E. G. SchulzeAenesidemusReinholdDie WL von 1812 | ||||
(1762 - 1814) Rezension des Aenesidemus oder über die Fundamente der vom Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik.
Der Skeptizismus mußte allerdings in der Person dieses seines Repräsentanten seine Waffen insbesondere gegen die REINHOLDsche Elementarphilosophie, und zwar gegen die neue Darstellung derselben in den Beiträgen, richten, weil dieser Schriftsteller nach dem Geständnis der meisten Liebhaber der kritischen Philosophie die Begründung der Philosophie als Wissenschaft entweder schon vollendet, oder doch am vorzüglichsten vorbereitet hat. Für diejenigen aber, welche beides leugnen, mußte er sie dann wieder gegen die beglaubigste Urkunde der neueren Philosophie, die "Kritik der reinen Vernunft" selbst, wenden, wenn es mit dem Angriff wirklich auf eine entscheidende Schlacht abgesehen wurde. - Das Buch ist in Briefen. HERMIAS, ein enthusiastischer Verehrer der kritischen Philosophie, meldet dem AENESIDEMUS seine, besonders durch die REINHOLDsche Elementarphilosophie begründete, völlige Überzeugung von der Wahrheit und Allgemeingültigkeit dieser Philosophe. AENESIDEMUS, welcher anderer Meinung ist, sendet ihm eine Prüfung derselben. AENESIDEMUS legt, um REINHOLDs gegründeter Forderung Genüge zu tun, seiner Zenser der Elementar-Philosophie folgende Sätze als bereits ausgemacht und gültig zugrunde:
2) [Regel der Beurteilung] Der Probierstein alles Wahren ist die allgemeine Logik, und jedes Raisonnement über Tatsachen kann nur insofern auf Richtigkeit Anspruch erheben, als es mit den Gesetzen derselben übereinkommt. Jedem Teil dieser Prüfung sind die in ihm untersuchten Paragraphen der Elementarphilosophie, sowie sie REINHOLD in den Beiträgen I, besonders Kap. III, Seite 165 - 254 von neuem dargestellt hat, wörtlich vorgedruckt. -
Prüfung der §§ 2 - 5, welche die ursprünglichen Begriffe der Vorstellung, des Objekts, des Subjekts, und der bloßen Vorstellung bestimmen. - Außer Wiederholungen desjenigen, was eben erörtert worden ist, erinnert AENESIDEMUS gegen die Erklärung der Vorstellung, daß sie enger ist, als das zu erklärende. "Denn wenn, nach REINHOLDs Definition, nur dasjenige eine Vorstellung ausmacht, was durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden, und auf beide bezogen wird; wenn aber, nach AENESIDEMUS' Voraussetzung, nur dasjenige unterschieden werden kann, was schon wahrgenommen ist: so kann die Anschauung (jene erste Wahrnehmung) keine Vorstellung sein. Nun aber soll sie, nach REINHOLD, allerdings eine sein usw." REINHOLD wird ihm mit Recht die Voraussetzung im Untersatz seines Vernunftschlusses ableugnen. Das ursprüngliche Objekt wird überhaupt nicht wahrgenommen, und kann nicht wahrgenommen werden. Aller anderen Wahrnehmung vorher kann lso die Anschauung auf ein, ursprünglich dem Subjekt entgegengesetztes Objekt, das Nicht-Ich, bezogen werden; wobei dieses Nicht-Ich überhaupt nicht wahrgenommen, sondern ursprünglich gesetzt wird. - Ferner "jenes Unterscheiden und Beziehen, das zur Vorstellung erforderlich ist, sei selbst ein Vorstellen;" welches aber REINHOLD mit Recht geleugnet hat. Beides kann Objekt einer Vorstellung werden, und wird es in der Elementarphilosophie wirklich; aber es ist ursprünglich keine, sondern nur eine notwendig zu denkende Handlungsweise des Gemüts, um eine Vorstellung hervorzubringen: woraus aber freilich unleugbar das folgt, daß die Vorstellung nicht der höchste Begriff aller in unserem Gemüt zu