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(1848-1913) Über Wurzel und Wesen des Rechts [1/2]
Hochgeehrte Festversammlung! Von ganz besonderer Bedeutung sind die neuen Bestimmungen über dasjenige Amt, welches zur Zeit ich zu bekleiden die Ehre habe, über das Prorektorat. Wiedergegeben ist dier Universität das alte, schon in der kaiserlichen Stiftungsurkunde von 1557 verbriefte Recht "creandi et eligendi Rectorem scholarum", sich selbst, durch eigene Wahl das Oberhaupt zu geben. Zum ersten Mal wieder spricht bei festlicher Gelegenheit ein Prorektor, den nicht der Zufall der Reihenfolge, sondern das Vertrauen seiner Kollegen an diese Stelle berufen hat; zum ersten Mal aber auch ein Prorektor, der nicht nur während der heiteren Sommermonate, sondern auch in ernster Winterszeit das akademische Szepter führt; ein Prorektor endlich, dem das Amt nicht nur eine Würde, sondern mehr als bisher eine Bürde sein soll. Und das letztere erschien und erscheint uns als die Hauptsache! Bei all den Bitten und Anträgen, die die Universität seit langem an ihre Durchlaucht. Erhalter um Einführung des Wahlprorektorats gerichtet hatte, war ihr stets der Gesichtspunkt maßgebend gewesen, daß durch die Wahl und die Ausdehnung der Amtsdauer das Prorektorat zu einem wirklichen Arbeitsamt gemacht wird, d. h. zu einem Amt, dessen Inhaber mit größerem Selbstvertrauen, mit regerer Initiative, mit erhöhter Tatkraft sich den Geschäften der Universität im Innern wie nach außen widmet. Der Huld unserer Durchlaucht. Erhalter wie der Einsicht ihrer Regierungen verdanken wir es, daß diese so lange ersehnte Reforn unserer Einrichtungen nunmehr ins Leben getreten ist. Indem ich auch an dieser Stelle dem Dank der Universität für das Gewährte Ausdruck gebe, verbinde ich damit den Wunsch, daß all die Hoffnungen und Erwartungen, die wir für das Ansehen und das Wachstum unserer Hochschule an diese Neuerung knüpfen, im reichsten Maß Erfüllung finden möchten. Das neue Statut hat, wie gesagt, eine Neugestaltung der rechtlichen Verhältnisse der Universität herbeigeführt und es gilt nun, sich in diese einzuleben. Da ist es dann verständlich, wenn der akademische Senat geglaubt hat, des neu gestärkten Amtes Würde und Bürde zuerst einem Juristen übertragen zu sollen, der von Berufs wegen ja rechtliche Dinge zu behandeln weiß und von dem man erwartet, daß er nun auch hier seiner Kunst ein Rhodus finden wird. Und in gleicher Weise werden auch Sie, verehrte Anwesende, von diesem Juristen wohl erwarten, daß er heute, da er von Amts wegen die akademische Feier mit einer Rede einzuleiten hat, Sie von rechtlichen Dingen, von irgendeinem Gegenstand seiner Wissenschaft unterhalten wird. Sie werden es erwarten, - oder vielleicht: Sie werden es fürchten. Ist es mir doch vor Jahren, da ich bei einem gleichen Anlaß vom rechtlichen Wesen der Strafe gesprochen habe, - ist es mir da doch begegnet, daß aus dem Kreis der Zuhörer die deprimierende Äußerung gekommen ist: "die Juristen verstehen es doch immer, Dinge zu bringen, die anderen Leuten fern liegen." In der Tat: die von mir vertretene Wissenschaft erfreut sich in den Reihen unserer Gebildeten keiner großen Beliebtheit, und ihren Aufgaben und deren Behandlung pflegen die Außenstehenden nur höchst selten Interesse und Teilnahme entgegenzubringen. Im Gegenteil: man trägt im Publikum geradezu Scheu, juristischen Erörterungen näher zu treten, ist froh, wenn man mit diesen Dingen nichts zu tun hat, und überläßt sie gern, wenn auch nicht ohne Mißtrauen, der Kaste der Juristen, die nun einmal - ein notwendiges Übel - zu ihrer Erledigung da sind. Diese, für uns Juristen nicht gerade schmeichelhafte Antipathie weiter Kreise gegen unsere Wissenschaft, die gerade zu einer Entfremdung zwischen dem Volk und den Wahrern seines Rechts geführt hat, ist auf juristischer Seite natürlich nicht unbemerkt geblieben, und man hat sich hier schon öfters die Frage vorgelegt, woher es denn kommt, daß gerade die Wissenschaft, die doch die wichtigsten Beziehungen der Menschen zueinander zu ihrem Gegenstand hat, daß gerade sie in so hohem Maß unbeliebt und unpopulär ist. Ich glaube, es liegen hier verschieden Ursachen zugrunde. Zunächst dürfte da in Betracht kommen, daß die Dinge, mit denen sich die Jurisprudenz beschäftigt, in ihrer praktischen Gestalt recht ungemütlicher und lästiger Natur zu sein pflegen; Dinge, denen man, besonders in einem Volk, das sich mit den staatlichen Notwendigkeiten noch immer nicht so ganz eins weiß, möglichst aus dem Weg zu gehen sucht, als da sind: Rechtshändel und Prozesse mit ihren Aufregungen, Beschlagnahmen und Pfändungen, oder aber zahlungsunfähige Schuldner, bei denen selbst der Kaiser sein Recht verloren hat [Wo nichts ist, hat selbst der Kaiser ... - wp]; dann die beängstigenden Verbrechen, Mord und Totschlag, Raub und Diebstahl, und damit in Verbindung das stets unbehagliche Auftreten der hohen Polizei und gar der Staatsanwaltschaft; weiter das endlose Untersuchungsverfahren, in das auch der Unschuldigste einmal verwickelt oder zu dem man - das Lästigste von allem - gar als Zeuge geladen werden kann; von den unheimlichen Gefängnissen und den grausigen Hinrichtungen gar nicht zu reden, und von der Verpflichtung zur Zahlung von Steuern erst recht nicht. Es ist eine allgemeine Erscheinung: wie das Recht in seinem geschichtlichen Werden meist von der Kehrseite aus, d. h. aus dem Gefühl des Verletztseins bei Unrecht und Verbrechen zuerst in das menschliche Bewußtsein zu treten pflegt, so sieht auch am gewordenen und geltenden Recht der Laie zunächst nur die Kehrseite: die Verletzung und was sich daran anschließt, und es ist nun eine naheliegende Gefühls- und Ideenassoiation, wenn das Unbehagen, welches durch das Unrecht und die dagegen getroffenen Maßregeln hervorgerufen wird, sich auf das Recht selbst und was damit zusammenhängt, vor allem auf dessen Wissenschaft überträgt. Eine solche Antipathie zu überwinden, bedarf es schon sehr starker Antriebe. Wirkliches Interesse für juristische Fragen und oft auch erhebliche Kenntnisse darin pflegen unter den Nichtjuristen meist nur diejenigen zu haben, denen Prozessieren und Querulieren zum Lebensbedürfnis, oder denen das Verbrechen zum Lebensberuf geworden ist: die Händelsucher und die sogenannten Kriminalstudenten, - Leute, auf deren Teilnahme wir uns nicht allzuviel einzubilden haben. Dazu kommt ein Zweites. Sicherlich ist die Bedeutung, welche der Logik für die Gestaltung und Behandlung des Rechts zukommt, vielfach übertrieben worden (ein Punkt, auf