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RUDOLF von JHERING
Im juristischen Begriffshimmel

"Das ist die Haarspaltemaschine. Es ist unglaublich, wie das Auge sich ausbildet, und wie die Virtuosität im Haarspalten durch die Übung wächst.

Ich war gestorben. Eine Lichtgestalt empfing meine Seele bei dem Austritt aus dem Körper.
"Du bist von den Banden der Sinnlichkeit befreit, die Fesseln, mit denen Deine Seele an den Körper gekettet war, sind gesprengt, Du bist fortan nur Geist. Als solcher hast Du nicht mehr nötig, den "Geist" einer Sache erst mühsam zu suchen, denn alles, was Dich umgibt, die ganze Welt ist Geist.

Die Welt, welche Du bisher wahrzunehmen glaubtest, existierte nur in Deiner Vorstellung, ebenso wie Zeit und Raum, es waren Formen Deiner subjektiven Anschauung, wie Du, wenn Du KANT und SCHOPENHAUER studiert und verstanden hast, bereits wissen mußt, - Alles war Blendwerk und Sinnestäuschung. Das wahre Sein ist immaterieller Art, die ganze Welt ist Geist, und Du selber bist ein Stück davon. Was Du denkst, das  ist,  - Denken und Sein sind  Eins. 

Darauf beruth die Macht des zur Höhe seiner selbst erhobenen Willens, den Du auf Deiner irdischen Vorstufe nur in seiner unvollkommenen Form, in seinen ersten Ansätzen in der Welt der Erscheinung hast kennen gelernt.

Die Qual des Willens, wie Eure Philosophen es nennen, die dabei nur den irdischen Willen vor Augen haben, hat nunmehr für Dich aufgehört, fortan ist Dein bloßes Denken Wollen, - was Du gedacht hast, hast du gewollt, und was Du gewollt hast, ist Wirklichkeit, - Gedanke und Wirklichkeit sind Eins."
Habe Dank für die Unterweisung. Ich habe mir die Sache ungefähr so gedacht, aber es ist mir lieb, daß ich aus Deinem Munde die Bestätigung erhalte. Wie habe ich Dich zu nennen?
"Wie Geister tragen keine Namen, wir sind keine Individuen mehr, wie der Mensch es ist. Die Individualität ist ebenfalls eine der Formen des beschränkten irdischen Daseins, sie beruth gleich allen anderen auf der Verkettung des Geistes mit dem Körper; hat der Geist sich von letzterem abgelöst, so geht er in die Geistessubstanz, welche die wahre Welt ist, auf, gleich dem Tropfen, der ins Meer fällt. Ich bin Du, Du bist ich, wir alle sind unterschiedslos Eins, eine und dieselbe Geistessubstanz; die Vorstellung des individuellen Fürsichseins, der Du Dich bisher hingegeben hast, und die noch eine Zeitlang in Dir nachwirken wird, wird demnächst von Dir als Täuschung erkannt werden, Du wirst inne werden, daß nicht  Du  bist, daß nicht  Du  denkst, sondern daß  Es  ist, daß  Es  denkt, daß Dein Sein und Denken dem allgemeinen Sein und Denken gegenüber ebensowenig selbständig ist, als der Tropfen im Strom, die Welle auf der See. Hast Du's verstanden?"
Könnte es nicht sagen.
"Du hättest Dich auf Erden mehr mit Philosophie beschäftigen sollen. Eueren Philosophen macht es nicht die mindeste Schwierigkeit, das unpersönliche Sein und Denken zu begreifen. Aber auch mit Dir wird es sich mit der Zeit schon machen. Der Übergang von der Subjektivität zum unpersönlichen Sein ist für den Ungeübten nicht so leicht, auch ich habe mich erst daran gewöhnen müssen.

Zur Zeit befindest du dich noch in einem Übergangsstadium, es ist das der Larve, die aufgehört hat Raupe zu sein und noch nicht Schmetterling geworden ist. Du wirst in diesem Zustande nicht wissen, ob Du wachst oder träumst, ob das, was Du siehst und erlebst, Vorstellung oder Wirklichkeit ist; es ist das erste Symptom des schwindenden Subjektivitätsbewußtseins; Du wirst wissen, daß alle schwierigen Übergänge durch Mittelstufen bewirkt werden.