denkenden Handlungen ist. - REINHOLD hatte in der Anmerkung zu § 5 gesagt: "die bloße Vorstellung ist unmittelbar; Subjekt und Objekt aber nur mittels der Beziehung jener auf diese im Bewußtsein vorhanden; denn dasjenige, was im Bewußtsein auf Objekt und Subjekt bezogen wird, muß zwar nicht der Zeit, aber seiner Natur nach vor den Handlungen des Bezogenwerdens da sein, insofern nichts bezogen werden kann, wenn nichts vorhanden ist, das sich beziehen läßt." AENESIDEMUS sucht die Ungültigkeit dieses Beweise dadurch darzutung, daß er auf ähnliche Art beweisen will, "Objekt und Subjekt seien dasjenige, was unmittelbar, die Vorstellung aber dasjenige, was mittelbar im Bewußtsein vorkommt, indem nichts auf ein anderes bezogen werden kann, wenn nicht dieses andere, worauf es bezogen werden soll, vorhanden ist." Und allerdings muß Subjekt und Objekt eher gedacht werden, als die Vorstellung; aber nicht im Bewußtsein, als empirischer Bestimmung des Gemüts, wovon REINHOLD doch allein redet. Das absolute Subjekt, das Ich, wird nicht durch empirische Anschauung gegeben, sondern durch intellektuelle gesetzt; und das absolute Objekt, das Nicht-Ich, ist das ihm entgegengesetzte. Im empirischen Bewußtsein kommen beide nicht anders als so vor, daß eine Vorstellung auf sie bezogen wird; in diesem sind sie nur mittelbar, als Vorstellendes und Vorgestelltes: des absoluten Subjekts, des vorstellenden, das nicht vorgestellt würde, und des absoluten Objekts, eines Dinges ansich, unabhängig von aller Vorstellung, wird man sich nie als eines empirisch Gegebenen bewußt. REINHOLD konnte sich diese Erörterungen wohl auf die Zukunft vorbehalten haben. Aus dem bisher Gesagten scheint hervorzugehen daß alle Einwendungen AENESIDEMUS, sofern sie als gegen die Wahrheit des Satzes vom Bewußtsein ansich gerichtet angesehen werden sollen, ohne Grund sind, daß sie ihn aber als ersten Grundsatz aller Philosophie, und als bloße Tatsache allerdings treffen; und eine neue Begründung desselben notwendig machen. Zugleich ist es merkwürdig, daß AENESIDEMUS, solange er seinen eigenen oben aufgestellten Grundsätzen treu war, auch gerecht gegen den Gegner blieb, und daß beides zugleich verschwindet, wie sich bald zeigen wird. Wenn seine Prüfung hier endete, so würde er ohne Zweifel sein Verdienst um die Philosophie und die Achtung aller unparteiischen Selbstdenker rühmlich behauptet haben. Man wird sehen, wieviel die Fortsetzung derselben ihm davon übrig läßt. - Nämlich die §§ 6 und 8, die den ursprüngliche Begriff des Vorstellungsvermögens bestimmen, führen den Zensor zur Prüfung des eigentümlichen Charakters der kritischen Philosophie, der darin besteht, daß der Grund eines großen Teils von den Bestimmungen der Gegenstände unserer Vorstellungen in das Wesen unseres Vorstellungsvermögens selbst gesetzt wird; und hierbei erhalten wir zugleich eine bestimmte Einsicht in die Natur des AENESIDEMUS'schen Skeptizismus, der auf einen sehr anmaßenden Dogmatismus hinausläuf, und ihn sogar, gegen seine eigenen oben aufgestellten Grundsätze, zum Teil schon als erwiesen voraussetzt. Nachdem der Skeptiker die in jenen §§ enthalten sein sollenden Behauptungen aufgezählt hat:
