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HUGO GROTIUS
(1583-1645)
Über das Recht des Krieges
und des Friedens


"An eine freie historische Kritik, wie sie die spätere Zeit geübt hat, ist bei Grotius noch nicht zu denken; er ist noch vollständig von der Wahrheit der Bibel und von der Inspiration ihrer Verfasser überzeugt; er ist deshalb oft zu Notbehelfen und einer seichten Auslegung genötigt, um die Bibel mit dem sittlichen und religiösen Gefühl seiner Zeit in Übereinstimmung zu erhalten."


Des Hugo Grotius Leben
und Schriften

HUGO GROTIUS wurde am 10. April 1583 zu Delft in Holland geboren, zu einer Zeit, wo von den vereinigten Niederlanden der Kampf um ihre Abhängigkeit gegen PHILIPP II. von Spanien auf das Lebhafteste geführt wurde und alle Gemüter erfüllte. Fünfzehn Jahre waren damals erst verflossen, seitdem Graf EGMONT unter Herzog ALBAs Zwingherrschaft in Brüssel enthauptet worden war. GROTIUS stammte aus dem alten Geschlecht der de CORNETs; sein Urgroßvater, welcher eine Tochter des Bürgermeisters DIEDRICHs de GROOT geheiratet hatte, gab auf den Wunsch des Letzteren seinen Kindern den Zunamen de GROOT. Der Vater unseres HUGO war Doktor beider Rechte und Bürgermeister in Delft; seine Mutter war ALIDA von OVERSCHIE.

Vortreffliche Anlagen und eine sorgfältige Erziehung trafen bei ihrem Sohn HUGO zusammen; schon im neunten Jahr machte er lateinische Verse, und im zwölften Jahr ging er auf die Universität nach Leyden, wo damals der berühmte SCALIGER lehrte, mit dem GROTIUS bald in freundschaftliche Verbindung kam. Im vierzehnten Jahr disputierte GROTIUS öffentlich über Mathematik, Philosophie und Jurisprudenz, und die Gelehrten waren um Worte verlegen, ihre Bewunderung über den Knaben auszusprechen. Man nannte ihn  Adolescenten sine exemplo  (einen Jüngling ohnegleich)  juvenem portentoi ingenii  (einen Jüngling von erstaunlichem Geist).

Ein Jahr darauf begleitete GROTIUS den holländischen Großpensionär JOHANN von OLDENBARNEVELDT auf seiner Gesandtschaft nach Paris. Sein Name war dort schon bekannt; König HEINRICH IV. empfing ihn huldvoll und schenkte ihm sein Bild mit goldener Kette. Nach seiner Rückkehr 1599 wurde GROTIUS Doktor beider Rechte; allein die juristische Praxis sagte ihm nicht zu, weil, wie er sich ausdrückt, "das bloße Geschäft des Rechtsgelehrten keinen großen Mann macht, wofern nicht die Beredtsamkeit dabei angewendet werden kann; und weil sie ihn am Fortschritt in der Gelehrsamkeit hindert;" ein sehr bezeichnendes Geständnis des Mannes, welcher der Begründer des modernen Naturrechts werden sollte.

Seine ersten Schriften waren ene neue Ausgabe des MARCIANUS CAPELLA und der Phänomene des ARATUS. CAPELLA, ein gelehrter Grammatiker aus dem fünften Jahrhundert, schrieb um 470 nach Chr. in einem schwülstigen und teilweise unreinen Latein ein aus Prosa und Versen wunderlich zusammengesetztes Werk unter dem Titel "Satirikon", welches eine Art Enzyklopädie über die sieben freien Künste enthielt und im Mittelalter viel gelesen wurde. ARATUS hatte im 3. Jahrhundert v. Chr. über Sternerscheinungen und Wetterzeichen ein griechisches Lehrgedicht gemacht, was CICERO übersetzt hatte. Es ist höchst sonderbar, wie GROTIUS seinen Fleiß und seine Gelehrsamkeit gerade auf zwei so wertlose Überreste des Altertums verschwenden konnte; aber es ist auch bezeichnend für seinen Charakter und seinen Geist. Gerade an solchen wertlosen, aus allem Möglichen zusammengelesenen Schriften konnte seine Gelehrsamkeit sich am glänzendsten entfalten; daneben hatte GROTIUS so wenig poetischen Sinn, daß nur er es vermochte, bei einem solchen hohlen Wortgeklingel auszuhalten. - Trotzdem war, dem Geschmack jener Zeit entsprechend, der Erfolg beider Werke ein außerordentlicher; die Gelehrten bewunderten daran den ausgebreiteten Schatz von Kenntnissen, und SCALIGER und andere waren unerschöpflich im Lob des Verfassers.