Ich werde übrigens, um mich Dir verständlich zu machen, zu Deinem bisherigen Standpunkt herabsteigen und mich Deinen Vorstellungen von Zeit, Raum und Individualität accomodieren (anpassen). Darum magst Du mich als ein Individuum ansehen und mich, um uns beide, die wir in Wirklichkeit nur Eins sind, auseinanderzuhalten, bei Namen zu nennen."
Wie darf ich dich denn nennen?
"Nenne mich PSYCHOPHOROS, den Seelenführer. Ich bin derjenige, welcher Dich an den Ort Deiner Bestimmung zu führen hat. Ich sage "Ort" und "führen", um das, was jetzt mit Dir geschieht, Deiner Vorstellungsweise anzupassen. Wärest Du schon weiter vorgerückt, so würdest Du wissen, daß die Annahme eines bestimmten Ortes im Raum auf der Unvollkommenheit des menschlichen Denkens beruht, und daß es auch des Führens meinerseits nicht bedarf, da Du selber den Ort Deiner Bestimmung nur zu denken brauchst, um dort zu sein."
Ich will es einmal versuchen. Wohin soll ich mich durch mein Denken versetzen?
"Da Du Romanist bist, so kommst Du in den juristischen Begriffshimmel. In ihm findest Du alle die juristischen Begriffe, mit denen Du Dich auf Erden so viel beschäftigt hast, wieder. Aber nicht in ihrer unvollkommenen Gestalt, in ihrer Verunstaltung, die sie auf Erden durch die Gesetzgeber und Praktiker erfahren haben, sondern in ihrer vollendeten, fleckenlosen Reinheit und idealen Schönheit.

Hier werden die juristischen Theoretiker belohnt für ihre Dienste, die sie denselben auf Erden geleistet haben; hier erblicken sie dieselben, welche sie dort nur in verschleierter Gestalt sahen, in voller Klarheit, sie erschauen sie von Angesicht zu Angesicht und verkehren mit ihnen wie mit ihres Gleichen. Die Fragen, für die sie sich im Diesseits vergebens nach einer Lösung umgesehen haben, hier werden sie ihnen von den Begriffen selber beantwortet.

Hier gibt es keine civilistischen Rätsel mehr, der Rechte an Rechten, die Natur des Besitzes, das Pfandrecht an eigener Sache und wie alle Probleme heißen mögen, die dem Jünger der Wissenschaft in seinem Erdenwallen so viel zu schaffen machen, hier sind sie alle gelöst.

Das ist der Himmel, dessen Du als Theoretiker jetzt teilhaftig werden wirst."
Also bloß für Theoretiker? Wohin kommen denn die Praktiker?
"Sie haben ihr eigenes Jenseits. Dasselbe gehört noch zum Sonnensystem. Die Sonne wirft ihre Strahlen hinein, und es gibt dort eine atmosphärische Luft, wie sie für die derbe Konstitution des Praktikers paßt, der einmal in dem luftleeren Raum, wie er für die Begriffe notwendig ist, nicht zu existieren vermag, und es herrscht dort ein Leben ganz wie auf der Erde, kurz der Praktiker findet alle Bedingungen des irdischen Daseins auch dort wieder.

Im theoretischen Himmel würde er nicht zu atmen vermögen, und er würde auch, da seine Augen auf die dort herrschende Finsternis nicht eingerichtet sind, keinen Schritt von der Stelle tun können."
Ist es denn dort dunkel?
"Völlig! Es herrscht die finsterste Nacht. Der Weltkörper, auf dem das theoretische Jenseits sich befindet, gehört nicht mehr zum Sonnensystem, es scheint kein Sonnenstrahl hinein. Die Sonne ist die Quelle alles Lebens, aber die Begriffe vertragen sich nicht mit dem Leben, sie haben eine Welt für sich nötig, in der sie ganz für sich allein existieren, fern von jeglicher Berührung mit dem Leben."
Aber wie können denn die Theoretiker, die dorthin kommen, in dieser Dunkelheit sehen?
"Die Augen des Theoretikers sind schon auf Erden daran gewöhnt ins Dunkle zu sehen. Je dunkler der Gegenstand, den er behandelt, einen desto höheren Reiz hat er für ihn, desto mehr kann er seinen Scharfblick an ihm zeigen, er gleicht der Eule, dem Vogel der MINERVA, der im Dunkeln sieht. Welchen Reiz würde die römische Rechtsgeschichte für ihn haben, wenn die Quellen es ihm ermöglichten, auf alle Fragen eine klare bestimmte Antwort zu erteilen!

Gerade die Lückenhaftigkeit und das oft gänzliche Schweigen derselben geben der Sache den größten Reiz, gerade die dunkelsten Partien sind die interessantesten, denn sie verstatten jenes freie ungebundene Umherschweifen der Phantasie, in welchem der wahre Hochgenuß ihres Besitzes besteht. Das Licht an die Stelle der Dunkelheit gesetzt - und alles wäre dahin!

