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Auguste Comte und der Positivismus
Erster Teil Der "Cours de Philosophie positive" Es scheint demnach der Zeitpunkt gekommen, wo jeder philosophische Denker sich nicht nur ein Urteil über diese intellektuelle Bewegung bilden sollte, sondern auch Nutzen zu stiften hoffen kann, indem er es ausspricht. Er muß hierbei zu begreifen trachten, worin sie eigentlich besteht, ob sie im Großen und Ganzen eine gesunde Bewegung ist, und ist dem so, welchen Teil der Richtung, die ihr ihre vornehmsten Urheber erteilt haben, man anzunehmen, und welchen man zu verwerfen habe. Es kann wohl keine geeignetere Form geben um diese Punkte zu erörtern, als die einer kritischen Untersuchung der Philosophie von AUGUSTE COMTE, wozu das Erscheinen einer neuen Auflage seines Hauptwerkes mit einer Vorrede des in jeder Beziehung ausgezeichnetsten seiner anerkannten Jünger, des Herrn LITTRÉ, einen passenden Anlaß bietet. Der Name COMTEs ist mehr als jeder andere mit dieser Gedankenrichtung verschmolzen. Er hat zuerst versucht, sie in ein vollständiges System zu bringen, und auf alle Gebiete menschlicher Erkenntnis auszudehnen. Und hierbei hat er einen Reichtum und eine Tiefe des Denkens an den Tag gelegt und eine Leistung vollbracht, welche die nachhaltige Bewunderung auch solcher Denker erregt haben, die seinen sämtlichen späteren Tendenzen und manchen seiner früheren Ansichten von Grund auf und auf das Nachdrücklichste widerstreben. Es wäre sicher verfehlt gewesen, hätten sich diese Denker vorerst darum bemüht, die allgemeine Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was ihnen an seinem großen Werk als mangelhaft erschien. Solange dies nicht den ihm gebührenden Rang in der Welt des Geistes einnahm, galt es nicht so sehr dasselbe zu kritisieren als es bekanntmachen zu helfen. Kein irgendwie nennenswerter Schaden wäre dadurch verhütet, wohl aber die richtige Wertschätzung des Buches ins Unabsehbare verzögert worden, hätte man Jene auf die verwundbaren Stellen desselben hingewiesen, die es nicht kannten und seine Größe nicht zu würdigen vermochten. Solange kein Schriftsteller nur einen geringen Leserkreis besitzt und nur auf unabhängige Denker Einfluß übt, hat man einzig und allein zu erwägen, was er uns lehren kann; gibt es etwas, worin er weniger weise ist als wir, so mögen wir darüber hinweggehen, bis zu dem Zeitpunkt, wo seine Fehler Schaden zu stiften vermögen. Jetzt hingegen nimmt Herr COMTE einen hohen Platz unter den europäischen Denkern ein und sein Hauptwerk übt einen gewaltigen Einfluß aus. Während man daher den starken Seiten seiner Philosophie mehr als je zuvor Eingang und Geltung zu verschaffen hoffen darf, erscheint es zum erstenmal nicht ungelegen, auch seine Mißgriffe in Betracht zu ziehen. Die Irrtümer, in die er verfallen sein mag, sind nunmehr in der Lage, Schaden zu stiften, während von einer freimütigen Darlegung derselben kein solcher mehr zu fürchten ist. So beabsichtigen wir dann die Hauptprinzipien von COMTEs Philosophie der Reihe nach ins Auge zu fassen. Wir wollen mit dem großen Werk beginnen, das ihn in England zumeist bekannt gemacht hat, und die Betrachtung der Schriften aus dem letzten Jahrzehnt seines Lebens (von gelegentlichen Bemerkungen über einzelne Punkte abgesehen) vorläufig vertagen. Sobald wir zu diesen späteren Arbeiten gelangen, werden wir der Hauptsache nach unser Urteil umkehren müssen. Während wir im "Cours de Philosophie positive" eine dem Wesen nach gesunde Auffassung der Philosophie erkennen und nur einige wenige Grundfehler antreffen, finden wir die Theorien seiner späteren Epoche im Allgemeinen falsch und irreleitend, doch begegnen uns inmitten dieser irrtümlichen Grundrichtung eine Fülle einzelner wertvoller Gedanken und Gedankenanregungen. Vorderhand wollen wir aber diesen grellen Widerspruch zwischen den beiden Abschnitten von COMTEs intellektueller Laufbahn unerörtert lassen, und uns bloß auf die Betrachtung seines großen Vermächtnisses an die Nachwelt beschränken: seiner lichtvollen, reichhaltigen und vielumfassenden Darlegung und zum Teil Schöpfung der von ihm so genannten positiven Philosophie. Wir werden uns bemühen, das, was wir in dieser Philosophie für wahr erachten, von den weit weniger zahlreichen Irrtümern zu sondern und in dem Maß wie wir vorwärts schreiten, zu unterscheiden, was sein besonderes Eigentum ist und was der allgemeinen Philosophie des Zeitalters angehört und das gemeinschaftliche Erbe aller Denker ausmacht. Diese Sonderung hat teilweise bereits HERBERT SPENCER in einer kürzlich erschienenen Flugschrift vorzunehmen versucht, in der Absicht, seine eigene Selbständigkeit zu erweisen. Doch ist es darum nicht weniger nützlich, diesen Versuch hier in minder eingeschränkter Absicht zu wiederholen, besonders weil SPENCER fast alles verwirft, was eigentlich COMTE