![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
|||
(1848-1913) Über Wurzel und Wesen des Rechts [2/2]
So stehen wir also immer noch vor der Frage: Womit hat das Recht übereinzustimmen, um wirklich Recht zu sein? Es kann dies nichts Zukünftiges, es kann nichts Abstraktes sein. So bleibt zur Antwort nur das, worauf uns schon der Inhalt unserer rechtlichen Vorstellungen hinweist: Das, was Recht ist, hat in Einklang zu stehen mit dem jeweiligen Sachverhalt, mit denjenigen Tatsachen, welche für dieses Recht die Voraussetzung bilden. Ein Recht erscheint dadurch als Recht, daß sein Inhalt sich seinem Tatbestand anpaßt, sich als die, diesem Tatbestand entsprechende Folge an ihn anschließt. Das "Richtige" im Recht weist also auf ein Vergangenes, Geschehenes, Vorliegendes; es besteht in der Vorstellung, daß ein vorzunehmendes menschliches Handeln im richtigen, harmonischen Verhältnis steht zu Tatsachen, die bereits gegeben sind oder als solche gedacht werden. Dies gilt zunächst für das subjektive Recht, die persönliche Berechtigung, die ja, wie bemerkt, den ursprünglichen Gegenstand rechtlicher Vorstellungen bildet. Einige Beispiele mögen dies erläutern. Wenn es sich in einem Fall zugetragen hat, daß ein Herr Meyer einem Herrn Schulze eine Summe Geldes geliehen hat, dann erscheint es diesem Sachverhalt gemäß und entsprechend, also richtig und recht, wenn der Darlehensgeber Meyer die geliehene Summe vom Empfänger Schulze später zurückfordert oder zurücknimmt. Ferner: wenn ein Schriftsteller oder Künstler ein Werk seines Geistes hervorgebracht hat, dann erscheint es uns billig und recht, d. h. wieder: diesem Sachverhalt angemessen, daß der Urheber die alleinige Vergütung über sein Werk und die Nutznießung daraus hat. Weiter: wenn ein Verbrecher durch seine Tat fremde Rechte verletzt hat, so erscheint es mit diesem Tatbestand im Einklang, und daher recht, wenn dieser Verbrecher, sei es nun vom Verletzten selbst oder an dessen Stelle vom Staat, - wir sagen, diesen Zusammenhang andeutend: wenn der dafür zur Strafe gezogen wird. In all diesen Fällen drücken wir das Harmonieverhältnis zwischen Sachverhalt und Folgehandlung dahin aus: der Darleiher, der Urheber, der Staat usw. hat das Recht, in der genannten Weise zu handeln. Ganz das Gleiche gilt aber auch für die Rechtssätze, das Recht im objektiven Sinn. Denn dieses objektive Recht besteht ja, wie bereits angedeutet, in Wahrheit in nichts Anderem, als in Abstraktionen, in Allgemeinvorstellungen, die aus den Einzelvorstellungen, die wir subjektive Rechte nennen, abgeleitet sind. Die in einem konkreten Fall auftretende Vorstellung, daß ein bestimmtes Handeln eines Beteiligten eben diesem vorliegenden Sachverhalt gemäß ist, - diese Vorstellung zur Allgemeinvorstellung erhoben für alle ebenso gestalteten Fälle: das und nichts Anderes ist ein Rechtssatz, eine Rechtsnorm oder Rechtsregel. Denn eine solche Allgemeinvorstellung enthält ja eben, um an ein vorher genanntes Beispiel anzuknüpfen, die Regel, daß in jedem Fall, in welchem irgendjemand irgendeinem Anderen ein Darlehen gibt, es stets dem Sachverhalt gemäß ist, wenn der Darlehensgeber die Summe vom Empfänger zurückfordert, oder anders ausgedrückt: daß er in solchen Fällen stets ein Recht hat zur Rückforderung. Und eine solche Regel nennen wir eben einen Rechtssatz, objektives Recht. Die Sätze des objektiven Rechts sind lediglich abstrakte Aussagen über subjektive Recht. Die erleichtern und sichern deren Erkenntnis und praktische Handhabung, nicht aber erzeugen sie dieselben (8). Und hierfür ist auch ganz gleichgültig, ob ein solcher Rechtssatz als sogenanntes Gewohnheitsrecht aus den im Verkehr selbst sich bekundenden und betätigenden rechtlichen Vorstellungen der Bevölkerung durch Wissenschaft oder Gerichte abstrahiert oder konstatiert wird (9), oder ob die Abstraktion durch die Staatsgewalt vorgenommen und in Form eines Gesetzes erklärt und gewissermaßen beglaubigt wird. Durch die Aufnahme in ein staatliches Gesetz kann sich das begriffliche Wesen der Rechtssätze nicht ändern. Objektives und subjektives Recht stehen sich eben nicht, wie bisher meistens angenommen wurde, als zwei völlig getrennte Begriffe gegenüber, sondern verhalten sich zueinander wie das Abstrakte zum Konkreten. Der Grund des Rechtseins ist bei beiden der gleiche (10). Handelt es sich sonach beim Recht in allen seinen Erscheinungen um eine Harmonie menschlichen Handelns mit gegebenen Tatsachen, so werden Sie mich weiter fragen - und das ist in der Tat der entscheidende Punkt der ganzen Ausführung -: wonach bestimmt sich denn diese