H. PeschA. WagnerH. AlbertE. HeimannH. MoellerG. Schmoller | |||
Zur Geschichte des Methodenstreits in der politischen Ökonomie [2/3]
II. Bagehot, Dietzel, Menger, John, Keynes, Wagner, Cossa War im ersten Viertel dieses Jahrhunderts der induktiv veranlagte Geist des MALTHUS das Triebrad der Entwicklung der Methodenlehre gewesen, hatten dann die tiefere Bekanntschaft mit dem Wesen der naturwissenschaftlichen Methoden und der Positivismus MILL über RICARDO fortgetrieben, hatte darauf der Sieg des Freihandels für CAIRNES den Ansporn abgegeben, die Aufgaben und die Methode der theoretischen Nationalökonomie schärfer zu bestimmen, so wird nun der Historismus das Ferment der geistigen Bewegung. Die historische Schule kämpfte zunächst nicht gegen die Theorie, sondern gegen die Volkswirtschafts- und Sozialpolitik der klassischen Schule und ihrer Epigonen. Zwar mußten auch einige theoretische Lehren angegriffen werden, z. B. die Lehre vom Einkommen, vor allem vom Lohn, von der Produktivität der Arbeit, aber die Lektüre der einschlägigen Schriften zeigt auf das unzweideutigste, daß zunächst die Politik im Vordergrund der Diskussion stand. Insbesondere über der Frage, ob die Nationalökonomie eine ethische Wissenschaft sei, wurde viel unschuldiges Tintenblut von den Gegnern der historischen Schule vergossen. Erst als der Sieg des Historismus auch die bisherige theoretischen Nationalökonomie zu vernichten drohte, erhoben sich Kämpfer für sie und ihre Methode in verschiedenen Ländern Europas. In ihren Darlegungen waren Konzessionen an den Historismus ebenso bemerkenswert wie ihre Ansichten darüber, worin die Methode der theoretischen Nationalökonomie besteht. BAGEHOT behauptete gegen GUSTAV COHN, daß es unmöglich ist, alle zur Erkenntnis einer Gruppe von volkswirtschaftlichen Erscheinungen nötigen Daten zu erlangen, während ihn die Ergebnisse der Untersuchungen parlamentarischer Ausschüsse und Königlicher Kommissionen hätten vom Gegenteil überzeugen können. Aber er kannte das volkswirtschaftliche Gebiet, welches RICARDO und seine Jünger zu erklären suchten, zu gut, um nicht zu wissen, daß es nur ein Bruchteil der Welt ist.
Nun wird es verständlich, daß er die historische und die abstrakte Methode gar nicht als Rivalen betrachtete:
HEINRICH DIETZELs Stellung ist eine ganz verschiedene, obwohl er sich in einem Punkt mit BAGEHOT berührt. Auch er meint, daß die Existenz einer Sozialwirtschaftslehre zeitlich von einem bestimmten materiellen und ideellen Faktor abhängig ist; die Wirtschaft eines Volkes müsse sich zu einer Verkehrswirtschaft entwickeln und die Rechtsordnung das Prinzip der Freiheit wirtschaftlicher Bewegung verwirklicht haben. Allerdings schaffen sie noch nicht notwendigerweise die volkswirtschaftliche Welt, welche BAGEHOT als der Hintergrund der englischen Theorie galt, wie die Betrachtung der deutschen Volkswirtschaft etwa von 1815 - 1835 zeigt. Auch kann ich mit DIETZEL nicht übereinstimmen, wenn er glaubt, daß die Theorie einer anders gearteten Volkswirtschaft kein Interesse erregen kann. Die Theorie der Erscheinungen der antiken Volkswirtschaft, diejenige der französischen Volkswirtschaft etwa von 1700 - 1760, wie sie uns in den Schriften BOISGUILLEBERTs, CANTILLONs, QUESNAYs u. a. entgegentreten, haben wenigstens mein Interesse auf das lebhafteste erreicht und CAIRNES' "Slave Power", die Darstellung der volkswirtschaftlichen "Gesetze" in den Sklavenstaaten des nordamerikanischen Südens, halte ich für eine interessantere Lektüre als seine "Leading Principles". Man kann nur sagen, daß die von DIETZEL vertretene Methode dort nicht am Platz ist. Die Vorgänger DIETZELs hatten sich bemüht, eine ziemliche Anzahl von zum Teil recht substantiellen Prämissen zusammengetragen, um aus ihnen ein Netz von Folgerungen herzustellen. DIETZEL stellt nur zwei luftige inhaltslose Prämissen auf: das System der freien Konkurrenz und das vernünftige Selbstinteresse. Daraus läßt sich aber gar nichts deduzieren, sie bedeuten nur die Schaffung eines leeren Raums. Ich stimme dem von Historismus weit entfernten ZUCKERKANDL bei, wenn er sagt:
Man hat auch den Grund aller Irrtümer der abstrakt-deduktiven Schule klar vor Augen. Die klassischen Nationalökonomen, so verschieden sie auch untereinander sein, zeigen uns aus den früher angegebenen Gründen niemals, wie man von den volkswirtschaftlichen Erscheinungen zu den noch unbekannten Ursachen emporsteigt, sie eröffnen uns nur einen Einblick darein, wie man von den erforschten Ursachen zu den Wirkungen hinabsteigt. Diese Methode ist notwendigerweise eine deduktive und sie wird zu umso reinlicheren, aber umso unempirischeren Ergebnissen gelangen, je mehr sie alle Hemmnisse, die in der Psyche und den Rechtsordnungen liegen mögen, methodisch beseitigt.
Die Sozialwirtschaftslehre DIETZELs will nun überhaupt keine Ursachen erklären, "sie will Wirkungen bestimmen, wenn ihr die Ursachen vorgelegt werden." (4) Wenn sie sich die Lehre von den Krisen, die doch gewiß sehr wichtig ist, einverleiben will, so wird sie also warten, bis eine andere Wissenschaft die Ursachen dieser Krankheitszustände entdeckt hat und sie dann aus der Tatsache der Überproduktion oder der Unterkonsumtion in formell reinlicher Weise ableiten. Von einer Verifizierung der Wirkungen durch Tatsachen und empirische Gesetze spricht DIETZEL daher nicht, der Syllogismus reicht für eine Sozialwirtschaftslehre nicht aus. Wenige Monate nach DIETZELs Dissertation erschienen MENGERs "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der Politischen Ökonomie insbesondere", ein Werk, von dem man nach seinem Titel die gründlichste Aufhellung eines trotz aller Bemühungen bisher dunkel gebliebenen Gebietes unserer Wissenschaft erwarten durfte. In Wirklichkeit rief es eine fast noch größere Enttäuschung hervor, als die ein Fragment gebliebenen "Grundsätze der Volkswirtschaftslehre" desselben Verfassers. Schon die über das Buch zerstreuten Urteile über die klassische Nationalökonomie mußten den Zweifel nahelegen, ob MENGER die Methodenlehre mehr fördern würde, als seine Vorgänger. So behauptete er, daß SMITH eine Theorie des Gemeinsinns geschrieben hat. ARISTOTELES und GROTIUS schienen nach seiner Darstellung geradewegs aus der österreichischen Schule hervorgegangen zu sein. Er meint, daß die Physiokraten unter dem Einfluß von MONTESQUIEU gestanden hätten, während der große Schriftsteller von ihnen sowohl als Verfassungspolitiker wie als Rechtsphilosoph bekämpft worden war. Er glaubte, daß die naturrechtliche Nationalökonomie Frankreichs das Prinzip der Relativität nicht so vollständig verkannt hat, wie die historische Schule annimmt, während jene tatsächlich, wie überhaupt das Naturrecht, eine Politik "de tous les temps et de tous les lieux" [aller Zeiten und aller Orte - wp] gefordert und dem Prinzip der Relativität eine ganz untergeordnete Stellung angewiesen hatte (5). Es war eine der größten Ruhmestaten der historischen Schule, das Verständnis für das Prinzip der Relativität wieder belebt und vertieft zu haben. Das Bemerkenswerteste am Werk MENGERs ist meines Erachtens eine Klassifikation der auf dem Gebiet der menschlichen Wirtschaft möglichen Erkenntnisse, welche im Allgemeinen an diejenige BACONs und im Besonderen an die des mit Unrecht vergessenen CORNEWALL LEWIS erinnert, eines scharfsinnigen Schriftstellers, welchen ROBERT von MOHL geschätzt hatte, und den später das unverdiente Los getroffen hat, von COSSA neben DUFAU, einem