angehört, und weil seine gedrängte Darstellungsweise dem, was er verwirft, nicht genügend gerecht wird. Die Sonderung ist keine schwierige, sogar nicht nach dem Zeugnis von COMTE selbst, der, weit entfernt auf irgendeine Originalität Anspruch zu machen, die ihm nicht wirklich zukam, sich eifrig bemühte seine ureigensten Gedanken an jeden Keim einer irgendwie ähnlichen Idee bei früheren Denkern anzuknüpfen. Die Grundlehre aller wahren und das Kriterium der positiven Philosophie lautet nach COMTE wie folgt: Wir haben keine Kenntnis von etwas anderes als von Phänomenen und unsere Kenntnis von Phänomenen ist eine relative, keine absolute. Wir kennen weder das innerste Wesen, noch die wirkliche Art der Hervorbringung irgendeiner Tatsache, sondern nur ihre Beziehungen zu anderen Tatsachen in der Form der Aufeinanderfolge oder Ähnlichkeit. Diese Verhältnisse sind konstant, d. h. immer dieselben unter denselben Umständen. Die konstanten Ähnlichkeiten, welche die Phänomene verbinden, und die konstanten Folgeordnungen, die sie als Antezedens [Vorhergehendes - wp] und Konsequens [Folgendes - wp] miteinander verknüpfen, nennen wir ihre Gesetze. Die Gesetze der Phänomene sind alles, was wir von ihnen wissen. Ihre Wesenheit und ihre letzten Ursachen, sowohl wirkende wie Zweckursachen, sind uns unbekannt und unerforschlich. COMTE nimmt diese Auffassun menschlicher Erkenntnis nicht als eine ihm eigentümliche in Anspruch. Er gibt zu, daß ihr seit den ältesten Zeiten mehr oder minder bewußt von all jenen gehuldigt worden ist, die der Wissenschaft irgendeine wirkliche Bereicherung zuführten, und daß sie dem Geist der Forscher deutlich und klar vor Augen gestanden hat seit den Tagen BACONs, DESCARTES' und GALILEIs, die er als die gemeinschaftlichen Gründer der positiven Philosophie betrachtet. Das Wissen, welches die Menschen schon in den frühesten Zeiten zumeist anstrebten, war, wie er es ausdrückt, dasjenige, dessen sie am dringendsten bedurften, nämlich Vorher wissen: "savoir pour prévoir" [Wissen um vorherzusehen. - wp] Wenn die Menschen nach der Ursache forschten, so geschah es hauptsächlich um die Wirkung zu beeinflussen, oder wenn diese nicht beeinflußbar war, um sie vorherzuwissen und ihr eigenes Verhalten danach einzuriechten. Nun hängt alles Vorhersehen von Erscheinungen und alle Gewalt über sie von der Kenntnis ihrer Aufeinanderfolge ab und nicht von irgendeiner Vorstellung, die wir uns über ihr innerstes Wesen oder ihren Ursprung gebildet haben mögen. Wir sehen ein Faktum oder Ereignis vorher durch die Vermittlung von anderen Tatsachen, welche als Merkmale desselben dienen, weil uns die Erfahrung gelehrt hat, daß sie seine Antezedentien sind. Wir führen jede Tatsache, unsere eigenen Muskelbewegungen ausgenommen, durch eine andere Tatsache herbei, von der wir aus Erfahrung wissen, daß jene auf sie folgt. So ist dann alle Voraussicht und alles auf Einsicht beruhende Handeln nur in dem Maße möglich geworden, wie die Menschen die Folgeordnung der Erscheinungen mit Erfolg zu ermitteln bemüht gewesen sind. Weder das Vorherwissen, noch jenes Wissen, welches praktische Macht ist, läßt sich auf irgendeinem anderen Weg gewinnen. Die Überzeugung jedoch, daß die Kenntnis der Aufeinanderfolge und des Zusammenbestehens der Erscheinungen das einzige uns erreichbare Wissen ist, ließ sich nicht auf einer sehr frühen Stufe des geistigen Entwicklungsgangs gewinnen. Die Menschen haben auch jetzt noch nicht aufgehört, auf ein anderes Wissen zu hoffen, oder zu glauben, daß sie es erreicht haben und daß dasselbe in irgendeiner unbestimmbaren Weise viel wertvoller sei, als die bloße Kenntnis von Sukzessionen und Koexistenzen. Das wahre Prinzip wurde, obwohl es das Endziel war, dem alle Forschungen BACONs zustrebten, selbst von diesem nicht in seiner vollen Reinheit erkannt, noch weniger von DESCARTES. Doch hat es NEWTON (1) richtig erfaßt. In seiner ganzen Allgemeinheit aber ist es wohl zuerst von HUME erkannt worden, der es einen Schritt weiter als COMTE führt, indem er behauptet, nicht nur daß die einzigen für uns erkennbaren Ursachen von Phänomenen andere Phänomene sind (die unwandelbaren Antezedentien derselben), sondern auch, daß es gar keine andere Gattung von Ursachen gibt; das Wort "Ursache" bedeutet seiner Auffassung gemäß das unwandelbare Antezedens. Es ist dies der einzige Teil von HUMEs Lehre, der von seinem großen Gegner KANT bestritten wurde. Dieser, der ganz so entschieden wie COMTE den Satz vertrat, daß wir nichts von den Dingen ansich wissen, von Noumena, realen Substanzen und realen Ursachen, hat dennoch deren Dasein kategorisch behauptet. Aber auch COMTE bezweifelt dies nicht, im Gegenteil seine ganze Ausdrucksweise setzt es voraus. Unter den direkten Nachfolgern von HUME ist Dr. THOMAS BROWN derjenige, der COMTEs Grundlehre am besten dargestellt und verfochten hat. Inhalt