ra-2Das Wesen der ReligionBuddhismusDer sittliche Charakter der Heiden    
 
HERMANN OLDENBERG
Die iranische Religion

"Manche unter den alten Göttern haben in der zarathustrischen Lehre auf der Seite des Bösen ihre Stelle gefunden. Ja dasselbe Wort, das in den Veden die allgemeinste Bezeichnung der Götter überhaupt ist, erscheint im Avesta als ebenso allgemeine Bezeichnung für böse Dämonen. Ist es auf den Haß der reformatorischen, einer vergeistigteren Anschauung zustrebenden Priesterkreise gegen das konservative Festhalten am Glauben der alten Zeit zurückzuführen, daß sich dem ererbten Götternamen dieser Makel angeheftet hat? Wie dem auch sei: es kann wohl keinen gleich bezeichnenden Ausdruck für die Tiefe der Kluft geben, die hier Altes und Neues schied, wie jenes Wort, das einst Gott bedeutet hatte und jetzt Teufel bedeutete."

Einleitung.  Kräftiger als in Indien entfaltete sich geschichtliches Leben und die Wucht starker Persönlichkeiten unter den Völkern des Iran. Wie auf politischem Gebiet den kleinen, einander ununterscheidbar ähnlichen altindischen Fürsten die Erscheinung der gewaltigen Achämenidenkönige [altpersisches Großreich von 600 - 400 v. Chr. / wp] gegenübersteht, so trägt auch das religiöse Wesen der beiden Länder die Signatur desselben Gegensatzes. Dort das Göttergewirr des Veda, hier AHURA MAZDA, der allüberragende Gott. Dort die unbestimmt verschwimmenden Gestalten der zahllosen vedischen Sänger, Opferer, Theologen, hier der eine Prophet, der tiefergriffene Träger einer heiligen Mission und starke Streiter ZARATHUSTRA.

Eine Auffassung freilich, die den göttlichen Namen AHURA MAZDAs in allzu enge und ausschließliche Verbindung mit dem menschlichen des ZARATHUSTRA setzte, käme in die Gefahr, der geschichtlichen Wirklichkeit nur zum Teil gerecht zu werden. Übergroße Gestalten wie die ZARATHUSTRAs schieben sich leicht - inbesonders wo eine unzureichende Überlieferung uns die Ereignisse verschwimmen läßt - noch entschiedener, als der Wahrheit entspricht, in den Vordergrund des Bildes. Lägen die geschichtlichen Vorgänge nicht nur in zweifelhaften Spuren vor uns, würde ZARATHUSTRA uns vermutlich nicht als Schöpfer, sondern nur als ein mächtiger Reiniger und Vertiefer des AHURA-MAZDA-GLAUBENs erscheinen - eines Glaubens erwachsen aus jener Naturreligion, die den Ahnen der Inder und Iraner vor ihrer Trennung eigen war. Nicht als der Prophet der Völker Irans würde er dastehen, sondern - zunächst wenigstens - als der Stifter einer iranischen Sekte. Man blicke vom Avesta, den zarathustrischen heiligen Texten, zu den Inschriften der Achämenidenkönige hinüber. Die keilschriftlichen Proklamationen des ersten DARIUS bezeugen mit lapidarer Wucht die Macht des AHURA-MAZDA-Glaubens im persischen Volk. "Ein großer Gott", sagt DARIUS, "ist Ahuramazda, der diese Erde geschaffen hat, der jenen Himmel geschaffen hat, der den Menschen geschaffen hat, der Segen geschaffen hat für den Menschen, der DARIUS zum König gemacht hat, zum alleinigen König über viele, zum alleinigen Gebieter über viele." Und in Formen, die der assyrischen Kunst entlehnt sind, erscheint über der Figur des Königs wie eine himmlische Dublette seines Bildes feierlich und erhaben die geflügelte Gestalt des Gottes. Aber daß der AHURA-MADZA-Glauben des DARIUS und seine Volkes die speziellen Züge an sich trug, die für die ZARATHUSTRA-Lehre charakteristisch sind, darauf deutet in den Inschriften - und ebenso, können wir hinzufügen, im Bericht des HERODOT über die Religion der Perser - nichts mit irgendeiner Bestimmtheit hin und wir dürfen daran zweifeln. Erklangen, als DARIUS herrschte, die Gesänge ZARATHUSTRAs nur erst bei den heiligen Handlungen gewisser Gemeinden oder gewisser Stäme fern von den großen Mittelpunkten des persischen nationalen Lebens? Oder waren die zarathustrischen Tendenzen schon damals bis zu diesen Mittelpunkten durchgedrungen, aber vielleicht nur als esoterischer Besitz von Priesterschulen? Waren es erst Ereignisse späterer Jahrhunderte, die der Lehre des Propheten die geistige Herrschaft über den ganzen Iran verliehen haben? Bis hierher kann man diese Fragen nur aufwerfen, nicht beantworten.