außerordentlich geschickten Breittreter von QUARK, genannt zu werden (6). Bei der Besprechung des Werks von ADOLPH WAGNER werde ich darzulegen versuchen, daß auf dem Gebiet der Nationalökonomie die scharfe Unterscheidung zwischen der ersten Richtung der Forschung und der zweiten sich nicht aufrechterhalten läßt, abgesehen davon, daß es eine empirische Regelmäßigkeiten konstatierende Statistik gibt; auch wird dort von den "Kunstlehren" zu sprechen sein. Das vierte Buch leidet an dem schon früher besprochenen Irrtum über die Entwicklung des Prinzips der Relativität und einem nicht weiter zu erwähnenden über die Bedeutung der historischen Schule; der Inhalt des dritten Buches hätte auf zwei bis drei Seiten ausgesprochen werden können; das Wesen der Entwicklungsgesetze hat MENGER im zweiten Buch nicht ganz verstanden; mit den im ersten Buch niedergelegten Ansichten über die Methode haben wir uns ein wenig auseinanderzusetzen. Der Ursache der von MENGER auf diesem Gebiet gestifteten Verwirrung ist seine Unklarheit, um nicht zu sagen, seine Zweideutigkeit. Während er uns im Text mitteilt, daß die beiden theoretischen Forschungseinrichtungen für alle Gebiete der Erkenntnis, also auch für die Nationalökonomie, gelten und in uns das Bedürfnis immer reger wird, dafür einen Beweis zu sehen, beschwichtigt er unsere Forderung mit folgenden Worten in der Anmerkung 18:
Aber die Worte MENGERs wollen uns nicht aus dem Sinn. Wir hatten es uns so leicht vorgestellt, exakte Gesetze zu gewinnen. Das 4. Kapitel des 1. Buches, die Anhänge V und VI hatten alle Schwierigkeiten spielend überwunden, und nun verhält sich die Sache dennoch anders. Daß die exakte Methode, welche MENGER für die Nationalökonomie fordert, mit der exakten der Naturwissenschaft nicht zusammenfällt, ist allseitig anerkannt worden und erfordert keine weitere Erörterung (8). Diese exakten Gesetze haben nicht mehr Ähnlichkeit miteinander, als die Hypothesen DESCARTES' mit denen NEWTONs und der späteren Naturforscher. Die exakte Methode MENGERs steht der "méthode subjektive" COMTEs am nächsten; über sie verbreitet sich bekanntlich ausführlich LITTRÉ in seinem Buch über AUGUSTE COMTE. Wenn MENGER der Überzeugung war, daß dieselben Methoden in den Natur- und Geisteswissenschaften zur Anwendung kommen, und wenn er zweitens anerkannt hatte, daß die Naturwissenschaften zum Teil die empirische, zum Teil die exakte Forschungsmethode verfolgen, so hätte er sich die Frage vorlegen müssen, mit welcher Naturwissenschaft die Nationalökonomie am meisten verwandt ist, um hieraus einen Wink über die wahrscheinlich adäquate Forschungsmethode zu entenehmen. Er würde wahrscheinlich zu dem Ergebnis gelangt sein: die Meteorologie. Denn beiden Wissenschaften suchen sehr komplizierte Phänomene zu erklären und den Anteil verschiedener Ursachen an bestimmten Erscheinungen zu erkennen. Anstattt dessen entnimmt MENGER willkürlich seine Vergleichungen der Physik, und erweckt so den Anschein, daß die Aufgabe der Theorien der Nationalökonomie darin besteht, die Wirkungen je einer Kraft zu bestimmen. Zu einer Erkenntnis aller Erscheinungen gelangen wir daher nach MENGER nur durch eine
Nachdem wir nun so viel über den Unterschied der beiden Methoden gehört haben, werden wir ungeduldig. Wir fragen den Verfasser, welche geistigen Prozesse uns denn zur empirischen und exakten Erkenntnis führen, mit anderen Worten, mit welchen Methoden wir eine Erkenntnis der Ursachen der Erscheinungen gewinnen, bzw. sie erweitern können. Darauf erhalten wir von MENGER eine unzweideutige Antwort. Er teilt uns mit, daß er uns das gar nicht sagen will. Diese so überaus wichtige Nachricht wird uns wiederum in einer Anmerkung übermittelt und zwar in der 19.