und Geist von BROWNs Philosophie sind ganz und gar positivistisch und noch ist keine bessere Einleitung zum Positivismus geschrieben worden als der erste Teil seiner Vorlesungen. Von lebenden Denkerns ist hier nicht die Rede; aber dieselbe große Wahrheit bildete die Grundlage der ganzen spekulativen Philosophie von BENTHAM und in hervorragendster Weise von JAMES MILL. Auch Sir WILLIAM HAMILTONs berühmte Lehre von der Relativität menschlicher Erkenntnis hat Viele zum gleichen Ziel geführt, obwohl wir von Sir WILLIAM HAMILTON selbst nicht rühmen können, daß er das Prinzip verstanden hat, noch daß er ihm, wenn er es verstanden haben sollte, gehuldigt hätte. So ist die Grundlage von COMTEs Philosophie in keiner Weise ihm allein eigentümlich, vielmehr ein Gemeingut des Zeitalters, wenn auch noch weit davon entfernt selbst von denkenden Köpfen durchgängig angenommen zu werden. Die sogenannte positive Philosophie ist nicht eine neue Erfindung von COMTE, sondern die einfache Anerkennung der Überlieferungen aller großen wissenschaftlichen Geister, deren Entdeckungen die Menschheit zu dem gemacht haben, was sie ist. AUGUSTE COMTE hat sie auch niemals in einem anderen Licht dargestellt. Aber er hat das Prinzip zu seinem eigenen gemacht durch die Art und Weise, wie er es behandelte. Um genau zu wissen, was ein Ding ist, müssen wir mit gleich großer Bestimmtheit wissen, was es nicht ist. Um den wirklichen Charakter einer Denkart zu begreifen, müssen wir verstehen, welche anderen Denkarten ihr den Rang streitig machen. COMTE hat dafür Sorge getragen, uns dieses Verständnis zu erleichtern. Die philosophischen Richtungen, die ihm zufolge mit der positiven um die Herrschaft ringen, sind zwei an Zahl und beide von älterem Ursprung: die theologische und die metaphysische Philosophie. Wir gebrauchen die Worte: theologische, metaphysisch und positiv, weil sie von COMTE als das Vehikel seiner Gedanken gewählt wurden. Jeder Philosoph, dessen Ideen ein Anderer zu erläutern unternimmt, hat das Recht, zu verlangen, daß dabei seine eigene Nomenklatur in Anwendung kommt. Doch hätten wir selbst diese Ausdrücke nicht gewählt. In allen Sprachen nämlich, und im Englischen insbesondere, erwecken sie andere als die beabsichtigten Vorstellungen. Die Worte "positiv" und "Positivismus" in dem ihnen zukommenden Sinn sind nicht sehr geeignet, im Boden der englischen (und der deutschen) Sprache Wurzel zu fassen. Und der Ausdruck "metaphysisch" erinnert und erinnerte selbst COMTE an Vieles, was keineswegs den Tadel verdient, den er mit dem Wort verbindet. Das Wort "theologisch" entspricht seiner Bestimmung besser; doch in einem mißbilligenden Sinn gebraucht, dehnt es, wie wir sehen werden, den Bereich der Verneinung weiter aus als dies der positive Glaube unbedingt erfordert. Anstatt von einer theologischen Naturerklärung zögen wir es vor, von einer persönlichen oder Willenstheorie zu reden; statt von einer metaphysischen Weltansicht, von einer ontologischen; und der Inhalt des Wortes "positiv" stände im objektiven Sinn durch das Wort "phänomenal", im subjektiven durch "erfahrungsmäßig" einen unzweideutigeren Ausdruck. Aber man erörtert die Ansichten COMTEs am besten in seiner eigenen Ausdrucksweise; ja einige derselben könnten ohne diese gar nicht in allen ihren Beziehungen besprochen werden. Die theologische Auffassung, welche die ursprüngliche und spontane ist, glaube die Tatsachen des Weltalls nicht von unabänderlichen Gesetzen der Sukzession, sondern von direkten und einzelnen Willensakten (wirklicher oder imaginärer) belebter und intelligenter Wesen beherrscht. Im Kindesalter der Vernunft und Erfahrung hält man die Einzelobjekte für beseelt. Der nächste Schritt ist die Annahme unsichtbarer Wesen, deren jedes eine ganze Klasse von Dingen oder Ereignissen beherrscht. Der letzte Schritt besteht darin, daß man diese zahlreichen Gottheiten zu einem einzigen Gott zusammenschmelzt, der am Anfang das Weltall geschaffen hat und dessen Phänomene durch seinen dauernden Einfluß weiter hervorruft und lenkt, oder, wie andere glauben, nur von Zeit zu Zeit durch spezielle Eingriffe modifiziert. Jene Denkart, die Herr COMTE die metaphysische nennt, erklärt die Erscheinungen, indem sie dieselben nicht irdischen oder himmlischen Willensakten zuschreibt, sondern Abstraktionen, die für Wirklichkeiten gelten. Nun ist es nicht mehr ein Gott, der die verschiedenen natürlichen Agentien verursacht und leitet; es ist eine Gewalt oder eine Kraft oder eine verborgene Eigenschaft, die als reale Existenzen gedacht werden, den Körpern innewohnend, die sie sozusagen beseelen, aber doch von denselben unterschieden sind. Statt daß Dryaden [griech. Baumgeister - wp] über den Bäumen walten, deren Phänomene hervorrufen und regeln, besitzt jetzt jedes Tier und jede Pflanze eine vegetative Seele, die threptike psyche [anima vegetativa - wp] des ARISTOTELES. Später ist die vegetative Seele zum Bildungstrieb, noch später zur Lebenskraft geworden. Die Erscheinungen werden nunmehr durch die vorausgesetzten Tendenzen und Neigungen der Abstraktion Natur erklärt, die, obwohl für unpersönlich geltend, dennoch als nach einer Art von Beweggründen und mehr oder minder nach Art bewußter Wesen handelnd gedacht wird. ARISTOTELES nimmt eine Tendenz der Natur zum Besten an, die ihm zu einer Erklärung zahlreicher Naturphänomene verhilft. Das Aufsteigen des Wassers in einem Pumprohr wird dem horror vacui [Angst vor der Leere - wp] der Natur zugeschrieben. Der Fall schwerer Körper und das Emporsteigen von Flammen und Rauch werden als Bestrebungen jedes Körpers hingestellt, an seinen natürlichen Ort zu gelangen. Viele wichtige Folgerungen werden aus dem Satz abgeleitet, daß die Natur keine Sprünge macht (non facit saltum). In der Medizin dient die Heilkraft (vis medicatrix) der Natur zur Erklärung jener Heilprozesse, welche die modernen Physiologen in jedem einzelnen Fall besonderen Agentien und Gesetzen zuschreiben. Wer mit den vergangenen Phasen menschlichen Denkens vertraut ist, für den bedarf die wichtige Rolle, welche die theologische sowohl als auch die metaphysische Auslegung der Phänomene tatsächlich gespielt haben, und zwar in den Forschungen der Denker sowohl als in den alltäglichen Vorstellungen der Menge, kaum eines Beleges. Viele hatten vor COMTE eingesehen, daß keine dieser Erklärungen eine endgültige ist, und man konnte kaum kräftier gegen beide ankämpfen, als dies schon im Beginn des 17. Jahrhunderts von HOBBES geschehen war. Auch ist es niemandem, der die Geschichte der verschiedenen Naturwissenschaften verfolgt hat, unbekannt, daß die positive Erklärung von Tatsachen sich Schritt für Schritt an die Stelle der theologischen und metaphysischen gesetzt hat, in dem Maß wie der Fortschritt der Untersuchung eine stets wachsende Zahl von unabänderlichen Gesetzen der Phänomene zutage förderte. In dieser Hinsicht hat COMTE nichts Neues entdeckt, sondern bloß seinen Platz in einem schon lange währenden Kampf und auf der im Ganzen bereits siegreichen Seite eingenommen. Die Verallgemeinerung, die ihm allein gehört, und in der ihm, soviel wir wissen, noch niemand zuvorgekommen war, besagt, daß jede besondere Klasse menschlicher Begriffe alle diese Stadien durchmacht, indem sie mit dem theologischen beginnt und durch das metaphysische zum positiven fortschreitet. Das metaphysische Stadium bildet dabei bloß eine, freilich unentbehrliche Brüce, die von der theologischen zur positiven Denkart hinüberführt. Die letztere ist dazu bestimmt, endgültig zu siegen infolge des allseitigen Durchdringens der Einsicht, daß alle Phänomene ohne Ausnahme von unabänderlichen Gesetzen regiert werden, in die keine Willensakte, weder natürliche noch übernatürliche, eingreifen. Diese allgemeine Lehre wird durch den Zusatz ergänzt, daß die theologische Denkart drei Phasen besitzt, den Fetischismus, den Polytheismus und den Monotheismus, wobei der Übergang von der einen zur anderen durch das allmähliche Emporkommen der zwei Rivalinnen der Theologie, der metaphysischen, zuletzt und endgültig von der positiven Denkart. Diese Verallgemeinerung ist die tiefgreifendste unter den Lehren, die COMTE eigentümlich sind, und der historische Überblick, der die zwei größten unter den sechs Bänden seines Werkes einnimmt, ist eine fortlaufende Exemplifikation und Bewahrheitung jenes Gesetzes. Wie treffend es mit den Tatsachen übereinstimmt und welche Unzahl von großen historischen Erscheinungen es erklärt, wissen nur die, welche seine Darlegung dort studiert haben, wo sie allein zu finden ist, in eben diesen denkwürdigen und lehrreichen Bänden. Da diese Theorie der Schlüssel zu COMTEs sämtlichen übrigen Verallgemeinerungen ist, die alle mehr oder weniger darauf beruhen; da sie ferner, wenn wir so sagen dürfen, das Rückgrat seiner Philosophie bildet und da er, wenn diese nicht wahr ist, nur wenig geleistet hat; - so können wir einen Teil unseres Raums nicht besser verwenden, als indem wir diese Theorie von Mißdeutungen befreien und jene Erläuterungen erteilen, die geeignet sind, die Hindernisse wegzuräumen, welche gar manche fähige Köpfe abhalten derselben beizupflichten. Es erscheint angemessen, die Lehre zuerst von einem religiösen Vorurteil zu befreien. Sie verwirft alle theologischen Erklärungen und ersetzt sie (oder glaubt sie dazu bestimmt, dereinst ersetzt zu werden) durch Theorien, welche von nichts Kenntnis nehmen, als von einer feststehenden Folgeordnung von Phänomenen. Daraus wird nun geschlossen, daß, wenn dieser Umschwung vollständig Platz greifen würde, die Menschheit aufhört, den Bau der Natur einem vernünftigen Willen zuzuschreiben, oder überhaupt an einen Schöpfer und obersten Lenker des Weltalls zu glauben. Diese Voraussetzung ist