GROTIUS war aber auch selbst ein Dichter, d. h. er machte Verse in einem erträglichen Latein. Das Beste davon ist ein einem starken Band gesammelt und umfaßt heilige und profane Gedichte aller Art: Hochzeitslieder, Elegien, auch zwei Trauerspiele, deren eines:  Der leidende Christus,  das andere  Sophombaneas  heißt und die Geschichte von  Joseph in Ägypten  behandelt. Es ist merkwürdig, wie spurlos die Werke HOMERs, VIRGILs und der griechischen Tragiker an GROTIUS' Geist vorübergegangen sind, obgleich seine genaue Bekanntschaft mit denselben unzweifelhaft ist. Es zeugt von seinem Geschmack, daß er, anstatt seine Gelehrsamkeit und seine Zeit diesen und anderen großen klassischen Autoren zuzuwenden, es vorzog, sie an einem CAPELLA und ARATUS zu verschwenden. Es wird deshalb nicht auffallen, wenn die eigenen Dichtungen GROTIUS' nur eine gereimte Prosa im schlechten Geschmack der damaligen Zeit genannt werden können. Das größte Lob, was ihm deshalb gebührt, ist, daß trotz des Erfolges, welchen diese Versmacherei hatte, und wobei er den ersten Dichtern des Altertums an die Seite gesetzt wurde, GROTIUS dennoch bescheiden blieb und sich für keinen Dichter hielt. In seinen Briefen spricht er mit großer Gleichgültigkeit von seinen Gedichten, und in der Vorrede zu seinen Poesien sagt er: "Ich fürchte, Du urteilst zu gütig von meinen Spielen. Knaben, auch stammelnde, lieben wir, weil es in ihrem Alter ausreicht, daß der Keim des Genies erblickt wird; aber Frucht zu verlangen - das wäre unzeitig. Einem Mann dagegen geziemt es eher zu schweigen, als zu stammeln." Es pricht für den trüben Geschmack jener Zeit, daß selbst Männer wie SCALIGER, CASAUBONUS, SALMASIUS, die gründlichsten Kenner der alten Literatur, in den allgemeinen Beifall, welcher den Dichtungen GROTIUS' gezollt wurde, lebhaft einstimmten.

Unterdessen führte GROTIUS seine gerichtlichen Geschäfte als Advokat fort und gelangte bald zum bedeutenden Posten eines General-Advokaten oder Fiskal von Holland, Seeland und Westfriesland. Dennoch führt er bittere Klagen über die ruhmlos in dieser Praxis verlorene Zeit.

Im Jahr 1609 erschien sein erstes staatsrechtliches Werk unter dem Titel:  "Die Freiheit des Meere."  Es treten darin schon dieselben Grundgedanken und dieselbe Art der Behandlung hervor, wie sie in seinem späteren Hauptwerk über das Naturrecht herrschen. Es war eine Broschüre im heutigen Sinn; veranlaßt durch die beiden Friedensverhandlungen von den Spaniern gestellte Bedingung, daß die Holländer ihren Handel nach Indien für die Anerkennung ihrer Selbständigkeit aufgeben sollten. GROTIUS erkennt in einem Brief an CAMERARIUS selbst an, daß bei dieser Schrift seine Vaterlandsliebe größer gewesen ist als die Schärfe seiner Beweise. Dennoch sind sie ganz gleicher Natur, wie in seinem großen Werk über das Naturrecht.

Um dieselbe Zeit erschien auch seine Schrift:  Über das Alter der batavischen Republik;  eine Tendenzschrift, zur Verteidigung der aristokratischen Partei seiner Zeit in den Niederlanden.

