ra-2ra-1ra-1SchleiermacherB. CroceTrendelenburgK. Popper     
 
EDUARD von HARTMANN
Über die dialektische Methode
[5/5]

"Im Orange ist das Rot wie das Gelb vollständig erhalten, sie mischen sich, aber sie stören sich nicht. Die Vereinigung konträr Entgegengesetzter ist dagegen ein Widerspruch, wenn verlangt wird, daß sie dabei erhalten bleiben; denn indem ihr Resultat ihre Vernichtung ist, wird Erhaltung und Vernichtung zugleich gefordert, was ein Widerspruch ist."

"Was  +A ist, wissen wir, und was  -A ist, ebenfalls, was aber der Begriff auf seinem Weg zwischen  +A und  -A ist, das mag Gott wissen. Worte gibt es dafür nicht, und mit Worten beschrieben oder gar nachgewiesen hat  Hegel diese unendlich vielen, allmählich vermittelnden Stufen des Übergangs nirgends, sondern stets geschieht auch bei ihm der Übergang von einem Gegenteil zum andern  sprungweise, indem durch irgendein Sophisma die Identität beider erschlichen wird."


6. Die Flüssigkeit der Begriffe

Im vorigen Kapitel haben wir die Behauptung HEGELs, daß alles vom Widerspruch durchdrungen ist, und daß der  Verstand  sich in diese Widersprüche mehr und mehr verwickelt und verwirrt, vor dem Forum des Verstandes geprüft, auf welches uns der Dialektiker zu folgen genötigt war, weil diese gänzliche Verwirrung des Verstandes in Widersprüchen erst als  Voraussetzung  des Aufsteigens zum Standpunkt der Vernunft dienen sollte. Jetzt wollen wir unsererseits der Dialektik freiwillig auf den Standpunkt der Vernunft folgen, insofern diese als "unendliches Denken" bestimmt ist, und betrachten, wie sich die Aufhebung der Grundgesetze des Denkens von hier aus vermittelt und darstellt.

Wir haben oben gesehen, daß das unendliche Denken als unbestimmtes Denken oder als Flüssigkeit der Begriffe zu verstehen ist im Gegensatz zur Festigkeit der Begriffe für den Verstand. Auch für den Verstand gibt es ein  Unbestimmtes,  aber als Ruhendes, Unbewegtes, das Bestimmte in jeder Hinsicht von sich Ausschließendes. Das Unbestimmte der Vernunft ist nicht dadurch unbestimmt, daß es die Bestimmtheit von sich abhält, sondern dadurch, daß es diese verflüssigt, d. h. unaufhörlich und stetig verändert. Wäre diese Veränderung nicht stetigf, sondern stoßweise, so würde der Begriff "unbestimmt" nicht in unbeschränkter Weise anwendbar sein; weil aber der Begriff in  keinem  Moment derselbe ist, der er im vorhergehenden war, darum ist die Unbestimmtheit  absolut  und dadurch erst das Denken Vernunft.

Vom Standpunkt des Verstandes aus richtete sich der Versuch der Aufhebung der drei Denkgesetze unmittelbar und am schärfsten gegen den Satz vom Widerspruch (wir haben gesehen, mit wie gänzlichem Mißerfolg); vom Standpunkt der Vernunft wendet sich die Aufhebung unmittelbar und am schärfsten gegen den Satz der Identität, und zwar mit totalem Erfolg. Wir müssen hierzu zunächst die Bedeutung des Satzes der Identität präzisieren.

Er wird gewöhnlich so ausgesprochen: "A = A", oder "A ist A". Beide Formen lassen eine Mißdeutung zu. Das Gleichheitszeichen sagt zu wenig; denn es umfaßt nicht die eigentliche und strengste Art der Identität, welche eine Mehrheit der Zahl nach ausschließt; es reflektiert nur auf mein zweimaliges Denken der Bestimmung  A  und erklärt beide Setzungen für gleich, ohne auszusprechen (und dies ist gerade die Hauptsache), daß meinem zweimaligen Denken nur  ein  Gegenstand entspricht (der Gegenstand kann auch ein Begriff, eine Bestimmung oder Vorstellung sein). Die andere Ausdrucksweise "A ist A" ist vollkommen richtig, wenn die Kopula "ist" hier als Zeichen der Identifizierung genommen wird. Wir wissen aber, daß sie diesen Sinn nicht ursprünglich hat, sondern nur gelegentlich und ihrerseits zufällig annimmt, man muß also schon wissen, was gemeint ist, sonst wird man den Satz "A ist A" auch ebensowohl mißverstehen können. Der reinen Bedeutung der Kopula nach sagt er nämlich weiter nichts, als daß  A  von  A  prädiziert werden kann und darüber macht sich HEGEL mit Recht lustig; denn dieser Satz wäre völlig tautologisch und wertlos, und ihm wird mit Recht als das einzig Inhaltvolle der Satz "A ist B" gegenübergestellt. Versteht man aber die Kopula hier so, daß sie identisch setzt, und der Satz nun lautet: "A ist identisch A", oder "A ist mit sich identisch"; und bemerkt man auch zugleich dabei, daß "identisch" hier als Identität der Zahl nach genommen wird, so ist man zwar der Wahrheit erheblich näher gekommen, aber man hat immer die Bedeutung des Satzes noch nicht genügend bestimmt, wenn er nicht in die richtige Beziehung zur  Zeit  gesetzt wird. Bezieht man nämlich den Satz auf ein und denselben Moment, so ist er eine bloße Definition der Identität und weiter nichts, er ist dann ein rein  analytischer  Satz, aus dem man nichts lernt als das Verständnis jenes Begriffs, aber er ist kein Gesetz, denn er enthält keine Synthese. Wird er gleichwohl so als  Gesetz  hingestellt, so ist er tautologisch und wertlos und ebenfalls ein Objekt zum Lächerlichmachen. Eine Synthese kommt erst in den Satz und macht ihn zu einer Behauptung über die Natur der Objekte und zum Gesetz, wenn er über den Moment ausgedehnt und auf die Zeit bezogen wird, aber auch nicht bloß auf eine beschränkte Zeit, sondern auf alle Zeit oder, was dasselbe ist, wenn er über die Zeit erhaben gesetzt wird und ihm eine  ewige  Geltung zugesprochen wird: Dann sagt der Satz: "A ist ewig mit sich identisch", und wann auch  A  in die Zeit hineintreten mag, es wird immer  A  und nichts anderes sein. Es ist dies das logische Gesetz der Trägheit, von dem das physikalische Trägheitsgesetz nur eine spezielle Anwendung ist. Es sagt aus, daß die Bestimmung  A  sich nie verändern kann, daß sie einem Ding genommen oder gegeben werden, ja auch, daß zu ihr eine Bestimmung  B  hinzugefügt werden oder, wenn sie teilbar ist, ein Teil von ihr weggenommen werden kann, daß also die  totale  Setzung verändert und zu einer anderen als  A  gemacht werden kann, daß aber trotzdem die Bestimmung  A  weder sich selbst verändert,, noch auch bei dem, was gesetzt wird oder nicht, als Bestimmung verändert wird, indem nur statt ihrer eine andere gesetzt wird. So erst enthält der Satz der Identität eine synthetische Behauptung, so ist er bewußt oder unbewußt vom Verstand stets verstanden worden, und so hat in der Tat alle Welt nach diesem Gesetz gedacht. So aber ist es auch die reine Negation des vernünftigen, unbestimmten Denkens, welches im Widerspruch mit diesem logische Gesetz der Trägheit behauptet, daß jede Bestimmung ihrer Natur nach sich stetig und unaufhörlich verändert. Was also vom Standpunkt des Verstandes der Dialektik nicht gelingen wollte: die Aufhebung der Grundgesetze, das gelingt ihr von dem von ihr selbst geschaffenen Standpunkt der Vernunft oder der flüssigen Begriffe allerdings vollkommen; was freilich eben kein Wunder ist. Sehen wir aber zu, wie sich die Operation des Denkens unter der Voraussetzung jenes Standpunktes gestaltet. -

Nehmen wir an,  A  sei der terminus medius eines Schlusses, so wird  A  im Schluß zweimal, und zwar in zwei verschiedenen, aufeinanderfolgenden Momenten gedacht. Nach der Annahme des Verstandes ist  A  ewig mit sich identisch, also auch in den aufeinanderfolgenden Momenten des Schlusses; nach der Annahme der Vernunft aber ist der Begriff ein stetig (d. h. in jedem Moment) sich verändernder, also ist er auch im Untersatz ein anderer als im Obersatz. Ist nun der Obersatz richtig für den Begriff  A,  so wie er im Obersatz ist, und der Untersatz richtig für den Begriff  A,  so wie er im Untersatz ist (und dies muß man doch annehmen), so wird die Konklusion unmöglich, oder wenn sie dennoch vollzogen wird, wird sie falsch ausfallen, da das Schlußverfahren auf der hier nicht zutreffenden Voraussetzung beruth, daß die Bedeutung des terminus medius in Obersatz und Untersatz identisch ist. Das unendliche oder flüssige Denken als solches muß demnach entweder auf alles Schließen verzichten, oder, wenn es dennoch schließt, müssen alle seine Schlüsse falsch ausfallen. Wenn richtig geschlossen werden soll, so muß die Flüssigkeit des Begriffs (das undenkliche Denken) für die Dauer des Schlußverfahrens sistiert [ausgesetzt - wp] werden, und ebenso lange das Verstandesgesetz der Identität in Kraft treten. Diese Sistierung des unendlichen Denkens muß natürlich ebenso oft wiederkehren, wie ein Schluß zu machen ist.

Damit ist die Sache aber noch nicht abgemacht; denn der Schluß galt uns hier nur als das prägnanteste Beispiel für die Forderung der Identität des Begriffs, die Forderung ist aber gleich unerläßlich bei jedem Fortgang im Denken; denn jeder Fortgang, sei es in einer Analogie, Induktion oder welchem Verfahren auch immer, beruth auf der Voraussetzung, daß ein früher und später wiederkehrendes Wort früher und später ein und dieselbe Begriffsbestimmung bezeichnet, und diese Bestimmung hier und dort identisch ist. Folglich muß bei jedem Fortgang iim Denken, d. h. solange man überhaupt denkt, - die Flüssigkeit des Begriffs  in suspenso [in der Schwebe - wp] gehalten und durch die feste Identität des Verstandes ersetzt werden, d. h. mit anderen Worten: mit flüssigen Begriffen läßt sich nicht denken, und das unendliche Denken ist keines.