Und selbst die Pandekten! (1) Was würde aus den Vorlesungen über sie, wenn es keine Dunkelheiten z.B. keine dunklen Stellen in den Quellen gäbe! Gerade sie sind ja die Würze des Vortrags, auf welche der Lehrer sich schon lange freut. Welche Einbuße würde die Wissenschaft erleiden, wenn die Stellen, die jetzt seit Jahrhunderten vielen Tausenden von Romanisten Gelegenheit gegeben haben, ihren Scharfsinn zu zeigen, in einer einer Weise erklärt würden, welche keinem Zweifel mehr Raum ließe, - es gäbe an ihnen dann nichts weiter zu tun, der Reiz derselben wäre dahin.

Doch es ist des Redens genug! Mache Dich bereit. Wir treten den Weg an und Du hast zu dem Zweck Nichts zu tun, als Dir das Jenseits, wie ich es Dir soeben geschildert habe, mit aller Energie zu denken, dann ist es da."
Ich tue es.
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"Wir sind bereits da! Meine Mission ist nunmehr beendet. Vielleicht komme ich noch einmal wieder, um Dich abzuholen, wenn Du die Prüfung nicht bestehst."
Eine Prüfung im Himmel? Ich sollte meinen, auf Erden würde man genug geprüft, und nach dem Tode müsse das Examinieren endlich einmal aufhören.
"Glaubst Du denn, daß in den Begriffshimmel jeder Jurist ohne Unterschied zugelassen wird? Da könnten ja auch Praktiker kommen und Aufnahme begehren. Er ist nur für die Theoretiker bestimmt und auch nur für die Auserwählten unter ihnen. Es wird sich bei Deinem Examen zeigen, ob Du zu letzteren gehörst, sonst mußt Du in den allgemeinen Juristenhimmel wandern. Melde Dich bei dem Wächter, den Du dort siehst."
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Ich soll mich bei Dir melden. Ich wollte in den Himmel.
"Es wird sich finden, ob du angenommen wirst. Vorläufig hast Du die Quarantäne zu bestehen, dann die Prüfung."
Eine Quarantäne? Zu welchem Zweck?
"Um uns sicherzustellen, daß Du uns keine atmosphärische Luft mitbringst."
Vertragt Ihr die denn nicht?
"Sie ist Gift für uns. Eben darum ist unser Himmel im äußersten Winkel der Welt angebracht, damit keine Luftwelle und kein Lichtstrahl hineindringe. Die Begriffe vertragen die Berührung mit der realen Welt nicht. Wo sie leben und herrschen sollen, muß letztere mit allem, was ihr angehört, gänzlich fern bleiben. In der Begriffswelt, die Du hier vor Dir hast, gibt es kein Leben in Eurem Sinne, es ist das Reich der abstrakten Gedanken und Begriffe, die unabhängig von der realen Welt, auf dem Wege der logischen  generatio aequivoca  (2), sich aus sich selber heraus gebildet haben, und die darum jede Berührung mit der irdischen Welt scheuen. Selbst die Erinnerung an letztere muß derjenige, welcher hier Aufnahme finden will, gänzlich abgetan haben, sonst ist er des Anschauens der reinen Begriffe, in dem die höchsten Freuden unseres Himmels bestehen, nicht würdig und fähig."
Wohin geht unser Weg jetzt?
"Zunächst zur  Palästra.  Es ist der Turnplatz für die gymnastischen Übungen, in denen die seligen Geister, wenn sie vom Anschauen der Begriffe ermüdet sind, ihre Erholung suchen. Auf diesen Platz wirst Du später zurückgeführt werden, um hier Deine Prüfung zu bestehen."
Seltsame Dinge, die ich hier wahrnehme! Was ist denn dies für eine wunderliche Maschine?
"Das ist die  Haarspaltemaschine.  Wenn Du Dein Examen zu machen hast, mußt Du auf ihr ein Haar in 999999 ganz akkurat gleiche Teilchen zerlegen; wenn auch nur ein einziges auf der daneben befindlichen Waagschale, die durch einen Sonnenstrahl zum Sinken gebracht werden kann, sich als zu leicht erweist, so bist Du durchgefallen.