b) daß das Vorstellungsvermögen vor aller Vorstellung auf eine bestimmte Art vorhanden ist [was mag das heißen sollen, und wo sagt das REINHOLD?] c) daß das Vorstellungsvermögen von den Vorstellungen, wie jede Ursache von ihren Wirkungen verschieden ist; d) daß der Begriff des Vorstellungsvermögens sich nur aus den Wirkungen desselben ableiten läßt, und daß man, um die inneren Merkmale desselben zu erhalten, nur den Begriff der bloßen Vorstellung sorgfältig zu entwickeln habe; - Nachdem durch diese Mißdeutung REINHOLD völlig abgesprochen ist, daß er etwas zur Erhärtung jenes charakteristischen Grundsatzes der kritischen Philosophie beigebracht habe, geht die Zensur zu denjenigen Beweisen über, die der Urheber dieser Philosophie selbst in der "Kritik der reinen Vernunft" dafür aufgestellt hatte. Dieser Prüfung wird eine kurze Darstellung des HUMEschen Skeptizismus vorangeschickt. "HUME selbst hat den Satz, daß alle unsere Vorstellungen von den Dingen, von Impressionen derselben auf uns kommen, gar nicht im Ernst für wahr gehalten, weil er, ohne eine schon vorher angenommene Gültigkeit des Gesetzes der Kausalität, (nach welchem die Dinge die Ursache jener Impressionen in uns sind), welche er doch bestritt, mithin ohne die gröbste Inkonsequenz, dies nicht hat tun können: sondern er hat ihn nur mit dem LOCKEschen System, das damals unter seinen Landsleuten das herrschende gewesen ist, zur Bestreitung dieses Systems durch sich selbst, hypothetisch aufgestellt. HUMEs eigenes, wahres System besteht aus folgenden Sätzen:
2) welche Erkenntnis reell sein soll, die muß mit den Dingen außerhalb derselben im Zusammenhang stehen; 3) es gibt kein Prinzip, vermöge dessen wir von den Gegenständen, insofern sie twas von unseren Vorstellungen verschiedenes, und etwas ansich sein sollen, etwas wissen könnten; 4) selbst das Prinzip der Kausalität ist dazu nicht tauglich; noch taugt das des Widerspruch, um jenes für die verlangte Bestimmung zu begründen." -
b) ihn doch die Stelle bei KANT nachzuweisen, wo er diesen Unsinn angetroffen habe. - "KANT sagt: das Gemüt ist der Grund gewisser synthetischer Urteilsformen. Hier wird ja offenbar vorausgesetzt, daß jene Formen einen Grund haben müssen; mithin die Gültigkeit des Gesetzes der Kausalität, über welche eben die Frage sei, schon im voraus angenommen; es wird vorausgesetzt, jene Formen müssen einen Real-Grund haben."
Aber wie ist denn nun das kritische System von demjenigen, welches oben als das HUMEsche aufgestellt wurde, verschieden? Bloß darin, daß dieses die Möglichkeit, noch etwa einmal über jene Begrenzung des menschlichen Geistes hinausgehen zu können, übrig läßt; das kritische aber die absolute Unmöglichkeit eines solchen Fortschreitens dartut und zeigt, daß der Gedanke von einem Ding, das ansich, und unabhängig von irgendeinem Vorstellungsvermögen, Existenz und gewisse Beschaffenheiten haben soll, eine Grille, ein Traum, ein Nicht-Gedanke ist: und insofern ist jenes System skeptisch, das kritische aber dogmatisch, und zwar negativ dogmatischen. - Prüfung der §§ 9 - 14. - AENESIDEMUS glaubt, im § 9., der den Satz aufstellt, daß die bloße Vorstellung aus zwei verschiedenen Bestandteilen bestehen muß, habe REINHOLD aus folgendem Obersatz geschlossen: Alles, was sich auf verschiedene Gegenstände beziehen soll, das muß auch selbst und ansich aus verschiedenen Bestandteilen bestehen; und so kostet es ihm freilich nicht viel Mühe, die Folgerung zu entkräften. Allein er hat in jenem als reinholdisch aufgestellten Obersatz die Bedingung vergessen: wen die verschiedenen Gegenstände bloß und allein durch diese Beziehung erst unterschieden werden sollen. Unter dieser Bedingung aber ist es klar, daß, wenn X sein soll = A und = B, in X ein Y sein müsse = A und ein Z = B, und daß das Gegenteil sich widersprechen