Nachdrücklich wird aber gerade durch diese Anmerkung 19 die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß die Frage nach der Methode der Forschung im Gegensatz zur Methode der Darstellung die wahrhaft brennende ist. Seit MENGERs Untersuchungen bis zum Erscheinen der Eingangs genannten drei Werke sind noch verschiedene Beiträge zur Methodenlehre erschienen. Aber zum Teil identdifizieren sich deren Verfasser mit bestimmten Vorbehalten mit MENGER, so EMIL SAX und EUGEN von PHILIPPOVICH in zwei trefflichen einschlägigen Schriften; zum Teil verkennen sie den wesentlichen Punkt des Methodenstreits so vollständig, daß sie uns gelassen versichern, die induktive Methode schließe auch deduktive Prozesse ein, oder zur Erklärung komplizierter Phänomene müsse man von den konstitutiven Faktoren ausgehen, die man nacheinander in die Betrachtung einführt; zum Teil beschränken sie sich auf spezielle Untersuchungen. Zwei Beiträge zur wissenschaftlichen Begründung der exakten Methode hat neuerdings VINCENZ JOHN in den lehrreichen Abhandlungen "Zur Methode der heutigen Sozialwissenschaft" und "Zur Genesis der realistischen Wissenschaft" geliefert. Aber den Nachweis, daß die dem Charakter unseres Wissensgebietes adäquate Methode die exakte im Sinne der Naturwissenschaften ist, hat er in der ersten nicht geliefert, und in einer so gedrängten, von großer Gelehrsamkeit zeugenden Darstellung, wie der zweiten, auch wohl nicht liefern können. Es ist verwunderlich, daß so scharfsinnige Geister, wie die Mitglieder der österreichischen Schule, nicht bemerken, daß sie bis jetzt über eine petitio principii <[es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] nicht hinausgekommen sind. Man begnügt sich mit dem Hinweis, daß die exakten Naturwissenschaften so und so verfahren, aber man liefert nicht den Nachweis, daß die theoretische Nationalökonomie eine exakte Naturwissenschaft ist und also wie eine exakte Naturwissenschaft verfahren muß. Jede Wissenschaft heißt es, muß abstrahieren. Sehr richtig. Aber es kommt doch darauf an, wovon sie abstrahiert. Wenn eine Wissenschaft nur die wirtschaftliche Seite des Wirtschaftslebens erkennen will, so abstrahiert sie nach der Meinung der historischen Schule in fehlerhafter Weise. Jedoch wäre es überflüssig dies zu erwähnen, wenn nicht zwei seltsame Mißverständnisse obwalten würden. Die Erklärung von Erscheinungen, die sich als die Wirkung eines Komplexes von Ursachen darstellen, erfordert, wenn dies nicht möglich ist, deren Analyse und gesonderte Betrachtung, mit anderen Worten, die isolierende Abstraktion. Das Verständnis der wirtschaftlichen Wirkungen der heutigen Verkehrsmittel führt zur Unterscheidung von Weg, Fahrzeug, bewegender Kraft, deren Bedeutung für den Transport und die Transportkosten in drei gesonderten Untersuchungen aufgehellt wird. Hat jemals der Historismus an dieser isolierenden Abstraktion Anstoß genommen? Diejenigen, welche es behaupten, wissen wahrscheinlich nicht, daß die isolierende Abstraktion der exakten Schule eine wesentlich andere ist. Sie bedeutet das Absehen von allen