umso natürlicher, da COMTE unverholen dieser Ansicht war. Zwar sprach er sich mit einiger Herbheit gegen den dogmatischen Atheismus aus und sagt sogar (in einem späteren Werk zwar, aber auch die früheren enthalten nichts Widersprechendes), daß die Hypothese eines Plans viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat, als die eines blind wirkenden Mechanismus. Aber eine auf Analogie beruhende Vermutung schien ihm im Stadium der Vollreife der menschlichen Vernunft keine genügende Grundlage für eine Theorie. Alle wirkliche Kenntnis von einem Anfang hielt er für unerreichbar, und alles Danachforschen für ein Überschreiten der wesentlichen Grenzen unserer Geisteskräfte. Doch sind Jene, die seine Theorie von den aufeinanderfolgenden Stadien des menschlichen Denkens annehmen, nicht verpflichtet, ihm bis zu diesem Punkt zu folgen. Die positivistische Denkart ist nicht notwendig eine Leugnung des Übernatürlichen; sie weist diese Frage nur auf den Ursprung aller Dinge zurück. Wenn das Weltall einen Anfang hatte, so war dieser Anfang, wie das in den Bedingungen des Falls selbst gelegen ist, ein übernatürlicher; die Gesetze der Natur können nicht ihren eigenen Ursprung erklären. Dem positiven Philosophen bleibt die Wahl, sich seine Meinung über diesen Gegenstand zu bilden, je nach dem Wert, den er den Analogien beilegt, die man Merkmale der Absicht nennt, sowie den allgemeinen Überlieferungen des Menschengeschlechts. Das Gewicht dieser Beweisgründe ist allerdings eine Frage der positiven Philosophie, aber über diese Frage müssen die positiven Denker nicht notwendig eines Sinnes sein. Es ist einer von den Mißgriffen COMTEs, daß er keine offenen Fragen anerkennt. Die positive Philosophie behauptet, daß in der bestehenden Ordnung des Weltalls, oder vielmehr des uns bekannten Teils desselben, die direkte bestimmende Ursache jeder Erscheinung nicht eine übernatürliche, sondern eine natürliche ist. Damit ist der Glaube vereinbar, daß die Welt von einer Intelligenz erschaffen wurde, ja daß sie fortwährend von derselben regiert wird, wenn wir nur zugleich annehmen, daß dieser intelligente Lenker festen Gesetzen folgt, denen nur andere Gesetze gleichen Ursprungs entgegenwirken oder sie modifizieren und die niemals, weder aus Laune noch aus Fürsorge, außer Kraft gesetzt werden. Wer alle Ereignisse als Teile einer beständigen Ordnung ansieht, wobei jedes die unabänderliche Konsequenz einer vorhergehenden Bedingung oder Gruppe von Bedingungen ist, der bekennt sich vollständig zur positiven Denkart, mag er nun ein allgemeines Antezedens, dessen ursprüngliche Konsequenz das ganze System der Natur war, annehmen, und mag er sich jenes als eine Intelligenz vorstellen, oder nicht. Ein ähnliches Mißverständnis gilt es in Bezug auf die metaphysische Denkart zu beseitigen. Indem COMTE die Metaphysik verwarf, wollte er sich nicht des Rechts entheben, irgendwelche der abstrakten Vorstellungen des Geistes zu analysieren und zu kritisieren. Er wußte wohl (obgleich er es bisweilen zu vergessen schien), daß eine derartige Analyse und Kritik ein notwendiger Teil des wissenschaftlichen Verfahrens ist und den wissenschaftlichen Geist bei allen seinen Verrichtungen begleitet. Was er verwarf, war die Gewohnheit, diese geistigen Abstraktionen als reale Wesen aufzufassen, welche imstande sind, Macht auszuüben, Erscheinungen hervorzurufen, und deren Anerkennung als eine Theorie oder Erklärung von Tatsachen gelten könnte. Heutzutage haben wir Mühe zu glauben, daß man einen so ungereimten Gedanken jemals habe hegen können; so sehr widerstrebt ein solcher unseren durch die lange und ausdauernde Pflege der positiven Wissenschaften gebildeten Denkgehwohnheiten. Aber diese Wissenschaften haben, so weit sich ihre Pflege auch erstrecken mochte, noch in keiner Gesellschaft die Grundlage der intellektuellen Erziehung gebildet. Es geht in der Philosophie eben wie in der Religion: die Menschen staunen über die Ungereimtheit der Glaubenssätze Anderer, während ihre eigenen genau parallele Ungereimtheiten aufweisen, und ein und derselbe Mensch wundert sich aufrichtig, daß jemand Worte für Dinge halten kann, während er selbst andere Worte als Dinge auffaßt, so oft er seinen Mund in der Debatte auftut. Niemand, dem die Geschichte der geistigen Entwicklung einigermaßen bekannt ist, wird es leugnen, daß die Verwechslung von Abstraktionen mit Wirklichkeiten die Spekulation des ganzen Altertums und Mittelalters durchwaltet. Der Irrtum wurde verallgemeinert und in ein förmliches System gebracht in den berühmten Ideen PLATOs. Die Aristoteliker führten ihn weiter fort. Essenzen, Quidditäten, den Dingen innewohnende Kräfte, wurden allen Ernstes als Erklärungen von Phänomenen hingenommen. Nicht bloß abstrakte Eigenschaften, sondern auch die konkreten Namen von Gattungen und Arten wurden als objektive Wesen angesehen. Man