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HERMANN ULRICI
Das Wesen der logischen Kategorien
[Mit einigen Abkürzungen vorgetragen in der ersten
Philosophen-Versammlung zu Gotha am 24. September 1847]

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"Denn das Urteil ist ja nur die Subsumtion eines Einzelnen oder Besonderen unter sein Allgemeines, d. h. unter seinen Begriff. Zu Begriffen, d. h. zu objektiven, das reelle Allgemeine ausdrückenden Gedanken kommen wir aber nur, indem wir nach Anleitung der Kategorien die Dinge voneinander unterscheiden."

"Es ist nicht die Kategorie der Quantität noch ihr Schema die Zahl, nicht die Kategorie der Einheit oder Einzelheit, mittels deren ich diesen Bogen Papier als ein Ding fasse, d. h. die Mannigfaltigkeit der Perzeptionen: weiß, glatt, viereckig, biegsam, dünn etc. zur Einheit zusammenfasse, sondern dadurch daß ich den Begriff "Papier" bereits habe, wird die Wahrnehmung dieses Dings unmittelbar zu jenem Urteil, in welchem ich dieses Ding zur Einheit verknüpfe."

"Kants Voraussetzung, daß uns die Sinne nichts vom Ding-ansich und dessen objektiver Beschaffenheit, sondern nur eine chaotische Masse subjektiver Empfindungen, Perzeptionen, Wahrnehmungen zuführen, müssen wir für eine bloße, unbewiesene Voraussetzung erklären, die ansich nicht mehr Recht und Gültigkeit hat als die gerade entgegengesetzte Annahme, daß der Begriff die Sache selbst, Denken und sein ansich identisch sind. Und demgemäß müssen wir dann auch die Ansicht Kants, daß die Kategorien nur von subjektiver Bedeutung, nur Formen der Spontaneität unseres Erkenntnisvermögens, nur in unserem Verstand a priori bereit liegende Begriffe sind, als eine unbegründete Voraussetzung zurückweisen."

Die Frage nach dem Wesen der logischen Kategorien greift so tief in die Natur der menschlichen Erkenntnis und damit in das Verhältnis zwischen Denken und Sein und damit in den Kern der ganzen philosophischen Weltanschauung ein, daß sie zu den Lebensfragen der Philosophie gehört. Wo diese Frage wieder lebendig geworden ist, da darf man annehmen, daß die Philosophie sich gleichsam in Geburtswehen befindet, daß sich zumindest in ihrem Entwicklungsgang ein neuer Knotenpunkt ansetzen will. Es ist daher eines der wenigen für die Philosophie erfreulichen Zeichen der Zeit, daß dieses Problem zunächst infolge des Kampfes um und über das HEGELsche System, wieder rege geworden ist, und wenn auch noch nicht - wie es sollte - in den Vordergrund des philosophischen Interesses getreten ist, doch alle tiefer Blickenden still und ernst beschäftigt. - Orientieren wir uns daher zuvörderst über den gegenwärtigen Stand der Sache.

Die herrschenden Ansichten vom Wesen der logischen Kategorien dürften, wenn man von unwesentlichen Differenzen und einzelnen Modifikationen, kurz: von allen Detailbestimmungen absieht und nur das Allgemeine ins Auge faßt, etwa folgende sein:

1. Noch aus der vorkantischen Zeit schreibt sich die Ansicht her: die Kategorien sind die allgemeinen Prädikamente oder Prädikabilien, d. h. das Ganze derjenigen Begriffe, unter welche alles, was von einem (ideellen oder reellen) Objekt sich möglicherweise prädizieren läßt, wie das Einzelne unter sein Allgemeines subsumiert werden kann und muß. Diese Ansicht, von der die Kategorien ihren Namen haben und die bis auf KANT die allgemein herrschende war, geht bis auf ARISTOTELES zurück. Er, der Vater der Logik, ging, wie TRENDELENBURG vortrefflich gezeigt hat, bei seinem Entwurf der Kategorien, dem ersten, den die Geschichte der Philosophie kennt, von grammatischen Betrachtungen aus. Der grammatische Satz mit seinen drei Gliedern, Subjekt, Kopula und Prädikat, der sich logisch zum Urteil gestaltet, war ihm der Grundtypus, die allgemeine Form aller Erkenntnis, d. h. das Grammatische war ihm zugleich Ausdruck des Logischen und umgekehrt. Indem er nun darauf reflektierte, daß der ganze Inhalt unserer Wissenschaft von den Dingen aus lauter Sätzen oder Urteilen besteht, so ergab sich ihm von selbst, daß sich alle unsere Gedanken, Vorstellungen, Begriffe in zwei große Klassen einteilen lassen: nämlich in solche, welche im Satz oder Urteil ihrer Natur nach die Stelle des Subjekts, und in solche, welche die Stelle des Prädikats einnehmen. Als Subjekt ließ er aber nur dasjenige gelten, das seiner Natur nach nicht von irgendeinem Andern prädiziert werden, also niemals die Stelle eines bloßen Prädikats erhalten kann, also das ansich Selbständige, Für-sich-seiende, In-sich-Abgeschlossene; ein Solches ist jedes einzelne Ding - dieser Tisch, diese Feder, dieser Mensch: alle einzelnen, für sich seienden Dinge waren ihm also die möglichen Subjekte aller möglichen Urteile und traten ihm als solche logisch unter einen Begriff zusammen, den er mit dem ousia oder auch to ti einai bezeichnete, und der ganzen zweiten Klasse, die sich unter den Begriff des Prädikats zusammenfaßt, gegenüberstellte. Nun zeigte sich ihm aber weiter, daß das Subjekt im Urteil immer nur eines ist, sei es ein einzelnes Ding oder eine Gattung, eine zur Einheit zusammengefaßte Mannigfaltigkeit von Dingen, daß dagegen an der Stelle des Prädikats eine ansich unbeschränkte Vielheit von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Begriffen stehen kann. Es kam folglich darauf an, zu untersuchen, ob sich diese Vielheit nicht auf gewisse Gattungen oder Arten zurückführen, nicht in gewisse Klassen oder Ordnungen einteilen läßt. ARISTOTELES stellte diese Untersuchung an, und fand, daß sie neun verschiedene Arten von Prädikaten unterscheiden lassen oder was dasselbe ist, daß alle möglichen Prädikate, die einem Subjekt beigelegt werden können, entweder ein ousia oder ti esti (z.B. Mensch, Pferd), poson (z.B. zwei, drei Ellen lang), poion (z.B. weiß, grammatisch), pros ti (z.B. doppelt, halb, größer), pou (z.B. im Lyceum, auf dem Markt), pote (z.B. gestern, im vorigen Jahre), keisthai (z.B. liegt, sitzt), echein (z.B. ist beschenkt, bewaffnet), poiein (z.B. schneidet, brennt), paschein (z.B. wird geschnitten, gebrannt) ausdrücken. Dies sind die neun eigentlichen Kategorien oder Prädikamente des ARISTOTELES, welche als die Gattungsbegriffe der Prädikate dem logischen Begriff des Subjekts oder der Kategorie der ousia gegenüberstehen und mit letzterer zusammen die zehn ursprünglichen aristotelischen Kategorien bilden. Ob die fünf sogenannten Postprädikamente später von ihm selbst hinzugefügt und ob also 10 oder 15 aristotelische Kategorien anzunehmen sind, können wir dahingestellt sein lassen, da es uns nur auf den Begriff der Kategorie überhaupt ankommt.

