cr-4tb-1ra-1HumeAenesidemusSchulzeSchulzeFichte    
 
ERNST FISCHER
Von G. E. Schulze zu A. Schopenhauer
[Ein Beitrag zur Geschichte der kantischen Erkenntnistheorie]
[2/2]

"Bei Kant ist die Wahrnehmung etwas Unmittelbares, identisch mit der Empfindung, welche zur Kausalität gar kein Verhältnis hat. Und doch steht gerade zwischen der bloßen Empfindung und der Wahrnehmung als einziger Vermittler der Verstand und seine kausale Tätigkeit. Die Physiologie lehrt, daß wir den Gegenstand auf der Netzhaut verkehrt empfinden, aber wir nehmen ihn aufrecht wahr. Wir empfinden den Gegenstand mit beiden Augen, also doppelt, aber wir sehen ihn einfach. Wir empfinden Flächen, also planimetrisch, wir sehen aber Körper, d. h. stereometrisch."


Dritter Abschnitt
Vergleich zwischen den beiden Darstellungen
und Ergänzung durch Schulzes
"Kritik der theoretischen Philosophie".

Wenn wir die beiden Darstellungen überblicken und von der wiederholten, ausdrücklichen, zustimmenden Rückbeziehung SCHOPENHAUERs auf SCHULZE absehen, so fallen mehrere Unterschiede in den Gedanken und Positionen beider Männer in die Augen. Diese Verschiedenheiten wollen wir zunächst hervorheben, bevor wir die beiden berühmten Angriffe auf KANT von der angekündigten, entgegengesetzten Seite betrahten, von der Seite ihrer Ähnlichkeit.

1. SCHOPENHAUER hat es mit KANT nicht als mit einem Gegner zu tun, sondern mit seinem Vorgänger. Er nennt das seinen höchsten Ruhm, wenn man einst von ihm sagen könnte, er habe das Rätsel gelöst, welches KANT aufgegeben hatte. Er deckt die Mängel einzelner Lehren rücksichtslos auf, aber nur, um diese in verbesserter Form nachher rückhaltlos anzuerkennen. In diese Rubrik gehören das Ding-ansich und die Apriorität des Kausalitätsgesetzes. SCHULZE dagegen ist erklärter Gegner KANTs, mit allen Mitteln der logischen Evidenz will er die Haltlosigkeit seiner Behauptungen darlegen, indem er die Vernunftkritik bald auf den Idealismus, bald auf den Realismus zurückwirft und gegen beide den Skeptizismus siegreiche Angriffe machen läßt.

2. Die "Kritik der kantischen Philosophie" trägt die bekannten Vorzüge des Verfassers an der Stirn. Diese diffizilen Untersuchungen besitzen eine Kraft und einen Glanz, welche die logische Schärfe von SCHULZE weit überbieten. Diese lichtvollen Gedanken sind nicht in der Dämmerung der Studierstube allein gewachsen. In der anschaulichen Welt lebte und webte ihr Urheber. Während er dachte und während er schrieb, leuchtete diese Welt um ihn her. (vgl. Grisebachs "Schopenhauer", Kapitel 7) Was von seinem Hauptwerk gilt, das gilt vielfach gewiß ebenso vom kritischen Anhang; an den Ufern der Elbe wandelnd, mit wenigen Stichworten die überströmende Intuitin festhaltend, sog er seine Gedanken über Anschauung und Begriff aus den Wundern der Natur und trug sie in sein Gartenhaus nach der Ostra-Allee in Dresden. Gleichartig wirken seine naturwissenschaftlichen Studien. Er steht ganz unter dem Eindruck der Präponderanz dieses Gebietes als erster universaler Vertreter des in dieser Richtung fortschreitenden 19. Jahrhunderts. Er geht darin so weit, daß er im Satz vom Grund die geistige Welt offenbar aus den Augen verliert. Die Innenvorgänge werden darin der Verknüpfung nach Ursache und Wirkung nicht ausdrücklich entzogen, aber noch weniger ausdrücklich eingegliedert; denn die Abwicklung der Erinnerungen, Einbildungen, Stimmungen usw. läßt sich nicht mit der kausalen Verknüpfung des Wollens, dem Gesetz der Motivation identifizieren und die ganze Psychologie läuft, wie JOHANNES VOLKELT in seiner neuesten Biographie von SCHOPENHAUER (Stuttgart 1900, Seite 99f) darlegt, wirklich Gefahr, zu einer heimatlosen Wissenschaft zu werden.

Wenn nun auch bei SCHULZE sich, besonders in späteren Schriften, z. B. in den späteren Auflagen der "Enzyklopädie" eine freudige Ahnung vom Aufblühen der Naturwissenschaften verrät, so tut sich doch in "Aenesidemus (1792) die große Kluft auf, welche nach dieser Seite des Wissens zwischen den zwei letzten Jahrhunderten besteht. Mag sein Geist sogar damals schon in lebhafter Bewegung nach einem naturwissenschaftlich begründeten Ausgangspunkt ausgespäht haben, seine Sprache erscheint als die herkömmliche rationalistische und ängstlich vermeidet sie den Schmuck anschaulicher Bilder, damit die Phantasie sich nicht in das Geschäft der Vernunft mischt.

