ra-2cr-4 Hamann und KantHamanns Londonerlebnis    
 
WILHELM DILTHEY
Johann Georg Hamann

"Analogisierend, ahnend verkleidete und verwandelte  Hamann  die Gedanken in unzählige Formen. Indem ihm die gestaltende Kraft fehlte, die die Ideen gliedert und ordnet, konnte er wenige Grundgedanken in immer neuen Formen wiederholen, ohne daß man ihre innere Einheit erkannte. Das ist nicht ihm allein zugute gekommen. Es ist der Grund, warum sehr oft fragmentarische Denker für tiefsinniger erklärt worden sind, als die Philosophen."

"Hamanns  große Persönlichkeit allein stand in ihm unerschüttert, leidenschaftslos. Er sagte einmal, ihm genüge von Gott verstanden zu sein. Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, wie sich nun seine regellose mächtige Natur in seinen kleinbürgerlichen Verhältnissen bald behaglich, bald ingrimmig vergrub - und doch immer souverän über ihnen stand."


Einleitung
- Die neue Religiosität -

Das Volk, das die Reformation hervorgebracht und in LUTHER die religiöse Innerlichkeit des ganzen Menschen erfaßt hatte, welche alle Beziehungen des Lebens umfaßt und verklärt, hat langsamer als irgendein anderes den christlichen Offenbarungsglauben aufgelöst. Periodisch, wie der Ebbe die Flut, folgt jeder Zeit verstandesmäßiger Auffassung ein neuer Versuch, die innere Lebendigkeit der Religiosität in ihren Rechten geltend zu machen. Die religiöse Bewegung, welche jetzt emporkam, ist durch viele Beziehungen rückwärts mit der Frömmigkeit des Pietismus verbunden wie diese mit der Innerlichkeit LUTHERs. Sie erhob sich gegenüber dem Rationalismus und dem Moderantismus der Kirchenhäupter in Berlin, Braunschweig etc. Das religiöseste unter den modernen Völkern löst sich vom christlichen Offenbarungsglauben nur unter immer wiederkehrenden Versuchen, den Begriff der  Offenbarung  der Lage des fortschreitenden Geistes anzupassen. Aber nicht so nächtern dürfen wir den Vorgang auffassen. Wie ein Schauer über die kalte Rationalität läuft es durch das Volk und die Gemütslebendigen unter den Deutschen, da sie von jenen gemütserfüllten Gestalten Abschied nehmen sollen, die in göttlichen Wolken über der armen deutschen Erde bis dahin gestanden hatten. Ergreifend spricht HIPPEL in seinem großen Roman diese neue Verbindung der mühsam und schwer arbeitenden bürgerlichen Gesellschaft mit dem evangelischen Christentum aus. Als WINCKELMANN sich in Rom vom Glauben seiner Vorväter gelöst hatte - im stolzen Bewußtsein eines Berufes, der ihn jenseits aller partikularen Religiosität stellte -, hat er doch sein Gesangbuch nie von sich getan. Aus diesen kleinbürgerlichen Verhältnissen kamen HAMANN, HERDER, aus strenger religiöser Gebundenheit LAVATER, SCHUBART, MÖSER.

Wie aber der christliche Offenbarungsglaueb in jedem neuen Versuch einer fortgeschritteneren Zeit gegenüber behauptet werden soll, ist die religiöse Innerlichkeit des Gemüts, welche er zu behaupten strebt, freier von dogmatischen Begriffen, die allgemein menschliche Grundlage des Glaubens ist breiter, menschlicher, und eben in dem Maß wird in ihr der Begriff der Offenbarung weniger fest bestimmt, die christliche ist weniger fest von den anderen Formen des Glaubens durch ein spezifisches transzendentes Merkmal gesondert. Am deutlichsten ist dieser Fortschritt von HAMANN zum jungen HERDER. Schon HAMANN erkennt eine Offenbarung der Heiden an etc.

Von ROUSSEAU bis HERDER regiert die Anschauung der Lebendigkeit des ganzen Menschen, von welcher jede einzelne geistige Lebensäußerung bestimmt ist. Dies ist eine neue inhaltlich-psychologische Konzeption. Sie ist mit der von der Mannigfaltigkeit der Formen dieser Lebendigkeit verbunden. Sie führt zum Ideal einer neuen Kultur, welche diese Lebendigkeit verwirklicht. Sie setzt sich in der französischen Kultuer der Konvention einer leer, lasziv, schal und ideallos gewordenen höfischen Gesellschaft gegenber, in Deutschland der Maschine des aufgeklärten Staates. Die Äußerungen gegen diesen gehen durch MÖSER, WINCKELMANN, HAMANN, HERDER.

Die Lebendigkeit des Gemüts enthält an und für sich keine Regel des Lebens. Verläßt man den rationalen Standpunkt, welcher eine solche besitzt: so entsteht in der molluskenhaften [verweichlichten - wp], unorganisierten Gemütskraft ein Bedürfnis nach einem Maßstab des Guten, einem Ziel der beweglichen Seele. Im Streben nach Schönheit und Freiheit des Lebens, das die Zeit erfüllt und die Köpfe im Sturm und Drang bewegt, ist ein solcher nicht enthalten. So sehen wir HAMANN, HERDER, JACOBI, LAVATER, den jungen GOETHE sich glaubensbedürftig nach dem religiösen Ideal eines an Gott orientierten Lebens ausstrecken.

HAMANN erfaßte die Religion als eine Tatsächlichkeit, deren Ursprung jenseits des abstrakten Denkens liegt und deren Wert und Geltung seiner Kontrolle nicht unterliegt, und indem er tiefsinnig und wahr dem inneren Zusammenhang derselben mit Sprache und Dichtung nachging, erhob er die Seelenverfassung in das Bewußtsein, welche dem abstrakten Denken voraufliegt, zugleich aber diesem gegenüber Wert und Berechtigung behauptet.

Er gelangte wie ROUSSEAU, unabhängig von ihm, im Ringen mit dem Leben zu seiner Grundanschauung, welche einen neuen Weg zu einem geschichtlichen Verständnis des Ursprünglichen, Unmittelbaren bahnte.


1.

HAMANN war den 27. August 1730 zu Königsberg geboren. In seinem elterlichen Haus wurde die Grundlage zu der schlichten bürgerlichen Gesinnung gelegt, mit der er später, mitten in einer Bewegung, die voll ehrgeiziger auf eine Reform der Gesellschaft gerichteter Impulse war, freilich nach einigen Versuchen, sich zur Geselligkeit der höheren Klassen zu bilden, zufrieden zu den altbürgerlichen einfachen Verhältnissen seiner Jugend und einer eingeschränkten, zuzeiten armseligen Häuslichkeit zurückkehrte. Die Eltern waren einst als arme Fremdlinge in der Stadt zusammengetroffen. Durch mühsame Arbeit hatten sie sich einiges Vermögen und ein Haus nebst Gärtchen zwischen Katzbach und Pregel erworben. Dort zwischen den altertümlich beschränkten Häusern, die von Gärten ländlich umgeben sind, wuchs er mit einem jüngeren Bruder auf. Seinen Vater, den angesehenen und geschickten Chirurgus der Altstadt, zeichnet eine Andekdote von seinem Sohn trefflich in seinem ehrenfesten Behagen an seiner Stellung und einer gewissen Originalität. Der Kanzler von SCHLIEBEN hatte ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, Doktor oder Rat zu werden. "Ehrwürdige Exzellenz", versicherte mein seliger Vater, "ich habe bereits einen Titel." - "Nun und was für einen?" - - "Vor einigen Wochen folgte ich meiner Frau Bruders Leiche im ersten Paar, da hörte ich die Leute hinter mir rufen: Das ist der altstädtische Bader! Vor einigen Tagen beschloß ich den Leichenzug eines meiner Patienten im letzten Paar, und hörte wieder um mich herum rufen: Das ist der altstädtische Bader. Als der will ich auch leben und sterben." Seine Mutter scheint den Keim der Auszehrung, dem sie später erlag, früh in sich getragen zu haben. Wie es öfters geschieht, steigerte dies noch ihre emsige, still eingezogene Tätigkeit in dem weitläufigen Hauswesen; mit einer prunklosen, geduldigen Frömmigkeit trug sie ihr Schicksal, nur den Ihrigen lebend. Die Knaben wurden streng gehalten. Für eine freiere Bewegung mußte sie die Behaglichkeit des häuslichen Lebens entschädigen. Auf ihre Erziehung wurde viel, obwohl ohne sonderliches Verständnis, verwandt. Daß ihnen neben Latein und Griechisch Französisch, Italienisch und Musik gelehrt wurde, nährte in HAMANN die krankhafte Sucht, vielerlei durcheinander zu erlernen.

Seine Schulzeit bildet eine Musterkarte aller verkehrten Methoden des Unterrichts, die damals zu finden waren. Zuerst machte ein abgesetzter Prieser sieben Jahre lang mit ihm das Experiment, Latein ohne Grammatik zu lehren. Von diesem kam er zu einem Pedankten, der wieder mit dem Donat [Lehrbuch des Aelius Donatus - wp] bei ihm begann und ihn in jener Übersetzungsweise übte, die er selber witzig "Buchdruckerarbeit" nennt. Schließlich endeten seine Irrfahrten bei einem geordneten Gymnasium. Freilich figurieren auch hier unter den Unterrichtsgegenständen Philosophie und Theologie. Endlich begann er das Studium der Theologie auf der Universität zu Königsberg.

Es waren die ersten Jahre der Aufklärungsbestrebungen. Die Beschränktheit der hergebrachten Anschauungen und das Voranschreiten FRIEDRICHs des Großen gaben der französischen Literatur eine Wirkung, deren sie sonst nicht fähig gewesen wäre. Auch HAMANN und seine Freunde wurden von dieser Bewegung mit fortgerissen. "Nachgerade", so schreibt einer derselben, "wäre es Zeit, daß man den gotischen Geschmack, der so lange in Preußen (der Provinz) geherrscht hat, verbannte und die leichte und blühende Schreibart der Franzosen mehr nachahmte. Andere Gegenden Deutschlands sind uns hierin mit guten Exempel vorangegangen, nur Preußen scheint noch in einem tiefen Schlummer zu liegen und am alten Wust Gefallen zu finden." Und sie zögerten nicht, das Ihrige zu tun, die Provinz aus diesem Schlummer zu wecken. Unter dem bezeichnenden Namen DAPHNE erschien 1750 eine Zeitschrift, an der HAMANN mitarbeitete. Seine Aufsätze lassen sich nicht mehr von denen der Freunde unterscheiden: Beweis genug, daß sie es nicht verdienen. Wie MÖSER in seiner ersten Schrift wurde er von der literarischen Bewegung so hingenommen, daß seine Eigentümlichkeit zurücktrat. Dennoch zeigte eine kleine lateinische Schrift, in der er die Magisterpromotion eines Freundes  de somno et somniis  [Über den Schlaf und Träume - wp] bekämpfte, daß diese Eigentümlichkeit spröde genug war, sich auch unter diesen Einwirkungen nicht völlig unterdrücken zu lassen. Welchen Verlauf seine fünfjährigen Studien zu Königsberg nahmen, darüber erklärt er sich selbst: "Die neue Neigung zu Altertum und Kritik entfernte mich von allen ernsthaften Wissenschaften; von da wurde ich zu den sogenannten schönen und zierlichen Wissenschaften, Poesie, Romanen, Philologie, den französischen Schriftstellern und ihrer Gabe, zu dichten, zu malen, zu schildern und der Einbildungskraft zu gefallen, geführt." Die Theologie gab er auf: er "fand ein Hindernis in seiner Zunge, seinem schwachen Gedächtnis und viele Heuchelhindernisse". Auch zur Jurisprudenz ging er nur zum Schein über. Er habe, sagt er, indem er seine Studien überblickt, sich auf nichts Einzelnes, sondern vielmehr auf einen guten Geschmack in der Gelehrsamkeit überhaupt gelegt. Wir können die Bewunderung darüber, daß er sich so "in den ungeheuren Strudel des Wissen gestürzt hat", nicht teilen. Zerstreute Lektüre ohne den ordnenden Gesichtspunkt des Sachinhalts war schon von der Schule her sein Fehler gewesen; er verließ nun auch die Universität, ohne die strenge Zuch empfunden zu haben, die ein bestimmtes Fachstudium dem Geist auferlegt. So gehörte er, als er seine Studien beendete, zu der großen Klasse jener "Magister", wie sie die jugendliche Begeisterung der damaligen Zeit für Geschmack und Literatur recht eigentlich erst geschaffen hatte, Leuten, die sich in die Mitte zwischen die Wissenschaft und die Poesie gestellt hatten und für die daher das Leben in seinem gewöhnlichen Verlauf keinen Platz hatte. HAMANN hat das Schicksal der meisten unter ihnen geteilt: ein kümmerliches und mühseliges Leben; aber auch den Ruhm einiger unter ihnen, von diesem neuen Standpunkt aus, zwischen Wissenschaft und Poesie gestellt, beide neubelebt zu haben.

Zunächst lebte er in der alten beschränkten Weise im väterlichen Haus; seine Lage steigerte noch seine Sehnsucht zu reisen, die Welt kennenzulernen. "Niemals", meinte er, "würde ich mit mit zufrieden sein können, in welchen Stand ich auch gesetzt würde, wenn ich auf der Welt sein müßte, ohne von derselben mehr als mein Vaterland zu kennen." Eine Hauslehrerstelle schien hierzu allein Aussicht zu bieten. Dazu kam bei ihm eine mächtiger pädagogischer Trieb, der ihn sein Leben lang nicht verlassen hat. Sich selber zu bilden, damit hatte er sich bis jetzt beschäftigt: kein Talent, keine Neigung zu irgendeiner Beschäftigung trat bei ihm besonders hervor, alle dienten nur seiner individuellen Bildung. Welche Beschäftigung konnte diesem inneren Zustand mehr entsprechen, als die, diese Bildung durch eine persönliche Einwirkung auf andere zu übertragen? Denn so faßte er den Beruf des Erziehers auf. Er nahm eine Stelle in der Nähe von Riga auf dem Gutshof  Kegeln  an (November 1752). Die Bedingungen waren nicht eben vorteilhaft; seine Eltern mahnten dringend davon ab. Eine unglückselige Hast, die in seinem Leben mit Unentschlossenheit abwechselt, zeigte sich schon damals. Er war ohne Geduld, günstige Verhältnisse zu erwarten, und ohne Entschlossenheit, sie zu ergreifen. Beide Fehler entsprangen aus einer kräftigen Phantasie, die durch Spiel mit den Studien und Beschäftigung mit den Dichtern genährt, ohne die Zucht einer Wissenschaft oder eines Amtes die vorliegenden Verhältnisse stets mir ihren Träumen vermischte und diesen Träumen eine furchtbare Gewalt über seinen Willen gab. So war er dann auch damals, obwohl man ihm den Charakter der adligen Dame, deren Knaben er unterrichten sollte, hinlänglich geschildert hatte, voll von Hoffnungen dorthin gegangen. Wie fand er sich getäuscht! Er fand Nachlässigkeit und Geiz, einen wild aufgewachsenen Knaben, dessen guter Wille keinem Eindruck standhielt. Ein Jahr lang hatte er sich mit der größten Hingebung um den Knaben bemüht; aber alle seine Bemühungen wurden durch die Unordnung des Hauswesens vereitelt. Endlich wandte er sich schriftlich an die Baronin, um eine strengere Ordnung in Bezug auf den Knaben zu fordern. Er sei es müde, eine menschliche Säule vor sich zu haben, die Augen und Ohren hat, ohne sie zu gebrauchen. Seine Entlassung war die Antwort. "Ich sehe", so meinte die Baronin unter anderem in einem eigenhändigen, sehr charakteristischen Antwortschreiben, "ich sehe Ihnen auch nicht anders an, als eine Säule, mit vielen Büchern umhangen, welches noch gar nicht einen geschickten Hofmeister ausmacht und mir auch schreiben, Ihre Freiheit und Gemütsruhe zu lieb zu haben, sie auf eine Anzahl von Jahren zu verkaufen usw." "Machen Sie sich fertig", so schließt das Aktenstück, "Montag von hier zu reisen." Mit dem Rest seiner schmalen Besoldung, die die gute Dame noch zu schmälern gewußt hatte, verließ HAMANN unter den Tränen des Knaben das Haus.