In der Zwischenzeit hatten die  theologischen  Streitigkeiten über die Gnadenwahl in Holland einen politische Charakter angenommen. Nach AUGUSTIN entscheidet lediglich der Ratschluß Gottes, ob ein Mensch zum ewigen Leben oder zu ewigen Verdammnis gelangt; PELAGIUS wollte dagegen eine Mitwirkung des Menschen dabei eintreten lassen. LUTHER trat bekanntlich mit Entschiedenheit auf die Seite AUGUSTINs; die gemäßigteren Reformatoren, wie MELANCHTHON, ERASMUS, neigten zu PELAGIUS. In Holland wurdes des PELAGIUS Ansicht vom Prediger ARMINIUS lebhaft vertreten, während der Prediger GOMARUS, so wie die Stadt Amsterdam mit dem Prinzen Moritz an der Meinung AUGUSTINs festhielten. Solche Streitigkeiten genügten damals, um die Bevölkerung bis in ihre untersten Schichten aufzuregen, und dies gab den Anlaß, politische Zwecke damit zu verbinden. Die aristokratische Partei, zu welcher GROTIUS gehörte, fürchtete die wachsende Übermacht des Statthalters MORITZ und hielt es mit den  Remonstranten,  welchen Namen die Partei der  Arminianer  infolge einer remonstrierenden [Einwände erhebenden - wp] Staatsschrift erhalten hatte; dagegen hielt die große Masse, namentlich in Amsterdam selbst, zu GOMARUS, und MORITZ schloß sich dieser an, weil sie zur Förderung seiner ehrsüchtigen Pläne besser paßte. Volksversammlungen, in denen die religiöse Streitfrage verhandelt wurde, führten zu gegenseitigen gewalttätigen Ausschreitungen der Menge; die arminianisch gesinnten Provinzen errichteten eine Miliz und verlangten eine Provinzialsynode; MORITZ mit dem Rat von Amsterdam wollte nur eine Generalsynode gestatten und verlangte die Entlassung der Milizen. Er setzte dies in mehreren Städten durch, halb mit Gewalt, halb durch Furcht.

OLDENBARNEVELDT und GROTIUS waren die Hauptführer der aristokratischen Partei, und Letzterer war zu mehreren Gesandtschaften nach Amsterdam und Utrecht benutzt worden. Allmählich wurde jedoch die aristokratische Partei so geschwächt, daß sie 1618 in die Generalsynode zu Dortrecht einwilligte. BARNEVELDT und GROTIUS gingen als Abgesandte mit HOGEBEERTS dahin; hier wurden sie am 29. August 1618 auf Befehl des Prinzen MORITZ verhaftet, und sodann mit Genehmigung der Generalstaaten der Prozeß wegen Hochverrats gegen sie eingeleitet. Die Behandlung des GROTIUS im Gefängnis war hart und verräterisch; man suchte ihn zu Beschuldigungen gegen seinen Freund BARNEVELDT zu verleiten, drohte ihm sogar mit der Folter; allein GROTIUS blieb standhaft. Vor dem ernannten Gericht wurde er nur zweimal verhört, und wenn er dabei reden wollte, so schrieen die Richter und verlangten, er solle auf die Fragen nur  Ja  oder  Nein  antworten.

Am 12. Mai 1619 wurde OLDENBARNEVELDT zum Tod verurteilt und hingerichtet. GROTIUS sollte um Gnade bitten; allein er weigerte sich dessen beharrlich und so wurde am 18. Mai 1619 gegen ihn auf lebenslängliches Gefängnis und Konfiszierung seiner Güter erkannt. Dieselbe Strafe traf HOGEBEERTS. Am 5. Juni 1619 wurden beide nach der Festung  Lövenstein  abgeführt und darin jeder in ein besonderes Zimmer eingesperrt.

GROTIUS ertrug seine ziemlich harte Gefangenschaft mit großer Ruhe und Festigkeit. Ein Trost war ihm seine Frau, welche es trotz aller Schwierigkeiten durch Beharrlichkeit erlangte, daß sie wöchentlich einige Male ihren Gatten besuchen durfte. Auch gestattete man ihm literarische Beschäftigung und die Benutzung von Bücher, die ihm von auswärts geschickt wurden. GROTIUS legte hier den Grund zu mehreren seiner späteren Werke, insbesondere zu den exegetischen über das Alte und Neue Testament.

