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Von G. E. Schulze zu A. Schopenhauer [Ein Beitrag zur Geschichte der kantischen Erkenntnistheorie]
Einleitung GOTTLOB ERNST SCHULZE und ARTHUR SCHOPENHAUER haben beide KANTs erkenntnistheoretische Ansichten, welche dieser in der "Kritik der reinen Vernunft" niedergelegt hat, eingehend und einschneidend kritisiert; der erstere in der anonymen Schrift "Aenesidemus" 1792, in der zweibändigen "Kritik der theoretischen Philosophie", Hamburg 1801 und endlich in der "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" in mehreren Auflagen; SCHOPENHAUER hat sich über denselben Gegenstand geäußert im Anhang der "Welt als Wille und Vorstellung", überschrieben: "Kritik der kantischen Philosophie", zweite Auflage, 1844, erste seltene Auflage 1819. SCHOPENHAUERs Werke sind in unseren Tagen genügend bekannt. "Aenesidemus" hat neuerdings wenigstens von KUNO FISCHER Beachtung gefunden wegen seines Verhältnisses zu KANT und zum nachfolgenden FICHTE: über das Verhältnis der erkenntnistheoretischen Beurteilung KANTs zwischen "Aenesidemus" und SCHOPENHAUER findet sich dagegen bei FISCHER nur eine leicht hingeworfene Andeutung, die uns später wieder begegnen wird; sie betrifft die Einwirkung, die SCHOPENHAUER von SCHULZE könnte empfangen haben. Gerade diese Frage wird uns in erster Linie beschäftigen. Es eignet allen philosophischen Problemen, daß sie zu keinem Teil Punkte betreffen, bis zu welchen keine eigentlichen Beweise reichen. Dafür verschafft sich dann die Geistesbestimmung, der Charakter, die Gegenwart, der Umgang des Philosophen einen großen, offenen oder verborgenen Einfluß. Dies nachzuweisen, liegt im besonderen Interesse der vergleichenden Methode. Nun ist es bei SCHOPENHAUER bereits eine ziemlich allgemeine Überzeugung, daß seine Philosophie nicht in dem Grad original erwachsen ist, wie er es selbst zu sagen liebt; denn abgesehen von KANT und PLATO gibt er kaum eine Abhängigkeit zu und einige Anhänger heben ihn immer noch himmelweit über alle nachkantischen Philosophen insbesondere hinaus. Vgl. zum Beispiel PAUL DEUSSENs "Die Elemente der Metaphysik", Leipzig 1890. Meine Untersuchung aber, gestützt auf bekannte biographische Vorarbeiten, wird im Gegenteil mit jener anderen ziemlich allgemeinen Überzeugung zusammentreffen und deutet dies bereits im Titel an. SCHULZE selber gegenüber kann dagegen jenes eine, oben genannte Interesse der vergleichenden Methode nicht befriedigt werden, denn ich bin nicht in der Lage, der Literatur irgendein Lebensbild dieses Mannes zu entnehmen. Seine "Kritik der theoretischen Philosophie" ist ein fast vergessenes Buch und noch mehr ist es der Verfasser. Die einzigen Quellen über diese Persönlichkeit sind die Notizen der "Allgemeinen deutschen Biographie" und des "Neuen Nekrologs der Deutschen", welche aber zu einer Charakteristik nicht ausreichen. Im Verzeichnis der "Schopenhauerliteratur" von LABAN findet sich unter den Titeln der hunderte von Schriften keiner, der eine Auskunft über die Beziehungen von SCHULZE und SCHOPENHAUER versprechen könnte und doch ist SCHULZE in Göttingen ein Jahr lang SCHOPENHAUERs Lehrer in der Philosophie gewesen und ein Brief SCHULZEs an SCHOPENHAUER, von GRIESEBACH Seite 72 in seiner Biographie abgedruckt, weist darauf hin. Jene Tatsache allein ist es, welche allerdings von allen Biographen SCHOPENHAUERs fast wörtlich wiederholt wird; doch wird ihr keine weitere Folge gegeben. Daran ist eben SCHOPENHAUERs eigene, allzu karge Auskunft über diesen Punkt die Ursache. Man kann z. B. dem Urteil SCHEMANNs in seinen "Schopenhauerbriefen", Seite 468, nicht beistimmen, wonach SCHOPENHAUER sich über die Einwirkung G. E. SCHULZEs auf seinen Entwicklungsgang "selbst genügend deutlich ausgesprochen hat". Diese "Aussprache kann sich nämlich nur auf den Seite 331 desselben Buches wiedergegebenen Brief SCHOPENHAUERs an J. E. ERDMANN in Halle beziehen, vom 9. April 1851, wo der betreffende Passus lautet:
Statt der Charakteristik gebe ich zum Schluß der Einleitung die nötigen biographischen Notizen anhand der "Allgemeinen deutschen Biographi" und des "Neuen Nekrologs der Deutschen I", 1833, Seite 459f. In die Göttingerzeit werden sich diejenigen äußeren Daten leicht einflechten lassen, welche auf einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Philosophieren des Lehrers SCHULZE und des Schülers SCHOPENHAUERs hinweisen. GOTTLOB ERNST SCHULZE wurde 1761 zu Schloß Heldrungen in Thüringen geboren; der Tag der Geburt wird nicht gleichmäßig überliefert. Als neunzehnjähriger Jüngling bezog er die Universität Wittenberg, wo er sich, dem Wunsch seines Vaters gemäß, dem theologischen Studium widmete. Nebenbei hörte er auch Logik und Metaphysik und, angeregt durch den mit KANT neu erwachten Geist, beschäftigte er sich "mehr als einem künftigen praktischen Theologen zukommt, mit der Bearbeitung dieser Wissenschaften. 1783 wurde er Magister der Philosophie und 1786 Diakonus an der Wittenberger Schloßkirche. 1788 wurde er zum Professor der Philosophie nach Helmstädt berufen und nach Aufhebung dieser Universität 1810 nach Göttingen, wo SCHOPENHAUER einer seiner ersten Schüler war. Dieser wollte zuerst Medizin studieren, auf SCHULZEs Vorträge hin änderte er seinen Entschluß. Im Wintersemester 1810 belegte er bei ihm Metaphysik und Philosophie und im Sommersemester 1811 die Logik. Lehrer und Schüler sind damals wohl auch persönlich bekannt geworden, was ich allerdings nur aus der Antwort schließen kann, welche SCHULZE auf ein der eingesandten Dissertation beigelegtes Schreiben hin an den jungen Dr. SCHOPENHAUER gerichtet hat,
Schulzes und Schopenhauers Beurteilung der kantischen Erkenntnistheorie Erster Abschnitt Darstellung aus Schulzes "Aenesidemus". Meiner vergleichenden Prüfung lege ich zugrunde von der Seite SCHULZEs zunächst nur "Aenesidemus" und von der Seite SCHOPENHAUERs die ebenfalls schon erwähnte Kritik der kantischen Philosophie". "Aenesidemus" ist ein Buch in Briefen. Hermias, ein enthuastischer Verehrer der kritischen Philosophie, meldet dem Aenesidemus seine besonders noch durch "Elementarlehre" REINHOLDs begründete völlige Überzeugung von der Wahrheit und Allgemeingültigkeit jener Philosophie; Aenesidemus, der Skeptiker, welcher anderer Meinung ist, sendet ihm eine Prüfung derselben. In dieser Schrift ist es auf eine entscheidende Schlacht zwischen dem Kritizismus und dem Skeptizismus abgesehen und war durch die Bestreitung der notwendigen synthetischen Urteile a priori. Damit hat SCHULZE offenbar den Nagel auf den Kopf getroffen, denn KANT sagt in der Einleitung zur Vernunftkritik, fünfte Auflage, Seite 14, daß auf den synthetischen oder Erweiterungsgrundsätzen die ganze Endabsicht der spekulativen Erkenntnis a priori beruth und beginnt den 6. Abschnitt mit den Worten:
2) Der Probierstein alles Wahren ist die allgemeine Logik und jedes Raisonnement [Argument - wp] über Tatsachen kann nur insofern auf Richtigkeit Ansprüche machen, als es mit den Gesetzen der allgemeinen Logik übereinstimmt.