Ich denke, der Leser verliert nichts, wenn die Verwicklungen einer zweiten Hauslehrerstelle übergangen werden. Auch damals zeigte sich die Gabe HAMANNs, seine Zöglinge an sich zu ketten. Aber weder hier noch im gastfreien Haus seines Freundes BEHRENS fühlte er sich glücklich. Die Widersprüche zwischen seinem Wollen und Können, zwischen der Richtung, die er, der Zeitströmung folgend, eingeschlagen hatte, und seinem inneren Wesen, wie er es immer deutlicher verstand, quälten ihn unablässig. Er hatte zu Kurland LOCKE und SPINOZA getrieben; aber die Literatur der Franzosen hatte bald wieder das Übergewicht bei ihm gewonnen. Auch von ihren weltmännischen Manieren wünschte er sich etwas anzueignen. "Ich gebe", meint er einmal, "niemals als auf Rechnung des jungen Herrn einen Witzling ab, weil dies Eltern mehr schmeichelt und mir mehr Achtsamkeit gibt." Er überlegt die Mittel, "sein Glück zu machen"; aber er bringt es nicht über Träume. Mit großem Eifer bemüht er sich um die witzige und leichte Lebensart der Franzosen; doch immer übermannt ihn ein ungeselliger Hand zur Einsamkeit und Misanthropie. Dann legt er sich auch dies zurecht: "ich sehe, daß ich mit dem Geheimnis, das ich aus meinem Charakter mache, am besten fahre und will dabei bleiben." Er will die zierliche Schreibart der Franzosen nachahmen; er nimmt sich wohl einmal vor, eine "witzige Abhandlung" über ANTONIUS, KLEOPATRA und OCTAVIA und das Glück des ersteren zu schreiben, nach dem Muster einer "unvergleichlich geschriebenen" Geschichte der beiden Triumvirate, eines leichtfertigen Romanprodukts, das zum Glück vergessen ist. Und mitten in diesem eitlen Treiben überfällt ihn dann der Gedanke an die gute deutsche Häuslichkeit daheim; er sieht "den Vater mit seinem Pfeifchen, den Freund um 9 Uhr Abends mit der wollenen Perücke, die Mutter beim Spinnrocken". "Beten Sie für mich, liebster Vater", bittet er, "daß es mir wohlergehe." Vergebens boten die Freunde auf, was sie konnten, ihn zu erheitern. "Mein Gehirn sah" - so schilderte er später selbst diesen Zustand - "einen Nebel von Begriffen um sich, die es nicht unterscheiden konnte, mein Herz fühlte Bewegungen, die ich nicht zu erklären wußte; nichts als Mißtrauen gegen sich und andere, nichts als Qual, wie ich mich ihnen nähern und entdecken sollte, und in diesem Zustand habe ich mich am meisten in demjenigen Haus befunden, wo ich der größte Bewunderer, Verehrer und Freund all derer war, die zu selbigem gehörten." Er fühlte sich außerstande, den Freunden, "was er sei und sein könne, zu entdecken". Noch gehörte er, soweit er sich äußerte, zu ihnen, und doch regte sich in seinem Inneren ein fast angeborener Widerspruch. Er regte sich, ohne daß er ihm hätte Worte geben können, und darum nur umso aufregender, nur umso schärfer ihn von den Freunden trennend.

Aber die ganze Richtung seiner Studien und die innigste Verbindung mit BEHRENS überwogen diesen dunklen Instinkt seiner Natur. Schon auf der Universität hatten sich die beiden getroffen; Begeisterung für die französische Literatur und Bildung hatte sie dort vereint. Dann hatte sich der Freund in Parin den eben damals aufkommenden Studien der politischen und Handelswissenschaftfen gewidmet. Hingerissen von den neuen Lehren des Jahrhunderts, voll von Plänen, sie in der großen väterlichen Handlung nutzbar zu machen, war er eben jetzt zurückgekehrt. Auch HAMANN, dem ohnehin "der Schulstaub verhaßt geworden" war, begann sich mit der neuen Wissenschaft, in der Tat einer der bleibenden wissenschaftlichen Eroberungen der französischen Aufklärung, eingehend zu beschäftigen. Als er daher wieder, einer dringenden Bitte folgend, in seine alte Hauslehrerstelle zurückkehrte, nahm er auf den Wunsch des Freundes ein Buch DANGEUILs (1) mit, das eben viel Aufsehen machte, um dasselbe zu übersetzen. HAMANNs eigene Anmerkungen sprechen nur in geistvoller Kürze das Allgemeinste der Grundsätze aus, die GOURNAYs Schule bekannte. Aber interessant sind einige Bemerkungen HAMANNs, die mit der Handelspolitik nichts zu tun haben, einer Wissenschaft, die in der Tat wohl HAMANNs Talent nicht war. Wie rein persönlich ist gleich von vornherein der ganze Zweck seiner Schriftstellerei. Wie genau spricht sich ihre ganze Tendenz gleich auf der zweiten Seite aus: "Mein Name möge niemals zunftmäßig werden, wenn ich meine Tage den göttlich schönen Pflichten der Dunkelheit und der Freundschaft weihen kann." Und in den sittlichen Vorbegrifen trifft in der Tat HAMANN, wie neben ihm JUSTUS MÖSER, den Punkt, in dem er der Franzosen Meister werden mußte. In der trefflichen Schilderung des Familiengeistes zeigt er schlagend an einem Beispiel, daß das gesellschaftliche Leben die Sittlichkeit in ihren ewig gültigen Formen zur Voraussetzung habe. Dieses Schriftchen verband beide nur noch inniger. BEHRENS bestürmte den Freund mit Vorschlägen, in seine Handlung einzutreten. Zunächst sollte er nach einiger Vorübung eine Geschäftsreise nach England für das Haus unternehmen. HAMANN hatte so viel Überlegung, dem Freund mancherlei Hindernisse, seine schlechte Hand, die andere Richtung seiner Studien vorzustellen, nicht genug Überlegung, den erneuten Vorschlägen zu widerstehen. Auch der Gedanken an eine gelehrte Laufbahn tauchte damals noch einmal in ihm auf; er verwarf ihn, als seiner Neigung und Art zu arbeiten widersprechend. Unterdesse waren aus Königsberg beängstigende Nachrichten über das Befinden seiner Mutter angelangt. Endlich entschied er sich. Mit dem Versprechen der Rückkehr verließ er seine Stelle, die ihm ohnehin durch mancherlei Verwicklungen unerträglich geworden war; er wußte bereits, daß er nicht zurückkehren würde. Er eilte zunächst nach Königsberg. Welche Szenen erwarteten hier den von seinen neuen Plänen Erfüllten! "Mein alter Vater lauerte weinend auf mich und machte mir einen betrübten Willkomm. Ich sah mein Mutter, meine selige Mutter, die Gott durch soviel wiederholte Wunder vom Siech- und Totenbett hatte aufstehen lassen, ohne jemals mit rechtem Ernst von ihren Kindern, wenigstens von mir, darum gebeten und gedankt worden zu sein ..." Er fand sie todkrank. "Sie bestrafte mich auf den ersten Augenblick wegen des Tons, mit dem sie mich reden hörte, der ihr verändert und nicht männlicher geworden zu sein schien."

Sie starb nach einer Woche. Damals an ihrem Sarg, "bei dem er sich zu seiner eigenen Gruft salben wollte", erwachten alle Eindrücke des alten Familienlebens, der ganze Drang einer ursprünglich religiösen Natur wieder in ihm. In dem "kindlichen Denkmal", das er ihr gesetzt hatte (Schriften II, Seite 39), spricht sich diese Bewegung mit einer erschütternden Naturwahrheit aus, die diesen wenigen Seiten einen wehmütigen Reiz verleiht. "Diese kalten, erstarrten Gebeine", sagt er, "schenken mir jetzt ein zweites Leben."

Ein Vierteljahr blieb er bei seinem Vater. Dann trat er seine Reise an. In Berlin sah er zum ersten Mal MENDELSSOHN und andere Glieder dieser literarischen Partei. Aber er war unfähig zu rechtem Verkehr. "Ich war allenthalben gezwungen und für mich in Ängsten, tiefsinnig ohne zu denken, unstet und unzufrieden gleich dem Flüchtling eines bösen Gewissens." Über Lübeck ging er nach Holland. Als er in Amsterdam nach einigem Warten seine Aufträge für England endlich erhielt, fühlte er bereits, ein wie starker Mißgriff seine jetzige Stellung war. Fehlte ihm sonst Ruhe, so fehlte ihm jetzt Mut zu einem raschen Entschluß. Er zog sich mit den Plänen hin, seine jetzige Stellung "als Hilfsmittel anzuwenden, eine bessere Gelegenheit zu seinem Glück zu erhaschen". Aber er suchte vergebens Bekanntschaften; er mußte die Reise fortsetzen, obwohl mutlos. Der Zweck seiner Sendung muß ein bedeutender gewesen sein. Wenigstens fassen er wie BEHRENS ihn so auf. Als HAMANN dem preußischen Gesandten in London davon Mitteilung machte, erstaunte derselbe, daß zu einer solchen Sendung ein solcher Mann gewählt worden sei. Von welcher Art aber dieser Zweck war, darüber enthält der Briefwechsel HAMANNs nichts, und auch in der Lebensbeschreibung spricht er darüber nur in mysteriösen Ausdrücken. "Es gibt gewisse Stellen und gewisse Geschäfte, die man am besten und mit größter Ehre verwalten kann, wenn man nichts oder so wenig wie möglich tut. Sollten wir es uns Ernst sein lassen, als mögliche in acht zu nehmen, so würden wir erst einmal unsere Bequemlichkeit und Ruhe sehr hintansetzen müssen, uns großer Gefahr und Verantwortlichkeit aussetzen, uns vielleicht Feinde machen, Opfer unseres guten Willens und Unvermögens werden." Von all dem gedachte er also zur Vollziehung der übernommenen Aufgabe nichts zu wagen. Das System, nach dem er zu handeln gedachte, faßt er selbst so zusammen: "Laß die Welt gehen, wie sie geht, nimm alles mit, was dir aufstößt, um dich selber zu vergessen." So geriet er in Verhältnisse, zu widerwärtig, um sie nachzuerzählen. Doch auch, nachdem er erkannt hatte, in welche Gesellschaft er geraten war, und sich voll Abscheu abgewandt hatte, sehen wir ihn seine Lebensweise nicht enden. "Völlerei und Nachdenken, Lesen und Büberei, Fleiß und üppiger Müßiggang wurden umsonst abgewechselt." Immer noch trug er sich mit dem chimärischen Gedanken, sich durch Bekanntschaften "eine Brücke zu seinem Glück zu bauen". Seine Gesundheit war angegriffen, das ihm anvertraute Geld auf einige Guineen zusammengeschmolzen. Schon länger hatte er alle Verbindung mit der Heimat abgebrochen. Um Geld zur Heimreise zu bitten und seine Schuld zu gestehen - das brachte er nicht über sich. So mietete er sich bei armen redlichen Leuten ein kleines Zimmer. Hafergrütze, einmal am Tag Kaffee war seine ganze Nahrung. In den Zeiten der Verschwendung hatte er sich auch einen Haufen Bücher zusammengekauft: sie ekelten ihn jetzt an. Das war die Gemütslage, in der er die Bibel, das Buch seiner Jugend, das Familienbuch, das der letzte Trost seiner Mutter gewesen war, durchzulesen begann. Betrachtungen, die er damals aufzeichnete, gestatten uns, ihn bei seiner Lektüre zu begleiten. Nach diesen zu schließen, knüpft sich die gewaltige Umwandlung seines Inneren an einen bestimmten Moment. Als er zum fünften Kapitel des  Deuteronomions  gekommen war, erschütterte die göttliche Gewalt der Worte sein Innerstes. Er schien sich selbst der aus der Knechtschaft Ägyptens Befreite, für ihn schien das Gesetz Gottes verkündet zu werden, das friedliche Gebot: "Gehet heim in eure Hütten", ihm zu gelten. Außerordentlich ist die Energie, mit der er sich jetzt in die Gedanken des Christentums vertiefte.

Er hatte bis dahin in den Kreisen der Aufklärung gelebt, jetzt erhoben sich in seiner Seele die halberloschenen Bilder der bedürfnislosen Frömmigkeit seiner Mutter und der einfachen Menschen um ihn herum. Denn noch war der Pietismus in Königsber die herrschende Macht, die religiöse Atmosphäre um HAMANN weht uns aus dem biographischen Roman HIPPELs entgegen, wie aus den Jugendverhältnissen KANTs. So war seine Umwandlung nichts Ungewöhnliches. Sie vollzieht sich nur in einem bestimmten Moment ... Der göttliche Ruf ergeht an ihn. Die halb kindische, halb gigantische Begehrlichkeit dieses heißblütigen Phantasiemenschen, die unbehilflich, stockend nach Befriedigungen aller Art in Willen und Genuß sich ausgestreckt hatte - ein unbehilflicher mit Willensschwäche behafteter FAUST -, findet inmitten dieser äußeren Krisis ein Ende ihrer unerträglichen Leiden im Glauben. Er erfährt dunkel ein Band, das ihn und ein ganzes Reich der Geister mit Gott verbindet ... Mächtige kraftstrotzende Naturen, welche das Leben nicht gemessen und bedacht behandeln und genießen, denen sein Zusammenhang manchmal zu eng für ihr Temperament wird, die "gefahrvoll leben", haben öfter ganz von innen, jenseits auch des Gegensatzes von geistiger Freiheit und von Tradition, ihre innere Independenz von den Zweckzusammenhängen, in denen die Geschichte der Menschheit auf der Erde verläuft, tief erfahren und ihr transzendentes Verhältnis zur Gottheit erfaßt: sie treten dann in ihrem tiefsten Lebensgefühl heraus aus dem Nexus der Kulturarbeit und fühlen in diesem Letzten, Transzendenten sich allein, ungeteilt in der Beziehung zur transzendenten Welt, in welcher sie waren, als sie die Welt betraten, und sein werden, wenn sie dieselbe verlassen. Diese Genies der Religiosität, welche diese Stellung durch einen neuen inneren Vorgang erfassen, werden immer, so offenbarungsgläubig sie sein mögen, eine furchtbare Gleichgültigkeit und Selbstmacht behaupten gegenüber dem kirchlichen Zusammenhang von Kulten und Dogmen, der sich bequem forterbt von Geschlecht zu Geschlecht.

