ra-2H. PeschA. WagnerH. AlbertE. HeimannH. MoellerG. Schmoller    
 
WILHELM HASBACH
Zur Geschichte des Methodenstreits
in der politischen Ökonomie

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"Das Verfahren steht der abstrakten Schule immer noch frei - folglich ist eine unendliche Fülle von Voraussetzungen, von Theorien möglich - und sie begnügt sich damit, das Alte immer neu zu drehen, zu wenden, aufzubügeln, um dann mit der Beteuerung nagelneuer Leistungen auf der Bühne zu erscheinen. Auf der Bühne erscheint sie, ja - das heißt vor dem Souffleurkasten."

"Jede Wissenschaft heißt es, muß abstrahieren. Sehr richtig. Aber es kommt doch darauf an,  wovon  sie abstrahiert. Wenn eine Wissenschaft nur die  wirtschaftliche  Seite des  Wirtschaftslebens  erkennen will, so abstrahiert sie nach der Meinung der historischen Schule in fehlerhafter Weise."


II. Bagehot, Dietzel, Menger,
John, Keynes, Wagner, Cossa

War im ersten Viertel dieses Jahrhunderts der induktiv veranlagte Geist des MALTHUS das Triebrad der Entwicklung der Methodenlehre gewesen, hatten dann die tiefere Bekanntschaft mit dem Wesen der naturwissenschaftlichen Methoden und der Positivismus MILL über RICARDO fortgetrieben, hatte darauf der Sieg des Freihandels für CAIRNES den Ansporn abgegeben, die Aufgaben und die Methode der theoretischen Nationalökonomie schärfer zu bestimmen, so wird nun der Historismus das Ferment der geistigen Bewegung. Die historische Schule kämpfte zunächst nicht gegen die Theorie, sondern gegen die Volkswirtschafts- und Sozialpolitik der klassischen Schule und ihrer Epigonen. Zwar mußten auch einige theoretische Lehren angegriffen werden, z. B. die Lehre vom Einkommen, vor allem vom Lohn, von der Produktivität der Arbeit, aber die Lektüre der einschlägigen Schriften zeigt auf das unzweideutigste, daß zunächst die Politik im Vordergrund der Diskussion stand. Insbesondere über der Frage, ob die Nationalökonomie eine ethische Wissenschaft sei, wurde viel unschuldiges Tintenblut von den Gegnern der historischen Schule vergossen. Erst als der Sieg des Historismus auch die bisherige theoretischen Nationalökonomie zu vernichten drohte, erhoben sich Kämpfer für sie und ihre Methode in verschiedenen Ländern Europas. In ihren Darlegungen waren Konzessionen an den Historismus ebenso bemerkenswert wie ihre Ansichten darüber, worin die Methode der theoretischen Nationalökonomie besteht.


1.

BAGEHOT behauptete gegen GUSTAV COHN, daß es unmöglich ist, alle zur Erkenntnis einer Gruppe von volkswirtschaftlichen Erscheinungen nötigen Daten zu erlangen, während ihn die Ergebnisse der Untersuchungen parlamentarischer Ausschüsse und Königlicher Kommissionen hätten vom Gegenteil überzeugen können. Aber er kannte das volkswirtschaftliche Gebiet, welches RICARDO und seine Jünger zu erklären suchten, zu gut, um nicht zu wissen, daß es nur ein Bruchteil der Welt ist.
    "Verständigere Leute", schrieb er, "verstehen in der Tat, daß die englischen Nationalökonomen nicht von wirklichen Menschen sprechen, sondern von imaginären; nicht von Menschen wie wir sie sehen, sondern von Menschen, die in unser Bild von ihnen passen. Die meiste Zeit verstehen sie nicht, daß die Welt, wie sie unsere Nationalökonomen behandeln, eine sehr beschränkte und sonderbare ist. Sie bilden sich oft ein, daß das, was sie lehren, auf alle möglichen Gesellschaftszustände zutrifft, auf alle gleichermaßen, wo es doch nur für einen einzigen wahr ist - und bewiesen werden kann - und zwar für denjenigen, in dem der Handel bereits sehr weit fortgeschritten ist und ein Entwicklungsstadium oder beinahe ein solches erreicht hat, in dem sich England zur Zeit befindet." (1)
Die englische Volkswirtschaft ist also nach BAGEHOT das Produkt einer langen Entwicklung. Und da er nun von den soziologischen Untersuchungen seiner Zeit geistig stark berührt wurde, so suchte er zu zeigen, welches der gesellschaftliche Hintergrund dieser Volkswirtschaft ist und welches die Stadien wären, die die Wirtschaft eines Volkes durchlaufen haben muß, um bei der englischen Phase anzugelangen. Als die wesentlichen Merkmale der Volkswirtschaft des englischen Typus betrachtete er die persönliche Beweglichkeit und die Leichtigkeit der Übertragung von Kapitalien.

Nun wird es verständlich, daß er die historische und die abstrakte Methode gar nicht als Rivalen betrachtete:
    "Genau genommen ist die historische Methode gar kein Konkurrent der abstrakten, wenn diese richtig betrachtet wird."
Ebenso viel gesunden Blick verrät er, wo er das Finden der Prinzipien bespricht. Er ist keineswegs der Meinung, daß der Nationalökonom sie von vornherein besitzt, sondern behauptet, daß sie auf demselben Weg gefunden worden wären, wie LYELL seine geologische Hypothese und DARWIN seine Hypothese von der natürlichen Auswahl entdeckt haben. Nun erhält dann endlich auch die Verifikation der Deduktion durch die Erfahrung ihre sichere Stelle in der nationalökonomischen Methodenlehre. Denn solange die Nationalökonomen annehmen, daß sie die Kenntnis der Ursachen besitzen, begreift man nicht, weshalb sie noch verifizieren wollen. Wenn der Historismus sich auch nicht mit allen Ausführungen BAGEHOTs einverstanden erklären kann, so ist doch mit einem Mann, welcher auf dem Boden dieser Ansichten steht, eine Verständigung möglich. Er verwarf die Induktions BACONs und verwechselte sie mit der gründlichen Untersuchung eines Gebietes volkswirtschaftlicher Erscheinungen, welche GUSTAV COHN forderte. Auch erkannte er nicht genügend den logischen Wert der Analyse eines einzelnen Falls, denn der einzelne Fall kann ein typischer sein und die notwendige Verkettung von Ursache und Wirkung deutlich machen. Er verwarf die "alle-Fälle-Methode" und die "Einzelfall-Methode", im Übrigen hatte er mit der historischen Methode "keinen Streit, sondern vielmehr sehr viel Sympathie".