den ich noch zurückkommen werde); allein andererseits ist doch nicht zu bestreiten, daß ohne möglichst scharfe Begriffsabgrenzungen und ohne streng logisches Denken die Jurisprudenz nicht bestehen kann. Nun ist aber das Operieren mit abstrakten Begriffen und die folgerichtige Verwendung solcher eine recht schwierige Sache, die auch denen, die nur den Ausführungen anderer folgen sollen, oft eine bedeutende geistige Anstrengung zumutet. Anstrengungen dieser Art aber - und damit soll kein Tadel ausgesprochen, sondern nur eine Tatsache konstatiert werden - sind bekanntlich nicht jedermanns Sache, ja ohne besondere Übung und Schulung auf dem betreffenden Gebiet meist gar nicht möglich. Wer trotzdem seinen Zuhörern solche Anforderungen stellt, kommt gar leicht in den Ruf der Langweiligkeit, oder man bezichtigt ihn, dessen Distinktionen und Deduktionen man nicht zu folgen vermag, des Mangels an sogenanntem gesunden Menschenverstand. Man wird nun dieser Begründung vielleicht entgegenhalten, daß doch auch andere Wissenschaften abstrakter Untersuchungen und logischer Folgerungen bedürfen, sich aber trotzdem durch die Art der Vorführung die rege Anteilnahme weiter Kreise zu erwerben und zu erhalten wissen. Das ist ansich richtig. Jedoch, die meisten anderen Wissenschaften sind nicht in dem Maße auf das rein Logische angewiese; insbesondere stehen ihne, wenn sie sich an weitere Kreise wenden, mannigfache Hilfsmittel zu Gebote, durch welche sie dem Laien das Verständnis zu erleichtern oder ein allgemein menschliches Interesse zu erwecken vermögen, deren die Jurisprudenz dagegen, wenigstens die dogmatische, zu entbehren scheint. Das gilt vor allem von den Naturwissenschaften und allen geschichtlichen Disziplinen. Aber auch Theologie und Philosophie umfassen Fragen und Gebiete genug, deren Erörterung das Gemüt berührt oder die Phantasie erregt und daher auch beim Hörer diese, einer strengeren Regelung nicht zugänglichen Seelenkräfte in angenehme Schwingungen versetzt. Wie oft muß hier, und gerade bei den höchsten Problemen, wenn der strenge Begriff versagt, zu Bildern und Gleichnissen gegriffen werden, die sich dann ein jeder nach Anlage und Stimmung weiter ausgestalten kann. Endlich aber - es läßt sich nicht leugnen - trifft ein Teil der Schuld an jener Unbeliebtheit unserer Wissenschaft auch diese selbst, die Art und Weise, wie ihre Vertreter den juristischen Stoff, das Recht, aufgefaßt, behandelt, dargestellt haben. Allein der Vorwurf, der in dieser Hinsicht die Juristen treffen kann, ist meines Erachtens doch in einer ganz anderen Richtung begründet, als man neuerdings bei uns selbst hat annehmen wollen. Ja, die Besserungsvorschläge, die hier gemacht worden sind, scheinen mir im Gegenteil eher geeignet, das Übel zu vergrößern, als es zu heben, das Interesse anderer an der Rechtswissenschaft nicht zu erhöhen, sondern es vollends zu ertöten. Denn sie laufen nach meinem Dafürhalten darauf hinaus, der Jurisprudenz jeden selbständigen Wert, die Bedeutung als eine selbständigen Art menschlichen Erkennens zu entziehen, aus ihr eine dienende Magd anderer Wissenszweige, der Wirtschaftslehre und der Staatskunst oder Politik zu machen, wie sie früher jahrhundertelang eine solche der Theologie gewesen war. Und was noch wichtiger ist: diese Bestrebungen beruhen meiner Überzeugung nach auf einem Verkennen des Wesens des Rechts selbst. Ich trete mit diesen Sätzen in einen bewußten, scharfen Gegensatz zu der heute in der Rechtswissenschaft fast durchweg herrschenden Richtung. In besonders hervortretender Weise macht sich dieser Gegensatz auf dem von mir vertretenen Spezialgebiet auf dem Gebiet des Strafrechts geltend, wo er unter den Schlagworten "Vergeltungsstrafe" und "Zweckstrafe" aufzutreten pflegt. Aber er greift, was man hier nicht immer beachtet hat, viel tiefer; er betrifft die Grundauffassung vom Wesen des Rechts überhaupt. Hierüber möchte ich Ihnen, verehrte Anwesende, meine Anschauungen in den Grundzügen und in der hier gebotenen Kürze darlegen. Man hat die bisherige Rechtslehre beschuldigt, das Recht allzu formalistisch behandelt und sich eben hierdurch die Abneigung der Nichtjuristen zugezogen zu haben. Man meinte damit nicht etwa, daß die Formvorschriften des Rechts, wie bei Grundstücksübertragungen, Errichtung von Hypotheken und Testamenten, bei der Prozeßführung und dgl., zu sehr betont worden sind im Gegensatz zu dem, was den Inhalt der Rechtsverhältnisse ausmacht. Vielmehr sollte der Fehler gerade darin bestehen, daß die Rechtslehre sich zu ausschließlich mit dem Inhalt der Rechtsnormen beschäftigt und zu wenig deren Zwecke berücksichtigt hat, d. h. die Wirkungen, welche durch die Ausführung der Rechtsnormen in der Zukunft erreicht werden sollen. Denn eben diesen Zwecken gegenüber kommt den Rechtsnormen selbst nur eine formale Bedeutung, nur die Bedeutung eines Mittels zum Zwecke zu. Wenn dagegen, so meinte man, die juristische Arbeit sich dazu bekehrt, mehr jene Zwecke der rechtlichen Bestimmungen ins Auge zu fassen und diese Bestimmungen nicht als Selbstzwecke zu behandeln, dann könnte eine größere Anteilnahme des Publikums an dieser Arbeit nicht ausbleiben. Denn das Interesse des Publikums ist eben wesentlich auf diese Zwecke, seine Lebenszwecke, nicht aber auf die Mittel ansich gerichtet. Sehen wir zu, was damit gesagt ist. Zunächst: worin bestehen denn jene Zwecke, denen die Rechtsnormen nur als Mittel dienen sollen? Darüber pflegt man gewöhnlich mit ziemlich allgemein gehaltenen Ausdrücken, wie soziales Zusammenleben, Gemeinwohl, Freiheit aller, Erhaltung des Staates und dgl. hinwegzugehen; auf einen wirklich Nachweis spezieller Zwecke der einzelnen so vielgestaltigen Rechtsnormen läßt man sich meist gar nicht ein. Doch brauche ich mich hierbei nicht weiter aufzuhalten; genug, daß alle derartigen Zwecke außerhalb des Rechts selbst liegen und ihre Bestimmung durch andere Wissenschaften erhalten sollen. Indem nun aber ihnen, den Zwecken, allein ein selbständiger Wert beigelegt wird, vollzieht sich zweifellos eine entsprechende Entwertung und Herabsetzung des Rechts und seines Inhalts. Dieser Inhalt ansich erscheint danach als etwas Gleichgültiges; es kommt nur darauf an, daß er die bezweckte zukünftige Wirkung erzielt. Nun kann man aber über die richtigen Mittel zu künftigen, und insbesondere zu so allgemeinen zukünftigen Wirkungen, wie sie hier in Betracht kommen, häufig recht verschiedener Meinung sein. Mit Sicherheit läßt sich da überhaupt nichts vorausbestimmen; jedenfalls sind Variierungen möglich, und