstehenden Begriff? In vielen Fällen, müssen wir behaupten, durch eine  reflektierende  Vergleichung, so hoch sich auch die Dialektik über die Reflexion erhoben zu haben meine.

Der oben mitgeteilte Anfang der ganzen dialektischen Entwicklung liegt als das nächste Beispiel vor. (19) Das reine Seine setzt sich in das Nichts um, weil das reine Sein als solches nichts als eine Abstraktion und daher nur durch die Negation entstanden ist. Es gibt also kein reines Sein, es ist nichts. das Nichts ist hier nur gewonnen, inwiefern das reine Sein des Denkens mit dem vollen Sein der Anschauung verglichen ist. Das Denken hat also etwas anderes außer der ersten Bestimmung in seinem Busen versteckt (die Anschauung des vollen Seins) und gewinnt die neue Bestimmung durch reflektierende Vergleichung mit diesem unrechtmäßigen Begriff. Daß dabei zugleich das logische:  nicht  (das reine Sein ist nicht) zu einem gleichsam realen und als Etwas gesetzten und angeschauten  nichts  hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] wird, setzen wir vorläufig beiseite.

Ein anderes Beispiel bietet der Begriff der  Veränderung.  (20)
    "Die Qualität als  seiende  Bestimmtheit gegenüber der in ihr enthaltenen  Negation  überhaupt ist  Realität Indem die Negation aber nicht mehr das abstrakte Nichts, sondern ein Dasein und Etwas ist, so ist die Negation nur Form an demselben, - und sie ist das  Anderssein.  Die Qualität, indem dieses Anderssein ihre eigene Bestimmung, aber zunächst von ihr unterschieden ist, ist  Sein-für-anderes,  eine Breite des Daseins, des Etwas. Das Sein der Qualität als solches gegenüber dieser ihrer Beziehung auf Anderes ist das  Ansichsein - Aber das von der Bestimmtheit als unterschieden festgehaltene Seine, das  Ansichsein,  wäre nur die leere Abstraktion des Seins. Im Dasein ist die Bestimmtheit eins mit seinem Sein, welche nun zugleich als Negation gesetzt,  Grenze, Schranke  ist. Daher ist das Anderssein nicht ein gleichgültiges außer ihm, sondern sein eigenes Moment.  Etwas  ist durch seine Qualität hiermit erstens  endlich,  und zweitens  veränderlich,  so daß die Veränderlichkeit seinem Sein angehört."
In dieser Ableitung wird dem Ansichsein das Anderssein als dessen Negation entgegengestellt. Das Dasein als begrenzt schließt die Negation in sich ein oder hat durch seine Grenze die Negation an sich. Das Sein jenseits der Grenze, verglichen mit dem Ansichsein innerhalb der Grenze, ist das Anderssein. Dieses berührt das Etwas an der Grenze. Da die Grenze als wesentliche Bedingung zum Etwas gehört, so ist das  Anderssein  mit dem Etwas innerlich eins - als ein eigenes Moment, d. h. es ist veränderlich. Woher weiß aber das dialektische Denken, das für uns jetzt nur das Etwas betrachtet, durch dieses Etwas von einem Etwas außerhalb der Grenze? Hier greift zunächst die umfassendere Anschauung hinein und sodann die reflektierende Vergleichung, die das Etwas jenseits der Grenze mit dem ersten Etwas zusammenstellt und als Anderssein bezeichnet. Der Übergang des Etwas in das Anderssein stammt nicht aus der Vergleichung dessen, was innerhalb und außerhalb der Grenze ist - denn in der Vergleichung wird beides als ruhend gedacht; und nach den Prämissen hat das Etwas das Anderssein nur in der Berührung neben sich und im eigentlichen Sinne nur an sich. Daß es in dasselbe aufgenommen wird und daß dadurch der Übergang des Ansichseins in das Anderssein zustande kommt, und die Veränderung als "dem Sein angehörend" und demselben durch den eigenen Begriff gleichsam eingeboren erkannt wird: dazu liegt in den vorangehenden, erzeugenden Begriffen kein Grund. Die Prämissen scharf gefaßt gebieten vielmehr die Trennung; denn die Grenze bildet allein die Vermittlung, in der sich das Etwas und Anderssein berühren; und die Grenze, diese Gemeinschaft im Punkt, ist ihrem Wesen nach ebensosehr ausschließende Abwehr als Berührung. Etwas und Anderssein liegen durch die scheidende Grenze ruhig nebeneinander. Warum bleibt das Anderssein nicht draußen? oder woher denn der Übergang des Etwas in das Andere? Die Vorstellung der räumlichen Bewegung, die schon im Werden erschien, spielt hier von Neuem mit. Aber das Werden war ja im Dasein überwunden. Es tut nichts. Der überwundende Feind rebelliert. Die Bewegung des Werdens durchbricht die Grenze des Daseins und wird dadurch Veränderung. Dann ist jedoch diese nicht dadurch entstanden, weil "das Anderssein nicht ein Gleichgültiges außer dem Etwas, sondern sein eigenes Moment" ist. Vielmehr ruht sie dann auf einem Zwiespalt zwischen dem Werden und der Grenze.