Zuerst bekommst Du ein Haar, das Du noch mit dem bloßen Auge wahrzunehmen vermagst, dann immer feinere, die Du bei der noch nicht ausgebildeten Sehkraft Deines Auges nur mittels einer Lupe wahrnehmen kannst. Späterhin hast Du letztere gar nicht mehr nötig; es ist unglaublich, wie das Auge sich ausbildet, und wie die Virtuosität im Haarspalten durch die Übung wächst, wir haben hier Einige, welche den angegebenen Normalteil wiederum in 999999 Teile zerlegen.

Wer es am besten kann, erhält als Meisterpreis nach Art eines Lorbeerkranzes einen aus den selbstgespaltenen Haaren gewundenen Kranz, und er behält ihn so lange, bis ein Anderer ihn überbietet. Das Haarspalten hat bei noch nie ein Ende gefunden."
Was ist denn das für einen lange Stange?
"Das ist die  Kletterstange  der schwierigen juristischen Probleme. Sie ist so glatt, daß ein Sonnenstrahl, wenn der hier möglich wäre, daran abgleiten würde. Dreimal darfst Du es versuchen, mißlingt es Dir, so bist Du durchgefallen. Du siehst, daß die Stange drei Mastkörbe hat. Auf den ersten mußt Du bei Deinem Examen hinauf, um irgend eine der dort befindlichen Probleme herunterzuholen und es dann wieder hinaufbringen.

Die beiden übrigen Mastkörbe sind nur von denen zu erreichen, die im Klettern bereits eine große Fertigkeit erlangt haben. Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß die Schwierigkeiten mit jeder Abteilung sich steigern. Auf den obersten Mastkorb ist nur ein Einziger ein einziges Mal hinaufgekommen, und er hatte nachher die äußerste Mühe das Problem wieder hinaufzubringen."
Warum muß das denn geschehen?
"Welche unverständige Frage von Dir! Das ganze Vergnügen würde aufhören, wenn keine Probleme mehr da wären, die man herunterholen könnte. Unsere Probleme sind bloß dazu da, um zum Klettern anzufeuern, nicht um gelöst zu werden. Was sollten denn alle, die den Trieb zum Klettern in sich verspüren, beginnen, wenn keine Probleme mehr oben wären? Darum müssen dieselben immer wieder hinaufgebracht werden."
Erlaube mir noch eine Frage: sind die schwierigen juristischen Probleme, welche Ihr da oben aufgestellt habt, praktischer Art, haben sie Bedeutung für das Leben?
"Jetzt zeigst Du wieder einmal, daß Dir das Verständnis für unseren Himmel noch gänzlich abgeht. Praktischer Art? Den Namen  praktisch  darfst Du hier gar nicht nennen; wenn ein Anderer als ich das Wort gehört hätte, so hätte dies Deine sofortige Ausschließung zur Folge gehabt. Bedeutung der Probleme für das Leben? Gibt es denn hier ein Leben? Hier herrscht nur die reine Wissenschaft, die Rechtslogik, und die Bedingung ihrer Herrschaft und all der Herrlichkeit, die sie aus sich entläßt, besteht ja gerade darin, daß sie mit dem Leben nicht das Mindeste zu schaffen hat.

Du wirst später, wenn wir die Begriffe in Augenschein nehmen, sehen, was aus ihnen wird, wenn sie sich dem Leben zu fügen haben. Es befindet sich dort neben der Begriffshalle, in der Du die reinen, d.h. lediglich sich selber lebenden und aller Beziehung zum Leben enthobenen Begriffe erschauen wirst, ein eigenes anatomisch-pathologisches Begriffskabinett, welches die Mißbildungen und Verrenkungen enthält, denen die Begriffe in der wirlichen Welt ausgesetzt gewesen sind.

Es sind lauter Präparate. Solche Mißgeburten können, wenn sie auch auf Erden eine kümmerliche Existenz führen, doch in unserem Himmel nicht  leben,  denn hier  lebt  nur, was wissenschaftlich  gesund,  d.h. begrifflich rein, logisch korrekt ist. Das Leben, an welches Du denkst, ist gleichbedeutend mit dem Tod der wahren Wissenschaft. Es ist die Knechtschaft der Wissenschaft, der Frohndienst der Begriffe, die anstatt, wie sie es beanspruchen können, sich selber zu leben, und wenn Du Dir die Aussicht auf Aufnahme nicht gänzlich abschneiden willst, so richte an Niemanden die Frage: wozu denn alles, was Du hier siehst,  dienen  solle.  Dienen!  Das fehlte noch, daß die Begriffe auch in unserm Himmel  dienen  sollten, - hier  herrschen  sie und entschädigen sich für die Dienstknechtschaft, welche sie auf Erden erdulden mußten. Gehen wir weiter. Ich werde Dir einige unserer juristischen Maschinen zeigen. Ich kann sie Dir nicht alle erklären, sie sind auch nicht alle gleich interessant, und einige, wie z.B. den  Fiktionsapparat,  dessen hohen Wert für juristische Zwecke Du aus Erfahrung kennst, wirst Du auch ohne meine Beihilfe erkennen. Ich nehme nur die interessantesten heraus.