glaubte an allgemeine Substanzen, die allen gewöhnlichen Klassen von konkreten Dingen entsprechen; an eine Substanz Mensch, eine Substanz Baum, eine Substanz Tier, wobei diese Substanzen (und nicht die genannten Individuen) mit den obigen Namen bezeichnet wurden. Das reale Dasein von universalen Substanzen war die Streitfrage, um welche in der späteren Hälfte des Mittelalters jener berühmte Kampf zwischen Nominalisten und Realisten entbrannte. Dieser Streit bildet einen der Wendepunkte in der Geschichte des Gedankens, der sich hier zum ersten Mal von der Herrschaft sprachlicher Abstraktionen zu befreien strebt. Die Realisten waren die stärkere Partei, aber obwohl die Nominalisten zeitweilig unterlagen, so brach doch die von ihnen bekämpfte Lehre bald darauf zugleich mit der ganzen übrigen Scholastik zusammen. Aber während man die Universalsubstanzen und substantiellen Formen, als die gröbsten Arten realisierter Abstraktionen, am frühesten fallen ließ, so erhielten sich die Essenzen, Vermögen und verborgenen Eigenschaften weit länger, ja erst die Kartesianer sprachen ihnen endgültig das reale Dasein ab. Nach DESCARTES' Auffassung der Wissenschaft waren alle physischen Phänomene durch Stoff und Bewegung zu erklären, d. h. nicht durch Abstraktionen, sondern durch unabänderliche Naturgesetze, wenngleich seine eigenen Erklärungen vielfach hypothetische waren und sich schließlich als irrtümlich erwiesen. Noch lange nach ihm aber fuhr man fort, "fingierte Wesenheiten" (im BENTHAMs treffenden Ausdruck zu gebrauchen) als Mittel zur Erklärung der geheimnisvolleren Phänomene zu ersinnen; besonders in der Physiologie, wo geheime Kräfte und Prinzipien unter den mannigfachsten Namen die Erklärung oder das Surrogat einer Erklärung für alle Lebenserscheinungen abgaben. Moderne Philosophen sehen in diesen Fiktionen bloß die abstrakten Namen für die ihnen entsprechenden Klassen von Phänomenen; und es ist ein Problem der Philosophie, wie die Menschen zuerst eine Reihe von bloßen Namen erfanden, um gewisse Verbindungen von Bildern oder Vorstellungen zusammenzuhalten, und dann dieses ihr eigenes Vorgehen so weit vergessen konnten, um diese Schöpfungen ihres Willens mit objektiver Realität zu bekleiden und den Namen des Phänomens für die wirkende Ursache desselben zu halten. Was vom rein dogmatischen Standpunkt aus ein Mysterium war, das klärt die historische Betrachtung auf. Diese abstrakten Worte sind jetzt allerdings bloße Namen für Phänomene; aber ursprünglich waren sie dies nicht. Für uns bezeichnen sie nur die Phänomene, weil wir aufgehört haben an das zu glauben, was sie früher noch außerdem bezeichneten und ihre Verwendung bei Erklärungen ist für uns augenscheinlich, wie Herr COMTE sagt, die naive Reproduktion der Erscheinung als ihrer eigenen Ursache. Doch war dies früher anders. Die metaphysische Denkart war nicht eine Verunstaltung der positiven, sondern eine Umbildung der theologischen Denkweise. Als der menschliche Geist eine Klasse von Gegenständen bildete, ging er nicht vom Begriff eines Namens, sondern von dem einer Gottheit aus. Die Verwirklichung von Abstraktionen war nicht die Verkörperung eines Wortes, sondern die allmähliche Entkörperung eines Fetischs. Die ursprüngliche Tendenz oder der Instinkt der Menschen geht dahin, alle Agentien, die sie in der Natur beobachten, demjenigen ähnlich zu denken, dessen sie sich allein direkt bewußt sein, ihrer eigenen Willenstätigkeit. Jeder Gegenstand, der scheinbar Kraft erzeugt, d. h. Einluß übt ohne sichtbar beeinflußt zu werden, Bewegung mitteilt ohne daß ihm eine solche mitgeteilt worden wäre, scheint ihnen Leben, Bewußtsein und Willen zu besitzen. Doch kann sich diese erste rohe Naturauffassung schwerlich jemals auf alle Erscheinungen erstreckt haben. Die einfachsten Beobachtungen, ohne welche es kaum möglich war das Leben zu fristen, müssen viele Gleichförmigkeiten in der Natur aufgewiesen haben, viele Gegenstände, die unter gegebenen Umständen sich genau gleich verhalten, und wo dies zutage kam, bewirkten die natürlichen und ungeschulten Fähigkeiten der Menschen, daß sie jene Gegenstände in Klassen gruppierten und daran ans an Zusammengehöriges dachten. Eine natürliche Folge hiervor war, daß man Wirkungen, die sich untereinander ganz ähnlich sind, eher einem Willen zuschrieb, als einer Anzahl von genau übereinstimmenden Willen. Aber dieser eine Wille konnte nicht der Wille der Gegenstände sein, da sie viele waren; so mußte es dann der Wille eines unsichtbaren Wesens sein, das von den Gegenständen unterschieden ist und sie aus einer unbekannten Entfernung regiert. Dies ist der Polytheismus. Wir wüßten nicht, daß man bei irgendeinem Stamm von Wilden oder Negern, die man beobachtet hat, jemals den Fetischismus völlig rein, ohne jede Zutat von Polytheismus angetroffen hätte, und es ist wahrscheinlich, daß die beiden von den