Der entgegengesetzte Begriff (das negative Moment) wird an anderen Stellen (21) durch eine vorgreifende, sich dazwischenschiebende Anschauung gewonnen, wie sie schon bei der reflektierenden Vergleichung mitwirkte. Sie reißt in den entscheidendsten Augenblicken das reine Denken mit sich fort und führt es dahin, wohin es durch sich allein nie gelangen würde.

Zunächst bezeichnen wir hier eine an vielen Stellen wiederkehrende Deutung der Negation, die, in sich unlogisch, nur durch eine sich unterschiebende verwandte Anschauung etwas Schein gewinnt. Wir finden sie zuerst im  Fürsichsein. 

Indem das Etwas im Andern mit sich selbst zusammengegangen ist, (22) ergibt sich das  Fürsichsein.  Da dies nur auf sich bezogen ist, wird es dadurch das  Eins. 
    "Das Fürsichsein als Beziehung auf sich selbst ist  Unmittelbarkeit,  und als Beziehung des Negativen auf sich selbst ist das Fürsichseiende oder das  Eins  - das in sich Unterschiedslose und damit das  Andere  aus sich  Ausschließende." 

    "Die Beziehung des Negativen auf sich selbst ist eine  negative  Beziehung, eine Unterscheidung des Eins von sich selbst, die  Repulsion  des Eins d. h. ein Setzen  vieler Eins.  Nach der  Unmittelbarkeit  des Fürsichseins sind diese viele  Seiende,  und die Repulsion der seienden Eins ist insofern ihre Repulsion  gegeneinander  als vorhandener oder gegenseitiges  Ausschließen." 

    "Die  Vielen  sind aber das Eine, was das Andere ist, jedes ist Eins oder auch Eins der Vielen; sie sind daher ein und dasselbe. Oder die Repulsion an ihr selbst betrachtet, so ist sie als negatives  Verhalten  der vielen Eins gegeneinander ebenso wesentlich ihre  Beziehung  aufeinander; und da diejenigen, auf welche sich as Eins in seinem Repellieren bezieht, Eins sind, so bezieht es sich in ihnen auf sich selbst. Die Repulsion ist daher ebenso wesentlich  Attraktion;  und das ausschließende Eins oder das Fürsichsein hebt sich auf."
Diese Entwicklung ist von  einer  Seite einfach. Das Eins stößßt sich von sich ab und entzweit sich dadurch in viele; dieses Viele geht aber durch die Anziehung in die Einheit zurück. Repulsion und Attraktion sind hier die Mächte der Entwicklung. Wir lassen dabei auf sich beruhen, was oben bereist nachgewiesen ist. Es sind nämlich Attraktion und Repulsion besondere Richtungen der allgemeinen räumlichen Bewegung. Das abstrakte Denken ignoriert zwar das Bild der räumlichen Bewegung, aber macht diese konkrete Anschauung heimlich zu seinem Vehikel. Ohne die begleitende Vorstellung der räumlichen Bewegung ist die Repulsion und Attraktion innerhalb des Eins völlig unverständlich. Es kommt hier indessen darauf an, wie die Repulsion gewonnen ist. Die Attraktion fällt der Untersuchung der Identität anheim, die Repulsion der Negativität.