Was Du hier erblickst, ist die dialektisch-hydraulische  Interpretationspresse.  Mittels ihrer bringt man aus jeder Stelle das heraus, was man nötig hat. Von den Pumpen, die sich neben dem Hauptzylinder befinden, enthält die eine den dialektischen  Infiltrationsapparat,  den  Injektor,  wodurch Gedanken, Voraussetzungen, Beschränkungen, die dem Schreiber der Stelle gänzlich fremd waren, in sie hineingetrieben werden. Es ist eine Erfindung der Theologen, die Juristen haben sie bloß nachgemacht, und ihr Apparat ist mit dem der Theologen nicht von weitem zu vergleichen, er leistet kaum ein Zehntel von dem der Letzteren, die dadurch ganze Systeme in ein einziges Wort hineintreiben; aber für die juristischen Zwecke reicht sie vollkommen aus.

Die andere Pumpe ist der  Eliminationsapparat,  der  Eliminator,  wodurch unbequeme positive Äußerungen der Stellen beseitigt werden. Bei richtiger Handhabung der Maschine lassen sich die widersprechendsten Stellen vereinigen."
Und jene Maschine ihr zur Seite?
"Sie ist die dialektische  Bohrmaschine Sie dient dazu, um schwierigen Fragen auf den Grund zu kommen. Sie enthält die mechanische Verwirklichung des Problems der wissenschaftlichen Gründlichkeit. Sie will übrigens mit großer Geschicklichkeit gehandhabt werden. Bei minder geschicktem Gebrauch bohrt sie so tief, daß der Bohrer auf der andern Seite wieder herauskommt, was uns seligen Geistern stets eine große Erheiterung gewährt. Zur Demütigung des Ungeschickten und zur Warnung der Andern werden die mißlungenen Probestücke aufbewahrt und ausgestellt, - Du siehst sie hier vor Dir."
Ich habe übrigens nunmehr vollkommen genug von Eurer Akademie. Was gibt es jetzt noch zu sehen?
"Das Höchste und Beste, as ich bis zuletzt aufgespart habe. Du siehst es dort in jenem Prachtbau vor Dir. Die hohe Kuppel in der Mitte desselben wölbt sich über unserm höchsten Heiligtum, es ist die Halle der Begriffe. Neben derselben befinden sich in dem einen Flügel das  Cerebrarium,  in dem andern das  anatomisch -pathologische Begriffskabinett.  Wir verfügen uns zunächst in jenes."
Wo ist denn der Eingang? Ich finde nirgends eine Tür.
"Türen kennen wir hier nicht, wir sind gewohnt mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, dann gibt sie nach und läßt uns durch. Hättest Du auf Erden den Mut der vollen prinzipiellen Konsequenz gehabt, die in dem Bewußtsein der Richtigkeit des einmal eingeschlagenen Weges unverrückt oder, wie Ihr Euch jetzt auszudrücken pflegt, unentwegt geradeaus geht, ohne links und rechts zu schauen, ohne sich darum zu kümmern, ob der Weg in die Sümpfe und zu Abgründen führt, oder minder bildlich gesprochen, ohne sich an die praktischen Folgen zu kehren, - hättest Du auf Erden diesen Mut gehabt, so würde es Dir auch hier ein Leichtes sein, mit dem Kopf gegen diese Mauer zu rennen und Dir den Eingang zu erzwingen. An Deiner Statt will ich es tun; folge mir."
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"Wir sind im Cerebrarium."
Was ist denn das?
"Es ist unser spiritistisches Laboratorium. Hier wird die Gehirnsubstanz für die Theoretiker hergestellt."
Bedarf es denn für sie eines besonderen Gehirns?
"Das solltes Du, der das seinige sein Lebenlang mit sich herumgetragen hat, doch wissen; hast Du denn nie gemerkt, daß dasselbe anders organisiert ist, als das eines gewöhnlichen Praktikers?"
Ich habe so etwas gefühlt, aber klar geworden ist es mir nicht.
"Du findest hier Gelegenheit Dich nachträglich darüber zu belehren. Hier sind zum Zweck der Vergleichung, zwei künstlich in Wachs genau nachgebildete Gehirne aufgestellt, das eine von einem Theoretiker, das andere von einem Praktiker. Nimmst Du nicht einen Unterschied wahr?"
Gewiß! In dem ersteren befindet sich in der  substantia medullaris  eine eigentümliche Erhöhung.
"Das ist der  mons idealis.  Er bildet das unterscheidende Merkmal des juristischen Theoretikers vom Praktiker. Die Substanz, aus der er sich in dem zum Theoretiker berufenen Juristen nach und nach entwickelt, wird hier angefertigt. In der atmosphärischen Luft verflüchtigt sie sich, und darauf beruht die Möglichkeit, sie der Frau, welche begnadet ist, einen Theoretiker in die Welt zu setzen, beizubringen; sie atmet dieselbe bei der Konzeption ein, ohne es in dem Moment zu merken; hinterher empfindet sie an der Unruhe des Fötus schon, daß es etwas Besonderes ist, - der künftige Theoretiker kündigt sich schon im Mutterleibe dadurch an, daß er es nicht abwarten kann, bis er von sich reden macht."
Worin besteht die Funktion des  mons idealis? 
"Er verschafft dem Theoretiker die Gabe des idealen Denkens, welches Du nicht mit dem abstrakten Denken verwechseln darfst. Letzteres ist Jedem nötig, dem praktischen Juristen in erster Linie, und sein Beruf sorgt dafür, daß es in ihm, auch wenn die Natur ihn in dieser Beziehung nicht sonderlich ausgestattet hat, soweit ausgebildet wird, als für seine Berufsarbeit erforderlich ist.