Es fragt sich aber noch, ob unter der Voraussetzung, daß es die Natur des Begriffs ist, sich stetig zu verändern, möglich ist, durch einen subjektiven Machtspruch diese Natur des Begriffs zu suspendieren [außer Kraft setzen - wp] und durch die feste Verstandesidentität zu ersetzen. Diese Frage muß entschieden verneint werden. Wenn ich es bin, der den Begriff verändert, so kann ich ihn auch unverändert seiner eigenen festen Identität überlassen; wenn aber der Begriff selbst es ist, der sich verändert, und ich bei diesem Prozeß nur das fünfte Rad am Wagen bin, wie soll ich es dann wohl anfangen, die naturgemäße unaufhörliche Veränderung des Begriffs zu unterbrechen, und ihn eine Zeitlang in fester Identität zu erhalten, - wo finde ich den festen Punkt, an den ich mich klammern kann in dieser unaufhörlichen Veränderung, wo das  dos moi pou sto [Gib mir einen Punkt ... - wp] in diesem  panta rei [alles fließt - wp], in welchem jeder Standpunkt, den ich einzunehmen versuche, sich seiner Natur nach mitbewegt? Es ist, als ob ich die Geschwindigkeit der Bewegung der Welt im leeren Raum messen wollte. Es fehlt mir ja sogar jedes Mittel, die Veränderung, die mit dem Begriff  A  mir unter den Händen vorgeht, auch nur wahrzunehmen; denn dazu müßte ich den Begriff  A  erstens als veränderten (A1) und zweitens als identisch gebliebenen (A) nebeneinander haben, um sie zu vergleichen; woher soll ich aber den identisch gebliebenen nehmen, wenn ich noch nicht einmal weiß, daß A1) ein veränderter ist? das Subjekt kommt also überhaupt gar nicht zu dem Bewußtsein, daß der Begriff sich ändert, weil das anzulegende Maß sich nach demselben Gesetz mitverändert; das Subjekt hat also nicht nur nicht die Kraft und den Widerhalt, um die natürliche Veränderungskraft des Begriffs zu paralysieren, sondern es kann nicht einmal ein Interesse oder ein Verlangen danach fassen, weil es niemals etwas von der Veränderung des Begriffs erfährt, weil es nie dahinter kommen kann, ob ein Begriff derselbe geblieben oder ein anderer geworden ist. Es ist also dem Ich unter der Voraussetzung, daß es die Natur des Begriffs ist, sich stetig zu verändern, in jeder Beziehung unmöglich, diesen Selbstbewegungsprozeß zeitweilig zu suspendieren, und da nur unter dieser Bedingung ein Fortgang im Denken möglich ist, hebt jene Voraussetzung jede Möglichkeit des Denkens, sowohl eines verständigen, als auch eines vernünftigen, schlechthin auf. Es kann in der Tat das unendliche oder vernünftige Denken das endliche oder verständige Denken trotz seiner Versicherung des Gegenteils ebensowenig begreifen, wie dieses jenes begreifen kann; denn es zerstört die Möglichkeit desselben, und muß es mithin leugnen.

Dies ist das Resultat, wenn wir dem Dialektiker auf den Boden der Vernunft oder des unendlichen Denkens folgen. Schon im Kapitel "Vernunft und Verstand" hatten wir nicht umhin gekonnt, in der dialektischen oder negativ-vernünftigen Tätigkeit jene Doppelheit zu berühren, welche aus dem Schwanken zwischen der Voraussetzungslosigkeit der Methode und ihrer Begründung durch Voraussetzungen entspringt. Wir hatten schon dort gesehen, daß die eine Seite der dialektischen Tätigkeit verständiger (endlicher), die andere vernünftiger (unendlicher) Natur ist und sie sich dementsprechend zu den Fundamentalgesetzen auf entgegengesetzte Weise verhalten. In diesem und dem vorigen Kapitel hat diese Doppelheit ihre Ausführung erhalten, und wir haben gesehen, wie die verständige Seite der Dialektik nirgends beweisen kann, was sie beweisen will, wie dagegen die vernünftige (voraussetzungslose) Seite derselben die Möglichkeit alles und jeden Denkens aufhebt.


7. Der dialektische Fortschritt

Wir haben in diesem Kapitel zu untersuchen, wie sich die dialektischen Gegensätze zueinander verhalten und wie aus ihrer Einheit oder Identität ein neuer Begriff gewonnen werden kann.

Über die Arten des Gegensatzes sind die verschiedenen Lehrbücher der Logik keineswegs in Übereinstimmung, und selbst bei ARISTOTELES ist dieses Kapitel nicht völlig klar. Ich glaube, daß diese Unsicherheit teils aus einer Unvollständigkeit der Einteilung, teils aus einem Verkennen der allmählichen Vermittlung und des Übergehens der einen in die andere Art herrührt.

Der Begriff der  Verschiedenheit  ist weiter und allgemeiner als der des Gegensatzes; jeder Gegensatz ist eine Verschiedenheit, aber nicht jede Verschiedenheit ein Gegensatz. Speziell wird diejenige Verschiedenheit  nicht  Gegensatz genannt, welche zu klein ist, innerhalb zu enger Grenzen liegt, besonders dann, wenn diese Grenzen in derselben Richtung noch der Erweiterung fähig sind. Man sieht, daß schon nach dieser Seite das Eintreten des Begriffs "Gegensatz" so wenig eine feste Grenze hat, wie das des Begriffs "Haufen". Wir wollen nun mit ARISTOTELES zunächst solche  Gegensätze  unterscheiden, weche innerhalb derselben Gattung, und solche, die in verschiedenen Gattungen liegen. Letztere werden im allgemeinen  kontradiktorische  genannt, doch kann man drei Arten unterscheiden:
    1. privativ kontradiktorische ohne neue Position,

    2. positiv kontradiktorische ohne Privation, als Gegensätze zu rot z. B.
      1. "nicht rot" (ohne etwas anderes als  rot damit zu meinen),
      2. "nicht rot" (sondern z. B. breitschultrig),
      3. "breitschultrig" (in Beziehung auf rot, aber ohne rot ausdrücklich zu negieren)
In Bezug auf die Gattung, der sie entgegengesetzt sind, sind alle diese drei Arten = 0, jedoch bilden nur diejenigen bei der Vereinigung (ich sage nicht Identität) mit ihrem Gegensatz einen Widerspruch, welche denselben ausdrücklich negieren. Es kann niemand zugleich rot und nicht rot sein, wohl aber rot und breitschultrig. Es ist deshalb ein (überdies ganz wertloser) Mißbrauch des "nicht", wenn man dieses, das nur in Verbindung mit der Kopula (oder dem die Kopula einschließenden Zeitwort) gedacht eine Bedeutung hat, zur Schaffung eines negativen Begriffs von unendlichem Umfang benutzte, wenn man also z. B. unter "nicht-rot" die Summen aller übrigen nur möglichen Begriffe versteht, d. h. eine unendliche Bestimmung. "Nicht rot" hat demnach nur eine Bedeutung, insofern die mit der Kopula herzustellende Verbindung als selbstverständlich vorausgesetzt wird, und dann bedeutet es die bloße Privation des Roten, aber ansich niemals etwas Positives.

Gehen wir zum Gegensatz innerhalb derselben Gattung über, so finden wir dort  4.  den einfachen Gegensatz und  5.  den konträren Gegensatz oder das Gegenteil. Im einfachen Gegensatz stehen je zwei Arten derselben Gattung, wenn sich dieselben bei ihrer Vereinigung nicht gegenseitig aufheben; im letzteren Fall wird der Gegensatz konträr. Einfache Gegensätze bilden z. B. "Länge und Breite, oder Breit und Höhe" als Arten der Dimension, "rot und gelb" als Arten der Farbe, "Subtrahieren und Dividieren" als Rechnungsarten; konträre Gegensätze aber bilden "Höhe und Tiefen, rot und grün, Multiplizieren und Dividieren"; denn diese beiden heben sich gegenseitig auf; und reduzieren sich auf die  0  der senkrechten Dimension, der Farbe, der Rechnungsoperation. Im ersten und dritten Beispiel wird der Nullpunkt (Ausgangspunkt) zum Resultat, im zweiten das farblose Licht. ARISTOTELES erklärt (Metaphysik X, 4, Anfang) das  enantion [Gegensatz, Kontrast - wp] als dajenige, was innerhalb derselben Gattung am weitesten voneinander abliegt. Er ist aber selbst nicht ganz sicher in seiner Definition; denn er räumt ein, daß wenn auch zwischen manchen  enantios  unbestimmt viele Zwischenglieder liegen können, durch welche die  odos eis allela  vermittelt wird, sich doch solche Zwischenglieder nicht bei allen finden, sondern eben nur bei denen, wo ein allmählicher Übergang stattfindet. In vielen Fällen läßt sich eine Entfernung der Arten voneinander gar nicht quantitativ bestimmen; aber auch da wo eine solche graduelle Abstufung möglich ist, also von extremen Arten innerhalb einer Gattung gesprochen werden kann, sind diese extremen Entgegengesetzten doch keineswegs notwendigerweise auch konträr Entgegengesetzte (z. B. die Höhen- und Tiefenextreme in der Tonreihe oder die Größenextreme in den Hunderassen). Es muß also noch ein anderes Merkmal hinzukommen, um Extreme zu konträren Gegensätzen zu stempeln. Andererseits gibt es konträre Gegensätze, die nicht Extreme in einer abgestuften Reihe sind; das andere hinzukommende Merkmal muß also auch für sich allein genügen, um konträre Gegensätze zu begründen, ohne daß das Merkmal der Extreme erforderlich wäre. TRENDELENBURG betont besonders die Richtung der Tätigkeit und fordert, daß die  Richtungen,  in denen die konträren Gegensätze bestehen, oder deren Resultate sie sind, entgegengesetzt sind. Wo die Richtung überhaupt mitspielt, ist dies gewiß richtig, denn entgegengesetzte Tätigkeitsrichtungen führen die Aufhebung herbei; aber es gibt auch Gegenteile ohne solche entgegengesetzte Richtungen, wie z. B. komplementäre Farbenstrahlen, die in nichts anderem als der Geschwindigkeit differieren. Es bleibt also in der Tat das sich gegenseitig Aufheben das einzige Merkmal am Gegenteil, das überall zutrifft, wenn man keine falschen Beispiele wählt (wie z. B. hell und dunkel, von welchen letzteres nur die Privation des ersteren ist. Der  einfache  Gegensatz fließt wegen der nicht zu fixierenden Grenze des Begriffs der Gattung mit dem "positiv kontradiktorischen ohne ausdrückliche Privation" zusammen; sowohl um dieser Flüssigkeit der Grenze willen als auch im Hinblick auf den gemeinen Sprachgebrauch habe ich geglaubt, ihm den Namen "Gegensatz", der ihm von manchen Logikern bestritten werden dürfte, nicht entziehen zu müssen. Es kommt übrigens hier für unseren Zweck nur auf eine vollkommene Klarstellung der Begriffe, nicht auf die Namen an.