Die Beziehung des Negativen auf sich bildet das Eins. Das Andere erschien nämlich als die Negation des Etwas. Indem aber das Etwas im Anderen sich selbst wiederfindet, bezieht es sich in dieser Negation der Negation auf sich selbst. Diese Beziehung des Negativen auf sich selbst wird ohne weiteres zur negativen Beziehung erklärt, d. h. wie hinzugesetzt wird, Unterscheidung des Eins von sich selbst, die Repulsion des Eins, das Setzen vieler Eins. Da die Negation der Negation, die Beziehung des Negativen auf sich selbs, die Position herstellt, sieht man nicht ein, wie nun plötzlich die Beziehung des Negativen auf sich, diese Bedeutung vergessend, sich gegen sich selbst kehrt und zu einer solchen negativen Beziehung wird, welche das eben hergestellt Ganze in sich selbst "zersplittert." (23) Die Beziehung des Negativen auf sich bezieht gerade das Sein auf sich selbst und umschließt es zur Einheit eines Ganzen. Sie ist das Moment der Totalität. Wie kann sie sich denn plötzlich zur negativen Beziehung umsetzen? Es erscheint nirgends der dialektische Impuls zur "Unterscheidung des Eins von sich selbst." Oder bricht die Veränderung aus dem zweiten Stadium wieder durch? dann fehlt das Abstoßen von sich. Denn die Veränderung war  vor  dem Eins des Fürsichseins.

Gesetzt aber, wir geben die negative Beziehung zu, erhellt sich dann die "Unterscheidung des Eins von sich selbst?" Ist negative Beziehung gleich Repulsion von sich?
Die Negation ist ein logischer Begriff, die Repulsion ein realer. Inwiefern entsprechen sich beide? Es ist wohl zu verstehen: etwas wird verneint und diese Verneinung wird verneint. Was heißt es aber: das Eins verneint sich in sich selbst? Es ist völlig unbegreiflich, wenn sich nicht die Anschauung unterschiebt: das Eins stößt sich von sich ab. Allerdings ist die logische Verneinung mit der realen Repulsion verwandt. Sie entspricht jener Abweisung des Fremden, welche mit der Selbstbehauptung des Bestimmten eins ist. Daraus folgt aber gar nicht, daß die negative Beziehung auf sich selbst in eine Repulsion von sich selbst verwandelt werden kann. Und wenn es geschieht, so hat sich eine reale Anschauung untergeschoben, die mit dem logischen Ausdruck der negativen Beziehung aus sich nichts gemein hat. Zwischen der Negation und der Repulsion besteht nur eine vage Analogie der Vorstellung, ehe die Bewegung im Allgemeinen, der die Repulsion unter sich befassende Begriff, ist entwickelt worden. Auf diese Notwendigkeit läßt sich weder der vorangehende, noch der nachfolgende Teil der Logik irgendwo ein. Die Bewegung und zwar das räumliche Bild derselben, wie auch in der Repulsion dieses und kein anderes angeschaut wird, ist die unbegründete und darum allenthalben schwankende Voraussetzung der Dialektik und der erste Fehler tritt immer wieder zutage.

Es liegt im Begriff: das Eins stößt sich von sich selbst ab, nicht eine einfache Vorstellung der Mechanik, wie es scheinen möchte, sondern schon der schwierige Gedanke einer freien Tätigkeit aus sich selbst, einer rein aus sich und auf sich selbst wirkenden Substanz. Werden diese großen Begriffe so leicht gewonnen?