3. Damit hängt ein weiterer Unterschied zusammen. Gerade jene Verschmelzung von transzendentaler und naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise bei SCHOPENHAUER hat den Urheber zu einem ungemessenen philosophischen Selbstgefühl verleitet; innerhalb der Schranken der menschlichen Erkenntnis überhaupt war ihm sein System die Lösung des Welträtsels, eine neue, nein, die Offenbarung. Dieses System ist der Maßstab zur Beurteilung KANTs, wenn auch andererseits jenes aus diesem hervorgegangen ist. "Aenesidemus" trägt dagegen den Namen eines antiken Skeptikers und in der Einleitung wird seine philosophische Partei mit der protestantischen Konfession treffend verglichen. Danach wagt der Skeptiker nicht über dasjenige zu entscheiden, was einzig und allein auf immer in der Philosophie als gültig anzusehen ist; er glaubt vielmehr an die nie aufhörende Perfektibilität der philosophierenden Vernunft als an einen der unverkennbarsten Vorzüge des menschlichen Geistes. Im Gegensatz zu SCHOPENHAUER verzichtet SCHULZE deswegen auf jeden fremden, dem Gegner fremden, Maßstab und stellt sich ganz auf dessen eigenen Boden. Der innere logische Zusammenhang des Systems wird bis in seine äußersten Verästelungen bloßgelegt. Dazu war SCHULZE der eigentlich Berufene, denn diese Kampfart setzt die Erfassung der Grundgedanken voraus und die Kenntnis der Aufgaben, welche durch dieselben gestellt werden. Auf das Verhältnis der Grundsätze des Systems zu den daraus gezogenen Folgerungen kommt es SCHULZE an und diese Methode bedeutet offenbar nichts Geringeres, als die Kunst, ein Lehrgebäude nicht nach fremdem Gewicht, sondern nach eigenem Maß zu messen. Auf diese Weise gelingt es ihm, den Leser zeitweise bei aller Trockenheit der Diktion in die höchste Spannung zu versetzen, sofern er sich für oder gegen KANT ernsthaft interessiert. Es wird dadurch auch ein Ersatz geleistet für den Mangel an einem Reiz, wie ihn SCHOPENHAUER mit dem Überspielen der transzendentalen in die physiologische Betrachtung bieten kann.

4. Diesen allgemeinen Differenzen der Kantkritik SCHULZEs und SCHOPENHAUERs lassen sich auch noch folgende besondere Gesichtspunkte hinzufügen. SCHULZE ist ein rein analytischer Denker; die Analyse von Einzelproblemen ist seine einzige Arbeit. Er hat nicht die Absicht, die philosophische Erkenntnis seiner Zeit zu großen Synthesen, zu einem System, zu einer Weltanschauung zu erweitern. Gerade dieses ist aber SCHOPENHAUERs Absicht. Daraus erklärt sich, daß SCHOPENHAUER gerade die von SCHULZE am meisten bekämpften dogmatischen Bestandteile des kantischen Systems beibehält, ja sogar überbietet: das Ding-ansich, die Apriorität, die Beweise der transzendentalen Ästhetik. Ferner steht zwischen SCHULZE und SCHOPENHAUER die spekulative Metaphysik, insbesondere FICHTEs, von der SCHOPENHAUER trotz eigener heftiger Ableugnung Vieles entlehnt hat; so die Erkennbarkeit des Dings-ansich, das Überwiegen der Metaphysik über die Erkenntnistkritik. Es muß ebenso betont werden, daß SCHULZE seine Waffen der vorkantischen Philosophie entlehnt, in erster Linie bei HUME. SCHOPENHAUER arbeitet dagegen schon im Satz vom Grund offenbar auf eine Lostrennung der Erkenntniskritik von dieser vorkantischen Grundlage hin, um später im Hauptwerk "nur noch, und zwar direkt, an Kant anzuknüpfen". Vor allen Dingen aber verdient Erwähnung, daß SCHULZE schon in der "Enzyklopädie" den interessanten Gedanken äußert, in der Verwendung des Apriorismus würden "übernatürliche" mystische Erkenntnismittel in die Philosophie eintreten, was zu vermeiden ist, während SCHOPENHAUER gerade diese mystischen Erkenntnismittel ausgiebig gebraucht und in dieser Hinsicht in demselben Sinn KANT umbildet wie FICHTE. In SCHELLING hat sich diese Weissagung SCHULZEs über den Apriorismus vollends richtig erfüllt.