Aber das ideale Denken bildet den eigentümlichen Vorzug des juristischen Theoretikers, es beruht auf der Fähigkeit sich bei dem Denken juristischer Dinge von den Voraussetzungen ihrer praktischen Verwirklichung frei zu machen. Die Frage der Anwendung und des Beweises kommt für ihn gar nicht in Betracht, - was er sich denkt, existiert. Damit ist er aller Schwierigkeiten überhoben, welche dem Praktiker so viele Mühe machen, der Frage, woran die von ihm aufgestellten feinen Unterschiede in  concreto  zu erkennen sind, wie die in  abstracto  mögliche Differenzierung des Willens im einzelnen Fall sich nachweisen lasse, - sein Reich bildet ausschließlich das Abstrakte, das Konkrete überläßt er dem Praktiker, mag er sehen, wie er damit fertig wird.

Dadurch ist für ihn der Gegensatz zwischen dem Denken und der Wirklichkeit, welcher allen anderen Sterblichen so viel zu schaffen macht, beseitigt, er befindet sich auf der Höhe des philosophischen Idealismus, für den die reale Welt bloßer Schein, bloße Vorstellung des Subjekts ist. Dem Satz des CARTESIUS:  cogito ergo sum  setzt er den unendlich viel inhaltreicheren entgegen:  cogito ergo est.  Ausgerüstet mit dieser schöpferischen, das Sein setzenden und damit ersetzenden Macht des Denkens kennt er auf dem Gebiete des Rechts kein Hindernis, das seinen Gedankenkombinationen Halt zuruft. Dem Adler gleich, der sich in die Wolken erhebt, schwingt er sich in die Regionen des idealen Denkens, und badet sich hier in dem reinen Gedankenäther, unbekümmert um die reale Welt, die tief unter ihm liegt und seinen Blicken entrückt ist."
Ich danke Dir für die Belehrung. Nahezu habe ich mir die Sache so vorgestellt, ich habe mir stets die Jurisprudenz als die Mathematik des Rechts gedacht. Der Jurist rechnet mit seinen Begriffen, wie der Mathematiker mit seinen Größen; wenn nur das Fazit logisch korrekt ist, so hat er sich um nichts weiter zu bekümmern.
"Ich sehe Dir an, daß Du genug hast. Du scheinst mir nicht recht aufmerksam mehr zu sein."
Die Sache fängt in der Tat an, mich zu ermüden, führe mich anderswohin.
"Jetzt gibt es nichts mehr zu sehen, Du bist fertig. Ich werde Dich jetzt zum Examen anmelden."
Zum Examen? Nein, hehrer Geist,  der  Gefahr unterziehe ich mich nicht, ich sehe doch voraus, daß ich durchfallen werde. Und sodann muß ich Dir aufrichtig gestehen: Euer Himmel lockt mich nicht sonderlich, er scheint mir trotz aller Herrlichkeiten, die hier zu sehen sind, und trotz aller der Spiele, mit denen die seligen Geister sich die Zeit vertreiben, doch etwas langweilig zu sein; ich ziehe es vor in einen anderen Himmel zu gehen.
"Das ist deine Sache, wir begehren Dich hier nicht, Du hast sattsam gezeigt, wie wenig Du für uns paßt. In welchen Himmel willst Du? Ich muß es wissen, damit ich den Führer bestelle."
In welchen kann ich kommen?
"Für Dich als Juristen gibt es noch zwei: den der Rechtsphilosophen und den der Praktiker."
Ersterer würde mich schon locken.
"Aber so leicht kommst Du in ihn nicht hinein; auch dort hast Du ein Examen zu bestehen."
Kennst Du die Einrichtung desselben?
"Gewiß! Die Rechtsphilosophie ist zwar in unserem Himmel streng verpönt, sie verträgt sich nicht mit der Herrschaft der Begriffe, weil sie der Strenggläubigkeit Abbruch tut, aber von einem unserer Geister, der in dem rechtsphilosophischen Examen durchfiel und dann zu uns kam, habe ich die Einrichtung desselben erfahren. Im Himmel der Rechtsphilosophen herrscht die  Vernunft,  wie bei uns die  Begriffe,  bei uns hast Du das Recht aus dem  Begriff,  dort aus der  Vernunft  abzuleiten."