Dieselbe Mißdeutung der Negation kehrt unter kaum veränderter Gestalt an vielen Stellen wieder.

Ein Beispiel bietet der Begriff des Unterschiedes. Das Wesen ist bestimmt als das Sein durch Aufheben der Vermittlung mit sich vermittelt, somit als die reflektierte Identität mit sich. "Das Wesen," heißt es weiter, (24) "ist nur reine Identität und Schein in sich selbst, als es die sich auf sich beziehende Negativität, somit ein Abstoßen seiner von sich selbst ist; es enthält also wesentlich die Bestimmung des Unterschiedes." Sollte die sich auf sich beziehende Negativität nichts anderes bezeichnen, als die Entstehung aus der aufgehobenen Negation, so daß dieses Wesen die Negation noch in sich trägt, so würde durch diese Bestimmung nichts Neues hervorgehen. Es wird daher anders gefaßt und willkürlich in die Anschauung umgesetzt: das Wesen stößt sich von sich selbst ab.

Andere Beispiele finden sich da, wo das Ganze in die Kraft übergeht (25), wo sich die Substanz in die Akzidenzien absetzt (26), wo die Substanz in der Kausalität sich als das Negative ihrer selbst setzt, (27) endlich, wo sich das Allgemeine des kategorischen Urteils in die Unterschiede des hypothetischen entzweit (28). Der Gegenstoß in sich selbst ist auf den ersten Blick eine vorgefaßte Analogie der Mechanik, aber tiefer erforscht die Wirkung einer freien Selbstbestimmung - denn die Masse sollizitiert [nötigt - wp] sich selbst - und ohne diese ein unverständliches Wort. So viel wird hier unter dem logischen Schein der reinen Negativität eingeführt.

Verfolgen wir weiter die vielwirkende Negation aus dem abstrakten Reich der Logik in ein konkreteres Gebiet. Das  Verhältnis des Geistes zur Natur  ist eine der größten Fragen der Philosophie. Sie wird folgendermaßen bestimmt.
    "Der Begriff des Geistes," so wird erklärt (29), "kann nur aufgestellt werden, indem sein Verhältnis zur Natur betrachtet wird. Weil es das Wesen der Natur ist, der entäußerte Gedanke zu sein, die Weise des Außersichseins aber dem Begriff des Gedankens nicht entspricht, eben deswegen läßt die Natur das stete Streben erkennen, die Form des Auseinanders abzustreifen, zu sich selbst zu kommen. Die schwere Materie sucht fortwährend ein Zentrum. Dieses Zentrum ist ein mathematischer Punkt, d. h. die vollständige Negation des Auseinanders. Alles in der Natur strebt so, sein Auseinander zu vernichten, zu seinem Zentrum zu kommen. Gelänge es der Natur, ihr Zentrum zu erreichen, so wäre sie nicht räumliche Existenz, d. h. nicht mehr Natur." - -

    "Die Natur ist also der erstarrte Gedanke, der nicht dazu kommt, sich zu finden, bei sich zu sein." - -