I. Zarathustras Leben.  1. Das Zeitalter ZARATHUSTRAs liegt ähnlich wie das der vedischen Sänger im Dunklen. Namhafte Forscher wollen ihn in die ungefähre Gegend von 600 v. Chr. herabrücken, so daß sein Leben nur um wenige Jahrzehnte dem des KYROS vorangehen oder gar diesem gleichzeitig sein würde. Schwerlich mit Recht. Den Griechen erschien ZARATHUSTRA als einer unermeßlich fernen Vergangenheit angehörig. Sie sprachen von 6000 Jahren vor PLATON oder auch von 5000 Jahren vor dem trojanischen Krieg: Zahlen, die man für eine annähernd der historischen Zeit angehörige Persönlichkeit wohl kaum aufgestellt hätte. Auch der altertümliche Sprachcharakter der zarathustrischen Poesien, ihre in vielen Beziehungen hervortretende Verwandtschaft mit den Veda-Dichtungen, der primitive Kulturzustand, auf den sie hindeuten: all das spricht dafür, daß in der Tat vielmehr um einige Jahrhunderte - Bestimmteres ist nicht erkennbar - über jenen Ansatz hinaus zurückzugehen ist.

Was den Ort von ZARATHUSTRAs Herkunft und Wirken anlangt, so ist gewiß, daß er kein Perser war. Die Zeugnisse deuten zum Teil auf die Länder im Norden und Nordwesten von Persien, zum Teil in den Osten - auf Medien einerseits, Baktrien andererseits. Manches scheint dafür zu sprechen, daß er aus Medien stammte. Aber alte, wichtige Mittelpunkte seiner Gemeinde und die Heimat bedeutender Teile der heiligen Literatur, ja vielleicht die Stätten seines eigenen Wirkens dürften in Baktrien gelegen haben - dort, wo zwischen Gebirge und Wüsten der arische Bauer unter dem schroffen Wechsel sengender Sommergluten und eisiger Winter seine Felder baute und tapfer, wenn auch nicht immer glücklich, sich und seine mühsam erarbeitete Kultur gegen die Überfälle der fruchtbaren von der Wüste her anschwärmenden Reiterstämme verteidigte.

2. In der jüngeren Literatur erscheint das Leben des Propheten in eine überirdische Glorie gehüllt, von Wundern über Wunder umgeben. Als er geboren wird und sein ZARATHUSTRA-Lachen erhebt, jauchzt die ganze Schöpfung des guten Gottes auf; die bösen Geister entfliehen voll Entsetzen. Den zum Mann Herangewachsenen führt ein Erzengel empor zur Lichtwelt. AHURA MAZDAs und seiner himmlischen Heerscharen. Dort empfängt er die Offenbarung der wahren Lehre und die Geheimnisse der Zukunft. Visionen folgen auf Visionen. Auch der Herr alles Bösen nähert sich dem Heiligen und führt ihn in Versuchung. Seiner Predigt werden, nach anfänglichen Fehlschlägen, Triumph über Triumph zuteil. Nach langem, glorreichen Leben findet er schließlich von Feindeshand den Tod. Am Ende aber eines jeden der drei Jahrtausende, welche diese Welt nach seiner Zeit noch zu durchleben hat, wird ein neuer Prophet kommen, aus dem von Geistern behüteten Samen ZARATHUSTRAs erwachsen: als dritter am Ende der Dinge jener SAOSHYANT, der letzte der ZARATHUSTRA-Söhne, der Messias, der das Weltleben zum Ziel ewiger Seligkeit führen wird.