Das scheint mir nicht gerade so schwer zu sein. Mit dem Satz von HEGEL: "Alles, was ist, ist vernünftig", getraue ich mir Alles fertig zu bringen. Wer mit mir nicht übereinstimmt, dem spreche ich einfach das Erkenntnisvermögen für das Vernünftige ab. Wie sollte man auch sonst bei dem gänzlichen Auseinandergehen der Ansichten der verschiedenen Völker und Zeiten über dasjenige, was vernünftig ist, sich helfen? Was  wir  haben, ist vernünftig, was  sie  haben, wenn es dem widerspricht, unvernünftig. Vor dem Examen in der Rechtsphilosophie ist mir nicht bange.
"Ich halte es nicht für unmöglich, daß Du das Examen in Rechtsphilosophie bestehen wirst. Bevor Du zu demselben zugelassen wirst, mußt Du jedoch das rechtsphilosophische Glaubensbekenntnis ablegen."
Wie lautet dasselbe?
"Ich glaube daran, daß alle Rechtswahrheiten dem Menschen von der Natur mitgegeben, ihm angeboren sind, und daß es daher nur seines energischen Denkens bedarf, um den ganzen Reichtum derselben, die embryonisch in seiner Vernunft enthalten sind, zu Tage zu fördern. Der Mensch trägt in seinem Rechtsgefühl, das, da es von der Natur selber ihm eingepflanzt ist, bei allen Völkern und zu allen Zeiten ewig dasselbe ist, sämtliche allgemeinen Rechtswahrheiten in sich; die geschichtliche Verschiedenheit der Rechte, die damit unverträglich scheint, kommt auf Rechnung teils des unvollkommenen Denkens, teils des positiven, durch Willkür oder bloße Zweckmäßigkeitsrücksichten geleiteten Gesetzgebung."
Ein solches Glaubensbekenntnis vermag ich nicht abzulegen, ich habe auf Erden die gerade entgegengesetzte Ansicht verteidigt.
"Ich habe mir nach allem, was ich bisher von Dir gehört habe, schon gedacht, daß Du das rechtsphilosophische Glaubensbekenntnis nicht würdest ablegen können. Dein Blick ist in Deinem Erdenwallen viel zu sehr auf die Erde und irdische Dinge gerichtet gewesen. Anstatt die Begriffe und Ideen in ihrem absoluten, an keine historischen Bedingungen geknüpften Dasein, ihrer logischen oder rechtsphilosophischen Autarkie anzuerkennen, hast Du stets die törichte Frage nach ihrem historischen oder praktischen  Warum  getan, womit Du sie entwürdigt und den Beweis geliefert hast, daß Dir der Sinn und das Verständnis für den Idealismus des Rechts abgeht. Durch diese eine Frage nach dem  Warum  hast Du Dir den Zutritt sowohl zu unserm Himmel als zu dem der Rechtsphilosophen versperrt. Dir bleibt nur noch der Himmel der Praktiker übrig."
Werde ich als Theoretiker da Aufnahme finden?
"Da findet Jeder Aufnahme, der sein juristisches Examen gemacht hat, und dazu gehört bekanntlich nicht viel. Vielleicht werden sie Dir als Theoretiker noch einen Rechtsfall zur Entscheidung vorlegen, aber Du kannst ganz unbesorgt sein, mit der Entscheidung nehmen sie es nicht so genau; sie machen auch an sich selber in dieser Beziehung keine sehr hohen Ansprüche, - wenn der Fall nur entschieden wird, auf das 'Wie kommt es ihnen nicht an. - Ich lasse jetzt den Seelenführer kommen."
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Hier ist er. Gehab Dich wohl."
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Ich war wieder in Bewegung und durchmaß unermeßliche Räume mit der Schnelligkeit des Gedankens, die Dunkelheit, die mich bisher umgeben hatte, minderte sich, der erste schwache Lichtschimmer fil in mein Auge, kurz darauf hatte ich die Sonne im vollen Glanz vor mir. Wir näherten uns einem Planeten.