Harmonie selbst? Woher entnehmen wir denn, welche Handlungen jeweils mit gewissen Sachverhalten zusammenstimmen und ihnen gemäß sind ? Um eine völlige Gleichheit des Inhalts kann es sich ja doch nicht handeln; nicht auf Uniformität kommt es an, sondern auf Konformität. Diese Konformität bildet, wie gesagt, den Gegenstand unserer Vorstellungen; der bestimmende Faktor kann daher ebenfalls nur ein innerer, nur ein psychischer sein. Wie ist er aber beschaffen? Nicht ist es, wie vorher dargelegt, der Wille, weder der eines Einzelnen, noch der der Gesamtheit, des Staates. Ebensowenig aber kann es, wie im Gegensatz zur Willenstheorie in der Scholastik und im Naturrecht vielfach behauptet worden ist, die Vernunft sein, sofern darunter das Denkvermögen verstanden wird. Durch Denken kann nur Gegebenes erkannt und aus dem Erkennen Folgesätze abgeleitet werden. Hier aber handelt es sich nicht darum, wie irgendwie gegebene Rechte zur Erkenntnis und weiter zu entwickeln sind, - das ist eine Aufgabe der Rechtswissenschaft, die, wie schon bemerkt, ohne Logik gewiß nicht auskommen kann. Vielmehr ist hier die Frage, wie und wodurch die Vorstellungen rechtlicher Harmonie, für die ein äußeres Objekt zunächst nicht gegeben ist, in uns selbst zustande kommen und woher sie ihren Inhalt nehmen. Auf irgendwelchen Denknotwendigkeiten beruhen sie nicht, wie schon die zeitliche und nationale Verschiedenheit des Rechts erweist, und so kann das logische oder vernünftige Denken als Faktor der rechtlichen Urproduktion nicht in Betracht kommen. Der innere Faktor, der Vorstellungen des Zusammenstimmens verschiedenartiger Erscheinungen allein in uns hervorrufen kann und hervorruft, er besteht vielmehr in derjenigen psychischen Funktion, die uns durch ihre bloße Existenz eine unmittelbare Gewißheit gibt von der Wahrheit ihres Inhalts, die eines weiteren Beweises für die Wahrheit nicht bedarf und einen solchen Beweis auch gar nicht zuläßt; er besteht im menschlichen Gefühl, welches wir nach dieser Seite seiner Betätigung eben als Rechtsgefühl bezeichnen (11). Die rechtlichen Vorstellungen, von denen bisher die Rede war, charakterisieren sich daher, näher betrachtet, als Gefühlsvorgänge; sofern sie ins Bewußtsein treten, nennen wir sie Rechtsbewußtsein, sofern sie uns die unmittelbare Gewißheit ihrer Wahrheit, ihrer Wahrheit für uns, geben, Rechtsüberzeugung. Diese Gefühle, daß jeweils mit gewissen Sachverhalten die Vornahme gewisser Handlungen im Einklang steht, ihnen gemäß ist, lassen sich in ihrem letzten Grund nicht erkennen. Wohl vermögen wir in den betreffenden Sachverhalten die einzelnen Momente aufzuzeigen, die darauf von Einfluß sind; ihre Wahrnehmung und Vorstellung eben ruft das Gefühl hervor, daß eine bestimmte Handlungsweise gegen Andere dazu stimmt und deshalb richtig ist (12). Aber das Warum dieses ursächlichen Zusammenhangs, warum wir hier so, in einem anderen Fall anders fühlen, das entzieht sich unserer Erkenntnis. Genug, wir fühlen so; die Verwirklichung der als richtig empfundenen Handlungsweise erfüllt uns mit Befriedigung, während ihre Nichterfüllung oder Verhinderung Unbehagen, ja unter Umständen Zorn und Entrüstung in uns erregt. Lediglich solche Harmoniegefühle sind es z. B., welche mit dem vertraglichen Versprechen die Forderung der Erfüllung nach Treu und Glauben, mit der Herstellung eines Geisteswerkes die Verfügung und Nutznießung des Urhebers, mit dem Tod eines Menschen den Übergang seines Vermögens auf die Blutsverwandten, mit der Verübung eines Verbrechens die Strafe als die angemessene und richtige Folge verbinden. In gleicher Weise beruth es auf solchen Gefühlen, wenn bei Schikane oder bei Handeln gegen die guten Sitten sonst begründete Rechte in Wegfall kommen, oder wenn mit dem Abschluß einer Ehe zwischen zwei Personen jede anderweitige Ehe derselben ausgeschlossen ist: das Prinzip der Monogamie, welches, wie wir früher gesehen haben, durch irgendwelche Interessengesichtspunkte nicht begründet werden kann. Und so ist auch - um noch ein Modernstes anzuführen - unser heutiges Arbeiterrecht in seinen Grundzügen ein Produkt unseres menschlichen Gefühls, unseres sozialen Empfindens, wie man sagt: es beruht auf dem uns heute beherrschenden Gefühl, daß der sozialen Lage arbeitender und vielfach abhängiger Menschen ein Anspruch auf eine gewisse Fürsorge durch die Allgemeinheit gemäß und entsprechend ist. Und auch für den Staat selbst hat sich das Rechtsgefühl als rechterzeugender Faktor geltend gemacht. Mit der Begründung der Schutz-, Friedens- und Wohlfahrtsgemeinschaft, die wir Staat nennen, - gleichviel