HEINRICH DIETZELs Stellung ist eine ganz verschiedene, obwohl er sich in einem Punkt mit BAGEHOT berührt. Auch er meint, daß die Existenz einer Sozialwirtschaftslehre zeitlich von einem bestimmten materiellen und ideellen Faktor abhängig ist; die Wirtschaft eines Volkes müsse sich zu einer Verkehrswirtschaft entwickeln und die Rechtsordnung das Prinzip der Freiheit wirtschaftlicher Bewegung verwirklicht haben. Allerdings schaffen sie noch nicht notwendigerweise die volkswirtschaftliche Welt, welche BAGEHOT als der Hintergrund der englischen Theorie galt, wie die Betrachtung der deutschen Volkswirtschaft etwa von 1815 - 1835 zeigt. Auch kann ich mit DIETZEL nicht übereinstimmen, wenn er glaubt, daß die Theorie einer anders gearteten Volkswirtschaft kein Interesse erregen kann. Die Theorie der Erscheinungen der antiken Volkswirtschaft, diejenige der französischen Volkswirtschaft etwa von 1700 - 1760, wie sie uns in den Schriften BOISGUILLEBERTs, CANTILLONs, QUESNAYs u. a. entgegentreten, haben wenigstens mein Interesse auf das lebhafteste erreicht und CAIRNES' "Slave Power", die Darstellung der volkswirtschaftlichen "Gesetze" in den Sklavenstaaten des nordamerikanischen Südens, halte ich für eine interessantere Lektüre als seine "Leading Principles". Man kann nur sagen, daß die von DIETZEL vertretene Methode dort nicht am Platz ist.

Die Vorgänger DIETZELs hatten sich bemüht, eine ziemliche Anzahl von zum Teil recht substantiellen Prämissen zusammengetragen, um aus ihnen ein Netz von Folgerungen herzustellen. DIETZEL stellt nur zwei luftige inhaltslose Prämissen auf: das System der freien Konkurrenz und das vernünftige Selbstinteresse. Daraus läßt sich aber gar nichts deduzieren, sie bedeuten nur die Schaffung eines leeren Raums. Ich stimme dem von Historismus weit entfernten ZUCKERKANDL bei, wenn er sagt:
    "Daraus allein vermag man jedoch keine Wahrheiten abzuleiten: dieser Satz soll vielmehr die Richtungen angeben, in denen sich menschliche Erwägungen und Handlungen bewegen." (2)
Erst durch die Einführung von Erfahrungstatsachen in den leeren Raum läßt sich ein nationalökonomischer Inhalt gewinnen. Die Frage heißt also: Welche Erfahrungstatsachen will man aufnehmen? ZUCKERKANDL fährt fort:
    "Die tatsächlichen Umstände nun, unter denen sich der menschliche Eigennutz betätigt, ... sind, um die Deduktion durchzuführen, der Erfahrung zu entnehmen und mit höchster Genauigkeit anzusetzen, wie sie in Wirklichkeit sind. Je vollkommener dies geschieht, umso richtiger sind die Ergebnisse für die Welt des Eigennutzes." (3)
Da nun DIETZEL keine Volkswirtschaftslehre, sondern eine Sozialwirtschaftslehre begründen wollte, so mußte man in erster Linie die Forderung stellen, daß die Tatsachen der Wirklichkeit, auf welchen sich das Gebäude erheben sollte, bezeichnet werden. Hierüber hat er sich aber nur ungenügend verbreitet. Er nennt Seite 39 "die wichtigsten dieser Tatsachen" (Vernichtung der Güter im Produktionsprozeß, ungleiche Produktionskosten). Sie haben aber offenbar mindestens denselben Wert für die Gewinnung von Erkenntnissen, wie die genannten Prämissen und hätten daher auch neben ihnen als Prämissen genannt und ausführlich besprochen werden müssen. Dies erkennt auch DIETZEL indirekt an, indem er auf derselben Seite, wo er die wichtigsten Tatsachen anführt, die "wichtigsten Theorien" nennt, die sich aus ihnen ableiten lassen. Auf derselben Seite wird zugleich deutlich, daß man auf dem vorgezeichneten Weg zu materiell neuen Ergebnissen überhaupt nicht gelangen kann, er gestattet nur die Reproduktion der "Theorien" der klassischen Nationalökonomie in einer vagen Allgemeinheit.

Man hat auch den Grund aller Irrtümer der abstrakt-deduktiven Schule klar vor Augen. Die klassischen Nationalökonomen, so verschieden sie auch untereinander sein, zeigen uns aus den früher angegebenen Gründen niemals, wie man von den volkswirtschaftlichen Erscheinungen zu den noch unbekannten Ursachen emporsteigt, sie eröffnen uns nur einen Einblick darein, wie man von den erforschten Ursachen zu den Wirkungen hinabsteigt. Diese Methode ist notwendigerweise eine deduktive und sie wird zu umso reinlicheren, aber umso unempirischeren Ergebnissen gelangen, je mehr sie alle Hemmnisse, die in der Psyche und den Rechtsordnungen liegen mögen, methodisch beseitigt.
    "Das wird am Ende der Fall sein", schreibt  Adam Smith  zu Beginn des 10. Kapitels des 1. Buches, "... daß überall perfekte Freiheit herrscht ... Jedes Menschen Interesse wird ihn dazu veranlassen, das ihm vorteilhaftere Arbeitsverhältnis zu suchen und das nachteilige zu vermeiden."
Aber SMITH war kein Vertreter der von DIETZEL dargestellten Deduktion, denn er läßt bekanntlich eine Untersuchung der Ursachen folgen, welche die deduzierten Wirkungen modifizieren oder verhindern, eine Untersuchung, welche rein aus der Erfahrung geschöpft ist. Erst RICARDO und seine unmittelbaren Schüler begnügten sich, wo ihnen MALTHUS nicht in den Weg trat, mit der fadengeraden Deduktion. Diese Methode betrachteten die mit der Entwicklung der Nationalökonomie unbekannten Nationalökonomen nun als  die  Methode der Nationalökonomie. CAIRNES meinte - auch DIETZEL scheint es zu glauben -, RICARDO habe eines Tages die Voraussetzung gemacht, daß es Böden verschiedener Güte gibt, daraus hat er dann die Grundrententheorie abgeleitet. Weshalb doch andere Leute nicht auch so gescheite Voraussetzungen gemacht haben, sie wären sonst die großen Theoretiker der Nationalökonomie geworden! Jedoch - das Verfahren steht der abstrakten Schule ja noch immer frei, eine unendliche Fülle von Voraussetzungen, folglich von Theorien ist möglich - und sie begnügt sich damit, das Alte immer neu zu drehen, zu wenden, aufzubügeln, um dann mit der Beteuerung nagelneuer Leistungen auf der Bühne zu erscheinen. Auf der Bühne erscheint sie, ja - das heißt vor dem Souffleurkasten.