Aus dem Bewußtsein der inneren Kraft, die von einem solchen unabhängigen Verhältnis zu Gott ausgeht, erwächst ihnen die Sicherheit ihres Glaubes und ihres Verwerfens. Hierin hatte LUTHERs frohmütige Glaubenskraft gelegen, und seine Entwicklung, die ihn durch das Blut der Bauern und der ihm innerlich doch verwandten Wiedertäufer wie durch die furchtbare Erkenntnis des Egoismus der Fürsten und der Kulturverwüstung um sich führte, steigerte diese Loslösung vom Nexus [Nabel - wp] der Welt, dieses transzendente Lebensgefühl in ihm. Ihm fühlte sich HAMANN daher am meisten verwandt.

In HAMANN trat ein anderes hinzu. Er war schiffbrüchig an den Strand des Lebens geworfen worden. Zwischen seiner Lage und seinem souveränen Lebensgefühl gab es für seinen schwerfälligen ungeregelten Geist zum Ausdruck der temperamentsmächtigen Vorgänge in ihm keine Vermittlung durch eine geregelte Arbeit zu anerkennbarer, wirkungsfähiger geistiger Arbeit. Wie er nun einmal war, auch geistig stammelnd und regellos, ging ihm ein Glück, dessen er einzig fähig war, auf in diesem transzendenten Lebensgefühl, das ihn, außerhalb der ihm so fremden hastigen Arbeit des Tages, herausstellte in eine tiefe Einsamkeit mit Gott allein - jenseits der Pflichten dieses Tages, in schauender Tiefe und Stille. So entstand seine Mystik. Ein Friedenszustand kam über den Armen, Mächtigen, der weder der Arbeit des Erkennens noch der Anstrengung des zweckvoll beharrlichen Handelns bedurfte.

Dieses Leben in der Transzendenz enthält ein Verhältnis, das ganz in der Personalität Gottes und ihrer unergründlichen Lebendigkeit gründet, welche anzuerkennen die große Persönlichkeit immer sich hingezogen finden wird. Und wie sie dem physischen Zusammenhang nach Gesetzen sich selber entnommen findet, wie ihr Glaube ihr diesem Zusammenhang entnommen, also Wunder ist, muß sie glauben, daß wir überall im Wunder leben.

Den 19. März begann HAMANN die "biblischen Betrachtungen", Aufsätze, die, vollständig herausgegeben, kaum in einem Band Platz finden können, dann den 21. April die "Gedanken über seinen Lebenslauf", darauf verschiedene Betrachtungen über Lieder und biblische Stellen. Schon den 16. Mai waren diese beendet. Er begann an diesem Tag eine Sammlung vermischter Aufsätze, die er "Brocken" benannte; das Tiefsinnigste, was aus seiner Londoner Zeit herrührt. Alle diese Aufsätze entsprangen aus dem inneren Drang sich auszusprechen, ohne einen Gedanken an Veröffentlichung. Auch wer seiner christlichen Denkweise ferner steht, wird bei der Lektüre dieser abgerissenen Blätter, die unter dem göttlichen Eindruck der Heiligen Schrift, oft unterbrochen durch eine reuevolle Besinnung und durch Tränen, abgefaßt wurden, nicht selten ergriffen werden von der gewaltigen Sprache des Herzens und einer Energie des religiösen Bedürfnisses, die auch der trockensten Stelle des Alten Testamentes einen Heilsgedanken abzwingt. Ich wüßte nicht, wo jemand besser den inneren Hergang zu belauschen vermöchte, durch den in einem tiefen, kraftvollen Gemüt, das nach nichts als religiöser Befriedigung sucht, und voll Zuversicht in der Heiligen Schrift danach sucht, unmittelbar aus der Geschichte Allegorie, aus dem einmal Geschehenen das ewig Gültige wird. Aber bei diesen einzelen Ideen, wie sie ihm durch eine allegorische Auslegung entstanden, blieb er nicht stehen. Seine eigentümliche Denk- und Anschauungsweise, die ihn so lange wie ein anderes Ich, immer wieder zurückgedrängt und immer wieder neu sich regend begleitet hatte, brach nun mit einer plötzlichen Macht und einer Glut hervor, wie die lange in der Tiefe der Erde zurückgehaltene vulkanische Masse. Mit allen Banden einer sinnlichen, herrischen Phantasie hing er am Anschaubaren, am Vorstellbaren. Und wie er dann mehr mit der Poesie als mit strenger Wissenschaft vertraut war, beschäftigten seinen Geist am liebsten die Analogien, die diese anschaubare Welt darbot. Das Bedürfnis einer religiösen Gesamtanschauung bemächtigte sich jetzt dieser Form seines inneren Lebens. So entstand, vollkommen original, wie es scheint, ein fragmentarisches System der Mystik, das die wichtigsten Ideen derselben reproduzierte.

Wo ein sinnliches Denken die göttlichen Ideen und Mächte unmittelbar und ohne aufhaltende Mittelglieder mit frommer Hast ergreifen möchte, da wird es sich dieselben immer durch den Gedanken der Abbildung der sinnlichen Welt vergegenwärtigen. Diese für die Geschichte der Religionen so wichtige Anschauungsweise entspringt eben aus der Anwendung der analogischen Form des Denkens auf das Religiöse. Mit dem klarsten Bewußtsein spricht HAMANN das Ideal dieser Denkweise aus. "Es müßte nachgewiesen werden", sagt er, "daß alle Schätze der Natur nichts als eine Allegorie, als ein mythologisches Gemälde himmlischer Systeme - sowie alle Begebenheiten der weltlichen Geschichte Schattenbilder geheimer Handlungen und unentdeckter Wunder sind." Eine Art allegorischer Interpretation des ganzen Weltalls. Aber diese Denkweise entrinnt dem Zirkel nicht, in den Dingen  die  göttlichen Ideen abgebildet zu finden, die sie bereits zu dieser Betrachtung hinzubrachte. Um in den Hieroglyphen des Weltalls zu lesen, bedarf es eines Schlüssels. "Die Natur ist herrlich, wer kann sie übersehen? wer versteht ihre Sprache? sie ist stumm, sie ist leblos für die natürlichen Menschen. Die Schrift, Gottes Wort, ist herrlicher, vollkommener, ist die Amme, die uns die erste Speise gibt uns uns stark macht, allmählich auf unseren eigenen Füßen zu gehen." Indem nun aber die Heilige Schrift darauf angesehen wird, daß in ihr die Lösung aller Rätsel von Natur und Geschichte verborgen sei, setzt sich hier nur das analogisierende Verfahren fort: sie wir allegorisch ausgelegt. "Die Schrift kann mit uns Menschen nicht anders reden als in Gleichnissen, weil alle unsere Erkenntnis sinnlich, figürlich ist und die Vernunft die Bilder der äußeren Dinge zu Zeichen abstrakter, geistiger und höherer Begriffe macht." Damit ist der Zirkel vollendet, da somit auch zur Auslegung der Heiligen Schrift, die doch selber die Natur und Geschichte auslegen sollte, die in ihr zu findenden Gedanken mit hinzugebracht weren. Man könnte denselben Zirkel in den verschiedensten anderen Formen nachweisen. Nicht von einem Punkt aus entspinnt sich das Gewebe dieser Gedanken, sondern, wie sie von den verschiedensten Punkte aus sich verknüpfen, so werden sie auch hingestellt, fragmentarisch, selbst ohne den Schein eines strengen Zusammenhangs. Das analogische Denken war sich hier seines unsystematischen Charakters vollkommen bewußt. "Unsere Gedanken sind nur Fragmente."

Dieser Gedanke des Abbildens enthält nun aber nichts über das reale Verhältnis dessen, von dem, und dessen, in welches abgebildet ist. In der Vorstellung liegt nichts vom vielfach vermittelten Kausalnexus; dennoch fordert das religiöse Bedürfnis, daß der reale Zusammenhang mit Gott als das das Wesen der Dinge Bestimmende gedacht werde. Hier tritt der mystische Begriff des Bandes, oder wie HAMANN sich öfter ausdrückt, des Nexus auf. Derselbe ist nichts als die unbestimmte Bejahung dieses bestimmenden realen Zusammenhangs. "Wir stehen mit anderen Dingen in Verbindung; auf diesem Nexus beruth nicht nur unser wahres Wesen und eigentliche Natur, sondern auch alle Abwechslungen und Schattierungen, deren sie fähig ist." Das diesen ganzen Nexus Zusammenhaltende ist aber Gott. "Es gibt nicht mehr als eine einzige Verbindung, die Gott zum Gesetz unserer Natur und ihres Glücks gemacht hat; indem der Mensch diese Verbindung mit Gott lockert, lösen sich alle anderen Verbindungen auf." Durch viele Mittelwesen hängen wir mit Gott zusammen. Wie der Körper durch die Mannigfaltigkeit der Dinge bestimmt ist, so der Geist durch eine unermeßliche Welt der Geister. Es ist ganz im Geiste der Emanationslehre [Ursprungslehre - wp], wenn sich ihm von hieraus die Frage nach dem Bösen löst. "Anstatt zu fragen, wo kommt das Böse her, sollten wir die Frage vielmehr umkehren und uns wundern, daß endliche (von Gott so weit entfernte) Geschöpfe fähig sind, gut und glücklich zu sein." Und in allen Menschen lebt das dunkle Bewußtsein dieses Bandes als ein "Durst der Begierden, die lechzen und schreien nach einem Gut, das wir so wenig zu nennen wissen, wie der Hirsch das frische Wasser, das wir aber erkennen und in uns schlucken, sobald wir es antreffen." So in diesen dunklen Nexus eingewoben, von ihm durchaus bestimmt, leben wir überall im Wunder. "Was ist in der Natur, in der gemeinsten und natürlichsten Begebenheit, das nicht ein Wunder für uns ist, ein Wunder im strengsten Verstand?" Dieses Band lebendig zu fühlen, ist demnach die höchste Aufgabe des Menschen. Mit einem furchtbaren Quietismus erklärt er: "der Fromme empfängt umsonst durch des Sünders Arbeit Weisheit, Erkenntnis, Freude."

Wo ist nun aber für die Heilige Schrift, von deren buchstäblicher Inspiration seine, wie alle allegorische Auslegung notwendig ausgeht, und für die in ihr enthaltene besondere Offenbarung Gottes in dieser mystischen Gesamtanschauung Platz? Er zieht ausdrücklich aus derselben die Konsequenz, daß Gedanken und Geschicke der Heiden ebenso durch Gott bestimmt seien wie die der Juden. Gott hat uns nur "am jüdischen Volk die Methode seiner Weisheit und Liebe sinnlich machen wollen und uns die Anwendung davon auf unser eigenes Leben und auf andere Gegenstände, Völker und Begebenheiten überlassen." Etwas rätselhaft faßt er seine Meinung so: der Unterschied zwischen der natürlichen und geoffenbarten Religion sei kein anderer, als "der zwischen dem natürliche Gehör und dem musikalischen".

Tag und Nacht mit diesen Gedanken beschäftigt, vergaß HAMANN sein Geschick. Mit Recht hat ihn einer seiner Freunde den größten Indifferentisten genannt, der je gelebt habe. Seit drei Monaten hatte er höchstens einmal ordentlich Speise gehabt. Er besaß nichts mehr; das Letzte, seine Uhr, hatte er seinem Wirt gegeben. Er mochte sich an niemand wenden; nur einem Prediger hatte er, um sein Herz zu erleichtern, in der Beichte sein Geschick anvertraut. In dieser Lage traf er auf der Straße auf einen Herrn VERNIZOBRE, an den sich sein bekümmerter Vater um Nachricht über den verlorenen Sohn gewandt hatte. Er erhielt jetzt die Mittel zur Rückreise; auf welche Weise, und wie er seine Verbindlichkeiten in London erfüllte, läßt er unberührt. Den 27. Junie 1758 verließ er London.

Nach Riga zurückgekehrt, ist er nun im Begriff das Ideal des ruhigen Mystikers, der unbefangen von der Arbeit der Sünder lebt, zu verwirklichen. Sein Freund CHRISTOPH BEHRENS war, als er ankam, als Deputierter von Riga in Petersburg. HAMANN wohnte daher bei KARL BEHRENS, dem älteren Bruder desselben, von dem er überraschend freundlich aufgenommen wurde. "Meine Geschäfte im Hause meines Wohltäters haben bloß in einem Briefwechsel mit seinem Bruder, im Unterricht der ältesten Tochter des Hauptes unserer Familie und einer kleinen Handreichung eines jüngeren Bruders bisher bestanden." So lebte er von neuem fast von der Gnade jener Familie; die in London gemachten Schulden durch angestrengte Arbeit abzuverdienen, daran scheint er nicht gedacht zu haben. Aber noch mehr: in dieser aussichtslosen Lage faßt er den Entschluß, sich mit der Schwester seines Freundes zu verheiraten. Die Stelle in seinem Lebenslauf, in der er die göttliche Einwirkung schildert, die plötzlich diesen Entschluß in ihm wachrief, ohne daß er vorher auch nur die Ahnung einer solchen Absicht gehabt hatte, gibt ein Beispiel der dreisten, falsch pietistischen Vermengung seiner Wünsche mit dem Willen Gottes, wie sie auch an mehreren anderen Orten dieser Autobiographie widerlich hervortritt. Zur Nachtzeit kam der Gedanke über ihn. "So viel bin ich mir bewußt, daß ich nicht geschlafen, ob ich ein recht wachender gewesen oder wie? davon weiß ich nichts. Ich hörte eine Stimme in mir, die mich über den Entschluß, ein Weib zu nehmen, frug - und  aus Gehorsam gegen ihn  -, ich redete nicht ein Wort, es kam mir aber vor, als wenn ich mit einem Geschrei aufspränge und schrie: wenn ich soll, so gib mir keine andere als die Schwester meines Freundes - es schien mir, als ob ich die fröhliche Versicherung mit einer feierlichen Stimme hörte, daß es eben die wäre, die für mich bestimmt, so lange und so wunderbar aufgehoben." Nach erhaltender Einwilligung seines Vaters hält er bei den Brüdern um sie an. Sie selbst war einverstanden, die Brüder dagegen verweigerten ihre Zustimmung. Aus welchen Gründen und in welcher Form, darüber findet sich nichts; denn die Selbstbiographie bricht hier mit einem Gebet für die Freunde ab, und die Briefe lassen eine Lücke. Nicht lange darauf eilte er auf die Nachricht von einer Erkrankung seines Vaters nach Königsberg. Die Art, wie er seine Beschäftigung im BEHRENS'schen Hause plötzlich abbrach, steigerte noch den Unmut des Freundes. Ein Bruch war nahe. Indessen begann HAMANN nach der Herstellung seines Vaters sich wieder einer zerstreuten Lektüre hinzugeben. Wie wesentlich sich auch sein Standpunkt geändert hatte, die fragmentarische und willkürliche Manier seiner Studien war dieselbe geblieben. LUTHERs Schriften ergreifen seinen tiefen religiösen Geist mächtig durch ihre verwandte Stimmung; sie haben ohne Frage auf seine Denkweise und seinen Stil einen mächtigen Einfluß ausgeübt. "Was für eine Schande für unsere Zeit", ruft er aus, "daß der Geist dieses Mannes, der unsere Kirche gegründet hat, so unter der Asche liegt, was für eine Gewalt der Beredtsamkeit, was für ein Geist der Auslegung, was für ein Prophet!" Sein Spürsinn, der gleich dem LESSINGs für das Verachtete und Vergessene eine besondere Vorliebe hat, wird auch auf die Schätze des alten Kirchenliedes aufmerksam, während man eben begann, sie aus den Gesangsbüchern zu entfernen. "Sie kennen noch zu wenig unsere Kirchenpoesie", schreibt er an LINDNER, "dieser Schatz liegt auf einem offenen Feld, demungeachtet wenigen entdeckt und noch von wenigen recht gebraucht."