wie sie vor sich gegangen ist, - tritt das Gefühl auf, daß der zu solchen Zwecken bestehenden Gemeinschaft oder ihren Vertretern den Einzelnen gegenüber eine gewisse Macht, d. h. ein Anordnungs- oder Befehlsrecht (die alte Bann- und heutige Polizeigewalt) zustehen muß, ein Recht, dessen Ausübung von der Rechtsetzung durch den Staat begrifflich durchaus verschieden ist (13). Nicht weniger spielt das Rechtsgefühl in der geschichtlichen Entwicklung und Fortbildung des Rechts eine entscheidende Rolle. In allem Wesentlichen vollzieht sich diese Entwicklung Hand in Hand einerseits allerdings mit derjenigen der tatsächlichen, insbesondere auch der wirtschaftlichen Verhältnisse und Zustände, andererseits aber mit der fortschreitenden Verfeinerung des menschlichen Fühlens, die sich nun häufig, wie schon oben berüht, zuerst als eine "pathologische Affektion", als ein Gefühl der Disharmonie bei vorkommenden Verletzungen geltend macht: hier liegen die Wurzeln des Zusammenhangs zwischen Recht und Kultur (14). Ein hervorragendes Beispiel hierfür bietet die Entwicklung des öffentlichen, staatlichen Strafrechts aus dem älteren privaten Strafrecht des Verletzten, und weiter die Umbildung des mittelalterlichen Systems peinlicher Strafen in das der modernen Freiheitsstrafen, eine Umbildung, die wesentlich durch das Gefühl hervorgerufen wurde, daß auch gegen den Verbrecher, da er ein Mensch ist, nur eine menschliche Behandlung als Strafe zulässig ist. Sind nun aufgrund solcher Harmoniegefühle Rechte und Rechtssätze ins Leben, d. h. ins Bewußtsein getreten, so können sie freilich durch logische Operationen, durch Analyse und Synthese, durch Vergleichung, Abstraktion und Deduktion, sei es auf dem Weg des Gesetzes oder der freien Wirtschaft, weiter entwickelt und verarbeitet werden. Insbesondere kann ein gegebener Rechtssatz in Anknüpfung an das zugrunde liegende Gefühl, welches hier Tatbestand und Rechtsfolge verknüpft, durch einen Analogieschluß auf andere ähnliche Fälle ausgedehnt werden, in welchen sich die gleiche Harmonie zu ergeben scheint. Aber die ersten und obersten Rechte und Rechtssätze sind immer und überall nur unserem Gefühl entsprossen. Nicht die logische Vernunft und nicht der verstandesmäßig verfolgte Zweck, wie JHERING meinte, sondern das menschliche Gefühl ist der Schöpfer des ganzen Rechts. Will man hiergegen einwenden, daß damit auf etwas "Mystisches", auf einen "unerklärlichen Entstehungsprozeß" verwiesen wird, so ist solchen Rationalisten zu erwidern, daß das menschliche Fühlen und Empfinden überhaupt ein, einer weiteren Erklärung nicht zugängliches Urphänomen der menschlichen Natur ist, welches von der Wissenschaft, weil sie es nicht erklären kann, keineswegs hochmütig ignoriert oder gar hinwegdekretiert werden darf. Ja, ja, HORATIO,
Als eure Schulweisheit sich träumen läßt! Mit nicht weniger Berechtigung jedoch ist der historischen Schule auch der Vorwurf gemacht worden, daß sie es von Anfang an und bis auf den heutigen Tag an jeder näheren Bestimmung dieses Rechtsgefühls und seines Inhalts, an jeder psychologischen Analyse des sogenannten Volksgeistes hat fehlen lassen, so daß dieser Volksgeist wie eine hohle Phrase tatsächlich etwas in Mißkredit gekommen ist. Eben hierin sehe ich den Hauptgrund, weshalb es der oben bekämpften Zweck- und Imperativenlehre so leicht geworden ist, immer weiteren Boden bei uns zu gewinnen. Ganz besonders hat es die historische Schule meines Erachtens darin versehen, daß sie unter Rechtsbewußtsein immer nur ein Bewußtsein abstrakter Normen verstanden hat, bei welchem von einem schöpferischen Gefühlsmoment doch kaum die Rede sein könnte (15). Weiter darin, daß man bei den Rechtsnormen die enge Beziehung des Nachsatzes, der rechtlichen Folge auf die tatsächliche Voraussetzung oft nicht genügend im Auge behalten hat und so leicht dazu gekommen ist, auch das Rechtsgefühl oder Rechtsbewußtsein wesentlich nur auf die rechtliche Folge, die Dispositive [Absichtserklärungen - wp] zu beziehen. Noch niemals war bisher erkannt worden, daß das Rechtsgefühl ein Gefühl des Einklangs und der Zusammengehörigkeit der Rechtsfolge mit ihrem Tatbestand ist, und daß es gerade dieses Kausalverhältnis zwischen Tatbestand und Rechtsfolge ist, welches in unserem Fühlen und Empfinden seinen Sitz hat (16). - Noch bedürfen zwei Fragen der Erörterung, wenn die Zurückführung des Rechts auf ein in der menschlichen Natur begründetes Harmoniegefühl und Harmoniebedürfnis nicht lückenhaft und damit unzulänglich erscheinen soll. Einmal: bisher war stets nur von Berechtigungen und Ansprüchen