2) muß die Ursache in der Zeit der Wirkung allemal vorangehen, 3) muß die Ursache mit der Wirkung in einer notwendigen Verbindung stehen; Diese Sätze HUMEs sollen nun gegen die kantische Ableitung der notwendigen synthetischen Urteile aus dem Gemüt geltend gemacht werden. Zu diesem Zweck wird Seite 118f an diese Hauptlehre der Vernunftkritik erinnert: Die Erfahrungskenntnis, die der Mensch besitzt, macht nicht ein Aggregat von Wahrnehmungen aus, sondern Wahrnehmungen, die in Anschauungen und Urteilen bestehen, d. h. in einer notwendigen unabänderlichen Verbindung. Analytisch ist ein Urteil, wenn das Prädikat im Subjekt des Urteils entweder offenbarer- oder versteckterweise schon enthalten ist. Synthetisch hingegen ist ein Urteil, wenn das Prädikat ganz außerhalb des Begriffs des Subjekts liegt, trotzdem es mit demselben in Verbindung steht. In solchen synthetischen Urteilen kann die Verbindung des Subjekts und Prädikats zufällig oder aber notwendig und allgemein gültig sein; die Quelle der zufällig synthetischen Urteile ist die Erfahrung und Empfindung, an diesen muß ihre reale Wahrheit geprüft werden. Aber die notwendigen synthetischen Urteile können, eben weil sie Notwendigkeit enthalten, nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden; denn aus der, wenn auch noch so großen Anzahl von Erfahrungen, darf nie geschlossen werden, daß etwas notwendig und allgemein immer so ist, wie es von uns wahrgenommen wird. Da nun also der Grund dieser Urteile nicht in der Erfahrung und nicht außerhalb von uns liegen kann, so muß er in uns selbst, in den Grundbestimmungen unseres Gemüts enthalten sein. Die synthetischen Urteile sind also von aller Erfahrung unabhängig und Urteile a priori und sobald Notwendigkeit und Allgemeinheit, die unzertrennlich zueinander gehören, in einer Erkenntnis vorkommenm, so ist dies ein unfehlbares Kennzeichen, daß dieselbe a priori in uns vorhanden ist. Die notwendigen synthetischen Urteile müssen nun ferner von uns bei der Erkenntnis empirischer Gegenstände angewendet werden. Es gibt aber nur zwei Fälle, unter denen die Urteile nebst den dazu gehörenden Vorstellungen zusammentreffen können mit ihren Gegenständen und sich notwendigerweise aufeinander beziehen; entweder der Gegenstand macht die Vorstelung, oder die Vorstellung macht den Gegenstand allein möglich. Im zweiten Fall muß die Vorstellung, weil sie doch ihren Gegenstand nicht dem Dasein nach hervorbringen kann, in Beziehung auf die Erkenntnis des Gegenstandes bestimmend sein, anders ausgedrückt, sie muß die Bedingung ausmachen, unter der die Erkenntnis des Gegenstandes allererst möglich ist. Die notwendigen synthetischen Urteile sind also die Bedingungen a priori der Erkenntnis empirischer Gegenstände und enthalten die Form der wirklichen Erkenntnis empirischer Gegenstände, die durch unser Gemüt bestimmt ist. Sie beziehen sich daher nicht unmittelbar, sondern mittels des durch die Empfindungen gegebenen Stoffes zu einer Erkenntnis, auf wirkliche Gegenstände, und haben nur Gültigkeit für unsere Erkenntnisart. Das sind die "Kategorien". Aus all dem folgt, daß auch die allgemeinen und notwendigen Gesetze der Natur nicht aus der Erfahrung stammen können, sondern umgekehrt die Erfahrung wird selbst erst durch die Gesetze der Möglichkeit der Erfahrung, die in uns enthalten sind, bestimmt. Zu den Kategorien und den sich darauf beziehenden notwendigen synthetischen Sätzen, welche die transzendentale Analytik uns vorstellt, gehört auch der Begriff der Ursache. Er bedeutet eine besondere Art der Synthesis, da auf und durch etwas A was ganz verschiedenes B notwendig und nach einer Regel gesetzt wird, sodaß man vom Dasein des Ersteren auf das Dasein des Letzteren schließen kann. Durch Vernunft sehen wir freilich auf keine Weise ein, wie das Dasein eines Dings auf das Dasein von irgendetwas Anderem, was durch jenes notwendig gesetzt wird, sich bezieht. Wir haben von einer solchen Verknüpfung der Dinge ansich, wie sie als Ursachen wirken können, nicht den mindesten Begriff und können noch weniger dergleichen Eigenschaften an Erscheinungen, als Erscheinungen denken, denn der Begriff Ursache enthält nichts, was in den Erscheinungen liegt, sondern was der Verstand allein denken muß. Trotzdem haben wir dennoch von einer solchen Verknüpfung der Vorstellungen in unserem Verstand und zwar in Urteilen überhaupt, einen solchen Begriff, nämlich, daß Vorstellungen in einer besonderen Art Urteile als Grund in Beziehung auf eine Folge gehören. Dabei sehen wir nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit vollkommen ein, alle Erscheinungen unter den Begriff der Ursache zu subsumieren, d. h. ihn zum Grundsatz der Möglichkeit der Erfahrung zu gebrauchen. Wie alle anderen Kategorien, dient auch der reine Verstandesbegriff der Ursache nur dazu, Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können; die Ausdehnung desselben über die sinnliche Anschauung hinaus liefert nur einen leeren Begriff von einem Objekt, von dem wir durch den Begriff gar nicht urteilen können, ob es nur einmal möglich ist oder nicht. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit dem Gebrauch des Grundsatzes der Kausalität, oder mit dem Satz vom zureichenden Grunde, nach welchem alles was geschieht, eine Ursache voraussetzt. Der Grundsatz geht nicht auf die synthetische Einheit in der Verknüpfung der Dinge ansich, sondern bloß der Wahrnehmungen, und zwar auf die Verknüpfung der Wahrnehmungen in Anbetracht der Zeitbestimmung und des Verhältnisses des Daseins in ihr nach einem allgemeinen Gesetz. Dieses allgemeine Gesetz enthält also die Notwendigkeit der Bestimmung des Daseins in der Zeit überhaupt, wenn die empirische Bestimmung der relativen Zeit objektiv gültig, folglich Erfahrung sein soll. Ebenso verhält es sich mit den reinen Begriffen Kraft, Vermögen, Handlung, Leiden. Man sieht leicht ein, wie KANT sich bei diesen Sätzen HUMEs Einwendungen vorstellt Schritt für Schritt, um dieselben zu widerlegen. Er gibt zu, daß wir auf keine Weise einsehen, wie die Notwendigkeit der Verbindung, welche zum Wesen der Begriffe der Ursache und der Kausalität gehört, aus der Erfahrung stammen soll; aber sie geht dafür aller Erfahrung, innerer und äußerer, vorher und ist, wie die Auffindung der notwendigen synthetischen Urteile überhaupt zeigt, überdies bei weitem nicht die einzige Notwendigkeit, durch welche der Verstand a priori sich Verknüpfungen der Dinge denkt. Allein nach SCHULZE ist mit dem eben beschriebenen Produkt des kantischen Scharfsinns gegen DAVID HUME gar nichts erwiesen, vielmehr bringt KANT seine Antwort auf das allgemeine Problem: "Wie notwendige synthetische Sätze in uns möglich sind?" nur dadurch zustande, daß er den Grundsatz der Kausalität auf gewisse Urteile bereits anwendet; diese Urteile wiederum unter den doch noch problematischen Begriff der Wirkung von etwas subsumiert und dieser Subsumtion gemäß das Gemüt für die wirkende Ursache derselben ausgibt. Wie kommt KANT dazu, gleich beim Anfang der Errichtung seines Systems eine Begebenheit, nämlich das Dasein der notwendigen synthetischen Urteile in uns, für die Wirkung einer davon verschiedenen Ursache zu halten? Auch folgert er daraus, daß wir uns nur das Vermögen der Vorstellungen als den Grund der notwendigen synthetischen Urteile denken können, das Gemüt müsse auch der Grund derselben wirklich sein. Die Vernunftkritik sucht also den Skeptizismus bloß dadurch zu widerlegen, daß sie folgende drei Sätze bereits als ausgemacht voraussetzt, gegen deren Zulässigkeit HUME alle seine skeptischen Zweifel gerichtet hatte:
2. Der Satz des zureichenden Grundes gilt nicht nur von Vorstellungen, sondern auch von Sachen ansich und deren objektivem Zusammenhang. 3. Wir sind berechtigt, von der Beschaffenheit eines Etwas in unseren Vorstellungen auf die objektive Beschaffenheit desselben außerhalb von uns zu schließen. Wenn wir aber weiter davon absehen, daß KANT weder das eine noch das andere getan hat, und einmal annehmen wollen, der Verstand sei ohne weiters befugt, im Sinne KANTs nach Entstehungsgründen zu fragen, so beweisen seine Behauptungen erst recht nichts gegen HUME; sie bilden nämlich folgenden Schluß:
- Die notwendigen synthetischen Urteile in unserer Erkenntnis lassen sich nur allein dadurch von uns als möglich vorstellen, daß wir sie als aus dem Gemüt und a priori entstanden ansehn (minor). - Also können auch die notwendigen synthetischen Urteile nur aus dem Gemüt und aus dessen a priori bestimmter Handlungsweise wirklich entsprungen sein (conclusio). Gerade diesen Schluß aber erklärte HUME für eine Sophistikation [Argumentation, durch die eine grundsätzlich unbeweisbare objektive Realität erschlossen wird - wp], weil wir kein Prinzip kennen, nach welchem bestimmt werden könnte, wie weit unsere Vorstellungen und deren Merkmale mit dem Objektiven und dessen Merkmalen übereinstimmen und inwiefern dasjenige, was in unseren Gedanken da ist, sich auf etwas außerhalb derselben bezieht. Überhaupt ist dieser Schluß das Fundament, auf welches sich aller Dogmatismus gründet und KANT wendet also, um zu beweisen, daß wir Menschen von den Dingen ansich nichts wissen, eine Argumentation an, die uns umgekehrt zu den wichtigsten Entdeckungen im unermeßlichen Reich der Dinge-ansich führen kann. Die Folgerung verliert ferner besonders deswegen auch jede Kraft und Gewißheit, weil KANT selbst den Unterschied von Sachen und Vorstellungen oft betont und sogar den wichtigsten Teil seines Systems, die transzendentale Dialektik vorzüglich dadurch begründet, daß sie voraussetzt, es könne, so gewöhnlich es auch ist, von den Bestimmungen unserer Vorstellungen und unseres Denkens nie auf die Bestimmungen des außerhalb von uns Befindlichen geschlossen werden. So ist die Major und die Minor des Schlusses fehlerhaft und es läßt sich auch, entgegen der Behauptung der Minor, von der Notwendigkeit, die gewissen synthetischen Urteilen anklebt, noch ein anderer Grund sehr wohl denken, als der dort genannte. Es läßt sich nämlich denken, daß alle unsere Erkenntnis aus der Wirksamkeit realiter vorhandener Gegenstände auf unser Gemüt herrührt, und daß auch die Notwendigkeit gewisser Erkenntnisse nur durch die besondere Art und Weise, wie die Außendinge unser Innteres affizieren, erzeugt wird; es würden also dann die notwendigen synthetischen Urteile nicht aus dem Gemüt, sondern aus den gleichen Gegenständen herrühren, welche die veränderlichen Urteile nach KANT in uns hervorbringen sollen. Dies erscheint umso richtiger, wenn wir bedenken:
b) Wenn uns die Dinge ansich völlig unbekannt sind, wie die Vernunftkritik behauptet, so können wir auch durchaus nicht wissen, welche Bestimmungen in unserem Gemüt durch den Einfluß jener hervorgebracht werden können, und welche nicht hervorgebracht werden können. c) Durch die Ableitung des Notwendigen und Allgemeingültigen in unserer Erkenntnis aus dem Gemüt, statt aus den Gegenständen außerhalb von uns, wird, weil uns nach der Vernunftkritik das Gemüt ansich unbekannt ist, nur eine Unbegreiflichkeit an die Stelle der anderen gesetzt.
b) Die dogmatische Philosophie ist bisher unfähig gewesen, ihre Ansprüch auf die Kenntnis der Dinge ansich zu erweisen, also ist auch das menschliche Erkenntnisvermögen der Natur nach unfähig, zu einer derartigen Kenntnis des Dings-ansich zu gelangen.