Seiten des Wirtschaftslebens mit Ausnahme der wirtschaftlichen. Die isolierende Abstraktion als methodisches Hilfsmittel kann kein induktiver Nationalökonom verwerfen, wohl aber als Prinzip der Forschung. Auf die Analyse und isolierende Abstraktion als methodisches Hilfsmittel folgt selbstverständlich eine Synthese, welche jeder Nationalökonom übt. Nun gibt es aber Kritiker, welche zu glauben scheinen, daß der Historismus sie nicht anerkennt. Sie versichern uns, daß aus dem Einfachen das Zusammengesetzte erklärt werden muß, als ob darin das charakteristische Moment der exakten Methode liegen würde. In der Darstellung JOHNs der Genesis der realistischen Wissenschaft wäre es unseres Erachtens notwendig gewesen, die Universalmathematik des DESCARTES, die Induktion BACONs, die induktive Methode des Naturrechts des 18. Jahrhunderts streng auseinanderzuhalten. Mit der Methode des DESCARTES, welche von einfachsten, unempirischen Elementen ausging, gelangte man nur zu wilden Hypothesen und es hat DESCARTES auf die Entwicklung der Naturwissenschaften einen ganz minimalen Einfluß - vielleicht mit Ausnahme der Theorie des Regenbogens - ausgeübt, einen umso größeren auf die Erweiterung des Gebietes der Mathematik. Die Induktion des BACON vermochte nicht zu den Ursachen der Erscheinungen vorzudringen, aber sie war der methodischen Beobachtung höchst förderlich. Die von den Naturwissenschaften angewendete Methode war weder diejenige des CARTESIUS, noch diejenige BACONs, sondern ein höchst kompliziertes Verfahren, gemischt aus Beobachtungen, Berechnungen, Schlußfolgerungen, Verifizierungen, welches zu hypotheses non fictae [nicht erfundene Hypothesen - wp] - im Gegensatz zu den hypotheses fictae des CARTESIUS - führte. Jedoch hat selbstverständlich manchmal viel früher die Hypothesenbildung eingesetzt. Als die Ergebnisse der Forschungen eines KOPERNIKUS, KEPLER, GALILEI, NEWTON überschaut werden konnten, entstand daher im 18. Jahrhundert eine scharfe Reaktion gegen die mathematische Methode des CARTESIUS, die sich auf die Geisteswissenschaften übertrug. BACON wurde von ihren Vertretern noch mehr verherrlicht, als er verdiente. Immerhin führte die methodische Beobachtung eher zum Ziel, als die Deduktion aus unempirischen Annahmen. Dieser Zustand verdient nun insbesondere die Aufmerksamkeit der Nationalökonomen. Denn in den Methodenstreit des 18. Jahrhunderts fällt die Geburt der wissenschaftlichen Nationalökonomie eines QUESNAY und ADAM SMITH. Während man in Frankreich stärker an den Traditionen des Cartesianismus, insbesondere an der Philosophie MALEBRANCHEs festhielt (9), war in England der Sieg der Induktion sehr entschieden, auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften durch HUTCHESON und HUME, die doch beide Schotten waren, weshalb ich nicht mit BUCKLE und JOHN übereinstimmen kann. Wir haben nun ein Urteil darüber abzugeben, ob KEYNES, WAGNER, COSSA die bisher nicht genügend erkannten Probleme gelöst haben. Um dessen Fällung zu erleichtern, wollen wir die wichtigsten Ergebnisse unserer Ausführungen zusammenfassen.