frühesten Zeiten an, seitdem der menschilche Geist Gegenstände überhaupt in Klassen zu ordnen imstande war, nebeneinander bestanden haben. Der eigentliche Fetischismus beschränkte sich allmählich auf Gegenstände von ausgeprägter Individualität. Ein gewisser Strom oder Berg wurde angebetet (wie dies heute noch bei den Hindus und Südsee-Insulanern geschieht) als eine eigene Gottheit, nicht als der Aufenthaltsort einer solchen, lange nachdem man unsichtbare Götter ersonnen hatte, die über allen großen Gruppen von Erscheinungen, selbst von geistigen und moralischen, walten, wie über dem Krieg, der Liebe, der Weisheit, der Schönheit usw. Die Anbetung der Erde (Tellus oder Pales) und der verschiedenen Himmelskörper pflanzte sich bis tief in die Zeit des Polytheismus hinein fort. Jeder Gelehrte weiß, wenn es auch Literaten und Weltleute nicht wissen, daß zur höchsten Blütezeit der griechischen Religion der Sonne und dem Mond, nicht einem Gott oder einer Göttin der Sonne und des Mondes, geopfert wurde, als selbständigen Gottheiten, die älter waren als ZEUS und seine Sprößlinge, als Nachkommen des älteren Titanengeschlechts (dies war der mythische Ausdruck der Tatsache, daß ihr Kultus ein älterer war); und an diese Gottheiten war eine bestimmte Gruppe von Fabeln und Legenden geknüpft. Der Vater des PHAETON war nicht APOLLO, noch war die Geliebte des ENDYMION DIANA; deren Identifizierung mit dem Sonnengott und der Mondgöttin ist vielmehr erst eine späte Erfindung. Der Gestirndienst ist, wie COMTE bemerkt, die letzte Form des Fetischismus und überlebte dessen andere Formen, zum Teil darum, weil man der Unnahbarkeit seiner Gegenstände wegen sich nicht sobald von ihrer Leblosigkeit überzeugen konnte, zum Teil auch wegen der andauernden Spontaneität ihrer scheinbaren Bewegungen. Soweit der Fetischismus reichte und solange er währte, gab es keine Abstraktion oder Klassifikation von Gegenständen, folglich auch keinen Raum für die metaphysische Denkart. Sobald aber das physische Objekt selbst aufhörte, das willensbegabte Agens zu sein, welches das Phänomen hervorrief, und dieses Agens in eine unsichtbare Stellung versetzt wurde, von der aus dasselbe eine ganze Klasse von natürlichen Agentien beherrschte, begann man es für unmöglich zu halten, daß dieses Wesen seine gewaltige Wirksamkeit aus der Ferne ausüben kann, außer durch die Vermittlung eines gegenwärtigen Mediums. Durch dasselbe natürliche Vorurteil, das NEWTON verhinderte die Möglichkeit seiner eigenen Gravitationslehre zu begreifen, wenn er sich nicht einen feinen Äther hinzudachte, der den Zwischenraum ausfüllen und die Anziehung vermitteln sollte, infolge eben dieser Schwäche des menschlichen Geistes erschien die Annahme unvermeidlich, daß der vom Gegenstand entfernte Gott durch etwas im Gegenstand Befindliches wirken muß, welches das unmittelbar tätige Element ist, wobei der Gott dem dazwischenliegenden Etwas die Macht verleihen sollte, durch die es den Gegenstand beeinflußt und lenkt. Als die Menschen das Bedürfnis fülten, diese imaginären Wesenheiten zu benennen, so sprachen sie von der Natur des Gegenstandes oder seiner Essenz, oder von ihm innewohnenden Vermögen und von noch viel anderem. Diesen metaphysischen Begriffen maß man die vollste Realität bei und sie galten anfänglich für bloße Werkzeuge in der Hand der betreffenden Gottheiten. Im Laufe der Zeit erwuchs jedoch die Gewohnheit, den abstrakten Wesenheiten nicht bloß ein selbständiges Dasein, sondern auch eine reale und einflußreiche Wirksamkeit zuzuschreiben, und als daher der Götterlaube allmählich verschwand und erlosch, so blieben die Wesenheiten demungeachtet aufrecht stehen und lieferten fortan allein - ohne jede Anknüpfung an irgendwelche Willensakte - eine der früheren analoge Scheinerklärung der Phänomene. Als man diesen Punkt erreichte, hatte die metaphysische Denkart sich vollständig an die Stelle der theologischen gesetzt. Dergestalt überwucherten die verschiedenen Phasen des menschlichen Geistes einander schon auf einer frühen Stufe seiner Entwicklung. Die fetischistische, polytheistische und metaphysische Denkart bestanden in eben denselben Geistern neben und miteinander, und in der Tiefe machte in dem Maß, wie Beobachtung und Erfahrung in einer Klasse von Erscheinungen nach der andern deren Gesetze entdeckten, jener Glaube an unwandelbare Gesetze stille Fortschritte, welcher die positive Denkart ausmacht. Dieses Wachstum der positiven Erkenntnis war es, welches hauptsächlich den nächsten Übergang in der theologischen Auffassung des Weltalls bestimmte, den Übergang vom Polytheismus zum Monotheismus. Unzweifelhaft fand dieser Übergang sehr spät statt. Der Begriff der Einheit in der Natur, demzufolge man sie einem einzigen Willen zuzuschreiben vermochte, ist weit davon entfernt, dem Menschen natürlich zu sein und wird nur nach einer langen Periode