3. Lebendiger und menschlicher als in diesen Legenden stellt sich die Gestalt ZARTHUSTRAs in den ältesten Texten dar, in de  Gathas,  jenen Liedern, in denen das zarathustrische Denken sich in seiner reinsten Ursprünglichkeit zeigt und deren Urheberschaft es nicht zu kühn scheint dem großen Mann selbst und seinen ersten Jüngern zuzuschreiben. Hier ist irdische Wirklichkeit, menschliches Fühlen, von Licht und Schatten umspielt, menschliches Erleben nicht frei von Leid und Sorge. Es erscheint, wenn auch in einem unbestimmten Dämmerlicht, das Bild treuer Freunde, die ZARATHUSTRA umgeben. Da ist der Fürst, der ihn und seine Lehre beschützt, VISHTASPA - derselbe Name, den jener HYSTASPES, der Vater des DARIUS, trug. Die Dichtung frägt: "Zarathustra! Wer ist die ein reiner Freund, hehre Güte gegen dich zu üben? Oder wer trägt Verlangen nach Ruhm?" Und es wird geantwortet: "Das tut er, Kava Vishtaspa am großen Tag. Die du, Mazda Ahura, in demselben Haus vereinigen mögest, die will ich rufen mit des guten Sinnes Worten" Neben VISHTASPA erscheint ein Kreis von vornehmen Männern und auch Frauen, untereinander verbunden durch Freundschaft und Verwandtschaft, durch das Bewußtsein einer gemeinsamen heiligen Pflicht und Arbeit. Doch alle menschliche Genossenschaft, in deren Mitte der Prophet steht, tritt in den  Gathas  zurück vor seinem Verkehr mit Gott und den himmlischen Heerscharen. In ihrer leuchtenden Heiligkeit, ihrer gestaltlosen Geistigkeit nähern sie sich dem Auserwählten. Gott läßt sich von ihm frgen und antwortet ihm; er weiht ihn in die Ordnungen des Geschehens, in die Geheimnisse der letzten Dinge ein. Und ZARATHUSTRA gibt sich in Demut und Zuversicht der Aufgabe hin, die der Höchste ihm auferlegt:
    "Leiden, so scheint mir, bringt unter den Menschen an dich der Glaube,
    Um zu vollbringen, was ihr das Beste mir nennt."
Daß in Wahrheit seinem Leben schwere Geschicke nicht erspart geblieben sind, bezeugen die Klagen, die eins der Lieder erfüllen:
    "In welches Land soll ich mich wenden? Wohin soll ich
    pkatzer mich wenden und gehen?
    Von Verwandten und Freunden trennt man mich.
    Nicht tut mir die Gemeinde Gutes ...
    Noch des Landes böse Herrscher.
    Wie soll ich dir, Mazda Ahura, was dir gebührt, erweisen?"

    "Ich weiß, was es ist, Mazda, warum es mir schlecht geht:
    Daß ich wenig Herden habe und wenige Mannen.
    Dir klage ich es! Sieh du darein, Herr!
    Gewähre mir Hilfe, wie der Freund dem Freunde sie bietet.
    Des guten Sinnes Reichtum lehre mich nach dem Rechte!"
Aber die Sorgen werden überwunden. Des Propheten Wort findet Hörer. Gemessen und eindringlich, voll vom Bewußtsein des unvergleichlichen Gewichts dessen, was er zu sagen hat, wendet er sich an alle Erkenntnisdurstigen:
    "Ich will reden. Nun lauscht mir, nun hört mir zu,
    Die ihr von fern und die ihr von nah Verlangen tragt.
    Jetzt merket auf alles, denn Er ist offenbar.
    Nicht richte zum zweitenmal der Irrlehrer die Welt zugrunde,
    Der böse, der schlechten Glauben mit seiner Zunge bekannt hat."