Welches sind nun aber die Berührungspunkte zwischen den beiden Männern? Ich mache zunächst auf die rein äußerliche Tatsache aufmerksam, daß SCHOPENHAUER seinen früheren Lehrer viermal zitiert; einmal polemisch, dreimal zustimmend. Eine der drei letzteren Stellen bezieht sich auf den untergeordneten Punkt der kantischen Ableitung der Kategorie der Wechselwirkung, den ich unerörtert lassen darf. Die beiden Übrigen aber betreffen einen Angelpunkt, um den sich die Kr. d. r. V. dreht, die Voraussetzung des Dings-ansich aufgrund eines Schlusses nach dem Kausalitätsgesetz und den unrichtigen kantischen Beweis von der Apriorität eben desselben Gesetzes. SCHOPENHAUER mißt der Entdeckung SCHULZEs so große Bedeutung bei, daß er in seiner einleitenden Betrachtung Seite 510-518 dieselbe ausdrücklich einem Teil der eigenen, Seite 518 anhebenden, Prüfung zugrunde legt. Es ist auffallend, daß diese offenkundige Koinzidenz der beiden Kritiker der kausalen Ableitung des Dings-ansich nur wenig Beachtung gefunden hat. Vielleicht deswegen, weil JACOBI und Andere dasselbe auch gesagt haben. Allein SCHOPENHAUER bezieht sich hier nicht auf diese, sondern allein auf SCHULZE. Wenn ich nicht irre, bemerkt einzig KUNO FISCHER die Tatsache. Im achten Band seiner Gesamtausgabe gibt er Seite 440 die Anerkennung SCHULZEs durch SCHOPENHAUER referierend wieder, freilich ohne Gewicht darauf zu legen. Ferner im 6. Band, Seite 104 findet sich die eingeklammerte Stelle hierüber:
    "Der Skeptizismus erhob sich in Aenesidemus und traf die Kant-Reinhold'sche Lehre (er hatte die Anwendung jeder Art der Kausalität auf Dinge-ansich ffür unmöglich erklärt, ein Urteil, worin Schopenhauer in seiner Kritik Kants, wie es scheint, diesem Beispiel seines Lehrers gefolgt ist)."
In der Tat darf in Zukunft darüber kein Zweifel mehr bestehen, daß SCHOPENHAUER hierin der Anregung SCHULZEs folgt und wenn wir wollen im Besonderen diese Übereinstimmung als Ausgangspunkt meiner Untersuchung festnageln. Es läßt sich nämlich gerade an dieser Aneignung von SCHULZEs Gesichtspunkt bei SCHOPENHAUER eine merkwürdige Beobachtung machen. Trotzdem sie an der Spitze des Werkes angekündigt wird als wegweisend für das Nachfolgende, so findet sich ebenderselbe Gesichtspunkt in der ganzen "Kritik der kantischen Philosophie" nachweislich nur auf 8 Seiten wieder, nämlich Seite 595 - 602, wo die Auflösung der dritten Antinomie besprochen wird. Die ganze Prüfung der Elementarlehre dagegen füllt 114 Seiten; somit bleiben für den anderen Gesichtspunkt der Kritik von der Unterscheidung der Intuition und Reflexion volle 96 Seiten. Dieses Mißverhältnis der beiden Einteilungsglieder, welche doch der Verfasser selbst seiner Arbeit zugrunde legt, darf in gewissem Sinne als ein Rätsel bezeichnet werden. Dazu tritt, daß Seite 596 nicht mehr SCHULZE besonders, sondern KANTs "erste Gegner" überhaupt als die Vorläufer des Verfassers in diesem Punkt der Kritik bezeichnet werden. Wird auch dadurch die erste, viel zu bestimmte Ankündigung nicht aufgehoben, so scheint es doch, als ob SCHOPENHAUER mit der einen Hand wieder zurücknehmen wollte, was er mit der anderen gegeben hat. Man könnte freilich sagen, daß es sich bei der Erwähnung SCHULZEs vielleicht nur um eine lobende Erinneruerng an die Verdienste des Mannes handelt, also um einen kurzen Blick nach rückwärts, nicht nach vorwärts. Allein dann wäre diese Ehrung des Meisters doch auf Kosten der logischen Konsequenz und des straffen Zusammenhangs geschehen und dies ist man bei SCHOPENHAUER nicht gewöhnt. Ich biete dann auch eine andere, wenn auch nur vorläufige Lösung des Rätsels an. Es ist von vornherein klar, daß das Problem der Kausalität, welches den Inhalt des Aenesidemus ausmacht, bei SCHOPENHAUER auftreten muß als Erörterung der hypothetischen Urteilsform bei der Kritik der Kategorien Seite 541. Allein gerade dort wird die Frage kurz abgetan und statt dessen auf die einleitende Abhandlung des Verfassers verwiesen: "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund", erste Auflage, Oktober 1813, zweite Auflage, September 1847. Dieser Rückgriff erweitert sofort den Horizont der Vermutungen, denn der bloße Titel des als Disseration gedruckten Werkes zeigt, daß der jugendliche Geist SCHOPENHAUERs sich gerade des Gegenstandes bemächtigt hat, den Schulze vor aller und jeder positiven Philosophie erledigt wissen wollte. (1)

Wenn wir nun bedenken, daß diese Abhandlung über den Satz vom Grunde in SCHOPENHAUERs Kritik der kantischen Philosophie Seite 541 gleichsam eingerückt werden soll durch den Leser, so ist das Vorgehen SCHOPENHAUERs bei der Aufstellung der zwei Gesichtspunkte in diesem beschränkten Sinn gerechtfertigt und erscheint unsere oben nur als "vorläufige" bezeichnete Lösung des Rätsels gewiß als solche annehmbar. Aber auch das wir hiermit dargetan, auf was es uns jetzt schon ernsthaft ankommt, nämlich die Tatsache eines, wenn auch nur mittelbaren, so doch wichtigen, sachlichen Zusammenhangs zwischen der Erkenntniskritik SCHULZEs und SCHOPENHAUERs Kritik der kantischen Philosophie.

Daß SCHULZE, neben anderen Autoren, teilgehabt hat an der Entstehung der Dissertation, eine übrigens ganz selbstverständliche Sache, bemerkt SCHOPENHAUER ausdrücklich. (Vgl. Edita und Inedita, Randschriften Arthur Schopenhauers, Seite 88-91, von Grisebach.) Aus der Einleitung und aus dem soeben Gesagten ergibt sich nun
    1. daß Schopenhauer ein Jahr lang bei Schulze gehört hat und mit ihm persönlich in Verbindung stand.