Die Sozialwirtschaftslehre DIETZELs will nun überhaupt keine Ursachen erklären, "sie will Wirkungen bestimmen, wenn ihr die Ursachen vorgelegt werden." (4) Wenn sie sich die Lehre von den Krisen, die doch gewiß sehr wichtig ist, einverleiben will, so wird sie also warten, bis eine andere Wissenschaft die Ursachen dieser Krankheitszustände entdeckt hat und sie dann aus der Tatsache der Überproduktion oder der Unterkonsumtion in formell reinlicher Weise ableiten. Von einer Verifizierung der Wirkungen durch Tatsachen und empirische Gesetze spricht DIETZEL daher nicht, der Syllogismus reicht für eine Sozialwirtschaftslehre nicht aus.

Wenige Monate nach DIETZELs Dissertation erschienen MENGERs "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der Politischen Ökonomie insbesondere", ein Werk, von dem man nach seinem Titel die gründlichste Aufhellung eines trotz aller Bemühungen bisher dunkel gebliebenen Gebietes unserer Wissenschaft erwarten durfte. In Wirklichkeit rief es eine fast noch größere Enttäuschung hervor, als die ein Fragment gebliebenen "Grundsätze der Volkswirtschaftslehre" desselben Verfassers. Schon die über das Buch zerstreuten Urteile über die klassische Nationalökonomie mußten den Zweifel nahelegen, ob MENGER die Methodenlehre mehr fördern würde, als seine Vorgänger. So behauptete er, daß SMITH eine Theorie des Gemeinsinns geschrieben hat. ARISTOTELES und GROTIUS schienen nach seiner Darstellung geradewegs aus der österreichischen Schule hervorgegangen zu sein. Er meint, daß die Physiokraten unter dem Einfluß von MONTESQUIEU gestanden hätten, während der große Schriftsteller von ihnen sowohl als Verfassungspolitiker wie als Rechtsphilosoph bekämpft worden war. Er glaubte, daß die naturrechtliche Nationalökonomie Frankreichs das Prinzip der Relativität nicht so vollständig verkannt hat, wie die historische Schule annimmt, während jene tatsächlich, wie überhaupt das Naturrecht, eine Politik "de tous les temps et de tous les lieux" [aller Zeiten und aller Orte - wp] gefordert und dem Prinzip der Relativität eine ganz untergeordnete Stellung angewiesen hatte (5). Es war eine der größten Ruhmestaten der historischen Schule, das Verständnis für das Prinzip der Relativität wieder belebt und vertieft zu haben.

Das Bemerkenswerteste am Werk MENGERs ist meines Erachtens eine Klassifikation der auf dem Gebiet der menschlichen Wirtschaft möglichen Erkenntnisse, welche im Allgemeinen an diejenige BACONs und im Besonderen an die des mit Unrecht vergessenen CORNEWALL LEWIS erinnert, eines scharfsinnigen Schriftstellers, welchen ROBERT von MOHL geschätzt hatte, und den später das unverdiente Los getroffen hat, von COSSA neben DUFAU, einem außerordentlich geschickten Breittreter von QUARK, genannt zu werden (6). Bei der Besprechung des Werks von ADOLPH WAGNER werde ich darzulegen versuchen, daß auf dem Gebiet der Nationalökonomie die scharfe Unterscheidung zwischen der ersten Richtung der Forschung und der zweiten sich nicht aufrechterhalten läßt, abgesehen davon, daß es eine empirische Regelmäßigkeiten konstatierende Statistik gibt; auch wird dort von den "Kunstlehren" zu sprechen sein.

Das vierte Buch leidet an dem schon früher besprochenen Irrtum über die Entwicklung des Prinzips der Relativität und einem nicht weiter zu erwähnenden über die Bedeutung der historischen Schule; der Inhalt des dritten Buches hätte auf zwei bis drei Seiten ausgesprochen werden können; das Wesen der Entwicklungsgesetze hat MENGER im zweiten Buch nicht ganz verstanden; mit den im ersten Buch niedergelegten Ansichten über die Methode haben wir uns ein wenig auseinanderzusetzen.