Die Vereinigung zweier einfach oder positi kontradiktorisch ohne Privation Entgegengesetzten gibt  keinen  Widerspruch; im Orange ist das Rot wie das Gelb vollständig erhalten, sie mischen sich, aber sie stören sich nicht. Die Vereinigung konträr Entgegengesetzter ist dagegen ein Widerspruch, wenn verlangt wird, daß sie dabei erhalten bleiben; denn indem ihr Resultat ihre Vernichtung ist, wird Erhaltung und Vernichtung zugleich gefordert, was ein Widerspruch ist. Ich kann nicht sagen: "dieser Lichtstrahl ist rot und er ist zugleich grün", denn er ist entweder rot oder grün, oder farblos, im letzteren Fall aber weder rot noch grün; ich kann widerspruchslos nur sagen: "der Lichtstrahl zeigt die Verbindung von rot und grün". Da das Resultat von  +A  und  -A = 0  ist, so ist ihre Verbindung ansich nichts weniger als widersprechend; sie ist es nur dann, wenn die Forderung damit verknüpft wird, sie in der Verbindung als das bestehen zu lassen, was sie waren. Da nun HEGEL bei seiner Betrachtung über den Gegensatz ausdrücklich nur vom konträren Gegensatz (Werke IV, Seite 48f) (des Positiven und Negativen) handelt, so sieht man jetzt, wie es mit seiner Behauptung bestellt ist, daß dieser Gegensatz "der gesetzte Widerspruch ist" (Werke IV, Seite 57-58); erst  dadurch  kommt der Widerspruch hinein, daß er die sich widersprechende Forderung stelt, die  contraria  in der sie vernichtenden Vereinigung zu erhalten. Es geht daraus hervor, wie unverzeichlich HEGELs beständige Vertauschung der Begriffe  Gegensatz  und  Widerspruch  ist, die er sich natürlich zum Aufzeigen des Widerspruchs zunutze macht. Es wird ihm diese Vertauschung noch dadurch unterstützt, daß er gewohnt ist, den Standpunkt des subjektiven Denkens und den der Wirklichkeit beständig miteinander zu vertauschen. Denn im subjektiven Denken bestehen die konträren Gegensätze nebeneinander fort, ohne sich aufzuheben, aber in der Wirklichkeit heben sie sich auf, ohne nebeneinander fortzubestehen. Verbindet man nun beide Gesichtspunte in der Weise, daß das abstrakte Wissen von der Aufhebung der Gegensätze in der Wirklichkeit zugleich als eine tatsächliche Aufhebung derselben im Denken gilt, oder in dem Sinne, daß das nebeneinander Fortbestehen der bloß gedachten Gegensätze im Denken als ein Beweis für ihr tatsächliches Fortbestehen auch in der Wirklichkeit trotz ihrer Aufhebung in derselben ausgegeben wird, so hat man natürlich den gesuchten Widerspruch.

Wichtig für uns ist, daß HEGEL (Werke IV, Seite 53) selbst zugibt: "Die Entgegengesetzten heben sich in ihrer Verbindung auf  (+ y - y = 0."  Unbegreiflich ist aber, daß HEGEL ebenda gleich dahinter setzt  +y - y = y  und  +y - y = 2y.  Wenn sowohl  +y wie y  ein  y  ist, wenn sowohl rot wie grün eine Farbe ist, so heißt das eben nur, daß  contraria  miteinader die Gattung gemeinsam (HEGEL sagt: "identische Beziehung") haben, deren Arten sie sind; aber noch nie hat jemand behauptet, daß aus der Vereinigung zweier Arten die Gattung, aus der Vereinigung zweier Besondern das Allgemein resultiere, und allem gesunden Denken Hohn sprechend ist es, wie man diese Behauptung in der nackten mathematischen Form  +y - y = y  nur hinzuschreiben wagen kann. Eher ist noch der andere Satz verzeihlich:  +y - y = 2y;  er entsteht dadurch, daß HEGEL  +y  und  -y  als "Ordinaten auf der entgegengesetzten Seite der Achse" betrachtet, "wo jede ein gegen diese Grenze und gegen ihren Gegensatz gleichgültiges Dasein ist" (Werke IV, Seite 54), d. h. daß er vom Vorzeichen abstrahiert, und bloß die gleichgültigen Längen, deren jede  = y  (weder  +y  noch  -y)  ist, addiert, also  y + y = 2y  setzt, nun aber diese Abstraktion vom Gegensatz des Vorzeichens vergißt und die Vorzeichen wieder in die Gleichung einsetzt, wodurch diese natürlich Unsinn wird. Dies wird ein Beispiel noch deutlicher machen. Es sei der Flächeninhalt einer Kurve zu bestimmen, die durch ihre Koordinatengleichung gegeben ist, und unsymmetrisch durch die verschiedenen Felder des Achsensystems greift. Man wird zunächst die Flächenstücke der Kurve, die auf jedem Feld des Achsensystems liegen mit genauer Berücksichtigung der Vorzeichen berechnen, dann aber, wenn man die Stücke  +F  und  -F1  schlechtweg addieren, so daß das Resultat der Aufgabe  F + F1  ist. So etwas Ähnliches mag HEGEL vorgeschwebt haben, aber bei den Flächenstücken ist es noch deutlicher als bei den Linienstücken, daß die Vorzeichen als etwas, das anderweitig seinen Dienst getan hat, jetzt aber nicht mehr zu gebrauchen ist, sondern nur die Lösung verhindern würde,  vor  der Addition weggeworfen werden müssen. Es bleibt also die alte Wahrheit bestehen, daß das einzige Resultat, welches  +y  und  -y  in ihrer Verbindung ergeben,  0  ist.

Jede Bestimmung ist eines einfachen oder positiv kontradiktorischen Gegenteils fähig, eines privativ kontradiktorischen nur, wenn sie nicht selbst schon in einer Privation besteht, eines konträren aber nur unter gewissen Umständen, für welche durchaus keine allgemein gültigen Merkmale anzugeben sind. Schon ARISTOTELES wußte dies, und bemerkt, daß die Größe kein Gegenteil hat, auch bei weitem nicht alles Relative, so z. B. das Doppelte oder Dreifache nicht. Ob eine Bestimmung ein Gegenteil hat oder nicht, und welche es ist, geht nicht aus den Begriffen selbst hervor, sondern es gehört dazu eine eigentümliche Kenntnis der Sache, die entschieden  intuitiver  und nicht  diskursiv-reflexiver  Natur ist.

Die Sache wird dadurch noch verwickelter, daß die konträr entgegengesetzten Bestimmungen selten rein auftreten, sondern meistens mit anderen Bestimmungen gemischt, die entweder gar nicht entgegengesetzt sind oder einander positiv kontradiktorisch entgegengesetzt sind ohne Privation. So z. B. sind zwei in schräger Richtung auf denselben Punkt wirkende Kräfte zusammengesetzt zu denken aus je zwei Kraftkomponenten, deren eine in der Diagonale des Parallelogramms der Kräfte liegt, und deren andere auf dieser Diagonale senkrecht steht; nur die zur Diagonale senkrechten Komponenten sind einander konträr entgegengesetzt und heben sich zur Null auf, während die in der Diagonale liegenden Komponenten gleichgerichtet sind und sich einfach addieren. Oder aber ein rotes und grünes Glas sind so beschaffen, daß sie zusammengelegt wirken wir ein schwarzes, also die Sonne nur matt erkennen lassen; dann sind sie konträr entgegengesetzt in Bezug auf ihre Farben, die sich bei der Vereinigung zur Null aufheben, können aber daneben noch einfache Gegensätze zeigen in Bezug auf eingeritzte geometrische Figuren (z. B. Kreis und Viereck), die sich beim Hindurchblicken nach der Sonne nicht aufheben, sondern übereinanderlegen. Aber auch dann, wenn es an der Beimischung solcher gleichartigen oder einfachen entgegengesetzten Bestimmungen zu den konträr entgegengesetzten Bestimmungen fehlt, kann das Ergebnis des realen Zusammentreffens ein anderes als Null sein, nämliche wenn das eine der Gegensatzglieder ein quantitatives Übergewicht über das andere hat. Wenn eine Kraft  A + n  mit einer entgegengesetzt gerichteten Kraft  -A  zusammentrifft, so wird die Resultante  +n  übrig bleiben, eben weil  +A  und  -A  sich zur Null aufheben. Man sieht hieraus, daß der konträre Gegensatz in seiner Reinheit und quantitativen Äquivalenz gefaßt niemals ein anderes Ergebnis haben kann als die Null, und daß jedes andersartige Ergebnis nur aus qualitativen oder quantitativen Abweichungen der Wirklichkeit vom Begriff des reinen konträren Gegensatzes entspringen ann. Nennt man das Zusammentreffen von realen Gegensätzen auf ein und demselben Punkt "Widerstreit" (Kollision oder Konflikt), so zeigt die Aufhebung zur Null an, daß es konträr Entgegengesetzte von gleicher Stärke waren, die zusammengetroffen sind; jedes positive Ergebnis des Widerstreits aber läßt erkennen, daß Bestandteile in ihnen vorhanden waren, die dem Begriff des konträren Gegensatzes nicht entsprachen.

Die dialektische Methode will einerseits konträr Entgegengesetzte haben, um aus ihnen in der bereits gezeigten Weise durch eine gleichzeitige Aufhebung und Fortexistenz den Widerspruch herauszubringen, und andererseits will sie einen positiven Rest, der als Ergebnis des Widerstreits der Gegensätze übrigbleibt, um durch ihn den dialektischen Fortschritt zu ermöglichen. Es ist nach dem Gesagten klar, daß sie die Vereinigung beider Zwecke nur erreichen kann, wenn sie Beispiele wählt, in denen konträr entgegengesetzte Bestandteile mit anderen gemischt sind, aber diese Vermischung unbeachtet läßt und den Schein vorspiegelt, als ob aus dem Widerstreit der konträr entgegengesetzten Bestimmungen selbst das positive Ergebnis gewonnen wird. Ebenso unhaltbar wie die Behauptung, daß die Kollision konträr Entgegengesetzter, d. h. der reale Widerstreit, einen logischen Widerspruch enthält, ebenso unhaltbar ist nun aber auch die andere Behauptung, daß aus dem vermeintlichen Widerspruch des konträren Gegensatzes jemals ein positives Resultat und mit ihm ein dialektischer Fortschritt entspringen kann. Die Beimischung der anderweitigen Bestandteile zum konträren Gegensatz, aus denen allein ein positives Ergebnis der Kollision hervorgehen kann, haben mit dem Widerspruch noch weit weniger zu schaffen als der konträre Gegensatz, dem sie beigemischt sind.