Diese grammatisch-logische Ansicht vom Wesen der Kategorien leidet zunächst an dem Übelstand, daß nach ihr, wie von selbst einleuchtet, die Kategorie der ousia, des Wesens, der Substanz, des Dings überhaupt, in Wahrheit keine Kategorie sein kann. Denn Ding, Wesen, Substanz ist offenbar kein Prädikatbegriff, nichts Prädikables oder Adjektivisches, das sich einem Gegenstand beilegen ließe, sondern immer der Gegenstand, die Sache selbst. Und doch wird jeder anerkennen, daß Wesen, Substanz mit ihren Korrelatbegriffen Erscheinung, Modifikation, Akzidenz unentbehrliche Kategorien sind. Noch weniger kann nach dieser Ansicht der Begriff selber unter die Kategorien gezählt werden. Und doch ist wiederum der Begriff im logischen Sinn sicherlich eine Kategorie. Endlich stehen nach dieser Ansicht, welche die Kategorien aus den bereits fertigen, alle Erkenntnis in sich schließenden Urteilen erst resultieren läßt, die Kategorien als willkürliche, von der subjektiven Reflexion gebildete Abstrakta ganz gleichgültig neben dem Prozeß des menschlichen Erkennens wie neben der Tätigkeit der Natur und ihres Schaffens und Bildens; sie haben weder für uns und die Natur unseres Denkens noch für die Natur der Dinge außerhalb von uns, weder einen subjektiven noch einen objektiven Wert: es erscheint vielmehr ganz zufällig, daß die Vielheit der möglichen Prädikate der Dinge sich unter so und so viele Klassen oder Gattungsbegriffe subsumieren läßt. Und doch ist es gewiß, daß das Urteil, welches nach dieser Ansicht das Schema, die Quelle und Voraussetzung für die Bildung der Kategorien sein soll, selbst nur erst mit Hilfe der Kategorien zustande kommt, daß also vielmehr die Kategorien und ihre wenn auch unbewußte Anwendung die Voraussetzung allen Urteilens sind. Denn das Urteil ist ja nur die Subsumtion eines Einzelnen oder Besonderen unter sein Allgemeines, d. h. unter seinen Begriff. Zu Begriffen, d. h. zu objektiven, das reelle Allgemeine ausdrückenden Gedanken (im Unterschied vom logischen Begriff), kommen wir aber nur, indem wir nach Anleitung der Kategorien die Dinge voneinander unterscheiden.

Nichtsdestoweniger trägt die aristotelische Ansicht einen unverwüstlichen Kern der Wahrheit in sich und zieht sich eben darum unwillkürlich durch die übrigen herrschenden Auffassungsweisen hindurch. Die Kategorien sind allerdings Kategorien, allgemeine Prädikamente; den Dingen kommt allerdings Qualität, Quantität, Zeitlichkeit, Räumlichkeit, Kausalität, ja Dingheit, Wesenheit, Substanzialität zu. Aber diese Bestimmung der Kategorien ist nicht ihr Wesen selbst, sondern, wie wir sehen werden, nur eine Konsequenz, ein Moment ihres Wesens und Begriffs; und den Dingen kommt Qualität, Quantität etc. nicht darum zu, weil diese Begriffe die abstrakten Art- oder Gattungsbegriffe sind, unter die sich alle möglichen Prädikate der Dinge subsumieren lassen, sondern darum, weil die Dinge selbst nur vermöge der Kategorien sind, was sie sind.

Neben der aristotelischen Ansicht dürfte

2. die kantische Auffassung, wenn auch mannigfaltig modifiziert, noch immer eine erhebliche Zahl von Anhängern haben. KANT leitet bekanntlich die Kategorien aus den verschiedenen Arten der Urteile oder aus den "logischen Funktionen in allen möglichen Urteilen" ab, und gründet letztere selbst wiederum auf die spontane Tätigkeit unseres Erkenntnisvermögens, durch welche es dem Mannigfaltigen der Anschauung oder vielmehr der durch die Einbildungskraft vollzogenen Synthesis desselben "Einheit gibt". Unser Denken überhaupt ist nach ihm nichts anderes als "Vorstellungen in einem Bewußtsein vereinigen". Diese Einheit des Selbstbewußtseins oder wie er sie nennt: die "synthetische Einheit der Apperzeption", das "Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können", liefert ihm den apriorischen Begriff der Einheit, mittels dessen allein eine Synthese von Vorstellungen möglich ist, und ist ihm also die apriorische, ursprüngliche, allen möglichen Synthesen vorhergehende, ihre Voraussetzung bildende Einheit.
    "Alle Urteil sind nun aber Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, indem statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht wird";
alles Urteilen ist daher näher zugesehen, nichts anderes als "die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen". Aber unter den Urteilen gibt es verschiedene Arten, oder was dasselbe ist, es gibt verschiedene Funktionen der Urteilskraft, verschiedene Weisen der Tätigkeit, durch die der Verstand im Urteilen (der urteilende Verstand) das Mannigfaltige der Wahrnehmung zur objektiven Einheit der Apperzeption bringt. KANT unterscheidet daher - mittels der Reflexion auf die mannigfaltigen im Bewußtsein tatsächlich gegebenen Urteile - zwölf solcher verschiedenen Arten der Urteile: nämlich die allgemeinen, besonderen, einzelnen; die bejahenden, verneinenden, unendlichen; die kategorischen, hypothetischen, disjunktiven; und die problematischen, assertorischen und apodiktischen Urteile. Diese 12 lassen sich wiederum unter 4 "Titel" bringen, in vier Klassen oder Gattungen einordnen, indem alle Urteile nach Quantität, Qualität, Relation und Modalität voneinander verschieden sind, und je drei von jenen zwölf immer die bestimmte Art und Weise dieser Verschiedenheit ausdrücken (die drei Arten der allgemeinen, besonderen und einzelnen Urteile z. B. bezeichnen die bestimmte Art und Weise, wie die Urteile in Bezug auf ihre Quantität sich voneinander unterscheiden usw.). Durch diese 12 Arten von Urteilen oder Funktionen des urteilenden Verstandes ist nach KANT "der Verstand völlig erschöpft, sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen". In jeder derselben ist nun aber einer der ursprünglichen "Stammbegriffe des Verstandes" oder reinen Verstandesbegriffe tätig: er ist es, der die Art des Urteils zu dem macht, was sie ist und das Eigentümliche der in jeder Art (als einem Ganzen von Urteilen) zum Vorschein kommenden Einheit ausdrückt, indem er eben den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil erst eine Einheit gibt. Diese reinen Verstandesbegriffe sind die Kategorien. Folglich muß es gerade so viel, nicht mehr und nicht weniger, Kategorien geben, als es Arten der Urteile oder logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gibt; und den 12 Arten der Urteile entsprechen daher notwendig 12 Kategorien, nämlich
    1) die drei Kategorien der Quantität: Einheit, Vielheit, Allheit;