2.

Diese stillen Beschäftigungen wurden durch den Sturm und Drang eines leidenschaftlichen Kampfes mit seinen Freunden unterbrochen. Eine neue Wendung seines inneren Lebens ging in demselben vor sich: gewaltsam und aus den heftigsten inneren Schmerzen geboren, wie die erste. Hatte jene seinen religiösen Standpunkt bestimmt, so bestimmte diese seinen wissenschaftlichen.

Einst hatte er erklärt, den göttlichen Pflichten der Dunkelheit und der Freundschaft sein Leben widmen zu wollen. Das war so recht im Geist jener Zeit gedacht, die unersättlich in Freundschaften, endlos in Briefwechseln und Austausch der Gefühle war. Es war auch so recht aus seinem Wesen heraus gedacht: von der allseitigsten und höchsten Bildung, war er doch durch die unablässige, ausschließliche Richtung auf Selbstbildung und durch die phantastische Regellosigkeit seines Geistes zu künstlerischer und wissenschaftlicher Produktion im strengeren Sinne unfähig; nur wo es galt, durch die Persönlichkeit ganz un voll in engerem oder weiterem Verkehr zu wirken, war er in seinem Element. Nun geriet er mit einem Freund nach dem andern in den heftigsten Streit. "Freunde", schreibt er wehmütig stolz an LINDNER, als dieser ihm auch entfremdet zu werden schien, "Freunde sind eine Gabe Gottes; ich habe meinen Köcher derselben voll gehabt. Soll er leer werden, so werde ich ihren Verlust, wie ihren Besitz mit Dank annehmen und mich vor niemand als Gott demütigen." Von der Familie BEHRENS wandte sich keiner mit solcher Heftigkeit gegen ihn, als sein Jugendfreund JOHANN CHRISTOPH. Seine Briefe sind vernichtet, aber was in denen HAMANNs daraus vorkommt, atmet eine schonunglsose Leidenschaftlichkeit, wie sie nur aus den Enttäuschungen einer des Herrschens gewohnten Natur erklärbar ist, die sich der besten und weitgreifendsten Absichten bewußt ist und in diesem Bewußtsein gegenüber jedem ihre Pläne störenden Charakter die Geduld, gegenüber passiven Naturen alle Billigkeit verliert. Auch jetzt noch hatte er Absichten mit HAMANN: er gedachte, wie dieser selbst sagt, ihn "der Welt nutzbar und zu einem Bekehrer der Freigeister zu machen, seine Religion von Aberglauben und Schwärmerei zu sichten." Aber bei der Wahl der Mittel überwältigt ihn der Haß, dem die alte Liebe in seinem leidenschaftlichen Gemüt Platz gemacht hat. Über den Lebenslauf, den ihm wohl HAMANN mit Absicht in die Hände gespielt hatte, erklärte er HAMANN in seinen Briefen, er habe ihn nur mit Ekel durchblättert; über die Bekehrung desselben, er habe wohl die Bibel nötig gehabt, um nicht zu verhungern, damit er sich überwinde, zurückzukommen. Rundweg erklärt er HAMANN für einen Mischmasch von einem großen Geist und einem elenden Tropf. Viel ruhiger, viel weniger persönlich sind die Vorwürfe LINDNERs: sie treffen bereits durchaus den religiösen Standpunkt HAMANNs überhaupt. Er wirft ihm vor, daß er die göttlichen und menschlichen Dinge durcheinander mengt; seine Denkart sei voll Übertreibung, seine Handlungsweise voll Leidenschaft. Als aber dann BEHRENS, der Himmel und Erde bewegte, um den Freund auf andere Gedanken zu bringen, den Königsberger Magister KANT, den HAMANN von früher kannte, zu Hilfe rief gegen ihn, nahm der Streit eine vollkommen theoretische Wendung. Die beiden suchten HAMANN im Sommer 1759 in seiner "Einsiedelei" auf. Scham über Eindringen eines Dritten in seine Lebensverhältnisse, Mißtrauen, gekränkter unbändiger Stolz erheben sich in diesem wunderlich mächtigen Menschen. Seine Art zu sehen war durchdringend scharf und, gemischt mit seinem leidenschaftlichen inneren Verhalten zu den nächsten Menschen, auf die Manifestation des Charakters Anderer in ihrer Art zu sehen, d. h. auf ihre Totalität gerichtet. Der Streit über Doktrinen war daher bei ihm unlöslich verbunden mit dem Persönlichsten. Er wehrt sich gegen alles, was sein Wesen, wie es ist, nicht anerkennt und fördert. Wo jemand in seine Gefolgschaft tritt, wie HERDER, JACOBI, LAVATER, ist er doch immer bereit, ihn zu zerfleischen, wenn er von seinem eigenen Weg abweicht. Indem er nun auf KANT trifft, der mit reinem, klarem Sinn auf ihn einzuwirken strebt, um ihn zu einer folgenrichtigen Tätigkeit zu bestimmen, erhebt sich seine unbändige Natur, seine Existenz, wie sie ist, zu verteidigen, ähnlich, wie ROUSSEAU sich gewehrt hat, auch dem besten Wollen edler Freunde gegenüber. Seine Briefe an KANT sind die ersten Äußerungen seiner schriftstellerischen Kraft in Invektive [Schmähungen - wp], Humor, Enthusiasmus.

Die "Sokratischen Denkwürdigkeiten" sind nur eine Ausführung der Selbstverteidigung HAMANNs in einem Brief an KANT. So wurde HAMANN zu einer Rechtfertigung eines beschaulich-mystischen Lebens und Denkens durch die Vorwürfe von Freunden, denen er seine Achtung nicht versagen durfte, gezwungen. Er hatte lange geschwiegen. Aber die Heftigkeit von BEHRENS hatte endlich seine quietistische Natur aufgerüttelt, und sie erhob sich nun mit einer leidenschaftlichen Gewalt, die jetzt noch für den Leser unwiderstehlich ist. Besonders die Briefe an KANT sind mit einer solchen Energie der Beredtsamkeit geschrieben, die ihnen einen großen Vorteil vor den "Sokratischen Denkwürdigkeiten" gibt. Er möge die Gefahr bedenken, der ihn BEHRENS aussetzt, schreibt er ihm, einem Menschen nahe zu kommen, dem die Krankheit seiner Leidenschaften eine Stärke zu denken und zu empfinden gibt, die ein Gesunder nicht besitzt. Er findet in seinen unzusammenhängenden Ahnungen mehr Logik als in allen Vernunftsystemen. Und allen bürgerlichen Pflichtbegriffen gegenüber fühlt er sich als von Gott geschaffen, wie es das Alte Testament von den Geschöpfen des Ozeans sagt. - In diesem Kampf wurde er zum Schriftsteller.

Ein paar Tage vor seinem Zusammentreffen mit KANT fiel ihm nun auch bei seinem Wühlen in den Rüstkammern der französischen Philosophie die Waffe in die Hand, mit der seine mystische Religiosität sich fortan gegen alle Selbstgewißheit im Denken und alle Selbstgerechtigkeit im Handeln verteidigte. Er las HUMEs Buch von der menschlichen Natur, später auch die anderen. Wie dieser Schriftsteller für KANT die Anregung gab zum Fortschritt aus dem Dogmatismus zu seinem transzendentalen Standpunkt, so für HAMANN zu einem ähnlichen religiösen aus seinem bisherigen Mystizismus. Indem HAMANN seinen Mystizismus, den er in der Londoner Einsamkeit ausgebildet hatte, jetzt entgegengesetzten Ansichten gegenübergestellt, von denselben als einen partikularen grundlosen Einfall verachtet sah, wurde er dadurch zur Besinnung über das Wesen der menschlichen Natur, sofern in ihr Ursprung und Recht des religiösen Lebens liegt, getrieben. So machten die beiden Männer gleichzeitig einen ähnlichen Fortschritt. Nicht mehr das Wesen der Dinge, sondern das den Denkens selber faßte der eine; nicht mehr das Wesen Gottes, sondern das des religiösen Lebens faßte der andere ins Auge. Aber sie bedurften einer entgegengesetzten Geistesanlage. Während der Philosoph mit unermüdlichem Scharfsinn ein breites System der Kritik ausbaute, strebte sein Gegner mit intuitivem Geist in den verworrenen Zuständen des eigenen Gemüts, ahnend, analogisierend, verknüpfend zu lesen. Alle Kräfte der Seele und des Gemüts setzte dieser in Bewegung, jener das philosophische Denken allein. Auch in ihrem Grundfehler sind sich beide ähnlich. Bei ihren Untersuchungen, die auf den menschlichen Geist gerichtet waren, bedienten sie sich unbefangen der alten Psychologie. So sind sie beide in falsche Schematisierungenn geraten.

Wir wollen keineswegs die Wirkungen HAMANNs denen KANTs auch nur irgendwie gleichstellen. Beide ergriffen gleich wichtige Probleme; aber die Menschen gehen nun einmal weder in Probleme noch in Prinzipien rein auf. Es ist bereits entwickelt, wie es kam, daß HAMANN zur Lösung der Frage, auf die er hier geführt wurde, jenen sachlichen Sinn nicht mitbrachte, der eine Frage rein absondert und methodisch verfolgt. Während daher die Kantische Philosophie in ihrem gewissenhaften Ausbau das Zeitalter beherrschte, wirkten HAMANNs zerstreute Ansätze nur auf seine Freunde. Was JACOBI und HERDER über diese Frage weiter ausgeführt haben, ruht ganz auf der Grundlage der Andeutungen HAMANNs. Von JACOBI ist dann die Theorie der "Reden über die Religion" in den wichtigsten Punkten bestimmt, besonders in denen, auf die SCHLEIERMACHERs Pantheismus nicht eingewirkt hat. Freilich auch in ihren Grundfehlern zeigen sich diese neueren Versuche HAMANN verwandt: in den falschen psychologischen Schematisierungen, besonders der reinen Gegensetzung von Gefühl und Verstand und dann im Mangel historischer Betrachtung.

Auf vielfache Weise hat HAMANN die intuitive Anschauung der Religion, zu der ihn die Betrachtung des eigenen Inneren geleitet hat, darzustellen versucht, indem er auf den ursprünglichen Gemütszustand zurückging, dem alle Poesie entspringt und der ihm eben Religion war, indem er in das Alte Testament, die älteste Urkunde der Religion, sich vertiefte, indem er in verschiedenen Versuchen über die Sprache immer die eine Analogie der Religion verfolgte. So oft er sich auch in Nebendinge verlor, der Mittelpunkt aller seiner Gedanken war, den menschlichen Zustand, in dem Religion, Sprache, älteste Poesie entsprängen, zu erfassen; der Mittelpunkt all seiner leidenschaftlichen Bestrebungen, diesen ursprünglichen, naturgemäßen Zustand inmitten einer durch Abstraktion verderbten Zeit zu rechtfertigen, soweit möglich, zurückzuführen. In dieser ersten Zeit, der Zeit des Kampfes mit den Freunden, finden wir die Grundgedanken aber noch vereinzelt, von der Beziehung auf ihn selber noch nicht losgelöst.

Nur um diesen heiligen Kreis des religiösen Lebens gegen die Eingriffe der Philosophie zu schützen, ergriff er das skeptische System HUMEs. Er ging mit demselben sehr willkürlich um. HUME falle in das Schwert seiner eigenen Wahrheiten; zwei davon seien genug, ihn zu widerlegen. Einmal, daß die Frucht aller Weltweisheit die Bemerkung der menschlichen Unwissenheit und Schwachheit sei. "Unsere Vernunft", meint er, "sei eben das, was PAULUS Gesetz nennt - sie, das Gesetz des Jahrhunderts". Die zweite Wahrheit ist ihm: nicht bloß am Beginn der christlichen Religion ständen Wunderwerke, sondern der Christ sei sich eines beständig fortgesetzten Wunderwerks bewußt. Dieses beständige Wunderwerk kehrt alle Grundsätze des Verstandes um und gibt demselben eine Bestimmung, das zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung zuwider und widersprechen ist. Hiermit wird das philosophische Denken nicht nur beschränkt, sondern geradezu verworfen, soweit es positive Wahrheiten hervorzubringen beansprucht. An seine Stelle tritt der Glaube, hier in einem weiteren als dem spezifisch religiösen Sinn verstanden. Auch HUME hatte vom Glauben gesprochen; er verstand darunter die für das Leben notwendigen Verknüpfungen der einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen, besonders die Verknüpfung der Kausalität, wie sie aus der gewohnten Aufeinanderfolge von zwei Wahrnehmungen entspringt. HAMANN, indem er die Konsequenz aus HUMEs Skepsis zu ziehen behauptete, erweiterte einfach diesen Begriff dadurch, daß er die Urteile über das Übersinnliche damit vermischte. "Der alte Philosoph HUME", meint er, "hat den Glauben nötig, wenn er ein Ei essen und ein Glas Wasser trinken soll. Wenn der den Glauben dazu nötig hat, wozu verleugnet er sein eigenes Prinzipium, wenn er über höhere Dinge, als das sinnliche Essen und Trinken, urteilen soll." "Unser eigenes Dasein und die Existenz aller Dinge außer uns muß  geglaubt  und kann auf keine andere Art ausgemacht werden." Man sieht, er rechtfertigt hier nicht etwa nur die Selbständigkeit des religiösen Lebens, sondern das Aufgehen der Philosophie in Religion, das mystische Denken.