Was nun speziell HEGEL betrifft, so haben wir zunächst zu konstatieren, daß nach den Prinzipien und Vorschriften der dialektischen Methode unter dem dialektisch Entgegengesetzten durchaus nur der konträre Gegensatz oder das  Gegenteil  gemeint ist. Dies wird sowohl durch die häufige Anwendung des Wortes  Gegenteil (z. B. Umschlagen in sein Gegenteil), als auch die Identifizierung des Gegensatzes  überhaupt  mit dem Gegensatz des Positiven und Negativen, als auch durch die ausdrücklichen und offenen Erklärungen MICHELETs, des reinsten Vertreters der hegelschen Philosophie in der Gegenwart, in seiner Polemik gegen TRENDELENBURG ("Gedanke", Bd. 1), als auch durch den Ausspruch HEGELs (Werke VI, Seite 151, § 81) außer Zweifel gestellt: "Das dialektische Moment ist das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten". Wenn ich also die Bestimmung  A  habe, so entwickelt sie zunächst eine solche Tätigkeit, durch welche sie aufgehoben wird (dies ist aber die einmalige Negation, deren Resultat die  0  oder das Privative von  A  ist), damit aber nicht beschlossen, schießt die einmal eingeschlagene Bewegung (nach dem Trägheitsgesetz offenbar in der bisherigen Richtung, da gar kein Grund zur Richtungsänderung im 0-Punt vorhanden ist) über den 0-Punkt nach der anderen Seite hinaus und kommt nach dem allgemeinen Gesetz jeder durch Widerstände unbehinderten oszillatorischen oder undulatorischen Bewegung erst dann zur Ruhe, wenn sie dieselbe Entfernung oder Strecke (=A) auf der negativen Seite durchlaufen hat, die sie auf der positiven Seite durchmaß, d. h. wenn sie das Resultat  -A  geliefert hat. Wenn also das Resultat der einmaligen Negation das Privative war, so ist das Resultat der zweimaligen Negation oder negierenden Tätigkeit das Negative; da aber das Privative den privativ-kontradiktorischen, und das Negative den konträren Gegensatz darstellt, so ist klar, daß die Dialektik, welcher das eigene Sich-Aufheben der Bestimmungen nicht genügt, sondern welche außerdem noch das Weitergehen in das Entgegengesetzte (Negative) verlangt, durchaus nur mit dem konträren Gegensatz operieren will. Es liegt auch so sehr auf der Hand, daß sich aus einer Bestimmung und ihrer bloßen Privation nichts Neues entwickeln läßt, daß man in der Tat die Begründung dafür nicht vermißt. Noch weniger aber als den privativ-kontradiktorischen Gegensatz kann die Dialektik den einfachen und den positiv-kontradiktorischen Gegensatz brauchen; denn abgesehen davon, daß beide in der realen Vereinigung der Entgegengesetzten keinen Widerspruch darbieten, um den es der Dialektik doch vor allem zu tun ist, ist schon der Umstand zu ihrer Elimination genügend, daß es zu  einer  Bestimmung eine unendliche Möglichkeit von einfachen und positiv kontradiktorischen Gegensätzen gibt, deren  keiner  vor dem andern etwas voraus hat, daß also durch eine Bestimmung durchaus nicht ihr einfacher oder auch positiv kontradiktorischer Gegensatz und ihr privativ-kontradiktorischer Gegensatz vollständig bestimmt ist, da es von jeder Art nur  einen  gibt. Die Dialektik aber, die eben zeigen will, wie die Bestimmung in ihr Entgegengesetztes (im Singular) übergeht, kann nur  solche  Arten von Gegensätzen meinen, welche in ihrer singulären Zugehörigkeit bestimmt sind. Unter der unendlichen Möglichkeit positiver Gegensätze könnte nur die Willkür oder das geheime Ziel die Wahl entscheiden, aber nimmermehr die Logik. In der graphischen Darstellung, wo die Strecken  +A  und  -A  die contraria,  +A  und  0  den privativ kontradiktorischen Gegensatz versinnbildlichen, werden die unendlich vielen positiven und nicht konträren Gegensätze durch die unendlich vielen möglichen vom 0-Punkt ausgehenden Winkelrichtungen von Strahlen repräsentiert, welche  außerhalb  der Verlängerung von  +A  fallen.

Die Dialektik behauptet also, daß es die eigentümliche Natur des Begriffs sein soll, zwischen zwei konträr entgegengesetzten Bestimmungen  (+A  und  -A)  zu oszillieren. Was  +A  ist, wissen wir, und was  -A  ist, ebenfalls, was aber der Begriff auf seinem Weg zwischen  +A  und  -A  ist, das mag Gott wissen. Worte gibt es dafür nicht, und mit Worten beschrieben oder gar nachgewiesen hat HEGEL diese unendlich vielen, allmählich vermittelnden Stufen des Übergangs nirgends, sondern stets geschieht auch bei ihm der Übergang von einem Gegenteil zum andern  sprungweise,  indem durch irgendein Sophisma die Identität beider erschlichen wird; und diese Vorspiegelung des logischen Verhältnisses der Identität soll für den Nachweis der realen Bewegung des Übergehens gelten! Gibt man zu, daß die Wahrheit des Begriffs nicht dies ist,  +A  oder  -A  zu sein, sondern dies,  reales Übergehen  von  +A  zu  -A  und umgekehrt zu sein, dann ist es nicht schwer, bei solchen Bestimmungen, welche  Zustände  bezeichnen, zwischen denen die Anschauung einen realen Übergang kennt, diesen letzteren als den  dialektisch  aus den Gegensätzen entwickelten Begriff anzupreisen (z. B.  Werden  als Übergang vom Nichts, richtiger Nichtsein zum Sein). Doch selbst hierbei fällt der dialektische Rhythmus; denn man bekommt immer  zwei  neue Bestimmungen, nämlich das Übergehen von  +A  zu  -A  und das von  -A  zu  +A,  deren  eine (in obigem Beispiel das Vergehen) die Dialektik beim Fortgang willkürlich ignorieren und fallen lassen muß, wenn sie sich nicht unabsehbar zersplittern will. Aber nur selten sind die logischen Bestimmungen solche Zustände, zwischen denen es  reale  Übergänge gibt. Für gewöhnlich muß sich die Dialektik damit begnügen, den neu zu gewinnenden Begriff als die reale Einheit (Vereinigung) der Gegensätze hinzustellen. Mit welchem Recht setzt aber die Dialektik eine Einheit der Gegensätze? "Übergang" ist doch etwas anderes als "Einheit" und die "Identität" auch! Aber wie wir schon früher gesehen haben, daß HEGEL Einheit mit Identität vertauscht, so vertauscht er hier die (durch Sophismen gewonnene) Identität mit der Einheit. Ebensowenig kann natürlich HEGEL umhin, im Übergang beide Seiten gesetzt und beide nicht gesetzt zu sehen, wie das dialektische Prinzip verlangt. Uns kann es genügen, daß der Übergang nirgends erwiesen ist, sondern sich seinerseits ebenfalls nur auf den Nachweis der Identität stützt. Aber geben wir wirklich zu, daß der Dialektiker berechtigt ist, die Entgegengesetzten in realer Einheit zu verknüpfen, was ist denn das Resultat dieser Verknüpfung?  Nichts!  Die  0,  zu der die  contraria  sich aufheben, aber kein neuer Begriff! Das ist das Ende des dialektischen Moments, und der dialektische  Fortschritt  aus den dialektischen Gegensätzen durch deren Einheit eine  Unmöglichkeit! 

Es interessiert uns wenig, ob bei HEGEL die Gegensätze auch wirklich lauter konträre, ob sie nicht vielmehr zum Teil auch privativ-kontradiktorische (z. B. Sein und Nichts, Endliche und Endlose, Maß und Maßlose), zum Teil dreifache oder positiv kontradiktorische (z. B. Grund und Existenz, Begriff und Realität) sind; denn wir wollten nur die  Prinzipien  der dialektischen Methode prüfen und was aus ihnen folgt, nicht ihre Anwendung durch HEGEL. Das aber verdient Beachtung, daß durchaus nicht alle Bestimmungen konträre Gegensätze haben, als auf diese die dialektische Methode von vornherein anwendbar ist. Auch ist das der Erwähnung wert, daß bisher in allen Versuchen, mit der Dialektik zu operieren, die Verwirrung der verschiedenen Arten von Gegensätzen beibehalten ist.

Es geht aus der Kritik dieses Kapitels hervor, wie hoffnungslos die Versuche all derer sein müssen, welche wähnen, die Widersprüche aus den Prinzipien der hegelschen Dialektik entfernen und statt mit einer "Identität der sich Widersprechenden" mit iner bloßen "Einheit der Gegensätze" operieren, und dadurch zu irgendeinem logischen Fortgang gelangen zu können. Selbst wenn es ihnen gelänge, jede andere Art von Gegensätzen (außer den konträren) als unbrauchbar aus ihrem Philosophieren zu entfernen, so würde dennoch aus einer noch so innigen Einheit der konträr Entgegengesetzten niemals ein Fortschritt des Erkennens zu gewinnen sein, da das wahre Resultat nur die Null der gemeinsamen Gattung dieser Gegensätze ist und durchaus nichts Positives. In diesem vergeblichen Bestreben bewegte sich SCHELLING, namentlich im Anfang des 19. Jahrhunderts, bei seiner Einheit des Idealen und Realen, oder des Subjektiven und Objektiven in neuerer Zeit ist dasselbe von KUNO FISCHER wiederholt worden, welcher, obgleich er in der Theorie seiner Methode behauptet, daß dieselbe den Widerspruch involviere, dennoch in seiner praktischen Bearbeitung der hegelschen Logik das Bestreben zeigt, überall möglichst die Identität sich Widersprechender auf die Einheit Entgegengesetzter zu reduzieren, um dadurch tatsächlich jedem Vorwurf unannehmbarer Widersprüche zu entgehen und das dialektische System der Kategorien der Verstandeslogik plausibler zu machen. Es liegt nach dem Vorhergehenden auf der Hand, daß auch bei einer solchen Umgestaltung der Methode trotz des schönklingenden Namens: "Methode der Entwickung" doch alle scheinbaren Fortgänge von der Einheit Entgegengesetzter zu einem neuen Begriff nur aus der vorherigen empirischen Kenntnis ihren Stoff und dessen Anordnung entnommen haben können, und daß auf diesem Weg nicht einmal eine rationale Deduktion der niederen Begriffe aus den höheren (vorher durch Induktion gewonnenen) gegeben werden kann, weil die Vereinigung wahrhaft konträrer Gegensätze stets den Fortgang abschneidet.