    2) die der Qualität: Realität, Negation, Limitation;

    3) die der Relation: Substanz und Akzidenz, Ursache und Wirkung, Wechselwirkung, und

    4) die der Modalität: Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein, Notwendigkeit und Zufälligkeit.
Sehen wir ab von dieser offenbar ungenügenden Art und Weise, wie KANT seine sogenannten reinen Verstandesbegriffe aus den Arten der Urteile ableitet (ohne doch von letzteren selbst nachgewiesen zu haben, daß es eben ur diese 12 und keine anderen, nicht mehr und nicht weniger sein können), lassen wir außer Betracht den großen Übelstand, daß er seine reinen Verstandesbegriffe hinterher erst wieder noch mittels des sogenannten Schemas mit dem Mannigfaltigen der reinen Anschauung und der empirischen Wahrnehmung zusammenbringen muß, so wie die ebenfalls sehr ungenügende Art und Weise, wie er dies tut; suchen wir uns vielmehr nur möglichst klar zu machen, von welcher Grundanschauung KANT bei seiner Auffassung der Kategorien geleitet wurde, so werden wir finden: Nach KANT wird uns der objektive Inhalt unseres Bewußtseins, der Stoff dessen, was wir unsere Erkenntnis von den Dingen nennen, durch die Sinne zugeführt. Allein dieser Inhalt, dieser Stoff besteht ansich in einem Chaos, in einer "Rhapsodie" mannigfaltiger Empfindungen und Perzeptionen. Die Verbindung, der Zusammenhang, die Ordnung derselben ist eine spontane Tat, eine subjektive Zutat unseres Erkenntnisvermögens. Dieses Geschäft seinem allgemeinen Begriff nach als ein bloßes Verknüpfen oder Synthetisieren eines Mannigfaltigen gefaßt, vollzieht die Einbildungskraft; "die Synthesis überhaupt ist die bloße Wirkung dieser blinden obwohl unentbehrlichen Funktion der Seele" (Kr. d. r. V., Seite 76); unser spontanes Erkenntnisvermögen ist daher insofern zunächst und ganz im Allgemeinen Einbildungskraft und letztere nichts anderes als die verbindende Tätigkeit unseres Erkenntnisvermögens. Aber diese Tätigkeit vollzieht ihr Geschäft nicht rein willkürliche, sondern verfährt bei ihrer Verbindung nach gewissen allgemeinen Verbindungsformen oder Weisen, die in ihr selber a priori liegen und ihr Tun bestimmen, gesetzlich bestimmen, so daß sie ihnen gemäß verfahren muß. Diese Formen sind
    1) die Formen der reinen Anschauung oder die allgemeinen Verbindungsweisen unseres Erkenntnisvermögens, soferns es Anschauungsvermögen ist: der Raum und die Zeit; der Raum als die allgemeine Verbindungsweise, nach welcher das Mannigfaltige gleichsam in einen gemeinsamen nach allen Seiten ins Unendliche ausgedehnten Rahmen eingefügt, nach dessen drei Dimensionen aneinander gereiht und damit als ein ruhiges Nebeneinander angeschaut wird; die Zeit als die allgemeine Verbindungsweise, vermöge deren das Mannigfaltige unserem Geist in einem allgemeinen Rhythmus der Aufeinanderfolge, des Wechsels, der Veränderung, begriffen erscheint. Wir können überhaupt nichts anschauen, ohne es im Raum und in der Zeit anzuschauen, d. h. ohne es als einen Inhaltsteil jenes allgemeinen Rahmens, als ein Moment dieses allgemeinen Rhythmus zu fassen. Darum sind Raum und Zeit die allgemeinen, a priori in unserem Erkenntnisvermögen bereit liegenden Formen der Anschauung, ohne welche das Anschauen selbst unmöglich wäre. Ebenso aber gibt es

    2) gewisse notwendige Formen oder gesetzliche Verbindungsweisen des Verstandes, ohne welche das Verstehen unmöglich wäre. Im Verstand nämlich liegen a priori gewisse Begriffe bereit, welche unser Erkenntnisvermögen wiederum unwillkürlich, nach einer inneren Notwendigkeit anwendet und in deren Anwendung es eben Verstand ist. Diese Begriffe sind es, welche der durch die Einbildungskraft vollzogenen Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung (und damit des Raums und der Zeit) erst "Einheit geben", so daß demgemäß das Mannigfaltige nicht mehr bloß durch das ihm äußerliche, gleichgültige Neben- und Nacheinander verknüpft erscheint, sondern innerhalb des Raums und der Zeit gewisse Kreise, Verhältnisse, Ordnungen sich bilden, in die das Mannigfaltige zusammengefaßt wird, von denen also jede ein Mannigfaltiges unter sich begreift und es als ein in sich Einiges von Anderem unterscheidet.
Diese Begriffe, die zum Bewußtsein, zur Vorstellung gebracht, selbst nur "in der Vorstellung der (durch sie hervorgebrachten) notwendigen synthetischen Einheit bestehen, sind die KANT demgemäß die "Stammbegriffe des Verstandes" oder "die reinen Verstandesbegriffe" nennt. Die reine Synthesis der Einbildungskraft (die, obwohl eine unentbehrliche Funktion, "ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden", doch ansich "noch keine Erkenntnis gibt") auf diese "Begriffe zu bringen", ist die Funktion des Verstandes, "wodurch er uns allererst die Erkenntnis in der eigentlichen Bedeutung verschafft".