Wenn er dann auf das mystische Denken und Leben selber eingeht, so geschieht das zunächst nur fragmentarisch, nur, um dasselbe, wie es sich in ihm individuell gestaltet hat, den Gegnern gegenüber zu rechtfertigen. Er verteidigte eine religiöse Form des Lebens, indem er sich selbst verteidigt. Er hat das kräftigste Bewußtsein seiner religiösen Mission dem religionslosen Zeitalter gegenüber. "Wie man den Baum an den Früchten erkennt, so weiß ich, daß ich ein Prophet bin, an dem Schicksal, das ich mit allen Zeugen teile, gelästert, verfolgt und verachtet zu werden." Dem äußeren Gebot stellt er seine mystische Innerlichkeit gegenüber. "Der Christ tut alles im Glauben; Essen, Trinken usw. sind alles göttliche Geschäfte und Werke." Dem nüchternen Sittlichkeitsbegriff des Zeitalters: die Menschlichkeit des Christentums, das auch den leidenschaftlichen Bewegungen des Gemüts Raum gönnt. Ich liebe das Christentum als eine Lehre, die meinen Leidenschaften angemessen ist, die nicht eine Salzsäule, sondern einen neuen Menschen verlangt und verspricht." "Wenn der natürliche Mensch fünf Sinne hat, so ist der Christ ein Instrument von zehn Saiten und ohne Leidenschaften einem klingenden Erz ähnlicher als einem neuen Menschen." Gegenüber den Schlüssen der Philosophen verteidigt er das springende, analogisierende Denken des Mystikers. Jedes Tier hat seinen Gang; die Bögen und Sätze der Heuschrecke sind so naturgemäß wie der leise Gang der Blindschleiche im Fahrgeleis. Ja noch mehr: schon HOGARTH hat bemerkt, daß die Schlangenlinie das Element aller malerischen Schönheit ist. Gegenüber dem Drängen des Moralisten nach nützlichen Handlungen: den Quietismus religiöser Beschaulichkeit. "Weder Katheder noch Kanzel würden meiner Länge etwas hinzufügen. Eine Lilie im Tal, um den Geruch der Erkenntnis verborgen auszuduften, wird immer der Stolz sein, der im Grunde des Herzens und im inneren Menschen am meisten glühen soll." Bezeichnend genug vergleicht er den Glauben mit dem "Schmecken und Sehen", wie JACOBI ihn später ein  Vernehmen  nannte.

Sodann verneinte er die Erkennbarkeit der übersinnlichen Welt, und zwar bis hinein in die allgemeinsten religiösen Wahrheiten. Dies ist das erste Merkmal der Mystik. Im Gegensatz gegen die metaphysische Begründung der Glaubenslehre hat sich im Mittelalter die christliche Mystik entwickelt, ganz wie zu verschiedenen Zeiten die anderer Offenbarungsreligionen. Und als der Rationalismus des DESCARTES die allgemeinen Grundwahrheiten der christlichen Religiosität zur höchsten Deutlichkeit und Durchsichtigkeit zu erheben unternommen hatte, stand PASCAL auf. Seine Apologie [Verteidigung - wp] des Christentums steigerte den Gegensatz gegen die rationale Erkenntnis bis zur Verneinung der Erkennbarkeit irgendeines Kausalzusammenhangs. Wir leben im fortdauernden Wunder. Wie dieser größte Apologet des Christentums sich zum Rationalismus des DESCARTES, so verhält sich HAMANN nebst seinen Genossen zur deutschen Aufklärung. So hat er dann auch gegen den am meisten dogmatischen unter ihren Vertretern, gegen MENDELSSOHN, die schärfsten Pfeile gerichtet. Wenn nun durch die Erkenntnis die Aneignung der übersinnlichen Welt nicht erwirkt werden kann, dann muß sie in den Kräften des Gemüts gegründet sein. Es ist das zweite Merkmal der Mystik, den Grund der Anerkennung der übersinnlichen Welt in die Tiefen des Gemüts zu verlegen, die hinabreichen in das Unbewußte. Und wenn nun die Mystik des Mittelalters sich in eine kontemplative und eine praktische sondert nach ihrem verschiedenen Ursprung im Gemüt: über beides geht auch hier HAMANN hinaus: die ganze menschliche Lebendigkeit als eine untrennbare Einheit, aller Durst nach Glück, alles Ungebärdige, Sinnliche und höchst Persönliche ist ihm die schöpferische Tiefe, aus welcher die Anerkennung der übersinnlichen Welt entspringt. Und es ist tatsächlich die große Leistung der Mystik in der Entwicklungsgeschichte der Offenbarungsreligionen, daß sie, nachdem sich das Dogma und die Glaubensmetaphysik entwickelt haben, diese objektive Welt zurücknimmt in die Tiefen des Gemüts. Und hieraus ergibt sich ein drittes und letztes Merkmal der Mystik. Der Blick des Religiösen wendet sich von der Objektivität des Dogmas zurück in das Gemüt, das dieselbe hervorgebracht hat. In diesem vollbringt sich das Wunder aller Wunder. Hier ist die geheimnisvolle Grenze, in welcher das endliche Dasein, als Einzelbewußtsein, sich mit dem Unendlichen berührt: die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen. Das Wunder ist hier permanent. PASCAL wie KIERKEGAARD und wie HAMANN fordern folgerichtigt - mitten in der Helle der großen Wissenschaft und ihrer Rationalität: wenn im Urchristentum das Wunder Realität war, so muß dieses Wunder fortdauern und immer neu belebt werden. Das ist HAMANNs Bekenntnis. PAULUS stürzte das Gesetz und richtete den Glauben auf; was er Gesetz nennt, ist dem Jahrhundert die Vernunft, sie muß ersetzt werden durch den Glauben. Der Christ ist sich des beständigen Wunders bewußt, das im Glauben stattfindet. Dieses beständige Werk des Wunders aber stürzt alle Grundlagen des Verstandes um. Und auch an diesem Punkt geht HAMANN von dem, was er in der mystischen Richtung des Christentums vorfand, vorwärts zu einer radikalen und umfassenden Einsicht. Auch ihm waren die Geschichten des Alten Testaments Gleichnisse seines Erlebnisses geworden, auch er sah in diesen Geschichten die Vorbilder neutestamentlicher Erfüllungen: allegorische Auslegung umgab ihn in den Schriften der Mystiker. Das alles verallgemeinerte er und unterwarf es dem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt. Das menschliche Denken ist analogisch. Auch die abstrakten Begriffe, in denen wir den Zusammenhang des Universums denken, sind nur Bilder, Projektionen der Erfahrung des Gemüts in die Objektivität, Metaphern.

Diese Fortbildung des mystischen Standpunktes, der auch in vielen pietistischen Schriften enthalten war, vollzog sich auch neben HAMANN in anderen Christen der Zeit. Der Standpunkt des Fräuleins von KLETTENBERG, den GOETHE in den "Bekenntnissen einer schönen Seele" dargelegt hat, beruth hierauf. Eine bedeutende Wirkung brachte LAVATER hervor. Das merkwürdigste Denkmal der religiösen Bewegungen der Zeit und ihres Verhältnisses zur Kultur und Philosophie sind HIPPELs Lebensläufe. Das Verhältnis von HERDER in seiner älteren Epoche und von JACOBI beruth ganz auf diesem Rückgang in die mystische Religiosität, deren Hauptrepräsentant HAMANN ist. Von JACOBI ist dann der SCHLEIERMACHER der "Reden über Religion" in seinem Rückgang auf das Gefühl und die Mystik bestimmt. Ein großer Zusammenhang umfaßt diese ganze Bewegung. In ihr wurde die  Selbständigkeit und die Eigenart des religiösen Vorgangs zuerst zu wissenschaftlichem Bewußtsein gebracht.  Die Mystik wurde zur Besinnung über die Religiosität.

HAMANNs erste Schrift, die "Sokratischen Denkwürdigkeiten" erschienen 1759. Sie war BEHRENS und KANT gewidmet: denn sie war entstanden aus dem Streit mit dem Freund und dem Philosophen, "der einen so allgemeinen Weltweisen und guten Münzwardein [Münzprüfer - wp] abgeben möchte als NEWTON war". In SOKRATES erblickte er den Antipoden von KANT. Es lag nahe, nachdem HAMANN in seinen verteidigenden Briefen, besonders denen an KANT, die Gedanken über sein inneres Leben fast bis zu Abhandlungen ausgesponnen hatte, wenn er sich nun dazu entschloß, wie später SCHLEIERMACHER, die mystische Religiosität, in der er lebte und webte, darzustellen. Ganz gemäß seiner mit Analogien spielenden Manier, verbarg er dabei sich selbst unter der geheimnisvollen Maske des SOKRATES. In diesem sah das Zeitalter das Ideal eines eudämonistischen Moralpredigers; so lockte es HAMANN, gerade in diesem Mann einen dem seinigen verwandten Standpunkt des mystischen Denkens aufzuzeigen. Schon in einem Brief an KANT hatte er "den Kobold des SOKRATES aus dem Mond herabgerufen". Jetzt gab er dem Einfall zu seiner Verteidigung gegen KANT und BEHRENS eine neue Wendung. Denn diese waren die "Zween", denen die kleine Schrift galt. Wie wenig es ihm dabei um objektive Denkwürdigkeiten des SOKRATES zu tun war, zeigt sein späteres Geständnis, daß er seine Kenntnis des SOKRATES aus des THOMASII Übersetzung on CHARPENTIER und COOPERs englischer Beschreibung geschöpft habe. Wie wenig er einer solchen sachlichen historischen Auffassung auch nur fähig gewesen wäre, davon ist ein merkwürdiger Beweis, daß ihm der halbe PLATO, als er später zur Lektüre desselben kam, als "eine Wiedererinnerung seiner sokratischen Hirngespinste" erschien. So wandelte seine ruhelose Phantasie jede nur irgendwie verwandte Denkweise sogleich in die Gestalt seiner eigenen um. Erschien ihm doch SOKRATES als ein Prophet. "Wer den SOKRATES unter den Propheten nicht leiden will, den muß man fragen, wer der Propheten Vater sei, und ob sich unser Gott nicht einen Gott der Heiden genannt und erwiesen?" Ganz denselben Gegensatz, der ihn selber bewegt, weiß er ihm zu unterschieben.

SOKRATES war auf Selbsterkenntnis gerichtet, und diese Selbsterkenntnis war Erkenntnis seiner Unwissenheit. Über HUME sprechen sich die Denkwürdigkeiten schon kälter aus. "Die Unwissenheit des SOKRATES war Empfindung; die alten und neuen Skeptiker mögen sich noch so sehr in die Löwenhaut sokratischer Unwissenheit stecken, so verraten sie sich durch ihre Stimme und Ohren. Wissen sie nichts, was brauch die Welt einen gelehrten Beweis davon." Das ergänzende Element des Glaubens wird hier allgemeiner als in den Briefen gefaßt. "Was ersetzte", fragt er, "bei HOMER die Unwissenheit der Kunstregeln und bei einem SHAKESPEARE die Unwissenheit in bezug auf jene kritischen Gesetze? Das Genie, ist die einmütige Antwort. SOKRATES konnte also freilich gut unwissend sein; er hatte einen Genius, auf dessen Wissenschaft er sich verlassen konnte, den er liebte und fürchtete als seinen Gott." "Die Analogie", sagt er von SOKRATES, indem er sich darin selber schildert, "war die Seele seiner Schlüsse, und er gab ihr die Ironie zu ihrem Leib." Damit ist der Charakter der kleinen Schrift treffend bezeichnet.

So verkündet HAMANN das Recht des Genies in der ganzen Irregularität seines Wesens im Gegensatz zum geradlinigen Gang der Aufklärung. Dieses Recht hatte in der Kunst HOME geltend gemacht, er aber faßt es in einer neuen Tiefe: es ist sich selbst Gesetz, nicht nur für die Kunst, sondern auch für das Leben und für das Wissen von den letzten Dingen. Und in dieser Tiefe ging der neue Begrif auf HERDER, GOETHE, LENZ über, wirkte unermeßlich

. Fortan wird HAMANN in einer langen Reihe von klugen Schriften nicht diese Lehren abstrakt vortragen, er wird seine eigene geniale Lebendigkeit hinstellen. Diese Vermischung des Höchstpersönlichen mit der Darstellung einer neuen Weltanschauung gibt diesen "sibyllinischen Blättern" ihren grotesken Charakter und zugleich ihren geheimnisvollen Reiz. Er läßt die große Realität seiner menschlichen Lebendigkeit gewahren, wie sie aus sinnlicher Begehrlichkeit, altbürgerlicher Enge in die höchste Mystik emporreicht: nur in der Mischung von Humor und Erhabenheit, deren Vorbild STERNE war, die in KANTs "Träumen eines Geistersehers und in den Lebensläufen HIPPELs herrscht, wird dieses Gemischte des Daseins sich aussprechen können. Den höchsten Ausdruck sollte dann diese realistische Erfassung des Lebens in seiner alle Regionen des Inneren durchmessenden Größe in den eigensten Schriften des jungen GOETHE finden, im  ewigen Juden,  dem  Jahrmarkt,  dem  Satyros  und zuhöchst im  Faust. 

Wir nehmen die Erzählung wieder auf, Im Juli 1759 war BEHRENS nach Königsberg gekommen, eines jüngeren Bruders wegen, der dort auf Abwege geraten war. Mit einer ruhelosen Heftigkeit, die HAMANN um seine Gesundheit zittern ließ, "arbeitete er wie ein Tagelöhner den ganzen Tag in Papieren, den ganzen Nachmittag in gesellschaftlichen Zerstreuungen". Der alte Gegensatz zeigte sich doppelt scharf in dieser persönlichen Nähe. "Ich besuchte ihn einen Abend, wo er in großer Unruhe war, die er mir immer ins Gesicht leugnete, ungeachtet er gegen seinen Bruder eiferte. Ich suchte ihn damit zu beruhigen, daß Gott sich um unsere Wege bekümmere und unserer am meisten auf krummen wartete und hütete. Er fuhr darüber so auf, daß ich ihm unbegreifliche und unverständliche Einfälle vorsagte, daß ich mich freute, mit gesunden Gliedern die Treppe hinunterzukommen." Im Oktober reiste BEHRENS ab: sie schieden als "gute Freunde, die sich genötigt sehen, nach verschiedenen Entwürfen zu leben."

Mit LINDNER brach er gegen Ende des Jahres allen brieflichen Verkehr ab. Er fürchte, erklärt er, daß ihr Briefwechsel immer mehr ausartet. In der Tat macht derselbe einen höchst unerquicklichen Eindruck in dieser Zeit. Der ängstliche und pedantische LINDNER vermag weder seine eigenen nüchternen und kleinlichen Einwürfe gegen HAMANNs Leben und Denken zu unterdrücken, noch wagt er es, den gallichtenn Expektorationen des Freundes männlich gegenüberzutreten. Endlich macht HAMANN ein Ende: "ich will durch diese Grobheit mein Werk krönen". Auch hier also waren ihm seine pädagogischen Versuche mißglückt. "Meine Kommission an ihm ist zu Ende", schreibt er seinem Bruder: "ich habe ihm nichts mehr zu sagen." Und zur selben Zeit macht er einen Versuch, auf KANT einzuwirken: ganz in einem so mißgünstigen, ja ungesitteten Ton, daß die einzige mögliche Antwort die war, die KANT gab - ein völliges Ignorieren. KANT hatte nämlich die Idee geäußert, mit ihm gemeinsam eine Physik für Kinder zu schreiben. Wahrscheinlich tat er es, um HAMANN zu irgendeiner bestimmten Tätigkeit anzuregen. Ob nun HAMANN hiervon etwas merkte, genug, er schrieb einen so hochmütigen Brief darüber an ihn, daß KANT nicht antwortete. Hierauf folgte ein zweiter Brief HAMANNs, der durch eine Stelle hinlänglich bezeichnet sein wird. "Ich sage es Ihnen mit Verdruß, daß Sie meinen ersten Brief nicht verstanden haben; und es mjuß doch wahr sein, daß ich schwerer schreibe, als ich selbst weiß und Sie mir zugeben wollen. Es geht meinen Briefen nicht allein so, sondern mit dem platonischen Gespräche über die menschliche Natur kommen Sie auch nicht fort, Sie säugen Mücken und schlucken Kamele." Als ob KANT bei der Lektüre HUMEs nichts Besseres zu tun gehabt hätte, als mit HAMANN "den gründlichen Beweis, daß keine Unwissenheit uns schadet", daraus zu nehmen.