der Einzelnen die Rede, die sich an gegebene Tatsachen als entsprechende Folgen anschließen. Wie aber steht es mit den rechtlichen Verpflichtungen, die doch ebenfalls und sehr wesentlich zum Recht gehören, ja Vielen als die Hauptsache dabei gelten? Wie können zugleich diese aus jenem Harmoniegefühl erklärt werden und wie verhalten sie sich zu den Berechtigungen? Die andere Frage ist: wie erklärt sich hiernach diejenige Eigenschaft des Rechts, die ihm unter allen Lebenserscheinungen jedenfalls allein zukommt, seine Erzwingbarkeit? Beide Fragen sind nicht schwer zu lösen, wenn man sich klar macht, daß es sich bei beiden nur um Folgeerscheinungen der subjektiven Rechte selbst oder, wenn man lieber will, um Dinge handelt, die mit den subjektiven Rechten, d. h. mit unseren diesbezüglichen Gefühlen und Vorstellungen, notwendig verbunden, ihr notwendiges Korrelat, nur eine andere Seite derselben sind. Dazu aber müssen diese Rechte noch etwas genauer ins Auge gefaßt werden. Subjektive Rechte beruhen, wie gezeigt, auf der Vorstellung, daß bei einem gegebenen Sachverhalt gewisse Handlungen bestimmter Personen gegen andere Personen richtig, d. h. jenem Sachverhalt gemäß sind. Diese Vorstellung des richtigen Handelns ist zunächst aber nur eine hypothetische, d. h. sie geht, näher betrachtet, dahin, daß, wenn bei einer solchen Sachlage die berechtigte Person gegen den Anderen sich in einer sochen Weise betätigt, diese Betätigung richtig und recht im bezeichneten Sinn ist. Daraus folgt, daß diese Betätigung unserer Vorstellung nach in den Willen der dazu berufenen Person gestellt ist: sie kann sich rechtmäßigerweise so verhalten, wenn sie will. Darin liegt ein von mir noch nicht berührtes, aber sehr wesentliches Attribut der Vorstellungen, die wir subjektive Rechte nennen; in ihm steckt das Willensmoment derselben, welches in ihrer Begriffsbestimmung die richtige Stelle bisher noch nie hatte finden können (17). Will nun ein Berechtigter das ihm zustehende Handeln dem betreffenden Anderen gegenüber zur Ausführung bringen, so bedingt dies auf Seiten des Anderen offenbar einen jenem berechtigten Handeln entsprechendes Verhalten: das Tun des Einen bedingt ein Dulden des Anderen, das Fordern des Einen bedingt auf der Gegenseite ein Leisten oder ein Nichttun, ein Unterlassen. Wenn nun das Handeln des Berechtigten, sofern er es ausführen will und ausführt, unserem Gefühl nach dem gegebenen Sachverhalt entspricht und daher recht ist, dann muß notwendigerweise auch das zur Verwirklichung des berechtigten Handelns erforderliche Verhalten der Gegenseite ebenfalls dem Sachverhalt entsprechen, also ebenfalls richtig und recht sein. Aber mit folgendem wichtigen Unterschied: ist das betreffende Verhalten der Gegenseite, ihr Dulden oder Leisten, deswegen richtig, weil es die notwendige Konsequenz der Richtigkeit des berechtigten Handelns darstellt, so kann es richtigerweise nicht ebenso im Belieben dieser Gegenseite stehen, ob sie sich dem Tun oder Fordern des Berechtigten fügen will oder nicht; denn sonst wäre das Recht des Berechtigten selbst, dessen Ausführung nur in seinem eigenen Willen steht, aufgehoben. Vielmehr ergibt sich, ebenfalls als dem gegebenen Sachverhalt angemessen, neben dem Recht des Berechtigten und untrennbar mit ihm zusammenhängend, die Vorstellung einer Gebundenheit der Gegenseite zu dem jenem Recht entsprechenden Verhalten, eine Gebundenheit, die wir eben rechtliche Verbindlichkeit oder Rechtspflicht nennen. Der früher angegebene Inhalt unserer rechtlichen Gefühle und Vorstellungen bedarf daher einer Ergänzung, er ist doppelseitig: einerseits dahin gehend, daß es einem gegebenen Sachverhalt gemäß und richtig ist, wenn ein A gegen einen B sich in bestimmter Weise verhalten haben will, andererseits dahin, daß in einem solchen Fall B sich richtiger, d. h. ebenfalls dem Sachverhalt entsprechenderweise dem Verhalten des A zu fügen hat. Auch die Rechtspflichten sind demnach in unserem Rechtsgefühl begründet, und zwar auch sie zunächst in concreto, in Bezug auf den Einzelfall; zu Allgemeinvorstellungen erhoben, werden auch sie zu Rechtssätzen, die mit demjenigen über die Berechtigungen auf das Engste verbunden sind. Nicht aber werden, wie auch hier zu sagen ist, durch Rechtssätze die Rechtspflichten erst erzeugt; auch hier dienen jene nur zur Erleichterung und Sicherung ihrer Erkenntnis (18). Daher kann auch von einer besonderen Verbindlichkeit der Rechtssätze selbst, von einer bindenden Kraft und Wirkung des objektiven Rechts neben den einzelnen darin ausgesprochenen Rechtspflichten nicht die Rede sein. Die