Sonach würde es also, wenn wir KANT recht verstehen, nach ihm z. B. die Kategorie der Einheit oder vielmehr der Einzelheit (die erste unter den Kategorien der Quantität) sein, mittels deren wir das Ding, trotz seiner mehreren verschiedenen Eigenschaften, doch als ein Ding fassen, d. h. es würde der reine Verstandesbegriff der Einzelheit sein, welcher den mannigfaltigen Empfindungen, Perzeptionen, Wahrnehmungen, in denen unsere Kenntnis vom Ding und damit im Grund das Ding selbst für uns (als Erscheinung) besteht, erst Einheit gibt, welcher also bewirkt, daß wir diese mannigfaltigen Perzeptionen nicht als ein Mannigfaltiges, Vieles, sondern vielmehr als ein einzelnes Ding vorstellen. Ebenso faßt der Verstand mittels der Kategorie der Vielheit - z. B. im Urteil: "Einige Menschen sind gelehrt" - ein Mannigfaltiges unter einen Gesichtspunkt, in einen Kreis oder Ordnung zusammen und scheidet es von Anderem derselben Gattung aus. Und mittels der Kategorie der Allheit - z. B. im Urteil: "Alle Menschen sind sterblich" - faßt der Verstand eine Vielheit selbst unmittelbar als Einheit: denn die Allheit ist nach KANT "nichts anderes als die Vielheit als Einheit betrachtet" und "entspringt aus der Verbindung der Vielheit mit der Einheit". Aus diesen Beispielen ersieht man zugleich, wie KANT es meinte, wenn er behauptete,
    "dieselbe Funktion, welche der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit gibt, die gibt auch den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil Einheit."
Betrachten wir nun diese kantische Ansicht mit kritischem Auge, so müssen wir zunächst behaupten, daß es unmittelbar weder die Kategorien noch die sie mit der Anschauung verknüpfenden sogenannten Schemata sind, die jene Einheit in unsere Vorstellung bringen, oder nach KANTs Ausdruck, sowohl der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung als auch den verschiedenen Vorstellungen im Urteil "Einheit geben". Es ist nicht die Kategorie der Quantität noch ihr Schema die Zahl, nicht die Kategorie der Einheit oder Einzelheit, mittels deren ich diesen Bogen Papier als ein Ding fasse, d. h. die Mannigfaltigkeit der Perzeptionen: weiß, glatt, viereckig, biegsam, dünn etc. zur Einheit zusammenfasse, noch ist es die Kategorie der Wechselwirkung, durch die ich etwa die Glieder meines Körpers als Teile eines Ganzen fasse. Diese Einheit, diese Ganzheit ist vielmehr unmittelbar in der Anschauung selber gegeben, und es bedarf daher keines reinen Verstandesbegriffs, um sie erst herzustellen. Ebensowenig ist es die Kategorie der Vielheit in dem Urteil: "Einige Menschen sind gelehrt" noch die Kategorie der Allheit in dem Urteil: "Alle Menschen sind sterblich", durch die ich den verschiedenen Vorstellungen in jedem dieser Urteile eine Einheit gebe. Sondern es ist der Begriff: Gelehrt, Sterblich, und sein Verhältnis zum Begriff: "Mensch" wodurch jene Einheit gegeben ist. Ebenso verhält es sich mit den übrigen Kategorien: es ist ebensowenig die Kategorie der Qualität noch ihr Schema, wodurch ich in dem Urteil: "dieses Ding ist rot" einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungen eine Einheit gebe, sondern dadurch daß ich den Begriff "rot" bereits habe, wird die Wahrnehmung dieses Dings unmittelbar zu jenem Urteil, in welchem ich dieses Ding mit allen übrigen roten Dingen zur Einheit verknüpfe. - Freilich aber geschieht es nur mittels der Kategorien, daß ich überhaupt zur Anschauung dieses Bogens Papier oder meines Körpers, daß ich zu den Begriffen Mensch, Gelehrt, Sterblich, Rot komme, kurz: nur mittels der Kategorien, - freilich nicht in ihrer kantischen, sondern in ihrer wahren Bedeutung - haben wir überhaupt verschiedene Vorstellungen. Denn nur indem ich diesen Bogen Papier gemäß der Kategorie der Qualität, Quantität, Relation etc. von anderen Dingen unterscheide, bildet sich mir die Anschauung oder Vorstellung dieses Bogens; und nur indem ich gemäß der Kategorie des Begriffs die Menschen als durch wesentlich identische Unterschiede auf wesentlich identische Weise von allen Tieren, Pflanzen etc. unterschieden fasse, entsteht mir der Begriff Mensch.

Wir müssen sonach bestreiten, daß die Stellung, die KANT den Kategorien gibt, die richtige ist. Wir müssen behaupten, daß die kantische "Erklärung" der Kategorien, wonach sie "Begriffe sind von einem Gegenstand überhaupt, dadurch dessen Anschauung, in Anbetracht einer der logischen Funktionen zu urteilen, als bestimmt angesehen wird", ebenso unklar wie einseitig ist, indem wir bestreiten müssen, daß die Kategorien zur Urteil bildenden Funktion des Verstandes in einer ausschließenden oder auch nur näheren Beziehung stehen als zu der die Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe überhaupt bildenden Tätigkeit des Geistes. Eben darum müssen wir behaupten, daß die Kategorien nicht bloß in den logischen Funktionen zu urteilen sich abbilden und nur aus ihnen abzuleiten sind, sondern daß sie, wie sie der Gesamtheit unserer Anschauungen, Vorstellungen und Begriffe als Bedingungen der Entstehung derselben zugrunde liegen, so auch nur in uns mittels einer Darlegung der Genesis unserer Anschauungen, Vorstellungen und Begriffe überhaupt deduziert werden können. Wir müssen daher weiter der kantischen Trennung des Anschauungsvermögens von der Verstandesfunktion absprechen, und demgemäß den nur wegen dieser angeblich vorhandenen Trennung eingeführten "Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" für überflüssig halten. Und da diese Trennung zusammenfällt mit der Absonderung der in den Sinnen sich darstellenden Rezeptivität und Passivität von der als Einbildungskraft und Verstand sich darstellenden Spontaneität und Aktivität unseres Erkenntnisvermögens, oder was dasselbe ist: des durch jene gelieferten Stoffes von der durch diese hervorgebrachten Form unserer Erkenntnis, so können wir auch diese Absonderung nicht gelten lassen. Sie beruth aber wiederum nur auf der Voraussetzung KANTs, daß uns die Sinne nichts vom Ding-ansich und dessen objektiver Beschaffenheit, sondern nur eine chaotische Masse subjektiver Empfindungen, Perzeptionen, Wahrnehmungen zuführen. Allein diese Voraussetzung müssen wir für eine bloße, unbewiesene Voraussetzung erklären, die ansich nicht mehr Recht und Gültigkeit hat als die gerade entgegengesetzte Annahme, daß der Begriff die Sache selbst, Denken und sein ansich identisch sind. Und demgemäß müssen wir dann auch die Ansicht KANTs, daß die Kategorien nur von subjektiver Bedeutung, nur Formen der Spontaneität unseres Erkenntnisvermögens, nur in unserem Verstand a priori bereit liegende Begriffe einer notwendigen synthetischen Einheit unserer Vorstellungen sind, als eine unbegründete Voraussetzung zurückweisen.