8. Die dialektische Methode
und der Empirismus
    "Das Wahre kann man auf verschiedene Weise erkenenn und die Weisen des Erkennens sind nur als Formen zu betrachten. So kann man allerdings das Wahre durch Erfahrung erkennen, aber diese Erfahrung ist nur eine Form." (Werke VI, Seite 53)
Mit diesem Zugeständnis HEGELs kann sich der Empirismus vollständig begnügen. Denn dasjenige, was HEGEL als den Hauptmangel des Empirismus und als Grund seiner Unzulänglichkeit angibt, daß er eine "endliche" (Werke VI, Seite 53) Form des Erkennens ist, darein setzt der Empirismus mit Recht seinen Stolz, weil eine unendliche Form  keine  Form, ein unendliches Erkennen  kein  Erkennen mehr ist, wie wir oben gesehen haben. Die anderen Einwände HEGELs gegen den Empirismus sind ganz nichtig. Es ist einfach  nicht wahr,  daß dieser "die Erkenntnis und Bestimmtheit des Übersinnlichen leugnet" (Werke VI, Seite 80), denn er erschließt aus dem Sinnlichen das Übersinnliche; nur das  Absolute  in HEGELs Sinne als "bestimmtes Nichts der Bedeutungslosigkeit" leugnet er und mit Recht. Es ist  nicht wahr,  daß der Empirismus "eine Lehre der Unfreiheit" ist, weil "ihm das Sinnliche ein Gegebenes ist und bleibt" (Werke VI, Seite 83); denn wenn er vom Sinnlichen ausgeht, so folgt daraus keineswegs, daß nicht sein Resultat sein kann, das Sinnliche aufzuheben. Aber wenn dies selbst nicht wäre, ist denn die Freiheit der Gegenstand der Wissenschaft, oder ist es die Wahrheit? Ob beides zu vereinigen ist, kann doch nur das  Resultat  lehren, aber die Unfreiheit nie ein Vorwurf für eine Wissenschaft sein, wenn sie nur  wahr  ist. Es ist  nicht wahr,  daß der Empirismus "kein Recht hat, danach zu fragen, ob und inwiefern das Sinnliche in sich vernünftig ist" oder nicht (Werke VI, Seite 83); denn ein Recht zum Fragen und Untersuchen hat  jedermann,  nur nicht zum Behaupten ohne Grund, wie HEGEL es sich herausnimmt. - "Indem nun die Wahrnehmung die Grundlage dessen, was für Wahrheit gilt, bleiben soll, so erscheint die Allgemeinheit und Notwendigkeit" (deren Erkenntnis nach Werke VI, Seite 81 erst die Erfahrung ausmacht; es erscheint also die Erfahrung selbst) "als etwas Unberechtigtes" (also wäre bei jedem Gebäude  nur  das Fundament das Berechtigte!) "als eine subjektive Zufälligkeit, eine bloße Gewohnheit, deren Inhalt so oder anders beschaffen sein kann" (Werke VI, Seite 84).
    "Die Grundtäuschung im wissenschaftlichen Empirismus ist immer diese, daß er die metaphysischen Kategorien von Materie, Kraft, ohnehin von Einem, Vielen, Allgemeinheit und Unendlichen usw. gebraucht, ferner am Faden solcher Kategorien weiter fortschließt, dabei die Formen des Schließens voraussetzt und anwendet und bei allem nicht weiß, daß er so selbst Metaphysik enthält und treibt, und jene Kategorien und deren Verbindungen auf eine völlig unkritische und bewußtlose Weise gebraucht."
Diese Vorwürfe treffen keineswegs den Empirismus in seinen Prinzipien, sondern nur in seiner einseitigen Anwendung auf die äußere Natur, während das vollständige System des Empirismus verpflichtet ist, die Kräfte und Gesetze der Geistestätigkeit auf dieselbe Weise zu erforschen und festzustellen, wie die des äußeren Naturprozesses (denn, wie SCHELLING sagt, das Denken ist auch Erfahrung), wobei sich die Kategorien und Formen des Schließens ebenso wie das Parallelogramm der Kräfte usw. ergeben, und sich weiter ergibt, daß so wenig eine subjektive als eine objektive Zufälligkeit existiert, sondern daß die subjektive Geistestätigkeit derselben unerbittlichen  Notwendigkeit  und ebenso ausnahmslosen Naturgesetzen unterworfen sind, wie z. B. die Mechanik der festen Körper. Wenn also gewisse Empiriker die Denkformen auf unkritische, bewußtlose Weise angewendet haben, so trifft der Vorwurf die  Personen,  aber nicht den  Empirismus der vielmehr die Pflicht hat, sich jener Denkformen als eines Teils der empirischen Psychologie mit der sorgfältigsten Kritik bewußt zu werden. -

Das Wort "Empirismus" bezeichnet zugleich ein  System  und eine  Methode,  nach der das System errichtet ist, und kennzeichnet beide nur durch ihren Ausgangspunkt, oder die Grundlage, auf der sie ruhen, weil durch dieses Fundament (die Erfahrung) in der Tat sowohl Bauart als auch Gebäude charakterisiert sind, nicht aber in dem Sinne, als ob das Fundament schon das Ganze wäre. Der Empirismus als von der Erfahrung ausgehende Methode ist identisch mit der  induktiven  Methode; das was also zur Grundlage der Erfahrung  hinzukommt,  sind die mannigfaltigen Arten der Induktion, welche eben nicht mehr Erfahrung, sondern  Denken  ist; der Empirismus schließt also das Denken nicht  aus,  sondern  ein,  aber mit dem unendlichen Denken der Dialektik hat er allerdings nichts zu tun. Die Erfahrung ist die einzig mögliche Art und Weise zu einem Inhalt zu kommen; denn die mystische Konzeption ist eine individuelle Seltenheit und nicht mitteilbar; aus bloßer Formalität aber ist zu keiner Materialität zu kommen und selbst die reine Formalitt kann der Wissenschaft als Inhalt nicht anders als durch Erfahrung gegeben sein. Von der Erfahrung aber, die stets  singulär  ist, zur Wissenschaft, die  allgemein  sein soll, zu gelangen, gibt es wiederum kein anderes Mittel als die Induktion; denn diese ist eben das Aufsteigen von besonderen Wahrheiten zu allgemeinen. Wenn die Philosophie sich so lange gesehnt hat, die blendende Evidenz, welche die Methode der Mathematik verleiht, zu der ihrigen zu machen, so hat sie dabei nicht bedacht, daß die Mathematik nur deshalb deduzierbar ist, weil sie eine rein  formelle  Wissenschaft ist, daß aber die Philosophie eine so  materielle  Wissenschaft ist, daß ihre Materie nicht weniger als  Alles  ist, woraus hervorgeht, daß die Deduktion für die Philosophie niemals Methode des  Erkennens,  sonder nur höchstens Methode der Mitteilung des induktiv Erkannten sein kann; denn alles muß von den Prinzipien her deduziert werden, die Prinzipien selbst aber können, wie schon ARISTOTELES wußte, nur  induktiv  erkannt werden. Da es uns hier nicht um eine Lehrmethode, sondern um eine Erkenntnismethode zu tun ist, so bleibt die Induktion in der Tat als die allein mögliche stehen, obwohl auch zur Mitteilung des Erkannten die induktive Methode bei weitem die vorzüglichere, leichter zu fassende, angenehmere und stärker überzeugende ist. Auf welche Gebiete der Erfahrung dabei die Induktion sich hauptsächlich zu werfen hat, ob, wie SCHELLING will, nur auf  innere,  oder wie der Empirismus im engeren Sinn meint, auf innere und äußere zugleich, um eine möglichst breite Basis zu gewinnen, darauf kommt es hier weniger an, doch kann wohl das letztere nimmermehr von Schaden sein, und baut man zumindest umso sicherer, je breiter das Fundament ist.

Wo bleibt nun der Platz für eine dialektische Methode, welches Erkennbare sollte sie erkennen, was der Empirismus nicht  auch  erkennt? Die Dialektik erklärt sich für die absolute Wissenschaft und ihre Resultate für Resultate des  reinen  Denkens, die unabhngig von jeder Erfahrung sind. Diese Behauptung kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Dialektik wirklich abseits des Empirismus ihren eigenen Weg geht, nicht aber wenn sie, wie sie eingestandenermaßen tut, jeden Augenblick Halt macht, um den für mundgerecht befundenen Inhalt der Erfahrungswissenschaften in sich aufzunehmen, und mit diesen Kohlen und Wasser die Lokomotive des Begriffs zu heizen, der ohne die hieraus sich entwickelnde Kraft auch nicht einen Schritt von der Stelle kommen würde. TRENDELENBURG drückt die Alternative sehr gut mit den Worten aus ("Logische Untersuchungen", Bd. 1, Seite 82:
    "Die Erfahrung kann nur aufgenommen werden, indem der immanente Zusammenhang des aus sich selbst produzierenden Begriffs durchlöchert wird. Oder die dialektische Entwicklung ist unabhängig und nur aus sich heraus bestimmt, dann muß sie in der Tat Alles  aus sich wissen. Die Dialektik möge wählen, wir sehen keine dritte Möglichkeit."
Die Dialektik sieht natürlich, wie immer, diese dritte Möglichkeit in der Einheit beider Seiten der Alternative, die erst ihre Wahrheit sein soll. HEGEL drückt das so aus (Werke VI, Seite 20):
    "Sie" (die empirischen Wissenschaften) "vorbereiten so jenen Inhalt des Besonderen dazu, in die Philosophie aufgenommen werden zu können ... Das  Aufnehmen dieses Inhalts, in dem durch das Denken die noch anklebende Unmittelbarkeit und das Gegebensein (?) aufgehoben wird, ist zugleich ein Entwickeln des Denkens aus sich selbst."