    "Ich will reden von dem, was in dieser Welt das Erste,
    Was mir verkündet der Wissende, Mazda der Herrscher.
    Die von euch nicht meinem Wort gehorchen werden,
    Wie ich es meine und wie ich es sage,
    Denen gereicht das Ende der Welt zum Elend."
Streitbare Reden voll Haß werden über die Feinde der Verkündigung ergossen. Wie ZARATHUSTRA sich selbst als den Streiter des Guten weiß, so sind sie die Vorkämpfer des Bösen. Gott sei ihre Sünde geklagt! Mit dem Schwert sollen sie unterwiesen werden! Bald möge es sein!

II. Zarathustras Lehre.  Versuchen wir nun von der Lehre ein Bild zu geben, die ZARATHUSTRA und seine Jünger mit so erhabener und leidenschaftlicher Wucht predigten. Wir sehen davon ab, dieser Darstellung eine durchgreifende Scheidung zwischem dem Inhalt der  Gathas  und der jüngeren Texte zugrunde zu legen. Unzweifelhaft gehen von den Vorstellungen, die allein in diesen Texten und nicht in den  Gathas  vorliegen, viele doch in die ältesten Zeiten zurück. Andererseits freilich ist auch die popularisierende Vergröberung gegenüber der hohen Geistigkeit der  Gathas  und die weiter fortgeschrittene priesterliche Systematisierung in den jüngeren Texten unverkennbar. Wir werden auf solche Unterschiede mehrfach im einzelnen hinzuweisen haben.

Die Verkündigung ZARATHUSTRAs ermangelt ganz jener bunten, spielenden, unendlich beweglichen Gestaltenfülle, welche die indische Phantasie über ihre Schöpfungen ergoß. Beständig wird auf das Handeln der Menschen, auf die ernsten Aufgaben des Lebens hingesehen. Die Sphäre der diese Weltbetrachtung entstammt, ist die eines berufsmäßigen Priestertums, aber dieses Priestertum will Erzieher des Volkes sein. Überkommene Vorstellungen der Naturreligion, Gebilde der Mythologie werden selbstverständlich- in den  Gathas  sehr sparsam - von der Vergangenheit übernommen. Aber das alles ist durchgeistigt, unter die mächtige Herrschaft eines großen Grundgedankens gestellt: des weltbeherrschenden Gegensatzes von Gut und Böse.

1. Längst hatte sich dieser Gedanke vorbereitet. Mythen, den Vorfahren der Inder und Iraner gemeinsam, ja mit ihren Wurzeln wohl bis in eine noch tiefere Vorzeit sich erstreckend, hatten vom Kampf segenbringender Mächte mit Dämonen und Ungeheuern erzählt. Die Güter, auf denen die menschliche Existenz beruth, sind ein einem solchen Kampf errungen: die Wasser, das Licht, die nahrungsspendene Kuh. Jetzt aber hat eine gereiftere Auffassung von Welt und Leben die Gedanken, die hier anklingen, geklärt, sie zu einem allumfassenden Zusammenhang erweitert und sie vor allem ethisch verinnerlicht und vertieft. Die einzelnen Güter haben sich für dieses die Wirklichkeit lebensvoll als ein Ganzes begreifende Denken zur Einheit eines Reichs des Guten, der Ordnung zusammengeschlossen. Das Ideal des Guten verwirklicht sich in "Gedanken, Worten und Werken". Es faßt alles Gedeihen, Gesundheit, Reinheit der seelischen wie der physischen Existenz in sich, Erleuchtung von oben und Erkenntnis, Wahrheit und Licht, kräftige Nachkommenschaft und wohlstandschaffende Arbeit. Der fromme und fleißige Bauer, der die Kulturgüter des seßhaften Lebens mehrt, der sorgsam sein Vieh schont und pflegt, ist der rechte Förderr des Guten. Zum irdischen Wohlsein aber fügt sich im Reich des Guten die himmlische Seligkeit, das Eingehen in die "Wohnung des Lobes", wo die Lobgesänge der Frommen erklingen, in das Paradies.