Nichtsdestoweniger trägt auch KANTs Ansicht, soweit sie rein das Wesen der Kategorien betrifft, - abgesehen also von der Ableitung derselben wie von der Stellung und Bestimmung, die ihnen KANT gibt - einen Kern der Wahrheit in sich, der nur von den ihn verhüllenden Schalen der kantischen Erkenntnistheorie befreit zu werden braucht, um den entschiedenen Fortschritt, den die Lehre von den Kategorien durch KANT getan hat, klar hervortreten zu lassen. Allerdings sind die Kategorien nicht bloß die allgemeinen Gattungsbegriffe aller möglichen Prädikate der Dinge; allerdings sind sie es vielmehr, mittels deren nicht nur überhaupt der Inhalt unseres Bewußtseins seine Bestimmtheit erhält und daher unsere Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe überhaupt erst zustande kommen, sondern mittels deren auch insbesondere in den Inhalt unseres Bewußtseins, d. h. in die Mannigfaltigkeit unserer Vorstellungen erst Einheit, Ordnung, Zusammenhang kommt, so daß nur kraft ihres in unserer Denktätigkeit immanenten Waltens unser Bewußtsein ein menschliches, vernünftiges oder wenn man lieber will, verständiges Bewußtsein ist. Diese Bedeutung der Kategorien hat KANT richtig erkannt, und nur die Art und Weise, wie die Kategorien tätig sind, um diese Einheit und Ordnung herzustellen, - eine Tätigkeit, aus der freilich jene ihre Bedeutung erst resultiert und die, wie wir sehen werden, nicht nur über unser Denken und Bewußtsein, sondern sich auch über die Realität und Objektivität der Dinge erstreckt, - ist ihm entgangen und mußte ihm entgehen, weil er sich durch die allgemeinen Voraussetzungen seiner Erkenntnistheorie, durch jene Trennungen und Absonderungen, von vornherein gleichsam den Zugang dazu versperrt hatte.

FICHTE (in der "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre und SCHELLING (im "Transzendentalen Idealismus") unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Auffassung der Kategorien nur dadurch von KANT, daß sie, zwischen den reinen Formen der Anschauung (Raum und Zeit) und den Stammbegriffen des Verstandes keinen bestimmten Unterschied machend, beide vielmehr als die allgemeinen Bestimmungen des Verhältnisses zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich aus der reinen Tätigkeit des reinen Ich hervorgehen lassen. Der Begriff, die logische Bedeutung der Kategorien bleibt also im Wesentlichen dieselbe wie bei KANT: sie sind die aus der Natur des reinen Ich, d. h. aus der reinen Tätigkeit des Denkens sich ergebenden allgemeinen Formen, in denen das Mannigfaltige des Nicht-Ich in Verhältnis gesetzt wird zur Einheit des Selbstbewußtseins, in denen und mittels deren also implizit das Mannigfaltige des Nicht-Ich selbst zur Einheit zusammengefaßt wird. Nur darin könnte eine Abweichung von KANTs Ansicht zu liegen scheinen, daß durch die Kategorien, sofern sie die Grundverhältnisse des Ich und Nicht-Ich bestimmen, zugleich Ich und Nicht-Ich selbst bestimmt werden, und somit sich die Kategorien zugleich als die ersten ursprünglichen Prädikatsbegriffe des Ich und Nicht-Ich, als die allgemeinen Prädikamente darstellen. Allein sofern die kantischen Kategorien, z. B. der Quantität, der Synthese des Mannigfaltigen der Anschauung Einheit geben, so kommt eben damit auch nach KANT dem Mannigfaltigen Quantität zu, d. h. auch nach KANT sind die Kategorien implizit die allgemeinen Prädikamente. - Die Art, wie FICHTE und SCHELLING die Kategorien aus der reinen Tätigkeit des reinen Ich entstehen lassen, hat TRENDELENBURG (in seiner "Geschichte der Kategorien", Seite 297f und 313f) dargelegt und kritisiert. Da es mir hier nur auf die Erörterung der herrschenden Ansichten vom Wesen, d. h. vom logischen Begriff der Kategorien ankommt, so begnüge ich mich auf jene Darlegung TRENDELENBURGs, die durchaus fachgemäß ist, zu verweisen.

Was HERBART betrifft, so haben nach ihm die Kategorien keine logische, sondern nur eine psychologische Bedeutung. Wenigstens deduziert er sie nur in der Psychologie als die Produkte des Prozesses, durch welchen die Erfahrung nach den Gesetzen eines psychologischen Mechanismus zustande kommt; sie sind mit ihm folglich nur Zeugnisse oder Ausdrücke dieses gesetzmäßigen Mechanismus, wie sich derselbe namentlich in der Reproduktion der Vorstellungen bekundet. Und in den Lehrbüchern der Logik, die aus seiner Schule hervorgegangen sind, finden die Kategorien keinen besonderen Platz, sondern werden höchstens beiläufig bei der Betrachtung der Begriffe mit erwähnt. Selbst das ist nicht klar, welchen psychologischen Wert HERBART seinen Kategorien gibt. Sie scheinen nach ihm im Wesentlichen keinen anderen Sinn und Zweck haben zu können, als die kantischen, nämlich die allgemeinen Formbegriffe des zusammenfassenden Denkens, der Einheit und Ordnung der mannigfaltigen einzelnen Vorstellungen zu sein, die aber diese Vorstellungen und insbesondere die von HERBART sogenannten individuellen Begriffe zu ihrer Voraussetzung haben, und sich erst in und mit der Reproduktion derselben bilden, so daß sich also auch die von ihnen ausgehenden Einheit und Ordnung der Vorstellungen erst hinterdrein einfindet. - Die psychologische Entstehung der Kategorien ist notwendig, und also auch nach HERBART, dieselbe mit der Genesis der (individuellen wie allgemeinen) Begriffe überhaupt. Eine Darlegung und Kritik der Ansichten HERBARTs vom psychologischen Prozeß dieser Genesis findet man bei TRENDELENBURG, a. a. O., Seite 338f, auf den ich wiederum verweise.