Dessenungeachtet empfand er die Entbehrung der Freiheit schmerzlich. Ein Brief vom 15. Januar 1621 an den französischen Gesandten schließt mit den Worten:
    "Wer die Sache kennt, weiß, daß man einziges Verbrechen ist, daß ich und die anderen den Staat nicht nach dem Willen jener lenkten. Wenn ich deshalb die Freiheit, die Ehre und mein Vermögen verloren habe, so ist das nicht ohne Beispiel. Aber das ist das Härteste, daß mein schwacher Körper der Luft, und mein trauriger Geist der Freunde entbehren muß. Doch auch dies, und was noch Schlimmeres erdacht werden mag, will ich mit Gottes Beistand lieber erdulden, als Verzeihung suchen für Dinge, deren sich mein Herz nicht schuldig fühlt."
Durch den beharrlichen Mut seiner Fraue wurde er jedoch schneller befreit, als er gedacht hatte. Eine Kiste, kaum 4 Fuß lang, diente, die Bücher für GROTIUS hin und her zu schicken; am 22. März 1621, als der Kommandant abwesend war, wagte es GROTIUS' Gattin, ihren Mann dadurch zu befreien, daß sie ihn selbst statt der Bücher in die Kiste packte und so von den Soldaten wegtragen ließ. Als diese die Kiste schwer fanden und sagten: "Sollte der Arminianer wohl auch darin stecken?" antwortete GROTIUS' Gattin mit Geistesgegenwart scherzend: "Wenigstens sind es armininanische Bücher." Die Kiste wurde, von einer treuen Magd begleitet, in ein Fahrzeug, von da nach Gorkum gebracht und in des Buchhändlers Haus getragen. Hier erst konnte sie geöffnet werden und GROTIUS verließ halb ohnmächtig und entstellt die Kiste, in der er über zwei Stunden zugebracht hatte. In der Verkleidung eines Maurers gelang ihm dann die weitere Flucht. Von Antwerpen aus meldete er sie den Generalstaaten. Auf den Rat seiner Freunde ging er von da auf Umwegen und verkleidet nach Paris. GROTIUS' Gattin war anfänglich verhaftet worden, aber selbst MORITZ erkannte die Großherzigkeit ihrer Tat an; sie wurde nach zwei Tagen wieder entlassen und folgte ihrem Mann im Herbst nach Paris.

LUDWIG XIII. nahm GROTIUS gnädig auf und setzte ihm bald eine Pension von 3000 Livres aus, die freilich sehr unregelmäßig gezahlt wurde. GROTIUS wandte sich nun ganz der schriftstellerischen Tätigkeit zu. Er schrieb zunächst eine  Apologie  oder Rechtfertigung seiner in Bezug auf gegen ihn verhängten Prozeß. Die Schrift ist mit großer Mäßigung verfaßt, so daß man GROTIUS vorhielt, er habe den Prinzen MORITZ wider Verdienst geschont. Trotzdem wurde das Buch von den Generalstaaten für verleumderisch erklärt und dessen Lesung allen Untertanen bei Todesstrafe verboten.

Dann folgte die Ausgabe des STOBÄUS, eines griechischen Schriftstellers aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., der Auszüge aus früheren Werken in Sentenzen für seinen Sohn gemacht hatte; also eine Art Blumenlese, wovon sich jedoch nur Bruchstücke erhalten haben. Auch an diesem Werk bewährt sich die große Gelehrsamkeit des GROTIUS, aber auch seine Geschmacklosigkeit und seine Neigung zu verflachender Verallgemeinerung der sittlichen Gestaltungen des Lebens, die später in seinem Hauptwerk noch stärker hervortritt.

Im Jahr 1625 erschien schließlich in Paris in lateinischer Sprache, wie alle seine Bücher, dieses Hauptwerk unter dem Titel  "Vom Recht des Krieges und Friedens".  GROTIUS hatte drei Jahre daran gearbeitet und widmete es LUDWIG XIII., der es gnädig aufnahm, aber dem Verfasser kein Geschenk zukommen ließ, wie dies damals Sitte war.

Die Beurteilung dieses Werkes muß den Anmerkungen zu demselben vorbehalten bleibt. GROTIUS ist anerkanntermaßen durch dieses Werk der Begründer des modernen Naturrechts geworden; insbesondere ist seitdem die Staatswissenschaft auf dem von GROTIUS hier gelegten Grund fortgebaut worden. Sein Ruhm ist durch dieses Werk für alle Zeiten begründet. Die Wissenschaft hat es vielleicht überholt; allein dies mindert nicht den Wert, welchen es für die Entwicklung derselben und für die Milderung der Sitten und die Belebung des Rechtsgefühls in öffentlichen Verhältnissen gehabt hat.

BERBEYRAC, einer der besten Herausgeber und Übersetzer des Werkes, sagt, es zeuge "von einer außerordentlichen Feinheit des Geistes, von einem scharfen Urteile, einem tiefen Nachdenken, einer umfassenden Gelehrsamkeit, einer erstaunlichen Belesenheit und einer aufrichtigen Liebe zur Wahrheit."