2. läßt sich denken, daß Vorstellungen und Begriffe a priori noch auf eine andere Art, als die von Kant bezeichnete, sich auf Gegenstände beziehen; sie könnten sich durch eine präformierte Harmonie der Wirkungen unseres Erkenntnisvermögens mit den objektiven Beschaffenheiten der Sachen außerhalb (unseres Bewußtseins) auf diese Beschaffenheiten beziehen. Dieser Harmonie gemäß würden die Begriffe a priori im Gemüt die Beschaffenheiten des Dings ansich repräsentieren. Diese Hypothese enthält nichts Absurdes und wir kennen kein Prädikat der Natur ansich, das uns so etwas zu denken verhindern würde. Überblicken wir die bisherigen Einwendungen SCHULZEs gegen KANTs Einteilung und Ausmessung der menschlichen Erkenntnis in reine Erkenntnis a priori, aus welcher die synthetischen Urteile stammen, und aus der Erfahrung geschöpfte Erkenntnis a posteriori, so erregen dieselben schon ein starkes Mißtrauen gegen die synthetischen Urteile a priori. Allein diese Einwendungen sind wie in bloßes Geplänkel im Vergleich zhu den nun folgenden Ausführungen des Aenesidemus Seite 153f, in denen SCHULZE durch das Mittel der notwendigen synthetischen Urteile selbst, das System der Kr. d. r. V. (1)sich mit sich selber entzweien läßt. SCHULZE stellt die Behauptung auf: Kants Ableitung der notwendigen synthetischen Urteile aus dem Gemüt streitet mit dessen eigenen Grundsätzen über die Anwendbarkeit der Kategorien. Bei dieser Einwendung kommt alles darauf an, daß wir untersuchen, was nach der Vernunftkritik das Gemüt oder das Subjekt der Vorstellungen ist, und inwiefern von ihm gesagt wird, es enthalte den Grund jener Urteile. Unter dem Gemüt als der Quelle des Notwendigen in unserer Erkenntnis kann verstanden werden entweder ein Ding-ansich, oder ein Noumenon, oder eine transzendente Idee. Freunde des kantischen Systems haben das erstere für den Grund der notwendigen synthetischen Urteile angenommen; danach soll dem Gemüt als eine Ding-ansich realiter und objektiv das Prädikat der Verursachung gewisser Teile in unserer Erkenntnis zukommen. Allein nach den wichtigsten Prinzipien und Resultaten der kritischen Philosophie dürfen die Kategorien Ursache und Wirklichkeit, wenn ihre Anwendung einen Sinn haben soll, nur auf empirische Anschauungen angewendet werden. Das vorgebliche Subjekt unserer Vorstellungen ist aber keine Anschauung, es kommt ihm also weder eine erkennbare und reale Wirklichkeit, noch eine erkennbare und reale Kausalität zu. Soll das Gemüt als ein Noumenon, als ein bloß intelligibler Gegenstand, der nur durch den Verstand vorgestellt werden kann, die Ursache des Notwendigen in unserer Erkenntnis sein, so würde die Vernunftkritik auf ein leeres Gedankending, auf einen nur gedachten Gegenstand die Kategorie Ursache anwenden, obschon Kategorien nur die durch die Sinnlichkeit gegebenen Gegenstände bestimmen dürfen. Es bleibt nur die dritte Möglichkeit offen, daß nämlich die Vernunftkritik das Gemüt als eine transzendentale Idee auffaßt. KANT lehrt über die transzendentalen Ideen, auch Vernunftideen genannt, folgendes: Der Vernunft, dem Vermögen zu schließen, eignet ein logischer und ein realer Gebrauch. In ihrem logischen Gebrauch strebt sie danach, zu den bedingten Erkenntnissen des Verstandes das Unbedingte zu finden, damit diese die höchste Einheit und Vollständigkeit erhalten. Das logische Verfahren gibt aber auch den realen Gebrauch an, welcher in dem Satz enthalten ist: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe der einander untergeordneten Bedingungen, die folglich selbst unbedingt ist, gegeben und objektiv vorhanden. Dies ist ein notwendiger synthetischer Satz, also ein Satz a priori; er unterscheidet sich aber von allen Grundsätzen des Verstandes dadurch, daß von ihm gerade kein adäquater empirischer Gebrauch gemacht werden kann. So, wie die Form der Urteile die reinen Verstandesbegriffe enthält, so enthält die Form der Vernunftschlüsse den Ursprung besonderer Begriffe a priori, welche, um von den Kategorien genau unterschieden zu werden, transzendentale Ideen genannt werden sollen. Die höchste derselben ist der Begriff des absolut Unbedingten. Unter diesem Vernunftbegriff stehen drei Ideen die man auffindet am Leitfaden der drei Arten der mittelbaren Schlüsse, des kategorischen, des hypothetischen und des disjunktiven. Im kategorischen Vernunftschluß wird durch Prosyllogismen fortgeschritten zur Idee eines absoluten Subjekts, im hypothetischen zur Idee der absoluten Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinungen, im disjunktiven zur Idee von der absoluten Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt. So wie aber der Verstand sich nur auf die Einheit der sinnlichen Wahrnehmungen bezieht, so bezieht sich die reine Vernunft auf diesen Verstandesgebrauch, aber eben nicht sofern dieser den Grund möglicher Erfahrung enthält, sondern um die synthetische Einheit, welche schon in der Kategorie gedacht wird, bis zum schlechthin Unbedingten hinaus zu führen. Also, wie die Kategorien besondere Formen des Denkens empirischer Gegenstände sind, ebenso sind wiederum die Ideen der Vernunft besondere durch die Natur dieses Vermögens bestimmte Formen der Einheit an den Verstandeserkenntnissen. Sie nützen uns zum Gebrauch des Verstandes in Anbetracht der Erfahrung gar nichts, sondern bringen nur die höchste regulative Einheit in die Erfahrungskenntnisse. Aus eben demselben Grund verschaffen die Ideen der Vernunft umgekehrt auch keine Erkenntnis von irgendeinem transzendentalen Gegenstand, inwiefern er außerhalb unserer Vorstellungen etwas sein soll. Dies liegt gar nicht in der Absicht der Vernunft. Ihr Gebrauch ist regulativ. Allein nun klebt den Grundsätzen und Ideen der reinen Vernunft ein Schein von objektiver Gültigkeit außerhalb der menschlichen Vorstellungen an, der sogenannte transzendentale Schein. Durch ein Mißverständnis, das allein durch eine Kritik der Vernunft gehoben werden kann, hat man dieselbe früher immer angesehen für etwas, das unsere Erkenntnis über die Sphäre der Sinnenwelt erweitern und mit Dingen ansich bekannt machen könnte. Dabei verwandelten sich die drei Grundsätze der Vernunft in drei übersinnliche, objektiv vorhandene Gegenstände der Erkenntnis, und dieser Verwechslung verdanken die Hirngespinste der rationalen Psychologie, der transzendentalen Kosmologie und Theologie ihren Ursprung und ihr Gewicht. KANT hat es nun gewissermaßen seinen Lesern dadurch freigestellt, unter Gemüt ein Ding-ansich, ein Noumenon oder eine transzendentale Idee zu verstehen, daß er sich in seinem Werk nirgends ausdrücklich darüber erklärt. Aber aus einigen Stellen und aus den Prolegomenen § 46 muß man schließen, daß er für seinen Teil unter Subjekt der Vorstellungen als Quelle des Notwendigen in unserer Erkenntnis, nichts anderes verstanden wissen will, als eben eine solche transzendentale Idee. Nach diesen Stellen und nach REINHOLDs "Theorie des Vorstellungsvermögens", Seite 530f darf dem vorstellenden Subjekt nur als einer Idee das denkbare Prädikat des Grundes vom Notwendigen und Formellen in unserer Erkenntnis beigelegt werden. Somit läßt sich von der Möglichkeit und dem Ursprung notwendiger synthetischer Sätze mit Recht behaupten:
2. Das Dasein und die Bestimmungen der notwendigen synthetischen Urteile ist eine Tatsache der Erfahrung. Um diese aber begreiflich zu machen, nimmt Kant eine transzendentale Idee zu Hilfe, die doch in Anbetracht der Erfahrung uns nach der Vernunftkritik gar nichts nützt. Folglich liegt auch ein Mißbrauch vor von der Idee des absoluten Subjekts nach der empirischen Seite. 3. Dieser doppelte Mißbrauch kommt nur durch eine regellose Anwendung des Verstandes zustande. Derselbe schwingt sich von etwas, das sich in der Erfahrung findet, eben von den synthetischen Urteilen, unmittelbar zum absoluten Subjekt der Veränderungen des inneren Sinnes empor; steigt aber auch von diesem absoluten Subjekt sogleich wieder zur Bestimmung der Möglichkeit und der Ursachen desjenigen herab, was zur Erfahrung gehört. 