    "Zu dieser Aufhebung (Idealität) des Auseinanders, zu welcher es in der Natur nicht kommen kann, kommt der Gedanke in der Sphäre des Geistes, ja der Geist ist selbst nichts anderes, als diese Idealität, daß das Auseinander negiert ist. So ist das Wesen des Geistes, Negation der Natur zu sein, und eben als sie aufhebend, ihre  Wahrheit.  War nun das Wesen der Natur Außersichsein, so ist das Wesen des Geistes Beisichsein. Der Geist sucht nicht sein Zentrum, sondern hat es gefunden, ist Bewußtsein, Ich; so ist er nicht nur gedachter, sondern zugleich sich und anderes denkender Gedanke. Wir sind (göttliche) Gedanken, die zugleich denken, sind Subjekt und Objekt des Denkens zugleich. Ist dies aber das Wesen des Geistes, so kann als sein Begriff nichts anderes angegeben werden, als dieses Insichsein oder Beisichsein, d. h. die Freiheit. Der Begriff des Geistes ist Freiheit, weil er bei sich ist."
In dieser Ableitung ist der Geist als die Negation der Natur bestimmt und zwar, wie sich deutlich erhellt, nicht als eine logische Verneinung, die nur vernichten, aber nicht auf eine höhere Stufe erheben, noch den Widerspruch der Natur, außer sich zu sein und doch sich selbst zu suchen, lösen würde. Die Negation ist das Entgegengesetzte und zugleich Höhere. Wie gewinnt nun die Dialektik dieses Höhere, das zwar die niedere Stufe der Natur verneint, also nach der verneinenden Seite bestimmt ist, zugleich aber etwas in sich selbst Bestimmtes (Positives) ist, das jenseits der logischen Verneinung liegt? Die mitgeteilte Stelle erläutert dieses Neue am Gegensatz der Präpositionen:  außer  und  bei.  Die Natur ist außer sich, der Geist ist bei sich. Zuerst ist dabei offenbar der Gegensatz dieser Richtungen aus der Anschauung vorweggenommen. Es ist die Klarheit der räumlichen Abmessungen, aus welcher diese Wechselbeziehung stillschweigend geschöpft ist. Das Außen ist dem Innen, das Außer-sich-sein dem In-sich-(bei sich)sein so augenscheinlich entgegengesetzt, daß die negierende Dialektik ihre Verneinung zu diesem Gegenteil leichthin steigert. Immer aber muß es trotz dieser Klarheit hervorgehoben werden, daß der positive Gegensatz als solcher von der bloßen Negation nicht erreicht werden kann. Der Gegensatz ist gleichsam die im Wirklichen verdichtet und durch die Gewalt des Wirklichen vollzogene Verneinung. Dieses Wirkliche als der Träger der Negation schleicht sich leise mit der gewonnenen Negation ein, weil in der Welt der gewöhnlichen Vorstellung, in der es für sich nichts Abstraktes gibt, das Abstrakte mit den lebendigen Kräften verknüpft ist. Jedenfalls entdecken wir in der dem Außersichsein entgegengesetzten Vorstellung des Beisischseins einen Griff der vorausstrebenden Anschauung. Bei näherer Untersuchung zerrinnt uns indessen von einer anderen Seite die eben gepriesene Klarheit des Gegensatzes. Das Außersichsein der Natur ist die räumliche Ausdehnung und die materielle Verkörperung, und das ist die eigentliche und erste Bedeutung des Außer. Sollte nun das Insich- und Beisichsein der wirkliche durch die unmittelbare Anschauung ergriffene Gegensatz sein, so müßten wir auch hier die räumliche Bedeutung erkennen. Denn, wie schon ARISTOTELES bemerkt, der Gegensatz findet sich immer innerhalb desselben Geschlechts, desselben Gebietes. Hier ist indessen die ganze Szene verwechselt. Das Beisichsein, das sich den Schein eines räumlichen Gegensatzes gibt, wird verstanden, wie man es in übertragener Bedeutung versteht. Diese übertragene Bedeutung versteht man aber nur, wenn man schon  vorweg  eine Vorstellung des sich aus sich bestimmenden Geistes hat. Wenn man das Beisichsein, das durch den Gegensatz klar sein soll, alsbald mit der Freiheit gleichsetzt, wenn man sodann diesen Begriff der Freiheit als Grundbegriff des Geistes zum Maßstab der weiteren Entwicklung macht (30): so ist das alles nach dem Vorhergehenden kein Schritt der sich aus sich bewegenden Dialektik, sondern ein Sprung der Vorstellung anhand der kühnen Sprache.

Der Geist als Negation der Natur wird durch den Übergang von der Natur zum Geist noch eigentümlicher bestimmt. (31) Der Übergang ergibt sich durch den Gattungsprozeß als den höchsten Naturprozeß. Inwiefern die Betrachtung desselben zu einem Fortschritt ins Unendliche führt, wird dieser Widerspruch durch den Begriff des Geistes gelöst. Das Wesentliche ist darin Folgendes.