die Rechtsordnung wird so zu einer Reihe von Experimenten, die hinterher vielleicht eine Bestätigung finden mögen, denen aber von vornherein keine zwingende, überzeugende Kraft beiwohnt. Und der theoretischen Behandlung solcher ansich gleichgültiger und in ihrer Wirksamkeit problematischer Dinge, wie es hiernach die rechtlichen Bestimmungen wären, sollten Fernerstehende ein lebhaftes inneres Interesse entgegenbringen? Ich fürchte eher, daß die Präzisierung des Rechtsinhalts als bloßer Formalien, als bloßer Mittel zum Zweck, und die sachliche Wertschätzung allein der verfolgten Zwecke dazu führen wird, im Publikum die Achtung vor der Rechtsordnung selbst zu untergraben. Hört man doch bereits häufig genug die Rede, daß man aus sogenannten höheren Gründen sich um den Formalismus des Rechts nicht zu kümmern hat, daß der "juristische Formelkram" für die Verfolgung "höherer Zwecke" kein Hindernis bilden darf und dgl. Ja, Juristen selbst sind es, die bereits die Losung dazu ausgeben mit der Lehre, sogar der Richter darf es, wenn ihm höhere Interessen in einem Fall das zu fordern scheinen, sich über die "formellen" Rechtsbestimmungen hinwegsetzen, bzw. sie seinen Zwecken entsprechend umdeuten. Aber man täusche sich nicht: diese Geringschätzung des Rechts wird eine solche der Rechtswissenschaft erst recht nach sich ziehen. Das Übel, dessen Behebung in Frage steht, ist meines Erachtens ganz anderswo begründet. Um Ihnen dies näher zu führen, muß ich aber zunächst mit einigen Worten auf die heute, man kann wohl sagen, herrschende Auffassung vom Wesen des Rechts überhaupt eingehen. Diese Auffassung führt zurück auf JHERING, der mit seinem Satz: "der Zweck ist der Schöpfer des ganzen Rechts, es gibt keinen Rechtssatz, der nicht einem Zweck seinen Ursprung verdankt", der ganzen neueren Richtung unserer Wissenschaft das faszinierende Losungswort gegeben hat. Alle Rechtsnormen sollen demnach entstanden sein aus Zweckmäßigkeitserwägungen, und in den vorgesetzten Zwecken sollen sie ihre sachliche Begründung und Rechtfertigung finden. Ich bin der ketzerischen Ansicht, daß selten in so geistreicher und fesselnder Form größere Unrichtigkeit ausgesprochen worden sind, wie in dem großen (leider nicht vollendeten) Werk JHERINGs über den Zweck im Recht. Sie konnten meines Erachtens nur ausgesprochen werden von einem Mann, dessen Blick im Wesentlichen doch nur auf das, in seiner überlieferten Form einer vorgeschrittenen Entwicklungsstufe angehörende, ja vielfach schon die Spuren des Greisenalters aufweisende römische Recht gerichtet war, von einem Mann, der insbesondere von Entwicklung germanischen Rechts nur sehr unvollkommene Vorstellungen hatte. Eine solche Zweckauffassung setzt voraus, daß alle Rechtsbildung aus bewußt menschlicher Verstandestätigkeit, aus einer klugen Vorausberechnung der Wirksamkeit rechtlicher Bestimmungen hervorgeht. Sie erinnert etwas an jene Fabeln des Orients, wonach von Zeit zu Zeit in einem Volk weise Männer aufgestanden sind und durch klug ausgedachte und fein berechnete Gesetze dem Volk ein Recht erst geschaffen oder neu geschaffen haben. Hier wie dort handelt es sich um Fabeln, denen nur ein Körnchen historischer Wahrheit zugrunde liegt. Wir wissen aus der Geschichte, daß die älteste Rechtsbildung sich allenthalben nicht in verständesmäßiger Berechnung von Mittel und Zweck, sondern aus einem inneren instinktiven Trieb der Bevölkerung selbst gewohnheitsmäßig vollzogen hat. Es genügt, an den bekannten Satz des TACITUS von den alten Germanen zu erinnern: "plus ibi boni mores valent, quam alibi bonaie leges." [dort vermögen gute Sitten mehr als anderswo gute Gesetze - wp] Und Ähnliches gilt vielfach noch heutigen Tages. Eine rationalistische Rechtsschaffung, wie sie die JHERINGsche Theorie im Auge hat, ist überhaupt nur denkbar und möglich bei einer organisierten staatlichen Gesetzgebung. Eine solche tritt aber in der Entwicklung der Völker erst verhältnismäßig spät ins Leben und dann selbst als ein Kind der Gewohnheit. Also kann sie in ihrem Wesen und in ihrer Bedeutung auch nur aus dieser ihrer Erzeugerin und durch den Vergleich mit ihr richtig erkannt und verstanden werden, nicht aber durch eine isolierte Betrahtung moderner oder auch spätrömischer Gesetzgebungstechnik. Und da ist dann wohl zu beachten, daß gar viele gesetzlich sanktionierte Institute schon lange vor dieser Sanktionierung gewohnheitlich in Geltung standen, also Recht waren vor dem Gesetz und erst hinterher in dieses übernommen worden sind. Nun ist natürlich die Tatsache, daß alle Rechtsbildung von Haus aus gewohnheitlicher Art ist, auch dem Begründer und den Anhängern jener Zwecktheorie nicht unbekannt, auch geben sie zu; daß gewohnheitlich entstandenes Recht nicht auf klar erkannten Zwecken, nicht auf deutlich bewußten Zweckmotiven beruth. Vielmehr ist bei gewohnheitlichen Rechtshandlungen die Zweckvorstellung nur undeutlich vorhanden, der Zweck ist hier mehr empfunden, als klar erkannt und dgl. Allein, wenn hier nicht eine metaphysische Teleologie im Spiel sein soll, so könnten solche undeutlichen Zweckempfindungen doch nur auf allernächste, erfahrungsmäßig stets damit verbundene Wirkungen gerichtet sein, nicht aber auf Wirkungen, die sich so weit in die Zukunft erstrecken und so allgemeiner und so fraglicher Natur sind, wie die oben erwähnten. Eine genauere Betrachtung der Vorgänge bei gewohnheitlicher Rechtsbildung und der darüber vorliegenden Zeugnisse zeigt dann auch von solchen weitgreifenden Zweckvorstellungen nichts. Damit dürfte, wir mir scheint, der Satz, daß der Zweck der Schöpfer des ganzen Recht ist, daß alles Recht nur eine Quelle, den Zweck, kennt, eine genügende Widerlegung gefunden haben. Aber die JHERINGsche Lehre geht weiter auch darin fehl, daß sie Begriff und Aufgabe des Rechts ebenfalls nur aus den damit verfolgten Zwecken ableiten und somit in allem Recht eben nur Mittel für außer ihm liegende Wirkungen erkennen will. Die Zwecke, denen das Recht nach dieser Auffassung dienen soll, sind natürlich solche, welche den Beteiligten irgendeinen Vorteil, einen Nutzen gewähren und die für sie daher etwas Anziehendes, etwas Wertvolles haben. Man bezeichnet sie deshalb auch als Interessen und bestimmt die Aufgabe des Rechts als Förderung dieser Interessen. Das Recht, sagt man, ist seinem Wesen nach Schutz der Interessen, Interessenschutz. Da erhebt sich nun aber sofort wieder die Frage: welcher Interessen? Die Interessen der Menschen sind nicht nur sehr verschiedenartig, sondern stehen auch gar häufig im Gegensatz