gegenteilige Annahme beruth lediglich auf der Auffassung der Rechtssätze als staatlicher Befehle. Was man dagegen als "Geltung" von Rechtssätzen bezeichnet, bedeutet nur ihre Wahrheit, d. h. ihre Übereinstimmung mit wirklich vorhandenen Rechtvorstellungen. Bindend sind sie nur in dem Sinn, daß die darin zusammengefaßten Rechtspflichten eine wirkliche Existenz haben, d. h. in unserem Rechtsbewußtsein begründet sind (19). Ebensowenig wie die rechtliche Verbindlichkeit ist auch die Erzwingbarkeit des Rechts, die Zulässigkeit rechtlichen Zwangs eine Eigenschaft oder ein Ausfluß des objektiven Rechts, der Rechtssätze, obgleich dies von den Meisten als etwas ganz Selbstverständliches angesehen wird. Hat man doch oft genug in dieser Erzwingbarkeit das wesentliche Begriffsmerkmal der rechtlichen gegenüber den bloß sittlichen Normen erkennen wollen (20). Und doch können Rechtsnormen, als abstrakte Aussagen über Berechtigungen und Verpflichtungen, ebensowenig Gegenstand einer Zwangsanwendung sein, wie diejeniger der Sittlichkeit; einer weiteren Verwirklichung als ihrer Existenz sind beide nicht fähig. Aber auch die einzelnen Rechtspflichten bilden nicht unmittelbar den Gegenstand des Rechtszwangs, wie auch dessen Zulässigkeit aus ihnen nicht hergeleitet und nicht erklärt werden kann, obschon man hieran zunächst denken möchte. Von der Gebundenheit ansich führt keine Brücke zu ihrer Erzwingung, sonst müßte das Gleiche auch bei sittlichen Pflichten der Fall sein: die Gebundenheit ergibt keine Befugnis zum Zwang und vermag für dessen Handhabung kein Subjekt zu liefern. Vielmehr ist auch die Erzwingbarkeit lediglich ein Ausfluß des subjektiven Rechts und hat ihren Ursprung in demselben Harmoniegefühl und in derselben Vorstellung des Richtigen, wie jenes selbst. Wenn bei einem gegebenen Sachverhalt das Verhalten eines A gegen einen B, sofern er es will, nach unserem Rechtsgefühl als richtig und recht erscheint, dann ist nach eben diesem Gefühl auch die tatsächliche Durchführung dieses Verhaltens recht und richtig, und ebenso diejenigen Maßnahmen, ohne welche die Durchführung nicht geschehen kann. Denn darin besteht ja das Recht des A, daß sein betreffendes Verhalten gegen B dem gegebenen Tatbestand gemäß ist, und diese Gemäßheit, dieser Einklang erstreckt sich auf alles, was zur Betätigung und Durchführung dieses Verhaltens erforderlich ist. Daraus aber folgt, daß, wenn nun der Verpflichtete B seinerseits seiner Pflicht nicht nachkommt, wenn er sich der Durchführung des Rechts des A entgegensetzt oder ihr Hindernisse bereitet, daß dann auch die Brechung dieses, sei es passiven oder aktiven Widerstands mittels Gewalt, die Anwendung von Zwang gegen den Verpflichteten, und zwar zunächst seitens des Berechtigten selbst, recht und richtig ist. Denn er realisiert damit ja nur dasjenige Verhalten, zu dem er, als dem gegebenen Tatbestand entsprechend, berechtigt ist; er vollstreckt es, exequiert es. Zur Energie aber, welche eine solche Zwangsanwendung erfordert, sieht sich der Berechtigte durch folgende Momente veranlaßt. Wie schon früher hervorgehoben, ist es dem subjektiven Recht eigen, daß sein Inhalt dem Berechtigten irgendeinen Vorteil, sei er materieller oder ideeller Art, vielleicht nur einen Gefühlswert bietet. Die Rechte gewähren ihren Inhabern einen Anteil an den mannigfachen Gütern der Welt, und ihre Realisierung ist daher geeignet, Lebensbedürfnisse derselben, körperlicher oder seelischer Art, zu befriedigen. Hierin liegt das Interessenmoment des Rechts, dem von der herrschenden Lehre bisher nur nicht die richtige Stelle angewiesen worden war: jedes Recht umschließt inhaltlich allerdings ein Interesse, aber es ist nicht selbst dieses Interesse und wird auch durch dieses Interesse als solches nicht bestimmt. Dieses Interesse aber ist es, welches im Berechtigten den seelischen Antrieb zur Durchführung und Durchsetzung seines Rechts hervorruft, welches dem in ihm lebenden Gefühl der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit des betreffenden Verhaltens die seelische Kraft verleiht, sich bei Widerstand des Verpflichteten auch in Gewalt gegen diesen, in eine zwangsweise Realisierung umzusetzen. So steht nach dem Inhalt unseres Rechtsgefühls dem subjektiven Recht die Befugnis zur Anwendung von Zwang zwecks seiner Realisierung zur Seite. Darin allein besteht der Zwangscharakter des Rechts, seine Erzwingbarkeit. Diese ist, wenn man will, nur eine besondere Seite, ein Bestandteil des subjektiven Rechts für den Fall, daß seine Realisierung auf den Widerstand des Verpflichteten stößt, und daher mit ihm