Der Ursache der von MENGER auf diesem Gebiet gestifteten Verwirrung ist seine Unklarheit, um nicht zu sagen, seine Zweideutigkeit. Während er uns im Text mitteilt, daß die beiden theoretischen Forschungseinrichtungen für alle Gebiete der Erkenntnis, also auch für die Nationalökonomie, gelten und in uns das Bedürfnis immer reger wird, dafür einen Beweis zu sehen, beschwichtigt er unsere Forderung mit folgenden Worten in der Anmerkung 18:
    "Die Gesetze der theoretischen Nationalökonomie sind in Wahrheit niemals  Naturgesetze  im eigentlichen Verstand des Wortes, sie können vielmehr nur empirische oder exakte Gesetze der ethischen Welt sein."
Wir hoffen, daß diesem Gedanken eine weitere Ausführung gegeben wird, aber unsere Freude ist von kurzer Dauer. Denn einige Zeilen weiter vernehmen wir von Neuem:
    "Der Gegensatz zwischen den theoretischen Naturwissenschaften und den theoretischen Sozialwissenschaften ist lediglich ein solcher der Erscheinungen, ... keineswegs aber ein Gegensatz der Methoden, indem auf beiden Gebieten der Erscheinungswelt sowohl die realistische wie auch die exakte Richtung der theoretischen Forschung zulässig ist."
So haben wir für die naturwissenschaftlichen Methoden auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften einen neuen  Namen,  womit die Sache charakteristischerweise zu erledigen ist. MENGER kann nun erklären:
    "Ebenso falsch ist es schließlich, von der naturwissenschaftlichen Methode in den Sozialwissenschaften überhaupt und in der theoretischen Nationalökonomie insbesondere zu sprechen."
Wir kommen zu etwas Wichtigerem. Ebenso unklar, um nicht zu sagen zweideutig, sind seine Ausführungen über das Verhältnis der exakten und empirischen Forschungsrichtung. Manche Stellen seines Werkes müssen die Meinung hervorrufen, daß beide auf allen Gebieten der Erkenntnis nebeneinander hergehen, bzw. nebeneinander hergehen können, während andere nur die Annahme gestatten, daß einige Wissenschaften die empirische Methode anwenden, andere die exakte, während einige die Ergebnisse beider miteinander vereinigen. Diese Meinung ist begründeter, als die in der ersten Hälfte des Satzes ausgesprochene. Aber über das Verhältnis der beiden Methoden erfahren wir auch hier nicht die völlige Wahrheit. Die empirische Methode ist selbst auf den Gebieten, wo die exakte angewendet wird, gewöhnlich die Vorläuferin dieser letzteren gewesen, wo aber die exakte noch nicht angewandt werden kann, herrscht sie ausschließlich. Und selbst wenn die exakte zur Anwendung gelangt ist, wird die empirische sie begleiten müssen. Beiden wirken zur Gewinnung der Erkenntnis zusammen, gehen aber nicht indifferenz nebeneinander her. Dieser Sachverhalt wird Seite 53 von MENGER zugegeben, worüber der Leser nicht wenig erstaunt ist, da er hierauf nicht vorbereitet war.
    "Daher auch die wohlbekannte Tatsache", schreibt er a. a. O., "daß, wo es sich um theoretische Erkenntnisse handelt, welche sich auf kompliziertere Phänomene eines Erscheinungsgebietes beziehen, die realistische, hinsichtlich weniger komplizierter Phänomene dagegen die exakte Richtung der Forschung vorherrschend zu sein pflegt." (7)
Nachdem nun MENGER dieses Zugeständnis gemacht hat, deckt er sich mit folgendem merkwürdigen Satz:
    "Im Prinzip jedoch sind beide Richtungen der Forschung nicht nur allen Gebieten der Erscheinungswelt, sondern auch allen Stufen der Komplikation adäquat."
Im Prinzip, sagte der Bettler, kann ich mir eine Villa kaufen.

Aber die Worte MENGERs wollen uns nicht aus dem Sinn. Wir hatten es uns so leicht vorgestellt, exakte Gesetze zu gewinnen. Das 4. Kapitel des 1. Buches, die Anhänge V und VI hatten alle Schwierigkeiten spielend überwunden, und nun verhält sich die Sache dennoch anders. Daß die exakte Methode, welche MENGER für die Nationalökonomie fordert, mit der exakten der Naturwissenschaft nicht zusammenfällt, ist allseitig anerkannt worden und erfordert keine weitere Erörterung (8). Diese exakten Gesetze haben nicht mehr Ähnlichkeit miteinander, als die Hypothesen DESCARTES' mit denen NEWTONs und der späteren Naturforscher. Die exakte Methode MENGERs steht der "méthode subjektive" COMTEs am nächsten; über sie verbreitet sich bekanntlich ausführlich LITTRÉ in seinem Buch über AUGUSTE COMTE.

Wenn MENGER der Überzeugung war, daß dieselben Methoden in den Natur- und Geisteswissenschaften zur Anwendung kommen, und wenn er zweitens anerkannt hatte, daß die Naturwissenschaften zum Teil die empirische, zum Teil die exakte Forschungsmethode verfolgen, so hätte er sich die Frage vorlegen müssen, mit welcher Naturwissenschaft die Nationalökonomie am meisten verwandt ist, um hieraus einen Wink über die wahrscheinlich adäquate Forschungsmethode zu entenehmen. Er würde wahrscheinlich zu dem Ergebnis gelangt sein: die Meteorologie. Denn beiden Wissenschaften suchen sehr komplizierte Phänomene zu erklären und den Anteil verschiedener Ursachen an bestimmten Erscheinungen zu erkennen. Anstattt dessen entnimmt MENGER willkürlich seine Vergleichungen der Physik, und erweckt so den Anschein, daß die Aufgabe der Theorien der Nationalökonomie darin besteht, die Wirkungen  je einer  Kraft zu bestimmen. Zu einer Erkenntnis aller Erscheinungen gelangen wir daher nach MENGER nur durch eine
    "Reihe von Sozialtheorien, deren jede einzelne uns allerdings nur das Verständnis einer besonderen Seite der Erscheinungen menschlicher Tätigkeit eröffnet."
Man sieht, worauf alles hinausläuft: eine neue, anscheinend sehr wissenschaftliche Begründung der Deduktion aus einer unempirischen Prämisse des Selbstinteresses oder der Wirtschaftlichkeit und die Vertröstung darauf, daß wir in Zukunft noch Theorien des Altruismus, des Irrtums usw. erhalten werden, welche die Vertreter der abstrakten Richtung uns jedoch bisher stets vorenthalten haben. Das würde also heißen, daß der Meteorologe, welcher von der Temperatur der unteren Luftschichten handelt, in einer ersten Theorie allein den Einfluß der Entfernung vom Äquator darzustellen hätte, in einer zweiten nur den Einfluß der Wolkenbildungen, in einer dritten allein den Einfluß der Bodengestaltung usw. Tatsächlich zieht er es vor, in seiner Theorie die Wirkung aller Faktoren zu kombinieren. Hat bisher jemand ein Bedürfnis nach einer Theorie derjenigen volkswirtschaftlichen Erscheinungen gehabt, welche allein aus dem Selbstinteresse hervorgehen? Oder der aus einem Altruismus entspringenden? Man braucht die Frage nur in dieser Form zu stellen, um sofort das Schiefe der Auffassung zu erkennen. Für die Psychologie und Ethik möchten die Ergebnisse sehr anziehend sein. Die Nationalökonomie verlangt die Erklärung des Zusammenwirkens aller Faktoren, welche komplizierte Phänomene hervorbringen.