Dieser Welt des Guten, des Lichts steht im Krieg auf Leben und Tod die Welt des Bösen, der Finsternis und Lüge gegenüber. Von Anfang an ist diese Vorstellung in beherrschender Geltung vorhanden, wenn auch ihre Ausgestaltung im einzelnen teilweise erst in den jüngeren Texten erscheint. An diesem großen Kampf nimmt auch das Getier teil, von verborgenen Kräften erfüllt. Der Hahn, der Verkünder des Tageslichts, der Hund, der Beschützer der Herden, streitet auf der Seite des Guten. Die Schlange und der Wolf, die Ameise, die das Getreide raubt, hilft die Welt des Bösen ausbreiten. Von Menschen der Irrlehrer, der Zauberer, die Buhlerin. Ihren Seelen, den Seelen aller Übeltäter und Lügner, wird es im Jenseits übel ergehen. Die Seelen der Verdammten werden ihnen mit schlechten Speisen entgegenkommen, und im Haus der Lüge wird ihre Wohnung sein.

Hart und schroff stellt der zarathustrische Glaube die beiden Heerlager einander entgegen. Hat die Natur, die dieses Volk umgab, der unvermittelte Gegensatz von Hitze und Kälte, der fruchtbaren Gelände und der Wüsten das Denken zu einer solchen Gegenüberstellung angeregt? Vielleicht gingen dartige Wirkungen vielmehr von menschlichen als von Naturverhältnissen aus. Der tiefe, von Bitterkeit durchtränkte Antagonismus der eigenen priesterlichen Gruppe und der rivalisierenden, der Lüge untertan scheinenden Kreise mochte sich wohl über das ganze Weltbild ausbreiten, den leidenschaftlichen Seelen jenen unüberbrückbaren Gegensatz des schlechthin Guten und des schlechthin Bösen erscheinen lassen, der nunmehr alle Gedanken durchdrang und beherrschte.

2. An der Spitze der beiden Weltreiche stehen, wie an der Spitze der irdischen Gemeinwesen, welche ZARATHUSTRA kannte, fürstliche Gebieter. Eine  Gatha  spricht davon, wie sich AHURA MAZDA - oder genauer sein in gewissem Sinn von ihm unterschiedener und doch wieder ihm wesensgleicher heiliger Geist - mit dem bösen Geist unterredet:
    "Und verkünden will ich die beiden Geister am Weltanfang,
    Von denen der Heilige also sprach zu dem Bösen:
    Nicht kann unser Sinn sich vereinen, nicht Lehre noch Denken,
    Nicht unser Glaube, nicht Worte noch Taten,
    Nicht unsere Satzungen, nicht können sich unsere Seelen vereinen."
Der große gute Gott und Schöpfer alles Guten ist AHURA MAZDA "der weise Herrscher". An ihn denkt der Dichter, wenn er frägt: Wer ist des Rechten erster Vater? Wer hat der Sonne und den Sternen den Pfad geschaffen? Wer hält Erde und Luftraum, daß sie nicht niederstürzen? Wer schuf die Morgenröten, Mittage und Nächte, Mahnerinnen dem Verständigen an seine Pflicht?