2. Die Methode der isolierenden Abstraktion und der kausalen Deduktion, welche gewöhnlich als die Methode der klassischen Nationalökonomie angesehen wird, ist die von Malthus bekämpfte Methode Ricardos. Diese Methode wollte Dietzel wiederbeleben. 3. Die abstrakt-deduktive Methode, für welche die meisten Nationalökonomen eintreten, ist modernen Ursprungs. Es ist die von Mill und Cairnes nach Kenntnisnahme der induktiven Methode der Naturwissenschaften konstruierte Methode, die aber mit der induktiven Methode der Naturwissenschaften nicht verwechselt werden darf. 4. Einige Nationalökonomen scheinen sich über den Unterschied zwischen einer Methode der Forschung und einer Methode der Darstellung nicht klar zu sein. Andere glauben, daß sie nationalökonomischen Theorien aus einigen allgemeinen Erfahrungssätzen abgeleitet worden sind. Ihre "Induktion" ist wieder die Induktion Bacons, noch die Induktion der Naturwissenschaften, sondern, wo das Prinzip der Kausalität nicht auftritt, die Induktion des Aristoteles. Denn nach ihm hat die Induktion die Prämissen des Syllogismus herbeizuschaffen. Damit sind wir etwa 2000 Jahr in der Erkenntnis zurückgeworfen. Noch andere vermeinen, daß benachbarte Wissenschaften der Nationalökonomie alle Prämissen geliefert haben. Über die Zahl und den Inhalt der Prämissen herrscht keine Einigkeit. Einige Gelehrte nehmen als alleinige Prämissen das universelle wirtschaftliche Selbstinteresse und die Freiheit der wirtschaftlichen Bewegung an. Diesen Voraussetzungen entsprechende Prämissen finden sich auch im Naturrecht und der Politik des 18. Jahrhunderts. Aber ebensowenig wie in diesen Wissenschaften aus den erwähnten Voraussetzungen Folgerungen abgeleitet worden sind, sondern aus den vom Altertum überlieferten Meinungen über den Urzustand des menschlichen Geschlechts, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und die Entstehung von Recht und Staat, ebensowenig ist in der Nationalökonomie aus diesen leeren Prämissen ein nationalökonomischer Inhalt gewonnen worden, es sind auf diesen Fäden auf induktivem Weg gewonnene Erkenntnisse aneinandergereiht worden. 5. So ist also die unter den Vertretern der abstrakten Schule vorhandene Übereinstimmung darauf beschränkt, daß sie die Nationalökonomie für eine deduktive Wissenschaft halten und der induktiven Schule die Meinung imputieren [einpflanzen - wp], sie negiere die Deduktion prinzipiell. Die induktive Schule ist aber nicht nur der Überzeugung, daß die Deduktion in der Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse vorherrschen muß, sondern auch, daß sie in der Methode der Forschung zwei wichtige Funktionen hat: 1. die Ableitung von Folgerungen aus Hypothesen und 2. die Erweiterung unserer Erkenntnis mittels der Deduktion aus gesicherten Erkenntnissen. 6. So kann man nur mit einer gewissen Verwunderung sehen, daß trotz der größten Widersprüche untereinander jeder abstrakte Theoretiker der festen Überzeugung lebt, daß durch die Anwendung seiner Methode die Nationalökonomie entstanden ist und alle auf die Unwissenheit, Unwissenschaftlichkeit, Dreistigkeit der Gegner zum Teil hochmütig, zum Teil mitleidsvoll und zum Teil mit christlicher Liebe herabblicken. In diesem Punkt ist die allergrößte Einigkeit vorhanden.
1) > WALTER BAGEHOT, Economic Studies, Seite 5 2) BAGEHOT, a. a. O., Seite 15 3) ROBERT ZUCKERKANDL, Zur Theorie des Preises, 1889, Einleitung. 4) HEINRICH DIETZEL, Über das Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Sozialwirtschaftslehre, 1882, Seite 68. 