Das Urteil, das ROUSSEAU im "Contrat social" über GROTIUS fällt, ist bekannt. Er sagt im 2. Buch:
    "Jedermann kann aus dem III. und IV. Kapitel des 1. Buchs von  Grotius  ersehen, wie dieser gelehrte Mann sich abmüht und in Sophismen verwickelt, aus Furcht, zu viel oder zu wenig zu sagen, je nach den Meinungen und Interessen, die er versöhnen wollte.  Grotius  war nach Frankreich geflüchtet, unzufrieden mit seinem Vaterland; in dem Bestreben,  Ludwig XIII.  den Hof zu machen, sparte er nichts, um den Völkern alle ihre Rechte zu nehmen und mittels allerlei Kunststücke die Könige damit zu bekleiden."
ROUSSEAU mag hier Recht haben für  seine  Zeit; aber dies widerlegt nicht, daß GROTIUS durch sein Werk für den Fortschritt der Völker zur Freiheit mehr geleistet hat, als ROUSSEAU durch seinen "Contrat social". Ihre Gegensätze treffen in Wahrheit nicht die Schriftsteller, sondern den Gegenstand; beide meinten, es mit einem Unveränderlichen zu tun zu haben, während es doch in jedem Jahrhundert eine andere Gestalt zeigt.

Ein junger Mann bat GROTIUS einst um ein Buch, aus welchem er die Politik erlernen könnte. GROTIUS antwortete: "Nimm ein Buch weißes Papier und geh damit durch die Welt. Notiere Dir aufmerksam alle öffentlichen Vorfälle und lies dabei die alten Geschichten." Diese Antwort stellt GROTIUS höher als ROUSSEAU; sie zeigt, daß GROTIUS die hohe Bedeutung der beobachtenden Methode erkannt hatte.

Im 280. seiner Briefe sagt GROTIUS:
    "Bei meinem Buch über das Recht des Krieges und Friedens war es mein Hauptzweck, jene, nicht bloß des Christen, sondern jedes Menschen unwürdige Rohheit, mit der die Kriege willkürlich begonnen und willkürlich geführt werden, und die ich zum Unglück der Völker täglich wachsen sehe, nach meinen Kräften zu mildern."
Im 875. Brief sagt GROTIUS:
    "Ich hatte mir Zweierlei vorgesetzt; die Inhaber der Staatsgewalt von der Rohheit des Krieges abzubringen; sodann denen, welche sich zum Rechtsstudium einschiffen und welchen Muße und Jugend einen glücklichen Wind gewähren, gleichsam gewisse Sterne zu bezeichnen, nach denen sie ihre Fahrt zu nehmen hätten."
Das Werk hatte gleich bei seinem Erscheinen einen außerordentlichen Erfolg. Der große König GUSTAV ADOLF führte es beständig, auch während des Krieges, bei sich, und nach seinem Tod, in der Schlacht bei Lützen, wurde es in seinem Zelt gefunden. Wenn GUSTAV ADOLF in dem Buch gelesen hatte, pflegte er auszurufen: "Es gibt nur  einen Grotius;"  doch bemerkte er gelegentlich, er würde GROTIUS zeigen können, welcher Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist; es sei leichter, etwas zu schreiben, als auszuführen und mit den bestehenden Verhältnissen zu vereinigen. So wie ALEXANDER den HOMER, so hatte GUSTAV ADOLF das Werk des GROTIUS unter dem Kopfkissen seines Lagers. KARL LUDWIG, Kurfürst von der Pfalz, errichtete in Heidelberg eine besondere Professur für die Erklärung des GROTIUS; PUFENDORF war der Erste, der sie erhielt. Schon nach 50 Jahren wurde das Werk des GROTIUS von JOHANN BECKMANN  "cum commentariis variorum"  herausgegeben, eine Ehre, die, wie BAYLE sagt, man nur nach Jahrhunderten den Alten erwiesen hat.

GROTIUS hielt sich bis zum Herbst 1631 in Paris auf; seine äußere Lage war drückend und unsicher; auch litt er an den Augen. Seine Pension wurde sehr unregelmäßig gezahlt und später, von RICHELIEU ganz einbehalten, weil GROTIUS die Anerbieten, die er ihm machte, gegen sein Vaterland zu dienen, stolz und entschieden ablehnte. GROTIUS schrieb seinem Vater, es hätte nur bei ihm gestanden, damals sein Glück zu machen. In den Niederlanden war in der Zwischenzeit sein Feind MORITZ von Oranien 1625 gestorben; dessen Bruder FRIEDRICH HEINRICH folgte in der Statthalterschaft, und dieser war dem GROTIUS freundlicher gesinnt.

Während seines Aufenthaltes in Paris war GROTIUS ununterbrochen literarisch tätig. Er wendete sich der Auslegung der Bibel zu; sein Lieblingsgedanke war, die durch die Reformation getrennten Religionsparteien aufgrund eines billigen Abkommens wieder zu vereinigen.