Bei aller Schärfe des zarathustrischen Dualismus zeigt sich hier ein starker monotheistischer Zug: Gott im vollsten Sinne des Wortes ist doch nur einer, AHURA MAZDA. Er ist der allweise, starke Freund der Guten. Zu ihm und zu seinen Engeln wendet sich ihr Gebet. Er hat ZARATHUSTRA als seinen Propheten den Menschen gesandt. Er wird dereinst den Sieg behalten und allein alles Daseins König sein. Ich haben schon oben Vermutungen erwähnt, die in AHURA MAZDA das Gegenbild des indischen VARUNA sehen und weiter den beiden zugrunde liegenden Gott der Indo-Iraner auf einen ursprünglichen Mondgott zurückverfolgen. Könnte es, wenn diese Annahmen zutreffen, für gewaltigste Wandlungen, durch die das religiöse Denken und die menschliche Gesittung hindurchgegangen ist, ein deutlicheres Wahrzeichen geben als die allmähliche Umformung und Läuterung des tückischen, unheimlich schleichenden himmlischen Zauberers Mond zur Geistigkeit und Majestät des zarathustrischen Gottes?

Der Feind AHURA MAZDAs und alles Guten ist ANGRA MAINJU "der feindliche Geist", Schöpfer und Haupt der ganzen Welt des Bösen, anfanglos wie AHURA. Aber dem Optimismus der ZARATHUSTRA-Lehre erscheint er doch nicht als seinem großen Gegner ebenbürtig. Jener ist der Weiseste; er aber - in den jüngeren Texten tritt dies sehr deutlich hervor - ist töricht; dereinst am Ende der Dinge wird er der höheren Macht des guten Gottes erliegen.

Vom Gefolge der beiden Widersacher steht in den  Gathas  weit voran die Schar der lichten Engel, die AHURA umgeben. In ihrer Siebenzahl - den Höchsten selbst mit eingerechnet - scheinen sie ihrem Ursprung nach den Adityas des Veda zu entsprechen, die gleiche Stelle des uralten mythologischen Fachwerks einzunehmen. In ihrem eigentlichen Wesen sind sie doch von jenen durchaus verschieden. Sie sind unbestimt ineinander verschwimmende Abstraktionen, gesättigt mit himmlischem Lichtglanz, die Erhabenheiten des höchsten Gottes verkörpernd oder auch kaum verkörpernd - der "gute Sinn" und das "beste Recht", die "segensreiche Herrschaft" und die "wohltätige Frömmigkeit", die "Heilsfülle" und die "Unsterblichkeit" - die meisten von ihnen offenbar Geschöpfe priesterlicher Reflexion, nicht des Volksglaubens. Zu ihnen kommen andere Götter und Geister von greifbarerem Wesen, aus ferner vorzarathustrischer Vergangenheit ererbt, wenn sie auch zum Teil, dem engsten, echtesten Gedankenkreis des Zarathustraglaubens ferner stehend, erst in den jüngeren Avesta-Texten in den Vordergrund treten. MITHRA, der uralte Sonnengott, unzweifelhaft eine der hervorrangendsten Gestalten im populären Glauben der iranischen Völker und auch im Kultus der Achämenidenkönige. Dann das Feuer, die Verkörperung lichter Reinheit, der Segenbringer für den Frommen, der es mit Holz nährt, der Töter der bösen Wesen. Die "guten Wasser" und die Seelen der Gerechten: nach uraltem Glauben kommen die Seelen zum Dorf geflogen, um dort gespeist zu werden; sie bringen den Ihren Hilfe in Schlacht und Gefahr; sie wenden ihnen reichliches Wasser zu, damit ihr Gau wachse und gedeihe.