    2. daß er als Student den "Aenesidemus" und die "Kritik der theoretischen Philosophie" gelesen und im Blick auf seine eigene erste Schrift einer besonderen Durchsicht gewürdigt hat.
Mit einem Wort, der junge SCHOPENHAUER muß neben KANT und PLATO bei seinen philosophischen Gedankengängen in erster Linie seinen Lehrer vor Augen gehabt haben, sowohl in Wort wie in Schrift. Wenn wir nun versuchen, zu den, dieses bezeugenden, äußeren Daten für das gemeinsame Thema der Kausalität, den inneren Beweis der Kontinuität der beidseitigen philosophischen Ansichten hinzuzufügen, so müssen wir vor allem auch die "Kritik der theoretischen Philosophie" berücksichtigen.

Auf Seite 422f dieser Schrift wird, wie oben gesagt ist, von SCHOPENHAUER selber verwiesen; daraus entnehme ich das Recht, dieselbe überhaupt zu Rate zu ziehen. Ich verbinde nun die Darstellung von Seite 422f der Kritik der theoretischen Philosophie mit der "Beleuchtung des Streits über die Realität der Begriffe von einer Kausalverbindung der Dinge" (Seute 464f). SCHULZE führt da aus: Nachdem KANT lang und breit dem Ich ein Vermögen durch Gegenstände affiziert werden und ein Vermögen Vorstellungen aus sich hervorzubringen beigelegt hat, ferner ab diesen wieder mehrere Zweige mit besonderen Arten der Wirksamkeit unterschieden hat, unterrichtet er uns endlich hinterher erst über die Quelle der Kausalverbindung in einem hypothetischen Urteil. Nachdem aber HUME die Zuverlässigkeit einer derartigen realen Verbindung erschüttert hat, hätte sie wohl aufs Neue müssen dargetan, aber nicht unerörtert an die Spitze eines Systems gestellt werden. HUME fand das Original diesr Verbindung der Dinge in der Ideenassoziation. Diese Erklärung genügt aber dem unvertilgbaren Bedürfnis des menschlichen Geistes insofern nicht, als wir daran doch kein Interesse haben, daß die Vorstellungen in der Phantasie eine nach den Gesetzen dieser Kraft des Gemüts, oder eine nach den Gesetzen der Ideenassoziation erfolgte Ordnung annehmen. Wir suchen auch die Kausalverbindung auf, bevor die bleibende Folge der Vorstellungen der Kausalbegriffe in der Phantasie die Anweisung zur Entdeckung einer solchen Verbindung erteilt. Endlich fragen wir auch, warum legt der Mensch, wenn es bloß auf die Aneinanderreihung der Bilder in der Phantasie ankommt, nicht auch allen einander ähnlichen Dingen eine Kausalverbindung bei?

Trotz alledem kann HUME nur widerlegt werden, indem man entweder darlegt:
    a) mit dem Bewußtsein der Dinge in der Erfahrung sei zugleich eine Erkenntnis ihrer ursächlichen Verbindung gegeben und Erfahrung offenbare uns durch sich selbst eine solche Verbindung des Vorhandenen, oder aber, daß man zeigt:

    b) die Begriffe von ein Kausalverbindung der Objekte in der wirklichen Welt müssen sich, obgleich sie nicht aus den sinnlichen Wahrnehmungen dieser Objekte herrühren, doch auf ein reales Verhältnis der Objekte untereinander beziehen (Seite 477).
Den ersten Weg hat die Vernunftkritik betreten in der zweiten Analogie der Erfahrung, Kr. d. r. V., fünfte Auflage, Seite 233, vom Grundsatz der Zeitfolge aller Veränderungen in der Natur nach dem Gesetz der Kausalität. Es fragt sich, ob sie das Ziel erreicht hat; dort wird gesagt:
    a) Alle Wahrnehmungen folgen in der Zeit aufeinander.

    b) Allein inwiefern die Wahrnehmungen nur in einem inneren Sinn nacheinander da sind, können wir jede derselben, die auf eine andere folgt, vor dieser setzen und diejenige, welche vorangegangen ist, auf die letztere, in der Einbildungskraft nämlich, folgen lassen.

    c) Soll aber eine Folge der Zustände in einem Objekt erkannt werden, so muß die Folge unserer Wahrnehmungen als bestimmt gedacht worden sein, d. h. aber so, daß die eine als Ursache, die andere als Wirkung auftritt.

    d) Unsere Wahrnehmungen sind also nur insofern objektiv gültig, insofern an deren Folge ein Kausalverhältnis stattfindet.
Zur Jllustration nennt KANT die Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses sukzessiv. Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen soll nicht bestimmt sein, denn meine Wahrnehmungen können in der Apprehension [Zusammennehmen - wp] von der Spitze des Hauses anfangen und beim Boden enden, aber auch von unten anfangen und oben enden, ebenso rechts oder linkt das Mannigfache der empirischen Anschauung apprehendieren. Der Gegensatz dazu soll die "Begebenheit" eines den Strom hinabfahrenden Schiffes sein, das wir sukzessive immer mehr unterhalb des Stromlaufs wahrnehmen. Diese Wahrnehmung der Sukzession können wir nicht ändern oder umkehren und diese subjektive Folge der Apprehension wird von der objektiven Folge in der Erscheinung veranlaßt. Dazu bemerkt SCHULZE:

1. Soviel ist allerdings wahr, daß die Sukzession unserer Wahrnehmungen der Teile und Zustände eines Dings für sich genommen noch kein objektives Nacheinandersein derselben an einem Ding selbst sicher verbürgt. Es kann z. B. die Bewegung an einem Körper nur vermöge der Veränderung seiner Lage gegen einen anderen Körper, welcher ruht, erkannt werden. Ehe wir also den bewegten Körper bestimmen können, müssen wir wissen, welches der ruhende ist. (Hiermit anerkennt SCHULZE zum Teil, was KANT im Beispiel des Hauses erläutern will; aber zugleich drückt er das Beispiel vom Schiff auf das Niveau des ersten herab und zeigt, wie die beiden nicht im Verhältnis des Gegensatzes stehen, sondern vielmehr einander ähnlich sind. Das den Strom hinunter schwimmende Schiff beweist zunächst so wenig oder so viel für die objektive Sukzession, als die Wahrnehmung der Teile des Hauses.)