4. Es wird eine Anwendung der Kategorien des Verstandes auf das Objekt des Gemüts als einer Vernunftidee deswegen gemacht, weil sich allein unter dieser Anwendung die Möglichkeit der zur Erfahrung gehörigen Tatsache der synthetischen Urteile soll denken lassen. Jener fehlerhaften Anwendung liegt also erst noch die fehlerhafte Erörterung des objektiven Seins aus dem subjektiven Denken zugrunde, welches wiederum nach der Vernunftkritik selbst eine Täuschung ist. Kurz: alles, was Kant gegen die Wahrheiten der rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie eingewendet hat, das läßt sich ebenso gegen seine Ableitung des Notwendigen in unserer Erkenntnis aus dem Gemüt einwenden.' Ganz besonders verhängnisvoll und deutlich treten diese Folgen zutage bei der wichtigen, durch die Kr. d. r. V. angeregten Frage, ob das Ding-ansich vorstellbar ist oder nicht, zu welcher wir jetzt übergehen (Aenesidemus, Seite 222). Unseren Vorstellungen können wir doch nur insofern Realität und Wahrheit zuschreiben, als sie mit einem gewissen von ihnen selbst verschiedenen Etwas im Verhältnis und Zusammenhang stehen. Ohne einen solchen ist unsere gesamte Erkenntnis ein bloßes Gedankenspiel und die gesamte Reihe der Vorstellungen, die wir im gegenwärtigen Leben besitzen, ein kontinuierlicher Traum, dessen Teile verschiedentlich modifiziert sind. Unmittelbar besitzen wir nun nichts weiter als Vorstellungen und sind uns bloß derselben bewußt. Woher rührt denn die allgemeine Überzeugung von demselben reellen Dasein gewisser Dinge außerhalb unserer Vorstellungen, die unabhängig von diesen existieren und mit denselben weder entstehen noch vergehen, aber sich darauf beziehen? Der Übergang von einer bloßen Erkenntnis der Modifikationen seines vorstellenden Ich zur Erkenntnis realiter vorhandener Dinge gründet sich in einem heranwachsenden Kind auf ein dunkles Raisonnement [Argument - wp] über eine besondere Beschaffenheit in gewissen Vorstelungen und auf einen undeutlichen Schluß; doch wird derselbe uns nach und nach so geläufig, daß wir das Dasein außerhalb unserer Vorstellungen nicht mehr als Erschlossenes, sondern als etwas unmittelbar Erkanntes ansehen. In gewissen Vorstellungen kommt nämlich eine doppelte Notwendigkeit vor, und zwar teils in Anbetracht ihres Daseins, teils in Anbetracht des Verbindens des Mannigfaltigen ihres Inhalts. Zum Beispiel können wir uns zwar denken, daß an der Stelle, wo wir ein Haus sehen, ein Mensch oder ein Baum steht; aber es ist unmöglich, an dieser Stelle wirklich etwas anderes zu sehen als das Haus. Ferner können wir uns ebenfalls zwar denken, daß in Anbetracht der Verbindung der Teile des Hauses das Dach unten und der Grund davon oben wäre, oder daß das, was sich auf der rechten Seite befindet, auf der linken wäre, aber während der Empfindung des Sehens müssen wir die Verbindung der Teile des Hauses so lassen, wie sie einmal da ist. Sobald der Mensch diese doppelte Notwendigkeit kennen gelernt hat und anfängt, über ihren Grund nachzudenken, wächst er allmählich in den Glauben an die Realexistenz gewisser Dinge außerhalb seiner Vorstellungen hinein; denn im vorstellenden Ich ist kein Grund zu finden, warum in einem bestimmten Moment nur diese oder nur jene Vorstellung in ihm vorhanden sein könnte; ebensowenig ist im vorstellenden Ich und in der Beschaffenheit des Mannigfaltigen, das eine Empfindung ausmacht, ein Grund vorhanden, warum dieses Mannigfaltige gerade in der einmal gegebenen Ordnung und Verbindung vorkommt, und nicht vielmehr in einer ganz anderen. Daher setzen wir den Grund der Unveränderlichkeit der Verbindung des Mannigfaltigen bei einer Empfindung, in etwas, das außerhalb unserer Empfindungen da ist. Also der doppelten Notwendigkeit, welche dem Dasein gewisser Vorstellungen im Gemüt, und dem Zusammenhang ihrer Merkmal anklebt, verdanken wir den Glauben an realiter existierende Dinge. Allein der Mensch geht gemeinhin über diesen Glauben noch hinaus und legt den realen Gegenständen genau all das als objektive Eigenschaft bei, was in seinen Vorstellungen davon angetroffen wird. Die ihres eigenen Vermögens bewußt gewordene Vernunft bemerkte diesen Schritt, entdeckte auch die Veränderlichkeit der Sinneserkenntnisse und die Tatsache, daß mancher Mensch veranlaßt wird, durch seine Natur und Umstände, Vieles in das Reich des realiter Existierenden zu versetzen, dessen Existenz von anderen gar nicht bemerkt wird. So entstand die Philosophie über das, was realiter vorhanden sein soll; sie ist das Produkt des Mißtrauens gegen die Ansprüche der Empfindungen über das, was objektiv da sein soll, und gegen die vollkommene Übereinstimmung der Empfindungen mit den objektiven Gegenständen. Die Behauptung des kantischen transzendentalen Idealismus nun, daß unsere Vorstellungen von den objektiven Gegenständen mit denselben gar nicht übereinstimmen und das Ding-ansich für uns ein X ist, ist das gemeinschaftliche Resultat der drei Teile der Kr. d. r. V. Denn in der transzendentalen Ästhetik wird gezeigt, daß Zeit und Raum nur Formen der Tätigkeit des inneren und äußeren Sinnes sind; und die Dinge, die wir dadurch anschauen, sind durchaus nicht das ansich, wofür wir sie anschauen. In der transzendentalen Analytik erweist sich der Verstand ebenfalls als unfähig, die Kenntnis des Dings ansich zu vermitteln, weil er mit seinen reinen Begriffen nur auf Gegenstände der empirischen Anschauung angewendet werden darf. Ebensowenig kann nach der transzendentalen Dialektik die Vernunft, das Vermögen zu schließen, uns mittelbar die gesuchte Erkenntnis geben, denn ihre Prinzipien sind nur regulativ, nicht konstitutiv. Trotzdem die Vernunftkritik das alles behauptet, ist andererseits für sie der Inbegriff der menschlichen Vorstellungen keineswegs ein leerer Schein, der sich auf gar nichts außerhalb derselben realiter bezieht. Vielmehr beginnt nach eben derselben Vernunftkritik alle Erkenntnis mit Erfahrung; es sind Gegenstände außerhalb unserer Vorstellungen wirklich da, welche unsere Sinne affizieren und Vorstellungen von selbst hervorbringen, den Verstand, d. h. die ordnende Form desselben in Tätigkeit bringen, um den Stoff der sinnlichen Eindrücke zu bearbeiten. Damit sollen Skeptizismus und Idealismus widerlegt sein (sofern der erstere behauptet, daß bisher noch nichts nach Prinzipien unleugbar abgemacht worden ist darüber, unter welchen Bedingungen die nach logischen Regeln verknüpften Vorstellungen Erkenntnisse von Dingen außerhalb unserer Vorstellungen sein können). Allein hier ist nun der Punkt. wo unsere erste Untersuchung über die angebliche gänzliche Widerlegung von HUMEs Zweifel und die zweite, diejenige über die Vorstellbarkeit oder Nichtvorstellbarkeit der Dinge-ansich, wirksam ineinander greifen, um mit zweifacher Kraft ggen die Anmaßungen der Vernunftkritik zu protestieren; denn
2. hat Kant dies allerdings nicht geleugnet, aber noch viel weniger hat er es bewiesen. Er stellt also den Satz: "Alle menschliche Erkenntnis hebt mit der Einwirkung objektiv vorhandener Gegenstände auf unsere Sinne an, und diese Gegenstände geben am ersten Anlaß dazu, daß sich unser Gemüt äußert" - ohne allen Beweis auf, und widerlegt also den Idealismus und Skeptizismus durch einen Satz, dessen Wahrheit gerade beide leugnen. Dieser Satz hätte ganz besonders gegenüber dem letzteren wohl eines Beweises bedurft, weil die Skeptiker, selbst wenn einmal zugestanden würde, jene Gegenstände befänden sich außerhalb unserer Vorstellungen, erst noch bezweifeln, daß ihnen dann das Prädikat der Kausalität zukommt. Zu diesem kantischen Dogma bemerken wir zusätzlich dies, daß nach ihm die Wirklichkeit und Möglichkeit aller Erkenntnis des Dings-ansich nach allen seinen Prädikaten und Beschaffenheiten geleugnet wird; insofern ist aber offenbar die Annahme einer Realität bei gewissen unserer Vorstellungen eine bloße Einbildung der Vernunftkritik. Aus dem Obigen geht deutlich hervor, daß in der Konsequenz des kritizistischen Gedankenganges man notwendig zum absoluten Idealismus gelangt. Unter diesen Umständen ist nicht verwunderlich, daß KANT den Idealismus des Bischofs BERKELEY nur durch Sophisterei widerlegen kann. Die Widerlegung lautet nämlich so (Aenesidemus, Seite 268; Kr. d. r. V., Seite 275):
2. gesteht der Idealismus zu, daß wir Vorstellungen von beharrlich wahrzunehmenden Gegenständen im Raum besitzen. Er kann also auch einräumen, daß das Bewußtsein äußerer beharrlicher Gegenstände im Raum verbunden ist mit dem Bewußtsein unseres eigenen empirisch bestimmten Daseins. Aber er wird eben jenes erste Bewußtsein nicht ableiten von der reellen Wirksamkeit äußerer endlicher Dinge auf uns, sondern von der bestimmten Art und Weise, nach welcher die Gottheit auf unser Gemüt wirkt und Vorstellungen in demselben hervorbringt. 3. Der Idealismus verlangt einen Beweis für das objektive und reelle Dasein materieller Gegenstände außerhalb unserer Vorstellungen; die von Kant deduzierte identische Verbundenheit zweier Bewußtseinszustände wollte aber Berkeley gar nicht bewiesen haben und obendrein ist erst noch das Bewußtsein eines Verhältnisses unseres empirischen Daseins zu beharrlichen Dingen außerhalb von uns keineswegs ein objektives Dasein realer Dinge außerhalb von uns. In der Widerlegung des Idealismus behauptet also Kant, was dieser niemals geleugnet hat und leugnet, was dieser niemals behauptet hat.