3.

So sah sich dann HAMANN nach vielfachen Versuchen genötigt, seine Pläne, die Gewissen der Freunde zu bearbeiten, aufzugeben. Was war aus den stolzen Entwürfen geworden, mit denen er in seiner Jugend in die Welt gesehen hatte! Er war arm geworden an Freunden, arm an Hoffnungen. Einförmig und zwecklos verfloß ihm die Zeit im Haus des alten Vaters. Dazu die unglückliche Gemütskrankheit seines Bruders, in dessen eitler Vielgeschäftigkeit und misanthropischer Trägheit er eine Karikatur seines eigenen Wesens sehen mußte. Ein Glück nur noch, daß diese Angelegenheit ihn wieder in Beziehung mit LINDNER brachte. Denn er bedurfte einer Seele, in die er die vielfach in ihm gärenden Gedanken ausschütten konnte. In dieser Lage beschäftigte ihn wieder die weitschichtigste Lektüre; er las die ganze Reihe der griechischen Autoren, das Alte Testament, dessen Ursprache er jetzt erlernte, vielfache Kommentare, besonders die BENGELs, die Schriften LUTHERs, und sein wunderbares Naturell ließ ihn über dieser Beschäftigung alles andere vergessen. Dennoch scheinen seine Schriften aus dieser Zeit Spuren seiner einsamen Lage an sich zu tragen. Ihr frostiger und gesuchter Witz scheint einem vereinsamten und verbitterten Gemüt zu entspringen. Ihre aus zerstreuten Studien angehäuften Partikularitäten entbehren durchaus der Einheit eines inneren sachlichen Zwecks, welche die späteren Schriften trotz aller Exkurse nie so völlig verlieren. Die maßlose Anwendung der direkten Ironie und weithergeholte Analogien lassen es nirgends zu einem erfreulichen Eindruck kommen. Zunächst schlägt er sich in den "Wolken", einem Nachspiel der  Sokratischen Denkwürdigkeiten,  mit seinen Rezensenten herum. Unter diesen hatte einer, der bekannte ZIEGRA, in den "Hamburger Nachrichten" den Vorschlag gemacht, HAMANN, "um ihm die Langeweile zu vertreiben und zum Besten seines kranken Körpers und Kopfes in ein Spinn- und Raspelhaus [Zuchthäuser - wp] zu bringen". Man muß das lesen, um den Ton, in den HAMANN seinerseits verfällt, zu entschuldigen. Denn die Weise, wie er selbst den Freund LINDNER über diesen Ton zu beruhigen sucht, möchte nicht vielen einleuchten. Er habe die Erstlinge davon, schreibt er,  sub sigillo confessionis  [unter dem Siegel der Verschwiegenheit - wp] unter einem Kuvert seinem Beichtvater übersandt, habe ihn am folgenden Tag besucht, ohne von ihm gescholten zu werden über die Schrift, und sei endlich von der Sündlichkeit seiner Leidenschaften absolviert worden, nachdem er mit dem 86. Psalm Gott gebeichtet hat. Wer also will verdammen? Schon vor den "Wolken" waren ARISTOBULs "Versuch über eine akademische Frage und vermischte Anmerkungen über die Wortfügung der französischen Sprache" erschienen, die es zeigen, wie die Theorien über die Sprache und das Problem ihres Ursprungs ihn schon damals unablässig beschäftigten. Auf der Rückseite des Titelblattes auf der letzteren Schrift war mit Anspielung auf eine Stelle über die Musik der französischen Kolonisten ein gravitätischer gallischer Hahn zu sehen, der sehr feierlich zum Gesang zweier andächtiger Hühnchen den Takt schlägt. Der hat, wie GOETHE erzählt, nachmals den Stillen im Lande, die sich ab und zu an den Schriften des Magus erbauten, großen Anstoß gegeben.

Diese wunderlichen Schriften und andere in derselben Manier erregten bei den Zeitgenossen nur Staunen und Verwunderung. Die Literaturbriefe, die die Genialität der "Sokratischen Denkwürdigkeiten" anerkannt hatten, schwiegen. "Von den Wolken", so schreibt MENDELSSOHN, der Verfasser jener Rezension, an HAMANN, "haben wir nie ein Urteil gefällt aus Nachsicht gegen den schätzbaren Verfasser der Denkwürdigkeiten." Eine bestimmtere Stellung innerhalb der literarischen Parteien nahm er erst ein, als er in den philosophischen und ästhetischen Gegensatz, der damals für den preußischen Staat, besonders auch in Berlin, eine nationale Bedeutung hatte, durch Streitschriften eingriff. Die Partei der Aufklärung herrschte unbedingt, sie war aber in zwei Lager zerfallen. Die Partei der französischen Enzyklopädisten war durch FRIEDRICH den Großen und die allgemeine Stimme Europas begünstigt. Aber das nationale Selbstgefühl, durch FRIEDRICHs Siege neu gehoben, verlangte eine Literatur, die dem deutschen Wesen entspräche. In dieser Verbindung war LESSINGs Dramaturgie erschienen: die Literaturbriefe kämpften dafür rüstig weiter, auch nachdem LESSING sich von diesem Kampfplatz zurückgezogen hatte. In der Ferne rollten KLOPSTOCKs Donner gegen das undeutsche Wesen. Es lag in der Natur HAMANNs, daß seine Angriffe gegen den auf königlichen Befehl importieten französischen Materialismus rücksichtsloser, persönlicher waren als alle übrigen. Zuerst erschie die  Lettre néologique et provinciale sur l'ordination du bon sens  (1761) aus Bedlam datiert, die er selber nur einen kleinen Spürhund nannte, dem der Jäger bald nachfolgen sollte. So erschienen dann auch in nächsten Jahr (1762) die  Essais à la mosaique,  die neben einem Abdruck dieses Aufsatzes die  Glose Philippique  enthielten. Unter dem kühnen Motto: "il n'est plus rien, qu'un Philosophe craigne, Socrate est sur le Trône et la verité regne" [Für einen Philosophen gibt es nichts zu befürchten. Sokrates ist auf dem Thron und die Wahrheit herrscht. - wp], war der wunderlich verzerrte Panskopf zu sehen, der schon auf den Kreuzzügen des Philosophen geprangt hatte: bezeichnend genug für eine Seite in HAMANNs Wesen, den zynisch-leidenschaftlichen Spott gegen die herrschenden Richtungen seiner Zeit. Kühner Witz wechselt in dieser Schrift mit erhabener Begeisterung. Nicht nur die Umgebung des Königes, VOLTAIRE besonders, trifft sein strafender Spott: in einigen Stellen wendet er sich unmittelbar gegen FRIEDRICH selber. "Il ne est pas permis", ruft er ihm zu, "de debaucher la religion des tes Pères et de tes neveux par le bon sens de Concubines Asdodiens, Hammonites et Moabites - il ne convient pas de prendre le pain des enfants et de le jetter aux petits chiens, de négliger ta vigne en Balhamon et de caresser les Muses étrangères." Diese Flugschriften und eine Rezension der MENDELSSOHNschen Kritik über die neue  Heloise  regten in MENDELSSOHN den Wunsch an, ihn zum Mitarbeiter an den Literaturbriefen zu gewinnen. Es ist unendlich komisch, wenn ABBT, einer der Mitarbeiter ausrechnet, in einem Brief von HAMANN lägen Ideen zu zehn Briefen. Wenn er also nur jedes Vierteljahr einen schickt, so könne man ihn zerlegen und mit gehöriger Ökonomie zehnmal traktieren. Damals hatten die Herausgeber noch die Hoffnung, der ganzen Bewegung der deutschen Literatur in ihrem kritischen Blatt eine gleichmäßige Anerkennung und Ausdruck zu geben. HAMANN schlug die Teilnahme ab. Wohl nicht bloß, weil er nach seiner Art zu arbeiten sich nicht für bestimmte Fristen verbindlich machen durfte, wie er an MENDELSSOHN entschuldigend schrieb. Er fühlte bereits den Gegensatz, den die Bewegung in sich barg und dem er eben damals den ersten, obwohl einen gegen seine sonstige Weise milden Ausdruck gegeben hatte. Wir meinen die erwähnte Kritik. Sie ist vortrefflich. In durchaus klarer Form und mit einer bei ihm seltenen Heiterkeit der Ironie bekämpft er eine Ästhetik, der über der ästhetischen Reflexion die sinnliche Kraft der Empfindung, über der Bewunderung der theatralischen Tugend der Pamelen das Maß für das wahrhaft Menschliche abhanden gekommen ist. Er verteidigt das Genie gegen die orthodoxe Kritik, die Leidenschaft gegen einen theatralischen Tugendheroismus. "Wie wollen Sie", wendet er sich an MENDELSSOHN, "den erstgeborenen Affekt der menschlichen Seele dem Joch der Beschneidung unterwerfen? alle ästhetische Thaumaturgie [Traumdeutung - wp] reicht nicht hin, ein umittelbares Gefühl zu ersetzen, und nichts als die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis bahnt uns den Weg zur Vergötterung."

Welch ein Gegensatz auch, die bisherige Ästhetik der WOLFFischen Schule und diese, die für die individuellsten, unmittelbarsten Laute der Poesie ein Ohr hatte, die es aussprach: "die kräftigsten Wahrheiten und Irrtümer, die unsterblichsten Schönheiten und tödlichsten Irrtümer eines Buchs sind gleich den Elementen unsichtbar." Von hier war nur noch ein Schritt zu HERDERs genialen Reproduktionen, welche die neue Poesie eröffnen. Wir stehen am Höhepunkt dieser Periode der HAMANN'schen Entwicklung, wie er sich in der ein Vierteljahr hierauf geschriebenen  Aesthetica in nuce  (2) darstellt. Ein paar Bogen, in welchen in raschem Flug der ganze Kreis von Gedanken, in dem er sich bisher bewegt hat, berührt wird: die scharfen Schlaglichter seiner Analogien, dunkle und darum nur umso energischere Empfindungen, der biblische Klang der Worte, dazu die siegesgewisse, halbprophetische Gewalt eines Mannes, der von einem in ganz Deutschland dunkel gewollten Gedanken bewegt wird: das alles mußte auf den Kreis der Eingeweihten hinreißend wirken. Die Grundgedanken der ersten Schriften finden wir hier wieder. "Wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disjecta membra poetae zu unserem Gebrauch übrig." In dieser Abbildung besteht das Wesen aller Kreaturen, vornehmlich des Menschen. "Die Analogie des Menschen zum Schöpfer erteilt allen Kreaturen ihren Gehalt und ihr Gepräge." "In Bildern", das wird hier geradezu ausgesprochen, "besteht der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit." Diese aber aufzufassen, vermag nicht der abstrakte Verstand, nur der Mensch in der ursprünglichen Totalität seiner Kräfte vermag es. "Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder"; diese, "durch die mordlügnerische Philosophie aus dem Weg geräumt", müssen in ihre uralten Rechte wieder eingesetzt werden. "Leidenschaft allein gibt Abstraktionen wie auch Hypothesen Hände, Füße, Flügel - Bildern und Zeichen Geist, Leben und Zunge. - Wo sind schnellere Schlüsse? Wo wird der rollende Donner der Beredsamkeit erzeugt und sein Geselle - der einsilbige Blitz?" Gegen die "Leviten der neuesten Literatur" (die Berliner Schule) wendet er sich mit priesterlicher Salbung: "Wagt Euch nicht in die Metaphysik der schönen Künste, ohn in den Orgien und eleusinischen Geheimnissen vollendet zu sein. Die Sinne aber sind CERES und BACCHUS die Leidenschaften - alte Pflegeeltern der schönen Natur."

Es ist das Programm der Sturm-und-Drang-Periode, das hier ausgesprochen wird; es ist ein Kampfgenosse ROUSSEAUs, der hier auftritt. Aber wie verschieden sind trotzdem beide! ROUSSEAU erfand einen Zustand der Natur, in den er Fabeln über Hottentotten, Spartaner und Bewohner der Ladroneninseln hineindichtete; HAMANN ging auf die älteste, ursprüngliche Kultur zurück. Der eine wollte die Vernichtung aller Kulturmächte, der andere die Erneuerung der ältesten. Nicht viel mehr als DIDEROT dachte sich der eine unter der Natur; dem anderen war sie der ewige Spiegel des geoffenbarten Gottes. Ein gewaltiger Reformer auf dem Gebiet der Literatur war HAMANN; ROUSSEAU ein Revolutionär. Das zeigte sich zugleich im weiteren Verlauf dieser Schrift. Es sind bestimmte historische Zustände, in denen er dieses ursprüngliche und volle Leben der Menschheit sieht: im Orient, in der Bibel ist für ihn die ursprüngliche, wahrste Poesie, die echte einzige Religion, jenes Denken, das nicht in Schlüssen, sondern in Gleichnissen das tiefe Geheimnis der Welt, daß sie das Abbild des Lebendigen ist, ausspricht. "Laß neue Irrlichter im Morgenland aufgehen! Laß den Vorwitz ihrer Weisen durch neue Sterne erweckt werden, uns ihre Schätze selbst ins Land zu führen - Myrrhen! Weihrauch! und ihr Gold! - Laß Könige durch sie geäfft werden, ihre philosophische Muse gegen Kinder und Kinderlehren vergeblich schnauben (3), Rahel aber laß nicht vergebens weinen!" So ist es der Grundgedanke seiner Auffassung des Schönen: die Natur mit allen Sinnen und aller Leidenschaft zu erfassen und darzustellen, aber als Ebenbild Gottes. "Laßt uns jetz", so schließt er, "die Hauptsumme der neuesten Ästhetik, welche die älteste ist, hören: Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen, und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserbrunnen."

Der Fortschritt, den diese Gedanken in der Entfaltung seiner Idee von der Religion bezeichnen, liegt zutage. In der Tiefe des eigenen Inneren hatte er die Fülle religiösen Lebens empfunden. Es war nicht vielmehr als eine Spielerei, daß er SOKRATES einst zum Träger derselben gemacht hatte. Jetzt hatte er die Heimat dieser ursprünglichen energischen Religiosität gefunden; er spürte ihren ältesten Urkunden im Alten Testament nach. Man muß sich erinnern, welchen Einfluß diese Ideen auf HERDER geübt haben, um ihre Tragweite für die Theologie zu übersehen.

Es war im Grunde nur die Variation der bereits erarbeiteten Gedanken, was in den folgenden Schriften dieses und des nächsten Jahres (1762 und 1763) ausgeführt wurde. Ich finde überhaupt, daß die ungemessenen Ausdrücke, in denen viele vom Gedankenreichtum, der schöpferischen Kraft HAMANNs reden, sehr einer Einschränkung bedürfen. Sein ahnender, dunkel bewegter Geist nahm Wahrheiten auf, wie Wolken und Nebel das Licht, die es in vielfachen Farben zurückstrahlen. Analogisierend, ahnend verkleidete und verwandelte er die Gedanken in unzählige Formen. Indem ihm die gestaltende Kraft fehlte, die die Ideen gliedert und ordnet, konnte er wenige Grundgedanken in immer neuen Formen wiederholen, ohne daß man ihre innere Einheit erkannte. Das ist nicht ihm allein zugute gekommen. Es ist der Grund, warum sehr oft fragmentarische Denker für tiefsinniger erklärt worden sind, als die Philosophen.