zueinander und bekämpfen sich. Was dem Einen einen Vorteil verspricht, schadet dem Anderen, und was der Eine mit allen Kräften erstrebt, sucht der Andere ebenso zu vermeiden und zu verhüten. Hier kann das Recht nicht Allen Genüge tun. Es wäre ein Widersinn, zu sagen, daß das Recht alle Interessen gleichmäßig unter seinen Schutz nimmt. Vielmehr ist es zweifellos die Aufgabe des Rechts, gerade im Kampf widerstreitender Interessen eine Entscheidung zu geben, von sich aus zu bestimmen, welche Interessen berechtigt und welche nicht berechtigt sind, und sowei es sich um einen Schutz handelt, diesen nur den ersteren zu gewähren. Muß man dem Recht aber diese Entscheidung, diese Auswahl unter den Interessen der Menschen zugestehen, - und ich sehe nicht, wie sie ihm verweigert werden könnte, - dann ist das Recht offenbar gar nicht mehr bloßer Diener der von ihm anerkannten Zwecke und Interessen, nicht mehr bloßes Mittel zum Zweck; sondern dann steht ihm selbst eine Herrschaft über diese Interessen zu. Dann aber muß es auch ein Prinzip außerhalb dieser Interessen geben, welches angibt, unter welchen Bedingungen es recht ist, ein Interesse oder einen Zweck zu verfolgen, und wann es nicht recht, wann es unrecht ist; kurzum ein Rechtsprinzip, welches von den, durch das Recht zu verfolgenden Zwecken und den damit verknüpften Interessen unabhängig ist. Damit ist zugleich gesagt, daß dem Recht eine selbständige Bedeutung zukommen, daß es seinen Wert in sich selbst tragen muß und ihn nicht erst aus den durch seine Realisierung zu erzielenden Wirkungen entlehnen kann. Diesen selbständigen Wert hat man dem Recht dadurch freilich wieder streitig zu machen gesucht, daß man sagte, daß das Recht eben ur die öffentlichen, nur die für das Allgemeinwohl wertvollen Interessen schützt, oder wie man sich heute gern ausdrückt, nur die sozialen im Gegensatz zu den privaten oder gar anti-sozialen Interessen; wobei dann im Hintergrund wieder die Ansicht steht, daß die Bestimmung der öffentlichen oder sozialen Interessen anderswoher zu entnehmen ist, als aus dem Recht selbst. Ich rühre hiermit sozusagen an das Haupt-Credo der modernen Rechtswissenschaft; muß aber bekennen, daß meines Erachtens hier doch mehr Behauptungen und Redensarten im Spiel sind, als wissenschaftliche Erkenntnisse. Zunächst scheint es mir gar nicht richtig, daß nur öffentliche und nicht auch private Interessen der Einzelnen den Schutz des Rechts genießen, oder letztere nur insoweit, als sie sich mit einem öffentlichen Interesse decken. Das hieße nichts anderes, als dem einzelnen Individuum und seinen Bestrebungen jede selbständige Bedeutung gegenüber der Gesamtheit absprechen, - eine Tendenz, die ja heutzutage von manchen unserer Hypersozialen verfolgt wird, die aber doch der Wahrheit der rechtlichen Tatsachen nicht entspricht. Es gilt z. B. heute der Satz, wie er schon in grauer Vorzeit gegolten hat, daß, wer eine herrenlose Sache in Eigenbesitz nimmt, damit das volle Eigentum dieser Sache erwirbt, oder wie ein altnordisches Jagdrecht ihn ausdrückt: "Der hat den Has, der ihn fängt" (1). Ich frage: welches öffentliche Interesse, welche Rücksicht auf das Gemeinwohl sollte wohl diesem fundamentalsten Satz allen Privatrechts zugrunde liegen? Wenn hier ein Interesse in Frage steht, so ist es doch lediglich das des einzelnen Besitzergreifers, dessen, der den Hasen gefangen hat, während es der Gesamtheit ziemlich gleichgültig sein wird, wie sich das rechtliche Schicksal des gefangenen Hasen gestaltet. Überhaupt pflegt man es mit dem Nachweis, daß einem Rechtssatz ein öffentliches oder soziales Interesse zugrunde liegt, meist nicht sehr genau zu nehmen. So gilt es allgemein für ganz ausgemacht, daß das Rechtsprinzip der Monogamie, d. h. der Satz, daß ein Ehegatte während der Dauer seiner Ehe nicht eine andere Ehe eingehen darf, durch das öffentliche Interesse geboten ist und dessen Schutz bezweckt. Ich muß dem jedoch durchaus widersprechen. Sehen wir von rechtlichen und sittlichen Gefühlen ab, die als Interessen hier nicht in Betracht kommen, so wüßte ich im öffentlichen Leben eines Volkes, weder hinsichtlich seiner Machtstellung nach außen noch hinsichtlich seines Kulturlebens im Innern irgendeinen Punkt ausfindig zu machen, dessen Pflege durch die Monogamie bedingt oder durch polygamische Einrichtungen behindert wäre. Zeugnis dafür geben die, trotz ihrer Polygamie, ebenso wehrhaften, wie in jeder geistien und kulturellen Beziehung blühenden maurischen Staaten in Südspanien, die schließlich nur der äußeren Übermacht erlegen sind und deren Untergang einen Kulturverlust für die ganze damalige Menschheit bedeutet hat. Ein anderes Beispiel sehr fraglicher öffentlicher Interessen will ich dem Strafrecht entnehmen. Es ist bekannt, daß nicht jede Rechtsverletzung unter staatliche Strafe fällt, daß zwischen einem strafbaren und einem straflosen Unrecht zu unterscheiden ist. Dies begründet man gewöhnlich damit, daß strafbar nur solche Rechtswidrigkeiten sind, durch welche wichtige öffentliche Interessen, durch welche die Existenzbedingungen des Staates oder der Gesellschaft verletzt werden, straflos solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Nun ist z. B. der Diebstahl, d. h. die Wegnahme fremder Sachen aus dem Gewahrsam eines Anderen strafbar; straflos dagegen die Nichtzurückgabe geliehener fremder Sachen. Warum soll aber jene Wegnahme dem öffentlichen Interesse mehr zuwider sein oder die Lebensbedingungen des Staates mehr untergraben, als diese Nichtzurückgabe? Oder warum die strafbare Schädigung der Substanz einer fremden Sache mehr, als z. B. die straflose Entwertung des Nachbargrundstücks durch ein rechtswidriges Verbauen der Aussicht? Hierauf eine Antwort zu geben, ist niemals auch nur versucht worden, und so kann ich in dieser Begründung des Unterschieds zwischen strafbarem und straflosem Unrecht durch öffentliche Interessen nichts anderes erblicken als leere Redensarten. Auf der anderen Seite sind es aber auch keineswegs alle öffentlichen Interessen, denen das Recht eine Berücksichtigung zuteil werden läßt. Ja, unter Umständen behält das private Interesse der Einzelnen die Oberhand gegen das staatliche Interesse; eben dann, wenn jenes berechtigt erscheint, dieses dagegen nicht. Auch hier bildet also das Recht eine selbständige Instanz über den Interessen, auch über den öffentlichen. Zahlreiche Beispiele lassen sich dafür anführen; ich beschränke mich auf das folgende: Bei der heutigen Weltstellung Englands wäre es zweifellos im Interesse des britischen