b) etwas, das für sich besteht. (Nach der Kr. d. r. V. sind uns aber Dinge ansich unbekannt.) c) ein Mannigfaltiges, dessen Teile auseinander vorhanden sind (Verstandesbegriff der Vielheit.) d) ein Ganzes und ein zur Einheit verbundenes Mannigfaltiges (Verstandesbegriff der Einheit.) e) etwas Positives mit mancherlei Kräften (Verstandesbegriff der Realität.) f) etwas Zufälliges. (Verstandesbegriff der Zufälligkeit.) g) etwas Existierendes (Verstandesbegriff des Daseins.) h) etwas, das sich zu unseren Vorstellungen als Ursache verhält (Verstandesbegriff der Kausalität.) Mit diesem Exempel, das man mit einem Knalleffekt vergleichen könnte, schließt SCHULZE die Erörterungen ab, indem der der kritischen Philosophie einen Spiegel ihres Formalismus vorhält. Besser konnte das eklatante Defizit des kritischen Unternehmens dem Leser nicht zum Bewußtsein gebracht werden, als durch den Hinweis auf die Kluft, welche besteht zwischen dem angeblich großen Endzweck der theoretischen Untersuchungen der Vernunftkritik und dem wirklichen, aber kläglichen Resultat einer skeptischen Prüfung derselben. Darstellung aus Schopenhauers "Kritik der kantischen Philosophie" SCHOPENHAUER stellt an die Spitze seiner "Kritik der kantischen Philosophie" eine von warmer Dankbarkeit diktierte Anerkennung von KANTs fast übermenschlichen Verdiensten um die Erkenntnis; es sind ihrer drei:
2. Die Erkenntnis, daß das moralische Handeln von den Gesetzen der Erscheinung unabhängig ist und sich mit dem Ding ansich unmittelbar berührt. 3. Der Umsturz der scholastischen Philosophie durch die Lehre von der Unbweisbarkeit der Dogmen derselben. 1. Die Beobachtung, daß Kant in der Kr. d. r. V. nirgends unterscheidet, was die intuitive, anschauliche Erkenntnis ist, uns was die abstrakte, diskursive oder reflektive ist. Anschauung und Reflexion, Verstand und Vernunft treten nicht auseinander. Zum Beleg hierfür wird folgende Vergleichung angestellt und für diese Entdeckung ausdrücklich Priorität beansprucht.
Hier finden sich also eine Anzahl merkwürdig unvollständige Distinktionen und Definitionen, aus denen z. B. niemand abnehmen kann, was eigentlich Vernunft ist, deren Kritik KANT geschrieben hat. 2. Der zweite Gesichtspunkt für die Kritik ist die falsche Ableitung des Dings-ansich, dessen Unterscheidung von der Erscheinung indessen, wie gesagt, ein Hauptverdienst Kants darstellt. Er hätte die relative Existenz der Erscheinung aus dem Satz Berkeleys: kein Objekt ohne Subjekt ableiten können. Statt dessen polemisiert er in der zweiten Auflage gegen ihn und widerspricht sich dadurch selber. Aber in der ersten Auflage 1781 hat er seinen entschiedenen Idealismus Seite 348-392 überaus schön dargelegt. Mit dieser dort ausgesprochenen Grundansicht, als der ursprünglichen, steht jedoch die Art, wie Kant das Ding-ansich einführt, doch wieder im Widerspruch. »Dieses ist bekanntlich die Einführung des Dings-ansich, auf die von ihm gewählte Weise, deren Unstatthaftigkeit von G. E. Schulze im Aenesidemus weitläufig dargetan und bald als der unhaltbare Punkt seines System anerkannt wurde.« (Seite 516 bei Schopenhauer, Brockhaus-Ausgabe) Kant gründet die Voraussetzung des Dings ansich auf folgenden Schluß nach dem Kausalitätsgesetz, daß nämlich die empirische Anschauung (richtiger die Empfindung in unseren Sinnesorganen, von denen sie ausgeht), eine äußere Ursache haben muß. Nun aber ist, nach Kants eigener richtiger Entdeckung das Gesetz der Kausalität uns a priori bekannt, also subjektiven Ursprungs; ferner ist die Sinnesempfindung, auf welche wir hier das Kausalitätsgesetz anwenden, subjektiv und endlich ist sogar der Raum, in welchen wir mittels dieser Anwendung die Ursache der Empfindung als Objekt hineinversetzen, eine apriorische, also subjektive Form unseres Intellekts. Diese Ableitung ist fehlerhaft, aber auch nur die Ableitung; nicht die Anerkennung eines Dings-ansich zur gegebenen Erscheinung. A. Die Beweise der transzendentalen Ästhetik haben volle Überzeugungskraft und ihre Lehrsätze gehören zu den unumstößlichen Wahrheiten. Raum und Zeit, aus denen die allgemeinen notwendigen Lehrsätze der Geometrie stammen, gehören der Sinnlichkeit an. KANT hätte mit dieser Entdeckung die ganze euklidische Demonstriermethode angreifen können, welche nur die Axiome auf die sinnliche Evidenz stützt, alles übrige aber auf Schlüsse.