Nachdem wir nun so viel über den  Unterschied  der beiden Methoden gehört haben, werden wir ungeduldig. Wir fragen den Verfasser, welche geistigen Prozesse uns denn zur empirischen und exakten Erkenntnis führen, mit anderen Worten, mit welchen Methoden wir eine Erkenntnis der Ursachen der Erscheinungen gewinnen, bzw. sie erweitern können. Darauf erhalten wir von MENGER eine unzweideutige Antwort. Er teilt uns mit, daß er uns das gar nicht sagen will. Diese so überaus wichtige Nachricht wird uns wiederum in einer Anmerkung übermittelt und zwar in der 19.
    "Die Methode der exakten Forschung,  die Rolle, welche das Experiment in derselben spielt, das über das Experiment und alle Erfahrung hinausgehende spekulative Element derselben, insbesondere bei einer Formulierung der  exakten Gesetze, ist kein Gegenstand unserer Darstellung in diesem Werk.  Sie wird im Zusammenhang mit einer Kritik der Induktion  Bacons  eine gesonderte Darstellung an anderer Stelle finden."
Leider ist diese wichtige Schrift, obgleich wir nun 11 Jahre darauf gewartet haben, nicht erschienen, und da auch der zweite Teil der "Grundsätze der Volkswirtschaftslehre" seit 23 Jahren aussteht, so bleiben die Lehren MENGERs in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt. Es ist nicht zuviel gesagt, daß sie nicht Klarheit verbreitet, sondern Verwirrung gestiftet haben.

Nachdrücklich wird aber gerade durch diese Anmerkung 19 die Aufmerksamkeit darauf gelenkt,  daß die Frage nach der Methode der Forschung im Gegensatz zur Methode der Darstellung die wahrhaft brennende ist. 

Seit MENGERs Untersuchungen bis zum Erscheinen der Eingangs genannten drei Werke sind noch verschiedene Beiträge zur Methodenlehre erschienen. Aber zum Teil identdifizieren sich deren Verfasser mit bestimmten Vorbehalten mit MENGER, so EMIL SAX und EUGEN von PHILIPPOVICH in zwei trefflichen einschlägigen Schriften; zum Teil verkennen sie den wesentlichen Punkt des Methodenstreits so vollständig, daß sie uns gelassen versichern, die induktive Methode schließe auch deduktive Prozesse ein, oder zur Erklärung komplizierter Phänomene müsse man von den konstitutiven Faktoren ausgehen, die man nacheinander in die Betrachtung einführt; zum Teil beschränken sie sich auf spezielle Untersuchungen.

Zwei Beiträge zur wissenschaftlichen Begründung der exakten Methode hat neuerdings VINCENZ JOHN in den lehrreichen Abhandlungen "Zur Methode der heutigen Sozialwissenschaft" und "Zur Genesis der realistischen Wissenschaft" geliefert. Aber den Nachweis, daß die dem Charakter unseres Wissensgebietes adäquate Methode die exakte im Sinne der Naturwissenschaften ist, hat er in der ersten nicht geliefert, und in einer so gedrängten, von großer Gelehrsamkeit zeugenden Darstellung, wie der zweiten, auch wohl nicht liefern können.

Es ist verwunderlich, daß so scharfsinnige Geister, wie die Mitglieder der österreichischen Schule, nicht bemerken, daß sie bis jetzt über eine  petitio principii <[es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] nicht hinausgekommen sind. Man begnügt sich mit dem Hinweis, daß die exakten Naturwissenschaften so und so verfahren, aber man liefert nicht den Nachweis, daß die theoretische Nationalökonomie eine exakte Naturwissenschaft ist und also wie eine exakte Naturwissenschaft verfahren muß.

Jede Wissenschaft heißt es, muß abstrahieren. Sehr richtig. Aber es kommt doch darauf an, wovon sie abstrahiert. Wenn eine Wissenschaft nur die  wirtschaftliche  Seite des  Wirtschaftslebens  erkennen will, so abstrahiert sie nach der Meinung der historischen Schule in fehlerhafter Weise. Jedoch wäre es überflüssig dies zu erwähnen, wenn nicht zwei seltsame Mißverständnisse obwalten würden.

Die Erklärung von Erscheinungen, die sich als die Wirkung eines Komplexes von Ursachen darstellen, erfordert, wenn dies nicht möglich ist, deren Analyse und gesonderte Betrachtung, mit anderen Worten, die isolierende Abstraktion. Das Verständnis der wirtschaftlichen Wirkungen der heutigen Verkehrsmittel führt zur Unterscheidung von Weg, Fahrzeug, bewegender Kraft, deren Bedeutung für den Transport und die Transportkosten in drei gesonderten Untersuchungen aufgehellt wird. Hat jemals der Historismus an dieser isolierenden Abstraktion Anstoß genommen? Diejenigen, welche es behaupten, wissen wahrscheinlich nicht,  daß die isolierende Abstraktion der exakten Schule eine wesentlich andere ist.  Sie bedeutet das Absehen von allen Seiten des Wirtschaftslebens  mit Ausnahme der wirtschaftlichen.  Die isolierende Abstraktion als  methodisches  Hilfsmittel kann kein induktiver Nationalökonom verwerfen, wohl aber als  Prinzip der Forschung. 

Auf die Analyse und isolierende Abstraktion als methodisches Hilfsmittel folgt selbstverständlich eine Synthese, welche jeder Nationalökonom übt. Nun gibt es aber Kritiker, welche zu glauben scheinen, daß der Historismus sie nicht anerkennt. Sie versichern uns, daß aus dem Einfachen das Zusammengesetzte erklärt werden muß, als ob darin das charakteristische Moment der exakten Methode liegen würde.