Staates gelegen, wenn jeder Staatsangehörige wehrpflichtig wäre. Allein trotzdem ist dieser Satz in England nicht Rechtens, und die Engländer denken auch gar nicht daran, ihn dazu zu machen, und zwar ausdrücklich unter Berufung auf die persönliche Freiheit, d. h. auf die privaten Interessen und Rechte der einzelnen Bürger. Ergibt sich also, daß die Theorie, welche Begriff und Wesen des Rechts auf Zwecke und Interessen gründen will, mit eben diesem Wesen - Herr zu sein über die verschiedenen Interessen - in Widerspruch steht, so ist endlich und hauptsächlich gegen diese Theorie noch dies einzuwenden, daß sie nicht imstande ist, diejenige Eigenschaft des Rechts zu erklären, welche ihm vor allem eigentümlich ist: seine Verbindlichkeit und, wenn nötig, Erzwingbarkeit. Mag eine Rechtsregel noch so nützlichen Zwecken dienen, mag sie noch so sehr allgemein oder Einzelinteressen entsprechen, so ist doch nicht einzusehen, wie sich hieraus allein für dritte Personen eine Verpflichtung zu ihrer Befolgung ergeben soll. Die hier bekämpfte Theorie hat dies dann auch niemals ohne weiteres angenommen, vielmehr zur Begründung der rechtlichen Verpflichtung noch einen ganz anderen Faktor herangezogen: den aus dem subjektlosen Allgemeinwillen HEGELs hergeleiteten Staatswillen. Die verbindliche Kraft des Rechts, sagt man, beruth auf dem übergeordneten Willen des Staates; alles Recht besteht seiner Form nach in Befehlen, in Geboten oder Verboten (sogenannten Normen), welche die Staatsgewalt an ihre Untertanen erläßt und welche für diese kraft ihrer Unterworfenheit unter den obersten Willen verbindlich sind. Die oben berührten Zwecke und Interessen bilden dann lediglich die Motive, welche den Staat zum Erlaß seiner Gebote und Verbote bestimmen: Recht ist dasjenige, was der Staat befiehlt, weil er es seinen Interessen entsprechend erachtet. Wenn daher z. B. unser BGB in § 433 bestimmt, daß durch den Kaufvertrag der Verkäufer verpflichtet wird, dem Käufer die gekaufte Sache zum Eigentum zu übergeben, und der Käufer verpflichtet, den vereinbarten Preis zu bezahlen, so bedeutet das nach dieser Lehre: "Ich, Staat gebiete Dir, Verkäufer, die Sache dem Käufer zu übergeben, und Dir Käufer, den Kaufpreis an den Verkäufer zu zahlen, und weil Ich es Euch gebiete, deshalb sei Ihr dazu verpflichtet, bei Meidung meines Zwanges." Diese sogenannte Imperativentheorie hat in neuerer Zeit mit wahrhaft unheimlicher Schnelligkeit bei unseren deutschen Juristen um sich gegriffen; bei den romanischen Völkern ist sie durchweg verbreitet, der Ursprung ihrer modernen Geltung aber liegt in der dem Despotismus anheimgefallenen römischen Kaiserzeit, einer Zeit, die nur noch den Willen eines Einzigen als maßgebenden Faktor gekannt hat und die diesen Einzigen als über der Rechtsordnung stehend erachtete: "Princeps legibus solutus est." [der Herrscher ist von den Gesetzen entbunden - wp] Und von dort her stammt auch ihr innerer Charakter. Denn in der Tat: diese Theorie ist durch und durch despotisch; auch wenn sie für Zeiten und Völker aufgestellt wird, deren Zustände im Übrigen von denen des römischen Kaisertums weitab liegen. Denn ob der Wille des Einzelnen den verbindlichen Befehl gibt oder der Majoritätswille einer oder mehrerer Versammlungen, ist für unsere Frage ganz gleichgültig. Immer gibt es hiernach nicht unter sich verbundene Rechtsgenossen, unter denen Recht und Pflicht gleichmäßig verteilt ist; sondern immer kennt diese Theorie nur einen Herrn, dem allein alles Recht zusteht, dem alle Anderen nach seinem Ermessen und Belieben zum Gehorsam verpflichtet sind: nicht freie Bürger, sondern in Wahrheit Unfreie und Knechte eines omnipotenten Staates. Respublica legibus soluta! [Die Republik ist von den Gesetzen entbunden. - wp] Zumindest dem Geist des germanischen Rechts ist eine solche Auffassung auf das Höchste zuwider, dem Geist und Empfinden unseres Volkes, in welchem, trotz aller Neigung zur Vergesellschaftung, von jeher die Überzeugung herrschend war, daß das Recht eine Macht ist über dem Willen, auch dem höchsten, nicht aber der Ausfluß irgendeines Willens, und daß daher auch der Staatswille, so gut wie jeder andere, unter Umständen dem Recht widerstreiten kann. Aber es ist nicht nötig, auf diese allgemeineren Gesichtspunkte, die gegen diese Imperativentheorie sprechen, weiter einzugehen: ihre nächsten Grundlagen wie die daraus sich ergebenden Konsequenzen erscheinen so unhaltbar, daß es mir zumindest unbegreiflich ist, wie man trotzdem so allgemein daran hat festhalten können. Befehlen mit rechtlich verbindlicher Wirkung kann nur der, dem ein Recht zu einem solchen Befehlen zusteht und ein Anspruch auf dessen Befolgung, auf Gehorsam. Ein Wille ansich kann niemals Recht sein oder Recht begründen; dazu muß er sich erst selbst als berechtigt legitimieren. Wenn man daher die Verbindlichkeit allen Rechts auf staatliche Befehle zurückführt, so erhebt sich unweigerlich die Frage: woher hat der Staat selbst das Recht, Anderen etwas zu befehlen und Gehormsam von ihnen zu fordern? Dazu bedürfte es also erst wieder eines Rechtssatzes, und so ergibt sich der Zirkel, die petition principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen wäre - wp], daß man bei der Erklärung des Rechts eben dieses zu Erklärende bereits als gegeben voraussetzt. In der naturrechtlichen Schule hatten manche, wie THOMAS HOBBES, das Befehlsrecht des Staates auf eine Übertragung und Selbstunterwerfung aller Bürger zurückführen wollen. Nachdem man dies als eine leere Fiktion erkannt hat, bleibt nichts übrig, als jenes Recht lediglich mit der überwiegenden Macht des Staates zu begründen und so zu dem, alles Recht in Wahrheit negierenden und praktisch untergrabenden Satz zu kommen: "Macht ist Recht". Und in der Tat hat JHERING nicht vor dem Ausspruch zurückgescheut: das Recht ist nichts anderes als die Politik der Gewalt, die kluge Selbstbeschränkung, die sich die Staatsmacht auferlegt, weil sie glaubt, damit ihre Zwecke besser fördern zu können, als ohne eine solche Beschränkung, - und viele sind ihm darin gefolgt und haben ihm Beifall gezollt. Man nennt das "realistische Rechtsauffassung"! Ebenso bedenklich, ja der handgreiflichsten Wirklichkeit widersprechend sind sodann die Konsequenzen, zu denen die Imperativentheorie führt. Ich begnüge mich hier, sie kurz zusammenzustellen. Wenn alles Recht nur Ausfluß staatlicher Befehle ist, so kann es offenbar für den Staat selbst keinerlei rechtliche Verpflichtungen geben. Denn rechtlich bindende Befehle kann man nur Anderen, nicht