2. Allein, daß nun in dem von der Kausalverbindung noch freien Bewußtsein gar keine Beziehung auf die objektive Folge der wahrgenommenen Zustände eines Dings enthalten sein soll, ist gänzlich falsch. Jene Folge von Wahrnehmungen enthält im Gegenteil, schon für sich genommen eine Bestimmtheit in Anbetracht dessen, was vorhergeht und was darauf folgt. Mag daher auch einer solchen Folge, weil sie noch nicht dem Gesetz der Kausalität gemäß verbunden worden ist, eine notwendige Ordnung fehlen, so ist sie doch in Zeitverhältnissen auf eine für uns objektiv bestimmte Art da. Sie unterscheidet sich schon durch sich selbst von einer bloßen Sukzession der Bilder in der Phantasie.

3. Aus dem Aprioritätsbeweis KANTs würde folgen, daß gar keine Erfahrung von etwas möglich sein kann, dessen Ursache uns noch unbekannt ist, was offenbar ungereimt wäre.

4. Es ist aber nicht zu leugnen, daß, wenn man die Unentbehrlichkeit der Kausalverbindung bei der Erfahrung als Erkenntnis von Objekten beweisen könnte, dadurch zumindest dies begreiflich wird, warum wir jede Veränderung der Natur auf etwas Vorhergegangenes beziehen. KANT aber hat diese Unentbehrlichkeit auf unzureichende Gründe gestützt.

Das sind die in SCHOPENHAUERs Thema des Satzes vom Grunde eingeschlagenen Stellen in der Kritik der theoretischen Philosophie. Hinzu tritt also noch die These in Aenesidemus, KANT sei nur angeblich von HUME aus dem dogmatischen Schlummer zur kritischen Philosophie auferweckt worden; denn statt HUMEs Knoten in der Vernunftkritik zu lösen, habe er ihn nur zerhauen:
    1. durch die unrechtmäßige Voraussetzung, daß die Faktoren der Erkenntnis aus einem Grundvermögen als ihrer Ursache abgeleitet werden müssen, während gerade dieser Satz der Kausalität das zu Beweisende wäre,

    2. durch das ontologische Vorurteil, daß deswegen, weil wir uns etwas nicht anders denken können, es auch nicht anders sein kann,

    3. durch die eigene Definition der Kausalverbindung als der synthetischen Einheit in der Verknüpfung der Wahrnehmungen in der Zeit; denn dabei hört jede Erkenntnis des wahren Ursprungs unserer Vorstellungen auf und wird alle Philosophie = X,

    4. durch die unbewiesene Behauptung: alle Erkenntnis beginnt mit Erfahrung; denn gerade die Realität der Erfahrung von Dingen außerhalb von uns selbst bezweifelt Hume und überdies erst recht die Kausalität als Prädikat der Erfahrung, sofern es diese geben sollte,

    5. durch den Selbstwiderspruch in der Vernunftkritik zwischen dem Grundsatz von der Erfahrung und der transzendentalen Deduktion der Kategorien.
Also durch diese Argumentationen, teils des Aenesidemus, teils der Kritik der theoretischen Philosophie, durch Schulzes Kollegien der Metaphysik und der Logik, durch den persönlichen Meinungsaustausch endlich mit dem Lehrer, ist SCHOPENHAUER ohne Zweifel zur Überzeugung gelangt, daß niemand mehr auftreten kann mit dem Anspruch realer Erkenntnisse von Dingen, der nicht die gewichtigen Zweifel Humes an der bloßen Möglichkeit einer solchen vorher gründlich besiegt hat. Dies wird bestätigt durch die Art und Weise, mit welcher Schopenhauer in seiner Abhandlung über den Satz vom Grund zu Werke geht, auf welche uns SCHOPENHAUER im "Anhang" hinweist. In der historischen Einleitung reicht er, abgesehen von KANT, HUME die Palme, dessen Verdienst freilich in der Fragestellung liegt, nicht in der Antwort, wie sich bald zeigen wird. Bis auf diesen ernsthaften Denker hat niemand daran gezweifelt: zuerst und vor allen Dingen ist der Satz vom zureichenden Grund ein Gesetz der Kausalität; alles übrige, die ganze Welt, ihre Ursache und auch der Verstand ist erst vermöge desselben. HUME war der erste, dem es einfiel zu fragen, woher denn dieses Gesetz seine Autorität hernimmt. Dies wurde zum Anlaß zu KANTs tiefsinnigen Untersuchungen. Mit Recht drängten die Gegner KANTs noch mehr auf die Unterscheidungen des Satzes vom zureichenden Grund. Die Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund besteht nach dem Verfasser in der Gleichung: Objekt sein = vorgestellt sein = begründet sein. Er haftet also an unserem Vorstellungsvermögen und tritt vierfach auf:
    1. Als Gesetz der Kausalität oder "principium rationis sufficientis fiendi" (Grund des Werdens oder der Veränderungen).