Gattung und Exemplar stehen sich einander gegenüber. Die Gattung erzeugt sich und ihr Erzeugnis ist ein Einzelnes (Exemplar). Das Einzelne steigert sein Dasein, indem es seine Begierde am anderen Geschlecht befriedigt. Es unterliegt aber gerade dadurch der Gewalt der Gattung, denn indem es sich fortpflanzt, geht es an diesem Vorgang entweder sogleich oder nach und nach unter. So geht es ins Unendliche fort. Das Allgemeine, das sich betätigen will, tut es auf Kosten des Einzelnen und zeigt sich als mächtiger Zweck, dessen Mittel das Einzelne ist; aber das Erzeugnis ist doch auch nur ein Exemplar, das wieder Mittel werden muß, und so fort ins Unendliche. Das Einzelne dagegen sucht sich des Allgemeinen zu bemächtigen, indem es die Gattung zur Befriedigung seiner Lust macht. Aber die Befriedigung ist nur augenblicklich; sie gebiert daher immer wieder die Begierde und so fort ins Unendliche. Der unendliche Progress fordert hier, wie überall, Entgegengesetztes als identisch zu fassen. Daher ist der Progress, der sich ins Endlose mehrenden Individuen, welcher im Verlauf des Gattungsprozesses dem Allgemeinen entgegentritt, auch für dieses (das Allgemeine) die Forderung, daß es sich als identisch mit dem Einzelnen fasse, d. h. sich selbst im Einzelnen erkenne. Ebenso tritt dem Einzelnen der endlose Progress der Siege des Allgemeinen entgegen. Dieser Progress ist die Forderung an das Einzelne, daß es sich als identisch mit dem Allgemeinen fasse, d. h. im Allgemeinen nicht ein Fremdes, sondern sein eigenes Wesen erkenne. Die Wahrheit jenes unendlichen Progresses ist die  wirkliche Identität beider Faktoren  oder daß das Allgemeine im Einzelnen zu sich selbst komme, darin seiner bewußt sei und das Einzelne im Allgemeinen bei sich habe oder darin sich selbst wisse. Diese Wahrheit jenes unendlichen Progresses ist der Begriff des  Geistes. 

In dieser ganzen Erörterung halten wir es für eine außerhalb der Sache gebildete  Ansicht,  daß Gattung und Exemplar sich feindlich gegenüberstehen und gleichsam auf einander Jagd machen. Vielmehr verwirklicht und erhält sich die Gattung in den Exemplaren und ist nichts außer denselben. Wer gäbe ihr ein selbständiges Dasein? Das Produkt der Vereinigung, solange es geschlechtslos ist, als die Gattung selbst und so lange als die Gattung zu fassen, bis es hernach  eines  Geschlechtes und dadurch Exemplar (gegen die Gattung feindselig) wird, das heißt in der Tat nichts anderes als das Wesen der Gattung in das Unentwickelte, in den Mangel setzen. Das Exemplar hat auch keineswegs die Richtung, das Allgemeine, die Gattung durch seine Lust zu vernichten. Vielmehr ist diese Lust, wie jede ungetrübte, das Zeichen eines Sieges, den der Zweck der Natur feiert; und daher ist in derselben gerade Einzelnes und Gattung eins. (32)