selbst unmittelbar gegeben. Nur im subjektiven Recht, in der Befugnis, Anderen gegenüber zu handeln, kann der rechtliche Zwang seine Erklärung finden. Die rechtliche Verpflichtung trägt hierzu nur insofern bei als sie selbst Konsequenz und Reflex der Berechtigung ist. Die Zwangsbefugnis steht daher wie begrifflich, so von Haus aus auch tatsächlich dem Inhaber des zu erzwingenden Rechts, dem Berechtigten in Person zu. Die Übernahme des Schutzes und der Pflege des Rechts durch den Staat hat dann freilich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung, und zwar eben zur Sicherung der Rechtsdurchführung selbst, zu der Modifikation geführt, daß die privaten Rechtsinhaber in weitem Umfang nicht mehr in Person, sondern nur noch durch Vermittlung und Vertretung staatlicher Organe zur zwangsweisen Realisierung ihres Rechts schreiten durften: eine Modifikation, durch welche auch die Möglichkeit eines Zwangs gegen den Staat selbst große Einschränkungen erlitten hat. Auf diese Entwicklung ist hier nicht weiter einzugehen; aber zu betonen ist, daß durch diese historische Wandlung in der äußeren Gestaltung des Rechtszwangs die zugrunde ligenden, unserem Rechtsgefühl entstammenden, rechtlichen Verhältnisse selbst doch nicht geändert worden sind und daß auch seine heutige Gestaltung nur von jenen ursprünglichen Grundlagen aus richtig begriffen und verstanden werden kann (21). Mit der hier gewonnenen Erkenntnis und der hier vorgetragenen Auffassung vom Ursprung und Grundwesen des Rechts wird, wie mir scheint, dieses selbst und seine Lehre auf einen neuen Boden gestellt, auf einen Boden, der es auch, wie ich glaube, der Anteilnahme und dem Interesse der Nichtjuristen näher bringen dürfte. Denn Gefühle sind es, die den Menschen am tiefsten berühren. Wie sie im Gemüt wurzeln, so wirken sie auch auf das Gemüt und erwecken Mitgefühle, Sympathien, auch wo es sich nicht unmittelbar um eigenen Angelegenheiten handelt. Freilich wird dazu erforderlich sein, daß auch die Rechtswissenschaft selbst nun diesen Boden betritt, daß sie bei der Behandlung rechtlicher Gegenstände und Probleme ihre Aufgabe vor allem darin erblickt, den gefühlsmäßigen Wurzeln und ihrem Zusammenhang mit dem gesamten Volksempfinden nachzugehen und diese Wurzeln auch bei ihren weiteren Operationen nicht außer acht zu lassen; nicht aber darin, Zweckmäßigkeiten über das als recht und richtig Empfundene zu stellen oder Spitzfindigkeiten zu ergrübeln, die mit dem rechtlichen Empfinden in Widerspruch stehen (22). Und wenn man dann in weiteren Kreisen inne wird, daß alles Recht aus der Tiefe des Gemütslebens entspringt, daß es mit dem gesamten Volksempfinden und so auch, bisher vielleicht unbewußt, mit dem eigenen Empfinden des Einzelnen verknüpft ist; wenn man ferner gewahr wird, daß es sich beim Recht nicht bloß um eine formalistische Willkür, nicht bloß um die Unterwerfung unter eine überlegene Macht und auch nicht bloß um Zweckmäßigkeitserwägungen handelt, die der Eine so, der Andere anders anstellen kann, sonderm um Wahrheitsaussagen der eigenen Seele: dann wird man vielleicht auch für die weitere juristische Arbeit Interesse gewinnen, dafür, wie jene Wahrheitsaussagen durch Gesetz und Wissenschaft weiter ausgebaut und zum System verbunden werden. Hochgeehrte Versammlung! Ich bin am Schluß meiner Ausführungen. Ich habe es gewagt, Sie zu den Grundfragen unserer Wissenschaft und zu den letzten Quellen des Rechts selbst hinzuführen, damit aber auch zu dem Punkt, an welchem sich das Recht mit dem allgemeinen Menschentum berührt. Möchte das Wagnis nicht allzu kühn gewesen sein; möchte es mir geglückt sein, gerade Ihnen, meinen heutigen Zuhörern, diesen Zusammenhang zwischen Recht und Menschentum und Menschlichkeit näher zu bringen und in Ihnen eine verständnisvolle Teilnahme für das zu erwecken, was das Recht ist und was die Rechtswissenschaft sein soll. Möchte heute nicht wiederum, wie vor Jahren, das vernichtende Urteil gefällt werden: "Ja, die Juristen verstehen es doch immer, Dinge zu bringen, die anderen Leuten fern liegen." ![]() ![]()