In der Darstellung JOHNs der Genesis der realistischen Wissenschaft wäre es unseres Erachtens notwendig gewesen, die Universalmathematik des DESCARTES, die Induktion BACONs, die induktive Methode des Naturrechts des 18. Jahrhunderts streng auseinanderzuhalten. Mit der Methode des DESCARTES, welche von einfachsten, unempirischen Elementen ausging, gelangte man nur zu wilden Hypothesen und es hat DESCARTES auf die Entwicklung der Naturwissenschaften einen ganz minimalen Einfluß - vielleicht mit Ausnahme der Theorie des Regenbogens - ausgeübt, einen umso größeren auf die Erweiterung des Gebietes der Mathematik. Die Induktion des BACON vermochte nicht zu den Ursachen der Erscheinungen vorzudringen, aber sie war der methodischen Beobachtung höchst förderlich. Die von den Naturwissenschaften angewendete Methode war weder diejenige des CARTESIUS, noch diejenige BACONs, sondern ein höchst kompliziertes Verfahren, gemischt aus Beobachtungen, Berechnungen, Schlußfolgerungen, Verifizierungen, welches zu  hypotheses non fictae [nicht erfundene Hypothesen - wp] - im Gegensatz zu den  hypotheses fictae  des CARTESIUS - führte. Jedoch hat selbstverständlich manchmal viel früher die Hypothesenbildung eingesetzt. Als die Ergebnisse der Forschungen eines KOPERNIKUS, KEPLER, GALILEI, NEWTON überschaut werden konnten, entstand daher im 18. Jahrhundert eine scharfe Reaktion gegen die mathematische Methode des CARTESIUS, die sich auf die Geisteswissenschaften übertrug. BACON wurde von ihren Vertretern noch mehr verherrlicht, als er verdiente. Immerhin führte die methodische Beobachtung eher zum Ziel, als die Deduktion aus unempirischen Annahmen. Dieser Zustand verdient nun insbesondere die Aufmerksamkeit der Nationalökonomen. Denn in den Methodenstreit des 18. Jahrhunderts fällt die Geburt der wissenschaftlichen Nationalökonomie eines QUESNAY und ADAM SMITH. Während man in Frankreich stärker an den Traditionen des Cartesianismus, insbesondere an der Philosophie MALEBRANCHEs festhielt (9), war in England der Sieg der Induktion sehr entschieden, auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften durch HUTCHESON und HUME, die doch beide Schotten waren, weshalb ich nicht mit BUCKLE und JOHN übereinstimmen kann.


Wir haben nun ein Urteil darüber abzugeben, ob KEYNES, WAGNER, COSSA die bisher nicht genügend erkannten Probleme gelöst haben. Um dessen Fällung zu erleichtern, wollen wir die wichtigsten Ergebnisse unserer Ausführungen zusammenfassen.
    1. Es ist unrichtig, daß es eine einheitliche Methode der klassischen Nationalökonomie gibt.

    2. Die Methode der isolierenden Abstraktion und der kausalen Deduktion, welche gewöhnlich als die Methode der klassischen Nationalökonomie angesehen wird, ist die von  Malthus  bekämpfte Methode  Ricardos.  Diese Methode wollte  Dietzel  wiederbeleben.

    3. Die abstrakt-deduktive Methode, für welche die meisten Nationalökonomen eintreten, ist modernen Ursprungs. Es ist die von  Mill  und  Cairnes  nach Kenntnisnahme der induktiven Methode der Naturwissenschaften konstruierte Methode, die aber mit der induktiven Methode der Naturwissenschaften nicht verwechselt werden darf.

    4. Einige Nationalökonomen scheinen sich über den Unterschied zwischen einer Methode der Forschung und einer Methode der Darstellung nicht klar zu sein. Andere glauben, daß sie nationalökonomischen Theorien aus einigen allgemeinen Erfahrungssätzen abgeleitet worden sind. Ihre "Induktion" ist wieder die Induktion  Bacons,  noch die Induktion der Naturwissenschaften, sondern, wo das Prinzip der Kausalität nicht auftritt, die Induktion des  Aristoteles.  Denn nach ihm hat die Induktion die Prämissen des Syllogismus herbeizuschaffen. Damit sind wir etwa 2000 Jahr in der Erkenntnis zurückgeworfen. Noch andere vermeinen, daß benachbarte Wissenschaften der Nationalökonomie alle Prämissen geliefert haben. Über die Zahl und den Inhalt der Prämissen herrscht keine Einigkeit. Einige Gelehrte nehmen als alleinige Prämissen das universelle wirtschaftliche Selbstinteresse und die Freiheit der wirtschaftlichen Bewegung an. Diesen Voraussetzungen entsprechende Prämissen finden sich auch im Naturrecht und der Politik des 18. Jahrhunderts. Aber ebensowenig wie in diesen Wissenschaften aus den erwähnten Voraussetzungen Folgerungen abgeleitet worden sind, sondern aus den vom Altertum überlieferten Meinungen über den Urzustand des menschlichen Geschlechts, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und die Entstehung von Recht und Staat, ebensowenig ist in der Nationalökonomie aus diesen leeren Prämissen ein nationalökonomischer Inhalt gewonnen worden, es sind auf diesen Fäden auf induktivem Weg gewonnene Erkenntnisse aneinandergereiht worden.

    5. So ist also die unter den Vertretern der abstrakten Schule vorhandene Übereinstimmung darauf beschränkt, daß sie die Nationalökonomie für eine deduktive Wissenschaft halten und der induktiven Schule die Meinung imputieren [einpflanzen - wp], sie negiere die Deduktion prinzipiell. Die induktive Schule ist aber nicht nur der Überzeugung, daß die Deduktion in der Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse vorherrschen muß, sondern auch, daß sie in der Methode der Forschung zwei wichtige Funktionen hat:  1.  die Ableitung von Folgerungen aus Hypothesen und  2.  die Erweiterung unserer Erkenntnis mittels der Deduktion aus gesicherten Erkenntnissen.