So entstanden seine fünf Bücher "Von der Wahrheit der christlichen Religion", deren Erfolg alles seine früheren Werke übertraf. Es wurde aus dem lateinischen Urtext fünfmal in das Französische, dreimal ins Deutsche, ferner ins Englische, Schwedische, Dänische, Flämische, Griechische, Chinesische, Malaiische, Persische und Arabische übersetzt. Selbst in Rom fand das Buch Beifall; erst später wurde es dort verboten. - Der Geist, in dem GROTIUS die christliche Religion behandelte, war derselben, in dem er das Recht behandelte. Er hielt nichts von Subtilitäten, liebte die Vermittlung und beschränkte sich auf das, was dem Menschen für sein irdisches Leben Trost und Freudigkeit gewähren mag. An eine freie historische Kritik, wie sie die spätere Zeit geübt hat, ist bei GROTIUS noch nicht zu denken; er ist noch vollständig von der Wahrheit der Bibel und von der Inspiration ihrer Verfasser überzeugt; er ist deshalb oft zu Notbehelfen und einer seichten Auslegung genötigt, um die Bibel mit dem sittlichen und religiösen Gefühl seiner Zeit in Übereinstimmung zu erhalten. - Von EURIPIDES übersetzte er einige Tragödien in lateinischen Versen.

Im Jahr 1631 kehrte GROTIUS in sein Vaterland zurück; der Empfang war aber nicht ganz so, wie er erwartete. Man scheute die Macht des Statthalters. GROTIUS sagt im 297. Brief:
    "Was soll ich tun; es schmerzt mich, daß es so wenig Entschlossene in Holland gibt. Mich hat nichts abgeschreckt, zu zeigen, wieviel ich verzeihen kann. Aber auch die Gutmütigkeit hat ihre Grenzen, besonders wenn sie sonst für Schlaffheit gehalten wird. Ich bin nicht von so engen Kreisen umschlossen."
Seine Freunde hofften viel von seiner Bittschrift, die GROTIUS dem Prinzen einreichen sollte; allein GROTIUS wollte sich schlechterdings nicht dazu verstehen.

Im März 1632 setzten die Stände eine Belohnung von 2000 Gulden für den aus, der GROTIUS der Justiz überliefern würde; er mußte deshalb sein Vaterland abermals verlassen und begab sich am 17. April 1632 nach Hamburg. Mitten in den Drangsalen des Krieges, welcher damals Deutschland verwüstete, schrieb GROTIUS dort sein oben erwähntes Trauerspiel  "Sophombaneas".  Es wurden ihm vom König von Dänemark, von Spanien, selbst von WALLENSTEIN Anträge gemacht, in ihre Dienste zu treten; allein GROTIUS lehnte sie ab; er hoffte noch immer auf die Rückkehr in sein Vaterland. Als jedoch zwei Jahre fruchtlos verflossen waren, trat er auf Einladung des berühmten Kanzlers OXENSTIERNA in die Dienste Schwedens. Schon GUSTAV ADOLF soll dies verordnet haben. Im Mai 1634 traf GROTIUS OXENSTIERNA in Frankfurt am Main und wurde bald zum schwedischen Gesandten am französischen Hof ernannt. Anfang 1635 reiste GROTIUS nach Paris.

Seine Aufgabe dort war schwierig; Schweden bedurfte der Hilfe Frankreichs in dem Krieg, der noch immer in Deutschland wütete; allein Frankreich hielt sich zweideutig; es lag ihm daran, daß weder Schweden noch Österreich die Oberhand gewinnen, um selbst die Entscheidung in der Hand zu behalten und möglichst zu seinem Vorteil auszunutzen. Wie weit GROTIUS diesen schwierigen Posten ausgefüllt hat, darüber weichen die Urteile sehr ab. Le VASSOR sagt:  "Grotius  war ein ebenso schlechter Unterhändler wie ein geschickter Schriftsteller." Man erzählte sich als Anekdote, GROTIUS habe an den Courtagen, wenn er mit den anderen Gesandten im Vorzimmer warten mußte, sich abseits gehalten und das Neue Testament im Urtext gelesen. - GROTIUS wußte aber dennoch den vielen kleinen Intrigen, welche damals ein Hauptgeschäft der Diplomatie waren, mit Ernst und Würde entgegenzutreten. Da er nicht schmeicheln mochte, so stand er mit RICHELIEU nicht gut. Auch am holländischen Gesandten hatte GROTIUS einen gefährlichen Gegner. In den vielen jämmerlichen Etikette-Streitigkeiten, in die man GROTIUS zu verwickeln suchte, benahm er sich mit Festigkeit und mit der Gleichgültigkeit, welche dergleichen Dinge in den Augen eines hochgebildeten Mannes verdienen.