sich selbst erteilen. Es hinge also ganz vom Gutdünken des Staates ab, ob und wie weit er sich durch eine Selbstbeschränkung jeweils für gebunden erachtet. Eine Verpflichtung aber, die von einem Ermessen des Verpflichteten abhängt, ist ein Widerspruch in sich. Hiermit hängt weiter zusammen, daß es, wie für den Staat keine Pflichten, so für die einzelnen Staatsangehörigen keine Berechtigungen und Ansprüche, ja überhaupt keine gegenseitigen Rechtsbeziehungen, sondern lediglich Pflichten gegenüber dem Staat geben könnte: wie schon gesagt, eine Staatsknechtschaft Aller. Denn wenn das, waas wir Berechtigung oder Anspruch einer Person nennen (wie etwa das Recht des Eigentümers zum Gebrauch der Sache, oder der Anspruch des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises), wenn dies seinen Grund nur in einem Befehl des Staates an Dritte hat (wie: das Eigentum nicht zu stören, oder: den Kaufpreis zu bezahlen), - dann steht dem sogenannten Berechtigten selbst rechtlich gar nichts zu, nichts, was ihm zu eigen wäre und worüber er die Verfügung hat. Was ihm tatsächlich vielleicht an Nutzen zukäme, wäre nur eine Reflexwirkung aus dem Gehorsam, den der Verpflichtete dem Staat, seinem Herrn, leistet. Nun hat man freilich die Existenz subjektiver Berechtigungen dadurch zu retten gesucht, daß man neben den staatlichen Befehlen auch staatliche Gewährungen und Erlaubnisse angenommen hat, aus welchen dann die Berechtigungen hervorgehen sollten. Allein solchen Erlaubnissen des Staates käme doch eine selbständige Bedeutung und Wirksamkeit gegenüber den Befehlen gar nicht zu. Erlaubt wäre nach jener Theorie ja alles, was nicht verboten oder dessen Gegenteil nicht geboten ist, und eines besonderen Ausspruchs dieser Erlaubnis bedürfte es nicht. Alle unsere Gesetze, in welchen Befugnisse und Ansprüche der Einzelnen geregelt sind, wären danach überflüssig, die geregelten Befugnisse selbst ohne positiven Inhalt; es wären lediglich Negationen von Gehorsamspflichten gegen den Staat. Ferner aber widerspricht es auch, zumindest der deutschen Auffassung vom Wesen der Rechte der Einzelperson, wenn man darin nur von Anderen gewährte Erlaubnisse, gewissermaßen Gnadengeschenke sehen will. Das Recht des Einzelnen, sein gutes Recht, wurzel nach unserem innersten Empfinden in ihm selbst und seinem eigenen Verhalten, es ist ein Teil seiner Persönlichkeit und nicht von außen her erst verliehen. (2) Noch andere Versuche sind gemacht worden, die subjektiven Rechte und Ansprüche mit der Imperativentheorie in Einklang zu bringen. Ich kann hier darauf nicht eingehen und will nur bemerken, daß meines Erachtens keiner dieser Versuche einer ernsteren Kritik standzuhalten vermag. Nach der Imperativentheorie gibt es nur ein subjektives Recht, das des Staates auf Gehorsam, und diesem fehlt, wie gezeigt, die wissenschaftliche Begründung. Eine weitere Konsequenz dieser Theorie ist die, daß alles Recht hiernach nur entstehen könnte durch eine staatliche Willenserklärung, durch staatliche Gesetzgebung, wie dann nach dem oben Ausgeführten auch die Verfolgung von Zwecken und Interessen solche Willensakte voraussetzt. Eine andere Art der Rechtserzeugung, eine andere Rechtsquelle, außer dem staatlichen Gesetz könnte es hiernach gar nicht geben. Dem steht aber auch hier als mahnendes Wahrzeichen die historische Tatsache des Gewohnheitsrechts, der rechtsbildenden Kraft der Bevölkerung selbst in ihrem Leben und Treiben, in ihrem Handel und Wandel entgegen. Schon die alten römischen Juristen hatten mit dem Gewohnheitsrecht nichts Rechtes anzufangen gewußt. Sie suchten es selbst wieder auf staatliche Gesetzgebung zurückzuführen und seine bindende Kraft aus einer stillschweigenden Willenserklärung des Volkes, dem "tacitus consensus populi", herzuleiten, der sich in der fortgesetzten gleichmäßigen Übung aussprechen sollte. Diese römische Auffassung der Gewohnheit, als eines in tatsächlichen Handlungen sich kundgebenden Volkswillens, war - mit der Modifikation, daß noch die Genehmigung der staatlichen Gesetzgebungsorgane hinzukommen muß, - lange Zeit die herrschende; sie ist dann durch die historische Rechtsschule in ihrer inneren Unwahrheit dargelegt, aber in neuester Zeit trotzdem zur Stütze der Imperativentheorie wieder hervorgeholt und auf den den Schild gehoben worden. Allein sie hat an Haltbarkeit dadurch nichts gewonnen. Abgesehen davon, daß durch eine Zurückführung des Gewohnheitsrechts auf die Gesetzgebung das geschichtliche Verhältnis beider Quellen gerade umgedreht wird, da vielmehr, wie schon erwähnt, die verbindliche Kraft der Gesetze selbst erst durch Gewohnheit entstanden ist, - so beruth es auch auf einem völligen Verkennen des Wesens gewohnheitlicher Rechtsbildung, wenn man ihr, wie oben motivierende Zweckvorstellungen so hier irgendeine Art von Willenserklärung, einen Befehl für Andere, künftig ebenso zu handeln, unterschiebt. Wenn es in einem Volkskreis beispielsweise üblich wird, gewisse Belastungen ländlicher Grundstücke zugunsten der Nachbarsgrundstücke als rechtmäßig anzusehen und danach zu handeln, so geschieht dies in jedem Einzelfall lediglich in der Überzeugung, daß eine solche Belastung rechtmäßig ist. Die danach Handelnden denken aber gar nicht daran, damit ihrerseits eine Norm des Verhaltens für die Zukunft aufzustellen oder gar einen dahin gehenden Befehl für Andere auszusprechen (3). Das sind willkürliche Unterstellungen, die der Wahrheit der Tatsachen nicht entsprechen. Umgekehrt ist vielmehr zu sagen: wenn es wahr wäre, daß alles Recht seine Geltung aus einem staatlichen Befehl ableitet, so könnte es eine rechtschaffende Gewohnheit und ein Gewohnheitsrecht überhaupt nicht geben. Endlich spricht gegen die hier bekämpfte Theorie noch dies, daß nach ihr rechtliche Beziehungen zwischen mehreren Staaten und Rechtssätze, durch welche diese internationalen Beziehungen geregelt werden, mit anderen Worten, daß hiernach ein Völkerrecht nicht möglich wäre. Denn wer sollte hier als Befehlsgeber auftreten und Recht setzen? Jeder Staat kann Befehle erlassen nur an seine eigenen Untertanen, nicht aber an fremde Staaten. Und eine befehlende Gewalt, die als höhere über den einzelnen Staaten steht, gibt es nicht. - So scheitert also diese Imperativenlehre nach allen Richtungen an der tatsächlichen Wirklichkeit. Sie widerspricht den historischen Verhältnissen und dem wirklich bestehenden Recht ebenso, wie den innersten Gefühlen und Vorstellungen, die wir mit dem, was Recht ist und was Recht sein soll, von jeher verbunden haben. Lassen wir diese