    6. So kann man nur mit einer gewissen Verwunderung sehen, daß trotz der größten Widersprüche untereinander jeder abstrakte Theoretiker der festen Überzeugung lebt, daß durch die Anwendung seiner Methode die Nationalökonomie entstanden ist und alle auf die Unwissenheit, Unwissenschaftlichkeit, Dreistigkeit der Gegner zum Teil hochmütig, zum Teil mitleidsvoll und zum Teil mit christlicher Liebe herabblicken. In diesem Punkt ist die allergrößte Einigkeit vorhanden.
Aber mit noch intensiverer Verwunderung bemerkt man, daß wenn die Vorkämpfer der abstrakt-deduktiven Methode neue Gebiete unserer Wissenschaft zu erschließen suchen, sie mit der größten Unbefangenheit sich der  induktiven  Methode bedienen. Dafür will ich einen Zeugen anführen, der nicht im Verdacht steht, der deduktiven Schule feindlich gesinnt zu sein. Die Lehre von der Produktion der Güter war bekanntlich von der klassischen Nationalökonomie wenig gefördert worden, so daß die Epigonen hier am meisten Gelegenheit zu selbständiger Arbeit fanden.
    "In der Betrachtungsweise der Herstellung von Reichtum zum Beispiel", sagt  John Neville Keynes,  "wie sie von Professor  Sigdwick, Mill  und anderen Ökonomen dieser Schule vertreten wurde, wurde immer eine induktive und analytische Methode angewandt, das deduktive Element in deren Argumentation in dieser Hinsicht war immer wesentlich untergeordnet.  Mill  ist noch viel bestimmter ein induktver Ökonomiker in seiner ausführlichen Diskussion zum bäuerlichen Eigentum in seinen ökonomischen Auswirkungen ...  Cairnes  etabliert, auch in seiner Arbeit zur Macht der Sklaverei, wo er die allgemeinen ökonomischen Charakteristika der Sklavenarbeit analysiert, einige wichtige ökonomische Doktrinen dadurch, daß er induktive Studien der Fakten betreibt, wobei wenig Gebrauch von einer deduktiven Begründung gemacht wird." (10)
Über das Verhältnis von Induktion und Deduktion auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften gibt es eine prächtige Anekdote. Als der berühmte Philologe FRIEDRICH AUGUST WOLF seine Theorie der Entstehung der Homerischen Gedichte veröffentlicht hatte, beglückwünschte ihn FICHTE und teilte ihm zugleich mit, daß er auf deduktivem Weg zu denselben Ergebnissen wie WOLF gelangt sei. Der schalkhafte Philologe antwortete, daß er sich freue, einen Mann zu kennen, der allein durch die Kraft des reinen Denkens dasjenige zu entdecken vermag, wozu andere Menschen der zeitraubenden empirischen Forschung bedürfen. Da er nun auf induktivem Weg nicht hinter die Namen einiger untergegangener Völker kommen könne, so bäter er den Philosophen, ihm doch mittels seiner Deduktion zu Hilfe zu eilen. Worauf FICHTE antwortete, daß die Deduktion ein zu kostbarer geistiger Prozeß ist, als daß man ihn zu nichtigen Zwecken veranstalten dürfte.
LITERATUR Wilhelm Hasbach, Zur Geschichte des Methodenstreits in der politischen Ökonomie, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Neunzehnter Jahrgang, Leipzig 1895
    Anmerkungen
    1) WALTER BAGEHOT, Economic Studies, Seite 5
    2) BAGEHOT, a. a. O., Seite 15
    3) ROBERT ZUCKERKANDL, Zur Theorie des Preises, 1889, Einleitung.
    4) HEINRICH DIETZEL, Über das Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Sozialwirtschaftslehre, 1882, Seite 68.
    5) Siehe HASBACH, Die allgemeinen philosophischen Grundlagen der von Francois Quesnay und Adam Smith begründeten politischen Ökonomie, Seite 173. Der Empfang, welchen MENGER dieser Schrift angedeihen ließ, ist so charakteristisch für seinen Haß gegen die historische Schule, daß ich nicht umhin kann, hierauf mit wenigen Worten einzugehen. Meine Schrift wurde im Dezember 1890 ausgegeben und am 6. Januar erschien ein Aufsatz von MENGER in der "Neuen Freien Presse" unter dem Titel "Die Sozialtheorien der klassischen Nationalökonomen und die moderne Wirtschaftspolitik. Er knüpfte an die hundertjährige Wiederkehr des Todestages von  Adam Smith  an, welcher aber schon am 17. Juli 1890 gewesen war. Daß MENGER sich dieses Tages erst 6 Monate später erinnerte, lag wahrscheinlich an seinem tiefen Schmerz darüber, "daß  Adam Smith  bei diesem Anlaß dem grausamen Schicksal verfallen (ist), von den Vertretern einer auf den deutschen Universitäten seither zur Herrschaft gelangten gegnerischen Richtung  historisch interpretiert,  gegen eine allzuweit gehende Verkleinerung  verteidigt  zu werden". Um nun das "grausame Schicksal", das auch ich  Adam Smith  bereitet hatte, in das rechte Licht zu rücken, wandte er folgende in ihrer Phantasie entfesselnden Kraft fast an diejenigen  Homers  heranreichende Vergleichung an. "Als  Babeuf  vor der Guillotine stand", schrieb er, "bekümmerte ihn, der den Tod nicht fürchtete, nur der Gedanke, daß die Geschichte seiner Bestrebungen von den Gegnern geschrieben werden könnte. Die klassische Nationalökonomie ist tatsächlich diesem Schicksal verfallen." Ich war auf die Widerlegung des Historismus seitens  Carl Mengers,  des  Buonarotti  der klassischen Nationalökonomie, sehr gespannt, und verwunderte mit daher nicht wenig, im Wesentlichen nichts mehr zu finden, abgesehen von spärlichen Ausführungen über  Ricardo, Say,  als - was ich selbst in meiner oben genannten Schrift  (Seite 73f und 113f)  gesagt hatte.  So bestraft und belohnt  Menger  die "historische Interpretation" der "gegnerischen Schule". - - - Luigi Cossa  war von diesem Verdammungsurteil so sehr niedergeschlagen, daß er es gar nicht wagte, meine Schrift in seiner Bibliographie zu erwähnen, obwohl er es nicht für unangebracht hielt, aus einer Rezension derselben eine Stelle zu entnehmen und ein Werk  Bonars  aufzuführen (Philosophy and Political Economy, 1893), welches sich auf denselben Gegenstand bezieht und meine Schrift zitiert.  