    2. Als "principium rationis sufficientis cognoscendi" (logischer Grund des Erkennens)

    3. Als "principium rationis sufficientis essendi (Grund des Seins im Raum und in der Zeit).

    4. Als "principium rationis sufficientis agendi (Grund des Handelns).
Damit wird also von SCHOPENHAUER die Einzelfrage HUMEs nach der Bedeutung der Kausalverbindung mit Hilfe der Gesetze der Homogenität und Spezifikation allgemein vorgestellt; nicht isoliert, sondern im Zusammenhang. Es ist das gleiche Verfahren, das auch KANT eingeschlagen hatte gegen HUME, indem er den von diesem isolierten Begriff der Ursache nur als eine besondere Art der Synthesis aufzeigte und dreierlei synthetische Urteile a priori gleichsam gegen HUME in einer Schlachtordnung aufstellte. Allein SCHULZE hatte diese ganze Phalanx durchbrochen und gezeigt, daß KANT selbst Grund und Ursache verwechselt, von "intelligiblen Ursachen", Von "Grund der Erscheinung" usw. spricht. An zwei Stellen gibt er jedoch ganz kurze wegweisende Bemerkungen darüber, wie man dennoch HUME das verwünschte Konzept verrücken könnte.

1. "Aenesidemus", Seite 133: HUME kann nur dadurch widerlegt werden, daß man
    a) entweder das Gegenteil seiner Behauptungen über die Begriffe und Grundsätze der Kausalverbindung aus unbestreitbaren gewissen Sätzen darlegt, oder

    b) daß man Widersprüche und Ungereimtheiten in dessen Behauptungen über die Ungewißheit des Gebrauchs unserer Vorstellungen vom Kausalverhältnis aufzeigt.
2. Kritik der theoretischen Philosophie, Seite 477: Um HUME zu widerlegen, muß man entweder dartun:
    a) Mit dem Bewußtsein der Dinge in der Erfahrung ist zugleich eine Erkenntnis ihrer ursächlichen Verbindung gegeben und Erfahrung offenbart uns durch sich selbst eine solche Verbindung des Vorhandenen (diesen Weg hat Kant aber ohne Erfolg eingeschlagen). Oder man muß zeigen:

    b) Die Begriffe von einer Kausalverbindung der Objekte in der wirklichen Welt müssen sich, obgleich sie nicht aus den sinnlichen Wahrnehmungen dieser Objekte herrühren, dennoch auf ein reales Verhältnis der Objekte untereinander beziehen.
Ad 1a: Es wird dort von SCHULZE verlangt, daß man das Gegenteil von HUMEs Behauptungen beweist, andernfalls dieselben unerschütterlich bestehen bleiben. Allein der glänzende Scharfinn in der Methode der Untersuchuhng überwindet bei SCHOPENHAUER zunächst dieses Dilemma. Wie wir bereits gesehen haben, reduziert nach ihm HUME mit Unrecht die Prinzipien des Satzes vom Grunde auf das einzige "principium rationis sufficientis fiendi". Ist dieses aber ausgemacht, so darf offenbar SCHULZE nur noch verlangen: es soll die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde bewiesen werden. Jene obige Gleichung in der diese Wurzel ausgedrückt wird, lautet, in Sätzen aufgelöst:
    "Objekt für das Subjekt sein und unsere Vorstellung sein, ist dasselbe. Alle Vorstellungen aber bestehen in einer gesetzmäßigen und der Form nach a priori bestimmbaren Verbindung, vermöge welcher nichts für sich Bestehendes Objekt für uns werden kann."
Allein dieser Satz vom Grund kann gar nicht bewiesen werden. Denn jeder Beweis ist die Darlegung des Grundes zu einem ausgesprochenen Urteil, welches dadurch wahr wird. Für diese Forderung eines Beweises ist der Satz vom Grunde der Ausdruck. Wer aber die Darlegung eines Grundes auf für ihn fordert, der setzt ihn eben damit schon als wahr voraus, und stützt seine Forderung eben auf diese Voraussetzung. Damit ist die erste sub 1a von SCHULZE-HUME aufgestellte, scheinbar unwidersprechliche Forderung hinfällig geworden; nun faßt SCHOPENHAUER auch die zweite, oben sub 1b genannte, ins Auge. Er findet heraus, daß HUMEs Behauptungen Ungereimtheiten in sich schließen und von der Erfahrung nicht unwidersprochen bleiben; dieser definiterte die Kausalität als die empirisch wahrgenommene, uns gewöhnlich gewordene Zeitfolge von Begebenheiten; aber die älteste und ausnahmsloseste Zeitfolge ist gewiß diejenige von Tag und Nacht und doch hat dieselbe gewiß keinen vermöge der Gewohnheit je verleitet zu der ungereimten Meinung, Tag und Nacht seien Ursache und Wirkung voneinander. Darin ligt ein denkbar kräftigster Widerspruch gegen die Ansicht HUMEs, alles Erfolgen sei ein bloßes Folgen in der Zeit (vgl. Seite 88 des Satzes vom Grunde).