der Schulung und Vorbereitung angenommen, da die augenfälligen Erscheinungen stets auf eine Regierung durch viele widerstreitende Prinzipien hinzuweisen scheinen. Wir wissen, welch hoher Grad von materieller Zivilisation und von geistigem und moralischem Fortschritt der Annahme eines monotheistischen Glaubens seitens der einflußreichsten Völker der Erde vorherging. Die oberflächlichen Beobachtungen, aufgrund deren sich christliche Reisende eingebildet haben, ihren eigenen monotheistischen Glauben bei manchen wilden Stämmen vorzufinden, sind durch gründlicheres Wissen stets widerlegt worden. Diejenigen z. B. die JOHANN GEORG KOHLs Kitschigami gelesen haben, wissen, was man vom Großen Geist der amerikanischen Rothäute zu halten hat. Derselbe gehört einem wohlgegliederten polytheistischen System an, das von bedeutenden Überresten eines ursprünglichen Fetischismus durchsetzt ist. Wir gedenken nicht, uns mit Jenen in eine Diskussion einzulassen, die den Monotheismus für die Urreligion halten, die unserem Geschlecht von seinen Stammeltern durch eine ununterbrochene Kette der Überlieferung vererbt wurde. Sie selbst erkennen an, daß alle Nationen der Erde diese Tradition verloren hatten und daß sich dieselbe nur in einem kleinen und eigenartigen Volk wunderbarerweise erhalten hat, wobei dieses Volk aber selbst fortwährend von ihr abfiel und im ganzen früheren Teil seiner Geschichte sie auch gar nicht ihrem vollen Sinn nach annahm; denn es glaubte an die reale Existenz anderer Götter, wenngleich es seinen eigenen Gott für den mächtigsten und für den Schöpfer von Himmel und Erde hielt. Es bedarf wohl keines stärkeren Beweises dafür, daß der Monotheismus dem menschlichen Geist, ehe dieser eine bestimmte Entwicklungsstufe erreicht hat, keineswegs natürlich ist. Die höchste Form des Monotheismus, das Christentum, gewährt bis auf den heutigen Tag den polytheistischen Neigungen des menschlichen Geistes durch die Aufnahme der echt polytheistischen Vorstellung von einem Teufel eine teilweise Befriedigung. Wir wissen, wie sehr der Dämonenglaube die Annahme des Monotheismus erleichterte, als dieser nach vielen Jahrhunderten aus dem engen Winkel, in dem er lebendig war, zu den Griechen und Römern vordrang. Er enthob die Christen der Notwendigkeit, das Dasein der früher verehrten Gottheiten zu leugnen; genügte es doch, sie unter die unumschränkte Herrschaft des neuen Gottes zu stellen, gleichwie ja schon frrüher die olympischen Götter dem ZEUS untertan waren, und gleichwie die lokalen Gottheiten aller unterjochten Völker infolge der Eroberung den göttlichen Schutzherren des römischen Staates unterworfen worden waren. Auf welche Art und Weise wir uns auch den frühzeitigen Monotheismus der Hebräer erklären mögen, ob auf natürlichem oder übernatürlichem Weg, das Eine steht fest, daß dessen Annahme seitens der Heiden nur durch jene allmähliche Vorbereitung ermöglicht wurde, welche dem menschlichen Geist durch die Lehren der Philosophen zuteil geworden war. Im Zeitalter der Cäsaren waren fast alle Gebildeten dem polytheistischen Glauben entwachsen, und wenn sie gleich gelegentlichen Rückfällen in den Aberglauben ihrer Kindheit unterlagen, so waren sie doch (insofern sie nämlich nicht alle und jede Religion verwarfen) im Ganzen zur Anerkennung einer obersten Vorsehung geneigt. Der Einwand, daß die Mehrzahl der frühen christlichen Proselyten nicht den gebildeten Ständen angehörte, ist kein zutreffender; denn außer in Palästina fanden sich die Lehrer und Verbreiter des Christentums hauptsächlich unter diesen Ständen; viele von diesen waren, gleich PAULUS, in der geistigen Kultur ihrer Zeit wohlbewandert und ihr intellektueller Geisteszustand enthielt augenscheinlich nichts, was der neuen Lehre widersprach. Das viel spätere Wiedererwachen eines metaphysischen Heidentums in der alexandrinischen Schule gleichwie in anderen Philosophenschulen darf uns nicht irre machen; denn dieses wurde nicht durch Anhänglichkeit an den Polytheismus hervorgerufen, sondern durch das Mißfallen am politischen und sozialen Übergewicht der christlichen Lehrer. Tatsächlich war der Monotheismus den gebildeten Geistern homogen geworden, und ein Glaube, dem die gebildeten Geister irgendeines Gemeinwesens huldigen, wird sicherlich, wenn er nicht gewaltsam unterdrückt wird, früher oder später auch die Menge erreichen. Und in der Tat war auch, wie oben bemerkt, die Menge selbst schon darauf vorbereitet, durch die immer vollkommenere Unterordnung aller anderen Götter unter die Oberhoheit des ZEUS. Der Schritt von diesem zu einer einzigen Gottheit, die von einer Engelschar umgeben ist und ein Heer von Teufeln zu widerstrebendem Gehorsam zwingt, war keineswegs ein schwieriger.
1) Siehe das Kapitel über wirkende Ursachen in REIDs "Essays on the active Powers", welches eingestandenermaßen auf NEWTONs Ideen gegründet ist. |