    "Diese" (die Entwicklung von sich aus) "ist einerseits  nur ein Aufnehmen des Inhalts und seiner vorgelegten Bestimmungen, und gibt demselben zugleich andererseits die Gestalt, frei im Sinne des ursprünglichen Denkens  nur  nach der Notwendigkeit der Sache selbst hervorzugehen." (Werke VI, Seite 18-19)
Hierzu gibt MICHELET ("Gedanke", Bd. 1, Seite 120) folgende Erläuterungen:
    "Meinen Sie denn etwa, daß eine Zusammenstellung und Anordnung der Erfahrung noch Philosophie ist?" (Dies hat wohl noch niemand behauptet.  Michelet vergißt aber, daß der Empirismus das Denken  einschließt, da er durch Induktion aus der Erfahrung baut.) "Durch Induktion kommen die empirischen Wissenschaften zwar zu Allgemeinheiten" (also doch?), "die aber als von den einzelnen Anschauungen stammend, auch deren Zufälligkeit teilen", (erstens ist in den Anschauungen nichts Zufälliges, sondern nur Notwendiges, zweitens aber, wenn Zufälliges darin wäre, so würde ja dies eben  durch die Induktion,  durch den Fortgang zum Allgemeinen ausgeschieden und beseitigt). "Der unendliche Stoff der Erfahrung ist nie erschöpft" (ist auch nicht nötig, wenn nur die Kräfte und Gesetze zu erschöpfen sind, und deren Zahl ist nicht groß), "auf dem Weg der bloßen Erfahrung also Notwendigkeit" (?) "und Organsition zur Totalität unerreichbar" (diese ist allen Methoden gleich unerreichbar, wenn man unter Totalität alles Existierende in jedem Moment versteht, wohl aber ist sie dem Empirismus, und nur diesem erreichbar, wenn unter ihr nur die Gesamtheit der wirksamen Momente und die Art ihrer Wirksamkeit verstanden wird.) "Nur wenn mit dem Allgemeinen begonnen wird" (ja woher nimmt man denn das, wenn nicht aus dem Besonderen durch Abstraktion und Induktion?), "und dieses sich durch seine Selbstbewegung zur Besonderheit entwickelt, kann Vollständigkeit, kann ein Ganzes von Erkenntnissen entspringen" (daß Deduktioni aus dem schon erkannten Allgemeinen in besonderen Fällen, wo ein Besonderes der Erfahrung nicht zugänglich ist, die Empirie ergänzen und vervollständigen kann, hat der Empirismus längst gewuß, dies geht aber nur dann, wenn das Allgemeine durch die bisherigen Erfahrungen schon genügend gestützt ist, und dann dient diese Deduktion nicht zur Förderung der  Wissenschaft,  sondern nur des  Wissens.)  "Es ist freilich gewagt, an ein solches Unternehmen zu gehen, wenn die Erfahrung noch sehr in der Kindheit liegt, wenig Umfang gewonnen hat, denn dann fehlen die Substrate für die philosophischen Begriffe" (hier wird das offene Geständnis abgelegt, daß die Philosophie von der Erfahrung und dem Umfang derselben abhängig ist), "Wenn also die Erfahrung einerseits die  Bewährung  der philosophischen Deduktion ist" (hier wird die  Bedingung  schnell zur Bewährung oder bloßen Rechenprobe der Spekulation herabgesetzt), "indem diese nur Angesichts der Tatsachen Recht behalten kann, nicht indem sie dieselben vor den Kopf stößt" (hieraus geht hervor, daß die Wahrheit auch aus den Tatsachen  erkennbar  sein muß, da diese sonst nicht zu ihrer Bewährung dienen könnten), "so ist doch andererseits die Dialektik das  Regulativ  der Tatsachen" (muß wohl heißen: Regulativ der Schlüsse aus den Tatsachen, denn die Tatsachen selbst im wahren Sinne des Wortes lassen sich von niemand regulieren).
In dieser Erläuterung schrumpft also die  Einheit  beider Seiten auf die Erklärung zusammen, daß die Empirie die  Bewährung  der Deduktion, diese aber das  Regulativ  jener ist. Auf ersteres ist zu erwidern, daß, wenn die Empirie bewähren kann, sie die Wahrheit schon hat, und andere Methoden überflüssig macht, auf letzteres, daß die Erfahrung wohl das Denken, aber nimmermehr das dialektische, sondern einzig und allein das  induktive,  zur Ausscheidung der in ihr implizit schon enthaltenen allgemeinen Wahrheiten braucht, und im Empirismus auch hat. Es ist also mit der Einheit beider Seiten (der Empirie und einer aus sich selber ihren Inhalt gebärende Dialektik) Wind. Wer wird wohl einer Methode glauben, daß sie ihre Resultate rein aus sich selber entwickelt, wenn sie auf Tritt und Schritt Inhalte der Erfahrungswissenschaften in sich aufnehmen zu müssen und vom jeweiligen Standpunt und Umfang der Erfahrungswissenschaften abzuhängen bekennt? Die Behauptung: "Das Aufnehmen des Inhalts ist  zugleich  ein Entwickeln des Denens aus sich selbst", kann durch folgendes Gespräch illustriert werden:
    A: "Ach bitte, Herr  B, wie spät ist es?"
    B: "Wissen Sie es nicht?"
    A: "Verzeihen Sie, das kann ich Ihnen vorläufig nicht sagen."
    B: (nach seiner Uhr sehend) "Es ist gerade halb fünf."
    A: "Ich danke Ihnen, das habe ich übrigens schon vorher gewußt!"
Wir haben in den vorhergehenden Kapiteln gesehen, daß die Dialektik überhaupt gar nichts kann, weder begreifen, noch denken, noch fortschreiten, noch erkennen, noch sich mitteilen, sie würde also an ihrer Nichtigkeit vor dem ersten Atemzug zugrunde gehen, wenn sie sich nicht fremde Federn borgen würde, um sich damit zu schmücken. Daher ist die offene Anerkennung des Aufnehmens des Erfahrungsinhaltes vom Erfinder der Dialektik immerhin ein geschickter Streich. Was tut die Dialektik aber mit dem aufgenommenen Inhalt? Im besten Fall tut sie gar nichts mit ihm und begnügt sich mit dem wohltuenden Bewußtsein, ihne zugleich aus dem reinen Denken entwickelt zu haben; meistens aber  korrumpiert  sie ihn durch die hineingepfropften Widersprüche, durch die willkürlich geänderten Beziehungen und Wortbedeutungen, oft bis zur Unkenntlichkeit. Im Gebiet der Logik, wo die Begriffe abstrakter als irgendwo anders sind, besteht das Aufnehmen des empirischen Inhalts häufig in nichts weiter, als einem  Konkretisieren  im Gegensatz zum  Abstrahieren,  d. h. in einem Zurückschreiten des Weges, den der Verstand bei der Gewinnung jener Begriffe durch Abstraktion aus den Anschauungen hinaufgeschritten ist. (Vgl. TRENDELENBURGs "Logische Untersuchungen", Bd. 1, Seite 83-84. Merkwürdigerweise gibt MICHELET in "Gedanke", Bd. !, Seite 200, wo er einen Auszug von TRENDELENBURGs Auseinandersetzung gegeben hat, dies zu, "daß das Geheimnis der dialektischen Methode die Kunst ist, wodurch die ursprüngliche Abstraktion zurückgetan wird" usw.) Indem jeder Begriff auf seien Ursprung, auf die nächst-reichere Bestimmung zurückweist, aus der er entsprungen ist, und das Subjekt die in der abstrakten Abscheidung herrschende Leere gegenüber der dunkel auftauchenden volleren Anschauung fühlt, stellt sich der Trieb ein, von der Langeweile und Einseitigkeit, die jede Abstraktion hat, ins volle blühende Leben der Anschauung zurückzukehren, wozu eine gewisse Ergänzung erforderlich ist. Hier deckt sich das auf, was dem vorgeblichen Selbstbewegungstrieb des Begriffs zugrunde liegt. HEGELs Logik schreitet übrigens keineswegs in dieser Weise vorwärts, und selbst wenn wir uns ein in diesem Sinne ausgeführtes Werk dächten, so würde sein Wert sehr viel niederiger zu veranschlagen sein, als das eines solchen, welches von der realen Welt der Anschauung ausgehend die Genesis der logisch wichtigen Abstrakta treu darstellt; denn letzteres wäre das Ursprüngliche, ersteres nur seine geschraubte Umkehrung. Letzteres böte aber zugleich einen Fortgang in aufsteigender Richtung, der von der breiten Basis der Erfahrung beginnt, also nur der induktiven Methode anzureihen wäre.

Ich schließe dieses Kapitel mit den Worten SCHELLINGs (Werke I, 7, Seite 64-65)
    "Eben dieses göttliche Band aller Dinge nun, eben diesen in der Schale der Endlichkeit verschlossenen und in ihr allein quellenden und treibenden Lebenskeim sucht auch die Empirie zutage zu fördern. Sie dringt, wo sie ihres Tuns bewußt ist, oder auch, geleitet von einem glücklichen Instinkt, von einem  Verworrenen zur Einheit, das Seiende nicht unmittelbar erkennend, sondern auf alle Weise abzusondern strebend, das nicht wesentlich ist, um so zum Wesentlichen zu gelangen. Hätte sie diesen Zweck je vollkomen und allseitig erreicht, so würde ihr Gegensatz mit der Philosophie, und mit diesem die Philosophie selbst als eine eigene Sphäre oder Art der Wissenschaft verschwinden. Dann wäre wahrhaft nur eine Erkenntnis; alle Abstraktionen lösten sich auf in die unmittelbare freundliche Anschauung; das Höchste wäre wieder Spiel und Lust der Einfalt, das Schwerste leicht, das Unsinnlichste das Sinnlichste, und der Mensch dürfte wieder frei und froh im Buch der Natur selbst lesen, dessen Sprache ihm durch die Sprachverwirrung der Abstraktion und der falschen Theorien längst unverständlich geworden ist."


III. Wie Hegel zu seiner Methode kam.

Jedes Neue in einer Philosophie entspringt aus der mystisch konzipierten Idee, welche den Angelpunkt des Systems bildet, und dem eigentümlichen Zuschnitt der Person des Erfinders einerseits und aus dem augenblicklichen Standpunkt der kursierenden Philosophie und der bewegenden Interessen andererseits. Der Angelpunkt des hegelschen Systems, der Satz, welcher die historische Stellung und Bedeutung desselben begründet, ist der, daß die Idee alles und außer der Idee Nichts ist, daß die Idee Substanz, Subjekt usw. ist, daß die Welt nichts als logische Ideen enthält und daß es weder ein selbständiges Unlogisches noch einen dunklen Urgrund, ein unvordenkliches Sein gibt, welches erst das Seiende (Logisches wie Unlogisches) ist, sondern daß mit dem Denken alles erschöpft ist. Wäre nun neben dem Denken auf nur ein Denkendes zugelassen, so wäre dieses außer dem Denken noch etwas, da das Denken nur dann dessen Tätigkeit wäre; es war also die Konsequenze dieser Auffassung, welche die Welt mit ihrer  einen,  nämlich der logischen oder intellektuellen Seite erschöpft wähnt, daß das Denken selber sich denken muß, d. h. daß die Idee selbst es ist, welche das Denken vollzieht. Durch diese Ausmerzung des Subjekts aus dem Denkprozeß, oder, was dasselbe ist, durch dieses Setzen der Idee als denkenden Subjekts, war die Selbstbewegung des Begriffes gegeben, und zwar, da er im Prozeß doch nichts anderem als seiner Natur folgen kann, als seine Natur gegeben, woraus wiederum die ununterbrochene Flüssigkeit, und die Unbestimmtheit (nach hegelscher Terminologie  Unendlichkeit)  des Denkens folgt. Die Flüssigkeit oder Unbestimmtheit des sich selbst bewegenden Begriffs ist aber gleichbedeutend mit der Aufhebung des Satzes der Identität und dadurch indirekt des Satzes vom Widerspruch, der Widerspruch wird dadurch als existierend gesetzt, und das subjektive Denken muß auf alles Erkennen Verzicht leisten, wenn es nicht zu der Einbildung weitergeht, die Einheit des Widerspruchs, an dessen Existenz es schon glaubt, auch denken zu können.

Das Logische als leeres Formalprinzip könnte, rein auf sich selbst gestellt, keinen Inhalt aus sich erzeugen und keinen Prozeß aus sich hervorbringen, wenn es nicht die Fähigkeit besäße, sich selbst sein eigenes Gegenteil entgegenzusetzen, um aus dem so entstandenen Widerspruch der Entgegensetzung den Antrieb zur synthetischen Überwindung des Widerspruchs durch ein vernünftiges Ineinsdenken von Thesis und Antithesis zu gewinnen. Die logische Thesis ist die bloß erst abstrakt logische, verstandesmäßige Betätigung des Logischen; die widerspruchsolle Antithesis ist die relativ unlogische Betätigung des Logischen; die Synthese endlich ist seine absolut logische oder vernünftige Betätigung. Wie der Mangel eines absoluten Subjekts der Tätigkeit, oder einer absoluten Substanz hinter dem Logischen, das Logische selbst dazu nötigt, in eine Selbstbewegung einzutreten, wenn überhaupt ein Prozeß zustande kommen soll, so nötigt der Mangel eines dem Logischen koordinierten unlogischen Prinzips das Logische dazu, das Unlogische, das nun einmal für einen logischen Prozeß schlechterdings unentbehrlich ist, beständig aus sich heraus zu setzen und wieder in sich zurückzunehmen, um es neu zu setzen (vgl. "Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus", dritte Auflage, Seite 247-253; "Kategorienlehre", Seite X-XII; "Die deutsche Ästhetik seit Kant", Seite 118-120 und 109-110.