Nehmen wir indessen diese vermeintliche Feindschaft, die zwischen Gattung und Einzelnem soll gesetzt sein, vorläufig an. Es mag nun auf dem bezeichneten Weg die Aufgabe entstehen, den Widerspruch zu lösen. Dies soll dadurch zustande kommen, daß sich das Allgemeine im Einzelne und das Einzelne im Allgemeinen  erkenne.  Wie schlägt denn hier jene Befehdung des äußeren Daseins (das Exemplar geht an der Gattung unter, indem es sie fortpflanzt) urplötzlich in das Erkennen über? Wird denn dadurch, daß der einzelne Mensch sich in der Menschheit erkennt, jenes endlose Erzeugen und Absterben aufgehoben? Ohnedies ist der Widerspruch immer noch vorhanden. Es erhellt sich aus diesem Einwurf deutlich, daß zwischen der zur Lösung des hervorgetretenen Widerspruchs geforderten und wiederum der als Erkennen ergriffenen Einheit des Einzelnen und Allgemeinen eine große Kluft liegt. So geschickt auch die Vermittlung angelegt ist, in dem Prämissen liegt so viel nicht, als herausgezogen wird. Es ist der Grundgedanke, daß das Einzelne sich im Allgemeinen  wisse,  aus dem Vorangehenden  nicht  geboren, sondern aus der Vorstellung aufgenommen. Wir sind also zur Bestimmung der Negation nicht weitergekommen. Oben sollte das räumliche Außersichsein verneint werden. Es geschah durch einen Sprung in das geistige Beisichsein. Hier soll der Widerspruch zwischen der Gattung und dem Exemplar und somit wesentlich der Untergang des zeitlichen Daseins verneint werden. Es geschieht durch einen Sprung in die geistige Einheit des Allgemeinen und Einzelnen. (33)

Wir brechen diese Beispiele ab. Sie belegen, was ansich aus der Natur der Sache folgte. Der Gegensatz stammt nicht aus dem reinen Denken, sondern aus der aufnehmenden Anschauung.