wird. Die auch hier wieder vorkommende Unterscheidung AENESIDEMUS zwischen gedachter und realer Verschiedenheit jener Bestandteile der bloßen Vorstellung verdient keine ernsthafte Erwähnung. Was für ein Ding mag doch eine bloße Vorstellung ansich, und unabhängig von einem Vorstellungsvermögen sein; und wie mögen Bestandteile einer bloßen Vorstellung auch noch anders verschieden sein, als dadurch, daß das vorstellende sie unterscheidet? Ob AENESIDEMUS diese überfreie Unterscheidung im Ernst machte, oder aber dem Publikum spottete? Gegründeter scheinen dem Rezensenten die Erinnerungen gegen die § 10. und 11. geschehene Bezeichnung des dem Subjekt in der Vorstellung Angehörigen durch die Form, und des dem Objekt Angehörigen durch den Stoff. Man hätte diese Bezeichnung gerade umkehren können, sagt AENESIDEMUS: und ebenso hat der Rezensent diese Erklärungen an der Stelle, an der sie hier stehen, nie für etwas anderes, als eine willkürliche Namensbestimmung halten können. (Wenn A und B, ehe X darauf bezogen ist, schlechterdings unbekannt und unbestimmt sind, wie die Elementarphilosophie ausdrücklich sagt: so bekommen sie durch zwei aufgefundene verschiedene Bestandteile in X (Y und Z) nur erst das Prädikat: sie sind voneinander verschieden. Wie sie aber verschieden sind, läßt sich erst aus der Art erkennen, wie Y und Z verschieden sind.) Wenn sie nun bloß als willkürliche Namenbestimmungen gebraucht, und nichts aus ihnen gefolgert würde, so ließe sich dagegen nichts sagen. AENESIDEMUS aber merkt an, und wie es dem Rezensenten scheint, mit Recht, daß tiefer unten die Folgerung, daß der Stoff gegeben, die Form aber hervorgebracht sein muß, bloß durch diese Erklärung begründet wird. Schließlich geht die Zensur zu demjenigen über, was ihr der erste Fehler der Elementarphilosophie, und der Grund aller ihrer Irrtümer scheint, nämlich: "nicht bloß Etwas in der Vorstellung wird auf das Subjekt, und ein anderes Etwas auf das Objekt, sondern die ganze Vorstellung wird auf beides, Subjekt und Objekt, bezogen, nur auf beide anders: auf das erstere, wie jede Eigenschaft auf ihr Subjekt; auf das letztere: wie jedes Zeichen auf sein Bezeichnetes. Diese Verschiedenheit in der Beziehungsart selbst hat REINHOLD übersehen, und deswegen geglaubt, die Möglichkeit der Beziehung auf zwei verschiedene Dinge nur durch die Voraussetzung zweier verschiedener Bestandteile in der Vorstellung selbst erklären zu können." Der Satz ist ansich ganz richtig; nur daß der Rezensent statt der von AENESIDEMUS gebrauchten Ausdrücke lieber sagen würde: die Vorstellung wird auf das Objekt bezogen, wie die Wirkung auf ihre Ursache, und auf das Subjekt, wie Akzidenz auf Substanz. Da aber REINHOLD dem Subjekt die Form, und dem Objekt den Stoff der ganzen Vorstellung zuschreibt; so kann ihm jene Wahrheit doch nicht so ganz verborgen geblieben sein, wie AENESIDEMUS glaubt. Aber wenn Subjekt und Objekt bloß durch die Beziehung der Vorstellung auf dieselben bestimmt werden, und vorher ganz unbekannt sind; - wie kommt dann AENESIDEMUS dazu, die Vorstellung auf ein Objekt als Ursache, oder wie er sagt: als Bezeichnetes, zu beziehen; wenn nicht in ihr selbst etwas ist, wodurch sie sich ursprünglich als Wirkung oder als Zeichen -: und wie kommt er dazu, sie auf das Subjekt zu beziehen, wenn nicht in ihr selbst etwas unterschieden wird, wodurch sie sich als Akzidenz oder als Prädikat ankündigt? - Auf Veranlassung des § 13, daß kein Gegenstand als Ding ansich vorstellbar ist, äußert