Sonach liegen uns nur noch die Ansichten KRAUSEs, HEGELs und TRENDELENBURGs selbst zur näheren Betrachtung vor. Die Auffassung KRAUSEs fällt indessen im Wesentlichen mit der HEGELs zusammen. Nach KRAUSE sind die Kategorien die "Grundwesenheiten" oder Grundeigenschaften des Absoluten (Gottes), welche aber, da Gott die Welt in und unter sich begreift, auch alles Weltliche auf endliche Weise an sich hat, und welche eben darum, sofern sie vom menschlichen Geist an Gott unterschieden und damit "geschaut" werden, zugleich die Grundgedanken sind, in denen Gott und Alles was ist erkannt wird. Auf die Frage: was ist Gott ansich? soll die Antwort lauten: Gott ist Gott, Wesen ist Wesen. Indem wir nun aber Gott als Gott, Wesen als Wesen schauen, so unterscheiden wir angeblich an Gott seine Gottheit, an Wesen seine Wesenheit (essentia), d. h. den Inbegriff all dessen, was Gott ist. An der Wesenheit unterscheiden wir wiederum die Einheit derselben, und an der Einheit die Selbstheit (Substantialität) und die Ganzheit (Quantität). Letztere beide setzen aber einander voraus und sind stetig verbunden; so bilden sie eine neue Kategorie, die "Vereintheit". Und da sich Gottes Einheit in diese Unterschiede der Selbstheit, Ganzheit und deren Vereintheit nicht aufhebt, sondern vor und über ihnen bestehen bleibt, so tritt sie den letzteren als eine neue Kategorie, die "Ureinheit", gegenüber. Sonach subsumieren sich unter die primäre Kategorie der Wesenheit 4 oder wenn man so will, 5 sekundäre Kategorien: die Wesenheit, Wesenureinheit, Selbstheit und Ganzheit und Wesenvereinheit. - An der Wesenheit unterscheiden wir aber wiederum weiter das Wie oder die Form derselben vom Was oder dem Inhalt. Damit ergibt sich die Grundwesenheit oder Kategorie der "Formheit", welche, da sie aber nur die Form der Wesenheit ist, nach den 4 Momenten der letzteren ebenfalls in 4 oder 5 sekundäre Kategorien (Formeinheit - Formureinheit usw.) sich unterscheidet. Formeinheit und Wesenheit, die sich wohl im Denken unterscheiden lassen, in Gott aber stetig verbunden sind, bilden in ihrer Verbundenheit die "Seinheit" (existentia) Gottes, die dritte Grundkategorie, die, wie sie Wesenheit und Form vereint, so auch die untergeordneten Wesenheiten der letzteren beiden verbindet, und daher wiederum 4 bzw. 5 sekundäre Kategorien unter sich befaßt. Sofern nun das göttliche Wesen gemäß diesen kategorischen Bestimmungen in sich unterschieden ist und damit eine "Gegenheit" in Gott hervortritt, so sollen endlich noch die drei Kategorien der "einheitlichen Satzung" oder der Thesis, der "gegenheitlichen Satzung" oder Antithesis, und der "vereinheitlichten Satzung" oder Synthesis als Grundwesenheiten an Gott zu unterscheiden sein. -

An der Art und Weise, wie KRAUSE diese seine 15 (18) Kategorien deduziert oder vielmehr nicht deduziert, indem er eben nur einfach behauptet: wir unterscheiden an Gott seine Wesenheit und an der Wesenheit die Einheit, Selbstheit, Ganzheit usw., zeigt sich zur Evidenz, was ihm eigentlich und in Wahrheit die Kategorien sein sollten. Allerdings nämlich unterscheiden wir die Dinge selbst nach Wesenheit und Formheit, Selbstheit (Substanzialität), Ganzheit, Qualität und Quantität usw., und eben damit unterscheiden wir zugleich an den Dingen ihr Wesen und ihre Form, ihre Substanz, ihre qualitative und quantitative Bestimmtheit: nur indem wir sie so gemäß den Kategorien in sich wie voneinander unterscheiden, erhalten Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe von ihnen. Folglich sollten für KRAUSE die Kategorien auch nur die allgemeinen Unterscheidungsnormen und Unterschiedskriterien der Dinge (alles Gedachten) sein. Stattdessen hypostasiert [vergegendständlicht - wp] er sie aber zu "Grundwesenheiten" des Absoluten, zu Eigenschaften Gottes, die angeblich nicht einmal näher bestimmt, definiert, nach Sinn und Bedeutung erklärt, sondern nur "geschaut" oder an der "Grundschauung" Gottes unterschieden werden können. Allein wie die ansich leeren, formellen Begriffe der Wesenheit, Formheit, Seinheit und der ihnen untergeordneten Kategorien Grundwesenheiten des Absoluten, reelle Eigenschaften Gottes sollen sein können, ist schlechterdings nicht einzusehen. Ist denn damit, daß ich Gott Wesenheit, Formheit, Seinheit beilege, eine Eigenschaft Gottes ausgedrückt? All das kommt ja auch allen übrigen Dingen, wenn auch angeblich auf "endliche Weise" zu; und es fragt sich daher vielmehr, worin denn die Wesenheit Gottes, nicht bloß ihrer "Weise" nach, sondern eben wesentlich vom Wesen der Welt, des Menschen usw. sich unterscheidet: erst mit der Angabe dieses Unterschiedes wäre etwas vom Wesen Gottes ausgesagt, ihm eine Bestimmtheit, eine Eigenschaft beigelegt. Die Anhänger KRAUSEs leugnen freilich, daß jene sogenannten Grundwesenheiten leere bloß formelle Begriffe sind; sie behaupten an ihnen einen "Schlüssel zur Enthüllung göttlicher Geheimnisse", einen "Kompaß für das unermeßliche Gedankenmeer" zu haben. Allein worin besteht denn das Wesen der Wesenheit, das Selbst der Selbstheit, das Ganze der Ganzheit, die Form der Formheit usw. ? Darauf fehlt bis jetzt die Antwort und muß fehlen. Denn es leuchtet ein, daß, da Wesenheit nicht nur Gott, sondern allen Dingen zukommt und zwar so, daß Gott und die Dinge verschiedener Wesenheit sind, mit dem logischen Begriff der Wesenheit nichts anderes ausgedrückt sein kann als die allgemeine Art und Weise (Form) wie sich alles, was Wesen ist, von allem, was bloß Erscheinung oder unwesentlich an den Dingen ist, unterscheidet.