8) Da die subjektiven Rechte (und Verbindlichkeiten) sehr komplizierte Dinge sind, so können natürlich zum gleichen Zweck auch über einzelne Seiten derselben, über Voraussetzung, Entstehung, Subjekte, Inhalt, Veränderungen, Untergang usw. je besondere Rechtssätze gebildet werden. - In dieser Natur der Rechtssätze ist auch ihre, besonders im älteren deutschen Recht hervortretende Verwandtschaft mit den richterlichen Urteilen begründet: sie sind abstrakte Aussagen über Kategorien von Rechtsverhältnissen, wie letztere Aussagen über einzelne konkrete Rechtsverhältnisse sind. 9) vgl. hierzu Anmerkung 3. 10) Hiernach wäre es meines Erachtens auch viel zutreffender, wenn man anstelle der scholastischen Unterscheidung: Recht im subjektiven und Recht im objektiven Sinn, die beiden Bedeutungen des Rechts durch die Ausdrücke: konkretes und abstraktes Recht bezeichnen würde. In der Tat bedient sich auch Jhering in seinem "Kampf ums Recht" fast durchweg dieser Bezeichnungen, ohne freilich die daraus sich ergebenden Folgerungen für das logische und historische Verhältnis beider Begriffe zueinander zu ziehen. - Eben dieses Verhältnis aber erklärt es auch, daß man im deutschen Mittelalter zu einer klaren Scheidung des objektiven und subjektiven Rechts nicht hat kommen können. 11) Sachlich war es nichts anderes, wenn das deutsche Mittelalter die Entstehung allen Rechts auf Gott zurückgeführt hat, der es den Herzen der Menschen eingibt. 12) Selbstverständlich können zu diesen Tatbestandsmomenten dann auch diese oder jene obwaltenden menschlichen Absichten und Zwecke gehören, wie es bei jedem Rechtsgeschäft, bei der Begründung von Unternehmungen und Anstalten verschiedener Art der Fall ist. Die hiermit verfolgten Zwecke können dann natürlich auch mitwirken als Faktoren bei der Erzeugung des rechtlichen Gefühls, daß dieser Sachlage bestimmte Handlungen entsprechen, durch welche die Zwecke realisiert werden. Aber damit werden diese Zwecke nicht selbst zum Produzenten des Rechts und letzteres nicht zum bloßen Mittel für deren Erreichung. 13) Die Handhabung der staatlichen Befehlsgewalt ist Rechtsausübung oder, wenn man so will: Rechtsgeschäft, Verwaltungstätigkeit, gleichviel ob sie für einen bestimmten Fall oder für ganze Kategorien geübt wird. Der Umstand, daß sie sich vielfach in derselben Form zu betätigen hat, wie die Rechtsetzung, d. h. in der Form der Gesetzgebung, hat viel dazu beigetragen, daß die begriffliche Verschiedenheit beider Staatsfunktionen verkannt und die Rechtsetzung selbst als Befehlserteilung angesehen worden ist, wie das bei der oben besprochenen Imperativentheorie der Fall ist. Ferner erklärt es sich aus dieser Vermengung auch, wieso man dazu gekommen ist, alles Recht auf Zwecke und Interessen gründen zu wollen; denn jede Befehlserteilung, als Willensakt, wird selbstverständlich durch Motive, d. h. eben durch Zwecke und Interessen bestimmt und ist nur ein Mittel zu deren Erreichung und Befriedigung. - Dadurch, daß auch die staatlichen Anordnungen vielfach der Form des Gesetzes bedürfen, ist das Gesetz selbst zu einem bloß formalen Begriff geworden, welcher ganz verschiedenartigen Inhalt in sich aufnehmen kann und nicht mehr auf Rechtsetzung, d. h. auf Statuierung eines objektiven Rechts, auf eine Erklärung von Rechtssätzen beschränkt ist (wie das im fränkischen Reich mit der Lex im Gegensatz zum Capitulare der Fall gewesen zu sein scheint). Indem man aber trotzdem fortgefahren ist, staatlich erklärte Rechtssätze, bzw. deren Erklärung kurzweg als "Gesetz" zu bezeichnen, wurde jener Identifizierung und den hier bekämpften Willens- und Zwecktheorien weiterer Vorschub geleistet. 14) In Verbindung hiermit machen sich als Faktoren einer weiteren rechtlichen Entwicklung noch die Gesichtspunkte der besseren praktischen Handhabung und vor allem der Sicherung und Gewißheit des Rechts, des objektiven wie des subjektiven, geltend. Hier also ist allerdings ein Zweck für die Rechtsgestaltung maßgebend, aber dieser Zweck ist eben das Recht selbst; auf ihm beruhen stets nur sekundäre rechtliche Gebilde, wie vor allem die staatliche Rechtsetzung und Rechtsprechung selbst, der Prozeß usw. 15) Das gilt besonders von der Art, wie die historische Schule die opinio iuris beim Gewohnheitsrecht aufgefaßt hat (vgl. oben Anmerkung 3). - Nur von diesem Standpunkt aus ist auch der paradoxe Satz Jherings verständlich: "Nicht das Rechtsgefühl hat das Recht erzeugt, sondern das Recht das Rechtsgefühl", indem er hier (Zweck im Recht, Bd. 1, Vorrede, Seite XIII) unter Rechtsgefühl eben abstrakte Rechtsideen versteht.. An anderer Stelle (Kampf ums Recht, Seite 46) erklärt er das Rechtsgefühl für den "psychologischen Urquelle allen Rechts", und zwar im Gegensatz zum Verstand, wobei es freilich rätselhaft bleibt, wieso der Zweck der Schöpfer des ganzen Rechts sein soll. Aber die letztgenannte, frühere Schrift Jherings ruht überhaupt noch auf ganz anderen Grundlagen, wie "der Zweck im Recht" (siehe auch Anmerkung 2). 