sich AENESIDEMUS dahingehend: "es ist uns durch die ganze Einrichtung unseres Wesens einmal eingepflanzt, uns nur erst dann über unsere Erkenntnis zu beruhigen, wenn wir den Zusammenhang und die Übereinstimmung unserer Vorstellungen und der in ihnen vorkommenden Merkmale mit einem Etwas, so ganz unabhängig von ihnen existiert, vollkommen einsehen": und so haben dann zum Grund dieses neuen Skeptizismus ganz klar und bestimmt den alten Unfug, der bis auf KANT mit einem Ding ansich getrieben wurde; gegen den selbst dieser und REINHOLD, so wie es wenigstens dem Rezensenten scheint, sich noch lange nicht laut und stark genug erklärt haben, und der die gemeinschaftliche Quelle aller skeptischen sowohl, als dogmatischen Einwendungen gewesen ist, die sich gegen die kritische Philosophie erhoben haben. Aber es ist der menschlichen Natur gar nicht eingepflanzt, sondern es ist ihr vielmehr geradezu unmöglich, sich ein Ding unabhängig von irgendeinem Vorstellungsvermögen zu denken. Da KANT die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, nicht eben so, wie die Kategorien, auf einen einzigen Grundsatz zurückgeführt hat, noch sie, seinem die Wissenschaft bloß vorbereitenden Plan nach, darauf zurückführen konnte; ; so blieb, da bei ihm diese Anschauungsformen bloße Formen des menschlichen Vorstellungsvermögens scheinen konnten, nach ihm allerdings der Gedanke von der Beschaffenheit der Dinge für ein anderes Vorstellungsvermögen als das menschliche denkbar; und er selbst hat diesen Gedanken durch die oft wiederholte Unterscheidung zwischen den Dingen, wie sie uns erscheinen, und den Dingen, wie sie ansich sind, welche Unterscheidung aber gewiß nur vorläufig und für ihren Mann gelten sollten, gewissermaßen autorisiert. Den Gedanken des AENESIDEMUS aber von einem Ding, das nicht nur vom menschlichen Vorstellungsvermögen, sondern von aller und jeder Intelligenz unabhängig, Realität und Eigenschaften haben soll, hat noch nie ein Mensch gedacht, so oft er es auch vorgeben mag, und es kann ihn keiner Denken; man denkt sich allemal als Intelligenz, die das Ding zu erkennen strebt, mit hinzu. Daher mußte auch der unsterbliche LEIBNIZ, der ein wenig weiter sah, als die meisten seiner Nachfolger, sein Ding ansich oder seine Monade notwendig mit Vorstellungskraft begaben. Und wenn nur seine Folgerung nicht über den Zirkel hinausginge, in den der menschliche Geist eingeschlossen ist, und welchen er, der alles übrige sah, allein nicht sah; so wäre sie unstreitig richtig; das Ding wäre ansich so beschaffen, wie es sich - sich selbst vorstellt. KANT entdeckte diesen Zirkel. Nach KANT machte REINHOLD sich das unsterbliche Verdienst, die philosophierende Vernunft (die ohne ihn vielleicht noch lange KANT kommentiert hätte und weiter kommentiert, und nie das Eigentümliche seines Systems gefunden hätte, weil das keiner findet, der sich nicht seinen eigenen Weg zur Auffindung desselben bahnt,) darauf aufmerksam zu machen, daß die gesamte Philosophie auf einen einzigen Grundsatz zurückgeführt werden muß, und daß man das System der dauernden Handlungsweise des menschlichen Geistes nicht eher auffinden wird, bis man den Schlußstein desselben gefundent hat. Sollte durch weiteres Zurückschreiten auf dem von ihm so ruhmvoll gebahnten Weg sich etwa in der Zukunft entdecken, daß das unmittelbar Gewißeste: Ich bin, auf nur für das Ich gilt; daß alles Nicht-Ich nur für das Ich ist; daß es alle Bestimmungen dieses Seins a priori nur durch seine Beziehung