Ad 2a. Der Vorschlag sub 2b ist weder von SCHULZE selber noch von SCHOPENHAUER weiter verfolgt worden und fällt hiermit außer Betracht. Allein in Übereinstimmung mit den Behauptungen sub 1a und 2a stellt SCHOPENHAUER auch seinerseits eine Kritik des kantischen Beweises für die Apriorität des Kausalitätsgesetzes auf, Seite 85 des Satzes vom Grunde und verweist dabei Seite 92 und, wie uns ebenfalls längst bekannt ist, Seite 562 seiner "Kritik der kantischen Philosophie" auf die Kritik desselben Beweises durch SCHULZE. SCHOPENHAUER verfolgt in dem Abschnitt scharfsinnig die von SCHULZE nur angedeutete und geahnte Ähnlichkeit der beiden angeblich so verschiedenen Beispiele vom Haus und vom Schiff. Auch nach ihm sind beide Fälle gar nicht verschieden. Beides sind Begebenheiten, Veränderungen der Lage zweier Körper gegeneinander. Im ersten Fall ist der eine Körper der eigene Leib des Betrachters oder das Auge desselben und der andere Körper ist das Haus, gegen dessen Teile die Lage des Auges sukzessive geändert wir. Im zweiten Fll ändert ebenso das Schiff seine Lage gegen den Strom. Auch könnte die Ordnung der Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] der Veränderung im zweiten Fall, wie im ersten, auf den Kopf gestellt werden, sobald der Betrachter nur ebensowohl die Kraft hätte, das Schiff stromaufwärts zu ziehen, als diejenige, sein Auge in einer der ersten entgegengesetzten Richtung zu bewegen. Der Irrtum in der Ursache der relativen Ortsveränderung muß also allerdings vorbehalten werden, aber auch dann enthalten meine Wahrnehmungen eine Beziehung auf die reale Sukzession der relativen Stellungen meines Leibes zum Schiff. Die Erscheinungen können sehr wohl aufeinander folgen, ohne aus einander zu folgen, was KANT bestreitet. Die Sukzession der Töne und diejenige von Tag und Nacht ist objektiv, ohne daß sie aus einander folgen wie Wirkung und Ursache. Trotzdem ist es gewiß, daß jede Veränderung Wirkung einer anderen ist; nur folgt sie nicht bloß auf die einzige, die ihre Ursache ist, sondern auch auf alle andern, die mit jener Ursache zugleich sind und mit denen sie in keiner Kausalverbindung steht. Sie wird nicht in der Reihenfolge der Ursachen wahrgenommen, sondern in einer ganz andern, die aber nicht weniger objektiv ist und von der Folge meiner Phantasmen sich wohl unterscheidet. Also ist nicht alles Erfolgen bloßes Folgen, wie HUME glaubt, aber auch umgekehrt nicht alles Folgen ein Erfolgen, wie KANT meint. Hält man gegen diese Argumentation das sub 2 Bemerkte, so erhellt sich daraus die ganz parallele Bestreitung KANTs bei beiden Kritikern.

Nachdem die Nichtigkeit der kantischen Ableitung klar bewiesen ist, gilt es, eine richtige an die Stelle zu setzen. Und zwar hält SCHOPENHAUER hier wieder in Übereinstimmung mit seinem Lehrer an die sub 2a gegebene Formulierung der Aufgabe. Nachdem nämlich SCHULZE sein Bedauern über KANTs Mißerfolg ausgedrückt hat, ist es seine Ansicht, daß man vielleicht dennoch auf dem von jenem gewählten Weg zum Ziel gelangen könnte. SCHOPENHAUER hat den Weg gefunden und § 21 des Satzes vom Grunde beschrieben. Der neue Beweis gehört mit seiner Durchsichtigkeit und Schlagkraft zu den schönsten Abschnitten des Buches; er führt aus, wie bei KANT die Wahrnehmung etwas Unmittelbares, identisch mit der Empfindung ist, welche zur Kausalität gar kein Verhältnis hat. Und doch steht gerade zwischen der bloßen Empfindung und der Wahrnehmung als einziger Vermittler der Verstand und seine kausale Tätigkeit. Die Physiologie lehrt, daß wir den Gegenstand auf der Netzhaut verkehrt empfinden, aber wir nehmen ihn aufrecht wahr. Wir empfinden den Gegenstand mit beiden Augen, also doppelt, aber wir sehen ihn einfach. Wir empfinden Flächen, also planimetrisch, wir sehen aber Körper, d. h. stereometrisch usw. Der ganze Abschnitt, in der zweiten Auflage bedeutend erweitert, legt dar, daß die empirische Anschauung wesentlich das Werk des Verstandes ist, dem die Sinne nur den im Ganzen ärmlichen Stoff in ihren Empfindungen liefern. Der Verstand bedingt als Kausalverbindung die Erfahrung ihrer ganzen Möglichkeit nach, er offenbar sich in ihr und durch sie, er realisiert sich in ihr und geht übrigens aller Reflexion voraus, während bei KANT das Kausalitätsgesetz allein in der Reflexion als Begriffserkenntnis vorkommt. So wird HUME widerlegt, KANT verbessert und SCHULZE wird entsprochen, denn dieser machte zuerst darauf aufmerksam darauf, daß in der kritischen Philosophie der Übergang von der Erscheiung zum Ding-ansich nur deutlich zeigt, was das kausale Verhältnis niemals leisten kann, und der Beweis der Apriorität dieses Gesetzes nur unzulänglich zeigt, was es dagegen wirklich leisten kann und soll. Beides ist nichts anderes, als das Thema von SCHOPENHAUERs Prüfung der aufgelösten dritten Antinomie (Seite 595f) und dasjenige des 2. Buches des ersten Bandes "Die Welt als Wille und Vorstellung". Somit erscheint wieder auf diese indirekte Weise und im Allgemeinen die Nennung SCHULZEs an der Spitze des "Anhangs" sehr wohl gerechtfertigt. Ich biege auf den Anfang zurück und fasse zusammen:

Es wurde ausgegangen von der Beobachtung, daß im Verlauf der kritischen Untersuchungen des "Anhangs", der Abschnitt von der Auflösung der dritten Antinomie der einzige ist, in welchem das Seite 516 vom Verfasser für das eigene Unternehmen als wegweisend gepriesene Verdienst SCHULZEs auch wirklich berücksichtigt und als leitender Gedanke eingeführt wird. Ich habe deswegen die Vermutung ausgesprochen, daß jene Namensnennung in der Einleitung nur in loser mittelbarer Beziehung zum Folgenden als ein beiläufig gespendetes Lob steht. Das erstere wird auf Seite 541 bestätigt, wo vom hypothetischen Urteil und von der daraus abgeleiteten Kategorie der Kausalität die Rede ist und wo SCHOPENHAUER seine erste Abhandlung hinzugezogen wissen will. Dadurch wird in der Tat ein mittelbarer Zusammenhang hergestellt zwischen SCHULZE und SCHOPENHAUERs "Anhang"; denn in jener Abhandlung findet eine mehrfache Rückbeziehung auf SCHULZEs Hauptschriften statt. Dieser erscheint oft als die Frage, SCHOPENHAUER als die Antwort. Insbesondere läßt SCHOPENHAUER nur HUMEs Skeptizismus an der neuen Widerlegung der Ungültigkeit des Kausalgesetzes scheitern, nicht aber denjenigen SCHULZEs; dieser will ja ausdrücklich nicht bei HUME stehen bleiben, sondern er deutet dem fortgesetzten Philosophieren diejenige Richtung an, welche dann SCHOPENHAUER einschlägt. An HUME knüpft dieser nur negativ, an SCHULZE aber auch positiv an. Wir dürfen noch etwas weiter gehen und sagen, SCHOPENHAUER hat in seinen Studienjahren KANT unter der Anleitung und mit der Brille seines Lehrers geprüft, aber von Anfang an nur in der Absicht, desto rascher die Mängel der Vernunftkritik zu verbessern. Das unterscheidet ihn freilich von seinem Meister, welchem daran gelegen ist, die Anmaßungen des Systems zu brandmarken und die Nichtigkeit aller seiner Erkenntnis bis zur vollendeten Evidenz zu bringen. Durch die Berichtigungen SCHOPENHAUERs soll dagegen der von KANT aufgestellten Grundansicht des Idealismus nichts verloren gehen, sofern bei ihm die Forderung des Kausalgesetzes in der empirischen Anschauung aufgeht, folglich nicht ferner geltend gemacht werden kann zu einer völlig transzendenten Frage nach dem Ding-ansich.

Wenn uns zu Anfang dieser Beziehungen der beiden Männer SCHULZE und SCHOPENHAUER bei ihrer erkenntnistheoretischen Beurteilung KANTs nur eine äußerliche und spärliche zu sein schien, so haben sich im Verlauf der vergleichenden Untersuchung des Kausalbegriffs durch das Zwischenglied der Abhandlung über den Satz vom Grunde die Verbindungsfäden gemehrt. Sie bilden eigentlich schon ein feines Netz, stark genug, um die Verantwortlichkeit für die Behauptung zu tragen, daß der mittelbare Einfluß SCHULZEs auf die Kritik der kantischen Philosophie von SCHOPENHAUER stärker ist, als SCHOPENHAUER dies vermuten läßt; aber der unmittelbare, der direkt im Text der "Kritik der kantischen Philosophie" nachweisbar wäre, ist hiermit noch nicht nachgewiesen. Allein gerade darum handelt es sich jetzt in zweiter Linie. Beinahe der ganze übrige, von mir noch nicht erörterte Teil der "Kritik der kantischen Philosophie" steht unter dem Zeichen der Unterscheidung von Vernunft und Verstand, von Begriff und Anschauung. Im Gegensatz zum Vorwurf der falschen Anwendung des Kausalgesetzes, gegenüber KANT, nennt SCHOPENHAUER den Vorwurf der Nichtunterscheidung seine eigene Entdeckung. Sollen wir es wagen, die Spuren einer Kontinuität der Gedanken des Schülers und des Lehrers auch bis dorthin zu verfolgen, wo der erstere vermeintlich seine eigenen Wege verfolgt? Wenn wir dies hiermit wirklich versuchen, so geschieht es nicht von fern im gehässigen Geist eines Prioritätsklägers, sondern aus reinem Interesse für die Entwicklung der kantischen Erkenntnistheorie.
LITERATUR - Ernst Fischer, Von G. E. Schulze zu A. Schopenhauer [Dissertation] Aarau, 1901
    Anmerkungen
    1) Hierzu findet sich in Grisebachs Monographie, Seite 75, folgender Passus aus den "Göttinger Gelehrten Anzeigen" vom 30. April 1814, welche dort in Nummer 70 eine anonyme, aber zweifellos von Schulze herrührende Rezension enthalten: "Schon die Beschaffenheit des Themas, dessen Aufklärung der Verfasser unternommen hat, zeugt von dessen Bekanntschaft mit dem Wesen der Philosophie. Denn wie und womit man auch in dieser anfangen, oder was man in ihr beabsichtigen mag, entweder eine wissenschaftliche Auflösung der Rätsel der physischen und moralischen Welt oder eine Selbsterkenntnis in Anbetracht der Möglichkeit einer solchen Auflösung, immer muß, was man gesucht und gefunden zu haben überzeugt ist, am Leitfaden und durch Anwendung des Prinzips vom Grunde gesucht und gefunden worden sein."