"Das ist Dein Bestimmungsort", sagte mein Führer.

Kaum war das Wort gesprochen, so waren wir da. Ich atmete wieder atmosphärische Luft, ein Gefühl der Freiheit, des Lebens, des wonnigen Behagens durchdrang mich. Ich sah Bäume, Wälder, grüne Auen, Häuser, selbst Kegelbahnen, - hier wohnen Praktiker, sage ich mir, hier herrscht Leben, hier wird es Dir wohl sein.

"Ich verlasse Dich jetzt", sagte meine Führer, "gehe in jenes Gebäude und klopfe an die erste Tür, dort ist das Anmeldungsbüro für die Ankömmlinge, dort wirst Du einregistriert und erhältst Deine Nummer."

"Herein", rief es mit lauter Stimme.

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Ich selber hatte es gerufen. Es hatte an meiner Tür geklopft, der Briefbote war es, der mir einen Brief von einem Freunde brachte. Ich rieb mir schlaftrunken die Augen und besann mich. Ich fand mich auf meinem Sofa hingestreckt, ein offen aufgeschlagenes Buch vor mir, eine hellbrennende Lampe auf dem Tische. Die Erinnerung kehrte zurück. Ich war an einem schönen Sommerabend bei einer der neuesten romanistischen Schriften eingeschlafen.

Bei Eintritt der Dunkelheit war, ohne daß ich in meinem tiefen Schlaf es gemerkt hatte, von der Haushälterin die brennende Lampe ins Zimmer getragen worden. Alles, was ich zu erleben geglaubt hatte, war bloß Traum gewesen, ein Traum, zu dem die eigenartige Lektüre, die allmählich eintretende Dunkelheit, die geisterartig im Winde flatternden Gardinen des offenen Fensters und schließlich die von mir als wieder sichtbar werdende Sonne begrüßte Lampe die Elemente geliefert hatten.

Der Brief, den ich erhielt, besprach das Buch, dem ich meinen Schlaf und Traum verdankte, und mein Freund gab sein Urteil mit den Worten GOETHEs im Erlkönig ab:
"In dürren Blättern säuselt der Wind."
Er bat zugleich mich um mein Urteil. Ich habe es ihm gegeben durch Mitteilung der Tatsache, daß ich bei dem Buch eingeschlafen sei. Ob der Verfasser beim Schreiben desselben nicht der gleichen Versuchung erlegen ist? Ich glaube, daß mir in seiner Lage schon auf der dritten Seite die Augen zugefallen, und die Feder den Händen entsunken wäre. Ich werde es nie wieder zur Hand nehmen.

Ich weiß nicht, ob die Wiederholung seiner Wirkung auf mich ebenso amüsant ausfallen würde, wie das erste Mal. Ein zweiter Traum könnte mich vielleicht statt in den Himmel in die Hölle versetzen, und mich statt der Freuden des ersteren die Schrecknisse der letzteren kosten lassen.

Zur Strafe dafür, daß ich die Geheimnisse des Himmels ausgeplaudert habe, würde man mir dort vielleicht zudiktieren, daß ich das obige Buch von neuem zur Hand nehmen und völlig durchstudieren oder sämtliche Anzeigen, Kritiken, Rezensionen, welche an mir für die gegenwärtige Schrift ein verdientes Strafgericht vollziehen werden, lesen solle, - beides kann und werde ich mir auf Erden ersparen!
LITERATUR - Rudolf von Ihering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, Berlin 1896
    Anmerkungen
  1. Sammlung von Sprüchen aus dem römischen Recht
  2. "generatio aequivoca" (lat. = Herstellung der Gleichheit)