auf ein Ich bekommt; daß aber alle diese Bestimmungen, insofern ihre Erkenntnis nämlich a priori möglich ist, durch die bloße Bedingung der Beziehung eines Nicht-Ich auf ein Ich überhaupt, schlechthin notwendig werden: so würde daraus hervorgehen, daß ein Ding ansich, insofern es ein Nicht-Ich sein soll, das keinem Ich entgegengesetzt ist, sich selbst widerspricht, und daß das Ding wirklich und ansich so beschaffen sein soll, wie es von jedem denkbaren intelligenten Ich, d. h. von jedem nach dem Satz der Identität und Widerspruchs denkenden Wesen, gedacht werden muß; daß mithin die logische Wahrheit für jede der endlichen Intelligenz denkbare Intelligenz zugleich real ist, und daß es keine andere gibt, als jene. - Alsdann würde es auch niemandem mehr einfallen, zu behaupten, was auch AENISEDEMUS wiederholt, aß die kritische Philosophie idealistisch ist, und alles für Schein erklärt, d. h. daß sie annimmt, eine Intelligenz läßt sich ohne Beziehung auf etwas Intelligibles denken. - AENESIDEMUS nimmt den in der Kritik der reinen Vernunft von KANT gegen den Idealismus aufgestellten Beweis in Anspruch und zeigt - allerdings mit Grund -, daß durch diesen Beweise der BERKELEYsche Idealismus, gegen welchen er seiner Meinung nach gerichtet war, nicht widerlegt ist. Seite 274f der Kr. d. r. V. hätte er mit deutlichen Worten lesen können, daß derselbe gar nicht gegen den dogmatischen Idealismus des BERKELEY, "als dessen Grund schon in der transzendentalen Ästhetik gehoben," sondern gegen den problematischen des CARTESIUS gerichtet ist. Und gegen diesen wird allerdings in jenem Beweis gründlich dargetan, daß das von CARTESIUS selbst zugestandene Bewußtsein des denkenden Ich nur unter der Bedingung eines zu denkenden Nicht-Ich möglich ist. Nachdem der Rezensent die Unhaltbarkeit des Grundes, auf welchem AENESIDEMUS' Skeptizismus aufgebaut ist, dargetan hat, so enthebt er sich, vielleicht mit einigem Recht, der Anführung seiner übrigen Einwendungen gegen den theoretischen Teil der kritischen Philosophie überhaupt, und insbesondere gegen die Darstellung derselben durch REINHOLD; um noch etwas über seine Einwürfe gegen die Kantische Moral-Theologie zu sagen. "Diese Moral-Theologie schließt daraus, daß etwas geboten ist, auf das reale Dasein der Bedingungen, unter denen allein das Gebot erfüllt werden kann." Die Einsprüche, welche AENESIDEMUS gegen diese Schlußart macht, gründen sich auf seinen Mangel an Einsicht in den wahren Unterschied zwischen der theoretischen und der praktischen Philosophie. Folgender Vernunftschluß enthält ungefähr diese Einsprüche: Wir können nich eher der Urteil fällen, daß uns geboten ist, etwas zu tun oder zu lassen, bis ausgemacht ist, ob dieses Tun oder Unterlassen möglich ist; nun läßt die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Handlung sich nur nach theoretischen Prinzipien beurteilen: mithin beruth auch das Urteil, daß etwas geboten ist, auf theoretischen Prinzipien. Das, was KANT erst aus dem Gebot folgert, muß vor der vernunftmäßigen Annahme eines Gebotes überhaupt schon erwiesen und ausgemacht sein: - weit entfernt, daß durch die Anerkennung eines Gebotes die Überzeugung vom realen Dasein der Bedingungen seiner Erfüllung begründet werden könne, kann vielmehr jene Anerkennung nur nach dieser Überzeugung stattfinden. - Man sieht, daß AENESIDEMUS gerade das eigentliche Fundament der Kantischen Moral-Theologie, den Primat der praktischen Vernunft über die theoretische, angreift; man sieht aber