KRAUSE trifft, wie gesagt, im Wesentlichen mit HEGEL zusammen. Auch bei HEGEL begegnen wir derselben Hypostasierung der logischen Kategorien zu den "reinen Wesenheiten" des Absoluten. Sie sind nach ihm zunächst "die reinen Denkbestimmungen", die "Totalität der Bestimmungen und Gesetze, die das reine (allgemeine, absolute) Denken sich selber gibt". Das reine Denken ist, in seiner reinen Selbstbestimmtheit, Selbstunterscheidung und Selbstvermittlung, selbst das reine Sein, selbst Werden, Dasein, Qualität, Quantität, Maß, Wesen und Erscheinung, Inneres und Äußeres, Grund und Folge, Substanz, Ursache, Begriff usw. Aber das reine Denken in der Totalität (Einheit) dieser seiner ewigen Bestimmtheiten als "die logische Idee" oder der in seiner Objektivität sich selbst als Subjekt-Objekt erfassende Begriffist das Absolute selbst, Gott selbst, "wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und des endlichen Geistes ist", - also Gott als die Voraussetzung der Natur und des Geistes oder vielmehr Gott in seiner ersten Grundwesenheit als dem Prius seiner Selbstexplikation [Selbsterklärung - wp] zur Natur und zum Geist. Denn die logische Idee ist es, die "sich selbst frei als Natur entläßt", und aus der Natur zu sich selbst "zurückkehrt", in welcher Rückkehr erst Gott als absoluter Geist ist: es ist "die eigene Tätigkeit der logischen Idee, sich zur Natur und zum Geist weiter zu bestimmen und zu entfalten." Darum sind dann aber die Kategorien nicht bloß die reinen Denkbestimmungen, sondern auch "die reinen Wesenheiten der Dinge"; und die Naturphilosophie und die Philosophie des Geistes "sind gleichsam nur eine angewandte Logik, denn diese ist die belebende Seele derselben". "Das Interesse der übrigen Wissenschaften ist dann nur, die logischen Formen in den Gestalten der Natur und des Geistes zu erkennen, Gestalten, die nur eine besondere Ausdrucksweise der Formen des reinen Denkens sind." Oder wie sich HEGEL an einer anderen Stelle ausdrück: "die logische Idee ist die absolute und alle Wahrheit", welche durch die Philosophie der Natur und des Geistes nur die Bedeutung erhält, "die im konkreten Inhalt als in ihrer Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit zu sein" (Enzyklopädie § 236 und 574). Das Wahre läßt sich daher zwar auch wohl in der Erfahrung und in der Reflexion erkennen; denn die Idee ist nicht bloß ein Jenseitiges, sondern bewährt sich im konkreten Inhalt der Erfahrung als sein Allgemeines, seine Wahrheit. Aber in der Erfahrung wie in der Reflexion ist das Wahre nicht "in seiner eigentlichen Form" vorhanden. Diese Form, die "absolute Form, in der die Wahrheit erscheint wie sie ansich ist", ist die "reine" Form des Denkens"; jene beiden andern sind nur "endliche Formen". Die Logik, "das System der reinen Vernunft, das Reich des reinen Gedankens", ist daher allein "die Wahrheit wie sie ohne Hülle an und für sich ist". Denn das Logische ist "ein System von Denkbestimmungen, bei denen der Gegensatz des Objektiven und Subjektiven in seiner gewöhnlichen Bedeutung" und damit der Gegensatz zwischen dem Inhalt und dem Begriff "hinwegfällt"; die Wahrheit aber ist "die Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst, mit seinem Begriff", oder "die Übereinstimmung der Realität und des Begriffs." -

Sehen wir ab von der sehr ungenügenden Art und Weise, wie HEGEL mittels der sogenannten dialektischen Methode die einzelnen Kategorien a priori deduziert, - eine Deduktion, die von uns wie von Andern, namentlich von TRENDELENBURG einer umfassenden Kritik unterworfen worden ist, - sehen wir selbst davon ab, daß, da HEGEL in Wahrheit nur durch einen Machtspruch, durch eine unerhörte metabasis eis allo genos [zweifelhafter logischer Sprung auf eine andere Ebene - wp] das abstrakte menschliche Denken mit dem reinen absoluten Denken identifiziert, seine Kategorien in Wahrheit auch nur die reinen Bestimmtheiten, die das abstrakte menschliche Denken sich gibt, folglich rein subjektiver Natur sind; fassen wir vielmehr nur HEGELs Grundanschauung näher ins Auge und suchen sie auf einen möglichst klaren und einfachen Ausdruck zu bringen, so werden wir sagen müssen: Wie nach HEGEL das reine, selbstlose absolute Denken das metaphysische Prius der Natur und des Geistes ist, wie die logische Idee, Gott selbst in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und des endlichen Geistes, durch eigene Tätigkeit sich zur Natur und zum Geist weiter bestimmt und entfaltet, und wie demgemäß die Kategorien nicht nur die "Definitionen" des Absoluten, in denen es seiner reinen Idee nach sich selbst erfaßt, sondern auch die ewigen Wesenheiten der Dinge sind, die sich in den Gestalten der Natur und des Geistes nur in besonderer Weise ausdrücken, - so ist es demnach der logische Begriff, das logische Wesen, das logische Sein, welcher als das ideelle metaphysische Allgemeine, dem reellen konkreten Sein der Natur und des Geistes vorhergehend, sich selbst zum reellen Sein in der Natur und Geist (Weltgeschichte als Geschichte Gottes) besondert und vereinzelt (individualisiert), so daß einerseits das reelle konkrete Sein und Wesen zum logischen, die konkrete Anschauung zum logischen Begriff nur wie das Einzelne und Besondere zu seinem Allgemeinen sich verhält, andererseits aber zugleich alles was ist in Wahrheit die Form des Begriffs haben muß, weil ja das Verhältnis des Besonderen und Einzelnen zum Allgemeinen den logischen Begriff ausmacht. Dies ist in nuce [im Kern - wp] die Grundanschauung HEGELs, aus der alle jene obenangeführten Behauptungen sich von selbst ergeben und ihr volles Verständnis erhalten.