Manche unter den alten Göttern freilich haben in der zarathustrischen Lehre auf der Seite des Bösen ihre Stelle gefunden. Ja dasselbe Wort, das in den Veden die allgemeinste Bezeichnung der Götter überhaupt ist, erscheint im Avesta als ebenso allgemeine Bezeichnung für böse Dämonen  (daeva).  Man hat hierauf - daneben auf den ähnlichen Bedeutungsgegensatz zwischen dem vedischen  asura  (oft = Dämonen) und dem  ahura  des Avesta - die Vermutung gegründet, daß es religiöse Spaltungen gewesen seien, die in fernster Vergangenheit Inder und Iraner zur Trennung voneinander getrieben haben. Diese Ansicht hat sich freilich bei näherer Prüfung als grundlos erwiesen. Späterer Zeit, dem Sonderleben der Iraner werden die Vorgänge angehören, die bei ihnen dem Wort  daeva  seinen feindlichen Sinn mitgeteilt haben. Ist es auf den Haß der reformatorischen, vergeistigterer Anschauung zustrebenden Priesterkreise gegen das konservative Festhalten am Glauben der alten Zeit zurückzuführen, daß sich dem ererbten Götternamen dieser Makel angeheftet hat? Wie den auch sei: es kann wohl keinen gleich bezeichnenden Ausdruck für die Tiefe der Kluft geben, die hier Altes und Neues schied, wie jenes Wort, das einst "Gott" bedeutet hatte und jetzt "Teufel" bedeutete.

3. Ist nun der Kampf gegen alles teuflische Wesen der gewichtigste Inhalt jeglichen Tuns, so liegt darin, daß sich das Verhältnis zwischen Gott und dem Frommen als Bundesgenossenschaft in diesem Kampf darstellen muß. Die  Gathas  sprechen von der seelischen Gemeinschaft mit Gott in Worten voll ehrfürchtiger Ergriffenheit. Gott möge uns die Pfade des guten Geistes lehren, so wird gebetet; mit dem Rechten will die Seele vereint bleiben.
    "Als Gabe gibt Zarathustra des eigenen Körpers Leben
    Und guten Sinnes Bestes dem Mazda. Dem Rechten gibt er
    Des reinen Handelns Bestes und der Rede Gehör und Herrschaft."
Schon dieser Vers spricht aus, daß mit dem Innenleben auch die Energie alles äußeren Tuns Gott gehören soll. Hier wird kein Sichzurückziehen in träge Beschaulichkeit, sondern die Gott wohlgefällige Arbeit dem Einzelnen und dem Volk zur Pflicht gemacht, der Ackerbau, die Pflege reinen Familienlebens und "daß man Übles tue dem Bösen mit Worten oder mit Gedanken oder mit seinen Händen". Bis auf die Tötung schädlicher Tiere, von Ameisen und Schlangen, erstreckt sich diese Pflicht des Frommen. Dem Augenmaß jenes Zeitalters erscheint solches Tun als ein vollwertiger Teil des großen Weltkampfs und hat Anspruch darauf, mit derselben feierlichen Leidenschaft vollbracht zu werden wie das Größte und Heiligste.

Eigentlicher Kultus tritt in den  Gathas  wenig hervor; im Opfer kann der Geist, der hier herrscht, kaum seinen vollen Ausdruck finden. Von gewissen Darbringungen und vor allem von der Verehrung des heiligen Feuers ist doch schon in der ältesten Zeit die Rede. Und die jüngeren Avesta-Texte zeigen, daß auch der Soma im Iran nicht vergessen ist. Freilich ist die Bereitung des "Hamoa" nicht mehr die alte, echte, der wilden Trinklust des Gottes gewidmete Rauschfeier, sondern ein Gewirr von Weihungen und blassen Symbolen: das rechte Bild eines Ritus, der seine Bedeutung verloren hat und doch zu fest gewurzelt ist, um verschwinden zu können. Besonderes Gewicht aber fällt unter den Observanzen des ZARATHUSTRA-Glaubens auf die Vorschriften der Reinheit. Die uralten Anschauungen von der jeden Augenblick drohenden Verunreinigung durch den Angriff böser Geister oder die Berührung mit schädlichen Substanzen, dazu die entsprechenden halb religiös-zauberhaften halb hygienischen Abwehrmaßregeln: dies alles tritt bei den Jüngern des ZARATHUSTRA in eigenartig verstärkter Bedeutung hervor. Mit peinlichster Subtilität behandeln die späteren Texte die Verunreinigungen von Menschen und Erde, von Wasser und Feuer, die Reinigungen durch Weihwasser und durch geweihten Kuhurin, die Entsühnung der Leiche durch den Blick des vieräugigen Hundes (eines Hundes mit zwei Flecken über den Augen), die Reinigung von Wegen durch Hinüberführen eines solchen Hundes. Die Behauptung würde gewagt sein, daß die Denkweise ZARATHUSTRAs selbst und seiner Jünger über solche Sorgen erhaben gewesen sein müsse. Die Grenzen zwischen Gewissenhaftigkeit und Kleinlichkeit zieht das alte religiöse Wesen anders als wir Heutigen. Und für die Zarathustrier sind auch jene Ordnungen der Reinheit, indem sie auf den Sieg des Guten über das Böse hinarbeiten, in den wichtigsten, heiligsten aller Zusammenhänge eingeordnet.