B.Transzendentalen Logik. Hier tut auch notwendig, KANT Kr. d. r. V., Seite74 den ersten falschen Schritt, wenn er sagt:
"Der Verstand ist das Vermögen zu denken." (Seite 94) "Die Kategorien sind keineswegs die Bedingungen, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben werden." (Seite 122)
"Die Kategorien bestimmen die Anschauung der Gegenstände." (Kr. d. r. V. Seite 128) "Der Verstand ist das Vermögen a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter die Einheit der Apperzeption zu bringen." Die Apperzeption aber ist nach allem Sprachgebrauch Anschauung. (Kr. d. r. V. Seite 135) KANTs innerste Meinung war also wohl diese, daß ein sowohl von der Anschauung als auch vom Begriff verschiedenes Objekt der Gegenstand des Verstandes ist. Es wird ein Drittes vom Begriff der Anschauung hinzugedacht und das Hinzudenken dieses direkt nicht vorstellbaren Objekts zur Anschauung ist dann die eigentliche Funktion der Kategorie. Dies belegt die Stelle Kr. d. r. V. Seite 125:
Der Gegenstand der Kategorien ist also bei KANT der nächste Verwandte des Dings-ansich, der Gegenstand überhaupt, das Objekt ansich, das keines Subjektes bedarf (sofern es von der Anschauung und vom Begriff verschieden ist), ein einzelnes Ding und doch nicht in Zeit und Raum, Gegenstand des Denkens und doch kein abstrakter Begriff. KANT unterscheidet so dreierlei:
2. Den Gegenstand der Vorstellung als Sache des Verstandes, der ihn durch seine zwölf Kategorien hinzudenkt. 3. Das Ding-ansich, welches jenseits aller Erkennbarkeit liegt. Beweis. Die Fäden des ganzen Denkgewebes bestehen in Urteilen, sonst ginge der Gedanke nicht von der Stelle. Jedes Urteil besteht aber im Erkennen des Verhältnisses von Subjekt und Prädikat. Daher unterscheidet man 1. in der sogenannten Quantität der Urteile das besondere ("Einige Bäume tragen Galläpfel") und das allgemeine ("Alle Eichen tragen Galläpfel"). Immerhin sind die beiden nur grammatisch verschieden und entspringen aus dem Wesen der Begriffe und haben mit Verstand und Anschauung keinen unmittelbaren Zusammenhang. Gar nicht von den beiden verschieden ist KANTs drittes Urteil, das einzelne ("dieser Baum hier trägt Galläpfel"), denn der Subjektbegriff fällt dabei voll und ganz unter das Prädikat (W. a. W. u. V. a. a. O., Seite 568) und überdies bezeichnet das singulare Urteil nur die Grenze der abstrakten Erkenntnis zur anschaulichen. 2. Ebenso liegt die Qualität der Urteile innerhalb des Gebietes der Vernunft, denn die Vereinigung und Trennung der Begriffssphären ist die Handlung der Vernunft. Die Anschauung dagegen ist lauter Realität und die Negation ist ihrem Wesen fremd; sie kann bloß durch Reflexion hinzugedacht werden. So entstehen beide Urteile durch die Vernunft. Die von KANT hinzugefügten unendlichen Urteile sind eine Grille der alten Scholastiker und ein spitzfindig erdachter Lückenbüßer. Ohne Bedeutung sind, weil viel zu sehr untereinander verschieden die Urteile unter dem Titel der 3. Relation. Die Form des kategorischen Urteils ist nichts anderes als die Form des Urteils überhaupt. Urteilen heißt die Verbindung oder die Unvereinbarkeit der Begriffssphären denken. Daher sind die hypothetische und disjunktive Verbindung keine besonderen Formen des Urteils, sondern sie werden auf schon fertige Urteile angewendet, in denen die Verbindung der Begriffe selber unverändert die kategorische bleibt; sie aber verknüpfen wieder diese Urteile, indem die hypothetische Form deren Abhängigkeit voneinander, die disjunktive deren Unvereinbarkeit ausdrückt (W. a. W. u. V., Seite 542 und 565). Ferner kann der zureichende Grund zur Verknüpfung von Begriffssphären, welcher dem Urteil, das eben nur diese Verknüpfung ist, die Wahrheit verleiht, bald logisch, bald empirisch, bald metaphysisch oder auch metalogisch sein. Der Verbindung der Sphären zweier Begriffe entspricht also keineswegs eine einzige Funktion des Verstandes. Endlich ist das angebliche Korrelat des Verstandesbegriffs hierzu, die Substanz, nichts anderes als die Materie (vgl. a. a. O., Seite 581f). - Das hypothetische Urteil überhaupt ist der abstrakte Ausdruck jener allgemeinsten Form all unserer Erkenntnisse, des Satzes vomch oder auch metalogisch sein. Der Verbindung der Sphären zweier Begriffe entspricht also keineswegs eine einzige Funktion des Verstandes. Endlich ist das angebliche Korrelat des Verstandesbegriffs hierzu, die Substanz, nichts anderes als die Materie (vgl. a. a. O., Seite 581f). - Das hypothetische Urteil überhaupt ist der abstrakte Ausdruck jener allgemeinsten Form all unserer Erkenntnisse, des Satzes vom Grunde. Der Ursprung desselben ist aber nicht nur der Verstand und dessen Kategorie der Kausalität, sondern in der Abhandlung über den Satz vom Grunde ist gezeigt worden, daß dieses Gesetz, als die einzige Erkenntnisform des reinen Verstandes, nur eine der Gestaltungen des, alle reine oder apriorische Erkenntnis umfassenden, Satzes vom Grunde ist. Jene Abhandlung ist dann auch als eine gründliche Erörterung der in Rede stehenden Urteilsformen anzusehen. Die disjunktiven Urteile endlich entspringen aus dem Denkgesetz des ausgeschlossenen Dritten, welches eine metalogische Wahrheit ist; das heißt aber, die in der Vernunft gelegenen formalen Bedingungen allen Denkens sind der Grund des Urteils und nicht der Verstand. Die Ableitung der Kategorie der Wechselwirkung oder der Gemeinschaft aus diesen Urteilen ist schon oft gerügt worden, besonders von G. E. Schulze in seiner "Kritik der theoretischen Philosophie" und von FRANZ BERG in seiner "Epikritik der Philosophie". Übrigens ist die Wechselwirkung nur die abwechselnde Sukzession gleichnamiger sich bedingender Zustände (W. a. W. u. V., Seite 544 und 546), also Kausalität; diese aber ist keine Kategorie, kein Begriff, sondern die Grundform der Anschauung. So bleiben für die Relation nur der hypothetisch und der disjunktive Satz, aber weder fließt der eine ausschließlich, noch der andere überhaupt aus den reinen Verstandesbegriffen. 