So folgen aus dem Prinzip des Systems die Vorbedingungen der dialektischen Methode; es folgt aber noch mehr aus ihm. Das Prinzip sagt, daß der Weltprozeß nichts als eine Selbstbewegung des Begriffs ist, und daß beim  idealen  Anfang dieses Prozesses der Begriff keine andere Voraussetzung als sich selbst gehabt hat; es scheint demnach, daß eine apriorische Reproduktion dieses Prozesses vor dem individuellen Bewußtsein möglich sein muß, da diesem dieselbe Voraussetzung, die dort waltete, gegeben ist. Das Bewußtsein kann sich nicht verhehlen, daß ein auf dieser Voraussetzung (des Begriffs und weiter nichts) zu reproduzierender Prozeß wenig Ähnlichkeit mit der zeitlichen Genesis der Welt haben möchte, aber dies kann die Hoffnung des Gelingens nur bestärken, da es sich nun um eine ewige Genesis handelt, also einen Prozeß, der von derselben ewigen Idee in mir wie überall sonst, in diesem Augenblick wie zu jeder anderen Zeit, vollzogen werden kann. So betrachte ich als Zuschauer in mir ein sich entrollendes Bild jener ewigen Genesis, einen Gedankenprozeß, der der Gang der Sache selbst ist, ein objektives Denken, in welchem der sich selbst bewegende Begriff zunächst in sein Gegenteil und von einem Gegensatz des Widerspruchs in die neue höhere und reichere Bestimmung übergeht; denn wohin soll der Begriff zunächst fließen, wenn nicht in sein Gegenteil, und wie soll er über den Widerspruch fort, als durch die Einheit?

In der "Phänomenologie des Geistes" zeigt sich noch deutlich genug, daß es tatsächlich nicht das Ansich ist, welches sich wandelt, sondern nur das Objekt, durch welches das Bewußtsein sich das Ansich zu repräsentieren versucht, daß der Impuls zum dialektischen Weiterschreiten in der Unangemessenheit des jeweiligen Objekts an das von ihm repräsentierte Ansich und in einem Gefühl des Philosophierenden von dieser Unangemessenheit und in seinem Wunsch nach einer adäquateren, wahreren Gestaltung des Objekts liegt, und daß die verschiedenen, zum Teil gegensätzlichen Ausgestaltungen des Objekts nicht zugleich im Bewußtsein sind, also auch nicht zu Widersprüchen führen können, sondern einander zeitlich ablösen, sei es als Phasen im erkenntnistheoretischen Entwicklungsgang des Einzelnen, sei es als Epochen in der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit. Nachdem jedoch am Ende der "Phänomenologie des Geistes" die stufe des sich selbst denkenden Begriffs erreicht ist, entsteht die neue Aufgabe, in der "Logik" vom ansich seienden Begriff zur Welt der Wirklichkeit zurückzugelangen. Da dies durch eine Entfaltung der logischen Möglichkeiten in sich selbst geschehen soll, fällt sowohl der Erkenntnistrieb des subjektiven Denkens als Impuls der dialektischen Bewegung als auch die zeitliche Aufeinanderfolge der begrifflichen Gegensätze weg; der Begriff muß den Impuls zum dialektischen Fortschritt scheinbar aus sich selbst schöpfen, und das zeitlos ewige Ineinandersein der Gegensätze führt zum Widerspruch.

Bei SCHELLING war eine widerspruchsfreie Dialektik bloß ein sekundäres Hilfsmittel, um die intellektuelle Anschauung hervorzulocken und durchzubilden; der Widerspruch lag bei ihm nicht in der Dialektik, sondern in dem Versuch, durch eine unmittelbare Anschauung des Bewußtseins dasjenige erfassen zu können, was als das genetische Prius des Bewußtseins vor und jenseits allen Bewußtseins liegen muß. Dieser Widerspruch haftet allem reinen Rationalismus an, dessen Wesen darin besteht, ein unmittelbares, apodiktisch gewisses Wissen des metaphysischen Ansich zu fordern; denn ein solches ist nicht durch Rückschlüsse aus der Erfahrung, die immer nur wahrscheinliche Hypothesen liefern kann, sondern nur von einer intellektuellen Anschauung zu erwarten, in welcher Schauendes, Schauen und Geschautes in Eins fallen. Die intellektuelle Anschauung SCHELLINGs ist kein Gemeingut aller Menschen, sondern eine besondere Gabe weniger Bevorzugter; HEGEL will sie zum Gemeingut erheben, indem er sie aus der anschaulichen in eine begriffliche Form umsetzt und ihr Ergebnis, statt es "aus der Pistole zu schießen", dialektisch vermittelt. In der "Phänomenologie des Geistes" wird die vollendete intellektuelle Anschauung erst am Ende erreicht, wo der absolute Begriff sich selber weiß und sich als absoluten Geist erkennt, um dann in der Logik sich selbst in seine Momente zu explizieren. Aber die dialektische Vermittlung, die zu diesem Ziel hinführt, ist doch insofern nur eine scheinbare, als die Identität des sich denkenden Begriffs mit seinen objektiven Gestaltungen für das Bewußtsein schon von Anbeginn des dialektischen Prozesses vorhanden sein muß, um am Ende für das Erkennen hervorspringen zu können. Der Widerspruch der intellektuellen Anschauung als einer bewußten wird durch die dialektische begriffliche Vermittlung nicht aufgehoben, sondern besteht vom Anfang bis zum Ende des Vermittlungsweges auf jeder seiner Stufen; wenn er auch sein Wesen als Widerspruch der intellektuellen Anschauung auf den unteren und mittleren Stufen noch zu verhüllen weiß, so macht er sich doch auf jeder als vorhandener Widerspruch bemerkbar und erscheint nun als immanenter Widerspruch der dialektischen Vermittlung.

So zwingt der konsequent durchgeführte reine Rationalismus oder Panlogismus in dreifacher Weise zu einer Widerspruchsdialektik. Genetisch betrachtet muß das Ansich, wenn es nichts als ein logisches Prinzip ist und kein unlogisches neben sich vorfindet, aus sich selbst das Unlogisch setzen, um aus der Ruhe der Selbstgenügsamkeit zu einem Prozeß zu gelangen, und muß damit seiner eigenen Wesenheit widersprechen. Die Entfaltung der gegensätzlichen Momente der logischen Idee im reinen Ansichsein bedingt ihr zeitlos ewiges Ineinandersein und bauscht damit ihre Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit zum Widerspruch auf. Der Widerspruch endlich, der in der Forderung einer bewußten intellektuellen Anschauung liegt, wird durch die begriffliche dialektische Vermittlung nicht getilgt, sondern bloß auf alle Stufen des dialektischen Prozesses verteilt und seiner wahren Natur nach verschleiert. In der genetischen Entfaltung der logischen Idee sowohl zur wirklichen Welt aus auch in ihrem reinen Ansichsein ist der Widerspruch für den reinen Rationalismus ebenso unvermeidlich, wie im Aufstieg des bewußten Erkennens von der Sinnlichkeit bis zum absoluten Geist. Allen rationalistishen Systemen von PLATO bis zu SCHELLING waren diese Widersprüche immanent, aber man suchte die Augegen gegen sie zu verschließen. HEGEL gebührt das Verdienst, diese Konsequenz des Panlogismus offen dargelegt und mit dem Mut der Verzweiflung anerkannt zu haben, daß vom Standpunkt des reinen Rationalismus die Wahrheit den Widerspruch nicht von sich ausschließen darf, sondern in sich einschließen muß. (4)

So entspringt die dialektische Methode im Großen und Ganzen aus dem Prinzip des hegelschen Systems, welches hier nicht kritisiert werden woll. Und hier zeigt sie sich wohlgemert in ihrer  reinen  Gestalt, nicht dem Verstand wird zugemutet, daß er sich in Widersprüche verwickelt, sondern das unendliche flüssige Denken des sich selbst bewegenden Begriffs ist es, welches die Denkgesetze aufhebt. Man sieht hier recht deutlich, wie die Versuche, das verständige Denen durch alle möglichen Mittel in Widersprüche zu verwirren, nur das Streben jener eigentlichen und reineren Form der Methode ist, sich in der Welt Anerkennung zu verschaffen, und sei es auch durch Konzessionen in der Reinheit ihres Geistes und der Erhabenheit ihrer Voraussetzungslosigkeit.

Jene Vermittlung gleichsam mit dem Irdischen wurde nun durch das unterstützt, und zum Teil auch wohl näher bestimmt, was damals in der Philosophie Mode war, wobei ich unter Mode dasjenige im Schwang gehende äußerliche Beiwerk verstehe, was nicht im notwendigen Entwicklungsgang der Sache begründet ist. Mode war es aber damals, den kantischen Antinomien einen übermäßigen, ja sogar einen positiven Wert beizulegen; Mode war es seit FICHTE, die sogenannte Deduktion der Kategorien als Hauptgegenstand der theoretischen Philosophie anzusehen; Mode war es, im triadischen Rhythmus von Thesis, Antithesis und Synthesis zu philosophieren; Mode war es, an die Berechtigung der Vernunft zum Postulieren allerlei unverständiger und grundloser Behauptungen nicht bloß in praktischer, sondern sogar in theoretischer Beziehung zu glauben, und SCHELLINGs transzendentale Anschauung mißzuverstehen; Mode war es, in einem der Klarheit der deutschen Sprache unwürdigen, unverständlichen Jargon zu schreiben, und die Unklarheit der Gedanken für Tiefe auszugeben; Mode war es, den Sinn der Worte nicht aus dem gereinigten Sprachgebrauch aufzunehmen, sondern willkürlich zu verändern (z. B. "Identität" bei SCHELLING); Mode war es schließlich auch, die Philosophie hochtrabenderweise als Wissenschaft des Absoluten und absolute Wissenschaft auszugeben, ohne sich hierbei etwas Klares zu denken. Was Wunder, wenn HEGEL als Kind seiner Zeit nicht die Aufgabe fühlte, an diese morschen Stämme die Axt zu legen, sondern lieber die Gelegenheit benutzte, aus diesem dem Publikum gewohnten Material die Stützbalken für seine Methode zu zimmern! Was Wunder, wenn er es nicht für nötig fand, zur Sprache der gebildeten deutschen Prosa zurückzukehren, sondern es vorzog, unter dem Mantel der Unverständlichkeit des herkömmlichen Kauderwelsch jene sophistische Scheindialektik und antinomische Spiegelfechterei zu verschleiern, durch welche er vor dem Verstand die Existenz des Widerspruchs zu beweisen suchen mußte!