5) Siehe HASBACH, Die allgemeinen philosophischen Grundlagen der von Francois Quesnay und Adam Smith begründeten politischen Ökonomie, Seite 173. Der Empfang, welchen MENGER dieser Schrift angedeihen ließ, ist so charakteristisch für seinen Haß gegen die historische Schule, daß ich nicht umhin kann, hierauf mit wenigen Worten einzugehen. Meine Schrift wurde im Dezember 1890 ausgegeben und am 6. Januar erschien ein Aufsatz von MENGER in der "Neuen Freien Presse" unter dem Titel "Die Sozialtheorien der klassischen Nationalökonomen und die moderne Wirtschaftspolitik. Er knüpfte an die hundertjährige Wiederkehr des Todestages von Adam Smith an, welcher aber schon am 17. Juli 1890 gewesen war. Daß MENGER sich dieses Tages erst 6 Monate später erinnerte, lag wahrscheinlich an seinem tiefen Schmerz darüber, "daß Adam Smith bei diesem Anlaß dem grausamen Schicksal verfallen (ist), von den Vertretern einer auf den deutschen Universitäten seither zur Herrschaft gelangten gegnerischen Richtung historisch interpretiert, gegen eine allzuweit gehende Verkleinerung verteidigt zu werden". Um nun das "grausame Schicksal", das auch ich Adam Smith bereitet hatte, in das rechte Licht zu rücken, wandte er folgende in ihrer Phantasie entfesselnden Kraft fast an diejenigen Homers heranreichende Vergleichung an. "Als Babeuf vor der Guillotine stand", schrieb er, "bekümmerte ihn, der den Tod nicht fürchtete, nur der Gedanke, daß die Geschichte seiner Bestrebungen von den Gegnern geschrieben werden könnte. Die klassische Nationalökonomie ist tatsächlich diesem Schicksal verfallen." Ich war auf die Widerlegung des Historismus seitens Carl Mengers, des Buonarotti der klassischen Nationalökonomie, sehr gespannt, und verwunderte mit daher nicht wenig, im Wesentlichen nichts mehr zu finden, abgesehen von spärlichen Ausführungen über Ricardo, Say, als - was ich selbst in meiner oben genannten Schrift (Seite 73f und 113f) gesagt hatte. So bestraft und belohnt Menger die "historische Interpretation" der "gegnerischen Schule". - - - Luigi Cossa war von diesem Verdammungsurteil so sehr niedergeschlagen, daß er es gar nicht wagte, meine Schrift in seiner Bibliographie zu erwähnen, obwohl er es nicht für unangebracht hielt, aus einer Rezension derselben eine Stelle zu entnehmen und ein Werk Bonars aufzuführen (Philosophy and Political Economy, 1893), welches sich auf denselben Gegenstand bezieht und meine Schrift zitiert. Cossa hat dann über meine "Untersuchungen über Adam Smith" ein Urteil gefällt, welches dieselbe gehässige Stimmung verrät. Ich habe ihn zweimal in höflichen Schreiben um eine Begründung gebeten, ohne jedoch mehr erlangen zu können, als die Behauptung, daß ich Smith falsch aufgefaßt habe. Meine "Irrtümer und Lücken" bestehen, wie ich aus der englischen Ausgabe von Cossas "Introduzione" ersehe, darin, daß ich eine ungenügende Kenntnis der älteren englischen und französischen Literatur habe. Wenn ich aber nun sage (Seite 421): "Meine Absicht war es nicht, Literaturgeschichte zu schreiben, sondern nur die geistige Persönlichkeit Smiths von allen wesentlichen Gesichtspunkten zu betrachten ..." und: "Bei den vorliegenden (Untersuchungen) habe ich auch nicht den Zweck verfolgt, das Material mit aller denkbaren, aber unwesentlichen Vollständigkeit herbeizuschaffen. Dagegen habe ich es für nötig gehalten, alle wesentlichen Lichtquellen zu eröffnen, welche das geistige Bild Adam Smiths beleuchte", - so konnte doch nur die Frage sein, ob mein Zweck mehr Literatur erforderte. Cossa ist also weit über dasjenige hinausgegangen, was er möglicherweise berechtigt war, zu schließen. Im Übrigen bin ich nicht so vermessen, meine Kenntnis der Literatur zu rühmen. Wenn aber Cossa nur die Bücher meint, deren Titel er in seiner Bibliographie angibt, so darf ich sagen, daß ich noch einige mehr gelesen habe. - - - Den oben erwähnten Aufsatz Mengers hat dann sein Schüler, Feilbogen, an die Öffentlichkeit gezogen, einige Ausführungen stark übertrieben und ihnen eine schon frühr besprochene Methodik der Literaturgeschichte vorangeschickt, welche wahrscheinlich aus den philologischen Vorlesungen Mengers hervorgegangen ist. Denn die schiefen Urteile des letzteren über