Es war Zeit, daß HAMANN jetzt endlich auch an seine äußere Versorgung dachte. Er war 32 Jahre alt. Sein Vater, bei dem er in den letzten Jahren gelebt hatte, übergab ihm 1763 sein mütterliches Vermögen und setzte ihn so instand, an eine eigene Haushaltung zu denken. Er wandte sich zunächst an die Königsberger Kriegs- und Domänenkammer mit einer Bittschrift, in der er mit der naivsten Offenherzigkeit, wie sie ihm eigen war, sich über seine Lage erklärte und um eine Stelle bewarb. Einen Antrag MOSERs, die Erziehung eines Darmstädter Prinzen zu übernehmen, lehnte er ab. Es entsprach ganz seiner passiven Natur, doch auch einer edlen Gleichgültigkeit gegen alles Äußere, daß er sich lieber den mechanischen Arbeiten eines geringen Amtes unterzog, als daß er mit Aufbietung all seiner Kräfte nach einem seiner würdigen Wirkungskreis gerungen hätte. Da die Schreiberbeschäftigung, die er an der Domänenkammer erhalten hatte, seine Gesundheit gefährdete, trat er an die damals neuentstandene "Königsberger Zeitung" über. Der erste Artikel jedes Stücks, so lautete die Ankündigung, sollte den Wissenschaften gewidmet sein und nicht nur gelehrte Nachrichten überhaupt und Berichte von neuen Büchern, sondern auch bisweilen Originalversuche enthalten. Diese Abteilung fiel besonders HAMANN zu. Doch trat er schon nach einem Vierteljahr zurück; die Beschäftigung entsprach durchaus nicht seiner Natur. Jetzt trat eine Pause in seiner Schriftstellerei ein; außer ein paar gelegentlichen Anzeigen hat er bis 1771 nichts mehr geschrieben. Es waren unbehagliche Jahre, die er, zunächst nach einer Stellung suchend, verbrachte. Er ging nach Darmstadt, um durch den dortigen Minister, den Herrn von MOSER, eine Stelle zu erhalten. Als derselbe aber zufällig verreist war, eilte er unmutig zurück. Auch in Kurland war er ohne Erfolg. In diese Zeit fällt der Beginn einer Verbindung, die er selber immer als Ehe betrachtet hat. Aber trotz der Bitten seiner Freunde hat er sich immer geweigert, sie wirklich in eine Ehe zu verwandeln. Eine der seltsamsten Anomalien in diesem rätselvollen Leben! Es ist in dieser Beziehung von ihm richtig, was auch vom Verhältnis seiner Religiosität zur Erkenntnis öfter gesagt worden ist, daß dieselbe abstrakt, in sich zurückgezogen war; sie durchdrang nicht sein ganzes Leben. Eine überreizte Phantasie und eine mächtige Sinnlichkeit wurden zuweilen Herr über ihn. Wenn wir seine eigenen öfteren Andeutungen nicht für übertrieben halten dürfen, so war ein Hand zur Unmäßigkeit im Essen bei ihm unwiderstehlich bis zur Krankhaftigkeit. -


4.

Die neuen Anschauungen waren von HAMANN allesamt entwickelt und in den  Kreuzzügen  gesammelt worden, als etwa 1764 der jugendliche HERDER, damals Student und in der philosophischen Schule KANTs erzogen, Sprachunterricht bei ihm nahm und mit HAMANN eine feurige Freundschaft schloß. Das war das erste geschichtliche Zusammentreffen, das die Revolution unserer Dichtung bedingte. Dann kamen die Beziehungen von LAVATER zu GOETHE und zu HAMANN. Schließlich die Begegnung von HERDER und GOETHE, aus welcher sichdie Übertragung der von HAMANN bedingten Anschauungen HERDERs auf GOETHE vollzog. Viele Nebenwirkungen finden statt. BONNETs Verbindung von LEIBNIZ mit den letzten religiösen Fragen wirkt auf LAVATER. HAMANN wirkt auf LENZ etc. und JACOBI. Im Hintergrund wirkt das Herrenhuter Wesen durch die KLETTENBERG, durch JUNG-STILLING. SWEDENBORG und seine rätselhaften Gesichte beschäftigen KANT, GOETHE. Es gab eine kurze Zeit, in welcher das Recht der religiösen und das der dichterischen Unmittelbarkeit in HERDER und GOETHE, und auch vielfach in denen um sie herum untrennbar miteinander verbunden erschien. Noch war HERDER durchaus abhängig vom Freund. Er schickt ihm die Fragmente, damit er nach Belieben daran ändert. In seiner Sprache, in seinen Gedanken erkennt man überall HAMANNs enthusiastisch-barocke Manier und seine Grundideen. Alle Bücher und alle Literaturen werden von den Freunden durchflogen. Das Ideal der Freundschaft schien sich zu verwirklichen, von dem HAMANN so oft und schwärmerisch geredet hat. Trotzdem vermochte er nicht, seiner Hypochondrie Herr zu werden. HERDER schreibt ihm nach einem Besuch bei ihm in Mitau: "Mein Freund findet auch da nicht seine Ruhe? - er schmachtet wieder nach Veränderung? - er findet auch nicht in den Armen des Freundes die alte Aufmunterung? - Elendes menschliches Leben, das man nicht genießt, wenn man es zu früh und zu eklektisch durchläuft." Nach dem Tod seines Vaters sah er sich in die unangenehmsten Streitigkeiten mit habgierigen Verwandten verwickelt; eine Stelle an der Akzise-Regie [Steuerverwaltung - wp], die er schließlich 1767 erhalten hatte, war so anstrengend, daß seine wankende Gesundheit darunter litt und jede selbständige und konzentrierte Arbeit dadurch gehemmt wurde. Auch HERDER hatte ihn verlassen. Wie einst HAMANN, trieb auch ihn jetzt der Drang, die Welt kennenzulernen, in das Hofmeisterleben und auf Reisen. Während HAMANN über einem Vormundschaftsprozeß wegen eines blödsinnigen Bruders, dessen Kuratel [Vormundschaft - wp] ihm die Verwandten entziehen wollten, und über den mechanischen Geschäften seines Amtes die Feder aus den Händen gelegt hatte, "bis er mit sich selbst und den Seinigen fertig sei", teilte HERDER in Straßburg dem jugendlichen GOETHE die sibyllinischen Blätter des Freundes mit. In seiner Lebensgeschichte hat GOETHE erzählt, welchen Einfluß sie auf ihn gehabt haben und wie er sich zum Stil und der Herausgabe seiner Blätter von deutscher Art und Kunst durch HAMANNs Vorbild habe verleiten lassen. In seinem damaligen Gedankenkreis ist der Einfluß des Magus unverkennbar; aber der Dichter, der sich mit dem  Prometheus  und dem  Faust  trug, mußte sich mehr noch durch die Bekanntschaft mit diesem gewaltigen Mann in dem Streben gefördert fühlen, solchen Bildern des ringenden Menschengeistes durch Anschauungen des Lebens Fleisch und Blut zu geben. -

HERDER leistete HAMANN jetzt auch den Dienst, ihn aus dem Zustand der Passivität, in den er verfallen war, aufzurütteln. In den ersten Monaten 1772 erschien seine treffliche Preisschrift über den Ursprung der Sprache. Durch CONDILLACs und ROUSSEAUs Abhandlungen war die Aufmerksamkeit für diese Frage geweckt worden. Für HAMANN hatte dieselbe ein besonders Interesse. Wir erinnern uns seiner Bemerkungen über die französische Sprache. Als dann 1760 die Akademie die Preisfrage stellte, welchen Einfluß Sprache und Meinungen aufeinander üben, kritisierte er die Fragestellung und die Lösung von MICHAELIS. Obgleich er noch in dem Vorurteil befangen erscheint, daß Sprache "das Mittel sei, die Gedanken mitzuteilen und zu verstehen", so ist seine Betrachtung doch schon auf das "Naturell, das Genie" der Sprache gerichtet: der Ausgangspunkt für eine richtigere Behandlung dieser Fragen. Am großen Resultat jener HERDERschen Untersuchung, daß die Sprache ein notwendiger Akt in der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins sei - als "Besonnenheit", Selbstbesinnung charakterisiert ihn HERDER mit einer merkwürdigen Ahnung des Richtigen -, hatte auch HAMANN seinen Anteil. Aber den Hauptmangel der HERDERschen Untersuchung wußte auch er nur in Dunkel zu hüllen, nicht zu verbessern. Worauf beruth die Notwendigkeit der Verbindung von Tönen mit Vorstellungen? willkürliche Erfündung zum Zweck der Verständigung soll diese Verbindung ja nicht sein. HERDER hatte sich mit den onomatopietischen [lautmalerischen - wp] Ausdrücken geholfen; aber was für eine wunderliche Aushilfe, auf diese die ganze Sprache zurückzuführen! HAMANN hat es ausgesprochen, daß hier die Schwierigkeit liege, ohne mehr als Spott gegen HERDERs Lösung zu haben. Etwas mehr besagt nur die mystische Hindeutung "auf das Geheimnis der Ehe zwischen so entgegengesetzten Naturen, als der äußere und innere Mensch, oder Leib und Seele." - Doch wir sind genötigt, uns auf die für diesen kurzen Lebensabriß wichtigste Frage zu beschränken, welche Bedeutung die Beschäftigung mit diesen Problemen für den Gedankenkreis HAMANNs hatte. Den ursprünglichen Zustand des Menschen, in dem derselbe in seiner Totalität, als ein Anschauender und Verständiger zugleich, tätig sei, hatte die  Aesthetica in nuce  beleuchtet. Diese Einheit der sinnlichen und geistigen Kräfte schien ihm nun auch in der Entstehung der Sprache wirksam. Aber noch mehr: nicht bloß aus dieser Einheit von Anschauung und Begriff, sondern aus der Vereinigung menschlicher Tätigkeit mit der göttlichen schien sie ihm zu entspringen. Hier war der Punkt, in dem er sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit HERDER entgegensetzte. In das Geheimnis des ersten Verkehrs zwischen Gott und dem Menschen, in welches die mosaische Urkunde nur ein dämmerndes Licht wirft, versenkt er sich mit spielende Ahnungen und Analogien. Einer der ältesten Grundgedanken seiner Mystik war es gewesen, daß die Natur Wort Gottes, die Dinge Abbilder geheimnisvoller Ideen sind. Eine mystische Lösung der eben erwähnten Schwierigkeit von hier aus lag nahe. "Jede Erscheinung der Natur", sagt er in einer jene Urzustände schildernden Stelle, "war ein Wort - das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigeren Vereinigung, Mitteilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen. Alles, was der Mensch am Anfang hörte, mit Augen sah, beschaute und seine Hände betasteten, war ein lebendiges Wort;, denn Gott war das Wort." Weiter als zu solchen dunklen Prophetien über die Sprache ist er nie gekommen. HERDERs entwickeltere wissenschaftliche Ansicht hat er an mehreren Stellen mißverstanden. So wirft er mit der Ansicht vom notwendigen Werden der Sprache, die HERDER entwickelt hatte, die, daß die Sprache eine Schöpfung des Instinkts ist, durcheinander, welche HERDER ausdrücklich ausgeschlossen hatte.


5.

Die Wirkung HAMANNs ist im Großen auf diese Lage des deutschen Geistes eingeschränkt. Dieselbe endete im Verlauf der siebziger Jahre. HERDER und GOETHE schritten dazu fort, den Ertrag der literarischen Revolution mit einem reiferen Ideal des Lebens und mit der unablässig fortschreitenden Wissenschaft zu verknüpfen. Die anderen Dichter des  Sturm und Drang  verloren sich abseits. LAVATER, JACOBI, CLAUDIUS wurden zu einer Fraktion, die sich in einem unfruchtbaren Widerstand erschöpfte. KANTs Vernunftkritik erschien. Allgemein war das Streben nach einer zusammenhängenden Erfassung der Dinge. HAMANN versank in Schweigen.

Die mächtige Wirkung, die jederzeit von dieser außerordentlichen Persönlichkeit ausging, schränkte sich von jetzt ab vornehmlich auf den Kreis derer ein, welche nun von HERDER, GOETHE und KANT abseits das Recht der religiösen Mystik im Zusammenhang des geistigen Lebens aufrechtzuerhalten fortfuhren. Ein vergeblicher Kampf zugleich gegen die Aufklärung und gegen unsere große Dichtung und Philosophie. Schmerzliche Einsamkeit bei LAVATER, JACOBI, CLAUDIUS, HAMANNs große Persönlichkeit allein stand in ihm unerschüttert, leidenschaftslos. Er sagte einmal, ihm genüge von Gott verstanden zu sein. Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, wie sich nun seine regellose mächtige Natur in seinen kleinbürgerlichen Verhältnissen bald behaglich, bald ingrimmig vergrub - und doch immer souverän über ihnen stand.