Während seines Aufenhalts in Paris vollendete GROTIUS seine Geschichte der Niederlande, welche er, nach dem Beispiel des TACITUS, in fünf Bücher  Annalen  und achtzehn Bücher  Historien  eingeteilt hat. Jene umfassen die Zeit PHILIPPs II. Abreise 1567 bis 1588; diese die Zeit bis zum entscheidenden Waffenstillstand 1609. Man hat GROTIUS vorgeworfen, er habe darin die Manier des TACITUS zu ängstlich nachgeahmt; CERISIER sagt:  "Grotius  ist ein ebenso guter Maler wie  Tacitus,  aber er ist kein so guter Anatom." GROTIUS selbst nennt sie  "simplicissime scripta"  (durchaus einfach geschrieben). Unzweifelhaft fällt, wenn man SCHILLERs "Geschichte des Abfalls der Niederlande" mit GROTIUS' Werk vergleicht, das Urteil selbst in Bezug auf Stil zugunsten GROTIUS' aus.

Im Ganzen war ihm die ehrliche und redliche Gesinnung des GROTIUS, mit der er die öffentlichen Verhältnisse und die leitenden Personen auffaßte, ein Hindernis, die wahren Fäden der Geschichte zu erkennen; es ist ein und derselbe Zug in seinem Charakter, welcher ihm in seinem Naturrecht zum Vorteil, in seiner Geschichte zum Nachteil gereicht hat. Die Milde seines Gemüts erhellt sich auch daraus, daß, obwohl Prinz MORITZ ihn um Freiheit, Vermögen und Vaterland in ungerechter Weise gebracht hatte, GROTIUS in seiner Erzählung doch nicht einen Schatten auf die wohlverdiente Feldherrngröße desselben fallen läßt.

Ein anderes Werk von GROTIUS, "Untersuchungen über den Ursprung der amerikanischen Völker", läßt Amerika von Norwegen aus über Island und Grönland bevölkert werden. Auch hier herrscht das Bestreben, die Lehre der Bibel durch ziemlich seichte Verstandesgründe mit den neuen Entdeckungen in Übereinstimmung zu erhalten.

Vorwiegend war jedoch GROTIUS in dieser Zeit mit der Exegese des Alten und Neuen Testaments beschäftigt; die  Annotationes  (Anmerkungen) zum Alten Testament erschienen 1641-46 in zwei Bänden zu Amsterdam; die  Annotationes  zum Neuen Testament in drei Bänden 1644 zu Paris. So wertvoll diese Arbeiten für jene Zeiten sein mochten, so treten sie doch im Verhältnis zur Gegenwart weit hinter GROTIUS' rechtswissenschaftliche Werke zurück. Sein fester Glaube an die wörtliche Wahrheit der Bibel und an die göttliche Inspiration, welche bei ihrer Abfassung gewirkt hat, machte GROTIUS jede freiere Auffassung unmöglich; er konnte deshalb weder die Kritik an die Echtheit der einzelnen Bücher und ihres Textes legen, noch den Inhalt einer höheren philosophischen Prüfung unterwerfen. Dieselbe streng rechtgläubige Auffassung der Bibel, welche dem GROTIUS schon beim Naturrecht viele Schwierigkeiten bereitet hatte, lastet auch auf diesem theologischen Werk. GROTIUS legt dabei ein übertriebenes Gewicht auf die Ansicht der Kirchenväter. Im Übrigen leitet ihn ein Prinip der Billigkeit und Akkomodation [Anpassung - wp], wie es auch in seinem Naturrecht herrscht. Sein Endziel bleibt die Wiedervereinigung der durch die Reformation getrennten Kirchen, weshalb GROTIUS sogar in den Verdacht des Papismus kam. Durch sein Bestreben, jeder Partei zu genügen, keine zu verletzen, um die Trennung nicht noch größer zu machen, kommt in seine Erklärung der Bibel eine Unbestimmtheit der Begriffe und eine Vieldeutigkeit des Ausdrucks, welche selbst das Verständnis erschwert. Auch macht sich die Gelehrsamkeit oft in einer Weise geltend, daß man mit Recht sagte: "Bei ihm dient die Gelehrsamkeit nicht der Sache, sondern die Sache der Gelehrsamkeit." Ähnliche Bedenken treten auch beim Naturrecht hervor.

Neben diesen Hauptwerken verfaßte und veröffentlichte GROTIUS in dieser Zeit noch eine Menge kleinerer Schriften über theologische Streitfragen, welche die Welt damals ebenso bewegten, wie jetzt die politischen.