die klassische Nationalökonomie in seinen "Untersuchungen" waren wahrscheinlich daraus entstanden, daß er sich auf das Studium der Hauptwerke beschränkt und das Studium der "einflußlosen Vorgänger" der Bibliographie überlassen hatte. - - - Mit dieser Abhandlung Feilbogens war die historische Schule mit den Waffen vernichtet, die ihre Jünger geschmiedet hatten. Eine Sache, welche mit folgenden Mitteln in Österreicht und Italien gestützt werden muß, kann nur einen geringen inneren Wert besitzen. - - - Im Deutschen Reich wurde es einem Rezensenten der "Philosophischen Grundlagen" in einer der angesehensten nationalökonomischen Zeitschriften von einem Literaturredakteur versagt, einige Ausführungen vor dem Druck zu berichtigen. 6) BACONs klare Unterscheidung zwischen Geschichte und theoretischer Wissenschaft hat die folgende Zeit beherrscht. C. LEWIS unterscheidet vier politische Wissenschaften: 1. Registrierung der Tatsachen, welche in Geschichte und Statistik zerfällt. 2. Positive Politik, welche das Wesen bestimmter Einrichtungen und Erscheinungen behandelt. Aus der politischen Ökonomie gehörten hierher Reichtum, Wert, Austausch, Kapitalprofit, Grundrente (Es lehren, was notwendigerweise zur Idee der politischen Regierung gehört. ... Es erklärt z. B. was eine Monarchie ist. ... Es zeigt was die Handlungen sind, die den Austausch konstituieren). 3. Spekulative Politik untersucht die Wirkungen, welche aus Ursachen (Regierungsformen, Gesetzen, Einrichtungen, Prinzipien der menschlichen Natur hervorgehen. 4. Praktische Politik. 7) Dieser Satz kritisiert unfreiwillig die Meinung verschiedener Nationalökonomen, welche die exakte Richtung deshalb fordern, weil sonst die komplizierten Phänomene nicht erklärt werden könnten!! Siehe z. B. BÜCHER, welcher der historischen Schule ein Sündenregister vorhält. "Es gibt in der Tat keine andere Forschungsmethode", schreibt er in seiner "Entwicklung der Volkswirtschaft" (Seite 77), "mit welcher man der komplizierten Verursachung der Verkehrsvorgänge nahe kommen kann, als die isolierende Abstraktion und die logische Deduktion." 8) Vgl. SCHMOLLER, Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften, 1884, Seite 278f. - EMIL SAX, Das Wesen und die Aufgabe der Nationalökonomie, 1884, Seite 38 - WILHELM LEXIS, Rezension des Mengerschen Werkes in der "Deutschen Literaturzeitung", 1883. - JULIUS NEUMANN, T. Z. 1892, Seite 440f. "Denn was Menger empfiehlt, um zu exakten Gesetzen zu gelangen, und was in den Naturwissenschaften zu diesem Zweck geschieht, sind durchaus verschiedene Dinge. In beiden Fällen - das ist zugegeben - wird abstrahiert, abstrahiert von demjenigen, was Beobachtung und empirische Forschung an die Hand gibt. Aber während der Naturforscher dieses Verfahren wählt, um vorhandene meßbare Dinge wie z. B. jene Kräfte der Anziehung und der Trägheit zu erkennen, sollen auf dem von Menger empfohlenen Weg, um zu exakten Gesetzen der Wirtschaftlichkeit zu gelangen, Dinge gedacht werden, die, soweit unsere Kenntnis reicht, nicht vorhanden sind. Dort besteht Typisches, aus dem wieder Typisches hervorgehen und als Typisches erforscht werden kann. Hier soll der Art Typisches gedacht, d. h. fingiert werden." (NEUMANN, Seite 441) 9) Daß sich aber auch in Frankreich die hervorragendsten Geister gegen den Mißbrauch der mathematischen Methode, die vage Hypothesenbildung erklärten, ersieht man immer wieder aus der berühmten Einleitung d'Alemberts zur "Enzyklopädie. Nachdem er von den Naturwissenschaften gesprochen hat, die in das exakte Stadium eingetreten sind, geht er zu denjenigen über, welche sich nicht in diesem Stadium befinden, und er wendet sich gegen die heutigen Tages von MENGER vertretene Meinung, man könne auf allen Gebieten die exakte und die empirische Methode anwenden. 10) JOHN NEVILLE KEYNES, Scope and Method of Political Economy, 1891, Seite 18 |