Auffassungsweise den Romanen, die, trotz allem Gerede von Freiheit und Gleichheit, den germanischen Gedanken der auf eigenem Recht fußenden und innerhalb dieses Rechts freien und selbstherrlichen Persönlichkeit nie haben erfassen können. Für die deutsche Rechtswissenschaft schien es mir an der Zeit, sich eines Besseren zu besinnen und sich von dieser Lehre der Unfreiheit abzuwenden. - Wohin aber soll sie sich wenden? Verehrte Anwesende! Nachdem mein Vortrag sich bisher wesentlich in verneinender Kritik ergangen hat, werden Sie billig von mir erwarten, daß ich auch auf diese Frage noch eine Antwort und damit meiner Darlegung auch einen positiven Inhalt gebe. Das will ich zum Schluß dann auch in aller Kürze versuchen. Mit dem Wort "Recht" verbinden wir zwei Bedeutungen. Einmal verstehen wir darunter die Berechtigung oder Befugnis einer Person zu einem Handeln, das sogenannte subjektive Recht oder Recht im subjektiven Sinn; andererseits die über jene Berechtigungen geltenden Regeln, die Rechtssätze oder Rechtsnormen, das sogenannte objektive Recht oder Recht im objektiven Sinn. Alles Recht aber, gleichviel in welchem Sinn wir es nehmen, besteht nicht in irgendwelchen materiellen Gegenständen, sondern immer sind es innere, seelische Gebilde, gewisse Vorgänge oder Zustände unseres eigenen Innern, die ich hier zunächst als Vorstellungen bezeichnen will (4). Und zwar sind es Vorstellungen, die einerseits jeweils an gewisse Tatsachen, an gewisse Sachverhalte oder, wie wir Juristen es nennen, Tatbestände sich anknüpfen, die andererseits inhaltlich dahin gehen, daß bei einer solchen Sachlage ein bestimmtes äußeres, irgendwie vorteilhaftes Verhalten gewisser Personen gegenüber gewissen anderen Personen das richtige oder, wie wir eben sagen, das rechte ist. Was heißt das? Der Begriff des Richtigen oder Rechten (5) ist ein relativer; er nimmt Bezug auf ein Anderes, zu dem das als richtig oder recht Bezeichnete in einem gewissen Verhältnis steht. Und zwar in dem Verhältnis des Entsprechens, des Zusammenstimmens, des Zueinanderpassens. Richtig oder recht ist das, was nach einem Anderen gerichtet ist und sich mit diesem Anderen daher anpaßt, anfügt, was ihm gemäß ist und mit ihm in Einklang steht. Auf diese Grundbedeutung allen Rechts weisen auch die mehrfachen Synonyma hin, die unsere Sprache mit dem Wort "Recht" in eine ständige Verbindung gebracht hat, wie "Fug und Recht", "recht und billig"; denn auch das Wort "billig" bedeutet von Haus aus das, was einem Anderen gemäß ist und zu ihm paßt. Weiter gehört hierher eine Wendung, die ihm heutigen Sprachgebrauch mehr zurückgetreten, aber im Mittelalter, und zwar gerade in der Rechtssprache, sehr gebräuchlich gewesen ist: "recht und gleich", "reht und gelike"; denn dieses "gelike", von lik, d. h. Leib, Körper, abgeleitet, bezeichnet etwas, was seiner Gestalt nach mit einem Anderen übereinstimmt, ihm entspricht. (6) So ergibt sich als Grundbegriff des Rechts die Vorstellung eines Zusammenstimmens und Zusammenpassens des Verhaltens der Menschen zueinander, einer Harmonie des sozialen Lebens. Allein, was ist nun jenes Andere, womit das menschliche Verhalten im Einklang stehen muß, um sich in unserer Vorstellung als recht und richtig zu erweisen? Ich berühre hiermit einen Punkt, der, soviel ich sehe, noch niemals zutreffend bestimmt worden ist, und ich erblicke eben darin den Hauptgrund der Unzulänglichkeit aller bisherigen Versuche, den Begriff des Rechts zu erfassen. Daß das "Richtige" nicht in die Zukunft weist, daß es nicht Wirkungen und Zwecke sein können, denen das rechte Verhalten als geeignetes Mittel zu entsprechen hat, glaube ich oben gezeigt zu haben. Von anderer Seite aber hören wir die Antwort: Recht ist, was einer Norm, einer Regel oder Vorschrift des Verhaltens entspricht. Aber auch diese Antwort kann nicht befriedigen. Denkbarerweise könnte eine solche Lösung höchstens für den subjektiven Begriff des Rechts, für die Berechtigung zutreffen. Subjektives Recht wäre hiernach das, was einem Satz des objektiven Rechts, einer Rechtsregel entspricht. Damit wird das subjektive Recht auf das Recht in einem objektiven Sinn zurückgeführt, es wird begrifflich daraus abgeleitet. Das objektive Recht, die Rechtssätze müßten danach das Ursprüngliche, die subjektiven Berechtigungen das daraus Folgende, deren Erzeugnisse sein, und in der Tat ist diese Auffassung bei unseren Juristen durchaus verbreitet. Aber dieser Auffassung steht ebenso die Geschichte wie die Psychologie entgegen. Geschichtlich ist der subjektive Begriff des Wortes "Recht" zweifellos der ältere; erst sehr allmählich ist dasselbe zunächst auf die Aufzeichnung subjektiver Rechte und dann auf die aufgezeichneten Regeln über jene Rechte übertragen worden. Und auch dann bezeichnete man noch lange solche Aufzeichnungen als "die Rechte", "Jura", indem man das Wort auch jetzt noch mehr auf den geregelten Gegenstand, als auf die Regelung selbst bezogen hat (7). Ja, während des ganzen Mittelalters ist man bei uns zu einer reinlichen Ablösung des objektiven Rechtsbegriffs von dem zugrundeliegenden subjektiven überhaupt nicht gekommen. Und auch aus psychologischen Gründen ist es nicht richtig, den Begriff des subjektiven Rechts aus der Übereinstimmung mit objektiven Rechtsregeln herzuleiten. Das subjektive Recht ist zunächst eine Erscheinung des konkreten Einzelfalls, alles objektive Recht dagegen enthält Allgemeinbegriffe und beruth auf Abstraktionen. In unserem Bewußtsein aber, dem des Einzelnen wie dem ganzer Völker, sind zunächst stets nur Einzelvorstellungen vorhanden, aus welchen erst hinterher durch eine geistige Verarbeitung Allgemeinbegriffe gewonnen werden. Es würde mit allen sonstigen psychischen Erfahrungen in Widerspruch stehen, wenn sich beim Recht zuerst Allgemeinvorstellungen gebildet und dann, wegen der Übereinstimmung mit diesen, die Einzelvorstellung als das Rechte und Richtige angesehen worden wäre. Die Rechtssätze sind ebensowenig das Ursprüngliche gegenüber den subjektiven Rechten, wie es die Sprachregeln gegenüber dem Sprachgebrauch im Einzelfall sind, mögen wir auch hinterher den Sprachgebrauch als eine Anwendung jener Regeln bezeichnen. Doch wie dem auch sei: ganz unmöglich ist es jedenfalls, beim objektiven Recht, bei den Rechtssätzen, das für den Rechtsbegriff wesentliche Moment des Übereinstimmens und Gemäßseins selbst wieder auf eine Regel oder Norm zu beziehen. Denn diese anderweitige Regel oder Norm müßte doch auch rechtlicher Natur sein und also auch ihrerseits wieder einer weiter zurückliegenden Rechtsnorm entsprechen. Kurz, man käme auf diese Weise zu einem progressus in infinitum [Teufelskreis - wp], ohne die Sache selbst irgendwie zu klären. Wohl beruft man sich noch darauf, daß die Sätze des objektiven Rechts ihr Merkmal in der Harmonie mit der "Rechtsidee" oder mit der "Idee der Gerechtigkeit" zu finden hätten. Jedoch eine oberste Rechtsidee irgendwie bestimmten Inhalts gibt es überhaupt nicht (sofern es sich dabei nicht wieder um bloße Abstraktionen aus bestehenden Rechtssätzen handelt), und die sogenannte Idee der Gerechtigkeit hat nur insofern einen Sinn, als sie den Grundsatz bezeichnet, daß die Menschen in ihrem Handeln und Urteilen sich nach dem Recht zu richten haben; sie bezieht sich auf die Rechtmäßigkeit des Handelns und der dadurch erzeugten Zustände, nicht aber auf das Recht selbst, dessen Bestehen in irgendeinem Sinn sie vielmehr voraussetzt. ![]() ![]()