Es erschienen zunächst wieder einige Schriften von ihm, welche ganz partikulare Verhältnisse behandeln, doch mit dem körnigsten Witz. An den neuen Denkwürdigkeiten, die gegen EBERHARDs  Apologie des Sokrates  gerichtet waren, fand HIPPEL besonderes Gefallen. Vortrefflich ist auch die Apologie des Buchstabens  H,  in welcher er den Rationalismus in der Sprachlehre, hinter demselben aber den philosophischen züchtigt, wie ihm dann die Parallele zwischen Vernunft und Sprache stets nahelag. Diese Schrift liebte KANT besonders und wünschte, daß HAMANN nach dem Stil derselben überhaupt arbeiten möge. Indessen wirkten doch diese und ihnen ähnliche Schriften auf einen so engen Kreis von Freunden und Gesinnungsgenossen, daß es HAMANN schwer wurde, Verleger für seine Flugblätter zu finden. Die schwierige Kürze und die Vermischung der individuellsten Privatgeschicke mit den behandelten Objekten behinderten eine weitere Verbreitung. Ein nicht geringer Teil dieser Anspielungen bezieht sich auf seine 1777 erlangte Stellung. Er war Packhofverwalter in Königsberg geworden. Die Stelle, die seinen Wünschen ganz entsprach, wurde ihm durch die französischen Zollbeamten, unter denen er stand, sehr verleidet. Sein Vorgesetzter war ein französischer Abenteurer, der sich "in Berlin in die Perückenmacherzunft gemeldet haben soll, um das Meisterrecht zu erlangen, abgewiesen wurde und jetzt laut murrt, noch nicht Geheimrat geworden zu sein, weil er im königlichen Dienst soviel von den Einkünften seines Marquisats zugesetzt" hatte. Die Art, wie HAMANN mit den Leuten verhandelte, war nun durchaus nicht geeignet, sie mit ihm zu befreunden; den Inhalt zweier französischer Bittschreiben an dieselben zieht er einmal an HERDER kurz und richtig dahin zusammen, "daß der Teufel über kurz oder lang all die Nichtswürdigen holen würde, die die besten Bissen den Kindern des Landes vor der Nase wegzögen." Seine Einnahme wurde durch die Entziehung der Fooigelder [Nebeneinkünfte der Zollbeamten - wp] beträchtlich verkürzt - die Pfui Pfui im Golgatha spielen hierauf an -; um einen Urlaub, dessen der kränkliche Mann notwendig bedurfte, mußte er jahrelang kämpfen. Seine pekuniäre Lage wurde durch die Erbschaft des Bruders erleichtert, später durch ein sehr bedeutendes Geschenk, das ein westfälischer Gutsbesitzer FRANZ BUCHHOLTZ auf WELLBERGEN, einer aus dem LAVATERschen Kreis, der für HAMANN schwärmte, ihm und seinen Kindern machte. Es wäre ein JEAN PAULs würdiger Gegenstand, das Kleinleben im Hause HAMANNs zu schildern, seine Stube, wo über seinem Bett zwischen LAVATER und KAUFMANN HERDERs Bild hängt, geradeüber zwischen zwei Fenstern ein altmodischer Spiegel und unter demselben ein kleiner Mohrenkopf auf rotem Grund, zwischen zwei Kupferstichen, deren einer den Heiland beim Brotbrechen und der andere die Flucht nach Ägypten darstellt. Eine ganze Wand ist mit Büchern bekleidet. Mitten zwischen ihnen ein Sofa, darüber LUTHERs Bild und ein mißlungenes von HAMANN selber zur Seite. Das Zimmer ist Bibliothek- und Schlafzimmer für ihn und den Sohn und Wohnzimmer zugleich. Nebenan schläft die Hausmutter mit den Töchtern. Und dann das bunte Treiben in der Stube, wenn er mit dem Sohn und einem jungen Freund desselben einen griechischen Autor liest, die älteste Tochter von einem anderen im Klavier unterrichtet wird, wenn sonntags die Stube voll ist von Freunden und Freundinnen, die sich an dem herrlichen Gespräch des Mannes erfreuen. Diese Vereinigung von stiller bürgerlicher Beschränktheit mit Geistes- und Gemütstiefe hat etwas unendlich Rührendes. Wie voll klingt dieser Ton deutschen Gemüts in einigen Stellen von CLAUDIUS' Schriften. "Sollst leben - des Lebens brauchen mit deinem Weib REBEKKA, das du lieb hast, solange du das eitle Leben hast. Dein Hemd und Frack soll ungescholten, das heißt - weiß sein und ganz sein - deinem Haupt Freudenöl nicht fehlen - deinem Garten weder Kohl, noch Obst, noch Erdbeeren - noch Milch deiner Amalthea, die du melken kannst, der sieben natürliche Dinge endlich satt, sollst ruhen in der hohlen Brust deines Freundes Hain, wie in der Schlafkammer des Bräutigams" ...

Wie abgelegen auch Königsberg war, so lebte HAMANN doch in sehr lebendiger Verbindung mit JACOBI, HERDER, LAVATER, MOSER und anderen. JACOBI hatte mit ihm die innigste Freundschaft geschlossen; HAMANN wurde später auch sein Mitkämpfer gegen die Nicolaiten, obgleich er seine Übergeschäftigkeit, wie sie sich in der STARKschen Sache zeigte, und seine Leidenschaftlichkeit im literarischen Kampf mißbilligte. LAVATER wendet sich mit seinen Herzensbedürfnissen, mit seinem Verlangen, "etwas zu haben, das alle Zweifel aufwiegt", an ihn. HAMANNs Antwort ist charakteristisch; "wie der ehrliche Mohr EBEDMELECH unter den alten Lumpen wühlte, hätte ich meine Hausbibel zerreißen mögen, um Ihnen ein Seil des Trostes zuzuwerfen". Auch der wunderliche Apostel des LAVATERschen Christentums, KAUFMANN, erscheint bei ihm. Er bringt die Nacht auf HAMANNs Kanapee abwechselnd ruhend und sich mit ihm unterredend zu. Als er abreiste, war HAMANN "von seinem Umgang so erschöpft, daß er seiner Sinne nicht mächtig war und beinahe eine ganze Woche nötig hatte, um sich zu erholen". Selbst LENZ und PLESSING besuchten ihn.

Mit den achtziger Jahren beginnt für HAMANN eine neue, die letzte Periode seiner schriftstellerischen Entwicklung. Von dem Zeitalter, das mit höchster Spannung den Kämpfen zwischen LESSING, HERDER, KLOTZ gelauscht hatte, war nichts mehr vorhanden. So rasch wechselten damals die literarischen Strömungen. LESSING war gestorben. HERDER hatte sich, wie auch LESSING in seinen letzten Jahren, dem theologischen Gebiet zugewandt. Allgemein war das Bedürfnis nach einer zusammenhängenden Erfassung der Dinge. JACOBI und die Gefühlsschwärmer erhielten es mehr rege, als daß sie es befriedigt hätten. Da erschien die "Kritik der reinen Vernunft". Man kennt ihre ungeheure Wirkung. Natürlich also, daß HAMANN sich mit ihr abzufinden suchen mußte. Ein anderes Zeichen des Zeitalters schien ihm MENDELSSOHNs Schrift "Jerusalem" zu sein. So entstand der Plan, in einer größeren Schrift dem kritischen Zeitgeist gegenüberzutreten. Bei näherem Eingehen schied sich diese in zwei kleinere Schriften.

Über KANTs Werk hat sich HAMANN zweimal ausgesprochen. Einmal ganz zu Anfang und nur flüchtig in einer Rezension der Kr. d. r. V., die er aber aus Rücksicht auf seinen Wohltäter und Freund unterdrückte. Die Metakritik enthält sein reifes Urteil. HUMEs Studium hatte einst HAMANN so lebhaft beschäftigt. Wie er ihn verstand, war dieser von Zweifel in Bezug auf eine wichtige Kategorie zum Zweifel an einer zusammenhängenden Erfahrung überhaupt, von diesem zum Prinzip des Glaubens gelangt. Wie konnte KANT den Konsequenzen HUMEs entrinnen? Mit einer bei einem so unsystematischen Kopf bewundernswerten Hingebung vertiefte er sich in das Werk; aber er war nicht imstande, die Fäden des kunstvollen dialektischen Gewebes unverwirrt festzuhalten. So quält ihn nur der unbestimmte Argwohn, es komme ihm nicht ganz ehrlich vor, daß KANT in sein System das Prinzipium des Glaubens nicht aufgenommen hat. Zugleich plagt ihn der Gedanke an das  principium coincidentiae  [Zusammenfall der Gegensätze - wp] bei GIORDANO BRUNO, ohne daß er imstande wäre, diesen Gedanken weit genug zu verfolgen. In dieser Not entschließt er sich zu einem gewagten Sprung. In einem Brief an JACOBI fährt er nach einer Darstellung der obigen Idee, daß Philosophie zur Erkenntnis der Unwissenheit führe, so fort: "Ich habe aber diese Untersuchung ganz aufgegeben, wegen ihrer Schwierigkeit und halte mich jetzt an das sichtbare Element, an dem Organo und Criterio - ich meine Sprache." "Wenn ich so beredt wie DEMOSTHENES wäre", schreibt er ein andermal dem Freund, "so würde ich doch nicht mehr als ein einziges Wort dreimal wiederholen müssen: "Vernunft ist Sprache:  logos.  An diesem Markknochen nage ich und werde mich zu Tode nagen. Nicht bleibt's finster über dieser Tiefe für mich." So flüchtet er sich aus dem abstrakten Denken, das die "Biederkeit der Sprache in ein sinnloses, läufiges, unbestimmbares Etwas etc. verwandelt" hat, in das Gebiet der Sprache, in der Sinnlichkeit und Verstand, die beiden Stämme der menschlichen Erkenntnis, welche einer gemeinschaftlichen Wurzel entstammen, noch in ihrer Einheit zu finden sind. Er sieht hier "Heere von Anschauungen in die Veste des reinen Verstandes hinauf und Heere von Begriffen in den tiefen Abgrund der fühlbarsten Sinnlichkeit herabsteigen." Er ahnt, er postuliert eine Methode des Philosophierens, die diese Einheit erhielte, aber er kommt auch wieder keinen Schritt über diese Ahnung hinaus. "Es gibt vielleicht noch", sagt er, "einen chymischen Baum der DIANA nicht nur zur Erkenntnis der Sinnlichkeit und des Verstandes, sondern auch zur Erläuterung und Erweiterung beiderseitiger Gebiete und ihrer Grenzen."

Die größere Masse der Gedanken, die er in jener beabsichtigten zusammenfassenden Schrift hatte niederlegen wollen, fiel auf den anderen Teil, der sich mit MENDELSSOHNs "Jerusalem" beschäftigte. Die Schrift besteht aus drei Teilen: einer Widerlegung MENDELSSOHNs, dann der Darstellung der eigenen Ansichten von Religion und Kirche, von Judentum und Christentum, schließlich einer Nachrede. HAMANNs scharfer Witz spielt mit den Stücken des zerstörten Lehrbaus der MENDELSSOHNschen Schrift: die Scheidungen der WOLFFischen Philosophie werden in ihrer ganzen Nichtigkeit gezeigt. Seine positive Darstellung des Wesens der Religion schreitet auf der in der  Aesthetica  betretenen Bahn weiter. Hatte er dort auf den historischen Boden der Offenbarung hingewiesen, so legt er hier den historischen Prozeß, in welchem sich die Offenbarung als Judentum und Christentum vollzieht, auseinander. Auseinanderlegen in eine Geschichte  muß  sich die Religion, weil sich "die himmlische Politik zu dem irdischen Dort und zeitlichen Damals herunterlassen muß, ohne dadurch an ein Hier und Jetzt gefesselt zu sein." Daher es auf Tatsachen, auf Geschichtswahrheiten ankommt. Im  Judentum  erscheint nun zunächst "das sinnliche Vehiculum des Geheimnisses, der Schatten von zukünftigen Geistern." Das Wesen der Geister selbst ist ihm nicht anvertraut. Die Geschichte des jüdischen Volkes ist ein "lebendiges, Geist und Herz erweckendes Elementarbuch aller historischen Literatur." Aber der außerordentliche Geschmack des Volkes an Gesetzgebung und der königliche Luxus darin beweist eine große Unfähigkeit, sich selbst und seinesgleichen zu regieren. Durch die Versündigung des Unglaubens artet das irdische Vehiculum der Gesetzgebung und des Opferdienstes in einen abgöttischen Aberglauben aus. Wie das Judentum durch Unglauben unterging, so ist der ganze neue Inhalt des Christentums Glaube. "Nicht in Diensten, Opfern und Gelübden, die Gott von den Menschen fordert, besteht das Geheimnis der christlichen Gottseligkeit, sondern vielmehr in Verheißungen, Erfüllungen und Aufopferungen, die Gott zum Besten der Menschen getan und geleistet hat."

Die letzte Schrift HAMANNs, der "Fliegende Brief", steht in einem genauen Zusammenhang mit "Golgatha". Ein paar Tage nach einer "Anwandlung der Sterblichkeit" begann er diese Schrift, die das Ende seiner Laufbahn bezeichnen, den Schlüssel für dieselbe gewähren sollte. Sein Gegensatz zu den Berlinern sollte noch einmal prinzipiell, allen unweigerlich klar hingestellt werden. Nie empfand HAMANN wohl stärker die Mängel seiner Manier. "Mein Wurststil macht mir Ekel und Grauen." "Alle dummen Schnörkel müssen fort, und das Ganze muß eine Phalanx sein", eine Tendenz, die auch in den beiden früheren Schriften deutlich hervortritt und dieser letzten Periode HAMANNs von seiten der Form ein eigentümliches Gepräge gibt. Was ihm an KANT und SPINOZA unbezwinglich war, sich anzueignen, war das Ziel andauernder Anstrengung. Dennoch klagt er, er sei vom Weg abgekommen, er wisse nicht, ob er den rechten Punkt getroffen habe. Und wenn wir das Resultat so langer Mühen, die Schrift selber betrachen, haben wir den besten Beweis, wie unmöglich es ihm war, sich zu explizieren, von Prinzipien stetig vorwärtszuschreiten.

Lange schon hatte er sich mit einer Reise zu den Freunden in Westfalen getragen. Als er nun den "Fliegenden Brief" beendet hatte, litt es ihn nicht mehr lange. Schon krank, trat er sie (1787) an. In Münster fand er BUCHHOLTZ. Dort lernte er auch die Fürstin GALITZIN kennen,, deren Lektüre eine ganze Zeit lang allein die Bibel und HAMANNs Schriften gewesen sind, die Freundin von HEMSTERHUIS, eine herrliche Frau. Sie bot alles auf, ihn zu erheitern und zu stärken. Nach einem Aufenthalt in Pempelfort begab er sich dann auf das Gut von BUCHHOLTZ, nach Wellbergen. Die feuchte und niedrige Lage des Schlosses und die Heftigkeit, mit der er sich dort der alten Leidenschaft fürs Lesen ergab, verstärkten seine Krankheit. Schon mit Frühlingsanfang kehrte er nach Münster zurück und dachte mit vieler Sehnsucht an die Heimat. Die Freunde wollten tags zuvor abreisen. Von schrecklichen Ahnungen ergriffen, wünschten sie zu bleiben; aber er litt es nicht. Tags darauf - es war der 20. Juni - stand schon der Wagen vor der Tür, als ein Mißverständnis zum Glück die Abreise einige Stunden verzögerte. FÜRSTENBERG und der Arzt hielten ihn nun zurück. Meist schlummerte er den Tag und die folgende Nacht. Gegen Morgen kam FÜRSTENBERG; er nickte ihm lächelnd zu und gab ihm die Hand. Um 7 Uhr (am 21. Juni 1788) starb er. Die Fürstin, FÜRSTENBERG und die Ärzte waren gegenwärtig. Er hatte nicht mehr zu reden vermocht; aber die Augen nach oben gerichtet hatte er die letzten Stunden gelegen.

Was die Seele seines Lebens gewesen war, hat er selber am schönsten in seiner letzten Schrift ausgesprochen: "Dem König, dessen Name wie sein Ruhm groß und unbekannt ist, ergoß sich der kleine Bach meiner Autorschaft, verachtet, wie das Wasser zu Siloah, das stille geht. Kunstrichterlicher Ernst verfolgte den dürren Halm und jedes fliegende Blatt meiner Muse; weil der dürre Halm mit den Kindlein, die am Markt sitzen, spielend pfiff und das fliegende Blatt taumelte und schwindelte vom Ideal eines Königs, der mit der größten Sanftmut und Demut des Herzens von sich rühmen konnte: hier ist mehr denn Salomo!"
LITERATUR: Wilhelm Dilthey, Johann Georg Hamann, Gesammelte Schriften, Bd. XI, Leipzig und Berlin 1930
    Anmerkungen
    1) Über die Vor- und Nachteile von Frankreich und Großbritannien in Absicht auf die Handlung und andere Quellen der Macht der Staaten.
    2) Der Titel bezieht sich auf eine 1754 herausgekommene Ästhetik in einer Nuß, einer von einem Gottschedianer gegen KLOPSTOCK gerichteten Satire.
    3) Eine kühne Anspielung auf FRIEDRICH den Großen.