Diese vielen literarischen Arbeiten, verbunden mit einem gewissen Ungeschick zur diplomatischen Intrige, erschütterten seine amtliche Stellung. OXENSTIERNA gab ihm später einen Franzosen DUNCAN als heimlichen Beobachter an die Seite. GROTIUS bemerkte bald das Schiefe seiner späteren Stellung und bat 1645 um seinen Abschied. Dieser wurde ihm von Königin CHRISTINE in der ehrenvollsten Form bewilligt. GROTIUS ging über Dieppe zu Schiff nach Holland und wurde von dort überall ehrenvoll empfangen. Von dort ging er über Wismar nach Schweden. Sowohl OXENSTIERNA wie auch Königin CHRISTINE gewährten ihm einen gnädigen Empfang; Letztere wünschte, daß er in Schweden als Mitglied des Staatsrats bleiben möchte, und wollte ihm seine Familie nachkommen lassen. Allein GROTIUS lehnte es ab und ging zu Schiff nach Lübeck. Ein heftiger Sturm warf ihn an die pommersche Küste, von wo er seinen Weg zu Wagen nach Lübeck fortsetzte. Die Anstrengungen dieser Reise hatten ihn jedoch so erschöpft, daß er nur bis Rostock kam. Sein Zustand wurde dort bald so bedenklich, daß GROTIUS neben dem Arzt noch einen Geistlichen, QUISTORP, rufen ließ. Dieser tröstete ihn unter andern, daß Gott auch mit dem Zöllner Barmherzigkeit gehabt hat; GROTIUS antwortete: "Ich bin dieser Zöllner." Dann weiter ermahnt, sagte GROTIUS: "Ich setze meine Hoffnung auf  Christum."  Zuletzt betete QUISTORP laut und fragte GROTIUS, ob er es versteht; GROTIUS antwortete: "Die Worte verstehe ich wohl, aber kaum fasse ich den Sinn." Mit diesen Worten, welche seine letzten waren, verließ ihn sanft und leise das Leben am 28. August 1645, im 63. Jahr seines Lebens.

Er hinterließ neben seiner Wittwe, die ihre Tage im Haag beschloß, drei Söhne und eine Tochter; von den Söhnen standen zwei im Kriegsdienst; der dritte, PETER, widmete sich den Wissenschaften und ist in der politischen Welt nicht unbekannt geblieben.

GROTIUS' Körper wurde einbalsamiert und in die Gruft seiner Väter in der Kirche zu Delft beigesetzt. Die Grabschrift, welche er sich selbst gemacht hat, lautet:

Grotius hic Hugo est, Batavus
Captivus et Exsul.
Legatus Regni, Suecia magna, tui.

[Hier liegt Hugo Grotius, ein Niederländer, Gefangener und
Verbannter; zuletzt Gesandter deines Reiches, o großes Schweden.]

Neben den bereits erwähnten Schriften sind nach seinem Tod auch seine Briefe in einer reichen Sammlung herausgekommen. Die Ausgaben und Übersetzungen seiner einzelnen Werke sind so zahlreich, daß sie hier nicht einzeln aufgeführt werden können. Das Werk, das hier zunächst interessiert, "Über das Recht des Krieges und des Friedens", ist bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt worden; dagegen hat BERBEYRAC eine französische Übersetzung im vorigen Jahrhundert geliefert. Die besten Ausgaben des Originaltextes sind die von GRONOW, mit schätzbaren Anmerkungen, von BERBEYRAC und von SAMUEL COCCEJI. Letztere ist in Lausanne 1751 in 4 Quartbänden erschienen. Schon GROTIUS hatte seinem Werk bei einer späteren Auflage im Jahre 1632 Noten beigesetzt. Diese und die von CRONOW sind in der Ausgabe von COCCEJI mit abgedruckt und ihnen sind weitläufige Exkurse über naturrechtliche Fragen beigegeben.

Über Leben und Charakter von GROTIUS geben seine Briefe die beste und zuverlässigste Auskunft. In den meisten Ausgaben seines Werkes über das Recht des Krieges und Friedens befindet sich noch eine Lebensbeschreibung von einem Ungenannten. Neuerlich hat HEINRICH LUDEN, Berlin 1806, eine ausführliche Lebensbeschreibung von GROTIUS geliefert; ebenso CHARLES BUTLER, "Leben von Hugo Grotius", London 1826. Weitere Mitteilungen finden sich in CREUTZERs Werk "Luther und Grotius oder Glaube und Wissenschaft", Heidelberg 1846 und von HARTENSTEIN in den Abhandlungen der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1860.
LITERATUR Hugo Grotius, Drei Bücher über das Recht des Krieges und des Friedens, Bd. 1, Berlin 1869 (aus dem Lateinischen übersetzt und eingeleitet von Johannes von Kirchmann), Leipzig 1870