16) Es bewahrheitet sich damit noch ein anderer Punkt, den die historische Schule ebenfalls aufgestellt, aber ebensowenig erläuter oder verdeutlicht hat: die Verwandtschaft des Rechts mit Sittlichkeit, Kunst und Sprache, die in gleicher Weise wie jenes dem menschlichen Gefühlsleben entstammen. Ebenso wie das Recht, beruhen auch diese Erscheinungen und Funktionen auf gewissen, durch die Vernunft nicht weiter erklärbaren Harmoniegefühlen; nur sind die Beziehungen, die als entsprechend und sich anpassend empfundenen Faktoren hierbei andere wie beim Recht. Bei der Sprache, in ihren Ausgangspunkten, handelt es sich um das Gefühl des Zusammenstimmens gewisser Sprachlaute mit den dadurch bezeichneten Gegenständen. Die Kunst beruth auf dem sogenannten ästhetischen Empfinden, dem Schönheitsgefühl, und dieses ist überall nichts anderes als das Gefühl einer Harmonie der Formen nebeneinander bestehender Zustände oder sich folgender Vorgänge. Die Sittlichkeit endlich entstammt dem Gefühl, daß jeweils gewisse Sachverhalte gewisse Gesinnungen und Willensentschlüsse der Beteiligten verlangen. Es stehen hier also jeweils andere Verhältnisse in Frage, wie beim Recht; überall aber finden wir das Gefühl und das Streben, einen Zusammenhang und Einklang des menschlichen Verhaltens mit der umgebenden Welt und ihren Vorgängen, bzw. der letzteren untereinander herzustellen. Und hierher gehört dann auch dasjenige Gefühl, welches auf Begründung einer Einheit der ganzen Welt abzielt, mag man es nun Religion oder Monismus nennen. - In diesem Ursprung des Rechts, den es hiernach allerdings mit Religion und Sittlichkeit gemein hat und der es über die Willkür erhebt, nicht aber in seinem Inhalt, ist dann auch begründet, was man den "ethischen Charakter" des Rechts nennt, ohne sich über das Wesen dieses Charakters immer klare Rechenschaft zu geben. 17) Das gilt insbesondere von der häufig aufgestellten Definition des subjektiven Rechts als Willensmacht oder Willensherrschaft. Eine Macht des Willens im eigentlichen Sinn eines tatsächlichen Könnens oder Vermögens ist damit doch nicht gemeint; in welchem übertragenen Sinn aber, wird nicht gesagt, so daß die ganze Definition unklar bleibt. 18) Die Bedeutung der über Verbindlichkeiten aussagenden Rechtssätze ist häufig verkannt worden. Indem man insbesondere aus den gesetzlich erklärten Rechtssätzen, daß beim Vorhandensein gewisser Tatsachen gewisse Personen so oder so verpflichtet sind, eine auf Begründung solcher Verpflichtungen gerichtete Willenserklärung des Staates machte und so den Willen, die Verpflichtung zu erklären, in den Willen zu verpflichten umsetzte, wurde ebenfalls eine Brücke zu der oben erörterten Imperativentheorie geschlagen. Die Verpflichtung wurde mit anderen Worten nicht mehr auf ihren Tatbestand, sondern auf den erklärenden Willen des Staates gegründet, der Erlaß der Rechssätze selbst zum Tatbestand gemacht: eine Desorganisation des ganzen Rechts! 19) Eine hiervon wohl zu unterscheidende Frage ist die nach den Bedingungen, unter welchen die staatlichen Behörden bei der Handhabung der Rechtspflege verpflichtet sind, Rechtssätze als solche anzusehen und in Anwendung zu bringen: die Geltung oder bindende Kraft der Rechtssätze für den Richter, als sogenanntes positives Recht. Die Verbindlichkeit in diesem Sinn betrifft das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und seinen Behörden und hat mit Eigenschaft und Wirkung der anzuwendenden Rechtssätze selbst gar nichts zu tun. Von der Geltung des Rechts in diesem Sinn ist hier überall nicht die Rede. (vgl. oben Anmerkung 4) 20) Eine sehr verbreitete, aber meines Erachtens irrige Annahme ist, daß der Rechtszwang prinzipiell Sache des Staates ist. Vielmehr kann die Befugnis zur Anwendung des Zwangs prinzipiell nur als ein Zubehör des zu erzwingenden Rechts angesehen werden und hiernach nur dem Inhaber dieses Rechts zustehen. Erst sekundär wirksame Momente, wie sie oben Anmerkung 14 angedeutet worden sind, haben die im Text bezeichnete Entwicklung hervorgerufen, daß der Staat seine Organe anstelle der privaten Berechtigten zur Vollziehung des Zwangs gesetzt hat, als deren Stellvertreter. 21) Ich denke hierbei unter anderem an die, das Rechtsgefühl weiter Kreise aufs Tiefste verletzende Art, wie die moderne strafrechtliche Doktrin und Praxis vielfach den Dolus, den rechtswidrigen Vorsatz behandelt: ein solcher soll vorliegen können und wegen vorsätzlichen Verbrechens Strafe eintreten, wenn auch der Handelnde von der Rechtswidrigkeit seines Tuns gar nichts gewußt, vielmehr in gutem Glauben gehandelt hatte. Ein anderes Beispiel siehe jetzt bei Hedemann, "Eheliche Treue" in "Deutsche Juristen-Zeiten, XII Nr. 13, Seite 738f. |