4. Die drei Kategorien der Modalität, Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit veranlassen allerdings die problematischen assertorischen und apodiktischen Urteilsformen, aber sie sind keine ursprünglichen Erkenntnisformen des Verstandes. Die Erkenntnis der Notwendigkeit stammt unmittelbar aus der einzigen, a priori uns bewußten Form allen Erkennens her, aus dem Satz vom Grund, und aus dem Begriff der Notwendigkeit sind die beiden andern modalen Begriffe abgeleitet. So tritt uns in immer neuer Gestalt der Haupt- und Grundfehler KANTs entgegen, die Nichtunterscheidung der abstrakten und intuitiven Erkenntnis. Diese ist es, welche eine beständige Dunkelheit über KANTs ganze Theorie des Erkenntnisvermögens verbreitet und den Leser nie wissen läßt, wovon eigentlich die Rede ist. Zwar macht KANT im Kapitel von der Amphibolie der Reflexion einen Versuch der scharfen Trennung, indem die Kategorien hier ausschließlich als Funktionen des abstrakten Denkens auftreten. Er sagt, es könne möglicherweise eine von der unsrigen ganz verschiedene Art der Anschauung geben, auf welche unsere Kategorien aber doch anwendbar sind. Die Objekte jener supponierten Anschauung wären Noumena, Dinge, die sich also von uns denken lassen, immerhin wegen der fehlenden Anschauung nur eine bestimmte Möglichkeit repräsentieren. Allein, wenn es KANTs Meinung wirklich war, Wesen und Objekt der Kategorien in ein helles, unzweideutiges Licht zu stellen, so hätte er dies von Anfang an tun sollen. Dann wäre auch nicht jene große Lücke Kr. d. r. V. Seite 74 zwischen der transzendentalen Ästhetik und der transzendentalen Logik, wo nach der Darstellung der Form der Anschauung, die ganze empirische Wahrnehmung abgefertigt wird mit den Worten "sie ist gegeben" und so nicht gefragt wird, wie sie zustande kommt, ob mit oder ohne Verstand. (W. a. W. u. V. Seite 563f) C. Die Kritik der transzendentalen Dialektik setzt mit der Untersuchung der Möglichkeit der synthetischen Grundsätze a priori der reinen Vernunft ein. KANT lehrt nämlich, daß alle bisher betrachteten Erkenntnisse a priori, weil aus Anschauungen und Formen der Erkenntnis hervorgegangen, bloße Regeln a priori sind, Prinzipien aber sind apriorische Erkenntnisse aus bloßen Begriffen. (Kr. d. r. V. Seite 356). SCHOPENHAUER dagegen zeigt (a. a. O. Seite 570) die Unmöglichkeit synthetischer Erkenntnis aus bloßen Begriffen; aus diesen können nur analytische Sätze hervorgehen. Sollen aber Begriffe synthetisch und doch a priori verbunden werden, so muß dies durch ein Drittes vermittelt werden, durch eine reine Anschauung der formellen Möglichkeit der Erfahrung, gerade so, wie die synthetischen Urteile a posteriori durch die empirische Anschauung vermittelt sind. Auch nennt SCHOPENHAUER das angebliche Vernunftprinzip KANTs:
Übergehend zu den drei spekulativen Ideen der Vernunft, bemerkt SCHOPENHAUER zur Deduktion der kosmologischen Idee aus der Form des hypothetischen Schlusses, daß diese in der Tat ungezwungen vollzogen werden kann. Denn das hypothetische Urteil hat seine Form vom Satz des Grundes; immerhin, aus der besinnungslosen Anwendung dieses Satzes und sodann willkürlichen Beiseitelegung ebendesselben Satzes entstehen all jene drei Ideen und nicht nur die kosmologische allein; dadurch nämlich, daß jenem Satz gemäß immer nur die Abhängigkeit eines Objektes vom andern gesucht wird, bis dann die Ermüdung der Einbildungskraft ein Ziel der Reise schafft. Nun bejahren die Thesen , verneinen die Antithesen nach KANT folgende vier Fragen, welche alle die kosmologische Idee betreffen:
2. Besteht das Zusammengesetzte aus einfachen Teilen? 3. Gibt es neben den notwendigen Ereignissen noch freie Handlungen? 4. Existiert in oder außerhalb der Welt ein schlechthin notwendiges Wesen? Kants kritische Entscheidung des kosmologischen Streits, der sich um die vier genannten Punkte erhebt, ist, was die zwei ersten Antinomie anlangt, nach SCHOPENHAUER ein Ausspruch zugunsten der Antithese, welche jeweils allein auch wirklich auf den Formen unseres Erkenntnisvermögens beruth, während die Thesen nur auf der ermüdeten Einbildungskraft des Individuums, als auf ihrem Grund beruhen. KANT sagt in seiner Auflösung, beide Teile gingen von der Voraussetzung aus, daß mit dem Bedingten auch die vollendete Reihe seiner Bedingungen gegeben ist; aber nur die Thesis legt dieses reine Vernunftprinzips KANTs zugrunde, nie die Antithesis. Ebenso macht, entgegen KANTs Behauptung, nur die Thesis die Voraussetzung, daß die Welt ein Ding-ansich und von ihrem Erkanntwerden unabhängig ist. Es widerspricht doch geradezu dem Begriff einer unendlichen Reihe (Antithesis: "die Welt hat keinen zeitlichen Anfang und keine räumliche Grenze"), daß sie ganz gegeben ist; es ist ihr wesentlich, daß sie immer nur in Beziehung auf das Durchgehen, nicht unabhängig von ihm, da ist. Wenn also KANT sagt, die Unendlichkeit der Weltgröße ist nur durch den Regressus (Auflösung des kosmologischen Streits, Kr. d. r. V. Seite 551), so gibt er der Antithesis recht. Zur Auflösung der dritten Antinomie, deren Gegenstand die Idee der Freiheit ist, muß KANT vom Ding für sich reden, was SCHOPENHAUER sehr erklärlich ist, nachdem er das Ding-ansich als den Willen erkannt hat. KANT habe dasselbe nirgends zum Gegenstand einer besonderen Auseinandersetzung gemacht; er zieht es nur herbei durch den Schluß von der Erscheinung auf deren intelligible Ursache. Die unglaubliche Inkonsequenz, welche KANT im Blick auf seine eigene Bestimmung der Kausalität hiermit begangen hat, wurde von "von seinen ersten Gegnern bemerkt und zu unwiderstehlichen Angriffen benutzt". Allerdings wenden wir dieses Gesetz vor aller Erfahrung an, aber gerade deswegen ist es eben so subjektiv wie die Empfindung, auf welche wir es beziehen. Die Wahrheit ist, daß man auf dem Weg der Vorstellung nie über die Vorstellung hinaus kann. Wären wir nur vorstellende Wesen, so wäre der Weg zum Ding-ansich uns gänzlich verschlossen. Nur die andere Seite unseres Wesens, der von der Vorstellung toto genere [völlig - wp] verschiedene Wille, gibt uns Aufschluß. So gehört dann die Nachweisung des Dings-ansich wie die Apriorität des Kausalgesetzes zu den richtigen Konklusionen aus falschen Prämissen. Wie bei SCHOPENHAUER der Nachweis in keiner Weise ein Schluß ist, sondern aus dem Bewußtsein eines Jeden unmittelbar entspringt, so entspringt auch der Begriff der Freiheit aus der unmittelbaren Erkenntnis des eigenen Willens im menschlichen Bewußtsein. Dies ist der einzige Weg zur Erkenntnis dessen, was nicht Erscheinung ist, folglich auch nicht nach den Gesetzen der Erscheinung gefunden werden kann. So vortrefflich also auch, nach SCHOPENHAUER, KANTs Darstellung von der transzendentalen Freiheit des Willens an und für sich ist, so steht sie doch an falscher Stelle und ist inkonsequent abgeleitet; denn wenn von Ursache und Wirkung geredet wird, darf das Verhältnis des intelligiblen Charakters zum empirischen nicht herbeigezogen werden. Insofern liegt auch bei der dritten Antinomie das Recht auf der Seite der Antithese, denn in der Welt ist Kausalität das einzige Prinzip der Erklärung; die Welt selbst aber ist allein aus dem Willen zu erklären und nicht durch Kausalität, da sie eben er selbst ist, sofern er erscheint; davon aber ist in der Antinomie nicht die Rede und die kantische Auflösung springt zu etwas anderem über als das ist, wonach die Frage war. Die vierte Antinomie ist, wie schon gesagt, mit der dritten ihrem innersten Sinn nach tautologisch.
1) Hier sei bemerkt, daß ich die "Kritik der reinen Vernunft" überall nach der Seitenzahl der ersten Auflage zitiere, da in der Ausgabe von Rosenkranz der gesamten Werke diese Seitenzahl durchgängig beigegeben ist; außerdem füge ich, mit vorgesetzter V, die Seitenzahl der fünften Auflage hinzu; dieser sind alle übrigen, von der zweiten an, gleichlautend, also auch wohl in der Seitenzahl. 2) Ich zitiere die Kr. d. r. V. nach der Seitenzahl der fünften Auflage; dieser sind alle übrigen, von der zweiten an gerechnet, gleichlauten. |