Allein wie das logische Sein, dieses einfache unbestimmte Unmittelbare = Nichts, sich zu einem reellen, unendlich mannigfaltigen bestimmten und vermittelten Sein der Natur und Weltgeschichte soll "weiter bestimmen" können; wie das logische Wesen, "das in sich gegangene reine Sein" (In-sich-Sein) oder "das Sein als Scheinen in sich selbst", zur Mannigfaltigkeit der reellen, konkreten, in ihrer Bestimmtheit so wesentlich verschiedenen Wesen der Natur und Geschichte sich soll entfalten können; oder wie der logische Begriff, "die Wahrheit des Seins und des Wesens", zur reellen Mannigfaltigkeit des begrifflichen Daseins in Natur und Geschichte (der mannigfaltigen, ihrem Begriff nach so verschiedenen Gattungen, Arten und Exemplare der Dinge) sich soll entwickeln können; - kurz: wie die logische Idee, die "absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität", sich als Natur aus sich entlassen und damit in der Natur sich selber äußerlich werden, im Geist zu sich zurückkehren kann, und wie so durch dieses bloße Sich-aus-sich-Entlassen des Logisch-Allgemeinen die unendliche Mannigfaltigkeit der reellen konkreten, nach Wesen und Begriff so verschiedenen Dinge des Universums soll entstehen können, ist schlechterdings nicht einzusehen. Daß der Gattungsbegriff, z. B. der Pflanze, als selbsttätige (göttliche) Idee gefaßt, sich in die mannigfaltigen Arten, Spezies, Exemplare der einzelnen Pflanzen ausbreitet, gliedert, spezifiziert, ist allenfalls wohl denkbar zu machen, ja von gewissen Prämissen aus als denknotwendig darzulegen. Denn alle die mannigfaltigen Pflanzenarten und Exemplare erscheinen nur als Modifikationen desselben einen bestimmten Wesens; trotz ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit stellen alle nur den einen Grundtypus des vegetabilischen Lebens dar und sind im Wesentlich Eins. Daß aber die reine Kategorie z. B. der Qualität, in die mannigfaltigen konkreten, einander gerade entgegengesetzten Eigenschaften der reellen Dinge, in Starr und Flüssig, Hart und Weich, Dicht und Locker usw., sich soll entfalten können, daß diese Gegensätze, die in ihrer reellen konkreten Bestimmtheit nichts miteinander gemeinsam haben, nur Spezifikationen oder Modifikationen des logischen Begriffs sein sollen, ist schlechterdings unbegreiflich, ja undenkbar, und daher auch von HEGEL nirgends dargetan. (Denn seine bloße Versicherung, die logische Idee entlasse sich frei als Natur, wird doch wohl nicht für einen Beweis gelten sollen, da sie nicht einmal etwas Denkbares aussagt.) Alles was ist, alles reell Seiende, abgesehen von seiner Bestimmtheit, rein und bloß als seiend gefaßt, ist freilich ein unterschiedsloses, unbestimmtes Unmittelbares, und insofern - kein Ausdruck des logischen Seins, sondern vielmehr - das logische Sein selbst. Aber es ist dies nur abgesehen von aller und jeder Bestimmtheit; es ist dies nur im Unterschied von allem Werdenden und Gewordenen. Ansicht ist alles was ist nur ein nach Sein, Wesen und Begriff Bestimmtes und nur in seiner Bestimmtheit ist es, was es ist. Diese Bestimmtheit, dieses Was kann das reell Seiende nimmermehr unmittelbar vom logischen Sein, Wesen und Begriff, oder der logischen Idee erhalten. Denn gesetzt auch daß die selbstlose logische Idee sich selbst "weiter bestimmen und entfalten" oder sich selbst äußerlich werden könnte, so ist doch dieses weiter bestimmte, sich äußerlich gewordene Selbst eben nur der logische Begriff, das logische zum Sein als zur einfachen Unmittelbarkeit zurückgegangene Wesen, das logische Sein. Diese logische Bestimmtheit des logischen Begriffs, Wesens und Seins kann aber unmöglich die reelle Bestimmtheit des reellen Seins, Wesens und Begriffs der Dinge sein, so gewiß das logische reine Denken nicht dasselbe ist mit dem reellen materiellen Sein der Natur und Menschheit. Es müßte erst das Unmögliche möglich gemacht und nachgewiesen werden, daß und wie das reine Denken durch eine weitere Selbstbestimmung und Entfaltung sich zur Materialität des reellen weltlichen Seins gleichsam verdichten, erstarren, versteinern kann. Das Sich-aus-sich-Entlassen HEGELs und damit Sich-äußerlich-Werden der logischen Idee ist offenbar nur ein nicht einmal glücklich gewählter Ausdruck, um die innere Unmöglichkeit der Sache zu verhüllen. Denn abgesehen von der Widersinnigkeit einer Emanation [Auftauchen - wp], in der das Emanierende sich selber (ganz und gar) emaniert, so ist ja die entlassene, entäußerte logische Idee doch immer nur die logische Idee; das reine Denken, das als absolute Idee sich selber entläßt, ist und bleibt doch in seiner Entlassenheit immer nur ein reines logisches Denken. Gesetzt aber auch jenes Unmögliche, Undenkbare wäre denkbar gemacht, welchen Sinn und Zweck kann es haben, daß die logische Idee sich zur Natur und zum Geist weiter bestimmt? Ist - wie HEGEL von seiner Ansicht aus ganz konsequenz behauptet - die logische Idee die absolute und alle Wahrheit, die reine Vernunft, Gott selbst in seinem ewigen Wesen, sind die Gestalten der Natur und des Geistes nur eine besondere Ausdrucksweise der Formen des reinen Denkens, d. h. des logischen Begriffs, Wesens und Seins, so ist es ja schlechthin überflüssig, sinn- und zwecklos, daß die logische Idee sich selber als Natur entläßt, zur Natur und zum Geist sich entfaltet! Ja dieses überflüssige Tun wird zum völlig unvernünftigen Gebahren, wenn, wie HEGEL (offenbar veranlaßt durch die augenfällige Tatsache, daß sein logischer Begriff nicht durchweg in der Natur herrscht) behauptet, "die Ohnmacht der Natur es mit sich bringt, die logischen Formen nicht rein darzustellen" oder "die Begriffsbestimmungen nur abstrakt zu erhalten und die Ausführung des Besonderen äußerer Bestimmbarkeit auszusetzen", wenn "das Leben als natürliche Idee der Unvernunft der Äußerlichkeit hingegeben ist", kurz: wenn die logische Idee als Natur zu ohnmächtig ist um vernünftig zu sein!

LITERATUR: Hermann Ulrici, Das Wesen der logischen Kategorien, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 19, Halle/Saale 1848