Es war eine eigentümliche Sturm- und Drangperiode um die Wende des Jahrhunderts in der Philosophie und im Denken, wie kurz zuvor in der Dichtung und im Gefühl. Es solte mit titanenhafter Gewaltsamkeit und Überstürzung der Olymp der absoluten Wahrheit gestürmt werden, und sie hatten doch damals wie zu allen Zeiten eben auch nur Bausteine aufeinander zu türmen. Der letzte, verwegenste, sich selbst überschlagende Versuch dieser eitlen Himmelsstürmerei ist die die hegelsche Dialektik, die das Weltall mit einem Griff ihrer Arme zu umklammern wähnt, und doch nur die Gespenster ihrer eigenen Einbildung an die Brust drückt. Es war eine Zeit der gewaltigsten Aufregung, wo die Geister aufeinanderplatzten und in einem tollen Jagen jeder den großen Vorgänger an Größe zu überbieten suchte; in einer solchen Zeit, wo das Denken sich bereits in einer krankhaften Überreizung befindet und zum Teil eine ungesunde Richtung eingeschlagen hat, werden Verirrungen erklärlich, die sonst geradezu unbegreiflich erscheinen. Es mußte unmittelbar nach KANT, FICHTE und SCHELLING etwas Außerordentliches zutage kommen, um das zugleich überreizte und abgespannte Publikum zu packen, - und in der Tat - blendend genug durch eine Unerhörtheit der Ansprüche wie der Mittel war die dialektische Methode. Sie bot aber auch dem Erfinder noch mehrere kleine Nebenvorteile, die sie ihm immer wieder teurer machen mußten, nachdem er sie einmal errungen hatte. Sie enthob ihn der lästigen, oft geradezu verzweifelten Aufgabe, in seinem Gedankensystem jeden Widerspruch zu vermeiden; sie setzte ihn im Gegenteil instand, mit der so leicht zu erfüllenden Bedingung, nirgens widerspruchslos zu sein, frisch darauf los zu arbeiten, und alles behaupten und beweisen zu können, was er Lust hatte, nämlich durch die einfache Versicherung, daß dies der von ihm erschaute Gang der objektiven Vernunft ist; sie war also ein so bequemes Mittel, wie es noch keinem Philosophen zu Gebote gestanden hatte, seine mystischen Urkonzeptionen auf scheinbar wissenschaftliche Art zu beweisen; sie war ein Weg zur Ernte, ohne gesät zu haben, und ein Mantel der Bescheidenheit für den größten Ehrgeiz, indem sie das individuelle Subjekt scheinbar aus dem Spiel läßt, und doch der erste Zuschauer jenes objektiven Ganges der Vernunft den Ruhm der absoluten Methode und des absoluten Inhalts zugleich beanspruchen durfte. In welcher Weise all die angeführten Momente im Kopf HEGELs ineinander gearbeitet haben, durch welche erst die Überzeugung geweckt wurde, und welche später hinzugezogen sind, wieweit die vollwichtige Überzeugung von der vorgetragenen Lehre gegangen ist, ob und wo ihm an der Richtigkeit derselben ein Zweifel aufgestoßen war, und wie stark sie gewesen sind, - diese Fragen zu entscheiden, liegt wohl außerhalb des Bereichs des heutigen Lesers seiner Werke.

Ich erinnere hier noch einmal an das, was ich schon im Vorwort gesagt habe, daß ich den Grundprinzipien wie den Hauptresultaten der hegelschen Philosophie - abgesehen von der Art ihrer Gewinnung - eine notwendige Stelle in der Entwicklung der Philosophie zuerkenne, und daß ich weit davon entfernt bin, die Verdienste HEGELs (nur nicht seiner Methode) um die Rechtslehre, die Ästhetik, die Religionsphilosophie, Philosophie der Geschichte und Geschichte der Philosophie gering zu veranschlagen. Insoweit er es aber nicht unterlassen hat, jene Fächer in seinem eigentlichen Sinn dialektisch zu behandeln, hat er überall Unklarheit und Verwirrung hineingebracht, das Einfache schwer gemacht und das Dunkle und Problematische seiner Lösung entfernt.


IV. Resumé und Schluß.

Wo die Dialektik vor HEGEL auftritt, ist sie an die fundamentalen Denkgesetze gebunden und besteht wesentlich darin, das Auftauchen eines Widerspruchs als Kriterium der Unwahrheit geschickt zu benutzen, um durch eine Verbesserung der falschen, den Widerspruch erzeugenden Begriffe und Voraussetzungen der Wahrheit näher zu kommen. Aber aus dem hegelschen Prinzip, daß nichts anderes als der Begriff existiert und es keinen anderen Prozeß als die Selbstwegegung des Begriffs, des ewig flüssigen gibt, aus diesem Prinzip folgt eine neue Art Dialektik, eine ewige Genesis des Absoluten, die im Bewußtsein reproduzierbar ist. Diese Dialektik hebt die Fundamentalgesetze auf, und schreibt sich, im Gegensatz zu einem bestimmten Denken des Verstandes nach den soeben verworfenen Gesetzen, ein Vermögen des unbestimmten Denkens, die Vernunft zu, setzt also in jeder Seele zwei nach sich widersprechenden Gesetzen denkende Vermögen, deren jedes das andere für falsch erklärt, obwohl alle Verständigen von jener Vernunft nichts in sich finden können, die doch gerade das Objektive und Allerallgemeinste im Gegensatz zum rein Subjektiven der Verstandesbestimmungen sein soll. Diese Dialektik ist voraussetzungslos und legitimationslos; denn sie muß jede Begründung, Rechtfertigung oder Voraussetzung, die auf der von ihr für falsch erklärten Verstandeslogik beruth als falsch verschmähen. Sie beruth allein auf ihrer eigenen Versicherung. Sie behauptet, alles aus sich rein zu entwickeln, gibt aber zu, daß diese Entwicklung aus sich zugleich bei jedem Schritt ein Aufnehmen des Inhalts der Erfahrungswissenschaften ist, welchen sie auf ihre Art korrumpiert, über den sie aber nirgends hinauskommt. Das unbestimmte Denken macht jeden Fortgang im Denken unmöglich, denn jeder solcher fordert eine feste Identität der durch dasselbe Wort bezeichneten Bestimmungen in den verschiedenen Momenten ihres Vorkommens, d. h. aber eine Suspension der Flüssigkeit des Begriffs; diese Suspension ist aber ebenfalls unmöglich, weil die Flüssigkeit des Begriffs dem Subjekt nicht nur jeden festen Punkt zum Widerstand gegen die Wandlung des Begriffs, sondern sogar jedes Maß für die Wahrnehmung der Identität oder Veränderung raubt. Um aus der Oszillation des Begriffs zwischen zwei Entgegengesetzten (contrariis, - alle Begriffe, die kein contrarium haben, kann die Dialektik überhaupt nicht behandeln) weiter zu kommen, schiebt die Dialektik dem logischen Verhältnis der Identität das reale Verhältnis der Einheit unter, gewinnt aber dadurch kein anderes Resultat als die  0  der betreffenden Gattung; erst indem sie die widersprechende Forderung hinzubringt, daß die Entgegengesetzten in der sie vernichtenden Einheit zugleich auch erhalten bleiben, schafft sie sich anstelle des Nichts den Widerspruch, das Unmögliche, zum Resultat. Sie behauptet, vermöge ihrer positiven Vernunft das Denken des Widerspruchs vollziehen zu können, eine Tätigkeit, die durchaus mystisch, unmittelbar an andere, und unbegreiflich für den sie Ausübenden selbst wäre. Diese Behauptung ist eine Einbildung, die das Wollen mit dem Vollbringen verwechselt und in die psychiatrische Kategorie der fixen Idee gehört, sowie die Flüssigkeit des Begriffs die Ideenflucht des Maniacus repräsentiert.

Bis hierher war die Dialektik sich selbst treu; indem sie aber mit den bisherigen Hilfsmitteln von vornherein an jeder Aufnahme bei anderen Menschen verzweifeln muß, begeht sie die Inkonsequenz, den von ihr selbst verpönten Versuch einer Rechtfertigung durch außer ihr liegende Voraussetzungen zu machen. Beide Voraussetzungen, das Absolute sowie das Durchdrungensein alles Existierenden vom Widerspruch, würden, wenn sie insich wahr wären, doch keineswegs zur Dialektik, sondern nur zum Skeptizismus und der Verzweiflung des Denkens an sich selbst führen. Sie sind aber beide in sich  unwahr.  Das Absolute ist als Bestimmungs- und Beziehungsloses für den Verstand nicht nur Nichts, sondern ein zu denken Unmögliches, das er leugnen muß; nur eine mystische Gefühlssehnsucht kann sich mit diesem Unbegriff abquälen, eine solche aber kann nimmermehr zur Begründung wissenschaftlicher Prinzipien dienen. Die allgemeine Existenz des Widerspruchs aber ruht auf Demonstrationen, die nur da einen Widerspruch aufzeigen können, wo sie ihn begangen, also selbst hineingebracht haben. Indem die Dialektik sich also zu Konzessionen herabläßt, um sich vor dem Verstand zu rechtfertigen, hat sie den doppelten Schaden, das, was sie zu beweisen können vorgibt, nicht beweisen zu können, und dabei doch sich und ihrem Geist untreu geworden zu sein. Nach dieser nutzlos gegebenen Blöße bleibt das obige Resultat bestehen, daß die dialektische Methode eine krankhafte Geistesverwirrung ist, welche, allein auf die eigene Versicherung ihrer Wahrheit gestützt, mit der Aufhebung der seit Jahrtausesnden von einem angezweifelten Fundamentalgesetz des gesunden Denkens nicht nur alle bisherigen theoretischen und praktischen Leistungen des Menschengeschlechts verhöhnt, sondern jede Möglichkeit des Denkens überhaupt und damit des Lebens vernichtet.

Die Realdialektik JULIUS BAHNSENs, welche ich anderswo dargestellt und beurteilt habe ("Neukantianismus etc." Seite 223-231; "Philosophische Fragen der Gegenwart", Seite 261-298), gehört nicht hierher, weil sie keine Methode des wissenschaftlichen Erkennens, sondern eine Beschaffenheit des Seins und seiner Prozesse darstellt, die nach BAHNSEN auf induktivem Weg aus der Erfahrung erkannt werden müssen. Alle sonstigen nach HEGEL aufgetretenen Versuch, eine eigenartie Dialektik zu begründen, stellen nur Übergangsformen zwischen der aristotelischen und hegelschen oder Mischungsprodukte aus diesen beiden mit oder ohne Zusätze aus BAHNSENs Realdialektik dar (vgl. "Kritische Wanderungen durch die Philosophie der Gegenwart", Seite 149-150, 154-177).
LITERATUR - Eduard von Hartmann, Über die dialektische Methode, Bad Sachsa 1910
    Anmerkungen
    4) Vgl. hierzu LEOPOLD ZIEGLER, "Der abendländische Rationalismus und der Eros", Jena und Leipzig, 1905, Seite 161-235.