Cossa  hat dann über meine "Untersuchungen über Adam Smith" ein Urteil gefällt, welches dieselbe gehässige Stimmung verrät. Ich habe ihn zweimal in höflichen Schreiben um eine Begründung gebeten, ohne jedoch mehr erlangen zu können, als die Behauptung, daß ich  Smith  falsch aufgefaßt habe. Meine "Irrtümer und Lücken" bestehen, wie ich aus der englischen Ausgabe von  Cossas  "Introduzione" ersehe, darin, daß ich eine ungenügende Kenntnis der älteren englischen und französischen Literatur habe. Wenn ich aber nun sage (Seite 421): "Meine Absicht war es nicht, Literaturgeschichte zu schreiben, sondern nur die geistige Persönlichkeit  Smiths  von allen wesentlichen Gesichtspunkten zu betrachten ..." und: "Bei den vorliegenden (Untersuchungen) habe ich auch nicht den Zweck verfolgt, das Material mit aller denkbaren, aber unwesentlichen Vollständigkeit herbeizuschaffen. Dagegen habe ich es für nötig gehalten, alle wesentlichen Lichtquellen zu eröffnen, welche das geistige Bild  Adam Smiths  beleuchte", - so konnte doch nur die Frage sein, ob mein Zweck mehr Literatur erforderte.  Cossa  ist also weit über dasjenige hinausgegangen, was er möglicherweise berechtigt war, zu schließen. Im Übrigen bin ich nicht so vermessen, meine Kenntnis der Literatur zu rühmen. Wenn aber  Cossa  nur die Bücher meint, deren Titel er in seiner Bibliographie angibt, so darf ich sagen, daß ich noch einige mehr gelesen habe. - - - Den oben erwähnten Aufsatz  Mengers  hat dann sein Schüler,  Feilbogen an die Öffentlichkeit gezogen, einige Ausführungen stark übertrieben und ihnen eine schon frühr besprochene Methodik der Literaturgeschichte vorangeschickt, welche wahrscheinlich aus den philologischen Vorlesungen  Mengers  hervorgegangen ist. Denn die schiefen Urteile des letzteren über die klassische Nationalökonomie in seinen "Untersuchungen" waren wahrscheinlich daraus entstanden, daß er sich auf das Studium der Hauptwerke beschränkt und das Studium der "einflußlosen Vorgänger" der Bibliographie überlassen hatte. - - - Mit dieser Abhandlung  Feilbogens  war die historische Schule mit den Waffen vernichtet, die ihre Jünger geschmiedet hatten. Eine Sache, welche mit folgenden Mitteln in Österreicht und Italien gestützt werden muß, kann nur einen geringen inneren Wert besitzen. - - - Im Deutschen Reich wurde es einem Rezensenten der "Philosophischen Grundlagen" in einer der angesehensten nationalökonomischen Zeitschriften von einem Literaturredakteur versagt, einige Ausführungen vor dem Druck zu berichtigen.
    6) BACONs klare Unterscheidung zwischen Geschichte und theoretischer Wissenschaft hat die folgende Zeit beherrscht. C. LEWIS unterscheidet vier politische Wissenschaften: 1. Registrierung  der Tatsachen, welche in Geschichte und Statistik zerfällt. 2.  Positive Politik,  welche das Wesen bestimmter Einrichtungen und Erscheinungen behandelt. Aus der politischen Ökonomie gehörten hierher Reichtum, Wert, Austausch, Kapitalprofit, Grundrente (Es lehren, was notwendigerweise zur Idee der politischen Regierung gehört. ... Es erklärt z. B. was eine Monarchie ist. ... Es zeigt was die Handlungen sind, die den Austausch konstituieren). 3. Spekulative Politik  untersucht die Wirkungen, welche aus Ursachen (Regierungsformen, Gesetzen, Einrichtungen, Prinzipien der menschlichen Natur hervorgehen. 4. Praktische  Politik.
    7) Dieser Satz kritisiert unfreiwillig die Meinung verschiedener Nationalökonomen, welche die exakte Richtung deshalb fordern, weil sonst die komplizierten Phänomene nicht erklärt werden könnten!! Siehe z. B. BÜCHER, welcher der historischen Schule ein Sündenregister vorhält. "Es gibt in der Tat keine andere Forschungsmethode", schreibt er in seiner "Entwicklung der Volkswirtschaft" (Seite 77),  "mit welcher man der komplizierten Verursachung der Verkehrsvorgänge nahe kommen kann, als die isolierende Abstraktion und die logische Deduktion." 
    8) Vgl. SCHMOLLER, Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften, 1884, Seite 278f. - EMIL SAX, Das Wesen und die Aufgabe der Nationalökonomie, 1884, Seite 38 - WILHELM LEXIS, Rezension des Mengerschen Werkes in der "Deutschen Literaturzeitung", 1883. - JULIUS NEUMANN, T. Z. 1892, Seite 440f. "Denn was  Menger  empfiehlt, um zu exakten Gesetzen zu gelangen, und was in den Naturwissenschaften zu diesem Zweck  geschieht,  sind durchaus verschiedene Dinge. In beiden Fällen - das ist zugegeben - wird abstrahiert, abstrahiert von demjenigen, was Beobachtung und empirische Forschung an die Hand gibt. Aber während der Naturforscher dieses Verfahren wählt, um  vorhandene  meßbare Dinge wie z. B. jene Kräfte der Anziehung und der Trägheit zu erkennen, sollen auf dem von  Menger  empfohlenen Weg, um zu exakten Gesetzen der Wirtschaftlichkeit zu gelangen, Dinge  gedacht  werden, die, soweit unsere Kenntnis reicht,  nicht  vorhanden sind. Dort  besteht  Typisches, aus dem wieder Typisches hervorgehen und als Typisches erforscht werden kann. Hier soll der Art Typisches gedacht, d. h.  fingiert  werden." (NEUMANN, Seite 441)
    9) Daß sich aber auch in Frankreich die hervorragendsten Geister gegen den  Mißbrauch der mathematischen Methode,  die vage  Hypothesenbildung  erklärten, ersieht man immer wieder aus der berühmten Einleitung  d'Alemberts  zur "Enzyklopädie. Nachdem er von den Naturwissenschaften gesprochen hat, die in das exakte Stadium eingetreten sind, geht er zu denjenigen über,  welche sich nicht in diesem Stadium befinden,  und er wendet sich gegen die heutigen Tages von MENGER vertretene Meinung, man könne auf allen Gebieten die exakte und die empirische Methode anwenden.
    10) JOHN NEVILLE KEYNES, Scope and Method of Political Economy, 1891, Seite 18