1) Aus dem Westgötalag, angeführt bei Jakob Grimm, Von der Poesie im Recht, in "Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft", Bd. 2, Seite 44. 2) Als Zeugnis dieses Empfindens mag hier der Ausspruch eines Mannes wie Jakob Grimm dienen, der im Eingang seiner Schrift "Über meine Entlassung" 1838 sagt: "Ich bin keiner so weichherzigen Gelassenheit, daß ich mein Recht unverteidigt preisgeben möchte, mein gutes Recht, das, wie unbedeutend es der Welt scheinen mag, für mich den Inbegriff all dessen enthält, was ich errungen habe, und ohne Makel, ungelästert hüten will." Und auch Jhering selbst sagt in seinem "Kampf ums Recht", daß in diesem Kampf eine Sache der moralischen Selbsterhaltung ist, daß das Eigentum des Einzelnen die sichtbare Gestalt seiner Arbeitsvergangenheit, die sachlich erweiterte Peripherie seiner Person darstellt usw. Nur ist nicht einzusehen, wie eine solche Auffassung mit der Ableitung des subjektiven Rechts aus dem Staatswillen, damit, daß es "eine Anweisung sei, die der Staat ihm (dem Einzelnen) gegeben hat", sich soll vereinigen lassen. 3) Ebensowenig aber geht die Rechtsüberzeugung, die opinio juris, bei der Ausbildung des Gewohnheitsrechts dahin, daß ein Rechtssatz des betreffenden Inhalts besteht, daß das betreffende Handeln einem Satz des objektiven Rechts, einer Rechtsnorm entspricht, wie in der historischen Schule meist angenommen worden ist. Dann müßte in der Tat alles Gewohnheitsrecht einem Rechtsirrtum seinen Ursprung verdanken. Vielmehr geht die Grundvorstellung bei gewohnheitlicher Rechtsbildung - entsprechend der weiterhin zu berührenden psychologischen Priorität der rechtlichen Einzelvorstellung, d. h. der Vorstellung von subjektiven Rechten - zunächst dahin, daß in dem jeweils vorliegenden Fall der Handelnde zu diesem Handeln berechtigt oder verpflichtet ist; es ist die Vorstellung, daß man hier (wie dann natürlich auch Andere in gleichen Fällen) ein Recht hat, so zu handeln, oder mit einer Verpflichtung dazu belastet ist. Die Allgemeinvorstellung, daß ein Rechtssatz dieses Inhalts besteht und gilt, ist erst das Ergebnis einer späteren Abstraktion. Vgl. die weiterhin folgenden Erörterungen über das subjektive Recht und sein Verhältnis zum objektiven Recht. 4) Das Recht ansich, seiner ursprünglichen Substanz nach, besteht lediglich in solchen inneren Vorstellungen, hat lediglich ein Innendasein. Weitere Erfordernisse aber machen sich geltend, wenn Rechtsfälle und Rechtsstreitigkeiten nach Maßgabe der bestehenden Rechtsvorstellungen durch dazu berufene Dritte entschieden werden, wenn eine gerichtliche Rechtspflege und Rechtsanwendung stattfinden soll. Hierzu bedarf das ansich bestehende Recht einer gewissen äußeren Erkennbarkeit, einer äußeren Dokumentierung; es muß sich hierzu in gewisse äußere, die wirkliche Existenz kenntlich machende und garantierende Erscheinungsformen kleiden, aus denen es als existierend durch Gerichte sowie durch alle, die deren Entscheidung anrufen oder anrufen können, d. h. durch alle Rechtsgenossen mit einer gewissen Sicherheit erkannt werden kann. Daraus ergibt sich der Begriff des sogenannten positiven Rechts, d. h. des in die entsprechenden Formen gekleideten, äußerlich dokumentierten, von den Gerichten anzuwendenden Rechts, im Gegensatz zum Recht ansich, zu dem zunächst nur ein Innendasein führenden, ursprünglichen Recht. Das positive Recht ist eine besondere Ausgestaltung des Rechts ansich zum Zweck der praktischen Handhabung. Als Mittel und Formen dieser Ausgestaltung, der äußeren Dokumentierung kennen wir: die ausdrückliche staatliche Erklärung oder Konstatierung eines Satzes als Recht in Form des Gesetzes, und die längere tatsächliche Übung eines Handelns in der Vorstellung und Überzeugung, daß es so recht ist (siehe vorige Anmerkung), die Gewohnheit. Es sind das sie sogenannten Quellen des positiven Rechts, nicht des Rechts überhaupt. (Irrig ist es jedoch, auch in der gewohnheitlichen Übung, in der Betätigung rechtlicher Überzeugung, eine Erklärung sehen zu wollen, eine Erklärung durch konkludente Handlungen. Es ist das ein Ausfluß der Meinung, daß die Rechtsüberzeugung bei der Bildung des Gewohnheitsrechts sich auf abstrakte Rechtssätze bezieht (siehe Anmerkung 3) und führt zurück auf die Auffassung der Gewohnheit als tacitus consensus omnium.) Im Übrigen ist es nicht der Zweck dieses Vortrags, auf die besonderen Bedingungen dieses positiven Rechts und seiner Anwendbarkeit weiter einzugehen. (vgl. noch unten Anmerkung 19) 5) Aus dieser Neutralform des Adjektis "recht" hat sich das Hauptwort und damit der Begriff "das Recht" erst herausgebildet. Recht und richtig aber sind ansich gleichbedeutend. "Richtiges Recht" ist daher eine Tautologie, "unrichtiges Recht" ein Widerspruch in sich selbst. Von einem Gegensatz zwischen "richtigem" und "unrichtigem Recht" kann nur insofern die Rede sein, als man unter Recht das in Anmerkung 4 erwähnte, vom Staat gesetzte positive Recht versteht. Die staatliche Erklärung oder Konstatierung des Rechts kann allerdings unzutreffend sein, d. h. von den im Volk wirklich vorhandenen Rechtsvorstellungen abweichen. Solche Abweichungen können um der Sicherheit und der praktischen Handhabung des Rechts will nie ganz ausgeschlossen werden; die hiernach mögliche Unrichtigkeit betrifft aber nicht den ursprünglichen Begriff des Rechts. 6) Ebenso das griechische ison, das lateinische aequum. Auch dem Wort "jus" kommt eine ähnliche Grundbedeutung zu, wenn es gestattet ist, dasselbe mit jungere, juxta zusammenzubringen. 7) So besonders in der häufigen Zusammenstellung: "Rechte und Freiheiten", "iura ac privilegia". |