Es ergibt sich aus all dem für die Dialektik des reinen Gedankens ein unvermeidliches Dilemma. Entweder ist die Verneinung, durch welche sie allein den Fortschritt des zweiten und dritten Moments vermittelt, die reine logische Verneinung (A, nicht-A) - dann aber kann sie weder im zweiten Moment etwas in sich Bestimmtes erzeugen noch im dritten Moment eine Vereinigung zugeben. Oder sie ist der reale Gegensatz - dann ist sie wiederum nicht auf logischem Weg zu erreichen und die Dialektik ist keine Dialektik des  reinen  Denkens. Wer daher dem so genannten negativen Moment der Dialektik schärfer ins Auge sieht, wird in den meisten Fällen der Anwendung etwas Vieldeutiges entdecken.
LITERATUR: Friedrich Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Leipzig 1870
    Anmerkungen
    1) HEGEL, Logik I, zweite Ausgabe, Seite 61
    2) HEGEL, Enzyklopädie, § 86, 87, 88
    3) HEGEL, Logik I, Seite 76f
    4) Vgl. den Ausdruck HEGELs, Logik I, Seite 78. "Das reine SEin und das reine Nichts ist dasselbe. Was die Wahrheit ist, ist weder das Sein noch das Nichts, sondern daß das Sein in Nichts und das Nichts in Sein nicht übergeht, sondern übergegangen ist. Aber ebensosehr ist die Wahrheit nicht ihre Ununterschiedenheit, sondern daß  sie nicht dasselbe,  daß sie  absolut unterschieden,  aber ebenso ungetrennt und untrennbar sind, und unmittelbar  jedes  in seinem Gegenteil verschwindet. Ihre Wahrheit ist also diese  Bewegung  des unmittelbaren Verschwindens des Einen im Andern, das  Werden;  eine Bewegung, worin beide unterschieden sind, aber durch einen Unterschied, der sich ebenso unmittelbar aufgelöst hat."
    5) Vgl. IMMANUEL HERMANN FICHTE, Ontologie, Seite 65.
    6) HEGEL, Enzyklopädie § 103f; Logik I, Seite 252f
    7) C. H. WEISSE, in der Methode mit HEGEL einverstanden, hat in die von ihm entworfenen Grundzüge der Metaphysik (1835) Begriffe wie Ausdehnung, Ort, Raum, Bewegung, Dauer, Zeit aufgenommen. Es fragt sich aber, ob er dadurch den von uns bezeichneten Fehler der Dialektik vermieden hat. Denn er behandelt die Kategorien der Quantität: Zahl, Größe, Verhältnis unabhängig von der Bewegung und vor derselben. Ob es möglich sei, müssen die folgenden Untersuchungen lehren.
    8) HEGEL, Enzyklopädie § 97, 98
    9) HEGEL, Logik I, § 153. Was an dieser Stelle durch den Ausdruck "sich in sich reflektieren" bezeichnet ist, wird nur durch die Attraktion, und was durch den Ausdruck "das Negative seiner selbst setzen" bezeichnet ist, wird nur durch die Repulsion gedacht, wenn nicht diese Sprache einer künstlichen Abstraktion den einfachen Sinn verschließt.
    10) HEGEL, Enzyklopädie, § 195f
    11) HEGEL, Enzyklopädie, § 195
    12) HEGEL, Enzyklopädie, § 198
    13) HEGEL, Enzyklopädie, § 246f
    14) Das kontradiktorische Gegenteil:  a  ist  b, a  ist nicht  b,  worin das eine Glied das andere rein ausschließt.
    15) Das konträre Gegenteil z. B.  weiß - schwarz. 
    16) Es braucht dabei kaum an das  principium exclusi tertii inter duo contradictoria  [des zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen ausgeschlossenen Dritten - wp] erinnert zu werden. Wenn die Dialektik auch diese fest gewurzelte Bestimmung fällen sollte, so gäbe es unter anderem keinen indirekten Beweis, der allein darauf ruht. Die Geometrie, welche ihn so oft anwendet, müßte über ihre zweitausendjährige Täuschung trauern.
    17) HEGEL sagt in der Enzyklopädie § 81: "Das dialektische Moment ist das eigene Sich-Aufheben solcher Bestimmungen (der festen Verstandesbestimmungen) und ihr Übergehen in ihre  entgegengesetzte"  (also Opposition, nicht bloße Negation). SCHALLER, Die Philosophie unserer Zeit, 1837, Seite 173: "Die Negation ist an sich selbst zugleich Position und Setzen, die Verinnerung zugleich Entäußerung, keine Abstraktion, sondern Konkretion und Erfüllung."
    18) Kap II dieser Schrift: Formale Logik
    19) HEGEL, Enzyklopädie, § 87
    20) HEGEL, Enzyklopädie, § 91 und 92
    21) HEGEL, Enzyklopädie, § 96f
    22) HEGEL, Enzyklopädie, § 95. Wir nehmen hier vorläufig die Richtigkeit dieser Entwicklung an, werden sie jedoch weiter unten bei der Untersuchung der Identität erwägen.
    23) HEGEL, Logik I, Seite 194: "die Selbstzersplitterung des Eins"
    24) HEGEL, Enzyklopädie, § 116
    25) HEGEL, Enzyklopädie, § 136
    26) HEGEL, Enzyklopädie, § 150, 151
    27) HEGEL, Enzyklopädie, § 154
    28) HEGEL, Enzyklopädie, § 177. Vgl. die entsprechenden Stellen der Logik.
    29) HEGEL, Enzyklopädie, § 381f, Philosophie der Geschichte, Seite 20f. Vgl. ERDMANN, "Leib und Seele nach ihrem Begriff und Verhältnis zueinander", 2. Auflage 1849, § 5.
    30) Vgl. ERDMANN, a. a. O. § 7 und die weitere Entwicklung der Psychologie.
    31) ERDMANN, a. a. O. § 6f, Seite 49f sowie HEGEL, Enzyklopädie, § 374
    32) ARISTOTELES schon hat diese Einheit trefflich bezeichnet (Über die Seele, Buch II, 4 § 2) und früher PLATO im Gastmahl (Seite 207 d. St.) Die Alten, welche den Sinn der Natur so tief anschauten, ahnen von einem solchen Widerspiel zwischen Gattung und Einzelnem durchaus nichts.
    33) Vgl. CHALYBÄUS "Natur- und Geistesphilosophie" in I. H. FICHTEs "Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie", 1839, Seite 160f. In diesem Aufsatz heißen mit Recht die dialektischen Übergänge die Gliederkrankheit des Systems.