4. Von diesem Sieg, dessen gewisse Erwartung den notwendigen Schlußstein des zarathustrischen Gedankengebäudes bildet, sprechen die  Gathas  kaum anders als in Andeutungen. Eine letzte Entscheidung, vielleicht nahe bevorstehend. Das rote Feuer und der glühende Metallstrom wird ein Gottesgericht vollziehen. MAZDA mit seinem heiligen Geist wird kommen. Den Frommen wird das Heil gehören. Die spätere Zeit malt das Ende der Dinge, das sich jetzt in eine fernere Zukunft hinausschiebt, in bestimmteren Zügen. Der SAOSHYANT, der Heiland, erscheint. Er bringt den Toten die Auferstehung des Leibes. Der Glutstrom durchflammt die Welt. Der ungeheure, siegreiche Entscheidungskampf wird gekämpft. Eine neue Welt ersteht, "frei von Alter und Tod, von Verwesung und Fäulnis, voll ewigen Lebens, voll ewigen Wachsens".

Der AHURA-MAZDA-Glaube, in seinem Ernst und seiner Kraft mit der Seele der Völker des Irans aufs tiefste verwachsen, hat sich in seiner Heimat und den von iranischer Kultur beherrschten Nachbarländern durch lange Jahrhundert fest behauptet. Die wirren Zeiten des auf ALEXANDERs Zug folgenden großen westöstlichen Gemisches der Zivilisationen und Religionen hat er überdauert. Bei der sasanidischen Herstellung des DARIUS-Reiches, des alten Persertums ist er zu neuer Macht und Glanz, wenngleich kaum zu neuem inneren Leben wiedererstanden. Der Islam brachte ihn zu Fall. Aber noch heute bewahren vor allem die nach Indien ausgewanderten Parsis, in Fleiß und Wohlstand hoch über ihre Umgebung hervorragend, treu die edlen Traditionen zarathustrischen Wesens.

Auch über die Grenzen des eigenen Herrschaftsgebietes hinaus haben sich die Einwirkungen der Religion MAZDAs erstreckt. Die jüngeren Teile des Alten Testaments bewahren, scheint es, in der Ausgestaltung der Vorstellungen von den Engeln, dem Satan, vielleicht auch von der Auferstehung die Spur bedeutsamer Einflüsse des Perserglaubens. Freilich um in den Okzident dringen zu können, mußte dieser Glaube fremden Ideenwelten den Eingang gestatten. Wenn durch die Weiten des römischen Reiches der Mysterienkult, der sich an den Namen MITHRAs knüpfte, wenn MANIs tiefsinnige Lehre von der Läuterung des Lichts aus dem Kerker der Finsternis in Orient und Okzident unberechenbaren Erfolgen nah zu kommen schien, so sind das nicht mehr Siege des MAZDA-Glaubens gewesen. Die völkerbezwingende Genialität der Weltreligionen war diesem nicht eigen.
LITERATUR Hermann Oldenberg, Die iranische Religion in PAUL HINNEBERG (Hg), Die Kultur der Gegenwart - Die orientalischen Religionen, Berlin und Leipzig 1906