auch leicht, wodurch er sich diesen Angriff leicht gemacht hat. Was wir tun oder lassen - in der Welt der Erscheinungen gültig zur Wirklichkeit bringen sollen, - muß allerdings unter den Gesetzen dieser Welt stehen. Aber wer redet denn auch von Tun oder Lassen? Das Sittengesetz richtet sich zunächst nich an eine physische Kraft, als wirksame, etwas außer sich hervorbringende Ursache; sondern an ein hyperphysisches Begehrungs- oder Bestrebungsvermögen, oder wie man es nennen will. Jenes Gesetz soll zunächst gar nicht Handlungen, sondern nur das stete Bestreben nach einer Handlung, hervorbringen, wenn auch dasselbe, durch die Naturkraft gehindert, nie zur Wirksamkeit (in der Sinnenwelt) käme. Wenn nämlich, - um die Momente jener Schlußart in ihrer höchsten Abstraktion darzustellen, - wenn das Ich in der intellektuellen Anschauung ist, weil es ist, und ist, was es ist; so ist es insofern sich selbst setzend, schlechthin selbständig und unabhängig. Das Ich im empirischen Bewußtsein aber, als Intelligenz, ist nur in Beziehung auf ein Intelligibles, und existiert insofern abhängig. Nun soll dieses dadurch sich selbst entgegengesetzte Ich nicht zwei, sondern nur ein Ich ausmachen, und das ist gefordertermaßen unmöglich; denn abhängig und unabhängig stehen im Widerspruch. Weil aber das Ich seinen Charakter der absoluten Selbständigkeit nicht aufgeben kann; so entsteht ein Streben, das Intelligible von sich selbst abhängig zu machen, um dadurch das dasselbe vorstellende Ich mit dem sich selsbt setzenden Ich zur Einheit zu bringen. Und das ist die Bedeutung des Ausdrucks: die Vernunft ist praktisch. Im reinen Ich ist die Vernunft nicht praktisch, auch nicht im Ich als Intelligenz; sie ist es nur, insofern sie beides zu vereinigen strebt. Daß diese Grundsätze KANTs Darstellung selbst zugrunde liegen müssen, ungeachtet dessen, daß er sie nirgends bestimmt aufgestellt hat, - ferner, wie durch diese Vorstellung dieses ansich hyperphysischen Strebens durch das intelligente Ich, im Absteigen über die Stufen, über welche man in der theoretischen Philosophie auf steigen muß, eine praktische Philosophie entsteht, ist hier nicht der Ort zu zeigen. - Jene Vereinigung: Ein Ich, das durch seine Selbstbestimmung zugleich alles Nicht-Ich bestimmt (die Idee der Gottheit), ist das letzte Ziel dieses Strebens; ein solches Streben, wenn durch das intelligente Ich das Ziel desselben außer ihm vorgestellt wird, ist ein Glaube (Glauben an Gott). Dieses Streben kann nicht aufhören, als nach Erreichung des Ziels, d. h. die Intelligenz kann keinen Moment ihres Daseins, in welchem dieses Ziel noch nicht erreicht ist, als den letzten annehmen (Glauben an ewige Fortdauer). An dieser Idee ist aber auch nichts anderes, als ein Glaube möglich, d. h. die Intelligenz hat zum Objekt ihrer Vorstellung keine empirische Empfindung, sondern nur das notwendige Streben des Ich; und in aller Ewigkeit Ewigkeiten hinaus kann nichts anderes möglich werden. Dieser Glaube ist aber so wenig bloß eine wahrscheinliche Meinung, daß er vielmehr, wenigstens nach des Rezensenten innigster Überzeugung, mit dem unmittelbar gewissen: Ich bin den gleichen Grad der Gewißheit hat, welche alle, erst durch das intelligente Ich mittelbar mögliche, objektive Gewißheit unendlich übertrifft. - Freilich, AENESIDEMUS will einen objektiven Beweis für die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Was mag er sich dabei denken? Oder ob ihm die objektive Gewißheit etwa ungleich vorzüglicher scheint, als die - nur - subjektive? Das: Ich bin - selbst hat nur subjektive Gewißheit; und, soviel wir uns das Selbstbewußtsein Gottes denken können, ist Gott selbst für Gott subjektiv. Und nun gar ein objektives Dasein der Unsterblichkeit! (Es sind AESIDEMUS' eigene Worte.) Wenn irgendein sein Dasein in der Zeit anschauendes Wesen in einem Moment seines Daseins sagen könnte: nun bin ich ewig; so wäre es nicht ewig. - Es ist also so wenig wahr, daß die praktische Vernunft den Primat der theoretischen anerkennen muß: daß vielmehr ihre ganze Existenz auf den Widerstreit des selbstbestimmenden in uns mit dem theoretisch-erkennenden sich gründet, und daß sie selbst aufgehoben würde, wenn dieser Widerstreit aufgehoben wäre. Auf diese gänzliche Verkennung des moralischen Glaubensgrundes gründet sich auch eine zweite Anmerkung AENISEDEMUS, daß die Folgerungsart im moralischen Beweis von der, in dem von KANT verworfenen kosmotheologischen Beweis um nichts verschieden ist; da auch im letzteren geschlossen wird: weil eine Welt vorhanden ist, muß auch die allein denkbare Bedingung der Möglichkeit einer Welt vorhanden sein. - Die hauptsächliche Verschiedenheit dieses Beweises vom moralisch-theologischen ist die, daß sich der erstere bloß auf die theoretische Vernunft, der zweite aber auf einen Widerstreit des Ich ansich gegen diese theoretische Vernunft gründet. Die theoretische Vernunft muß über das, worüber sie etwas beweisen soll, doch wenigstens mit sich selbst einig sein. Nun wird sie allerdings dadurch erst in sich selbst Einheit, daß sie sich eine Welt, als unbedingtes Ganzes, mithin eine Ursache dieser Welt, die die erste ist, denkt; aber eben durch den Gedanken einer solche ersten Ursache gerät sie wieder in einen unauflöslichen Widerstreit mit sich selbst, weil jede Ursache, die sie sich denken mag, den eigenen Gesetzen dieser Vernunft zur Folge, wieder die ihrige haben muß: mithin, obgleich die Aufgabe, eine erste Ursache zu suchen, bleibt, dennoch keine gefundene diese erste sein kann. Die Vernunft kann also die Idee einer ersten Ursache nie realisieren, als bestimmt und gefunden annehmen, ohne sich selbst zu widersprechen. Kein Beweis aber, der auf einen Widerspruch mit sich selbst hinausläuft, kann gültig sein. Der Rezensent hat es für seine Pflicht gehalten, dieses Werk etwas ausführlicher zu beurteilen, teils weil wirklich mehrere gute und treffende Bemerkungen darin vorkommen, teils weil sich der Verfasser schon im Voraus über unbewiesene *Machtsprüche beklagte, deren er hoffentlich diese Beurteilung nicht beschuldigen wird, teils weil es wirklich hier und da Aufmerksamkeit erregt und mancher Leser desselben die Sache der kritischen Philosophie schon für verloren gehalten haben soll, teils endlich, um gewissen Leuten das Vorurteil nehmen zu helfen, daß man die Einwürfe gegen die Kantische Philosophie nur nicht recht würdige, und sie lieber der Vergessenheit übergeben möchte, weil man nichts Gegründetes darauf zu sagen weiß. Er wünscht nichts lebhafter, als daß seine Beurteilung dazu beitragen möge, recht viele Selbstdenker zu überzeugen, daß diese Philosophie ansich, und ihrem inneren Gehalt nach, noch so fest steht, als je zuvor, daß es aber noch vieler Arbeit bedarf, um die Materialien in ein wohl verbundenes und unerschütterliches Ganzes zu ordnen. Möchten sie dann durch diese Überzeugung selbst aufgemuntert werden, jeder ans seinem Ort, so viel in seinen Kräften steht, zu diesem erhabenen Zweck beitzutragen! |